Kapital und Arbeit

1968

 

 

SENDEMANUSKRIPT

 
Sendung :
Kapital und Arbeit
1968
 
Redaktion und Moderation :
Walter Kuhl
 
gesendet auf :
Radio Darmstadt
 
Redaktion :
Alltag und Geschichte
 
gesendet am :
Montag, 27. Juli 1998, 17.00-17.55 Uhr
 
wiederholt am :
Dienstag, 28. Juli 1998, 08.00-08.55 Uhr
Dienstag, 28. Juli 1998, 14.00-14.55 Uhr
 
 
Besprochene und benutzte Bücher :
  • Lutz Schulenburg (Hg.) : Das Leben ändern, die Welt verändern! 1968 – Dokumente und Berichte, Edition Nautilus
  • Die Aktion, Zeitschrift für Politik, Literatur, Kunst, Heft 175/180, Edition Nautilus
  • Paco Ignacio Taibo II : 1968 / Gerufene Helden. Ein Handbuch zur Eroberung der Macht, Verlag Libertäre Assoziation und Verlag der Buchläden Schwarze Risse / Rote Straße
  • Monika Berberich und Irene Rosenkötter (Hg.) : »Aber wir haben immer auf das Leben gesetzt …«, Verlag Libertäre Assoziation
 
 
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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 : Einleitung
Kapitel 2 : Die Welt verändern!
Kapitel 3 : Fulminante Studierende erschüttern die Macht
Kapitel 4 : Überleben gegen den Wahnsinn der Mächtigen
Kapitel 5 : Schluß
Anmerkungen zum Sendemanuskript

 

Einleitung

Jingle Alltag und Geschichte –

heutiges Thema sind die Ereignisse des Jahres 1968. Dreißig Jahre danach scheint alles Geschichte zu sein. Die jugendliche Aufbruchsstimmung ist längst im neoliberalen Globalisierungs- und Standortwettstreit versumpft. Haben uns die '68er nichts mehr zu sagen? Das ist schwierig zu beantworten. Einige haben es ja im langen Marsch durch die Institutionen bis an die Futterkrippen der Macht geschafft. Ein 68er wird demnächst bundesdeutscher Außenminister sein und dafür sorgen, daß deutsche Truppen in aller Welt zum Einsatz kommen. Natürlich nur in den lautersten und friedlichsten Absichten – was denn auch sonst? Aber ich will nicht lange über die Ereignisse des Jahres 1968 herumlabern, statt dessen die zu Wort kommen lassen, die damals auf die Straße gegangen sind. Ich werde daher einige Passagen aus drei kürzlich erschienen Büchern vorlesen. Leider sind Günter Mergel und Antje Trukenmüller, die mir hierfür sonst ihre Stimmen leihen, im Urlaub. Leider für mich, gut für sie beide. Am Mikrofon Walter Kuhl.

 

Die Welt verändern!

Besprechung von : Lutz Schulenburg (Hg.) – Das Leben ändern, die Welt verändern! 1968 – Dokumente und Berichte, Edition Nautilus 1998, DM 39,80

1968. Überall auf der Welt gehen die Studentinnen und Studenten auf die Straße. Sie empören sich über den immer noch vorhandenen Kolonialismus oder Neokolonialismus in Afrika, in Asien und Lateinamerika. Sie demonstrieren gegen den verbrecherischen Krieg, den die Armee der US-Regierung in Vietnam, Laos und Kambodscha führt. Sie prangern Ausbeutung, miese Löhne und Arbeitshetze in den Betrieben an. Und sie fordern eine Reform der Hochschulausbildung. In Deutschland hieß es dazu: "Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren."

Es sind aber nicht nur die Studentinnen und Studenten, es ist kein elitärer universitärer Protest. Am Anfang vielleicht, aber der Protest radikalisiert sich. Wenn in Deutschland, in den USA, in Mexiko und auch sonst in der Welt auf protestierende Studentinnen und Studenten geschossen wird, dann trägt dies zur Bewußtseinserweiterung bei. Dann wird der Zusammenhang klar zwischen einem auch heute noch verlogenen Wissenschaftsbetrieb, dem Konsumfetischismus der industrialisierten Zentren, dem Vietnamkrieg und der Militärdiktatur in Griechenland, die ganz getreu nach einem NATO-Putschplan errichtet wurde. Der Protest macht nirgends mehr halt, alles wird in Frage gestellt. Der Kapitalismus wird demaskiert und verworfen. Eine neue Gesellschaft muß her.

1968. In Frankreich wird der Generalstreik ausgerufen, Präsident und General Charles de Gaulle flieht nach Baden-Baden. Der Pariser Mai ‘68 wird weltberühmt. Hier wird nicht nur die Phantasie an die Macht gefordert, hier werden Möglichkeiten eines neuen solidarischen Umgangs miteinander ausprobiert.

Lutz Schulenburg hat einen Band mit Texten und Flugblättern von und über 1968 herausgegeben. Er heißt – ganz dem Zeitgeist von damals entsprechend – Das Leben ändern, die Welt verändern! Daraus möchte ich eine Passage vorlesen. Doch zuvor erlaube ich mir eine kleine Anmerkung über eine Lokalposse aus der letzten Zeit.

