RadaR Eingang
Vor der Türe.

Radio Darmstadt

Die Oberste Zensurbehörde

Dokumentation

Radio Darmstadt ist ein nichtkommerzielles Lokalradio. Sein Trägerverein wurde 1994 gegründet, um eine Alternative und Ergänzung zu den bestehenden öffentlich-rechtlichen und privaten kommerziellen Hörfunksendern aufzubauen. Menschen und Nachrichten, die im ansonsten durchformatierten Sendebetrieb keine Chance auf Öffentlichkeit besaßen, sollten hier ihren Platz finden. Dies galt für politische Fragen, lokale Themen und musikalische Nischen. Ende 1996 erhielt der Verein für ein derartiges Programm die Sendelizenz. Zehn Jahre später läßt sich die Tendenz beschreiben, daß (lokal)politische Themen immer weniger Platz im Darmstädter Lokalradio finden, während die Musikberieselung zunimmt. Zu diesem Wandel gehört, daß Fragen der Außendarstellung ein wesentlich größeres Gewicht erhalten als das Verbreiten journalistisch abgesicherter Tatsachen. Wer diese neue journalistische Ethik nicht mitträgt, wird aus dem Verein und dem Radio hinausgedrängt. [mehr]

Diese Dokumentation geht auf die Vorgänge seit April 2006 ein. Hierbei werden nicht nur die Qualität des Programms thematisiert, sondern auch die Hintergründe und Abläufe des Wandels vom alternativen Massenmedium zum imageorientierten Berieselungsprogramm dargestellt.

Der Autor dieser Dokumentation ist seit Juni 1997 Redakteur bei Radio Darmstadt und erfreute sich von Januar bis Oktober 2007 eines nur aus dieser Umbruchssituation zu verstehenden, binnenpolitisch motivierten Sendeverbots. Nachdem das Sendeverbot nicht länger aufrecht erhalten werden konnte, wurde es flugs in ein Hausverbot umgewandelt. Als Schatzmeister [1999 bis 2001], Vorstand für Studio und Technik [2002 bis 2004] und Vorstand für Öffentlichkeitsarbeit [2004 bis 2006] kennt der Verfasser die Interna wie kaum ein anderer. [mehr]

Zwangsläufig erscheinen in dieser Dokumentation auch einzelne handelnde Personen mit Klarnamen. Damit sollen einzelne Argumentationsstränge leichter nachvollziehbarer gemacht und Verantwortliche benannt werden. Zur Klarstellung: Eine Diffamierung einzelner Personen oder gar des gesamten Radioprojekts ist hiermit nicht beabsichtigt [mehr]. Das Wesen einer Dokumentation besteht darin, daß sie etwas dokumentiert, nämlich das, was tatsächlich vorgefallen ist.


Zum Titel dieser Dokumentationsseite

Auf meiner Dokumentationsseite zu den Vorgängen im Januar 2007 hatte ich unter dem Datum 14. Januar 2007 mit selbiger Zwischen­überschrift – „Die Oberste Zensurbehörde“ – Folgendes angemerkt:

„Die Redaktionssprecherin von Alltag und Geschichte legt in Vertretung des vom Sendeverbot betroffenen Norbert Büchner Musik ein. Zwar hatten die [damaligen] Vorstands­mitglieder Niko Martin und Walter Kuhl auf der Vorstands­sitzung am 10. Januar dieses lizenzwidrige Sendeverbot aufgehoben, doch dies ficht die Vorstands­mehrheit nicht an. Sonya R. berichtet, sie habe sich regelrecht überwacht gefühlt, da ihr die Vorstands­mitglieder Susanne Schuckmann und Stefan Egerlandt, sowie die Vereins­mitglieder Ralf D., Torsten Aschenbrenner [1] und Gerhard Schönberger während der zweistündigen Sendung demonstrativ durch die Fensterscheibe zugeschaut hätten.“

Tags darauf gab es einen ernsthafteren Zensurversuch. Ich zitiere meine eigene Dokumentation:

„Niko Martin vertritt die aufgrund eines Sendeverbots gesperrte Katharina Mann. Hierbei erläutert er kurz die Gründe, weshalb die geplante Sendung ‚Hinter den Spiegeln‘ nicht wie gewohnt stattfinden kann. Dies ist einigen im Sendehaus anwesenden Personen schon zu viel; und so beschwatzen sie die Chefin vom Dienst, diese Sendung abzubrechen. Der Zensurversuch scheitert an ihrem resoluten Auftreten. Sie notiert hierbei in das Logbuch der Chefin vom Dienst: ‚Michael G., Ralf D. und Nils P. möchten, dass die Sendung 'Hinter den Spiegeln' wegen Verunglimpfung des Vereins abgebrochen wird, dem komme ich nicht nach, da meiner Meinung die Sendung nicht gegen die Vereinsstatuten verstößt.‘ Die Heilige Inquisition ist hier erst einmal gescheitert.“

„Alltag und Geschichte“ ist die politische Redaktion bei Radio Darmstadt. Die Inhalte, die in den Sendungen der Redaktion thematisiert werden, finden durchaus nicht den Beifall einer Reihe von sendenden Vereinsmitgliedern, die easy listening und Mainstreamgedudel bevorzugen. Nun wagt es keine und niemand, den Fakt offen zu benennen, daß ihnen diese Sendungen zu politisch sind. Also erfinden sie eine Reihe kleinkarierter Regelungen, die gut zu ihnen passen, aber von Menschen mit intellektuell geschultem Verstand und eigenständigem Denken im besten Fall ignoriert, ansonsten auch aufgrund ihrer Kleingeisterei kritisiert werden.


Vorgeschichte

Im Februar 2011 verhängte der Programmrat ein Sendeverbot gegen Katharina Mann, eine Redakteurin bei „Alltag und Geschichte“. Dieses in der Sache ungerechtfertigte Sendeverbot steht in einer langen Reihe ähnlicher Maßnahmen gegen Mitglieder der Redaktion. Denn wie so vieles im Leben hat auch dieser vom Vorstand des Vereins gedeckte Zensurakt des Programmrats eine Vorgeschichte. Diese sei zum besseren Verständnis für die Selsbtversrändlichkeit, mit der selbstherrlich in Sendungen der Redaktion „Alltag und Geschichte“ eingegriffen wird, vorangestellt.

Schon im August 2001 hatte der damalige Sprecher der Unterhaltungs­redaktion Markus J. im Programmrat einen Antrag auf Sendeverbote mit einer Gesamtdauer von zwei Jahren gegen vier Mitglieder der Redaktion gestellt. Anlaß war eine Sendung der Redaktion, in der öffentlich die von einem Vereinsmitglied mehrfach angedrohte körperliche Gewalt gegen eine Frau aus der Redaktion thematisiert wurde, bei der alle Gremien des Vereins und des Radios (Vorstand, Programmrat, Vermittlungs­ausschuß) nicht handeln wollten. Auf dieser Programmrats­sitzung gab das Vorstands­mitglied Clemens Beier zu, der Vorstand habe hier Mist gebaut. Der Sendeverbots­antrag scheiterte nur knapp bei einer gleichen Anzahl von Ja- und Nein-Stimmen. Anschließend entschied der damalige Vorstand, daß der Antragsteller Markus J. nur kanpp einer Abmahnung entkommen sei, die der Vorstand hätte aussprechen müssen, wäre der Antrag erfolgreich gewesen.

Anfang 2007 hingegen arbeiteten Vorstand und Programmrat Hand in Hand. Am 9. Januar 2007 erhielten Katharina Mann und Norbert Büchner (lizenzwidrig) ein Sendeverbot, weil sie aus dem Verein ausgeschlossen worden waren; diesen Ausschluß mußte der Verein aufgrund eines Formfehlers revidieren, sprach ihn umgehend aber gleich nochmals aus. Auch den Schreiber dieser Dokumentation ereilte am selben Januarabend ein Sendeverbot wegen einer Sendung, mit der er zwei Wochen zuvor eine soziologische Untersuchung der Verwerfungen im Verein vorgelegt hatte.

Diese drei Sendeverbote mußten vom Verein auf Druck der LPR Hessen neun Monate, im Oktober 2007, später wortlos aufgehoben werden. Es drohte dem Verein andernfalls nämlich eine Nichtverlängerung der Sendezulassung.

Im September 2009 wurde der Redaktion „Alltag und Geschichte“ der Sendeplatz von „Evrenselin Sesi“ durch den Programmrat einfach mal so entzogen; zuvor war ein Versuch des Programmrats gescheitert, der Redaktion den Montagssende­platz von Katharina Mann und mir zu klauen.

2011 war es wieder einmal so weit. Einzelnen Programmratsmitgliedern mißfiel ein Beitrag von Katharina Mann, mit dem sie den Tod eines Radiokollegen verarbeitete und gesellschafts­politisch einzuordnen suchte.

Eine Person des öffentlichen Lebens

Der Radiokollege Christian K. darf als Person des öffentlichen Lebens gelten. Sein Tod war dem Darmstädter Echo einen längeren Artikel wert; die Rubrizierung als „Darmstädter Original“ belegt die Schwierigkeit, einen durchaus auch im positiven Sinn eigensinnigen Menschen angemessen zu würdigen. Sein nicht immer gesellschafts­konformes Auftreten, sein Hang zu gewissen Flüssigkeiten und das von Birgit Femppel als erstes Charakteristikum herausgestelltes Haarekämmen führte durchaus zu einigem Spott hinter seinem Rücken. Die Darmstädter Stadtverordneten­versammlung legte zu seinem Gedenken am 4. November 2010 eine Schweigeminute ein.

Screenshot SuchfunktionIm Programmrat von Radio Darmstadt wurde er belächelt, sofern er nicht dringend gebraucht wurde, um verwaiste Sendeplätze zu füllen. Die mehrmalige Vorstandsfrau Petra Schlesinger hielt mir mehrfach vor, welch schlechten Eindruck dieses „Original“ bei seiner Aufnahme­tätigkeit in der Stadtverordneten­versammlung hinterlasse. So jemanden könne man und frau doch nicht Radio Darmstadt nach außen repräsentieren lassen. Ich war da anderer Meinung. Denn Christian K. war gewissenhaft in seiner Dokumentation der Sitzungen des Darmstädter Stadtparlaments; und deren Zusammen­fassung in Darmstadts Lokalradio war um einige Klassen besser als das mitunter arg hilflose Gestammel seines Nachfolgers Aurel Jahn [2]. Bemerkenswert bei der Trauerfeier war die sorgsam vorgetragene Inszenierung der gemessenen Schrittes zum Sarg defilierenden Petra Schlesinger und Aurel Jahn, um nach einer angemessenen Standzeit vor dem Sarg sich ein Plätzchen in der Kapelle zu suchen. Ob Petra Schlesinger hier tränenreich Abbitte geleistet und ihn für ihre unpassenden Bemerkungen hinter seinem Rücken nun um Verzeihung gebeten hat? Trauerfeiern sind auch ein Ort bürgerlicher Heuchelei, und sei es, daß die Toten so gelobhudelt werden wie nie zuvor zu Lebzeiten. Dies mag als Vorbemerkung zum Verständnis eines Aktes der Zensur dienen, nachdem sich einige Menschen empfindlich auf die Füße getreten sahen. Wer schaut schon gerne in den Spiegel der eigenen Seele, geschweige, wer muß sich im eigenen Hörfunk­programm der bitteren Wahrheit stellen?

Radio Darmstadts Nachruf ist auf der sendereigenen Webseite nur nach umständlicher Suche aufzufinden (oder gleich gar nicht, siehe Screenshot) [3], einfacher hingegen auf einem lokalen Newsportal. Wer bei den Verantwortlichen des Senders auf die Idee gekommen ist, das zugehörig verunstaltend buntige Bild einzustellen, sollte sich schämen. Gab es auf die Schnelle kein besseres zu finden? Womöglich ist dies Ausdruck der im Herbst 2006 ausgebrochenen Darmstädter Radiokultur, womöglich sah dieser Verantwortliche seinen Radiokollegen auch nur entsprechend schrill.

Auf dieser Dokumentations­seite wird Christians Name trotz seines Bekanntheits­grades abgekürzt wiedergegeben. Was in Darmstadts eingeweihten Kreisen durchaus Stadtgespräch war, muß nicht den gierigen Klauen der weltweiten Suchmaschinen zum Opfer fallen; auch wenn mir Christian in einem unserer vielen Telefon­gespräche gestattet hat, seinen Namen im Klartext auf meiner Webseite zu verwenden. Denn letztlich geht es auf dieser Seite nicht um die Person Christian K., sondern um eine der bürgerlichen Heuchelei entspringende Zensur.

