Beiträge Juli bis Dezember 1998

 

 
  • Es folgt eine Übersicht über meine redaktionellen Beiträge für Radio Darmstadt zwischen Juli und Dezember 1998. Dabei handelt es sich oft um Buchbesprechungen, aber auch um Tips und tagesaktuelle Beiträge.
     
  • Eine Gesamtübersicht aller Beiträge mitsamt ihrer Sendezeiten und Sendeplätze gibt es HIER.
     
  • Kompliziert ist hingegen die Regelung, wann die einzelnen Beiträge wiederholt worden sind. Aber auch HIER ist Abhilfe möglich.
     
  • HIER geht es zum ersten Beitrag im Juli 1998 und auf dieser Seite.
     
 
 
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Fußball-Weltmeisterschaft 1998

Heute ist der erste fußballfreie Tag seit langem. Zeit, sich zurückzulehnen und darüber nachzudenken, was da eigentlich abläuft.

Horden junger Männer laufen durch Frankreichs Straßen und manchmal verspüren sie so richtig Lust, ihrem Männlichkeitswahn Ausdruck zu verleihen. Hooligans sind keine Schande für welche Nation auch immer – Hooligans sind ganz normale junge Männer, die sich ganz normal abreagieren möchten. Eine Gesellschaft, die Gewalt verinnerlicht hat und tagtäglich zum Ausdruck bringt, darf sich nicht wundern, wenn die in den Medien zelebrierten Gewaltphantasien auch einmal ausgelebt werden.

Überhaupt ist es ein Fest für Männer; Frauen kommen allenfalls als Staffage vor.

Über die Leistungen der an der WM beteiligten Mannschaften will ich aber nicht so viel sagen. Die interessantesten Teams sind schon ausgeschieden und die große Langweile zieht ein. Daß eine Dumpfdeppenmannschaft wie die deutsche sich wieder einmal durch das Turnier wurschtelt, darf nicht verwundern. Kaum eine Mannschaft beherrscht das Spielen ohne Ball und ohne Intelligenz so gut wie die deutsche. Kein Wunder, daß dann auch typisch deutsche Tugenden wie Kampfgeist im Vordergrund stehen und von den Reportern bewundert werden.

Passend dazu auch ein Werbespot. Die deutsche Nationalmannschaft fährt im Reisebus und Reiseleiter Jürgen Klinsmann erklärt, daß gleich der Eiffelturm zu sehen sein müßte. Statt dessen erscheint der Schiefe Turm von Pisa. Ja, so bescheuert können eben nur deutsche Fußballer sein, das Reiseziel glatt zu verfehlen und damit auch noch werbewirksam im Fernsehen zu erscheinen. Wie ich schon sagte – Dumpfdeppenmannschaft. Aber mit dem Handy telefonieren können sie halt überall.

Die wirklich interessanten Teams sind leider schon draußen: Nigeria, Kamerun und vor allem Marokko. Was mich bei diesen Mannschaften beeindruckt hat, waren Spielintelligenz und Spielwitz. Aber was nutzt das, wenn der Torwart permanent danebengreift. Das tut Köpke zwar auch; aber wie sagte der englische Fußballspieler Gary Lineker so richtig:

Fußball ist ein Spiel mit 22 Spielern, einem Schieds- und zwei Linienrichtern, die den Spielfluß hemmen. Und am Ende gewinnen immer die Deutschen.

Wollen wir hoffen, daß es diesmal nicht so weit kommt. Noch mehr Autokorsos von deutschen Blödmännern brauchen wir nun wirklich nicht. Das kollektive Rumgeschrei, wenn ein deutsches Tor gefallen ist, ist schon schlimm genug. Aber warum müssen anschließend noch Autos durch die Innenstadt fahren, die dort verweilenden Menschen belästigen und auch noch die Luft verpesten? Hat die deutsche Nationalmannschaft die Fans, die sie verdient? Es scheint so. Dumpfdeppen eben.

 


Anti-AKW–Sommercamp

Der Beitrag zu den darmstädter StadtpiratInnen und zum Anti–AKW–Sommercamp 1998 ist nicht erhalten.