Am 8. Juli wurde Bastian Ripper von Amtsrichter Rathgeber zu einer Geldstrafe von 2400 Mark verurteilt, weil er im September letzten Jahres daran beteiligt war, Schülerinnen und Schüler aus der Justus-Liebig-Schule zu einer Demonstration aus den Klassenzimmern zu holen. Er wurde als eine Art Anführer behandelt, weil er das Megafon trug. Bastian Ripper betrachtete sich jedoch nur als ein Teil einer basisdemokratischen Struktur, in der es keine Anführer gibt. Die Demonstration wurde von den darmstädter StadtpiratInnen organisiert, und zwar basisdemokratisch organisiert. Alle hatten gleich viel zu sagen und mitzubestimmen. Rathgeber tat dies ab mit den Worten, Basisdemokratie sei das, wenn alle gleich laut schreien.

Jetzt die Passage aus dem Buch von Lutz Schulenburg. Darin wird ein Treffen mitten im Mai '68 an der Sorbonne geschildert:

Die dramatischsten Zeiten während der Besetzung waren ohne Zweifel die [...] Vollversammlungen, die jeden Abend in dem riesigen Amphitheater abgehalten wurden. Sie stellten den Rat dar, wo letztlich alle Entscheidungen ihren Ursprung hatten, den Entstehungsort direkter Demokratie. Das Amphitheater konnte in seinem riesigen Halbrund, das noch von drei Rängen überragt wurde, 5.000 Leute aufnehmen. [...] Wenn man gesehen hat, wie Versammlungen von fünfzig Leuten aus dem Häuschen gerieten, dann ist es eine erstaunliche Erfahrung mitanzusehen, wie eine Versammlung von fünftausend vonstatten geht. Wirkliche Ereignisse bestimmten die Themen und stellen sicher, daß der größte Teil der Diskussion wirklichkeitsnah blieb.
Nachdem man sich über das Thema der Diskussion geeinigt hatte, war es jedem erlaubt zu reden. Die meisten Redebeiträge wurden vom Podium aus gehalten, einige vom Halbrund aus, andere von den Balkonen. [...] Jeder, der schwafelte, in Erinnerungen schwelgte, Rollen rezitierte oder mit Phrasen um sich warf, wurde vom Auditorium nicht lange geduldet, einem Auditorium, das politisch das intelligenteste war, das ich jemals gesehen habe. Jeder, der praktische Vorschläge machte, hatte aufmerksame Zuhörer. [...]
Die meisten Redner bekamen drei Minuten Redezeit. Manche erhielten durch Abstimmung in der Zuhörerschaft sehr viel mehr. Die Menge selbst übte auf der Plattform und den Rednern gegenüber eine starke Kontrolle aus. Sehr schnell bildete sich eine gegenseitige Beziehung aus. Die politische Reife der Versammlung zeigte sich am schlagendsten daran, daß man sehr schnell merkte, daß Buhen und Beifallklatschen während der Reden die eigenen Überlegungen der Versammlung nur nachlassen ließen. Gute Reden wurden mit starkem Beifall bedacht – am Ende. Demagogische oder nutzlose Redebeiträge wurden ungeduldig beiseite geschoben. Bewußte revolutionäre Minderheiten spielten eine wichtige Katalysatoren-Rolle bei diesen Beartungen; sie versuchten jedoch nie – jedenfalls die intelligenteren von ihnen nicht –, der großen Masse ihren Willen aufzuzwingen. Obwohl die Versammlung gerade in der Anfangsphase ihr gewisses Quantum an Exhibitionisten, Provokateuren und Spinnern aufwies, zeigten sich die Gesamtkosten der direkten Demokratie doch nicht so schwerwiegend, wie man hätte erwarten können. [1]

Gewisse Damen und Herren Politiker aus Parteien der darmstädter Stadtverordnetenversammlung empörten sich ganz besonders darüber, daß bei der schon genannten Demonstration im September gegen atomare Mülltransporte Sechstklässler aus dem Klassenzimmer geholt wurden. Diese seien ja nun wirklich politisch unreif. Wer die Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung regelmäßiger miterlebt, muß sich allerdings schon die Frage stellen, ob diese Sechstklässler so politisch unreif sind wie manche Rednerinnen und Redner der im Stadtparlament vertretenen Parteien. In der Sorbonne 1968 hätten die darmstädter Politikerinnen und Politiker jedenfalls nicht den Hauch einer Chance gehabt.

1968. Die Ghettos der Schwarzen in den USA. Die Black Panther Party versucht, der schwarzen Bevölkerung ein neues Selbstbewußtsein zu verschaffen. Und sie unternimmt konkrete Anstrengungen, das soziale Elend anzugehen, etwas, wozu die weiße rassistische US-amerikanische Gesellschaft bis heute nicht willens und in der Lage ist. Lassen wir die Panther selbst zu Wort kommen:

Das Frühstücksprogramm für Kinder ist nur eines von vielen Projekten der Black Panther Partei [...]. Huey P. Newton, Gründer und Verteidigungsminister der Black Panther Partei sagt, daß die Partei in allem, was sie tut, von den fundamentalen Wünschen und Bedürfnissen des Volkes ausgehen muß. Huey sagt, die Partei sei der Ochse, auf dem das Volk reiten solle.
Wie wird die Partei vom Volk geritten? Die Panther, die das Programm durchführen, stehen an jedem Schultag gegen 6 Uhr morgens auf. Sie decken Tische, säubern Einrichtungen, kochen und bereiten das Essen, servieren, regeln den Verkehr, damit die Kinder die Straße sicher überqueren. Nach der Ausgabe des Frühstücks bemühen sich die Panther, Lebensmittel bei den Händlern zu organisieren, die ihr Geschäft in der Community betreiben, damit stets genügend Vorräte für das Programm zur Verfügung stehen.
Warum ein Frühstücksprogramm für Kinder? Nur wer zur Oberklasse oder zur sogenannten Mittelklasse gehört, stellt überhaupt eine solche Frage. Die Mehrheit der Schwarzen, der mexikanischen Amerikaner, der Asiaten und der armen Weißen weiß aus eigener Erfahrung, daß man nicht lernen kann, wenn man hungrig zur Schule geht. [2]

1968. Der Prager Frühling führt zu einem im Realen Sozialismus einzigartigen Experiment, des "Sozialismus mit menschlichem Antlitz". Ein Sozialismus, der beim Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen versucht wird zu verteidigen.

1968. Eine jugoslawische Genossin prangert das Modell der sogenannten Arbeiterselbstverwaltung an. Sie sagt:

Das Bewußtsein ist das einzige, was nicht in die Falle des Konstruktivismus geht. Das ist im Augenblick die einzige Poesie der Straße, die sich in Gang gesetzt hat. Das Minimalprogramm ist der Akt der Zerstörung: das ist der politische Akt par excellence. Dafür keine Kontrolle, keine Regel. Die Revolution kann nur alltäglich sein, wenn man gegen die Fasziantion der Macht kämpfen will. Der Wunsch zu beherrschen bleibt noch das Gesetz des Augenblicks, die Mentalität des befreiten Sklaven, der Schwindel des Gehorsams, um befolgt zu werden, die Mystik der Institutionen und die Religion der Ordnung. Den Faschismus ausmerzen und Gott sterben lassen, geschieht durch das Chaos.
Unser Leben steht auf dem Spiel, halten wir nicht an aus Angst, es zu verlieren. Die Wölfe lauern. Das Leben ist kurz. Wir sind alle Herren oder wir sind nichts. Unter dieser Bedingung wird die Arbeit ein großer Lachanfall, oder alles.
Ich liebe uns alle.
Es lebe die Macht der Arbeiterräte.
Nieder mit der jugoslawischen Selbstverwaltung. [3]

Oder ganz kurz, mit dem Leitspruch des Pariser Mai '68: "Die Phantasie an die Macht!" Nicht die öde Phantasie, die sich in virtuellen Welten austobt, in Werbespots und intergalaktischen soap operas. Die Phantasie an die Macht, das hieß ganz einfach, den Menschen ihre Kreativität wiederzugeben, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und zu verändern. Der Kapitalismus war damals keine Lösung und ist es auch heute nicht. Er zerstört alle lebendigen Prozesse, um sie verwertbar zu machen.

1968. Berlin. Fritz Teufel steht vor Gericht, weil er Flugblätter verteilt hat, in denen ein Kaufhausbrand als bestes Mittel gegen den Konsumterror benannt wurde. Kurz zuvor brannte ein Kaufhaus in Brüssel ab. Auf die Frage des Richters, weshalb er das Flugblatt geschrieben habe, antwortet Fritz Teufel:

Wir wollten den Leuten mal wieder Gelegenheit geben, die Wirrköpfe und Radikalinskis angewidert zu beobachten und nach dem Kadi zu schreien.

Der Staatsanwalt will es ganz genau wissen:

Und wenn nun irgendjemand auf den Gedanken gekommen wäre, das zu probieren, was in den Flugblättern steht, eine Zigarette in einer Umkleidekabine eines Warenhauses anzuzünden?
Ich muß sagen, es ist keiner auf den Gedanken gekommen, daß man das tun könnte – bis auf den Herrn Staatsanwalt. Der hat es aber auch nicht getan, sondern eine Anklageschrift verfaßt. [4]

Dreißig Jahre später scheint die deutsche Justiz immer noch von derselben Humorlosigkeit befallen zu sein. Sie verurteilt einen Jugendlichen, der zur Sprengung des Zufahrtsgleises des AKW Biblis aufgerufen hat, Sprengen mit der Gießkanne wohlgemerkt. Dafür wird eine Körperverletzung im Amt, begangen von einem darmstädter Polizisten im November letzten Jahres, bis heute brav im Aktenschrank aufbewahrt.

1968. Es gäbe soviel dazu zu sagen. Dafür gibt es eine Sammlung von Dokumenten verschiedenster Art: Flugblätter und andere Originaltexte oder Erinnerungen. Gesammelt hat sie Lutz Schulenburg in seinem knapp 500 Seiten starken Band Das Leben ändern, die Welt verändern! Es ist kürzlich in der Edition Nautilus erschienen und kostet 39 Mark 80.

Hinweis auf : Die Aktion, Zeitschrift für Politik, Literatur, Kunst, Heft 175/180, Edition Nautilus 1998, DM 14,00

Mehr zum Pariser Mai '68 ist in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift Die Aktion zu finden. Sie ist – als Ergänzung zum gerade genannten Buch – ebenfalls in der Edition Nautilus erschienen und kostet 14 Mark.

