Radio Unerhört Marburg
Radio Unerhört Marburg im ehemaligen Bahnbetriebswerk.

Radio Darmstadt

Neue Allianzen kreativer Gemeinschaften

Dokumentation

Radio Darmstadt ist ein nichtkommerzielles Lokalradio. Sein Trägerverein wurde 1994 gegründet, um eine Alternative und Ergänzung zu den bestehenden öffentlich-rechtlichen und privaten kommerziellen Hörfunksendern aufzubauen. Menschen und Nachrichten, die im ansonsten durchformatierten Sendebetrieb keine Chance auf Öffentlichkeit besaßen, sollten hier ihren Platz finden. Dies galt für politische Fragen, lokale Themen und musikalische Nischen. Ende 1996 erhielt der Verein für ein derartiges Programm die Sendelizenz. Zehn Jahre später läßt sich die Tendenz beschreiben, daß (lokal)politische Themen immer weniger Platz im Darmstädter Lokalradio finden, während die Musikberieselung zunimmt. Zu diesem Wandel gehört, daß Fragen der Außendarstellung (das „Image“) ein wesentlich größeres Gewicht erhalten als das Verbreiten journalistisch abgesicherter Tatsachen. Wer diese neue journalistische Ethik nicht mitträgt, wird aus dem Verein und dem Radio hinausgedrängt. [mehr]

Diese Dokumentation geht auf die Vorgänge seit April 2006 ein. Hierbei werden nicht nur die Qualität des Programms thematisiert, sondern auch die Hintergründe und Abläufe des Wandels vom alternativen Massenmedium zum imageorientierten Berieselungs­programm dargestellt.

Der Autor dieser Dokumentation war von Juni 1997 bis Dezember 2012 Redakteur bei Radio Darmstadt. Er erhielt von Januar bis Oktober 2007 ein Sendeverbot, das nur aus dieser Umbruchssituation zu verstehen ist und binnenpolitisch motiviert war. Nachdem das Sendeverbot nicht länger aufrecht erhalten werden konnte, wurde es flugs in ein Hausverbot umgewandelt. Sowohl das Sendeverbot wie das Hausverbot wurden erst auf massiven Druck der zuständigen Landes­medienanstalt zurückgenommen. Diese wollte ihr neoliberales Votzeigeradio nicht verlieren.

Zwangsläufig erscheinen in dieser Dokumentation auch einzelne handelnde Personen mit Klarnamen. Damit sollen einzelne Argumentationsstränge leichter nachvollziehbarer gemacht und Verantwortliche benannt werden. Zur Klarstellung: Eine Schmähung einzelner Personen oder gar des gesamten Radioprojekts ist hiermit nicht beabsichtigt [mehr]. Das Wesen einer Dokumentation besteht darin, daß sie etwas dokumentiert, nämlich das, was tatsächlich vorgefallen ist.

Diese Seite geht auf einen skurrilen Fall kritischer Kommentierung ein, deren wahre Hintergründe sich erst erschließen, wenn neue Allianzen auch offen kommuniziert werden.


Inhaltsangabe dieser Seite

Am 19, Mai 2013 stellte ich einen bearbeiteten Mitschnitt eines Vortrags von Friedhelm Hengsbach auf das Audioportal des Bundesverbandes Freier Radios ein. Ich bemerkte dazu: „Dieser Mitschnitt darf bei Radio Darmstadt weder ganz noch in Auszügen gesendet werden.“ Wer die elendige Geschichte der vergangenen sieben Jahre mit willkürlich ausgesprochenen Sende- und Hausverboten kennt (in meiner Online-Dokumentation der Ereignisse in Darmstadt nachzulesen), mag sich vorstellen, weshalb ich diesem Verein und seinem Radio keine Plattform mehr bieten will, sich mit fremden Lorbeeren zu schmücken. Der Beitrag wurde alsbald mehrfach kommentiert. Während eine Redakteurin von Radio Flora in Hannover und ein Redakteur von Radio F.R.E.I in Erfurt sich dafür bedankten, den Mitschnitt senden zu können, mußten gleich drei bei Radio Unerhört Marburg Radioschaffende herummäkeln. Ihnen mißfiel nicht der Beitrag, sondern meine Radio Darmstadt betreffende Bemerkung.