 


Prozeß gegen Bastian Ripper
Der partei- und fraktionslose Stadtverordnete Bastian Ripper wurde vor anderthalb Stunden vom Amtsgericht Darmstadt zu einer Geldstrafe von 2400 Mark verurteilt. Er war angeklagt, während einer Schülerdemonstration am 16. September vergangenen Jahres in eine Klasse in der Justus-Liebig-Schule eingedrungen zu sein. Dies wertete Richter Rathgeber als Hausfriedensbruch. Die damalige Demonstration schlug hohe Wellen, da aus dieser Klasse Sechstklässler für die Demonstration geholt wurden. Die Demonstration richtete sich gegen atomare Brennelementetransporte durch Darmstadt. Die Höhe der Strafe von 2400 Mark soll Bastian Ripper und andere Jugendliche zukünftig davon abhalten, ähnliche Aktionsformen zu wählen.

 


Virtuelle Welten

I. Ihr kennt das ja – das Weltall, unendliche Weiten. Was in den 60er Jahren als kleine und nicht übermäßig erfolgreiche Fernsehserie begann, hat sich längst zum Kult ausgewachsen. Aus den Stories um Captain Kirk und Commander Spock ist ein ganzes Universum geworden. Eine virtuelle Welt sozusagen. Es soll Menschen geben, die besser über die Trinkgewohnheiten der Klingonen Bescheid wissen als über ihre eigene ganz reale Lebenswelt.

Was ist das Faszinierende an dieser künstlichen Welt? Das frage ich mich auch immer wieder, wenn ich mir überlege, warum ich mir die ganzen neuen Folgen von Deep Space Nine oder Voyager reinziehe. Ich denke, die Flucht vor der Realität unseres Alltags und das Eintauchen in eine künstliche, aber überschaubare Materie mag ein wichtiger Grund sein.

Die wilden 60er und 70er Jahre sind vorbei. Aufbegehren gegen Ausbeutungsverhältnisse, Konsumterror oder Unterdrückungsmechanismen in Schule und Beruf gibt es so nicht mehr. Viele wissen heute nicht mehr, daß es einmal ganz reale Utopien jenseits von Entfremdung, Ausbeutung und Herrschaft gegeben hat. Die 68er werden 30 Jahre später noch ein wenig abgefeiert, aber eher so, daß sie gescheitert sind. Der Kapitalismus hat die Systemkonkurrenz überlebt und scheinbar gibt es keine Alternative zum Bestehenden mehr. Aufbegehren ist allenfalls noch als lifestyle denk- und konsumierbar.

Die Linke der 60er und 70er, erst recht der 80er Jahre hat aber gerade hier an einem wichtigen Punkt versagt. Ihr ist es nicht gelungen zu vermitteln, daß es eine andere Lebensperspektive als die im Kapitalismus geben kann; mehr noch, sie hat keinen glaubwürdigen Schritt gemacht, um das auch vorzuleben.

Vieles hat sich sicher seit den muffigen Verhältnissen der 60er verändert; aber vieles ist auch geblieben, verschärft sogar. Aber es kümmert nicht mehr. Jährlich sterben 7 Millionen Kinder, die nicht sterben müßten, an Hunger und heilbaren Krankheiten. Verzweiflung und Perspektivlosigkeit führen zu Zerstörung und Selbstzerstörung. Gewalt scheint die einzige Perspektive zu sein, da hinauszukommen. Es ist eine männliche Perspektive. Wenn Männer vor Problemen, vor allem sozialen Problemen stehen und nicht weiter wissen, versuchen sie es mit Gewalt. Das ist die Welt von heute.

Und die heutige Welt ist undurchschaubar geworden. Kaum noch eine oder einer macht sich die Mühe zu analysieren, warum die Welt ist, wie sie ist, und wer ein Interesse an der Aufrechterhaltung von Ungerechtigkeit und Unterdrückung hat. Statt dessen werden einfache Lösungen herangezogen, die den Vorteil haben, sich nicht selbst zum handelnden Subjekt gegen diese ungerechten Zustände machen zu müssen. Es ist halt bequemer, Verschwörungstheorien zu folgen. Ob es nun die X Files sind oder die antisemitischen Bücher eines Jan van Helsing – dunkle Mächte beherrschen uns. Und die Perspektiven dagegen? Hineingleiten in esoterische Welten, das Zelebrieren von Events oder die Erschaffung fiktiver, virtueller Welten.

