Kapital – Verbrechen

Verteidigung der Weltordnung

 

 

SENDEMANUSKRIPT

 
Sendung :
Kapital – Verbrechen
Verteidigung der Weltordnung
 
Redaktion und Moderation :
Walter Kuhl
 
gesendet auf :
Radio Darmstadt
 
Redaktion :
Alltag und Geschichte
 
gesendet am :
Montag, 23. Juni 2003, 17.00–18.00 Uhr
 
wiederholt am :
Dienstag, 24. Juni 2003, 00.00–01.00 Uhr
Dienstag, 24. Juni 2003, 08.00–09.00 Uhr
Dienstag, 24. Juni 2003, 14.00–15.00 Uhr
 
 
Besprochenes und benutztes Buch :
Robert Kurz : Weltordnungskrieg, Horlemann Verlag
 
 
URL dieser Seite : https://www.waltpolitik.de/kv/kv_verte.htm
 
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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 : Einleitung
Kapitel 2 : Die Bundeswehr als Krisenklinik
Kapitel 3 : Evakuierung gelungen …
Kapitel 4 :… denn der Tod bleibt ein Meister aus Deutschland
Kapitel 5 : Welt–Kibbuz im Traumland
Kapitel 6 : Veranstaltungshinweise
Kapitel 7 : Schluß
Anmerkungen zum Sendemanuskript

 

Einleitung

Jingle Radio Darmstadt – RadaR

Zu empfangen: mit Antenne auf 103,4 Megahertz, im Kabelnetz Darmstadt auf 102,75 Megahertz [1] und in der Kabelinsel Groß–Gerau/Weiterstadt auf 97,0 Megahertz. Es folgt die Sendereihe Kapital – Verbrechen zum Thema Verteidigung der Weltordnung. Am Mikrofon ist Walter Kuhl.

Jingle Alltag und Geschichte

Vor ziemlich genau einem Monat, am 21. Mai 2003, stellte Bundeskriegsminister Peter Struck die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien des Ministeriums vor. Mit diesen Richtlinien soll der veränderten Rolle der Bundeswehr in einer sich ändernden globalen Welt Rechnung getragen werden. Diese Verteidigungspolitischen Richtlinien geben einen groben Handlungsrahmen vor und werden in der Regel etwa alle zehn Jahre überarbeitet. Die ersten dieser Richtlinien stammen noch aus dem Jahr 1972, als die sozialliberale Koalition im Rahmen der Entspannungspolitik die Rolle der Bundeswehr neu definierte.

Sieben Jahre später [bei der Veröffentlichung der 2. Verteidigungspolitischen Richtlinien 1979] hatte sich die Welt ein Stück weit geändert. Die USA hatten ihren Krieg in Vietnam verloren, die Sowjetunion und die mit ihr verbündeten Staaten waren ein geschätzter Wirtschaftspartner geworden, und so langsam wurde der Weg vorbereitet, der dann im sogenannten NATO–Doppelbeschluß endete. Anfang der 80er Jahre stationierten die USA in Westeuropa neue Mittelstreckenraketen mit der klaren Zielsetzung, die Sowjetunion totzurüsten.

Dennoch war es für die meisten Beobachter und Politikerinnen überraschend, wie schnell die Implosion des realsozialistischen Lagers vonstatten ging. Innerhalb von nur zwei Jahren, zwischen 1989 und 1991, wurde ein ganzes Gesellschaftssystem von den Marktkräften und dem rüstungspolitischen Druck hinweggefegt. Die NATO, aber auch die Bundeswehr, standen ohne Gegner da. Der damalige CDU–Kriegsminister Volker Rühe erließ daher 1992 neue Verteidigungspolitische Richtlinien. Zielsetzung war jetzt die klar benannte Rolle der Bundeswehr, die wirtschaftspolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland weltweit abzusichern.

Die von Peter Struck nun neu vorgestellten Richtlinien gehen einen Schritt weiter. Zwar wird nicht mehr so klar die imperialistische Rolle der Bundeswehr benannt, dafür hat sich in der Zwischenzeit jedoch so einiges getan. Nach bewährter Salamitaktik wurde der Aktionsradius der Bundeswehr in den 90er Jahren systematisch erweitert. Es kann doch keine und niemand etwas dagegen haben, wenn die Bundeswehr die medizinische Versorgung der Bevölkerung in Kambodscha gewährleistet. Also wurde die Bundeswehr erstmals hochoffiziell im Rahmen eines UN–Einsatzes 1992 und 1993 in Kambodscha tätig.

Es kann doch niemand und keine etwas dagegen haben, wenn Flüchtlinge des von Frankreich mit zu verantworteten Massakers in Ruanda durch eine Luftbrücke der Bundeswehr mit versorgt werden. Also flog die Bundeswehr im Rahmen einer UN–Mission 1994 achtzig Einsätze von Nairobi und Johannesburg nach Ruanda.

Auch am Desaster der US–amerikanischen UN–Mission in Somalia [1992/94] wollte man teilhaben und entsandte etwa zweieinhalbtausend Soldaten in diese Krisenregion. Konnte da auch keine und niemand etwas dagegen haben, den zuvor gehätschelten Bürgerkriegsmilizen Einhalt zu gebieten?

Zwischen 1991 und 1996 half die Bundeswehr den USA bei ihrer Doppelstrategie, den Irak systematisch zu destabilisieren. Zuckerbrot und Peitsche, Waffeninspekteure und Bombeneinsätze – das war die Devise der USA nicht etwa unter Bush, sondern unter Clinton, und der mit ihnen verbündeten Briten. Konnte wirklich keine und niemand etwas dagegen haben, wenn die Bundeswehr an der Destabilisierung mitwirkte, die immerhin dazu beitrug, daß etwa eine halbe Million Kinder elendiglich krepierten? [2]

1999 wurde es dann offensichtlicher, worum es ging, nachdem schon zuvor die Bundesregierungen Kohl/Genscher, Kohl/Kinkel und Schröder/Fischer an der Destabilisierung Jugoslawiens fleißig mitgewirkt hatten. Die offizielle Homepage des deutschen Kriegsministeriums schreibt in aller Offenheit:

Auftrag: Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo
Personal: Deutsche Luftwaffe
Mittel: 14 TORNADO–Kampfflugzeuge
Dauer: 24.3.1999 bis 10.6.1999
Bilanz: ca. 500 Einsätze

Seither wissen wir erstens, daß der herbei phantasierte Kriegsgrund – übrigens ebenso, wie jetzt im Falle des Iraks auch von den USA zugestanden – erstunken und erlogen ist, und zweitens, daß die humanitäre Katastrophe im Kosovo eher größer als kleiner geworden ist. Lassen wir einmal dabei außen vor, daß die angesehenen Terroristen der Friedenstruppe UÇK sich inzwischen als Warlords etabliert haben und am organisierten Menschen– und Drogenhandel fleißig mitverdienen.

