Kapital und Arbeit |
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Inhaltsverzeichnis |
Kapitel 1 : Einleitung |
Kapitel 2 : Wirtschafts-Theologie |
Kapitel 3 : Grenzen der Globalisierung? |
Kapitel 4 : Eine Chronik der Zukunft |
Kapitel 5 : Sommercamp |
Kapitel 6 : Virtuelle Zitrone für virtuellen Lohn |
Kapitel 7 : Schluß |
EinleitungJingle Alltag und Geschichte In der heutigen Folge von Kapital und Arbeit gehe ich der Frage nach, ob die theoretischen Grundlagen der an den Universitäten gelehrten Wirtschaftswissenschaften einer Überprüfung standhalten. Außerdem stelle ich ein Buch über die Folgen der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl 1986 vor. Und wie immer verleihe ich eine Virtuelle Zitrone für besonders gelungenen Journalismus an meine Lieblingszeitung. Nein ehrlich, was wäre ich ohne sie? Wenn es das Darmstädter Echo nicht gäbe, wer würde mich sonst mit einem Haufen Unsinn versorgen? Gut ich könnte den Focus lesen ... oder Die Welt
... oder die BILD- Doch nun will ich meine lästerhafte Zunge zügeln und statt dessen ein nützliches und vor allem verwertbares Mitglied dieser Gesellschaft werden. Und darum feiere ich wie immer am Anfang von Kapital und Arbeit das Bruttosozialprodukt. Geier Sturzflug : Bruttosozialprodukt |
Wirtschafts-
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Grenzen der Globalisierung?Besprechung von : Elmar Altvater / Birgit Mahnkopf Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft, Verlag Westfälisches Dampfboot, 2. Auflage 1997, DM 58,00 Über den Charakter und die Grenzen des Phänomens, das heute Globalisierung genannt wird, haben sich Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf tiefschürfendere Gedanken gemacht. Sie stellen fest, daß die Globalisierung zwar die gesellschaftlichen Zusammenhänge zu einer Art Weltgesellschaft verknüpft, aber daß sich deshalb noch lange keine Gesellschaftlichkeit entwickelt. Sie unterscheiden sehr deutlich zwischen der Tendenz, daß eine weltweite und auch uniforme Gesellschaft auf der Grundlage des Marktes, des Geldes und des Kapitals entsteht, daß deshalb aber wirkliche gesellschaftliche Beziehungen zwischen den Menschen eher nicht entstehen. Wichtig ist ihnen darzustellen, daß und warum die Errungenschaften des Wohlfahrtsstaats in den westeuropäischen Metropolen zur Disposition stehen auch dies eine Logik der Globalisierung. Sie schreiben: Im Zuge des Globalisierungsprozesses sind alle sozialen Errungenschaften zur Disposition gestellt, weil nur noch ökonomische, monetär in Preisen auszudrückende und nicht jene sozialen Standards zählen, ohne die eine zivile Gesellschaft von mit sozialen Ansprüchen und politischen Rechten der Partizipation ausgestatteten Staatsbürgern ein historisches Unding ist. [5] Ich denke, das ist wichtig zu begreifen. Nur das, was eine bestimmte Mindestrendite bringt, hat in dieser Gesellschaft noch einen Wert; alles andere wird dem untergeordnet. Wer nicht die erwartete verwertbare Leistung bringt, wird ausgegrenzt. Wozu noch soziale Mindeststandards, wenn nicht nur in der Bundesrepublik, sondern weltweit genügend ausbeutbare Menschen nur darauf warten, an den Segnungen eines derart asozialen Wirtschaftssystems teilhaben zu dürfen. Wozu brauchen wir ein Gesundheitssystem, das alle Bürgerinnen und Bürger eines Gemeinwesens ausreichend versorgt, wenn viele dieser Bürgerinnen und Bürger im Sinne der Verwertbarkeit nicht mehr gebraucht werden? Wenn eine krank wird, steht eine andere schon