Wie es zum Stein des Anstoßes gekommen ist

Christian K., ein Urgestein von Radio Darmstadt, verstarb in der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober 2010. Als offizielle Todesursache vermeldet das Darmstädter Echo Bauchspeicheldrüsenkrebs. Ein Nachruf auf der Webseite von Radio Darmstadt empörte die langjährige Radiowecker-Kollegin Katharina Mann. In diesem Nachruf hieß es unter anderem: „Mit dem Satz ‚Ich bin nicht hilfsbedürftig‘ lehnte er gut gemeinte Hilfsangebote ab. Dies war Teil der Würde seines Kampfes mit seiner Krankheit.“ Wie auch immer dieses Hilfsangebot angesichts des Fortschreitens seiner Krankheit ausgesehen haben mag, in den Jahren zuvor gab es derartige Hilfsangebote jedenfalls nicht. Es wurde weggeschaut. Wer genau hinschaute, wer ihm nahe kam und die Fahne roch, konnte das Problem, das er mit sich herumtrug, nicht ignorieren. Katharina Mann gehörte zu denen, die nicht weggeschaut hatten. Christians Alkoholkonsum, auch im Sendehaus, wurde auf den Sitzungen der Radiowecker-Redaktion thematisiert. Es ging dabei nie darum, Christian auszugrenzen, sondern darum, ihm dabei zu helfen, davon loszukommen. Christian war nicht einfach; er entzog sich dem Druck durch den Wechsel zu einer anderen Redaktion, in der weggeschaut wurde. Christian K. wanderte ab zum Donnerstags-Radiowecker von Jürgen B. und Fred S. in die Unterhaltungsredaktion; den er bald darauf quasi erbte. Zudem übernahm er von seinem Radiokollegen Jürgen Bialk den „Heinerkult“ aus der Kulturredaktion. Dort interessierte sich keine und niemand für sein Problem; allenfalls, wenn er dadurch öffentlich nicht vorzeigbar schien.

Seiner Beisetzung am 25. Oktober wohnten einige Vereinsmitglieder des Trägervereins von Radio Darmstadt bei. Die üblichen Beileidsbekundigungen, die üblichen Rituale. Schnell dahergesagt, flüchtig, und gut ist. Der Pflicht wurde genüge getan. Hat Christian irgendeiner oder irgendeinem der Anwesenden aus dem Sendehaus gefehlt? Vielleicht. Doch Monate später – ich schreibe diese Zeilen im Mai 2011 – ist sein Schatten verschwunden. Selbst auf der Webseite von Radio Darmstadt fällt es schwer, den Nachruf zu erhaschen, den der Verein verfaßt hatte.

Katharina Mann fand diese Heuchelei ungehörig, und so überlegte sie sich, eine ihrer Sendungen „Hinter den Spiegeln“ dem verstorbenen ehemaligen Radiokollegen zu widmen und dem Verein damit den Spiegel vorzuhalten. Allein – sie wußte, daß eine öffentliche Darstellung der bürgerlichen Heuchelei in diesem Fall einen Aufschrei im Sendehaus nach sich ziehen würde. Wie sich noch zeigen sollte, waren diese Befürchtungen nicht unbegründet. Zu dieser Zeit jedoch hatte der Vorstand des Trägervereins von Radio Darmstadt auf Druck und in Absprache mit der hessischen Landesmedien­anstalt, der LPR Hessen, ein Vertragswerk ausgearbeitet, das der Mitglieder­versammlung des Vereins am 3. Dezember 2010 vorgelegt werden sollte. Dieses Vertragswerk sollte es den mit Hausverbot belegten ehemaligen Vorstands­mitgliedern des Vereins – Norbert Büchner, Katharina Mann und mir – ermöglichen, die eigenen Sendungen nicht mehr als Podcast einreichen oder von außen aus dem heimischen Wohnzimmer einspeisen zu müssen, sondern als Liveprogramm in und aus den von der LPR Hessen maßgeblich finanzierten Studioräumen zu verbreiten. Katharina Mann nahm als Vorleistung auf eine mögliche Veränderung des Radar-Geschäftsklimas Rücksicht auf die bürgerlichen Befindlichkeiten in der Mitgliedschaft und stellte ihr Sendungs­vorhaben zurück.

Am 23. November sollten in den Räumen der LPR Hessen in Kassel die Vertragsver­handlungen stattfinden. Drei Tage zuvor berief Programmrats­sprecher Oliver Jenke den Programmrat zu einer außerordentlichen Sitzung am 29. November ein, um „nach Möglichkeit eine einheitliche Stellungnahme abzugeben“. Am 3. Dezember lehnte dann die Mitgliederver­sammlung die ausgehandelten Verträge ohne weitere Begründung ab; somit bekundete der Verein ein weiteres Mal, daß er nicht kompromißfähig ist. In der Präambel dieses Vertragswerks stand unter anderem:

„Auch in Zukunft bedarf es eines nichtkommer­ziellen, lokalen Radios in Darmstadt, welches den Menschen aus Darmstadt und dem Umland Gehör verschafft. Hierfür ist es wichtig, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Um das Ansehen des Darmstädter NKL zu wahren und in Zukunft zu mehren, vereinbaren die Vertragsparteien ein gedeihliches und menschliches Miteinander. Diese gedeihliche Miteinander begründet sich auf gegenseitigem Respekt, der Akzeptanz, unterschiedliche Meinung zuzulassen sowie einen höflichen und respektvollen Umgang miteinander in Wort und Schrift. Beide Vertragsparteien wollen in Zukunft im Sinne dieser Präambel handeln.“

Katharina Mann, Norbert Büchner und ich waren dazu bereit; die Mitgliedschaft von Radar e.V. in ihrer Mehrheit eindeutig nicht. Um auch einmal etwas Positives über das Vorstandsmitglied Benjamin Gürkan zu sagen: er stand hinter diesem Vertragswerk.

Am 17. Dezember 2010 teilte mir der Vorstand die ablehnende Haltung des Vereins mit, stellte jedoch in Aussicht, einen erneuten Abstimmungsversuch auf der Mitglieder­versammlung im Mai 2011 zu wagen, im Wissen darum, daß die LPR Hessen in der Ablehnung einen Lizenzverstoß sieht. Dieses Angebot erhielten nur Norbert Büchner und ich. Katharina Mann hingegen wurde hiervon ausgegrenzt. Mit der erneut kompromißlosen Haltung des Vereins entfiel die Grundlage der Selbstbe­schränkung; eine Anpassung an die Heuchelei im Sendehaus war nicht länger angesagt. Und so nahm eine Sendung mit ihrem Nicht-Nachruf auf Christian K. Gestalt an; sie wurde am 20. Dezember 2010 eingereicht, vom Sender anstandslos, wenn auch technisch nicht fehlerfrei, abgespielt, und am folgenden Tag mehrfach wiederholt gesendet.

Hinter den Spiegeln – kein Nachruf

„Hinter den Spiegeln. Ein Podcast der Organisations­einheit Alltag und Geschichte bei Radio Darmstadt von Katharina Mann.

Die Zeit der Nachrufe ist vorbei. Kein Nachruf also für Christian K., der Mitte Oktober gestorben ist und eine der wichtigen – vielleicht der wichtigsten – Stützen des Programms von Radio Darmstadt war.

Zunächst eine Frage, die auch eine ganz ernüchternde Feststellung sein kann: Christian ist noch kein Vierteljahr tot. Fällt es im Programm besonders auf, dass er nicht mehr da ist? Nunja, die spezifischen Christian-Sendungen wie seine Sendung zur Verkehrspolitik oder sein Bericht aus der Stadtverordneten­versammlung gibt es nicht mehr. Der eine Hörer oder die andere Hörerin wird sie schon vermissen. Aber sonst? Das Radioprogramm in seiner Gesamtheit hat sich in seiner Anmutung nicht verändert.

Es bestätigt sich also auch hier die zynische These, dass jeder ersetzbar sei.
Ich widerspreche dieser These. Ich hoffe, dass es mir gelingt, herauszuarbeiten, warum Christian wichtig für das Radio war und warum er unersetzbar ist. Gerade weil Christian nicht einfach war.

An Christian – am ‚Fall Christian‘ sozusagen – hat das Radio versagt, hat der Trägerverein versagt, dessen Träger, also Vereinsmitglieder, das Radio gerne einmal sehr familiär sehen möchten.

Christian könnte noch leben. Dass einer mit seinem Lebenswandel wahrscheinlich nicht allzu alt wird, – da kann der Radioverein nichts dazu. Aber dass Christian so schnell sterben musste, da gibt es durchaus ein paar Verantwortliche im Verein, die aber unverantwortlich gehandelt und weggeschaut haben. Es sind Mitglieder der Lokalredaktion, Kulturredaktion und der Unterhaltungs­redaktion bei Radio Darmstadt.

Umgangssprachlich gesagt: Christian hatte ein Alkoholproblem.
Blöde Ausdrucksweise.
Das Problem hat eigentlich die Gesellschaft. Die die Probleme der Gesellschaft am wenigsten aushalten können – aus ganz unterschiedlichen Gründen –, werden davon krank. Wenn wir Alkoholsucht als Krankheit sehen, können wir es vielleicht noch am ehesten begreifen.

Im Radiowecker fiel das auf.
Wenn einer morgens um sechs am Mikrofon ist mit dem impliziten Anspruch, die Stadt zu wecken, selber aber hörbar Probleme hat, sich zu artikulieren …
Das fällt auf.
Die damalige Redaktion Radiowecker – das war im Jahr 2002 – hat Handlungsbedarf gesehen und hat gehandelt.

Hilfreich war hier vor allem das Selbsthilfebüro beim Paritätischen Wohlfahrts­verband in Darmstadt. Wir, ich selber war auch mit dabei in der Redaktion Radiowecker, wussten zuerst nicht, was wir sinnvoller­weise tun konnten. Wir wussten, dass Verbote wenig Sinn machen würden. Was hätten wir auch verbieten können oder sollen? Dass Christian Alkohol trinkt? Er war ein erwachsener Mensch und Alkohol ist eine legale Droge. Das Senden? Kann man wohl deswegen nicht verbieten. Man kann versuchen, das Senden in alkoholisiertem Zustand zu unterbinden, stand auch damals schon ein entsprechender Passus in der Benutzerinnen­ordnung des Radios. Aber soll man den Kollegen vor jeder Sendung pusten lassen? Geht wohl schlecht …

Wir wussten, dass es Selbsthilfegruppen gibt und dass die vielleicht am ehesten hilfreich sein können.
Ziel war für uns zu erreichen, dass es mit Christian eine Art Abkommen gibt: Er geht regelmäßig in eine Selbsthilfe­gruppe, dafür kann er seinen Platz und Sendeplatz in der Redaktion behalten. Die Redaktion unterstützt ihn, so gut sie kann – ihn! und nicht seine Sucht.

Wir haben den Vorstand angesprochen und die Redaktionen, in denen Christian Mitglied war: Lokalredaktion, Kulturredaktion, Unterhaltungs­redaktion. Mit seiner Familie gab es ebenfalls Kontakt.

Der damalige Vorstand hat uns unterstützt. Nicht aber die genannten Redaktionen, in denen Christian außerdem Mitglied war.

Vielleicht kam dieses Wegschauen nur aus Unsicherheit und einem Gefühl der Überforderung. Es hatte aber fatale, für Christian tödliche Folgen. Es ermöglichte ihm auszuweichen und Christian wechselte mit Tamtam in den Donnerstags-Radiowecker der Unterhaltungsredaktion.

In der nachfolgenden Zeit hat Christian die meisten, vielleicht alle Gelegenheiten genutzt, die Redaktion Radiowecker zu diffamieren. Ob ihm das zu verübeln ist? Wenn der Kernsatz der Anonymen Alkoholiker zutrifft, nämlich dass die Sucht stärker ist als man oder frau selbst, dann konnte Christian in dieser Situation wahrscheinlich nicht anders handeln.

Bedenklich ist allerdings, welch dankbares Publikum er im Radio für seine diffamierenden Behauptungen gefunden hat.

Ein kleiner Exkurs zu Sucht und Alkohol.
Ich kann nicht behaupten, dass ich verstanden hätte, was Sucht ist. Ich kann genausowenig behaupten, nicht in Gefahr zu sein. Ich glaube, das ist eine Falle, das denken viele, dass ihnen so etwas nicht passieren könnte. Mal betrunken sein, ja gut. Aber so ein Absturz???

Ist es das denn? Bedeutet Sucht auf jeden Fall Absturz? Ich weiß noch nicht einmal, ob man den Begriff des ‚Absturzes‘ – was ist das überhaupt? Vielleicht eine Formel dafür, wenn die Auswirkungen der Sucht nicht mehr sozial kompatibel sind? – ob man den Begriff des Absturzes mit so etwas wie einer Endphase einer Suchterkrankung in Zusammenhang bringen kann, wie ‚Alkoholismus im Endstadium bedeutet Absturz‘ …

Das ist das Bild, das wahrscheinlich viele von uns im Kopf haben. Der ‚Penner‘, der eigentlich lediglich keine Wohnung hat, der ‚gegen Kälte‘ – kalte Witterung und soziale Kälte – Alkohol konsumiert, aber wie wir wissen, das funktioniert nicht …

Was sind wir für dumme Klugscheißer, wenn wir so oder so ähnlich denken.
Aber ich befürchte, es ist noch schlimmer: Es erfüllt eine Funktion, wenn wir so denken. Es schützt uns und andere davor, zu bemerken, was alles nicht in Ordnung ist in unserer wundervollen Gesellschaft.