Entscheidend ist, daß die GRÜNEN Gutmenschen ganz offensichtlich nur Stroh im Kopf haben und den an sich unlogischen Gedankengang nicht als Widerspruch empfinden können, daß eine humanitäre Katastrophe mittels Bomben und Terror ganz sicher nicht zu beseitigen ist. Aber wenn Ajatollah Fischer seinen Fischer–Chor dirigiert, dann wird auch fleißig gejubelt.

Seit einem Monat nun haben wir darauf aufbauend neue Verteidigungspolitische Richtlinien. Und damit wir alle wissen, worum es dabei geht und wozu sie gut sind, werde ich diese Richtlinien im Verlaufe dieser Sendung in weiten Teilen vorlesen und kommentieren. Es soll ja nachher keine und niemand sagen können, er oder sie habe mal wieder nichts davon gewußt. Sie sind übrigens auf der Homepage des Kriegsministeriums in aller Deutlichkeit nachzulesen: www.bmvg.de.

Zur Frage des Warum? werde ich das letztes Jahr im Horlemann Verlag erschienene Buch von Robert Kurz mit dem treffenden Titel Weltordnungskrieg hinzuziehen. Selbst wenn ich nicht alle Aussagen von Robert Kurz teile, so stehen eine Menge bedenkenswerter Gedanken darin, die ich euch nicht vorenthalten möchte.

Denn wer die Freiheit Deutschlands am Hindukusch verteidigen will, wie es unser Kriegsminister Peter Struck vor einigen Monaten ausdrückte, will sicher etwas anderes als nur humanitär helfen. Und deshalb sollten wir einen kurzen Blick auf die Geschehnisse im Kongo werfen, weil sie uns zumindest teilweise erklären können, warum die Bundeswehr im Rahmen einer erneuten UN–Tarnmission wieder einmal tätig werden darf. [3]

Ich hoffe, diese Sendung wird für euch genauso erhellend sein, wie für mich in der Vorbereitung, denn langweilen möchte ich nur die GRÜNEN Strohköpfe. Die sind ja bekanntlich unverbesserlich und moralisch gefestigt. Wer seine Moral auf Bomben und Gewalt baut, ist jedoch bekanntlich zu jeder weiteren Schandtat bereit. Die verlogenen Gründe für diesen dann wohl wieder humanitär genannten Interventionskrieg werden sich schon finden lassen.

Doch vergessen wollen wir dabei nicht den Großen Bruder von Joschka. Also GERD und seine pragmatischen Claqueure wie zum Beispiel den beliebten Darmstädter Bundestagsabgeordneten Walter Hoffmann. Dieser setzt sich ja bekanntlich vehement für die Rüstungsstandorte Darmstadt und Pfungstadt ein, angeblich um Arbeitsplätze zu sichern. Wie tief gesunken eine Moral ist, die das Geschäft des Tötens als wirtschaftspolitisches Argument zu verkaufen versteht, das zu benennen, fehlen mir langsam die Worte. [4]

 

Die Bundeswehr als Krisenklinik

Die von Peter Struck am 21. Mai [2003] erlassenen Verteidigungspolitischen Richtlinien beschreiten neues Terrain. Sie bilden mit den Worten von Peter Struck eine

verbindliche konzeptionelle Grundlage für unsere Verteidigungspolitik […]. Verteidigung heute umfasst danach weit mehr als die herkömmliche Verteidigung an der Landesgrenze. Unsere Sicherheit wird auch an anderer Stelle dieser Erde verteidigt. In der heutigen Welt gibt es keine nationalen Friedensoasen mehr. Verteidigung lässt sich geografisch nicht mehr begrenzen. [5]

Oder anders gesagt: die Freiheit des Marktes kann jetzt überall auf der Welt verteidigt werden. Und solange wir das unter dem Tarnnamen eines Systems sogenannter kollektiver Sicherheit tun, wie etwa der UNO, erlaubt uns das Bundesverfassungsgericht auch den weltweiten Kriegseinsatz. Das ist kein Witz. Das ist eine Absichtserklärung zum weltweiten Durchgreifen, wenn es den deutschen Interessen dient, genauer gesagt, dem Schutz deutschen Eigentums und der Sicherheit deutscher Investitionen. Nichts anderes ist unter Sicherheitspolitik gemeint.

Doch kommen wir zum Text dieser Verteidigungspolitischen Richtlinien, die sich in acht Abschnitte mit insgesamt 95 Punkten aufgliedern. Abschnitt 1 behandelt diese Richtlinien im Rahmen eines veränderten sicherheitspolitischen Umfeldes. Das ist ja auch klar: nach dem Fall der Mauer ist der Gegner ausgegangen, ein neuer muß her. Das Spannende ist aber hier aber, warum derzeit Jahr für Jahr 25 Milliarden Euro verpraßt werden sollen, wo es doch angeblich finanziell an allen Ecken und Enden klemmt.

Offensichtlich gibt es ein wichtiges materielles Interesse und es ist wohl nicht zuviel verraten, daß eine ganzer militärisch–industrieller Komplex von den Aufträgen der Bundeswehr lebt. In den USA ist das so augenfällig, daß schon Präsident Eisenhower in den 50er Jahren davon sprach. Wenn nun die Weltwirtschaft und somit auch die deutsche Wirtschaft in die Krise gerät, bedarf es der passenden Medizin. Rüstungswirtschaft war schon immer ein gutes Medikament für notleidende mittelständische Betriebe wie etwa DaimlerChrysler, den größten Rüstungskonzern Europas.

Doch nun zu den Richtlinien [6] selbst. Sie beginnen mit folgenden Worten:

Die Sicherheitslage hat sich grundlegend gewandelt. Neue sicherheitspolitische Risiken und Chancen verlangen veränderte Fähigkeiten. Auftrag, Aufgaben und Fähigkeiten der Bundeswehr orientieren sich konsequent an der zu erwartenden Sicherheitslage und den sicherheitspolitischen Verpflichtungen Deutschlands als NATO– und EU–Partner. Gleichzeitig berücksichtigen sie die Ressourcenlage.