Der Appetit kommt beim Kotzen

Die Kritik von Gregor Atzbach, hikE und Oleander Reis bezog sich vordergründig auf den Widerspruch, daß der von mir hochgeladene Beitrag einerseits unter einer Creative Commons-Lizenz hochgeladen worden war, andererseits ich jedoch das Abspielen in einem ganz bestimmten Lokalradio unterbunden wissen wollte. Die Kritik gipfelte in einem Aufruf, sich einfach über die von mir vorgebrachte Einschränkung hinwegzusetzen: „Liebe RADAR Kollegen, ihr dürft es also gerne senden. Gruß Gregor“.

Nun besteht der Widerspruch zwischen Creative Commons und Nutzungs­beschränkung zweifellos. Er dürfte auch Anderen aufgefallen sein. Allein, offensichtlich hatten sie kein Interesse daran, diesen Widerspruch zu thematisieren, weil er sie in ihrem Radioschaffen nicht betraf. Umso spannender ist es dann heraus­zuarbeiten, welches Interesse und welche Intention der massiv aus Marburg vorgetragenen Kritik zugrunde liegt. Es geht nämlich nicht um die Creative Commons-Lizenz …

Schon deutlicher wurde hikE in einer eMail an die Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt, unter derem Label der Beitrag von mir hochgeladen worden war. Es kotze sie „echt übelst an“, daß hier ein Kleinkrieg über das Audioportal ausgetragen werde. Sie halte sich da raus und betrachte Radar und Dissent als „gleich-wertig“. Pädagogisch und gleichwohl sarkastisch beschrieb ich meine Motivation zu dieser die Nutzung einschränkenden Anmerkung:

„ich nehme an, es kotzt dich nicht an, wenn deine Beiträge von Absahnern ins eigene Programm übernommen werden, die

  1. bewußt ihren Austritt aus dem BFR erklärt haben, weil sie halt ein neoliberales Spaßradio sein wollen, dem Inhalte egal sind, Hauptsache das eigene selbstgestrickt-hausbackene Image stimmt, die aber
  2. Programmlücken zu füllen haben und dann einfach mal schauen, wer ihnen Programm bietet. Wie gesagt, der Inhalt ist ihnen einerlei, Hauptsache andere haben für sie gearbeitet. Manchmal erdreisten sie sich auch, derlei übernommene Beiträge als die eigenen auszugeben.

Mich kotzt diese Abgreifmentalität durchaus an, vor allem dann, wenn mir in den sogenannten ‚Einigungs­gesprächen‘ in der Lizenzierungs­phase Ende vergangenen Jahres eiskalt erklärt wird, daß Radar sich selbst­verständlich auch weiterhin die Praxis willkürlicher Haus- und Sendeverbote vorbehält. So einem Haufen soll ich die Lizenz zum Senden meiner Beiträge ermöglichen? Ernsthaft? Weißt du, ich bin so old-school und habe tatsächlich noch politische und moralische Prinzipien. Vielleicht liegt ja darin das Problem.

Ich nehme einfach mal an, daß es dich nicht ankotzt, wenn Menschen aufgrund ihrer politischen Einstellung, ihres Genders, ihrer Fähigkeiten oder einfach nur, weil sie die Möchtegern-Karrieristen ‚stören‘, mit Methoden rausgekickt werden, die selbst nach bürgerlichen Maßstäben als undemokratisch gelten.