Was mir aufgefallen ist, schon vor Jahren, es war in einem beruflichen Zusammenhang: Dass die Persönlichkeiten vieler Alkoholkranker mit dem Bild vom ‚Penner‘ nicht zusammenzu­bringen sind.
Mir waren Menschen aufgefallen, eigentlich starke Menschen, engagierte und verantwortungs­bewusste Menschen, die – aber! – ein Alkoholproblem hatten.

Ich schließe aus dieser Beobachtung: Alkohol ist eine Droge, die hilft, als Rädchen im System zu funktionieren und die Zumutungen des Daseins in dieser Welt zu ertragen.
Vielleicht nicht ausschließlich, aber zumindestens: auch.

Wenn jetzt im Winter manche Hecken und Bodendecker vor größeren Firmen kahl werden, geben sie frei, was sorgsam versteckt worden ist und auch werden sollte: Unzählige kleine Fläschchen, eilig entleert und entsorgt kurz vor dem Eintritt durchs Betriebstor.

Alkohol ist der Stoff, der das gesellschaftliche Spiel von Einschluss und Ausschluss ständig in Bewegung hält.

Gerade weil er eine legale und auch gesellschaftlich anerkannte Droge ist, schafft er ständig neue Möglichkeiten zur Unterscheidung: Beispielsweise zwischen Süchtigen, die wahrscheinlich einfach nur maßlos sind und sich nicht beherrschen können, und ‚normalen‘ Menschen, die alles besser im Griff haben. Zwischen ‚normalen‘, sich gerne feucht-fröhlich gerierenden – es gehört ja doch irgendwie dazu – und humorlosen Antialkoholikern. Zwischen gutsituierten und angepassten Erwachsenen, die einem Gläschen in Ehren auch nicht abgeneigt sind, und sich koma­besaufenden Jugendlichen … der Unterscheidungs­möglichkeiten sind unzählige …
… und damit bietet Alkohol auch immer wieder die Möglichkeit, Gruppen von Menschen gegeneinander auszuspielen und sie so zu beherrschen. – Prost!

Exkurs Ende.

Es war nicht einfach, mit Christian zusammenzu­arbeiten. Christian hat sehr genau unterschieden, was er gut und richtig fand und was nicht.

Er hat sich bis zur Selbstaufgabe eingesetzt für die Dinge, die er wichtig fand und die er als gut und richtig einsortiert hatte. Und mit der gleichen Unnachgiebigkeit hat er verfolgt, was er verkehrt fand.

Christian konnte einen in stundenlange Diskussionen darüber verwickeln, wie etwas richtig zu machen wäre. Das war für die meisten, vielleicht alle anderen, schwer zu ertragen. Ich habe oft beobachtet, wie Kollegen im Radio hinter Christians Rücken Grimassen geschnitten oder gelästert haben.

Andererseits konnte man auf ihn rechnen in seinem Engagement für ‚die richtige Sache‘. Was notwendig zu tun war, hat er übernommen, wenn niemand anderes sich fand. Und oft genug fand sich niemand anderes, denn umgekehrt stand ja immer Christian zur Verfügung. Auf gut deutsch: In seinem Engagement war Christian ausbeutbar.

Christian ist tot, manches notwendige wird nicht mehr erledigt, das Radio sendet trotzdem irgendwie weiter.
Ist Christian doch ersetzbar?
Was das Radio für Christian war, können wir nur ahnen. Was war Christian für das Radio? War es wirklich dieser unbedingte Einsatz, den Christian dem Radio geschenkt hat und wofür jetzt so viele falsche Tränen vergossen worden sind?

Ausbeutbar sind viele. Die meisten Menschen erkennen irgendwann, dass sie ausgebeutet werden, und lassen sich dann nicht mehr so einfach ausbeuten. Bei Christian war das anders.

Ich meine, Christian war nicht im Radio, um sich ausbeuten zu lassen, sondern das Radio – die Gruppe von Radio­macherinnen und -machern – hätte Konsequenzen ziehen müssen, um Christian vor sich selber zu schützen. Das ist zwar anstrengend, aber es hätte gleichzeitig dieses ehrenamtliche Betätigungs­feld menschlicher für alle gemacht.“

Der Zensurbeschluß

Wie in einem Verein, der das „gedeihliche Miteinander“ ablehnt, nicht anders zu erwarten ist, kochte die Volksseele hoch. Dabei war es weniger das Problem, daß Christians Alkoholkonsum thematisiert wurde. Vielmehr fühlte man und frau sich ertappt. Anstatt mit der Trauerfeier auch die Vergangenheit zu begraben, wurde das Versäumnis der Vergangenheit angesprochen. Das Wegschauen, das Ignorieren, das Hinter-Vorgehaltener-Hand-Getuschel. Das ist schwer zu ertragen, erst recht dann, wenn das Politische öffentlich reflektiert wird. Es kam, wie es kommen mußte. Der Repressions­apparat wurde in Gang gebracht. Das, was nicht gesagt werden darf, muß unbarmherzig stummge­schaltet werden.

Auf der Programmratssitzung am 10. Januar 2011 trat das Hohe Scherbengericht erstmals zusammen. Zunächst einmal mußte es sich mit einer Mergelei beschäftigen. Das ehemalige Vorstandsmitglied Günter Mergel hatte in einem weitläufig verbreiteten Schreiben einem Redakteur von „treffpunkt eine welt“ Antisemitismus vorgeworfen, weil dieser im Januar zwei Sendungen mit dem Tenor „Mehr Gerechtigkeit für Palästina“ ausstrahlen wollte. Mergel hatte gefordert, diese Sendungen abzusetzen, also Zensur auszuüben, doch der Programmrat ließ sich hiervon nicht beeindrucken. Ganz anders hingegen verhielt er sich zum Nicht-Nachruf auf Christian K.

Er zog das „Fazit: Katharina Mann spricht von Christian K. in einer Weise, die der Programmrat nicht dulden wird.“ Dieses Nicht-Dulden-Wollen, umgangs­sprachlich auch Intoleranz genannt, wird nun, um diese Intoleranz nicht deutlich hervortreten zu lassen, formalisiert. Es seien einige Sendekriterien des Programmrats nicht eingehalten worden, weshalb der Vorstand aufgefordert wird, den Mitschnitt ihres Podcasts an die LPR Hessen zu schicken und ansonsten „diesen Sachverhalt“ dem Anwalt des Vereins zu übergeben. Zudem fordert die Unterhaltungs­redaktion eine Gegen­darstellung der Redaktion „Alltag und Geschichte“. Der Programmrat unterstützt diese Forderung bei einer Enthaltung.

Im nächsten Satz des Protokolls dieser Sitzung wird ein Mitschnitt meiner Sendung vom 10. Januar 2011 angesprochen, den Joachim Stark, einer der Sprecher der Unterhaltungs­redaktion, organisieren soll. Wenn man und frau die Repressions­maschine schon angeworfen hat, dann wird sie auf Hochtouren betrieben. Es scheint jedoch so, daß in den Folgewochen das Verfolgungs­interesse in meinem Fall wieder eingeschlafen ist. Ob der Programmrat die Publicity auf meiner Webseite bedacht hat? In meiner Sendung hatte ich von „Dreckschleudern“ gesprochen und dabei erwähnt, daß der Rechtsanwalt des Vereins im Auftrag des Vorstandes meinen Radiokollegen und langjährigen Freund Norbert Büchner antisemitischer Äußerungen beschuldigt hatte. Den Nachweis derartiger Äußerungen ist der Vorstand trotz mehrfacher Aufforderung bis heute [Mai 2011] schuldig geblieben, weshalb ich die Verantwortlichen dieser Dreckschleuderei in meiner Sendung namentlich benannt hatte. Ist halt blöd für den Verein, wenn ich die Wahrheit über Radio Darmstadt und seinen Trägerverein öffentlich kommuniziere.

Der Rechtsanwalt des Vereins wird schon wissen, weshalb er mir diesbezüglich keine Unterlassungsf­orderung zugeschickt hat. Der Bumerangeffekt wäre erheblich. – Doch kommen wir zum Nicht-Nachruf auf Christan K. zurück.

Am 24. Januar 2011 schrieb der Verein Radar e.V., der das Darmstädter Lokalradio betreibt, mir persönlich (gemeint war vermutlich in meiner Eigenschaft als gewählter Sprecher meiner Redaktion):

„mit diesem Schreiben teilen wir Ihnen mit, dass der Sender Radio Darmstadt von Ihrem Redaktionsmitglied (ich bin keine Redaktion, aber die Schreiben von Radar sind zuweilen derart skurril, Anm. WK) Katharina Mann eine Gegendarstellung zu ihrer Sendung ‚Hinter den Spiegeln‘ vom 20. Dezember 2010 fordert.

In dieser Sendung hat Frau Mann mehrere Behauptungen zu der Todesursache unseres Mitglieds und Redakteurs Christian K. verbreitet, welche mindestens gegen die Sendekriterien 1.1 ‚Journalistische Sorgfaltspflicht‘ und 1.15 ‚Sendungen nicht für persönliche Konflikte missbrauchen‘ verstoßen. Die Behauptungen kann und will der Sender so nicht stehen lassen und fordert Frau Mann deshalb dazu auf, in ihrer nächsten Sendung ‚Hinter den Spiegeln‘, voraussichtlich am 21. Februar 2011, eine bereits produzierte Gegendarstellung zu senden.

Der Vorgang geht zur Kenntnis auch an die LPR Hessen, sowie an den Programmrat von Radio Darmstadt.“

Es folgt „i. A.“ die Unterschrift der Schreibkraft. – Wir erfahren aus diesem Schreiben nicht, wer dieses Schreiben in Auftrag gegeben hat und wer durch welche Behauptungen „geschädigt“ worden sein soll. Tatsächlich wird auch in der später gesendeten Gegendarstellung der Urheber derselben nicht genannt.

Mit selbem Datum, also dem 24. Januar 2011, erhielt auch Katharina Mann ein Schreiben des Vereins gleichen Inhalts. Da hieraus nicht ersichtlich ist, wer die Gegendarstellung eigentlich verlangt und ob überhaupt nach § 28 HPRG ein berechtigtes Interesse an der Ausstrahlung der Gegendarstellung besteht, fragt sie mit Schreiben vom 7. Februar 2011 beim Vorstand nach. Dieses Schreiben wurde nicht unbeantwortet, obwohl – doch: durch das nun folgende Sendeverbot.

Weitere drei Wochen später traf der Programmrat wieder zusammen. Im Protokoll zu dieser Sitzung ist unter Tagesordnungspunkt 3 „Vorstand“ zu finden:

Gegendarstellung

Kath. Mann weigert sich eine Gegendarstellung zu senden, (siehe Brief von Kath. Mann vom 7. Febr. 2011 / eingegangen bei RadaR am 9. Febr. 2011) zu der sie nach § 28 HPRG von Radio Darmstadt schriftlich aufgefordert wurde, weil sie in ihrer Sendung, Hinter den Spiegeln vom 20.12.2010, mehrer (sic!) Behauptungen zu der Todesursache von Chr. K.s verbreitet hatte, die gegen die Sendekriterien 1.1, 1.14 und 1.15 von Radio Darmstadt verstoßen.

Aufgrund dessen hat Marco Sch. eine Gegendarstellung geschrieben und der Programmrat beschließt folgendes:

1. Der Programmrat beschließt:
Die Gegendarstellung wird gesendet und zwar in Kath. Mann's (sic!) Sendezeit von – Hinter den Spiegeln – am 21.2.11 um 17.00 Uhr.
Beschluss: 10 Ja – 1 Nein – 0 Enth.

2. Der Programmrat beschließt:
Kath. Mann wird ab März die Sendezeit von – Hinter den Spiegeln – für die Monate März, April und Mai entzogen.
Begründung: Kath. Mann ist nicht einsichtig, dass Sie (sic!) Chr. K.s Ansehen verletzt und – Sie hat gegen folgende Sendekriterien von RadaR verstoßen:
1.1  Journalistische Sorgfaltspflicht
1.14 Interne Kritik zunächst nur intern äußern
1.15 Sendung nicht für persönliche Konflikte missbrauchen
Beschluss: 9 Ja – 1 Nein – 1 Enth.“

Ausgerechnet der Programmrat, dessen Mitglieder sich entweder selbst nicht an ihre eigenen Regeln halten oder die dieses Verhalten ihrer Kolleginnen und Kollegen trotz entsprechender Hinweise dulden, erdreistet sich, von der Verletzung der journalistischen Sorgfalt in einer Sendung zu reden, bei der in einem persönlichen Kommentar versucht wurde, die gesellschaftlichen Hintergründe zu beleuchten, die zum Tod eines Radiokollegen geführt hatten. Hierbei wurde nicht, wie unterstellt, das Ansehen von Christian K. herabgesetzt, noch eine Sendung für persönliche Konflikte mißbraucht. Hingegen scheinen manche Redakteurinnen und Redakteure unangenehm daran erinnert worden zu sein, wie sie in der Vergangenheit mit ihrem Kollegen Christian K. umgegangen sind. Und wie das so häufig vorkommt: die Botin der schlechten Nachricht wird dann einfach geköpft, in der Hoffnung, damit die Nachricht selbst aus der Welt expedieren zu können.