Geld ist halt – noch – knapp. Also müssen Prioritäten gesetzt werden. Darauf gehen die Richtlinien dann auch später gezielt ein.

Damit das knappe Geld jedoch nicht noch zum Problem für die Maastrichter Kriterien wird, wollen mehrere Länder die Verteidigungsausgaben bei der Berechnung des Haushaltsdefizits ausgeklammert wissen. So nachzulesen am 20. Mai [2003] im Darmstädter Echo:

Laut Stabilitätspakt darf das Haushaltsdefizit höchstens drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen.

Woraus folgt: eine weitere Aufrüstung ist als krisenpolitische Maßnahme beschlossene Sache und muß jetzt nur noch mit den ordnungspolitischen Vorgaben neoliberaler Haushaltspolitik in Einklang gebracht werden. – Doch weiter im Text:

Die begonnene umfassende Reform der Bundeswehr wird weiter entwickelt. Gewichtung und Ausgestaltung der Aufgaben der Bundeswehr unter den neuen strategischen Bedingungen stehen hierbei im Vordergrund. Die allgemeine Wehrpflicht bleibt in angepasster Form für Einsatzbereitschaft, Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der Bundeswehr unabdingbar. Die Neugewichtung der Aufgaben der Bundeswehr und die daraus resultierenden konzeptionellen und strukturellen Konsequenzen entsprechen dem weiten Verständnis von Verteidigung, das sich in den letzten Jahren herausgebildet hat.

Mit meinen Worten und einer Anleihe bei George Orwell: Verteidigung ist Angriff.

[…] Verteidigung heute umfasst allerdings mehr als die herkömmliche Verteidigung an den Landesgrenzen gegen einen konventionellen Angriff. Sie schließt die Verhütung von Konflikten und Krisen, die gemeinsame Bewältigung von Krisen und die Krisennachsorge ein.

Die Bundeswehr als Krisenklinik.

Dementsprechend lässt sich Verteidigung geografisch nicht mehr eingrenzen, sondern trägt zur Wahrung unserer Sicherheit bei, wo immer diese gefährdet ist […]

Gute Frage: wo ist denn eure und meine Sicherheit gefährdet? Am Hindukusch? In Somalia? Beim Bombenteppich auf den Irak? In Jugoslawien? Im Kongo gar? Oder wessen Sicherheit ist denn gefährdet? Vielleicht hilft uns der folgende Passus weiter:

Deutsche Verteidigungspolitik ist das Handeln Deutschlands zur Sicherheitsvorsorge im Rahmen seiner Außen– und Sicherheitspolitik. Streitkräfte sind ein wesentlicher Teil einer auf Vorbeugung und Eindämmung von Krisen und Konflikten zielenden Außen– und Sicherheitspolitik. […]

 

Evakuierung gelungen …

Was wiederum eine Krise oder ein Konflikt ist, liegt logischerweise im Ermessen der kriegsführenden Partei, die daraus sich einen Vorteil erhofft. Eine Definition dieser Begriffe suchen wir jedenfalls in den Verteidigungspolitischen Richtlinien vergebens. Somit kommen wir zu den Kernaussagen von Abschnitt 2:

Das sicherheitspolitische Umfeld Deutschlands ist durch veränderte Risiken und neue Chancen gekennzeichnet.

Chancen? Chancen zur globalen Kriegsführung, weil kein Gegner in der Nähe ist? Kann schon sein, denn es heißt weiter:

Eine Gefährdung deutschen Territoriums durch konventionelle Streitkräfte gibt es derzeit und auf absehbare Zeit nicht. Das Einsatzspektrum der Bundeswehr hat sich grundlegend gewandelt. Die sicherheitspolitische Lage erfordert eine auf Vorbeugung und Eindämmung von

diesen ominösen

Krisen und Konflikten zielende Sicherheits– und Verteidigungspolitik, die das gesamte Spektrum sicherheitspolitisch relevanter Instrumente und Handlungsoptionen umfasst und auf gemeinsamem Handeln mit Verbündeten und Partnern aufbaut. Für die Bundeswehr stehen Einsätze der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung sowie zur Unterstützung von Bündnispartnern, auch über das Bündnisgebiet hinaus, im Vordergrund.
Die multinationale Sicherheitsvorsorge ist ein grundlegender Bestimmungsfaktor deutscher Verteidigungspolitik. Bewaffnete Einsätze der Bundeswehr mit Ausnahme von Evakuierungs– und Rettungsoperationen werden nur gemeinsam mit Verbündeten und Partnern im Rahmen von VN, NATO und EU stattfinden.

Diesen Satz sollten wir uns auf der Zunge zergehen lassen. Er ist nämlich entlarvend. Also erstens wird nur gemeinsam mit den üblichen Kriegstreibern des Kriegsbündnisses NATO zusammengearbeitet, wahlweise auch als UNO– oder EU–Mission deklariert. Ob bewaffnete Einsätze der Bundeswehr besser dadurch werden, daß sie solchermaßen abgesichert werden, darf auf Grundlage des sicherheitspolitischen Vorsorgeprogramms in Jugoslawien, Afghanistan oder im Irak bezweifelt werden. Verbrannte Erde und Warlordstrukturen wären die passenderen Begriffe für diese Art medizinischer Notfallambulanz.

Aber klug, wie Herr Struck nun einmal ist, hat er sich eine Hintertür eingebaut. Für Evakuierungs– und Rettungsoperationen gilt die Ausnahme, die besagt, daß auch ohne derartige Verbündete die Bundeswehr zum Einsatz kommen darf. Wer auch nur ein bißchen Ahnung von derartigen Ausnahmeklauseln hat, kann sich vorstellen, daß im Zweifelsfall die Ausnahme zur Regel wird, immer hübsch als Ausnahme deklariert. Soll heißen: wer nicht genau hinschaut, glaubt beruhigt an die Bündnisbindung und übersieht die Ausnahme der eigenständig deutschen imperialistischen Mission.

Die herkömmliche Landesverteidigung gegen einen konventionellen Angriff als allein strukturbestimmende Aufgabe der Bundeswehr entspricht nicht mehr den aktuellen sicherheitspolitischen Erfordernissen. Die nur für diesen Zweck bereitgehaltenen Fähigkeiten werden nicht länger benötigt. Der Wiederaufbau zur Befähigung zur Landesverteidigung gegen einen Angriff mit konventionellen Streitkräften innerhalb eines überschaubaren längeren Zeitrahmens […] muss jedoch gewährleistet sein.