längst bereit, den Job zu übernehmen. Wer am Fließband umfällt, hat eben Pech gehabt; ein soziales Gewissen ist bei Kapitaleignern ohnehin nicht zu erwarten hier zählt nur Geld und Profit. Das war, um beim Beispiel Gesundheitswesen zu bleiben, in den 60ern, den 70ern und zum Teil noch in den 80ern anders. Solange Arbeitslosigkeit noch nicht zum gesellschaftlichen Massenphänomen geworden war, wurden Arbeitskräfte benötigt. Und deshalb hatte der Staat über das Sozialversicherungssystem sicherzustellen, daß genügend gesunde Arbeitskräfte bereit standen. Genau das ist heute nicht mehr der Fall und auch nicht mehr nötig. In gewisser Weise haben uns die Verhältnisse der sogenannten Freien Produktionszonen in der Dritten Welt erreicht. Dort werden vor allem Frauen so lange ausgequetscht, bis sie schlicht fertig sind; und der Druck ist hoch, weil genügend Frauen bereit stehen, unter denselben üblen Arbeitsbedingungen zu miesesten Löhnen zu arbeiten. Weggeworfen wie eine Zitrone. Die Frauen sind meist noch keine 30. Soweit sind wir hier noch nicht. Aber die Logik ist dieselbe. Und insofern wird höchst logisch propagiert, daß Gesundheits- und Krankheitskosten möglichst wieder individuell zu tragen sind. Wer das nötige Kleingeld hat, hat damit auch kein Problem. Alle anderen können sehen, wo sie bleiben. Ist halt Marktwirtschaft. Aber ich will auf das umfangreiche Buch von Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf zurückkommen. Beide fassen alle Tendenzen des gegenwärtigen Kapitalismus zusammen und stellen daher zu Recht fest, daß Globalisierung sicher zu mehr Reichtum für wenige führen wird; aber ebenso sicher auch zu mehr Armut und weniger politischen Rechten und Einflußmöglichkeiten. Ich denke, wer das Buch aufmerksam gelesen hat, vermag eher zwischen den Zeilen der Verfechter der Risikogesellschaft zu lesen und vor allem zu verstehen, was diese damit wollen. Ein nützliches Buch also. Das Buch von Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf heißt: Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft. Es ist inzwischen in der zweiten Auflage im Verlag Westfälisches Dampfboot erschienen und kostet 58 Mark. Warum sie dieses Buch geschrieben haben, erläutern die beiden AutorInnen im Vorwort: Es verändern sich im Verlauf der Globalisierung also die politischen Subjekte; es entstehen neue soziale Bewegungen und die alten Bewegungen müssen sich wandeln. Es müßte also möglich sein, mit den Methoden der Wissenschaft wie ein Pfadfinder herauszufinden, wo das Schild "Bis hierher und nicht weiter" aufgestellt ist, um Sackgassen der Entwicklung rechtzeitig ausfindig zu machen, Alarmlichter anzuschalten und zugleich alternative Entwicklungsbahnen zu weisen. Daher heißt der Titel dieses Buches "Grenzen der Globalisierung". Es soll damit angedeutet werden, daß das globalisierende Modell einer Durchkapitalisierung der Welt nach menschlichem Ermessen in die soziale und ökologische Katastrophe führt, und daß es daher darauf ankommt, das Bornierte des Entwicklungsmodells herauszuarbeiten. [17] |