Ohne daß dies im Protokoll der Programmratssitzung näher ausgeführt wird, legt die Einbettung dieses Vorgangs in den Tagesordnungs­punkt „Vorstand“ nahe, daß dieser Zensurbeschluß vom Vorstand des Trägervereins eingebracht worden ist, demnach entweder von Benjamin Gürkan oder von Aurel Jahn, die beide auf der Sitzung anwesend waren. Auch die Gegendarstellung ist ein Werk eines Vorstandsmitglieds, nämlich von Marco Schleicher.

Bleibt die Frage: kann Radio Darmstadt eine derartige Gegendarstellung verlangen?

Etwas Rechtskunde

Das Hessische Privatrundfunkgesetz gibt uns in seinem § 28 einige brauchbare Hinweise.

„(1) Ist in einer Sendung eine Tatsachen­behauptung aufgestellt worden, so kann die betroffene Person oder Stelle die Verbreitung einer Gegendarstellung zu dieser Behauptung verlangen. Die Gegendarstellung muss unverzüglich, spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der beanstandeten Sendung, verlangt werden. Sie bedarf der Schriftform, muss die beanstandete Sendung bezeichnen, sich auf tatsächliche Angaben beschränken, darf keinen strafbaren Inhalt haben und muss von dem Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet sein. Die Gegendarstellung darf den Umfang des beanstandeten Teils der Sendung nicht wesentlich überschreiten.“

Das mir zugegangene Schreiben vom 24. Januar benennt keine betroffene Person oder Stelle, sondern gibt nur an, die Behauptungen so nicht stehen lassen zu wollen. Da fragt sich der unbefangene Laie und die medienkompetente Hörerin, weshalb der Verein, der immerhin ein ganzes Lokalradio betreibt, dies, was er nicht stehen lassen will, nicht in einer eigenen Sendung thematisiert. Hier bietet sich der einschlägige Sendeplatz 291111 an, der sich zufälligerweise unter der Obhut des Vorstands­mitglieds Aurel Jahn befindet. Aber nein – hier geht es ums Prinzip. Es geht darum, den Sendeplatz von Katharina Mann für eine sogenannte „Gegendarstellung“ zu mißbrauchen und hierbei eine ohnehin als Podcast eingereichte Sendung eigenmächtig zu demolieren. So rächt sich der kleine Mann, wenn ihm durch unangenehme Wahrheiten auf die Füße getreten wird.

Nebenbei: seit September 2006 ist Katharina Mann aufgrund eines Hausverbots gezwungen, ihre Sendungen als Podcast per CD einzureichen. Derlei Zugangs­beschränkung sieht das Hessische Privatrund­funkgesetz genausowenig vor wie die geltende Sendelizenz. – Der Gesetzestext geht jedoch weiter.

„(2) Der Anspruch auf Gegendarstellung richtet sich gegen den Veranstalter der beanstandeten Sendung. …

(3) Eine Pflicht zur Verbreitung einer Gegendarstellung besteht nicht, wenn und soweit die betroffene Person oder Stelle kein berechtigtes Interesse an der Verbreitung der Gegendarstellung hat.“

Aus Absatz 2 ergibt sich zweifelsfrei, daß eine Gegendarstellung nur vom Veranstalter der beanstandeten Sendung eingefordert werden kann, in diesem Fall demnach von einem Verein namens Radar e.V. – Hingegen sieht das Gesetz nicht vor, daß die Redakteurin einer Sendung von einem Dritten genötigt werden kann, eine derartige Gegendarstellung zu verbreiten. Wir erhalten somit die kuriose Situation, daß der Verein Radar e.V. und/oder sein Sender Radio Darmstadt sich an sich selbst wenden muß, um von sich selbst eine Gegendarstellung einzufordern.

Genau diesen haarsträubenden Blödsinn hatte Katharina Mann in ihrem Schreiben an den Verein vom 7. Februar 2011 bemängelt; und so etwas ist in den Augen des rechtlich nicht gerade sattelfesten Programmrats ein Kennzeichen mangelnder Einsicht. Ohnehin hat der Verein Radar e.V. bis zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Textes – Mitte Mai 2011 – nicht ausgeführt und ausführen können, wer denn die betroffene Person oder Stelle ist und worin das berechtigte Interesse an einer Gegendarstellung begründet liegt. Genau betrachtet könnte nur Christian K. oder seine Familie ein derartiges berechtigtes Interesse anmelden. Dies ist jedoch nicht geschehen.

Deshalb greift der Verein zu einem Kunstgriff. Er wendet sich gegen Behauptungen zur Todesursache „unseres Mitglieds und Redakteurs“ und glaubt so, sich die Berechtigung erschleichen zu können, eine nach dem Gesetz „betroffene Stelle“ zu sein, die eine Gegendarstellung verlangen kann. Diese Ansicht ist jedoch irrig. Es handelt sich hierbei um Paternalismus; eine Rechteübertragung ist damit nicht verbunden.

Der Programmrat von Radio Darmstadt hatte im Januar den Vorstand aufgefordert, den eigenen Rechtsanwalt gegen Katharina Mann in Stellung zu bringen. Der Rechtsanwalt hingegen, so mußte der Vorstand berichten, riet hiervon ab. Wenn schon der sendereigene Rechtsanwalt nicht voranprescht, weshalb ist dann der Sender so scharf darauf, eine Gegendarstellung zu verlangen, die weder formal noch (wie wir sehen werden) inhaltlich den gesetzlichen Vorgaben genügt?

Denn es ist ja auch so: Wenn der Vorstand oder der Programmrat eine andere Meinung oder Position als Katharina Mann vertritt, kann dies nicht Gegenstand einer Gegendarstellung sein. Es handelt sich dann um eine kontroverse Position, die jederzeit an anderer Stelle in dumpfbackige Mainstream­musik eingeblendet werden könnte. Ohnehin sieht das Gesetz nicht zwingend vor, daß eine derartige Gegendarstellung an einen ganz bestimmten Ort gebunden ist. Er muß nur gleichwertig sein.

„(4) Die Verbreitung der Gegendarstellung hat unverzüglich, ohne Zusätze oder Weglassungen, in der gleichen Programmsparte und zu einer gleichwertigen Sendezeit wie die Verbreitung der beanstandeten Sendung zu erfolgen. Eine Erwiderung auf die verbreitete Gegendarstellung darf nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser gesendet werden und hat sich auf tatsächliche Angaben zu beschränken.“

An dieser Stelle möchte ich ganz vorsichtig einen Verdacht äußern. Die Verantwortlichen von Radio Darmstadt könnten von der irrigen Vorstellung beseelt sein, daß es sich bei Katharina Mann um einen „Veranstalter“ handelt, der laut Gesetz Adressat einer Gegendarstellung wäre. Das würde in der Tat neue Perspektiven eröffnen. Allein – die Realität sagt uns, daß die Frequenz 103,4 einem gewissen Radar e.V. zugesprochen wurde und Katharina Mann auf Gedeih und Verderb den Launen dieses Lizenznehmers unterworfen ist. Wäre sie nämlich ein „Veranstalter“, dann hätte Radar e.V. die zugesprochene Frequenz gesetz- und lizenzwidrig einem Dritten überlassen. Denn die Zulassung ist nach § 7 Absatz 3 HPRG nicht übertragbar.

Erste Abschweifung: Die Vorlage zur Gegendarstellung

Vermutlich haben sich weder Vorstand noch Programmrat wirklich sachkundig gemacht. Vielmehr scheinen sie davon ausgegangen zu sein, sie könnten genau so mit Katharina Mann verfahren, wie ich es in ähnlichen Fällen mit dem Verein gehandhabt hatte.

Am 24. März 2008 forderte ich vom Lizenznehmer Radar e.V. und nicht etwa von den betreffenden Redakteuren eine Gegendarstellung nach § 28 HPRG aufgrund mehrerer wahrheitswidriger Behauptungen, die Michael Geisser und Thomas Tonka über mich auf Darmstadts Lokalradio verbreitet hatten. Diese Gegen­darstellungen wurden auch gesendet. Im Falle der Gegendarstellung zu den wahrheits­widrigen Äußerungen des Unterhaltungs­redakteurs Thomas Tonka erlaubte sich ein Spielkind im Sendehaus, strotzende Dummheit in idiotisches Verhalten zu verwandeln. Nicht nur, daß die Gegendarstellung in den bekannten Teaser zur „Sendung mit der Maus“ eingebettet wurde, nein, sie wurde zudem, um sie der Lächer­lichkeit preiszugeben, auch mit doppelter Geschwindigkeit eingespielt.

Selbstverständlich wurden weder Michael Geisser noch Thomas Tonka vom Programmrat wegen eklatanter Verletzung der soeben erst eingeführten Sendekriterien belangt. Man ist ja unter sich.

Eine weitere Gegendarstellung mußte ich am 27. April 2008 einfordern, nachdem das derzeitige [Mai 2011] Vorstandsmitglied Aurel Jahn über den Sender wahrheitswidrig verbreitet hatte, ich würde ihn öffentlich als Telefonterroristen bezeichnen. Auch diese Gegendarstellung wurde gesendet:

„In seiner Sendung 29111 –radiodarmstadt.de/in-sendeplatz vom 15. April 2008 behauptete der Redakteur und Moderator Aurel Jahn:

‚Daß Walter Kuhl keinen Humor besitzt, ist ohnehin keinem Menschen, der seine RadaR dissende Homepage angesehen hat, verborgen geblieben. Daß er den Eindruck zu erwecken versucht, ich hätte jemanden per Telefon terrorisiert, ist, gelinde, gesagt, eine Unverschämtheit.‘

Diese Äußerung von Aurel Jahn entbehrt jeglicher Grundlage und entspricht nicht der Wahrheit. Tatsächlich enthält dieselbe von Herrn Jahn angesprochene Internetseite die gegenteilige Formulierung:

‚Nur zur Klarstellung: Aurel Jahn ist weder für das Stalking verantwortlich noch hat er irgendetwas hiermit zu tun. Ich bin mir ganz sicher, daß er dieses terroristische Handeln aufs Schärfste verurteilt.‘“

Meine Gegendarstellung bezog sich nicht auf die Frage, ob ich Humor besitze oder nicht. Dies kann als Meinungsäußerung einer Person durchgehen, die ohnehin nie begreifen wird, was ich unter Humor verstehe. Hingegen ist die anschließende Tatsachen­behauptung gegendarstellungs­fähig und ihr wurde von mir auch entsprechend begegnet.

Wie wir noch sehen werden, besteht zwischen beiden Gegendarstellungen ein gravierender Unterschied. Während in meinem Fall mehrere sendende Vereinsmitglieder Tatsachenbe­hauptungen über den Äther geblasen hatten, die rechtlich angreifbar waren, fehlt es bei der von Katharina Mann abgeforderten „Gegendarstellung“ an formaler und inhaltlicher Substanz.

Ohnehin ist es für den Verein und sein Lokalradio peinlich, auf meiner Webseite nachlesen zu müssen, daß ein langjähriges Radar-Mitglied ein anderes Vereinsmitglied über einen längeren Zeitraum telefonisch zu jeder Tag- und Nachtzeit belästigt hat. Womöglich dachte sich der Verein, mit dem Beschluß gegen Katharina Mann im Gepäck diese Scharte wieder auswetzen zu können. Und so schritten die Damen und Herren frohgemut zur Tat.

Episode 1: Der mißhandelte Podcast

Katharina Mann reichte für ihren Sendeplatz „Hinter den Spiegeln“ am 21. Februar 2011 in Kenntnis des Programmrats­beschlusses einen Podcast ein, der den Beschluß des Programmrats in Hinsicht auf seine rechtliche und inhaltliche Unhaltbarkeit thematisierte. Das war klug gedacht, denn sonst wäre der Fremdbeitrag, den der Verein in ihre Sendung eingeschmuggelt hatte, vollkommen unverständlich geblieben. Anzumerken ist, daß ihre Kenntnis auf Hörensagen beruhte, weil es der Verein bis zum heutigen Tag nicht für nötig befunden hat, ihr das Sendeverbot auch schriftlich mitzuteilen. Als Hommage an Christian K. war die Sendung mit Musik unterlegt, die in seinen Sendungen regelmäßig zu hören war.