Diese Erkenntnis dient einem doppelten Zweck, mal abgesehen von der realpolitischen Banalität. Zum einen werden bestimmte Truppenteile als überflüssig angesehen; die dort entstehenden Kosten können anderweitig produktiver verwendet werden. Andererseits hängt hieran auch eine Lobby, die schließlich auch mit konventionellen Aufträgen versehen werden will. Also muß man die konventionelle Landesverteidigung mit Sparflamme weiterlaufen lassen. Wer soll denn der konventionelle Gegner sein, der irgendwann einmal mit langjähriger Vorlaufzeit [und sich freundlicherweise schon zehn Jahre vorher ankündigt, damit wieder konventionell aufgerüstet werden kann] Deutschland bedroht? Estland? Georgien? Oder Rußland, das selbst am Abgrund taumelt? Jaja …:

Die Bundeswehr wird in diesem Verständnis weiterentwickelt: Auftrag, Aufgaben, Ausrüstung und Mittel werden in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht. Die Aufgaben der Bundeswehr werden angesichts einer gewandelten sicherheitspolitischen Lage neu gewichtet. Die Fähigkeiten der Bundeswehr werden entsprechend angepasst. Die Finanzmittel werden künftig vor allem zur Erfüllung der militärischen Kernfähigkeiten eingesetzt.
Für die Beschaffungs– und Ausrüstungsplanung wird ein fähigkeitsorientierter […] Gesamtansatz entwickelt. Rüstungskooperation im europäischen und transatlantischen Rahmen hat Vorrang vor der Realisierung von Vorhaben in nationaler Verantwortung.

Was auch pragmatisch gedacht ist. Jedenfalls bedarf es – so der Text weiter – differenzierter Streitkräfte mit Mobilität und Nachrichtengewinnung. Wie es der Zufall will, der natürlich keiner ist, hatte schon Strucks Vorgänger Scharping eine ganze Menge von neuartigen Transportflugzeugen vom Typ Airbus A 400 M geordert. Die europäische Luft- und Raumfahrtindustrie wird selbstverständlich hierüber quersubventioniert, etwas, was bekanntlich ansonsten bei den Neoliberalen strengstens verboten, weil nicht marktkonform, ist. Auch das geplante europäische Navigationssystem Galileo mit Kosten von dreieinhalb Milliarden Euro läßt sich hierfür nutzen.

 

… denn der Tod bleibt ein Meister aus Deutschland

Im dritten Abschnitt der Verteidigungspolitischen Richtlinien wird das neue Feindbild definiert. Ich will ab hier nicht den kompletten Text verlesen – dieser ist ja auch auf der Homepage des Verteidigungsministeriums zu finden –, sondern die essentials der restlichen sechs Abschnitte zusammenfassen, zumal die wesentlichen Voraussetzungen ohnehin am Anfang des Papiers dargelegt worden sind.

Es ist der inzwischen berühmt–berüchtigte 11. September, der wieder einmal zur Begründung neuer sicherheitspolitischer Wahnvorstellungen herhalten muß. Sogenannte asymmetrische Gefährdungen sollen angeblich unser aller Leben bestimmen, also Teppichmesser oder Selbstmordattentate mit Sprengstoffgürteln. Daß hiergegen die Bundeswehr neu ausgerüstet werden muß, ist doch klar, oder? Wozu dazu allerdings Fregatten, Eurofighter oder neuartige Torpedos mit einer Reichweite von 50 Kilometern angeschafft werden müssen, ist mir schleierhaft. Offensichtlich glauben Struck und sein Ministerium den von ihnen selbst fabrizierten Käse selbst nicht.

Doch halt! Es gibt ja noch die gefährlichen Schurkenstaaten oder bei Bedarf auch die zuvor noch selbst mit aufgebauten Terrornetzwerke. Diese könnten ja über ABC–Waffen verfügen; woher diese Waffen wohl stammen mögen? Was braucht man daher? Genau: Regeln, welche die weitere Verbreitung von Massenvernichtungswaffen durch befreundete Bündnisregierungen verhindern und

eine nach transparenten Regeln gestaltete Ordnungspolitik.

Denn schließlich will man mitbestimmen, wer Gut und Böse ist und wer anschließend wie im Falle Jugoslawiens zur Ordnung gebombt werden darf. Und Europa ist besonders gefährdet:

In Europa sind auch weiterhin gewaltsam ausgetragene, nationalistisch und ethnisch motivierte, oft von kriminellen Strukturen geförderte Gewaltkonflikte möglich.

Die Bimbos auf dem Balkan haben es halt immer noch nicht gerafft, wie marktwirtschaftlich und nicht kriminell Profit zusammengerafft wird. Also wird ein Ansatz konstruiert, der wohl den Wahnideen in Bonn und Berlin entspringt, aber keiner ernsthaften Analyse standhält: internationaler Terrorismus, gepaart mit organisierter Kriminalität und gemeingefährlichen Migrationsbewegungen. Jaja, ihr hört richtig: Flüchtlinge sind offensichtlich zukünftig Aufgabe eines deutschen Militäreinsatzes. Nicht etwa, um sie zu retten, sondern um sie daran zu hindern, das gelobte deutsche Land zu erreichen.

Dazu bedarf es natürlich einer Informationskriegsführung. Oder anders ausgedrückt: einer professionellen Medienmaschine, welche uns eine Koalition gegen den Terror als friedenspolitische Maßnahme verkauft. Wie auch immer, die Grunddoktrin rot–grünen Gutmenschentums hat Herr Struck auch festschreiben lassen:

Freiheit und Menschenrechte, Stabilität und Sicherheit [sind] notfalls auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen oder wiederherzustellen.

Die in den Verteidigungspolitischen Richtlinien hierfür vorgesehenen und unerläßlichen schnellen Eingreiftruppen sind schon längst im Aufbau, zum Teil schon im Einsatz. In Afghanistan umgibt dieser Einsatz ein dichter Schleier der Verschleierung, im Kongo werden unsere Jungs jetzt aber auch gebraucht. Die UNO hat den Rahmen vorgegeben und da wollen wir schließlich nicht fernbleiben.