Ich könnte natürlich hinzufügen, daß es mich ankotzt, mit welch gnadenloser Ignoranz aus Kreisen eines Bundesverbandes sogenannter freier Radios darüber hinweggeschaut wird, wenn ausgerechnet diejenigen, die die Ideen freier Radios in ihrem Lokalradio versucht haben unterzubringen, rausgekickt werden. Und dann nach üblich bürgerlicher Marotte ganz pluralistisch, wertfrei und ausgewogen von ‚gleich-wertig‘ zu sprechen. Ja, so habe ich mir immer emanzipatorische Prinzipen in der Linken vorgestellt. Die drei Affen sind ja gar nichts dagegen.

Nun ja, und das bürgerliche Gewissen nimmt dann der Einfachheit halber einen Kleinkrieg dort an, wenn es nicht bereit ist, sich mit der Realität auseinander­zusetzen. Igitt, da müßte frau ja vielleicht Position beziehen. Dann doch lieber so: Die Bösen sind dann einfach immer diejenigen, die sich erdreisten, sich zu wehren. Und dann wirft frau denen, die sich wehren, vor, daß und wie sie sich wehren, anstatt sich über diejenigen zu beschweren, die dieses Sich-Wehren erst notwendig gemacht haben. Das [also der anderen Seite ebenso ‚gleich-wertig‘ einen Vorwurf zu machen, WK] hast du doch gewiß ganz gleich-wertig in der Vergangenheit gemacht, oder??? Naja, wohl eher nicht. Ansonsten kommt bei mir an: Bitte beschmutzt unser heimeliges Audionest nicht!“

Das fand hikE gar nicht nett, und das kann ich verstehen; sie jedenfalls befand meine Entgegnung „unappetitlich“. Nun ja, wer zu kotzen beginnt, sollte sich nicht gerade als Expertin für guten Geschmack ausgeben. Jetzt ist es nicht gerade so, daß ich etwas gegen hikE hätte. Ich habe in der Vergangenheit ihre Radiobeiträge, insbesondere die Vögel der Woche, gerne in meine Sendungen eingebaut, weil sie selbige locker und erfrischend ausklingen ließen. Dennoch bleibt ihre Invektive, die sie im Gleichklang mit ihren beiden Radiokollegen vorgebracht hat. Welches Interesse mag selbige geleitet haben?

Um es ein wenig psychologischer auszudrücken. Wer ohne besonderen eigenen Anlaß sich genötigt fühlt, gleich in dreifacher Verstärkung und Wiederholung auf demselben Thema herumzuhacken, bei der oder dem geht es um etwas Anderes, das aber möglichst im Verborgenen bleiben soll.

Gehen wir also der Sache auf den Grund.

Netzneutrales Konservenrecycling

Am 21. Mai 2013 hörte ich bei Radio Darmstadt eine Sendung, die mir nicht nur die Ohren, sondern auch die Augen öffnete. Im „Offenen Haus“ des Radar-Redakteurs Aurel Jahn meldete sich um 17.00 Uhr Gregor Atzbach, einer der drei aus Marburg, mit einer vorproduzierten Sendung über die Absicht der Deutschen Telekom, den Netzzugang zukünftig selektiv gestalten zu wollen. Wer nicht bereit ist, Monopol­gebühren zu zahlen oder die richtigen Internetpakete zu ordern, der oder dem soll nach einem bestimmten Trafficvolumen der Zugang gedrosselt werden. Das ist sicherlich unfein, aber marktkonform, verrät uns aber auch, daß sich hier wohl eher die Internetjunkies in ihrer Spiel- und Konsumwiese eingeschränkt wähnen. Derlei kritische Reflektionen über den Umgang mit dem Medium Internet hörten wir dann vergebens, denn „Medienkompetenz“ bedeutet in diesem Fall wohl, ein mündiger, weil konsumierender und mit Musik, Filmen und Videospielen abgestillter braver Bürger zu sein.