Pünktlich um 17.00 Uhr war dann auch der Eröffnungs­jingle der Redaktion „Alltag und Geschichte“ zu hören. An dieser Stelle wurde der Podcast unterbrochen und es meldete sich eine Stimme aus dem Off. Der Sprecher dieser Stimme stellte sich nicht vor und legte auch nicht dar, mit welcher Berechtigung er den gerade gestarteten Podcast mit seiner eigenen Sprechübung unterbrach. Minuten lang redete er über angebliche Verfehlungen von Katharina Mann und vergaß dabei vollkommen, daß eine Gegendarstellung sich „auf tatsächliche Angaben (zu) beschränken“ hat. So meinte der Sprecher, vermutlich Marco Schleicher, nachweisen zu müssen, daß Katharina Mann nicht das habe nachweisen können, was sie laut eigener Aussage nachweisen wollte. Offenbar verwechselte der Sprecher eine Hörfunksendung mit einer Hausarbeit im Medienstudiengang an der Hochschule Darmstadt. Eine Radiosendung ist keine wissenschaftliche Arbeit, schon gar nicht in einem Kommentar. Man und frau fragt sich sogleich, ob er das nicht in seinem Medienstudium an besagter Hochschule gelernt hat. Jedenfalls handelte es sich hier um eine reine Meinungsäußerung; und diese kann laut Gesetz ohnehin nicht Teil einer Gegendarstellung sein.

Die Aufmachung dieses Fremdbeitrags mußte bei den verdutzt lauschenden Hörerinnen und Hörern aufgrund des vorangegangenen Redaktions­jingles den Eindruck erwecken, als würde sich die Redaktion Alltag und Geschichte von der Sendung ihrer Redaktions­kollegin Katharina Mann distanzieren. Dies ist gewiß nicht der Fall. Der Sprecher wollte offenkundig anonym bleiben; eine redaktionelle Verantwortung für diesen dreisten Eingriff in einen laufenden Podcast wurde ebenso nicht benannt. Es war nicht zu erfahren, wer diese Gegendarstellung vom „Veranstalter der beanstandeten Sendung“ eingefordert hat. Hier bleibt festzuhalten, daß dieses Gebrabbel keinesfalls den gesetzlichen Vorgaben an eine Gegendarstellung genügt hat.

Nachdem die Stimme ihren Text vorgetragen hatte, wurde der unterbrochene Podcast wieder aufgenommen und – logischerweise unvollständig – bis zum Ende der Sendestunde um 18.00 Uhr fortgesetzt.

Zweite Abschweifung: Die anonyme Gegendarstellung

Zusammen mit dem Schreiben am 24. Januar 2011 wurde Katharina Mann eine auf CD vorproduzierte Gegendarstellung zugestellt, welche sie in ihren Podcast hätte einmontieren sollen. Dieser als „Gegendarstellung“ bezeichnete Wortschwall hat folgenden Inhalt:

„a ) Zu Beginn ihrer Sendung ‚Hinter den Spiegeln‘ am 20.12.2010 behauptete Redakteurin und Moderatorin Katharina Mann wörtlich:
[‚]Nun ja, die spezifischen Christian-Sendungen, wie seine Sendung zur Verkehrspolitik oder sein Bericht aus der Stadtverordneten­versammlung gibt es nicht mehr.‘
Diese Tatsachen­behauptung entspricht nicht den Tatsachen. Wahr hingegen ist:
Aurel Jahn war seit Christian K.s Tod bei jeder Stadtverordneten­versammlung dabei, hat diese mitgeschnitten und am nächsten Tag bei Radio Darmstadt gesendet. Die erste Stadtverordneten­versammlung, welche von Aurel Jahn besucht und gesendet wurde, war noch während Christian K.s Krankenhaus­aufenthalt, also als er noch am Leben war.“

Katharina Mann mag zwar eine Redakteurin sein, die gnädiger­weise noch einen Podcast auf Darmstadts Lokalradio einreichen darf. Dies verpflichtet sie jedoch nicht, den Sender darauf abzuhören, ob Aurel Jahn irgendwo und irgendwann Christians Sendung aus der Stadtverordneten­versammlung fortführt, zumal er noch im Herbst angekündigt hatte, diesen Service mangels Unterstützung aus dem Sendehaus einstellen zu wollen. Dies hätte man oder frau ihr einfach als Korrektur mitteilen können. Die „spezifischen“ Sendungen von Christian K. gibt es allerdings nicht mehr; kein „Heinerkult“, keine Sendungen zur Verkehrspolitik! Was auch immer Aurel Jahn aus der StaVo zusammen­schneiden mag – kein derartiger Mitschnitt entspricht mitsamt der zuweilen quälenden Kommentare von Aurel Jahn der ganz „spezifischen“ Auswahl, Intonation und Präsentation druch Christian K.! Im übrigen lautet der korrekte Text der Gegendarstellung an diesem Punkt, ganz ohne Ausschweifung: „Diese Tatsachenbehauptung ist in Teilen unwahr. Wahr hingegen ist, daß die Sendung aus der StaVo von Aurel Jahn fortgeführt wird.“ Zudem stellt sich hier die Frage, ob anstelle des Anonymus nicht Aurel Jahn derjenige sein müßte, der hier eine Gegendarstellung erwirken kann.

„b) Weiter formuliert Katharina Mann in ihrer Sendung die These, dass jeder ersetzbar sei. Wörtlich behauptete Frau Mann:
‚Ich widerspreche dieser These, ich hoffe, dass es mir gelingt herauszuarbeiten, warum Christian wichtig für das Radio war und warum er unersetzbar ist, gerade weil Christian nicht einfach war‘
Diese Tatsachenbehauptung entspricht nicht den Tatsachen. Wahr hingegen ist, dass Frau Mann im Verlauf der Sendung nicht herausgearbeitet hat, warum Christian wichtig und unersetzbar für Radio Darmstadt war. Sie geht im Folgenden nur noch auf sein Alkoholproblem ein, auf die Versuche ihrerseits, dieses Problem zu lösen, auf die Ausbeutung Christians durch das Radio und darauf, dass einzelne Mitglieder schuld an seinem Tod haben.“

Dieser Passus ist ein klassisches Beispiel dafür, was eine Gegendarstellung nicht kann. Sie kann nicht eine Position gegen eine andere stellen. Selbst unterstellt, Katharina Mann hätte ihren Versuch nicht gelingen lassen, so obliegt es nicht dem Urteil eines Vereinsmitglieds, willkürlich auf dem Sendeplatz der Redakteurin festzuhalten, ob der Versuch gelungen ist. Zumindest in einer Gegendarstellung. Und damit zeigt sich, daß der von Marco Schleicher gesprochene Wortsalat eben keine Gegendarstellung ist. Sie ist reine Polemik.

„c) Weiter behauptet Katharina Mann in ihrer Sendung:
‚an Christian, am Fall Christian sozusagen, hat das Radio versagt, hat der Trägerverein versagt … Christian könnte noch leben.[‘]
Und weiter: ‚… aber dass Christian so schnell sterben musste, da gibt es durchaus ein paar Verantwortliche im Verein … es sind Mitglieder der Lokalredaktion, Kulturredaktion und der Unterhaltungs­redaktion bei Radio Darmstadt. Umgangs­sprachlich gesagt: Christian hatte ein Alkoholproblem. … wir haben den Vorstand angesprochen und die Redaktionen, in den Christian Mitglied war: Lokalredaktion, Kulturredaktion, Unterhaltungs­redaktion …. vielleicht kam dieses Wegschauen nur aus Unsicherheit und einem Gefühl der Überforderung. Es hatte aber fatale, für Christian tödliche Folgen.‘
Diese Tatsachenbehauptung entspricht nicht den Tatsachen. Wahr hingegen ist, dass Christian nicht an den Folgen eines Alkoholproblems gestorben ist. Vielmehr ist er im Oktober 2010 nachweislich an einer schweren Krebserkrankung gestorben. Der Verein RadaR e.V., ‚Radio Darmstadt‘ und die Mitglieder der Lokalredaktion, Kulturredaktion und der Unterhaltungs­redaktion von Radio Darmstadt weisen diesen Vorwurf von Frau Mann entschieden zurück.“

Die Zusammenstückelung einzelner Passagen aus Katharina Manns Sendung ist in einer Gegendarstellung unzulässig, weil der Kontext verloren geht, in dem die Aussagen stehen. Hätten Marco Schleicher und diejenigen, die nicht verantwortlich sein wollen, besser recherchiert, dann hätten sie den Zusammenhang zwischen Alkoholproblem und Krebserkrankung sehen können. Und das wäre fatal gewesen, denn sie waren, sofern sie überhaupt darüber nachgedacht haben, doch wohl eher erleichtert darüber gewesen, daß ihn die Bauchspeichel­drüse und nicht die Leber dahingerafft hatte.

Woran Christian K. gestorben ist oder auch nicht, kann nicht Teil einer Gegendarstellung des Vereins und seines Lokalradios sein, weil nur eine „betroffene Person oder Stelle“ einen derartigen Anspruch erheben kann. Richtig­stellungen eventuell fehlerhafter redaktioneller Recherche sind nicht Aufgabe einer Gegendarstellung, sondern allenfalls eines Basisseminars über redaktionelle Wahrheiten. Betroffen von dieser Aussage ist ohnehin eindeutig der Verstorbene – und nicht der Verein. Im übrigen scheint der Verein Verantwortung mit Schuld zu verwechseln, so etwa Benjamin Gürkan in einem Posting an eine Mailingliste des Bundesverbandes Freier Radios: „Wenn aber RadaR einer Mitschuld am Tode eines Menschen bezichtigt wird …“.

Von „Schuld“ ist jedoch im gesamten Text von Katharina Mann nirgends die Rede. Handelt es sich bei Benjamin Gürkans Vorhalt daher um Projektion? Wie auch immer: Der Verein, der sich an anderer Stelle so gerne vor seine Mitglieder stellt, weigert sich, die damit verbundene Verantwortung dort zu übernehmen, wo er und seine Mitgliedschaft weggeschaut haben, und versucht nun, das Wegschauen mit einer „Gegendarstellung“ zu legitimieren.

„d) Zum Ende ihres Monologs über Christian behauptet Frau Mann, Christian sei ein Mensch gewesen, der sich ausbeuten ließ und dies bis zum Schluss nicht merkte. Das schließt Frau Mann mit den folgenden Worten ab:

‚Ich meine Christian war nicht im Radio um sich ausbeuten zu lassen, sondern das Radio, die Gruppe von Radiomacherinnen und Machern hätte Konsequenzen ziehen müssen um Christian vor sich selber zu schützen. Das ist zwar anstrengend aber es hätte gleichzeitig dieses ehrenamtliche Betätigungsfeld menschlicher für alle gemacht.‘
Die indirekte Tatsachen­behauptung, das Radio habe Christian die ganzen Jahre über ausgebeutet, indem man ihm sämtliche Aufgaben übertragen hat, die kein anderer übernehmen wollte entspricht nicht den Tatsachen. Dem Hörer wird mit dieser Aussage von Frau Mann der Eindruck vermittelt, als habe sich RadaR an Christian bereichert. Auch von diesem indirekten Vorwurf distanziert sich der Verein RadaR e.V., ‚Radio Darmstadt[‘] mit aller Deutlichkeit.
Wahr hingegen ist: Christian hat das Radio bereichert und nicht umgekehrt.
Er war der wichtigste Lokalredakteur und hat viele Aufgaben übernommen. Das tat er jedoch stets freiwillig und mit sehr viel Engagement. Festzustellen ist: Auch heute gibt es im Sender Mitglieder, die aktiver sind und mehr machen als andere.
Das ist typisch für jeden Verein. Das persönliche Engagement in einem ehrenamtlichen Verein dient keinesfalls der Ausbeutung oder Bereicherung einzelner Personen.“ [4]

Das ist einfach nur noch krude. Ich habe einmal die Suchmaschine meiner Wahl befragt, ob sie eine „indirekte Tatsachen­behauptung“ kennt. So etwas scheint es im weltweiten Datennetz mit vielen juristischen Abhandlungen schlicht nicht zu geben. Insofern ist eine „indirekte Tatsachenbehauptung“ mangels Existenz nicht gegendarstellungs­fähig. Es kommt nicht darauf an, was Marco Schleicher oder ein anderes Vereinsmitglied in eine Äußerung hinein­geheimnißt, sondern auf … Tatsachen!

Katharina Mann hat an keiner Stelle in ihrem verlesenen Text behauptet, der Verein oder sein Lokalradio habe Christian K. Aufgaben übertragen, um sich an ihm zu bereichern. Der projektive Anteil an dieser Aussage wird deutlich, wenn ich zwei Beispiele aus der näheren und entfernteren Vergangenheit heranziehe, die deutlich machen, wie diese Ausbeutung funktioniert hat. Marco Schleicher muß einen Popanz wegreden, was Katharina Mann nie behauptet hat, um das, was tatsächlich vorgefallen ist, gleich mit entsorgen zu können.