 

Fulminante Studierende erschüttern die Macht

Besprechung von : Paco Ignacio Taibo II – 1968 und Gerufene Helden. Ein Handbuch zur Eroberung der Macht, Verlag Libertäre Assoziation und Verlag der Buchläden Schwarze Risse/Rote Straße 1997, DM 24,00

1968. Mexico Ciudad, besser bekannt als Mexico City. Die weltweite Studentenbewegung erreicht auch die Hochschulen des mittelamerikanischen Staates mit revolutionärer Vergangenheit. Die Zeiten eines Emiliano Zapata oder Pancho Villa sind jedoch schon lange vorbei. Die PRI, die Partei der Institutionalisierten Revolution, beherrscht das Land seit fast 50 Jahren. Heute [1998] sind es knapp 80. (Ein Witz übrigens: Partei der institutionalisierten Revolution. Eine Revolution schreitet entweder voran, stürzt die verkrusteten Strukturen, verändert die Lebensverhältnisse, emanzipiert die Menschen von gesellschaftlichen Zwängen; oder sie ist nichts als eine Karikatur. In Mexico ist sie seit Jahrzehnten mehr als das. Eine demokratisch maskierte Herrschaft der Reichen und Mächtigen des Landes.)

Hunderttausende Studentinnen und Studenten gehen auf die Straßen. Kurz vor den Olympischen Spielen in Mexico 1968 wird eine dieser Demonstrationen zusammengeschossen. Ein bewußter Akt der Staatsmacht, das revolutionäre Potential dieser Bewegung zu zerschlagen. Die Studentinnen und Studenten stellen die Machtfrage. Sie wissen es bloß nicht. Aber die Staatsmacht spürt es sehr wohl, daß es um ihre Privilegien und Reichtümer geht. Sie schlägt zu. Berechnend und grausam. Die Olympischen Spiele finden dennoch statt. Kein Boykott wie zu den Olympischen Spielen 1980 in Moskau, nachdem sowjetische Truppen wenige Monate zuvor in Afghanistan einmarschiert waren. Kein weltweiter Aufschrei wie beim Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989. Es kommt eben immer darauf an, wer wen zusammenschießen läßt.

Paco Ignacio Taibo II beschreibt in seinen Erinnerungen zu 1968, was damals die mexikanische Gesellschaft erschütterte. Wer heute hingeht und behauptet, daß die 68er eine hedonistische Protestbewegung waren, mehr Hippie als politisch, verdreht bewußt die Tatsachen. Taibo belegt sehr eindringlich, daß es um mehr als nur ein bißchen mehr Spaß ging. Auch in Mexico. Es fing in einer Nische der mexikanischen Gesellschaft an. Jugendliche ohne Bezug zur eigenen Gesellschaft begannen, sich zu radikalisieren. Taibo schreibt:

Wir waren nicht besonders viele. Die Linke, der fortschrittliche studentische Kreis im Talkessel von Mexiko, bestand aus einem Ghetto von einem Dutzend Schulen [...]. Wir engagierten uns im alten Stil, auch wenn wir nach dem neuen lebten. Wir waren sektiererisch. Der Feind war groß, fremd, weit entfernt. Der Staat war eine Abstraktion aus Büchern, deshalb war es besser, sich nicht enden wollenden Streitgesprächen mit den Pseudofreunden zu widmen, den Nachbarn der Partei von nebenan, der Sekte von der Ecke, den Gläubigen des Parallelkultes. Wir waren bereit, unendliche ideologische Kriege zu führen, unlesbare Zeitungen herauszugeben, die von Zitaten von Lenin und Mao, Trotzki oder Bakunin strotzten, je nach dem Club, zu dem wir gehörten. [...] Wir alle hatten ein Pseudonym, obwohl wir alle unsere wirklichen Namen wußten. Es gab reine und unreine Spartakisten, Maoisten und Neomaoisten, ungefähr vier Varianten von Trotzkisten (darunter einige halbe Marienanbeter, die die Aufgaben des Proletariarts für »vor, während und nach dem dritten thermonuklearen Krieg« propagierten) und selbstverständlich die ewigen Menschewiken der KP [...]. Aus der Distanz betrachtet, waren wir ehrlich gesagt seltsam. Eine vom Aussterben bedrohte Spezies von Parteigängern obskurer Religionen, die wir uns ebensogut an die Gurgel hätten gehen können, indem wir die Varianten einer Kommasetzung in den Manuskripten des Toten Meeres diskutierten, wie wir uns in den nicht enden wollenden internen Kämpfen zerrissen, die sich in einer Gesellschaft ohne Zuschauer abspielten. [5]

Waren die 68er wirklich nur seltsame Figuren, die dem Rest der Gesellschaft unverständlich bleiben mußten? Taibo verneint dies. Er beschreibt, wie im Verlauf des Jahres 1968 obskure studentische Zirkel eine gesellschaftliche Dynamik entfalteten, die von anderen Sektoren dieser mexikanischen Gesellschaft verstanden und unterstützt wurden. Darin lag die Brisanz dieser Bewegung für die Staatsmacht. Taibo dazu:

War die Regierung vorausschauender als wir? Ahnten sie das Entstehen einer großen Studentenbewegung und wollten sie zerstören, bevor sie entstand? [...] Wir hatten von ihr gesprochen, von der »Bewegung«. Vitale Anzeichen sprachen für ihre Möglichkeit, aber nur die Tatsache, daß auch »sie«, der unsichtbare Feind, an sie glaubten, konnte sie in ihrer Existenz bestätigen. Der Pariser Mai hatte die Titelseiten der Zeitungen gefüllt, brüderlich vereint mit dem Prager Frühling, der Studentenbewegung in Brasilien, der Besetzung der Columbia-Universität in New York, dem argentinischen Cordobazo [6]. Glaubten die Typen wirklich an die Möglichkeit internationaler Ansteckung? Glaubten sie an den Virus, an den wir glaubten, ohne zu glauben? Dies hier war Mexiko, meine Herren. Das kann hier nicht passieren. [7]

Die Staatsmacht schlägt zurück: mit Tränengas und Panzerfäusten, mit den üblichen Lügen und mit Unterstützung der Presse. Es gibt Tote und Verletzte, Verhaftungen und Durchsuchungen. Aber die Bewegung läßt sich nicht einschüchtern. Taibo weiter:

Am 31. Juli nahmen wir massiv die Straße. Die Regierung hatte einige der besetzten Schulen zurückgegeben, aber sie hatte auch neue Angriffe gegen andere [...] gerichtet. In ihrem Delirium hatten sie Polizeihunde gegen die Studenten gehetzt. Die Demonstration ging von der Universitätsstadt aus, an der Spitze der Rektor der Universität. Ihre Kampfachse war die Autonomie der Universität, aber wir wollten mehr. Hunderttausend Studenten gingen auf die Straße [...] an einem Regennachmittag. [...] Dutzende von Panzerwagen, Polizeipatrouillen, Grenadierbataillone, Militärtransporter, Soldaten mit gezücktem Bajonett. Der Zócalo [8] war uns verboten. Aber wir waren Tausende und Abertausende, unendlich viele, endlich einig. Der Höhepunkt: der Vorbeimarsch der Studenten an den Mehrfamilienhäusern – und dann der Konfettiregen, den die Bewohner warfen. Alle schauten in den Himmel, um den Regen und die bunten Papierschnipsel fallen zu sehen. Wir waren nicht allein. [Präsident] Díaz Ordaz bot am selben Nachmittag in einer Rede von der Stadt Guadalajara aus den Studenten seine ausgestreckte Hand im Austausch gegen den Rückzug an. Die ausgestreckte Hand, wenn du um Verzeihung bittest. Die zu erwartende Antwort erschien am nächsten Tag in Tausenden von Graffitis und Plakaten: Untersucht die ausgestreckte Hand auf Schmauchspuren. [9]

Mexikanische Eigenarten? Nun, Politiker und ihre Medien logen auch hierzulande in den 60ern. Der Schuß auf Benno Ohnesorg wurde anfänglich mit einem schwer verletzten Polizisten begründet. Eine Lüge, um die eigene Härte zu legitimieren. Derartige Lügen sind in diesem Land bis heute normal. Also keine mexikanische Eigenheit. Wir mit den Lügen der Medien umgegangen werden kann, beschreibt Taibo in seinen Erinnerungen des Mexicos von 1968 so:

Die Unterwerfung der Medien unter die Zentralmacht ist in unserer modernisierten Gesellschaft erstickend geworden, 68 war diese Tatsache noch überraschend. Radio, Fernsehen und Presse machten mit einer der bananigsten der Bananenrepubliken würdigen Einhelligkeit die offizielle Version zu ihrer eigenen, veränderten die Zahlen, manipulierten Informationen oder Bilder, boten Raum für die Erklärungen der einen und verweigerten sie der anderen Seite. Unter diesen Bedingungen entstand Radio Gerücht. Radio Gerücht war unbekannter Herkunft, verbreitete sich in malthusianischer Progression und setzt der offiziellen Information etwas entgegen. Radio Gerücht war alles, nur nicht objektiv. Im Rahmen seiner relativen Wahrheitstreue war es einseitig, übertrieben, extrem, schrill. Vor allem, weil es unkontrollierbar war. Die Bewegung verfügte über Tausende von Straßenrednern, Millionen von Flugblättern, überzog die Wände, Zäune und Busse der Stadt mit Graffitis, führte die nächtliche Unterhaltung, in der Verwandte, Freundinnen, Nachbarn indoktriniert wurden. Das war die Peripherie des Aktivismus. Von dort kam Radio Gerücht. Land von allen und niemandem, absolut demokratisch, häufig irrational, entschlossen mexikanisch. Die Armee schoß auf eine Studentenbrigade vor dem Tor der Azcapotzalcoraffinerie, es kam zu Zusammenstößen mit den Raffineriearbeitern. Daraus entstand das Gerücht, in der Raffinerie sei ein Streik ausgebrochen, und es kam zu den entsprechenden Schlangen vor allen Tankstellen. Manchmal war Radio Gerücht präzise, es übertrieb nicht immer. Die Presse streute die Information, ein Student der Handelsschule [...] sei gestorben, weil er schlecht-gewordene Käsetorte gegessen habe. Radio Gerücht wußte, daß er an [einer] Gehirnerschütterung gestorben war, die von einem Schlagstock herrührte, den ihm ein Grenadier übergezogen hatte. Radio Gerücht war ungenau, vage, es wußte weder den Namen des Studenten noch sein Alter, aber es verbreitete mit absoluter Genauigkeit, daß der tote Student einen gelben Pullover getragen hatte. [...] Radio Gerücht war das einzige, das von den Toten von Tlatelolco wußte, war das einzige, das sagte, daß die Körper in einem Hangar des militärischen Teils des Flughafens aufgereiht waren, war das einzige, das von dem Flug über den Golf von Mexiko wußte, wo die Leichen der ermordeten Studenten abgeworfen wurden; das einzige, das sie zählte und ihnen Namen gab, der erste wirkliche Widerstand gegen das Vergessen. [10]