Star Trek ist die Welt von übermorgen. Die Fiktion will es, daß auf der Erde Hunger und Armut beseitigt sind; Geld spielt keine Rolle mehr. Dunkle Mächte, die uns beherrschen, gibt es nicht mehr, statt dessen können wieder richtige Männer sich an den den Grenzen des Universums behaupten und mutig neuen Gefahren entgegensehen.

Gut, einige Frauen gibt es auch, inzwischen sogar als Captain eines Föderationsraumschiffs. Aber sie verhalten sich sehr klischeehaft. Entweder sind sie Helferinnen und üben typische Frauenberufe aus und dürfen ab und zu auch einmal etwas sagen (wie Deanna Troi und Beverly Crusher), oder sie übernehmen männliche Verhaltensmuster wie es bei Captain Janeway zu beobachten ist. Ab und an klingt in den einzelnen Folgen an, daß Frauenunterdrückung kein Thema mehr ist, aber die real sichtbare Realität beweist permanent das Gegenteil. Es ist eben eine männliche Welt, in der sich Frauen einzupassen haben.

Und das Böse ist auch immer präsent: waren es früher die Klingonen oder Romulaner, sind es heute die Borg oder das Dominion mit seinen Jem Hadar. Im Laufe der 31 Jahre Star Trek ist das Universum allerdings vielschichtiger geworden als zu den Zeiten eines Captain Kirk, der die Hauptdirektive nach Gutdünken interpretierte. Klingonen sind nicht immer böse und die Sternenflotte scheint manchmal ein ganz normaler Haufen druchgeknallter militärisch gedrillter Idioten zu sein.

 

II. Meine Lieblingsfolge heißt Darmok. Sie ist der absolute Beweis dafür, daß die Sternenflotte sich in nichts vom heutigen Militär unterscheidet. Stur, dumm, verständnislos; kein ernsthafter Wille, sich vorurteilsfrei und offen mit einer fremden Kultur zu befassen; und eben dies: taucht ein Problem auf, wird geschossen. Commander Riker ist die absolut geniale Verkörperung dieses Typus. Die Geschichte geht so:

Ein Raumschiff der Tamarianer sendet am Grenzbereich des Föderationsraums ein Signal aus. Offensichtlich besteht bei ihnen der Wunsch nach Kommunikation. Föderationsraumschiffe sind in den letzten hundert Jahren sieben Mal auf die Tamarianer getroffen, aber eine Verständigung war unmöglich. Worf, der Klingone an Bord der Enterprise, sagt dazu folgerichtig: Ein Grund zur Besorgnis. Sie könnten durchaus unsere Grenzen bedrohen.

Captain Picard erwidert jedoch: Aber ist ihre Sprache wirklich so unverständlich? Nach meiner Erfahrung braucht es zur Kommunikation viel Geduld – und viel Phantasie. Ich nehme doch an, daß dies Qualitäten sind, über die wir in ausreichendem Maße verfügen.

Das wird sich schnell als eine selbstgerechte Illusion erweisen. Die Enterprise erreicht das fremde Raumschiff und die Kommunikation beginnt. Die Sätze der Tamarianer sind mit Hilfe des Universaltranslators verständlich, aber ergeben keinen Sinn: Rai und Zhiri auf Lungar. Rai von Lowani. Lowani unter zwei Monden. Zhiri von Uvaya. Uvaya der gekreuzten Wege, auf Lungar. Lungar, ihr Himmel blau.

Die Besatzung der Enterprise steht vor einem Rätsel. Picard äußert [den Tamarianern gegenüber] folgenden ungemein intelligenten Vorschlag: Captain! Ich würde Ihnen gerne etwas vorschlagen. Würden Sie einen gegenseitigen Nichtangriffspakt zwischen unseren Völkern in Betracht ziehen, der möglicherweise zu einer Handelsvereinbarung und zu kulturellem Austausch führt? Wäre das eine annehmbare Verhandlungsbasis für Sie? Naja, er erntet daraufhin nur Gelächter.

Dathon, der Kommandant der Tamarianer, beschließt, das Problem so anzugehen, daß die blöden Föderationsoffiziere endlich mal kapieren, worum es geht. Er beamt sich und Picard auf einen nahegelegenen Planeten. Dieser Versuch, Kommunikation zu ermöglichen, wird jedoch sogleich als Feindseligkeit interpretiert. Sowohl von Picard auf dem Planeten wie auch von Riker auf der Enterprise.