Beispiel 1: In einer Gedenksendung an den soeben verstorbenenen Christian K. erzählte der einige Wochen später selbst verstorbene Kulturredakteur Rüdiger Gieselmann am 22. Oktober 2010 von der Hilfsbereitschaft seines Redaktionskollegen.

„Bei dieser Freundlichkeit und bei dieser technischen Kompetenz war er sehr zuverlässig. Wenn er einem versprach, ich mach das, auch wenn ich schon sechs Wochen vorher gefragt hatte, dann trat er an. Und er war spontan hilfsbereit. Das habe ich zwei Mal erlebt  … durch zwei kleine Anekdoten erzählen. Einmal hatten die vom Büro aus mich angerufen, ob ich einspringen könnte, das war so zwei Stunden vorher, da hab ich gesagt ‚Jaaa, ich habe aber jetzt keine Zeit, ich muß mich jetzt vorbereiten, mir einen Techniker suchen, könnt ihr das im Büro erledigen?‘ –‚Ja, natürlich, Rüdiger.‘ Als ich dann im Sender ankam, hatten sie das nicht geschafft, warum auch immer. Und ich hab dann in meiner Not den Christian angerufen, und der war gerade im Postamt. Und dann hab ich gesagt: ‚Christian, laß da jetzt mal die Post da in Ruhe, jetzt ist es zehn vor fünf, du mußt jetzt schnell in den Sender kommen.‘ Und er kam und hat dann Anrufe seiner Mutter, die damals noch lebte, entgegengenommen und sie getröstet, daß er natürlich den Rest der Ostereinkäufe machen würde.

Das andere war, daß er … Claudia Roth, die Prominente, also die Vorsitzende der Grünen, die war in dem Zentrum der Grünen in der Lauteschläger­straße. Es war schon seit Wochen ausgemacht, daß ich mit ihr ein Interview führen kann. Und plötzlich kamen mir so am Sonntagmorgen Bedenken, ob ich das schaffen würde, einerseits sie zu interviewen, andererseits auch noch die Technik zu bedienen. Und ich rief … so um zwölf sollte das Interview sein … ich rief Christian um zehn an, und er sagte: ‚Ja, klar, ich bin ja auch bei den Grünen, ich komme natürlich.‘ Und dann hab ich Claudia Roth interviewt und zum Schluß mit ihr ein kleines Spiel gespielt. Ich hab ihr Namen zugerufen und sie hat dann jeweils darauf geantwortet. Also zum Beispiel: ‚Was sagen Sie zu Petra Roth?‘ Usw. Und dann hat er am Schluß gesagt: ‚Claudia, ich hab jetzt auch ne Frage an dich.‘ – ‚Ja, bitte?‘ Und er fragt: ‚Hast du nicht Lust‘ … sie hat ja in Augsburg als Dramaturgin gearbeitet, am Staatstheater in Augsburg, ‚hast du nicht Lust auf die Bühne zu kommen, zurückzukommen?‘ Und dann hat sie ganz humorvoll und geistreich geantwortet: ‚Ach, ich hab ja jetzt bei den Grünen meine Bühne gefunden.‘“ [5]

Christian K. konnte sich dem autoritativen Tonfall des ehemaligen Pfarrers Rüdiger Gieselmann nicht widersetzen. Aufgefordert, wichtige Familien­angelegenheiten stehen und liegen zu lassen, konnte er sich nicht wehren. Rüdiger Gieselmann wußte wie alle, die mit Christian näher zu tun hatten, wie schwer krank seine Mutter war. Und anstatt ihm diese Bürde, seine Mutter zu pflegen, zu erleichtern, wird er abkommandiert, um etwas Wichtigeres, nämlich die eitle Selbst­darstellung eines Kulturredakteurs, zu fördern. Jeder Mensch mit nur etwas Empathie wäre erst gar nicht auf die Idee gekommen, Christian mit etwas so banalem wie Studiotechnik zu behelligen. Und Rüdiger Gieselmann steht ja nur pars pro toto. Sein erstes Beispiel kann durchaus als aktive Ausbeutung eines Menschen begriffen werden, der in einem sozialen Umfeld nicht „nein“ sagen kann, das er als soziales Netzwerk selbst gebraucht hat, in dem ihm jedoch nicht die notwendige Unterstützung seiner Anliegen zuteil wurde.

Christian K. war viel für das Radio unterwegs. Mit seinem Gettoblaster und später seinem etwas unscheinbareren digitalen Aufnahmegrät war er stadtbekannt. Irgendwann, ich hatte schon ein Hausverbot bei Radio Darmstadt, fiel mir in seinen Sendungen eine Unregel­mäßigkeit im Sendesignal auf. Schon in meiner aktiven Vorstandszeit hatte ich den Sender abgehört, um Fehlerquellen zu entdecken, sie dann zu kommunizieren, um sie beseitigen zu können. Derlei wird seit dem Umbruch im Verein im Herbst 2006 nicht mehr gepflegt. Hilfestellung von außen ist faktisch inexistent. Doch ich hatte trotz Hausverbots und trotz gewisser Reibereien nie den Kontakt zu Christian K. verloren. So sprach ich ihn auf die Signalprobleme, die sich durch Spratzeln und Knistern unangenehm beim Radiohören auswirkten, an. Alle seine angeblich vielen Freundinnen und Kollegen im Sendehaus mögen das zwar gehört haben, vielleicht, aber keine und niemand kam auf die Idee, ihm bei seiner für das Image des Radios angeblich so wichtigen Außentätigkeit einmal zu helfen. Per Ferndiagnose haben wir dann das Problem eingegrenzt; Christian hat das fehlerhafte Kabel ausgetauscht.

Überhaupt die Sendung aus der Stadtverordneten­versammlung! Aurel Jahn, der in seinem unnachahmlichen, sozusagen: „spezifischen“ Duktus dieselben seither präsentiert, stellte laut Protokoll der Programmratssitzung am 8. November 2010, also kurz nach dem Ableben seines Vorgängers, fest, wie viel Arbeit die Aufbereitung der Marathonsitzungen des Darmstädter Stadtparlaments bedeutet. Er brauche dauerhaft Hilfe; eine Hilfe, die weder er noch sonstwer im Sendehaus dem Christian K. je angeboten hat.

In gewisser Weise kann ein Angebot von Christian K. an den Vorstand und den Programmrat vom 14. Juni 2002 als ein solcher Hilferuf gewertet werden. Er wollte hierbei die interne Aus- und Weiterbildung mit seiner Aufzeichnung der Sitzungen aus der Stadtverordneten­versammlung verbinden, sich Unterstützung organisieren. Sein Vorschlag, der es ihm ermöglicht hätte, andere sendende Vereinsmit­glieder für die Lokalpolitik und die radiofone Präsentation zu begeistern, wurde vom für die Ausbildung zuständigen Vorstands­mitglied Manfred Hanesch nicht weiter verfolgt [6]. Also auch hier: keine Hilfe.

Marco Schleicher hat schon Recht, wenn er sagt: „Wahr hingegen ist: Christian hat das Radio bereichert und nicht umgekehrt.“ Nein, das Radio hat sich alle Mühe gegeben, Christian nicht zu bereichern, weder materiell, was er entschieden abgelehnt hätte, noch immateriell.

Beispiel 2: In den Anfängen von Radio Darmstadt gab es einen Chef oder eine Chefin vom Dienst. Während der nachmittäglichen Sturm- und Drangzeit im Sendehaus sollte diese Person Anrufe entgegennehmen, Besucherinnen empfangen, Anfragen bearbeiten, die Wiederholung des nachmittags und abends aufzuzeichnenden Programms sicherstellen und dann noch den Sendebetrieb aufmerksam überwachen. Diese institutionalisierte Hilfestellung für die Sendenden war unbeliebt, weil jede und jeder, die auf Sendung gingen, je nach Redaktion und der Anzahl der eigenen Sendungen etwa einmal in drei bis sechs Monaten für die Anderen da sein mußten. Die Vorstandsriege, die 2006 den Verein und sein Lokalradio übernommen hat, hat dies erkannt und sich dadurch beliebt gemacht, den ungeliebten Dienst am gesamten Sender abzuschaffen. Einzig Christian K. schien es unangenehm aufzufallen, daß es anschließend im Sendehaus und im laufenden Programm drunter und drüber ging. Ihm war der Sender wichtig; er war für ihn mehr als nur eine Bühne der Selbstdarstellung.

Diese Gemeinschaftsaufgabe wurde innerhalb der Redaktionen so verteilt, daß Redaktionen mit viel Sendezeit auch mehr CvDs zu stellen hatten als Redaktionen, die nur einmal im Monat on air gegangen sind. Gerade in den Redaktionen mit viel Sendezeit erwies es sich als schwieriger, diese Gemeinschafts­aufgabe zu vermitteln, so daß Ausfälle an der Tagesordnung waren. Ausfälle, die dem Programm nicht gut bekamen. Insbesondere die Unterhaltungs- und die Musikredaktion sind hier zu nennen.

Schauen wir einfach auf die CvD-Listen der Jahreswende 2006/2007. Hieraus ergibt sich geradezu musterhaft, wie sich einzelne Redaktionen die aufopferungsvolle Hingabe ihres Redaktionskollegen Christian K. zunutze gemacht haben, um sich der eigenen Verantwortung und Verpflichtung zu entziehen; interessanterweise sind hieran auch Redaktionen beteiligt, in denen Christian K. nicht Mitglied gewesen ist, wie etwa „Blickpunkt Gesellschaft“, die Musikredaktion, die Frauenredaktion „FriDa“ oder die Sportredaktion.

Beispiel Oktober 2006: An sieben Tagen diese Monats saß Christian K. am CvD-Platz, sechs Mal für die Unterhaltungs­redaktion, ein Mal für „Blickpunkt Gesellschaft“. An drei Tagen erschien keine und niemand der vorgesehenen CvDs. Umgerechnet bedeutet dies: Christian K. alleine bestritt ein Viertel der monatlichen Pflichten; und dies bei rund 200 Sendenden!

Beispiel Dezember 2006: Laut der mir unvollständig vorliegenden Dezemberliste desselben Jahres waren es schon acht Tage! Davon entfielen vier auf die Unterhaltungs­redaktion, je einer auf die Kulturredaktion, die Lokalredaktion, die Sportredaktion und „Blickpunkt Gesellschaft“.

Beispiel Januar 2007: Christian Knölker saß wiederum acht Tage dieses Monats am Spätnachmittag als CvD im Sendehaus, und zwar fünf Mal für die Unterhaltungs­redaktion, und je ein Mal für FriDa, die Musikredaktion und die Lokalredaktion. Vier CvDs erschienen zudem einfach nicht. Christians Knechtquote erreichte somit fast (Anwesenheit an 8 von 27 Tagen) 30%! In der Unterhaltungs­redaktion lief das nach dem Schema ab, daß Christian K. als Redaktions­sprecher die CvD-Verpflichtung nicht einfach wie seine Vorgängerin Verena T. den Redakteurinnen und Redakteuren zuwies, sondern seine Redaktion anschrieb und um freiwillige Selbst­verpflichtung bat. Das Echo war überwältigend, und zwar minimal. Die Mitglieder dieser Redaktion wußten ja, daß sie sich einen Knecht als Sprecher gewählt hatten, der ihre Pflichten dem Sender gegenüber erfüllen würde.

Ich habe diese Ausbeutung im Programmrat thematisiert. Es hat nicht interessiert, weshalb auch? Dafür war Christian K. viel zu wichtig – als Lückenbüßer derjenigen, denen der Sender egal war.

Ausbeutung hat viele Gesichter. Eine freundlich verpackte Bitte kann ein Befehl sein. Verweigerung bürdet die Last Anderen auf. Christian K. besaß ein überdurchschnitt­liches Verantwortungs­bewußtsein. Darauf konnte die Mehrheit der Sendenden zählen. Bewußt oder unbewußt. Er war da. Er war funktionabel. Daß diejenigen, die von einer solchen Struktur profitieren, darin keine Ausbeutung erblicken, bedarf keiner weiteren Erklärung.

Teil d) dieser „Gegendarstellung“ entpuppt sich somit als ideologische Auseinander­setzung (und als Abwehr) mit einer unangenehmen Wahrheit. Worin die angeblich mangelnde journalistische Sorgfalt bestehen soll, bleibt ohnehin das Geheimnis des Gegen­darstellers, dem mehr Sorgfalt bei der Abfassung seines unausgegorenen Textes zu wünschen gewesen wäre.