Nun haben wir auch hier das schon altbekannte Problem: was kann eine oder jemand dagegen haben, das Morden im Kongo zu stoppen? Ich frage zurück: wird es gestoppt? Werden die Milizen entwaffnet oder – wie in Afghanistan – hofiert? Waren die Milizen und das allgegenwärtige Morden der letzten Jahre denn nicht nützlich für die gerade genannte Ordnung nach transparenten Regeln? Zunächst: was als Stammeskonflikt erscheint, ist vielmehr dem neoliberalen Kampf um Ressourcen, Macht und Profit geschuldet. Daß hierfür Stammesmuster benutzt werden, ändert nichts an dieser Tatsache. Weiter: der von Frankreich mit zu verantwortende Massenmord in Ruanda Mitte der 90er Jahre schwappte durch Duldung der Hutu–Milizen im Kongo auf diesen über. Gleichzeitig wurde der Kongo selbst durch den Sturz des vom Westen hofierten Gauners und Mörders Mobutu vollkommen destabilisiert und der allgemeinen Plünderung freigegeben. Schätzungen gehen von zwei Millionen Toten in den letzten zehn Jahren aus.

Profiteuere waren nicht zuletzt westliche Konzerne, die auf billige Art und Weise an Tropenhölzer, Erze und andere Rohstoffe gelangen konnten. In einem Bericht der UNO aus dem Jahr 2002 werden die Profiteure benannt, unter anderem die BAYER–Tochter H.C. Starck [7]. Umso pikanter, daß eine Bundesregierung, die jahrelang hiervor die Augen verschlossen hat, also das wohlbekannte Treiben duldete, ausgerechnet jetzt Truppen entsenden will. Im Deutschen gibt es hier für den Begriff des Bocks, der zum Gärtner gemacht wird.

Jetzt noch einmal die Frage: was kann denn eine oder jemand dagegen haben, wenn dieses grauenvolle Morden, der allgegenwärtige Hunger und die Plünderungsökonomie gestoppt werden? Ich sage einfach: meine Naivität hat Grenzen – und behaupte daher: nichts davon wird geschehen. Aber die Bundeswehr hat wieder eine Salamischeibe genutzt, um als weltweite Interventionstruppe akzeptiert zu werden. [8]

Ach ja: Hallo Friedensbewegung! Hat es euch die Sprache verschlagen oder warum finden derzeit keine machtvollen Demonstrationen gegen den deutschen Interventionismus statt?

 

Welt–Kibbuz im Traumland

Link zur "Krisis" Homepage

Robert Kurz, Autor der 1991 erschienenen Bücher Der Kollaps der Modernisierung und Honeckers Rache, hat letztes Jahr im Horlemann Verlag ein weiteres Buch vorgelegt, das die neueren Krisentendenzen schonungslos analysiert und deren Ursachen und Wirkungen offenlegt. Und obwohl ich mit dem Autor in manchen Fragestellungen überhaupt nicht übereinstimme, möchte ich sein Buch gerade in einer Sendung, in der es um die Verteidigung der Weltordnung geht, mit einfließen lassen. Denn bei den Verteidigungspolitischen Richtlinien geht es nicht zuletzt auch darum: diese Wirtschaftsordnung und deren Profiteure zu verteidigen.

Sein Buch heißt schlicht Weltordnungskrieg; und es geht darin um Das Ende der Souveränität und die Wandlungen des Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung. Die Grundthese der Ausführungen von Robert Kurz lautet: die derzeitigen Krisenphänomene verweisen auf eine Krise neuen Typs. Es ist die Krise des Kapitals und seiner zugrunde liegenden Wertform selbst.

Es gibt gar keine positive, tragfähige "Entwicklung" auf diesem gesellschaftlichen Boden mehr. [9]

Frühere Weltwirtschaftskrisen betrachtet er als Durchsetzungskatastrophen der kapitalistischen Produktionsweise. Sprich: Krisen und deren Lösung haben bislang immer zu einer neuen Basis kapitalistischer Entwicklung geführt, jedoch auch immer um den Preis von menschlichen Katastrophen, Zerstörung und Massenmord. Diese jedoch ist anders. Es ist keine neue Basis allgemeiner Vergesellschaftung, keine Basis eines neuen Entwicklungsbooms zu sehen; und für ihn auch nicht vorstellbar. Der Kapitalismus ist an sein Ende gelangt. Die letzte und einzig übrig gebliebene Weltmacht – die USA – darf den Todestrieb dieser Wirtschaftsweise exekutieren.

Die USA sind für ihn nicht nur Weltpolizist, sondern im Sinne des globalen Kapitals auch ideeller Gesamtimperialist. Die NATO dient als gesamtimperiale Zugriffsmacht mit einem gesamtkapitalistischen Weltordnungskonzept. Allerdings funktioniert dieses Konzept weder rational noch logisch. Denn weil das Kapital als gesellschaftliches Verhältnis die Irrationalität des rastlosen Profitstrebens auf der Grundlage der Konkurrenz bei Strafe des Untergangs beinhaltet, können sich die Akteure des Systems dieser Irrationalität nur teilweise entziehen. Daher sind weder die USA noch die NATO imstande, den derzeitigen krisenhaften Verfall des kapitalistischen Gesamtsystems aufzuhalten:

Die NATO ist ebenso wenig wie die USA ein "Weltstaat", der die alte nationale Staatsfunktion auf einer höheren, supranationalen Ebene übernehmen könnte. Sie ist eben nur der (erweiterte) "ideelle Gesamtimperialist", also eine reine Instanz der Gewalt und politischen Pression, keine Instanz einer umfassenderen Regulation. Somit kann die NATO den Widerspruch des globalen Krisenkapitalismus nicht lösen, sondern in ihrer eigenen widersprüchlichen Struktur als supranationales Gebilde unter der nationalstaatlichen Hegemonie der "letzten Weltmacht" nur in periodischer Gewaltsamkeit zum Ausdruck bringen. [10]

Was wir vorfinden, verwildert zu einer Plünderungsökonomie. In den peripheren Gebieten dieser Erde – etwa im Kongo – wird es augenfällig. Dort, wo das Kapital und teilweise sogar staatliche Strukturen sich zurückgezogen haben, nehmen die Verzweiflungsakte einer Überlebenskonkurrenz zu. Diese Gebiete sind durchaus auf eine ziemlich gewalttätige Art und Weise in den Weltmarkt integriert, eben keine rückständigen Gebiete im Sinne vorkapitalistischer Gesellschaftsstrukturen, die diese Gewalt zum Ausdruck bringen. Kapitalistische Gewaltstrukturen bauen jedoch auf ihren Vorgängern auf und nutzen sie, daher erscheinen sie als rückständig. Deshalb ist es auch willkürlich und

völlig egal, ob alte, schon halb vergessene Kriegsbeile zwischen bestimmten Bevölkerungsteilen wieder ausgegraben oder ganz neue Feindbilder erfunden werden. Ebenso gleichgültig bleibt es, ob ethnische und rassistische, religiöse oder andere Zuschreibungen die Krisenkonkurrenz dominieren. [11]

Was sich etabliert, ist eine ökonomische Vernunft des Irrationalen, sie ist so gesehen die Gewaltvernunft einer Plünderungsökonomie. Oder – etwas provokativ formuliert: neben der Finanzblase der Aktienmärkte ist auch die Plünderungswirtschaft peripherer Gebiete eine Art New Economy.