Bei dieser Sendung handelte es sich zudem um einen neu aufbereiteten Aufguß einer anderen Sendung, die Gregor Atzbach einen Monat zuvor, am 24. April 2013, aus damals aktuellem Anlaß in der sogenannten „Frühschicht“, der Morgenschiene von Radio Unerhört Marburg, moderiert hatte. Nun ist es so, daß es bei Radio Darmstadt schon zuvor mehrere Beiträge von Aurel Jahn über dieses Thema gegeben hatte, und es ist nicht erkennbar, was wesentlich Neues Gregor Atzbach nun mit einmonatiger Verspätung hätte einbringen können. Insofern scheint hier eine Verstärkung einer seit längerem bei Radio Darmstadt anzutreffenden Tendenz vorzuliegen, das eigene Programm mangels Masse mit alten Sendekonserven oder Zweit­verwertungen anderer Sender aufzufüllen. Spötterzungen bemerken hierzu nicht ganz unzutreffend, daß Radar sein gesamtes Programm mit derlei recycelten Sendungen füllen könnte, und es würde sich wohl keine und niemand daran stören, nicht in Darmstadt und auch nicht bei der hessischen Landes­medienanstalt; denn solcherlei Programmleistung verrate ausgebuffte Medienkompetenz.

Vielleicht ist es sinnvoll, darauf hinzuweisen, daß der Radar-Redakteur Ralf D. sich seit längerem auch bei Radio Unerhört Marburg betätigt und seine Konserven sowohl dort wie auch in Darmstadt hin- und herjongliert. Als Jazzfreund hat er Kontakt zu dem Redakteur der Marburger Sendung Jazz-Zeit aufgenommen; und es verwundert daher nicht, daß selbige Jazzzeiten nun als Zweit­verwertung (bzw. Lückenfüller) auch im Programm von Radio Darmstadt zu hören sind. Eine weitere aus Marburg importierte Sendung informiert über das Betriebssystem Linux unter dem Titel Die Sendung mit dem Pinguin. Als Redakteurin und Redakteure werden Gregor Atzbach, Marco Peter und hikE genannt; und damit schließt sich der Kreis fast schon wieder. Daß die Konserven bei Radio Darmstadt nach dem Lust-und-Laune-Prinzip zur vorgesehenen Sendezeit mal gar nicht, mal nur stückweise, mitunter aber auch vollständig abgespielt werden, und es zudem auf die didaktisch wertvolle Reihenfolge der einzelnen Beiträge nicht ankommt, sei nur nebenbei erwähnt. So richtig fühlt sich nämlich bei Radio Darmstadt keine und niemand für das Einstarten der Konserven am Mischpult zuständig, weshalb es dann eben drunter und drüber zugeht. Nur wer aufmerksam dem Ringelrein der Konserven folgt, bemerkt, wie grob in Darmstadt mit dem Pinguin umgesprungen wird.

Im Juni 2012 ging die Zusammenarbeit noch einen Schritt weiter. Als Radio Darmstadt im Februar 2011 seinen Austritt aus dem Bundesverband Freier Radios erklärt hatte, nachdem er der Konkurrenz, dem von den mainstreamigen Landesmedien­anstalten dominierten BVBAM beigetreten war, ging der Sender aufgrund der Unvereinbarkeit freier Radios mit Anhängseln behördlicher Aufsicht auch seines Zugangs zum Hochladen von Sendungen und Beiträgen auf dem Audioportal des BFR verlustig. Beim Hessentag 2012 in Wetzlar war eine kleine Crew von Radio Darmstadt vor Ort. Die hierbei entstandenen Beiträge luden Aurel Jahn und Thomas T. dann über einen Uploadkanal von Radio Unerhört Marburg entweder selbst hoch oder ließen sie hochladen. Diesem Erschleichen eines Zugangs wurde alsbald ein Riegel vorgeschoben, was sicherlich die mit Radar befreundeten Radakteurinnen und Redakteure nicht erfreut haben dürfte. Auch hier war also noch eine Scharte auszuwetzen.