Eine Chronik der ZukunftBesprechung von : Swetlana Alexijewitsch Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft, Berlin Verlag 1998, DM 32,00 Von Swetlana Alexijewitsch stammt das Buch Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft. Sie läßt hierin Überlebende und Betroffene, von den Behörden Belogene und Ausgenutzte zu Wort kommen. Männer, Frauen und Kinder. Es ist ein erschütterndes Buch. 1986 explodierte ja nicht nur einer der Reaktorblöcke des ukrainischen Atomkraftwerks in Tschernobyl. Die Folgen sind auch 12 Jahre danach zu spüren. Weite Teile Weißrußlands sind radioaktiv verstrahlt; Menschen sterben auch heute noch an den Folgen der Katastrophe. Und beim Lesen beschlich mich immer wieder das Gefühl, daß der fahrlässige Umgang mit der Radioaktivität durchaus auch in der Bundesrepublik hätte passieren können. Zwar versichern die Verantwortlichen gebetsmühlenartig, ein solcher Unglücksfall könne bei Reaktoren westlichen Typs nicht geschehen. Aber im einzelnen gibt es dann doch beunruhigende Parallelen. Tagelang behaupteten die Verantwortlichen in der damaligen Sowjetunion, daß es sich um einen harmlosen Zwischenfall gehandelt habe. Bewußt ließen sie die Bevölkerung im Unklaren. 1987 schlitterte das AKW in Biblis an einem größeren Unfall haarscharf vorbei. Hätte nicht eine US-amerikanische Zeitschrift ein Jahr später darüber berichtet, hätte man dies uns wohl bis heute verschwiegen. Die jahrelang geheim gehaltenen verstrahlten Atommülltransporte sind da ein passendes Beispiel. Vor allem das Transportgestell, das sich frei zugänglich in einem Wohngebiet an der Michaelisstraße befand, zeigt deutlich, wie egal der Atomwirtschaft Menschen und Umwelt sind. Aber zurück nach Tschernobyl. Swetlana Alexijewitsch läßt eine Stimme zu Wort kommen, die das Ausmaß der Katastrophe verdeutlicht: Während des Großen Vaterländischen Krieges zerstörten die deutschen Faschisten auf weißrussischem Boden 619 Dörfer mitsamt ihren Bewohnern. Nach Tschernobyl verlor das Land 485 Dörfer und Siedlungen: 70 davon sind bereits für immer dem Erdboden gleichgemacht. Im Krieg fiel jeder vierte Weißrusse, heute lebt jeder fünfte auf verseuchtem Gebiet. [7] Sich regen bringt Segen. Auf dem Markt verkauft eine Frau aus dem Ukrainischen große rote Äpfel. Sie ruft: "Kauft Äpfel! Tschernobyl- Flüchtlinge aus Tadschikistan, wo nach dem Zerfall der Sowjetunion Bürgerkrieg herrscht, wurden in den verstrahlten Gegenden Weißrußlands angesiedelt. Für sie immer noch besser als der Krieg in ihrer Heimat, sagen sie. Und als würden die Strahlen wie eine Erkältung wieder verschwinden, schrieben die Menschen an die Haustüren ihrer verlassenen Dörfer: Lieber guter Mensch, such bei uns keine Wertgegenstände. Wir haben keine. Du kannst alles benutzen, aber bitte nicht plündern! Wir kommen zurück. [9] Andere wurden bei der Dekontaminierung oder beim Zubetonieren des Reaktors einfach verheizt: Ich bin dort gewesen. [...] Ich habe mich freiwillig gemeldet. [...] Echte Männer nehmen sich einer echten Sache an. [...] Wieder zu Hause, habe ich alle Sachen, die ich dort getragen hatte, in den Müllcontainer geworfen. Nur das Käppi habe ich meinem kleinen Sohn geschenkt. Er wollte es so gerne haben. Er hat es ständig getragen. Zwei Jahre später wurde bei ihm ein Hirntumor festgestellt. [10] Und die Soldaten, die auf dem Dach des Reaktors gearbeitet haben? Allein zur Beseitigung der Unfallfolgen wurden [...] etwa 340 000 Armisten eingesetzt. Die Hölle haben jene erlebt, die das Dach gesäubert haben ... Sie erhielten Bleischürzen, aber die Strahlung kam von unten, und dort war der Mensch ungeschützt. Sie hatten nur ganz einfache Stiefel mit Tuchschäften an. [11] Es gab einen Moment, da die Gefahr einer thermonuklearen Explosion bestand, und man mußte das schwere Wasser aus dem Reaktor ablassen, damit er nicht da hineinstürzte, und schweres Wasser ist eine direkte Komponente des Kerntreibstoffes. Können