Ein kurzer Blick von außen

Was Katharina Mann in ihrem Nachruf, der sich nicht als solcher verstand, thematisiert hatte, war die gesellschaftliche Dimension von Sucht und Verantwortung. Außerhalb des Klüngels von Radio Darmstadt wurde dieser Zusammenhang auch so verstanden. Ein langjähriger Verantwortlicher des ältesten freien Radios in Deutschland, Radio Dreyeckland in Freiburg, hatte das Sendemanuskript von Katharina Mann zweimal aufmerksam und gründlich durchgelesen und kam zu dem Schluß, daß den Verantwortlichen in Verein und Radio jegliche Empathie fehlen würde. Anstatt den Zusammenhang von Sucht und Erkrankung auch nur denken zu wollen, werde Katharina Manns durchaus auch als Selbstkritik zu verstehender Beitrag durch die Brille einer verletzten Eitelkeit betrachtet. Er gab ihnen den Rat, anstatt ein Lokalradio zu betreiben, lieber einen „Verein der beleidigten Pappnasen“ zu gründen.

Zwischenruf: Die Sendekriterien

Der Programmrat hat seine Zensurmaßnahme mit dem Verstoß gegen drei Sendekriterien begründet: der Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht, der Pflicht zur internen Kritikausübung und der Nutzung des Senders zur persönlichen Konfliktaus­tragung. Was jedoch sind diese Sendekriterien, für wen gelten sie und welche Bedeutung haben sie?

Die vom Programmrat am 28. Februar 2008 angenommen Sendekriterien sind weder Teil der geltenden Sendezulassung noch anderweitig rechtlich relevant. Sie können allenfalls als Anhaltspunkt für die Vereins­mitglieder gelten, die sich daran halten wollen. Wenn sich schon Mitglieder des Programmrats über einzelne Sendekriterien hinwegsetzen, warum soll sich dann der Rest der Menschheit damit beschäftigen? Ohnehin scheinen sie nur dazu gut zu sein, Sanktionen aussprechen zu können, vorzugsweise gegen Mitglieder der Redaktion „Alltag und Geschichte“.

Diese Sendekriterien sind nicht öffentlich zugänglich; somit erfährt außerhalb des Sendehauses im Hinterhof keine und niemand, welche Vorgaben das Programm von Radio Darmstadt bestimmen. Vermutlich gibt es einen wichtigen Geheimhaltungs­grund, obwohl diese Sendekrtierien nicht derart lächerlich und einfältig sind wie ihre im September 2006 verabschiedeten Vorgänger.

Würde der Programmrat seine eigenen Sendekriterien einmal ernst nehmen, dann müßte zumindest dem nachdenklichen Teil dieses Gremiums der Widerspruch zwischen Sendekriterium 1.14 (Kritik zunächst intern ausüben) und dem eigenen Handeln aufgefallen sein. Heißt es doch, interne Konflikte seien zunächst intern zu klären. Statt dessen wird über den Kopf der Betroffenen hinweg ganz eigenmächtig „geklärt“, daß rechtliche irrelevante Kriterien ein prima Macht- und Bestrafungsinstrument abgeben. Daß der Betroffenen, wenn ihr schon die Verteidigung verwehrt wird, auch das Urteil nicht zugestellt wird, ist ein hierbei vollkommen normaler Vorgang. Schon seit Jahren stelle ich mir die Frage, was das für Menschen sein mögen, die ein derartiges Bestrafungs­bedürfnis verspüren, das sie immer und immer wieder ausleben. Bei einer tiefen­psychologische Analyse würden sich womöglich Abgründe auftun.

Auch das Sendekriterium 1.15 (persönliche Konflikte über den Sender auszutragen) wird geflissentlich eindimensional gesehen. Was Katharina Mann zum Vorwurf gemacht wird (egal ob berechtigt oder nicht), wird von denselben Personen ganz selbst­verständlich exekutiert. Hierbei wird sogar eine fremde Sendung für eine eigene verquaste und in der Urheberschaft unklar gelassene Propaganda namens „Gegendarstellung“ mißbraucht.

Von der journalistischen Sorgfalt, die ehemalige und/oder derzeitige Programmrats­mitglieder durch das Ablesen fremder Texte, meist nicht als solche kenntlich gemacht, gezeigt haben, berichtet meine Dokumentations­seite zu den Plagiaten in den Internet­vorlesungen von Radio Darmstadt. Obwohl ich den Programmrat jahrelang damit konfrontiert hatte, ist das Thema der eigenen Involviertheit in diesen Plagiarismus bezeichnender­weise niemals ein Thema dieses Gremiums gewesen. Bei dieser Verstrickung können wir diesem Gremium getrost die Kompetenz absprechen, Dritte mit derlei selbst mißachteten Sendekriterien verfolgen zu dürfen.

Aber vielleicht ist dieses Verhalten der exakte Ausdruck dessen, was Radio Darmstadt unter „Demokratie“ versteht: Die Mehrheit entscheidet darüber, wer sanktioniert werden darf, soll und vor allem – muß.

Ganz unabhängig von den Sendekriterien und deren Intention stellt sich ohnehin die Frage, ob der Programmrat die Berechtigung besitzt, Sendeverbote aussprechen zu können. Weder die geltende Zulassung noch das damit verknüpfte Redaktionsstatut von Radar, und auch nicht die Geschäftsordnung des Gremiums selbst geben einen Hinweis darauf, daß es befugt sei, Sendeverbote auszusprechen. Es tut es einfach. Auch kann der Programmrat nicht Einzelpersonen, sondern nur Redaktionen Sendeplätze entziehen, wobei die Meßlatte hoch liegt. Folglich hätte der Redaktion ein Sendeplatz entzogen werden müssen, wenn … ja, wann eigentlich? Wenn dem Programmrat der nicht einmal vom Rechtsanwalt des Vereins beanstandete Inhalt einer Sendung nicht gefällt? Wohl kaum. Jedenfalls hat die Redaktion „Alltag und Geschichte“ keine Benachrichtigung erhalten, daß ihr ein Sendeplatz entzogen worden sei. Bislang liegt der Redaktion nur eine Nachricht (das oben zitierte Schreiben vom 24. Januar 2011) vor, daß eine Gegendarstellung verlangt wird.

Die sogenannte „Gegendarstellung“ stellt sich somit als eine eklatante Verletzung des Sendekriteriums 1.15 heraus. Der Programmrat trägt seine Konflikte mit Katharina Mann, besser gesagt: die persönlichen Befindlichkeiten einzelner Sprecherinnen und Sprecher der Redaktionen, ganz öffentlich hörbar aus, ohne zuvor, wie es das Sendekriterium 1.14 erfordert hätte, mit ihr Kontakt zu treten und den Konflikt auf eine interne Weise zu lösen.

Dritte Abschweifung: Die Bigotterie des Strafens

In meiner Sendung Wahrheiten, Täuschungen und Lügen hatte ich am 28. Februar 2011 die auf eingebildeten Sendekriterien aufgebaute Strafmaßnahme thematisiert. Dabei kam ich selbstverständlich auch auf die Todesursache von Christian K. zu sprechen und legte hierbei den Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Bauchspeichel­drüsenkrebs dar. Ich sprach über dieses und vorherige Sendeverbote und das hierbei zutage tretende Strafbedürfnis gepeinigter Seelen. Ich kam hierbei auch auf die Bigotterie derer zu sprechen, die von Anderen die Einhaltung von Sendekriterien verlangen, gegen die im Sendehaus munter verstoßen wurde und wird, nicht zuletzt aus der Mitte des Programmrats. Bemerkenswert ist, daß der Programmrat für mich keine Strafe ausgesprochen hat. Was habe ich falsch gemacht?

Vermutlich liegt der casus knacktus nicht in der Todesursache von Christian K., wie in den diversen Papiern und Beschlüssen behauptet wird. Was ich aus Zeitgründen in meiner Sendung nicht mehr angesprochen hatte, war die Verstricktheit einiger Redaktionen, das Wegschauen und Ignorieren, aber auch das Ausnutzen eines freundlichen und hilfsbereiten Radiokollegen. Dies ist jedoch der entscheidende Inhalt, der nicht nur zu einem Sendeverbot, sondern mehr noch zu einem Verlust der Stimme zu führen hat.

Im Januar 2007 hatte derselbe Programmrat in etwas anderer Zusammen­setzung drei Sendeverbote gegen Katharina Mann, Norbert Büchner und mich ausgesprochen. Um die hierdurch verwaisten Sendeplätze zu füllen, hatten wir auf den Beitragspool des Bundesverbandes Freier Radios zurückgegriffen. Der damalige Redaktionssprecher von „Alltag und Geschichte“, Niko Martin, hatte deshalb angefragt, ob bei diesem Sendeverbot wenigstens Jahre zuvor ausgestrahlte Sendungen, die auf MiniDisc oder CD vorlagen, wiederholt werden dürften. Die Antwort des Programmrats bestand in einem wütenden Nein! Damit lag der Programmrat ganz auf der Linie des Vorstandes. Am 23. Januar 2007 legten die Vorstandsmit­glieder Stefan Egerlandt, Susanne Schuckmann und Markus Lang ihr entlarvendes Verständnis grund­gesetzlich geschützter freier Meinungs­äußerung in einem Schreiben an die LPR Hessen bloß: „Im Fall Katharina Mann und Norbert Büchner konnte es den Vereinsmit­gliedern nicht zugemutet werden, diese weiter auf dem Sender zu hören.“ Also verlegten wir drei uns auf Guerilla-Taktik und ließen unsere Moderationen vom Blabla Maker sprechen. Damit gab es dann keine Probleme.

Wir ersehen daraus: Inhalte haben eine Stimme. Wenn die Inhalte nicht passen, muß die Stimme weg! Ist es da ein Zufall, wenn ich im Protokoll der Programmrats­sitzung am 9. Mai 2011 lesen darf, daß Hacer Yontar-Oukacha ihrem Radiokollegen Jürgen Radestock im programmrats­internen Qualitätscheck eine „gute Radiopersönlichkeit“ attestiert? Bei der angehörten Sendung „Hallo Darmstadt“ handelt es sich um easy listening pur. Beliebiger, kurzweiliger und vor allem unnützer Inhalt wird – dies sei zugestanden – gefällig und ohne Patzer präsentiert. Dies „Inhalt“ zu nennen, wäre übertrieben. Es ist Popgedudel mit netten moderativen Auflockerungen, deren Gehalt sich Sekunden später wieder verflüchtigt hat. So etwas mit dem Begriff „Radiopersönlichkeit“ zu belegen, zeigt nur die Oberflächlichkeit eines Mediums, das seine im Lizenzantrag von 1996 zur Schau getragenen widerborstigen Stacheln längst entsorgt, um nicht zu sagen: stumm geschaltet, hat.

Die derzeit geltenden Sendekriterien von Radio Darmstadt beschreiben unter „Radio­persönlichkeit“ etwas Anderes. Unter Punkt 2.4 heißt es: „Eigene Radio-Persönlichkeit entwickeln“:

„Moderationstechniken, welche bei kommerziellen Anbietern verwendet werden (Über-Dramatisierung, reißerische Moderation, überzogenes Stimmen­verstellen) sollten bei Radio Darmstadt vermieden werden. Jede Moderatorin und jeder Moderator soll seine/ihre eigene Radio-Persönlichkeit entwickeln und keine Moderatoren aus anderen Bereichen kopieren.“

Vielleicht sollten sich Hacer Yontar-Oukacha und Jürgen Radestock dieses Sendekriterium einmal ausschneiden und laut darüber nachdenken. Womöglich fällt ihnen eine gewisse Ähnlichkeit dieses Sendekriteriums mit meinen Goldenen Regeln auf, die ich vor einigen Jahren auf meiner Webseite veröffentlicht hatte. Allerdings habe ich der Radiopersön­lichkeit nicht nur eine formale, sondern eine vor allem inhaltliche, subjektive Dimension gegeben. Mich wundert es nicht, daß diese Tiefenschärfe in den von Benjamin Gürkan aus allerlei Quellen zusammen­getragenen Sendekriterien fehlt.

„Werde eine Radiopersönlichkeit! Entwickle deinen eigenen Stil – mit Stil. Du hast die Lizenz zu einer eigenen Meinung, sei daher nicht ausgewogen und pluralistisch. Erarbeite dir Inhalte, setze dich mit der Welt auseinander, rede nicht anderen nach dem Mund, ahme nicht den Mainstream nach. Plappern können alle, aber was willst du deinen Hörerinnen und Hörern vermitteln? Benutze dazu deine Stimme, kopiere nicht den Quetschsound oder die manirierte Moderation von Formatradios.“

Der Unterschied zwischen Sendekriterien und einer wirklichen Radiopersön­lichkeit ist, denke ich, deutlich: einerseits die künstliche Persönlichkeit des formierten Mainstreams, andererseits ein nicht-entfremdet denkendes und handelndes Subjekt. Dieser Unterschied, ja Widerspruch, findet sich in der Anfeindung des Programmrats gegen Katharina Mann wieder. Das Subjekt läßt sich von Mainstream nicht zähmen – und das wird der Programmrat nicht dulden.