Ich könnte ewig so weiter aus dieser Geschichte von Paco Ignacio Taibo II vorlesen; der Mann kann einfach schreiben. Statt dessen erzähle ich die Geschichte kurz zu Ende. Am 2. Oktober, kurz vor Eröffnung der Olympischen Spiele, greift die Armee eine Kundgebung in Tlatelolco an. Mehr als 400 tote Studentinnen und Studenten bleiben zurück und werden in der folgenden Nacht über dem Golf von Mexiko abgeworfen. Die Bewegung ist zerschlagen, tot, verletzt, verhaftet oder auf der Flucht.

Taibos Erinnerungen an 1968 sind in dem Buch 1968 / Gerufene Helden abgedruckt. Es ist als Gemeinschaftsausgabe der Verlage Libertäre Assoziation, Schwarze Risse und Rote Straße erschienen und kostet 24 Mark. Wegen der ersten Geschichte, aus der ich vorgelesen habe, möchte ich es als Sommerlektüre empfehlen. Wegen der zweiten Geschichte mit dem Titel Gerufene Helden. Ein Handbuch zur Eroberung der Macht allerdings nicht.

Taibo nennt sie einen Abenteuerroman. Er spielt im Mexiko der Jahre 1969/70, nach dem Massaker von Tlatelolco. Die Hauptfigur liegt im Krankenhaus und ruft seine Freunde. Diese Freunde sind Helden aus Romanen: d'Artagnan, Sandokan, Sherlock Holmes, Winnetou, Wyatt Earp und viele andere. Sie kommen nach Mexico Ciudad und richten ein einziges Blutbad an den Repräsentanten der Macht und ihren Polizisten und Soldaten an. Die Geschichte ist in ihrer Konsequenz eine männliche Gewaltphantasie, sicher auch Ausdruck der Hilflosigkeit und Ohnmacht. Aber eine Geschichte, die besser nicht geschrieben worden wäre. Gewalt hat nur in den seltensten Fällen emanzipative Züge. Hier, in diesem Buch, sicher nicht, hier geht es nur um Rache.

 

Überleben gegen den Wahnsinn der Mächtigen

Besprechung von : Monika Berberich / Irene Rosenkötter (Hg.) – »Aber wir haben immer auf das Leben gesetzt ...«, Verlag Libertäre Assoziation 1998, DM 29,00

1968. Uruguay. Oder auch die Jahre zuvor und danach.

Die 60er Jahre bedeuteten für Uruguay, das in den 40er und 50er Jahren die »Schweiz Amerikas« genannt wurde, einen Übergang zur wirtschaftlichen Stagnation, insbesondere der Land- und Viehwirtschaft. 1959 wurde die erste »Absichtserklärung« mit dem Internationalen Währungsfonds unterschrieben, womit die Außenverschuldung und eine restriktive Finanzpolitik ihren Anfang nahmen. Gleichzeitig blühte die Finanzspekulation.
Das politische System Uruguays drehte sich um zwei traditionelle Parteien – die Colorado-Partei und die Nationale Partei –, die als historische Rivalen die Geschichte des Landes prägten. Die übrigen Parteien waren in der Minderheit [...].
Infolge der Wirtschaftskrise wurden wichtige Fabriken [...] geschlossen, die Tausende von Arbeitern beschäftigten. [...] Die Inflation ging mit dem Kaufkraftverlust für die lohnabhängigen Schichten einher. [...] Die Unzufriedenheit und die Ausgrenzung, die Armut und der Kaufkraftverlust der Arbeiter und der Mittelschicht brachten Protestbewegungen hervor. Die linken Parteien wuchsen [...].
Anfang der 60er Jahre wurden verschiedene Aktionsvorschläge diskutiert: Die Nationale Befreiungsbewegung (MLN/Tupamaros) und die OPR 33 traten für den bewaffneten Weg ein und bildeten Stadtguerillagruppen, die 1966 ans Licht der Öffentlichkeit traten. [11]

Sonia Mosquera gibt diesen kurzen geschichtlichen Überblick als Rahmen für ein ungewöhnliches Buch. Monika Berberich, selbst jahrelang politische Gefangene in der BRD, und Irene Rosenkötter haben einen Band mit Gesprächen herausgegeben, in dem sie Frauen aus Uruguay über ihre Zeit in den Gefängnissen der Militärdiktatur befragten.