Sie sich das vorstellen? Die Aufgabe lautete: Wer taucht in das schwere Wasser und öffnet den Schieber des Ablaßventils? Man versprach Auto, Wohnung, Datsche und finanzielle Versorgung der Familie bis ans Lebensende. Man suchte Freiwillige. Und sie fanden sich! Die Jungs tauchten, tauchten mehrere Male, öffneten den Schieber, und die Truppe bekam 7000 Rubel dafür. Von den versprochenen Autos und Wohnungen war keine Rede mehr. [...] Die Männer leben heute nicht mehr. [12] Den Piloten wurde in der Luft schlecht. Um das Ziel zu treffen, den Feuerschlund, steckten sie die Köpfe aus der Kabine und peilten mit dem Auge. Eine andere Möglichkeit gab es nicht ... Die Sitzungen der Regierungskommission ... Einfach und lakonisch wurde mitgeteilt: "Dafür müssen zwei bis drei Leben eingesetzt werden. Und dafür ein Leben." Einfach und lakonisch. [13] Bevor wir nach Hause durften, rief uns ein KGB- Ich werde die Frauen nicht vergessen, die unsere Wäsche wuschen. Es gab keine Waschmaschinen, daran wurde nicht gedacht, die wurden nicht angeschafft. Sie haben mit der Hand gewaschen alles ältere Frauen. Ihre Hände waren grindig und voller Blasen ... Die Wäsche war nicht einfach schmutzig, sie speicherte Dutzende von Röntgen ... "Jungs, so eßt doch ..." "Jungs, schlaft ein bißchen ..." [...] "Paßt auf euch auf ...". Sie bedauerten uns und weinten ... Ob sie heute noch leben? [15] Unverantwortlich auch dies: Alles ging seinen Gang: Pflügen, Säen, Ernten ... Etwas Unvorstellbares war geschehen, aber die Leute lebten, wie sie immer gelebt hatten. [...] Die Kinder mußten den ganzen Sommer über in der Schule bleiben, Soldaten wuschen das Gebäude mit Seifenpulver ab, trugen ringsrum Erde ab ... Und im Herbst? Im Herbst wurden die Schüler in die Ernte geschickt. [16] Geplündert wurde, was nicht niet- und nagelfest war. 1986 wurden alle verstrahlten Gegenstände in riesigen Gruben verbuddelt; die Gruben existieren heute nicht mehr: alles wieder ausgegraben, verscherbelt und im ganzen Land verstreut. Eine atomare Zeitbombe besonderer Art ... Die Molkereien erfüllten ihre Pläne. Wir prüften die Milch: auch sie radioaktiver Müll. Milchpulver und Kondensmilch in Büchsen aus Rogatschow haben wir später lange als Demonstrationsobjekte bei Vorlesungen verwendet. Damals aber wurden sie in den Läden verkauft ... Als die Leute auf den Büchsen lasen, daß diese aus Rogatschow stammten, kauften sie sie nicht mehr auf einmal tauchten Büchsen ohne Etikett auf! Ich glaube nicht, daß Papierknappheit der Grund war die Leute wurden betrogen. Der Staat hat sie betrogen. [17] Ähnliche Skandale gab es übrigens auch in der Bundesrepublik mit verstrahltem Milchpulver. Nach den Vorschriften hatte die Endlagerung mit Schürfarbeiten einherzugehen; der Grundwasserspiegel durfte nicht höher als vier bis sechs Meter sein und die Baggertiefe nicht sehr groß, Wände und Boden der Grube mußten mit einer Plastikfolie abgedeckt sein. Aber das steht alles nur auf dem Papier. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Wie immer. Keinerlei Schürfarbeiten. Der Finger zeigt: "Hier!" Der Baggerfahrer gräbt. "Wie tief sind Sie gegangen?" "Weiß der Teufel! Als Wasser kam, hab ich aufgehört." Die Erde plumpste direkt ins Grundwasser rein. [18] Ich habe Angst vor Regen das ist Tschernobyl! [19] Aber die Menschen in der damaligen Sowjetunion wußten irgendwie doch Bescheid und behandelten die Menschen aus der Umgebung von Tschernobyl wie Aussätzige: Wir wurden ins Leningrader Gebiet gebracht. Als wir dort in die Bahnhöfe einfuhren, bekreuzigten sich die Leute und schauten nur von weitem. Sie hatten Angst vor unserem Zug. Auf jeder Station wurde er lange abgespült. Als wir beim Halt auf einem Bahnhof einmal ausstiegen und in die Imbißstube liefen, wurde kein anderer reingelassen. [...] Die Verkäuferin sagte zu jemandem am Telefon: "Wenn sie weg sind, wischen wir den Fußboden mit Chlor auf und kochen die Gläser ab." [20] Zeitungsmeldung 1996: "Das Kiewer Reisebüro bietet Fahrten nach Tschernobyl und in die toten Dörfer an ... Gegen Bezahlung natürlich. Besuchen Sie das atomare Mekka." [21] Was Tschernobyl wirklich für Auswirkungen auf die dort lebenden Menschen und eingesetzten Soldaten hatte und bis heute hat, ist sehr anschaulich bei Swetlana Alexijewitsch nachzulesen. Das Buch heißt Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft und ist im Berlin Verlag erschienen. Es kostet 32 Mark. |
SommercampEs folgte ein Hinweis auf das Anti-AKW-Sommercamp 1998 der Darmstädter StadtpiratInnen. Zu den Ereignissen rund um das Sommercamp 1997 steht HIER einiges zu lesen. |
Virtuelle Zitrone für virtuellen LohnVielleicht erinnert ihr euch noch: In der Sesamstraße erklärt Grobi den Unterschied zwischen groß und klein, oben und unten, schmal und breit. An Grobi fühlte ich mich erinnert, als ich am 26. Mai [1998] das Darmstädter Echo aufschlug. Klaus Eitel gelang nämlich das Kunststück, brutto nicht von netto unterscheiden zu können. Nun sollte ich eigentlich von einem gestandenen Nachrichtenredakteur erwarten können, daß er nicht nur sauber recherchiert, sondern auch die Grundbegriffe logischer Argumentation beherrscht. So etwas lernt man nämlich im Studium der Journalistik. Offensichtlich färbt aber längere Mitarbeit in unserer hiesigen Lokalzeitung ab. Daher darf sich Klaus Eitel mit meinem Spezialpreis schmücken: der Virtuellen Zitrone für diesen Monat. Was hat der Mann denn gemacht? Nun, er kommentierte die Situation auf den bundesdeutschen Spargeläckern und verbreitete das Märchen, man oder frau könne dort 2300 Mark netto verdienen. Dabei polemisierte er gegen die anspruchsvollen Langzeitarbeitslosen, denen diese 2300 Mark zu wenig seien. Er schrieb [22]: Bonn schafft zwangsweise Zehntausende von Arbeitsplätzen, und keiner will sie haben. Die Antwort der Entwöhnten, Verwöhnten, Schwachen und Faulen auf die Erntehelfer- Wenn der hessische SPD-Innenminister Bökel das Märchen von den 2300 Mark erzählt, dann macht er halt Politik gegen die Arbeitslosen. Wenn der Leiter des Darmstädter Arbeitsamtes Gert Mittmann dasselbe Märchen verkündet, dann macht auch er Politik, denn seine Behörde muß die Langzeitarbeitslosen ja irgendwie bis zur Bundestagswahl verstecken. Wenn aber ein ausgebildeter Redakteur diesen Unsinn nachplappert, dann muß er sich an den Gedanken gewöhnen, mit einer Virtuellen Zitrone den Preis für besonders gelungenen Journalismus im geistigen Niemandsland verliehen bekommen zu haben. Wie kommt Klaus Eitel nun auf die 2300 Mark netto, wohlgemerkt? Der Tariflohn beträgt brutto 10 Mark 09 die Stunde. Außerdem erhalten die zwangsweise vermittelten Langzeitarbeitslosen eine Aufwandsentschädigung von 25 Mark an den Tagen, an denen sie mindestens 6 Stunden gearbeitet haben. Hat es geregnet, sind sie krank geworden oder haben sie den ihnen zustehenden Urlaub genommen, gehen sie leer aus. Aber nehmen wir einmal an, sie arbeiten an 20 Tagen im Monat mehr als 6 Stunden. Macht 500 Mark, netto. Und so fing Klaus Eitel an zu rechnen, wieviele Stunden pro Woche muß eine Erntehelferin oder ein Erntehelfer arbeiten, um auf die von ihm angepeilten 2300 Mark zu kommen. Er rechnete und rechnete und kam auf 42 Stunden pro Woche. Das ergibt ziemlich genau 1800 Mark. Rechnen jedenfalls kann er. Also kommen dabei 500 plus 1800 Mark heraus. Aber auch Erntehelferinnen und