Nichts jedoch verweist auf eine neue Gesellschaftlichkeit; im Gegenteil, die derzeitigen gesellschaftlichen Zerfallsprozesse, die als Neoliberalismus auch ideologisch den geistigen Horizont der Meinungsführer und Meinungsmacherinnen beschränken, führen zu nichts anderem als zu Gewalt und Destruktion.

Dieselbe Logik, die sich auf der Ebene von individuellen Amokläufern im Mikro–Bereich äußert, lauert auch auf der Makro–Ebene des Gesamtverhältnisses. Kapitalismus ist nicht nur ein schleichendes Weltvernichtungsprogramm durch seine Nebenwirkungen, sondern läuft auf eine finale Vernichtung und Selbstvernichtung durch seine eigenen Institutionen zu. […] Die herrschende Macht selber wird zum "ideellen Gesamtamokläufer". [12]

Was das Buch von Robert Kurz auszeichnet, ist sein klarer Blick für die Verlogenheit liberaler oder linker Vorstellungen von der friedlichen Wandlungsfähigkeit dieses Ungeheuers. Er geht hierbei den Gründen für diese Verlogenheit nach, die als ideologisches Konstrukt ja aus den idealistischen Vorstellungen über den eigentlich marktkonform–friedlichen Charakter dieser Wirtschaftsweise entspringen. Wer allerdings die Grundlagen dieses Systems nicht infrage stellt oder stellen kann, kommt schnell dazu, das Bestehende um jeden Preis zu verteidigen, und sei es mit dem Argument, eine bessere Welt als diese gebe es nicht. Dabei wird gerne übersehen, daß die Schaffung von Werten, die sich daran in der Konkurrenz orientierende und entfaltende Profitgier und somit auch die Gewalt der kapitalistischen Wirtschaftsweise immanent sind. Sie sind eben nicht äußerlich. Kapitalismus ist Gewalt. Dies läßt sich nicht nur analytisch (also theoretisch) zeigen, sondern durch die ganzen Jahrhunderte gewalttätiger Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise auf lokaler wie auf globaler Ebene. Das im Eichborn Verlag erschienene Schwarzbuch Kapitalismus von Robert Kurz geht hierauf in jeder wünschenswerten Genauigkeit darauf ein.

Link zum Horlemann Verlag

Die Auseinandersetzung mit derartigen linken/liberalen Flausen ideologischer Schaumschlägerei bei gleichzeitiger Begriffsstutzigkeit gehören sicher zum besseren Teil seines Buches Weltordnungskrieg. Meine Kritik setzt jedoch woanders an. Robert Kurz sieht richtig, daß die neoliberalen Auflösungstendenzen tatsächlich plünderungsähnliche Strukturen hervorbringen, wie wir sie aus den Anfängen des Kapitalismus kennen. Außerökonomische Gewalt ohne Rechtfertigung oder systemimmanente gesetzliche Grundlage ist in der Tat zum Charakteristikum geworden. Die Kriege gegen Jugoslawien oder den Irak mögen hier beispielhaft sein. Daraus aber den Schluß zu ziehen, daß der Neoliberalismus keine neue kapitalistische Basis hervorbringen kann, ist zu kurzsichtig.

Eine derartige Entwicklung hin zu einer neuen Basis dauert mehrere Jahrzehnte und womöglich stehen wir erst noch am Anfang dieser Entwicklung. Der Übergang vom Manchester–Kapitalismus des 19. Jahrhunderts zum Wirtschaftswunder nach dem 2. Weltkrieg hat sich auch vermittels des Kolonialismus, zweier Weltkriege und faschistischer Regimes vollzogen. Der Beweis für die eine wie die andere These ist derzeit nicht zu erbringen. Aber das spricht nicht unbedingt für eine unbeweisbare Behauptung eines systemimmanenten Todestriebes.

Und von der Plünderungsökonomie der Peripherien des Weltmarktes auf die Zukunft der neoliberalen Zentren zu schließen, halte ich für ziemlich gewagt. Hier geht wahrscheinlich der dialektische Theoretiker mit dem auf der historisch konkreten Basis verwurzelten Pessimisten Robert Kurz durch. Was immer die Zukunft bringen mag: sie wird grauenhaft sein. Das heißt aber auch, daß sich die derzeitige Krise als Teil einer von Kurz selbst sogenannten Durchsetzungskatastrophe herausstellen könnte. Eigentlich reicht der ganz normale mörderische Alltag dieser Produktionsweise vollkommen aus, um sie als asoziale Veranstaltung auf den Müllhaufen der Geschichte zu verbannen.

Auch sehe ich nicht, warum nur die USA und die NATO politisch-militärisch handelndes Subjekt sein sollen. Robert Kurz verneint eigene deutsche imperialistische Bestrebungen auch gegen die einzige Weltmacht. Auch hier denke ich, greift er zu kurz. Natürlich sind die USA derzeit unumstritten einzige Weltmacht. Aber nicht unverwundbar. Wie Kurz selbst herausstellt, stehen die USA ökonomisch auf wackligen Füßen; das heißt aber auch, daß die militärische Macht abhängig ist von den finanziellen und wirtschaftlichen Ressourcen. Auf Dauer kann militärische Macht fehlende wirtschaftliche Macht nicht ersetzen. Woraus folgt: es spricht nichts dagegen, daß Deutschland im Windschatten der USA auf seine eigene Chance lauert und ansonsten im von den USA geführten imperialistischen Mainstream mitschwimmt. Ob und wie eine solche Konstellation einmal konfrontativ werden könnte, ist rein spekulativ. Unmöglich ist es nicht.

Was nun stellt sich Robert Kurz als emanzipatorische Lösung vor? Weil – eine Lösung mit Hilfe von irrationaler Gewalt kann ja nicht unsere sein. Soldaten im Kongo beenden keinen Hunger und zehn Millionen Kinder müßten nicht jedes Jahr verhungern oder an leicht heilbaren Krankheiten sterben, wenn das Gesetz von Wert, Geld und Profit außer Kraft gesetzt wäre. Das heißt jedoch auch, daß weder Markt noch Staat mit Emanzipation vereinbar sind.