Die Militärs beherrschten von 1973 bis 1985 das Land; es war der Versuch, jede linke und revolutionäre Bewegung mit allen Mitteln zu zerschlagen. Trotz vieler Ermordeter und Verschwundener, Gefolterter und Inhaftierter haben sie ihr Ziel nicht erreicht. Auf Druck des uruguayischen Volkes mußten sie die Macht an eine zivile Regierung zurückgeben; und das Volk holte sich seine Gefangenen aus den Knästen zurück. Frauen aus verschiedenen Organisationen wurden eingesperrt und gefoltert. Das Regime versuchte, sie in den Wahnsinn zu treiben. Über die Methoden sagte Gloria Etcheveste:

Eine Compañera haben sie [...] derart verrückt gemacht, daß sie sich nach der Entlassung psychisch nicht mehr erholte. Ich glaube, sie wollten ein Irrenhaus schaffen. Sie steckten die schlimmsten psychischen Fälle in einen Sektor mit zehn Leuten zusammen, denen es auch schlecht gegangen war, die sich aber erholt hatten, und mit weiteren zehn, die eine schwierige psychische Struktur hatten, nervös und wenig belastbar waren, und wieder mit anderen, die wie ich keinerlei Probleme hatten, und trachteten danach, daß alle den Verstand verlören. Aber niemand verlor den Verstand, den Verrückten ging es besser, und wir lernten, von Grund auf solidarisch zu sein. Das war eine der positivsten Erfahrungen, die ich im Gefängnis gemacht habe. [12]

Aber das war nicht einfach. Immer überwacht von Soldatinnen und Soldaten, die genau beobachteten, welche Gefangene es nicht aushielt. Immer so zu tun, als sei eine bestimmte Mitgefangene eben nicht psychisch erkrankt, um sie dem Zugriff der Militärs zu entziehen. Sich umeinander kümmern, ohne auffällig zu werden. Als hätte ein Psychiater ein grausames Experiment ersonnen. Dazu Ivonne Trías:

Ich glaube nicht, daß es einen Zerstörungsplan oder eine ernsthafte Studie darüber gab, wie die uruguayischen Gefangenen zu behandeln seien. Nichtsdestotrotz gab es einen Apparat, der, einmal zum Laufen gebracht, Resultate zeigte. Jede wie auch immer geartete Gruppe von Menschen, die auf kleinem Raum eingesperrt und gezwungen ist, 24 Stunden des Tages zusammen zu verbringen, erlebt unvermeidlich Konflikte. Wenn diese Gruppe außerdem Druck ausgesetzt ist, steigt die Konfliktivität. Um das zu wissen, muß man keine militärischen Strategien gelesen haben. Die Möglichkeit, die Gruppen willkürlich zusammenzustellen, schuf zusätzlichen Konfliktstoff.
Was konnten wir diesen Mechanismen entgegensetzen? In erster Linie die Tatsache, daß wir ein Kollektiv waren, das sich der Situation bewußt war und die Prozesse studierte, die sich dort abspielten. Wir reflektierten über unsere Reaktionen und die Wirkung, die sie in der Gruppe hatten. Wir hatten uns [...] entschieden, daß alles, was einer Compañera zustieß, unser aller Sache sei, und so installierten wir eine Reihe von Schutzmaßnahmen, die die Auswirkungen der Repression lindern sollten. [13]

Cecilia Duffau bringt die Absicht der Militärs auf einen kurzen Nenner:

Im Gefängnis versuchen die nicht, deine Ideen zu verändern. Sie versuchen, deine Persönlichkeit zu zerstören, damit, wenn du rauskommst, deine Handlungsmechanismen zerstört sind. Was du denkst, ist uninteressant. [14]

Es ist kein glattes Buch. Die zwölf interviewten Frauen widersprechen sich zuweilen. Aber nur so werden alle Facetten dieses Überlebenskampfes im Knast sichtbar. Aber das Buch enthält mehr als das. Die Frauen erzählen über den Machismo ihrer Compañeros in den 60ern wie in den 90ern. Sie erzählen über ihre Schwierigkeiten, als Frau ernst genommen zu werden. Darüber, daß sie als Mädchen eingeknastet wurden, und als sie rauskamen, keine Kinder mehr bekommen konnten. Sie berichten vom Alltag in den revolutionären Bewegungen vor der Militärdiktatur, über Solidarität und Widerstand im Knast, über den schwierigen Alltag danach. Über den Unterschied der Gefangenschaft von Männern und Frauen noch einmal Gloria Etcheveste:

Die Männer hatten viel mehr Tabuthemen. Auch Gefühle auszudrücken, wie den Schmerz über die Trennung, oder ihre Zweifel – und sie hatten viele –, das war tabu. Die Compañeras kamen mit 23 Jahren ins Gefängnis und als Frauen raus, die keine Kinder mehr kriegen konnten, die in der Menopause waren; wunderschön kamen sie rein und als Alte raus; gezeichnet von den erlittenen Schmerzen, kaputte, physisch angegriffene Frauen. Aber wir hatten uns schon im Knast damit auseinandergesetzt, hatten die Probleme kollektiviert, sie nicht tabuisiert. Dazu gehört Mut, sich damit zu konfrontieren, diese Ängste zu teilen. Das hilft uns heute noch, auch wenn wir andere Probleme haben und nicht die tollen Wesen sind. Ich glaube, bei den Männern war das anders, sie teilten ihre Ängste und Nöte nicht miteinander. Und sie haben auch dieses Bild vom Mannsein verinnerlicht: »Ein Mann weint nicht«, dabei sind sie sehr gezeichnet und auch unglücklich. [...]
Ich glaube, daß viele Compañeros im Gefängnis alt geworden und ihre Gefühle wie versteinert sind. Viele hatten Angst, ihrer Rolle als Mann nicht mehr zu genügen. Hatten Angst, daß die Quälerei sie zerstört, die Jahre der Isolation ihnen geschadet hatten. Und ich glaube, daß sie diese Dinge nicht miteinander teilten. Sie befaßten sich beim Hofgang nicht damit, zu sagen: »Schau, ich hab dieses Problem«, während wir viele Hofgänge damit verbrachten. Die Leute vom Internationalen Roten Kreuz hatten den Eindruck, daß wir Frauen uns gegenseitig therapierten, wenn es auch etwas anderes war. [15]

Aber auch wenn die Verhältnisse in Uruguay heute andere (und sicher nicht bessere) sind als vor 30 Jahren, so lebt doch auch in diesen Frauen der Traum von einer besseren Welt weiter.