Doch um auf die recycelte „Frühschicht“ zurückzukommen – sie besaß durchaus erheiternde Momente. So nutzt Gregor Atzbach sein damaliges Gespräch mit einer Interview­partnerin aus der Telekommunikations­branche auch im „Offenen Haus“ von Radio Darmstadt. Damit zeigt er, daß er sich in die Illusionsmaschine von Radio Darmstadt gut eingelebt hat, die gerne einmal ein live suggeriert, wo kein live vorhanden ist. Es gibt sogar einen Moderator bei Radio Darmstadt, bei dem auch die nächtliche Wiederholung des Abendprogramms „live“ ist. Nach dieser skurrilen Logik ist jedwedes Programm bei Radio Darmstadt live, denn auch ein Computer, der eine Sendeschiene als Wiederholung startet, handelt in diesem Moment „live“.

Gregors Anmoderation lautet nun an diesem lauschigen Dienstag­nachmittag: „Wir sprechen jetzt mit Rafaela Möhl von teltarif.de, hallo.“ Daraus würde ich als nichtsahnender Radiohörer zwingend den Schluß ziehen, es handele sich um ein Liveinterview. Ist es aber nicht. Später begrüßt er einen Kumpel am Telefon: „Jetzt am Telefon ist Oleander Reis, hallo.“ Das absurde Theater von „jetzt am Telefon“ bricht sich mit der unabgesprochenen Antwort des vorgeblichen Anrufers: „Guten Morgen.“ Upps.

Also, Gregor, wenn man schon den Schein des Livecharakters wahren und sein Publikum für dumm verkaufen will, dann sollte man vielleicht die verräterischen Spuren herausschneiden. Besser wäre es natürlich, diesen Quatsch von wegen „jetzt am Telefon“ gleich sein zu lassen. Ahhhh, ich vergaß – das ist ja die Frühschicht-Konserve! Am 24. April 2013 hattet ihr ja in der Frühschicht miteinander geplaudert, und das womöglich sogar wirklich live. Aber das verrätst du den Hörerinnen und Hörern von Radio Darmstadt nicht, denen du das „Offene Haus“ präsentierst! Diese glauben nämlich noch an den Weihnachtsmann und den Klapperstorch und auch daran, daß es bei Radio Darmstadt ganz ehrlich und authentisch zugeht. Dabei ist es mir vollkommen schnuppe, ob derlei Fakes im kommerziellen Hörfunk gang und gäbe sind. Wer nicht­kommerzielles Lokalradio macht und für sich beansprucht, im Falle der durch die Telekom bedrohten Netz­neutralität aufklärerisch zu wirken, sollte zunächst einmal sein Auditorium darüber in Kenntnis setzen, daß keine und niemand jetzt gerade am Telefon sitzt, um nette Interviews zu geben. Oder sind derlei Fakes auch in Marburg auf eurem Sender die Gimmicks sogenannter Information?

Im Original hieß Gregors Anmoderation noch: „Dafür hat jetzt Oleander Reis angerufen, guten Morgen.“ Hier ergibt die Antwort „Guten Morgen“ direkt Sinn. Damit ist auch klar, daß die Anmoderation für die Zweit­verwertung gezielt zurechtgebogen wurde, um eine Aufzeichnung als „jetzt am Telefoin“ verkaufen zu können. Dies betrachte ich als bewußte und gewollte Irreführung der Hörerinnen und Hörer. Zumal Gregor am Ende des Interviews durchaus in der Lage war, einige Sekunden, die in der Neuausstrahlung bei Radio Darmstadt nicht zu gebrauchen waren, wegzuschneiden, bevor er sich von seinem (abgesprochenen ?) Anrufer verabschiedete. Wer sich schon solche Kleinigkeiten zurechtbiegt, zu dessen als kritisch daherkommender Position soll ich dann Vertrauen haben, wenn es um Netzneutralität geht?