Um zu einer gesamt– und weltgesellschaftlichen Lösung jenseits von Markt und Staat zu gelangen, also das Kapitalverhältnis und dessen irrationalen Selbstzweck wirklich zu überwinden, ist die Frage der genossenschaftlichen Selbstverwaltung auf der höheren, übergreifenden Ebene des gesamtgesellschaftlichen Ressourcenflusses neu aufzugreifen. Zu den besten und weitreichendsten Traditionen und Modellen, an die dabei angeknüpft werden könnte, gehören gerade die Kibbuzim. Befreit von den "gemeinschafts–terroristischen" Schlacken einer bloßen Siedler-Ideologie und hinausgehoben über die bloß partikulare, "betriebliche" Genossenschaftlichkeit, geht es um einen erweiterten, gesamtgesellschaftlichen Kibbuz–Begriff; bis hin zu einem transnationalen, alle Grenzen hinter sich lassenden Welt–Kibbuz. [13]

Ich fürchte, es ist so wie beim Kapitalismus. So wenig, wie es einen Kapitalismus ohne Gewalt geben kann, so wenig ist ein Kibbuz ohne seine siedlungszionistischen Grundlagen zu denken. Einmal abgesehen davon, daß mir die Kibbuz–Ideologie eher wie die Märchenvorstellung eines selbstzufriedenen Kleinbürgers vorkommt. Der Kibbuz als Grundlage solidarischer und globaler Genossenschaftlichkeit ist ein Traum. Aber die Welt ist nun einmal keine Landwirtschaftskommune; der Kibbuz taugt nicht zum Siedeln in der Neuen Welt [sondern nur als Siedlung einer Siedlerkolonie]. Doch ich gebe gerne zu, daß ich die Lösung nicht kenne.

Das führt mich jedoch zurück zur Fragestellung des Buches von Robert Kurz. Da seine Kritik an den Grundlagen der kapitalistischen Profitlogik ansetzt, bringt sein Buch Weltordnungskrieg eine Fülle an bedenkenswerten Gedanken hervor, auch etwa zum Verhältnis zwischen Antisemitismus, Israel und Palästina. Seine Vorstellungen hierzu, die Kritik mit Solidarität durchaus vereinen, sind jedenfalls fortschrittlicher als das, was derzeit den linken deutschen Mainstream durchzieht. Diesen wiederum kritisiert er in Grund und Boden, zuweilen mit Begrifflichkeiten, die eher peinlich als erhellend sind. Etwa folgender Satz aus einer Polemik im Buch:

Es handelt sich nicht mehr um einen Krebs im Frühstadium, der noch weggeschnitten werden könnte, sondern der globale Körper der kapitalistischen Weltgesellschaft ist schon durch und durch von den Metastasen der barbarischen Zerstörung durchseucht und vergiftet. [14]

Folgt daraus jetzt, daß eine revolutionäre Linke, so es sie gäbe, jetzt selbst zu chirurgischen Operationen globaler Hygiene schreiten müßte? Mich schaudert's bei diesem Gedanken …

Wer jedoch die Verteidigungspolitischen Richtlinien in einem etwas umfassenderen Zusammenhang verstehen will, für den oder die ist das Buch Weltordnungskrieg von Robert Kurz sicher nicht die schlechteste Empfehlung. Es ist im Horlemann Verlag erschienen, hat rund 450 Seiten und kostet 19 Euro 80.

 

Veranstaltungshinweise

Jingle Alltag und Geschichte

Zum Schluß meiner heutigen Sendung noch einige Veranstaltungshinweise für die kommende Woche.

Am heutigen Montagabend wird die türkische Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin Eren Keskin im Saal der Martinsgemeinde am Riegerplatz zu hören sein. Eren Keskin setzt sich seit Jahren für Frauen ein, die in türkischer Polizeihaft Opfer sexueller Mißhandlungen geworden sind. Aus diesem Grund wird sie seit Jahren vom türkischen Staat, aber auch von den dortigen Medien und Berufskollegen diffamiert worden. Derzeit sind gegen sie rund 120 Verfahren anhängig, weil sie die Vergewaltigungspraxis der türkischen Polizei juristisch und öffentlich bekämpft. Das gegen sie verhängte Berufsverbot ist so gesehen konsequent. Eren Keskin ist – wie gesagt – am heutigen Abend im Saal der Martinsgemeinde am Riegerplatz zu hören. Veranstaltungsbeginn ist um 19 Uhr 30, der Eintritt ist frei. Veranstalter ist amnesty international. Wer diese Sendung am Dienstag in der Wiederholung hört, hat dann halt Pech gehabt. [In der Tat! Es war ein interessanter Abend.]

Laßt uns reden über Palästina und Israel … lautet der Titel einer Veranstaltungsreihe in Darmstadt, die von Dienstag bis Donnerstag läuft. Am Dienstag spricht Hans Koschnick im Heiner–Lehr–Bürgerzentrum über die UNICEF–Arbeit für Palästina. Beginn: 19 Uhr 30. Am Mittwoch wird in der Werkstattbühne des Staatstheaters ein Konzert mit Daniel Kempin zu hören sein. Es geht hierbei im Zionismus im Spiegel israelischer Musik. Begleitet wird das Konzert durch einen Wortbeitrag des Rabbiners Jeremy Milgrom aus Jerusalem zum Zustand des Zionismus heute. Mittwochabend, 19 Uhr, in der Werkstattbühne des Staatstheaters. Der Eintritt kostet 7 Euro. Am Donnerstag schließlich spricht Wolfram Reiss aus Langen zum Thema Israelische Schulbücher im Gespräch um 19 Uhr 30 im Heiner–Lehr–Bürgerzentrum. – Initiator dieser kleinen Veranstaltungsreihe ist der Israel–Palästina Solidaritätskreis Darmstadt.