Aber es kommt noch schöner: Bei Gert Mittmann wie bei Klaus Eitel führen die Langzeitarbeitslosen ganz offensichtlich auch keine Sozialversicherungsbeiträge ab. Wirklich erstaunlich. Vielleicht sollten die Herren selbst einmal drei Monate auf die Spargeläcker abkommendiert werden. Dann sitzen sie nicht unter Kunstlicht in ihren Büros, sondern schuften unter der knallenden Sonne. Vielleicht kommt ihnen ja dort die Erleuchtung. Übrigens: Thomas Franke von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kann besser rechnen; er kommt auf 1900 Mark netto, vorausgesetzt, die auf den Spargeläckern arbeitenden Langzeitarbeitslosen erhalten auch die 25 Mark Aufwandsentschädigung pro Arbeitstag, was ja noch lange nicht gesagt ist. [23] Was aber sie alle nicht berücksichtigen, ist dies: nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann erst der Antrag auf die 25 Mark Arbeitnehmerhilfe gestellt werden. Und wer die momentane Schnelligkeit des Arbeitsamtes bei der Bearbeitung von Anträgen kennt, kann sich schon einmal darauf vorbereiten, daß es viele Monate bis zur Auszahlung dauern wird. Das nenne ich einen wahren Nettolohn. Ob Grobi auch solch grobe Fehler bei der Darstellung von brutto und netto gemacht hätte? |
SchlußUnd damit wäre ich mit der heutigen Folge von Kapital und Arbeit auch schon wieder am Ende angelangt. Dabei gäbe es noch so vieles Ungeheuerliches aus der bunten Warenwelt zu berichten. Nun, vielleicht nächstes Mal. Die nächste Folge von Kapital und Arbeit ist am Montag, dem 27. Juli, hier auf Radio Darmstadt zu hören. Auf 103,4 Megahertz oder ab 1. Juli über die neue Kabelfrequenz 102,75 Megahertz. Unsere Sendungen sind übers Kabel und über dieselbe Kabelfrequenz auch in den umliegenden Gemeinden Griesheim, Pfungstadt oder Roßdorf zu empfangen. Wobei es schon merkwürdig ist: mit der jetzigen Sendeleistung wird der Empfang schon in Eberstadt zum Problem, aber dafür empfängt man uns ... in Weinheim. Und damit verabschiede ich mich. Am Mikrofon Walter Kuhl. |
ANMERKUNGEN |
[1] Karl-Heinz Brodbeck : Die fragwürdigen Grundlagen der Ökonomie, Seite 72, Anmerkung 162 |
[2] Brodbeck Seite 73 |
[3] Brodbeck Seite 10 |
[4] Brodbeck Seite 46-47 |
[5] Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf : Grenzen der Globalisierung, Seite 42 |
[6] Altvater/Mahnkopf Seite 17 |
[7] Swetlana Alexijewitsch : Tschernobyl, Seite 13 |
[8] Alexijewitsch Seite 66 |
[9] Alexijewitsch Seite 90 |
[10] Alexijewitsch Seite 92-93 |
[11] Alexijewitsch Seite 159 |
[12] Alexijewitsch Seite 160 |
[13] Alexijewitsch Seite 163 |
[14] Alexijewitsch Seite 93-94 |
[15] Alexijewitsch Seite 95 |
[16] Alexijewitsch Seite 146 |
[17] Alexijewitsch Seite 191 |
[18] Alexijewitsch Seite 197 |
[19] Alexijewitsch Seite 201 |
[20] Alexijewitsch Seite 264 |
[21] Alexijewitsch Seite 287 |
[22] Klaus Eitel : Auf Spargeläckern, Leitartikel des Darmstädter Echo von Dienstag, 26. Mai 1998, Seite 2 |
[23] Thomas Franke : "Billiger als Deutsche und hoch motiviert", Frankfurter Allgemeine Zeitung, Mittwoch, 27. Mai 1998, Regionale Wirtschaftsseite |
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