Mätzchen. Und so jemand will mir die wahre Lehre von Creative Commons beibringen! Grins.

Interessegeleitete Intervention

Es gibt demnach eine seit einiger Zeit vorhandene Kooperation zwischen einzelnen Radar-Redakteuren und einer kleinen Marburger Redaktions­gruppe. Derlei wäre im Prinzip zu begrüßen, denn nichts ist so unfruchtbar wie das Schmoren im eigenen Saft. Spannend wird diese Kooperation aber dort, wo sie mit vorgeblich formalen Argumenten selbst Partei ergreift, um auf einen Beitrag einzudreschen, oder genauer: darauf, daß ich es der Darmstadt-Marburger Allianz untersagt habe, einen von mir produzierten und hochgeladenen Beitrag bei Radio Darmstadt auszustrahlen. Da schreien sie auf, ohne aber dem erstaunten Publikum ehrlich mitzuteilen, weshalb sie sich so echauffieren. Da scheinen sie sich einen Spaß daraus gemacht zu haben, mir ober­lehrerhaft beibringen zu wollen, wie Creative Commons funktioniert, und ahnen noch nicht, daß der Spaß ganz schnell auf meiner Seite sein wird.

Kommen wir abschließend auf die Frage von Intention und Interesse zurück. Einige RUM-Sendende nutzen einen im Grunde nichtigen Anlaß, sich für ihre Darmstädter Kolleginnen und Kollegen stark zu machen. Inhaltliche Übereinstimmungen, wenn es um Pinguine, Castoren und Drosselfilter geht, wischen Fragen der politischen Moral beiseite. Wer bei Radio Darmstadt seine und ihre Inhalte unterbringen will, darf sich nicht zugunsten der Dissent – Medien­werkstatt Darmstadt oder ihrer Mitglieder positionieren. Das gilt als unfein und wirkt sich auf der menschlich-sozialen Ebene klimatisch negativ aus, wie insbesondere Mitglieder der Redaktion „Alltag und Geschichte“ (und nicht nur sie) häufiger in den vergangenen Jahren erfahren durften. Im Gegenteil aber sind, Loyalitäts­bekundungen zugunsten des Darmstädter Lokalradios dorten gerne gesehen. Daß man und frau diese Loyalität verschämt über eine Auseinandersetzung zu Creative Commons zeigt und tarnt, belegt meiner Ansicht nach eher das (wohl uneingestanden) schlechte eigene Gewissen. Oder anders ausgedrückt: Realpolitik erfordert Opfer und duldet keinen Widerspruch.

Unerwartet, aber wohltuend ist es dann, wenn eine Redakteurin von Radio Flora aus Hannover nicht nur den Mitschnitt des Vortrags von Friedhelm Hengsbach gerne übernimmt, sondern in ihrem Kommentar den Nagel auf den Kopf trifft:

„Kurz zu Eurer CC-Diskussion: die Autoren geben meines Wissens nur bei Public Domain sämtliche Rechte ab. Sie dürfen in Einzelfällen CC-Bestimmungen lockern (das kann man bei den CC-Lizenzen nachlesen), es gibt das Gebot des fair use und trotz aller Freiheiten den Schutz der ‚Urheberrechts­persönlichkeit‘ (s. Begriff) – also ‚alles geht‘ nicht. Schwieriger ist es natürlich, innerhalb des BFR-Austausches die Verwendung durch bestimmte Sender auszuschließen – aber wer weiß, was zwischen Medien­werkstatt und dem Sender vorgefallen ist oder was der Referent wollte? Steht der Beitrag im internen Bereich, kann er wiederum nur von BFR-Mitgliedern angehört werden, steht also der Öffentlichkeit nicht mehr zur Verfügung. Auch keine schöne Lösung, gerade in dem Fall.“

Danke für die klaren Worte. Denn so ist es. Ich will, daß diesen Beitrag alle Interessierten ohne Restriktionen, also netzneutral, anhören können. Aber ich will ihn nicht der Illusions­maschine von Radio Darmstadt zum Fraß vorwerfen. Weder live noch als Konserve.