Der Interviewband mit Frauen aus Uruguay heißt »Aber wir haben immer auf das Leben gesetzt ...«. Die Herausgeberinnen sind Monika Berberich und Irene Rosenkötter. Erschienen ist das Buch im Verlag Libertäre Assoziation und es kostet 29 Mark.

Zwei Tupamaros, Mauricio Rosencof und Eleuterio Huidobro, die jahrelang als Staatsgeiseln unter unvorstellbaren Haftbedingungen überlebten, haben vor einiger Zeit ihre Sicht der Dinge zu lesen gegeben. Ihr Buch ist auf eine andere Weise spannend zu lesen, es ist ein Zwiegespräch, das die Erinnerungen wach werden läßt. Es heißt Wie Efeu an der Mauer und ist ebenfalls im Verlag Libertäre Assoziation erschienen. Es kostet 28 Mark. [16]

 

Schluß

Jingle Alltag und Geschichte –

heute über 1968. Zum Schluß kurz noch einmal die in dieser Sendung vorgestellten Bücher:

  • Lutz Schulenburg hat den Band über 1968 Das Leben ändern, die Welt verändern! in der Edition Nautilus herausgegeben. Er kostet 39 Mark 80.
  • Als Ergänzung zum Pariser Mai '68 ist ebenfalls in der Edition Nautilus die Zeitschrift Die Aktion herausgekommen. Das Heft 175-180 kostet 14 Mark.
  • Ein literarischer Leckerbissen ist Paco Ignacio Taibo II's 1968 und Gerufene Helden. Ein Handbuch zur Eroberung der Macht. Es ist als Gemeinschaftsausgabe der Verlage Libertäre Assoziation und dem Verlag der Buchläden Schwarze Risse / Rote Straße erschienen; er kostet 24 Mark.
  • Beeindruckend auch das von Monika Berberich und Irene Rosenkötter herausgegebene Buch »Aber wir haben immer auf das Leben gesetzt ...«. Es ist im Verlag Libertäre Assoziation erschienen und kostet 29 Mark.

Hinweisen möchte ich noch auf meine Sendung am Mittwochabend um 19 Uhr. Das Thema heißt Atlantis – Mythos oder Wirklichkeit? Dort werde ich eine Gratwanderung zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und esoterischem Unfug versuchen. Wo Atlantis wirklich gelegen hat, oder gelegen haben könnte, werde ich dann verraten.

Meine Virtuelle Zitrone für besonders schlechten Journalismus werde ich dort verleihen und nicht, wie gewohnt, im Rahmen der Reihe Kapital und Arbeit. Diesmal trifft es ausnahmsweise keinen Redakteur meiner Lieblingszeitung. Am Mikrofon verabschiedet sich Walter Kuhl.

 

 

ANMERKUNGEN

 

[1]   Maurice Brinton : Der Rat der Sorbonne, in: Lutz Schulenburg (Hg.) : Das Leben ändern, die Welt verändern!, Seite 264-266
[2]   Black Panther Party : Das Frühstücksprogramm, in: Lutz Schulenburg (Hg.) : Das Leben ändern, die Welt verändern!, Seite 429
[3]   Eine jugoslawische Genossin, die viel weiß : Wir sind nichts, wir werden alles, in: Lutz Schulenburg (Hg.) : Das Leben ändern, die Welt verändern!, Seite 225-226
[4]   Moabiter Seifenoper – Einlassung zur Sache Teufel und Langhans, in: Lutz Schulenburg (Hg.) : Das Leben ändern, die Welt verändern!, Seite 60
[5]   Paco Ignacio Taibo II : 1968, Seite 14
[6]   Bewaffneter Aufstand der Arbeiterinnen und Arbeiter im argentinischen Cordoba.
[7]   Paco Ignacio Taibo II : 1968, Seite 19
[8]   Der große Platz vor dem mexikanischen Präsidentenpalast.
[9]   Paco Ignacio Taibo II : 1968, Seite 25-26
[10]  Paco Ignacio Taibo II : 1968, Seite 35-37
[11]  Monika Berberich / Irene Rosenkötter, »Aber wir haben immer auf das Leben gesetzt ...«, Seite 259-260
[12]  Monika Berberich / Irene Rosenkötter, »Aber wir haben immer auf das Leben gesetzt ...«, Seite 59
[13]  Monika Berberich / Irene Rosenkötter, »Aber wir haben immer auf das Leben gesetzt ...«, Seite 183
[14]  Monika Berberich / Irene Rosenkötter, »Aber wir haben immer auf das Leben gesetzt ...«, Seite 258
[15]  Monika Berberich / Irene Rosenkötter, »Aber wir haben immer auf das Leben gesetzt ...«, Seite 68-69
[16]  ... und es ist eins der unglaublichsten Bücher, das ich kenne. Unbedingt lesenswert!

 

 

Diese Seite wurde zuletzt am 23. März 2005 aktualisiert.
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