Am kommenden Freitag vor 10 Jahren erschoß ein Greiftrupp der GSG 9 das RAF–Mitglied Wolfgang Grams im Bahnhof von Bad Kleinen. Während einzelne Zeuginnen– und Zeugenberichte einen aufgesetzten Kopfschuß wahrscheinlich machen, lautet die offizielle Staatsversion bis zum heitigen Tag: Selbstmord. Dabei lautet die korrekte Todesursache Auf der Flucht erschossen, was in 99,9% aller Fälle üblicherweise die Umschreibung für staatlichen Mord ist. Natürlich war vor 10 Jahren in Bad Kleinen alles ganz anders. Und weil alles ganz anders war, mußte der Bundesinnenminister zurücktreten, der Generalbundesanwalt ausgetauscht werden, wurden systematisch Spuren verwischt oder vernichtet, und das ganze als Fahndungspanne hingestellt. Bei so viel Unvermögen und Unwillen zur Aufklärung konnte es schon damals nur einen Schluß geben: Auflösung aller Geheimdienste und paramilitärischen Verbände. Aber da man die ja noch braucht, wurde statt dessen die Wahrheit zurechtgebogen. Oder anders gesagt: Wenn Fakten und Staatsversion nicht zusammenpassen, umso schlimmer für die Fakten und die Wahrheit. Birgit Hogefeld, Überlebende der aus dem Ruder gelaufenen Festnahmeaktion von Bad Kleinen und Mitte der 90er Jahre in einem als rechtsstaatliches Verfahren getarnten grotesken Staatsschutzprozeß zu lebenslanger Haft verurteilt, sitzt übrigens immer noch in Haft. Was Isolationshaft auch bedeuten kann, zeigt das darmstädter Staatstheater in seinem sehenswerten Tanztheater Wenn der Körper eine Stummheit ist.

Jetzt noch ein Veranstaltungshinweis für kommenden Samstag in Mainz. Dort findet ab 10 Uhr im Interkulturellen Zentrum in der Rheinallee 3d eine Tagung zum Thema Freiheit stirbt mit Sicherheit statt. Hierbei geht es um den permanenten Ausnahmezustand seit dem 11. September. Eine Anmeldung ist erwünscht, der Teilnahmebeitrag beträgt 5 Euro. Veranstaltet wird die Tagung von den JungdemokratInnen / Junge Linke Rheinland–Pfalz und Hessen. Weitere Informationen sind zu erhalten per Email unter info@jd–jl–rlp.de.

Ebenfalls am Samstag findet eine Kurdistan–Irak–Veranstaltung in Darmstadt statt. Der Irak–Krieg im vergangenen März, so die Veranstalter/innen, brachte eine entscheidende Veränderung für die KurdInnen. Die von den USA angeführten Alliierten gingen mit den beiden großen kurdischen Parteien im Irak (PDK und YNK) ein strategisches Bündnis ein. Nun werden sie womöglich an der Regierungsbildung im Irak beteiligt sein. Dazu werden mehrere kurdische Referenten zu hören sein, und zwar am Samstag, 28. Juni, ab 14 Uhr, im Alten Hauptgebäude der TU Darmstadt in der Hochschulstraße 1.

 

Schluß

Mit diesen Veranstaltungshinweisen möchte ich die heutige Sendung zur Verteidigung der Weltordnung abschließen. Diese Sendung wird am Dienstag um Mitternacht, morgen nach dem Radiowecker um 8 Uhr und noch einmal am Nachmittag ab 14 Uhr wiederholt. Alltag und Geschichte ist auch im Internet präsent: www.alltagundgeschichte.de. Dort sind in der Regel auch weiterführende Links zu den einzelnen Sendungen und Hinweise auf kommende Sendungen zu finden.

Die nächste Sendung von Alltag und Geschichte ist am morgigen oder heutigen Dienstag, je nachdem, ob ihr die Wiederholung hört, ab 18 Uhr zu hören; nämlich Jadran – unsere Sendung in serbischer Sprache. Gleich folgt eine Sendung der Kulturredaktion von Radio Darmstadt. Somit verabschiede ich mich; am Mikrofon war Walter Kuhl.

 

 

ANMERKUNGEN

 

[1]   Neue Kabelfrequenz seit Februar 2005: 99,85 Megahertz.
[2]   Wogegen eingestandermaßen die damalige Außenministerin Madeleine Albright nichts einzuwenden hatte.
[3]   Bundestag erteilt Mandat für Kongo–Einsatz. Zu finden auf http://www.bundeswehr.de/wir/030613_kongo_kabinett.php.
[4]Walter Hoffmann wurde im März 2005 zum Oberbürgermeister von Darmstadt gewählt.
[5]   Punktuation des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Peter Struck, für die Pressekonferenz am 21. Mai 2003. Zu finden auf http://www.bmvg.de/archiv/reden/minister/030521_struck_vpr.php.
[6]   Ich habe mir erlaubt, die einzelnen Punkte dieser Richtlinien der besseren Sprech– und Lesbarkeit wegen in einem Absatz zusammenzufassen.
[7]   Pressemitteilung der Coordination gegen BAYER-Gefahren vom 24.10.2002: "Rohstoff–Importe aus dem kongolesischen Bürgerkriegsgebiet / UNO–Bericht: BAYER–Tochterfirma H.C. STARCK sagt die Unwahrheit". Die Pressemitteilung ist zu finden auf http://www.cbgnetwork.org/Ubersicht/Presseinfos/Presseinfos_2002/PI-Kongo_5/pi-kongo_5.html.

[8]   In diesem Zusammenhang ist auch bedenkenswert, was Michel Chossudovsky in seinem Buch Global brutal geschrieben hat. Sein 7. Kapitel lautet: "Wirtschaftlicher Völkermord in Ruanda" [Seite 118–143]. Daraus geht hervor, daß Uganda, Ruanda, Burundi und der östliche Teil des Kongo zum strategischen Schachbrett einer Auseinandersetzung zwischen den USA und Frankreich geworden sind. Weit davon entfernt, Frieden stiften zu wollen, haben beide Mächte so ziemlich alles unternommen, um ihre machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen in der Verkleidung von Stammesfehden und ethnischen Säberungen austragen zu lassen. Daß jetzt Frankreich mit der Unterstützung Deutschlands im Rahmen einer UN–Mission zurückkehrt, paßt durchaus ins Bild. Chossudovsky belegt, daß jedwede Naivität hinsichtlich einer humanitären Intervention im Kongo fehl am Platz ist. Natürlich haben die üblichen Verdächtigen IWF und Weltbank auch in dieser Region ihr Unwesen getrieben. Die von ihnen geforderte und geförderte Wirtschaftspolitik führte – den Interessengegensatz zwischen Frankreich und den USA im Hinterkopf – fast schon zwangsläufig zum Genozid in Ruanda.

[9]   Robert Kurz : Weltordnungskrieg, Seite 13
[10]  Robert Kurz Seite 41
[11]  Robert Kurz Seite 47
[12]  Robert Kurz Seite 428
[13]  Robert Kurz Seite 438
[14]  Robert Kurz Seite 409

 

 

Diese Seite wurde zuletzt am 2. April 2006 aktualisiert.
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