P.S.: Vor rund anderthalb Jahrzehnten, als ich Radio Unerhört Marburg das erste Mal besuchte, galt dieses unter den sieben hessischen nichtkommerziellen Lokalradios als linkes, politisches und widerborstiges Medium. Ich fand das sympathisch. Als damaliger Schatzmeister des Vereins Radar e.V. wurde ich von der damaligen Finanz­verantwortlichen von RUM in die tieferen Weihen der Mittelbeschaffung bei der LPR Hessen eingeführt (danke, Sabine). Bestimmte Finanzierungs­möglichkeiten hatten schon damals, Ende der 90er Jahre, einige ehemalige Vorstandsmitglieder des Darmstädter Radiovereins für sich behalten, weil sie nicht wollten, daß sie zur Weiter­entwicklung des Radios genutzt werden. Auf Nachfrage wurde mir erklärt, diese Geheimpolitik sei „demokratisch“. Bei RUM lernte ich also, was es heißt, ehrlich, aber kreativ die Mittel abzurufen, die für außer­ordentliche Zwecke vorgesehen waren. Ich habe RUM demnach so einiges zu verdanken; übrigens auch die Radioserie „Geschichte wird gemacht“ (danke, Wolli), die ich gerne übernommen habe. Ich habe – zugegeben aus der Sicht von außen – den Eindruck, daß auch bei RUM der Zeitgeist nicht vorbeigegangen ist und sich eine neue, wesentlich unpolitischere Kultur durchgesetzt hat, deren Lebensinhalt Musikkonsum und das Internet sind. Dieses Unpolitische ist nur vordergründig unpolitisch, denn auch diese unreflektierte, die bestehenden Verhältnisse positiv antizipierende, auf Medienkonsum, freier Software und gemafreier Musik basierende Netzkultur ist politisch, jedoch nicht notwendig progressiv.

Die früheren Ideale freier Radios dürften, in Marburg wie in Darmstadt, den allerwenigsten Sendenden bewußt sein. Das ist schade, zeigt aber, daß linke, politische, emanzipatorische und sich einmischende Medien immer wieder neu erkämpft werden müssen. So ist es dann auch wenig verwunderlich, wenn die LPR Hessen lieber einen mainstreamigen Radioverein in Darmstadt weiter lizenziert, der über keinerlei Visionen eines alternativen Mediums verfügt, als eine kleine Gruppe, die einen sehr klaren Begriff von Medienpolitik, Medienkonsum, Medien­kompetenz und, vor allem, Medienkritik besitzt. Medienkritik ist jedoch (nicht nur) für die LPR Hessen der Teufel, hat sie sich doch schon lange der Förderung des medien­kompetenten Medienkonsums verschrieben. In meiner Sendung vom 13. März 2006 sprach ich anhand einer gerade erschienenen Studie über den damals zur Zerstückelung freigegebenen Bürgerfunk in Nordrhein-Westfalen. Hierbei hing es um eine Essenz der dortigen wie der hessischen Medienpolitik: Die jeweiligen Landesmedien­anstalten fordern sogenannte Medien­kompetenz, aber fördern ihrerseits das Gegenteil hiervon.

Die neue Darmstadt-Marburger Freundschaft kommt demnach nicht von ungefähr. Daß sie das Radio nicht weiterentwickeln wird, ist evident.


Weblinks

Zum Anhören und Vergleichen:


Diese Seite wurde zuletzt am 31. Mai 2013 aktualisiert. Links auf andere Webseiten bedeuten keine Zustimmung zu den jeweiligen Inhalten, sondern sind rein informativer Natur. ©  Walter Kuhl 2001, 2013. Die Wiedergabe, auch auszugsweise, ist nur mit dem Einverständnis des Verfassers gestattet.

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