Episode 2: Der Hickser

Der Programmrat hatte beschlossen, daß Katharina Mann der Sendeplatz von „Hinter den Spiegeln“ am 21. März, am 18. April und am 16. Mai 2011 entzogen wird. Hiergegen hat Katharina Mann selbst­verständlich Beschwerde bei der zuständigen Rechtsaufsicht der Landesmedien­anstalt eingereicht. Und so war es eine spannende Frage, was am 21. März 2011 um 17.00 Uhr geschehen würde. Im Studio saßen die Herren Geisser und Tonka, und diese starteten tatsächlich den Podcast. Zunächst war der Eröffnungs­jingle zu hören, und dann begann Katharina Manns Stimme mit der Anmoderation. Oh Schreck, diese Stimme! Schnell wurde der Podcast unterbrochen. Dann nichtete, um mit Christian K. zu sprechen, sekundenlang das Nichts. Gab es einen schrillen Aufschrei im Hintergrund mit der Anweisung, den Podcast aufgrund der anhängigen Beschwerde um Himmels willen zu spielen? Ich weiß es nicht, aber es klang so. Nach Ende der Nichtung des Nichts, also nach einigen stillen Sekunden, wurde der Podcast erneut gestartet und brav bis zum Ende laufen gelassen.

Episode 3: Die Zensur

Auch für die Sendung am 18. April 2011 reichte Katharina Mann eine CD mit dem vorproduzierten Podcast ein. Angesichts der Willkürakte, die mit ihren Sendungen verübt werden, hatte sie einen interessanten Beitrag aus dem Audiopool des Bundesverbandes Freier Radios ausgesucht, dessen Mitglied die Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt im Gegensatz zum Vereinfunk des Radar e.V. ist. Diesem ausgesuchten Beitrag stellte sie eine eigene einleitende Anmoderation voran.

Auf Anweisung des Vorstandsmit­glieds Benjamin Gürkan spulte der Unterhaltungs­redakteur Michael Geisser die als Podcast eingereichte CD mit der vorproduzierten Sendung bis zum Ende der Anmoderation vor und sprach statt dessen selbst einige einleitende Worte zu der nun verstümmelt abgespielten Sendung. Seit wann kann ein Vorstands­mitglied einem Redakteur befehlen, einen Akt der Zensur auszuüben? Nun, bei Radio Darmstadt scheint dies möglich zu sein; und das inner­betriebliche Klima ist dergestalt, daß die Sendenden brav kuschen. Echte Radio­persönlichkeiten eben.

Nun lautete der Beschluß des Programmrats jedoch nicht, eine Stimme, die den Vereins­mitgliedern in ihrem Vereins­dudelfunk nicht zuzumuten sei, einfach wegzu­schnibbeln, sondern, den Sendeplatz komplett zu entziehen. Allein – womit die Leere füllen? Der Programmrat muß sich ohnehin Monat für Monat stundenlang auf seinen Sitzungen im Kreis drehen, um wenigstens im Kernprogramm zwischen 17.00 und 23.00 Uhr keine Sendelücken zu hinterlassen. Und da ist es doch ganz praktisch, wenn die verfemte Katharina Mann das Füllsel schon für die Herren der Zensur bereit gestellt hat. Insofern wurde die vom Programmrat verbotene Sendung auch ein zweites Mal gesendet; dieses Mal hingegen ohne die Stimme der Verdammten.

Ich fragte daher als Sprecher meiner Redaktion über den internen eMail-Verteiler des Programmrats, wer hierfür verantwortlich gewesen ist.

„dürfte ich freundlicherweise erfahren, wer dafür verantwortlich ist, daß die heutige Sendung ‚Hinter den Spiegeln‘ meiner Redaktionskollegin Katharina Mann in der Art zensiert worden ist, daß ihre Anmoderation unterdrückt wurde?

Ich gehe davon aus, daß auch dem Programmrat – bzw. dem/der für diesen Akt der Zensur Verantwortlichen – von Radio Darmstadt das Grundgesetz bekannt ist, zumindest sein sollte, nach dem eine Zensur nicht statthaft ist, erst recht nicht im Vorgriff auf eine Sendung.“

Benjamin Gürkan, der Verantwortliche, fühlte sich gleich zum Gegenschlag herausgefordert. Katharina Mann habe gegen Sendekriterien verstoßen und deshalb ein temporäres Sendeverbot erhalten. Und weil es nicht ihr Sendeplatz sei, sei auch nicht zensiert worden: „Denn wer nicht sendet, kann auch nicht zensiert werden.“ Ohnehin sei „Voraussetzung von Zensur, dass man etwas zu sagen hat. Sprich ohne Inhalte – keine Medienübertragung – keine Zensur.“ Diese Argumentation hat schon etwas Geniales. Wenn wir verhindern, daß eine Sendung ausgestrahlt wird, weil wir das nicht wollen, dann ist es keine Zensur, eine Stimme zu entfernen, weil die Sendung ja nicht ausgestrahlt wird.

Nur: weshalb hat Herr Gürkan dann den Herrn Geisser angewiesen, die Sendung von Katharina Mann einzulegen und auszustrahlen (nur eben ohne die anmoderierende Stimme), wenn dieser Podcast doch einem Sendeverbot unterliegt? Des weiteren lamentiert der Zensor darüber, daß „Frau Mann “ ja ohnehin nichts zu sagen habe und „fast immer“ fremde Beiträge aus dem Audiopool des Bundesverbandes Freier Radios eingereicht habe. Was übrigens nicht verboten ist, aber das nur nebenbei. Und so redet (schreibt) er sich in Rage:

„Es hat schon etwas kurioses, wenn man auf der einen Seite immer Zensur ruft und Zugangsoffen­heit fordert, weil man ja angeblich was zu sagen habe, was in anderen Medien nicht unter kommt. Dann aber auf der anderen Seite fast ausschließlich fremde Beiträge von anderen Autorinnen und Autoren abspielt und eigentlich nur mit einer ab und zu radarfeindlichen An- und Abmoderation würzt.“

Ja, wie nun? In dem Moment, in dem Katharina Mann etwas sagt, wird ihr der Sendeplatz entzogen; spielt sie statt dessen Fremdbeiträge, ist es auch nicht recht. Vielleicht liegt auch hier nur Projektion vor. Denn bei Radio Darmstadt handelt es sich bei den eingespielten Beiträgen und Sendungen freier Radios in der Regel um ein Notprogramm, eben weil der Sender Radio Darmstadt nichts Eigenes zu sagen hat. So heißt es im Protokoll der Programmrats­sitzung am 14. März 2011 ganz ungeniert: „Bis zur festen Vergabe wird Ralf Donath Wiederholungen eines anderen Senders einspielen, die allerdings alle schon bei RadaR gelaufen sind. Markus Lang weist darauf hin, dass bei FreieRadios.org neue Sendungen heruntergeladen werden können.“

Nun enthielt ausgerechnet der Podcast vom 21. April keinerlei Bemerkung zum wunderlichen Sender Radio Darmstadt. Und schwupps – wird die Stimme erst recht einkassiert. Und was die engeblich „radarfeindlichen“ Moderationen betrifft: auch diese sind durch das Grundgesetz geschützt. Andernfalls hätte der Verein gewiß seinen Rechtsanwalt in Marsch gesetzt.

Bleibt noch anzumerken, daß die Studio- und Sendetechnik des Vereins dem ohnehin verstümmelten Podcast weiter zusetzte. Etwa zu früh, nämlich gegen 17.32 Uhr, schlug das Minute 34-Syndrom zu. Eine Frage des Redakteurs Clemens Riesser wurde abrupt unterbrochen, die CD hüpfte um 35 Sekunden zurück, ehe Clemens Riesser noch einmal mit seiner Frage ansetzen durfte. Mit jiddischer Kultur glaubt man oder frau das wohl machen zu dürfen. So ist das eben, wenn der Sender mit nicht gepflegter und nicht erneuerter Sendetechnik arbeitet, obwohl das Geld für eine Abhilfe vorhanden ist.

Episode 4: Dudelfunk statt Inhalt

Die nächste „Spiegel“-Sendung war für den 16. Mai 2011 angesetzt. Bis dato ist kein Schreiben seitens des Vereins eingegangen, der es Katharina Mann einmal mitgeteilt hätte, daß sie sich die Vorproduktion eines Podcasts ersparen kann, weil sie einem „tempoären Sendeverbot“ ausgesetzt sei. Diese Informations­politik des Hauses Radar ist nicht ungewöhnlich. Die von der Sanktions­maschine Betroffenen erhalten einfach keine Mitteilung.

Angesichts der prekären Umstände suchte sie sich wieder einen interessanten Beitrag eines freien Radios aus, einen Beitrag, den es sonst auf Darmstadts fröhlichen Laberwellen nicht zu hören gäbe. Wie zu erwarten war, wurde auch diese als Podcast eingereichte Sendung nicht wie vorproduziert gespielt; diesmal gleich gar nichts davon. Statt dessen wußten die Herren Geisser und Tonka aus der Unterhaltungs­redaktion schon eine Viertelstunde vor Sendungsbeginn, daß sie den Sendeplatz der Redaktion „Alltag und Geschichte“ okkupieren würden, um ihr anspruchsloses Programm, untermalt von reichlich dümmlicher Dumpfbacken­musik, durchzuhecheln. Diese Methode ist nun vollkommen neu und entspricht nicht einmal den hoch und heilig gehaltenen Sendekriterien. Diese sehen nämlich vor, daß, sofern eine Sendung einer Redaktion ausfällt, statt dessen eine andere, schon vorliegende Sendung dieser Redaktion eingelegt wird. Davon gibt es nun zur genüge, weil ja auch ich seit dreieinhalb Jahren gezwungen bin, meine Sendungen als vorproduzierten Podcast einzureichen, in der Hoffnung, sie werde nicht allzu sehr ramponiert werden.

Wir ersehen hieraus zweierlei. Erstens: die Sendekriterien sind ein Witz, den keine und niemand im Sendehaus wirklich ernst nimmt. Zweitens: mit diesem Vorgehen wurde der ultimative Beweis für meine an anderer Stelle getroffene Bemerkung erbracht, daß es dem Sender mit der Abkanzelung mißliebiger Redakteurinnen und Redakteure vor allem darum geht, ihm nicht gefällige inhaltliche Wortbeiträge durch beliebige Mainstream- und Dudelmusik zu ersetzen.

Mit dieser Programmatik erwartet der Verein allen Ernstes, daß ihn die zuständige Landesmedien­anstalt nach Ablauf des jetzigen Lizenzierungs­zeitraums am 31. Dezember 2012 erneut durchwinkt. Wir werden sehen.

 

ANMERKUNGEN
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»» [1]   Name geändert.

»» [2]   Die Aufzeichnungen dieser Sendungen liegen mir vor. Ich verzichte freundlicher­weise an dieser Stelle darauf, dieses Gestammel der weltweiten Lächer­lichkeit preiszugeben, obwohl der Redakteur selbst wohl keine Schwierigkeiten damit gehabt hat.

»» [3]   Die Suchfunktion dieser Webseite spuckt aufgrund mangelhafter Implementierung bei der Suche nach dem Nachnamen des Verstorbenen nur Buchstaben­salat aus. Die Suche nach dem Vornamen Christian bringt immerhin einen Hinweis auf den Abdruck des Nachrufs auf einem Programmflyer. Der Verantwortliche für diesen Blödsinn outet sich im Header des Webauftritts. Auch dies ist eine bemerkenswert neoliberal gasgebende Art und Weise, den Verstorbenen zu ehren. – Nachtrag, 21. Juni 2011: Soeben ist es dem Webmaster gelungen, die Verbindung zum verschollen geglaubten Nachruf auf der sendereigenen Webseite wiederherzustellen. Auch die Suchfunktion wurde überarbeitet und spuckt jetzt brauchbare Antworten auf Suchanfragen mit Umlauten aus.

»» [4]   Sollte der Sprecher dieses Textes, so er denn auch der Verfasser desselben ist, auf seinem Urheberrecht bestehen und mir die Veröffentlichung dieser Schmonzette untersagen wollen, so sei er darauf hingewiesen, daß das Urheberrecht einen Werkcharakter erst bei einer entsprechenden Schöpfungshöhe annimmt. Diese ist bei einer „Gegendarstellung“ nicht gegeben, erst recht nicht bei dieser.

»» [5]   Wiedergabe nach dem Höreindruck.

»» [6]   Meine Unterlagen aus dieser Zeit geben keinen Hinweis darauf, daß Christian K.s Anliegen positive Resonanz gefunden hätte.


Diese Seite wurde zuletzt am 2. Juni 2012 aktualisiert. Links auf andere Webseiten bedeuten keine Zustimmung zu den jeweiligen Inhalten, sondern sind rein informativer Natur. ©  Walter Kuhl 2001, 2011, 2012. Die Wiedergabe, auch auszugsweise, ist nur mit dem Einverständnis des Verfassers gestattet.

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