Dathons Plan ist folgender: er und Picard sollen im gemeinsamen Kampf gegen ein Ungeheuer auf dem Planeten Grundlagen einer gemeinsamen Verständigung lernen. Als Muster gilt eine mythische Überlieferung, wonach Darmok und Jalad auf Tanagra auf ähnliche Weise Freunde geworden waren. Der Plan gelingt auch, aber Dathon wird dabei getötet. Picard begreift, daß die Tamarianer sich über Metaphern verständigen und daß die Sternenflotte mit all ihrer wissenschaftlichen Weisheit ohne Dathons Hilfe nie darauf gekommen wäre. So viel zum Thema Offenheit gegenüber fremden Kulturen.

Lustig ist die Szene, in der Picard abends versucht, Feuer anzuzünden, dabei kläglich scheitert und auf die Hilfe von Dathon, der es sich am warmen Feuer gemütlich macht, angewiesen ist.

Und was macht Riker? Er versucht, Picard vom Planeten zurückzuholen, und, als dies scheitert, läßt er auf das tamarianische Raumschiff feuern. Wie dumm nur, daß die Fremden die besseren Waffen haben. Na ja, wie das Drehbuch es will, schafft es die Enterprise doch, Picard an Bord zu holen, der den Tamarianern begreiflich machen kann, daß er etwas gelernt hat. Die Tamarianer sind erst einmal zufrieden und lassen die Enterprise ziehen.

 

III. Das künstliche Star Trek Universum ist voller Überraschungen. Und da Hunderte von Drehbuchautorinnen und -autoren daran mitgewirkt haben, ist es nur folgerichtig, daß es so manche Ungereimtheiten gibt. Es gibt Star Trek Fans, die nichts Besseres zu tun haben, als diesen Ungereimtheiten einer virtuellen Welt nachzugehen. Den Problemen dieser Welt nachzugehen, könnte ja auch anstrengend sein.

Das sind zum Beispiel Probleme bei der Filmproduktion. In der Totalen hält Kirk einen Gegenstand in der rechten Hand, beim Zoom plötzlich in der linken. Manchmal ändern sich auch die Grundlagen: Klingonen der alten Fernsehserie der 60er Jahre sehen anders aus als die Klingonen der 90er. Eine Erklärung wird nicht geliefert. Das interessanteste in jedem Föderationsraumschiff sind die Türen. Sie haben eine telepathisch angelegte künstliche Intelligenz und wissen daher immer genau, wann sie sich öffnen und schließen müssen. Ich bin immer wieder aufs Neue fasziniert. Intelligente Türen … Naja, und so weiter.

Wer mehr über die Ungereimtheiten des Star Trek Universums wissen und sich vielleicht auch manchmal vor Lachen kringeln will, der oder dem empfehle ich folgendes Buch: Cap'n Beckmessers Führer durch Star Trek THE NEXT GENERATION, Zweiter Teil. Der Autor, Phil Farrand, hat hierin wieder unzählige Beispiele für virtuellen Blödsinn gesammelt. Das Buch ist kürzlich bei Heyne zum Preis von 19 Mark 90 erschienen.

 

IV. Es gibt jetzt vier Serien – die klassische der 60er, Next Generation, das phasenweise sehr gute Deep Space Nine, die einfach langweilige Voyager, und acht Kinofilme. Der neunte soll Silvester in die deutschen Kinos kommen. Das Universum wächst und wächst einer oder einem über den Kopf. Um den Überblick zu behalten, gibt es mehrere Reihen verschiedener Verlage. Darin werden die Episoden, die Darstellerinnen und Darsteller und auch die Ungereimtheiten der Filmproduktion vorgestellt.

Von Ralph Sander gibt es zum Thema Das Star Trek Universum. Angefangen hat er mit einem Band, der später auf zwei erweitert wurde. Dieser Erweiterung wurden zwei Ergänzungsbände nachgeschoben. Es wird langsam schwierig, den Überblick zu behalten. Wahrscheinlich sind auch hier wieder dunkle Mächte am Werk. Der vierte Band ist – ebenfalls vor kurzem - bei Heyne erschienen und kostet 28 Mark. Mit ihm ist man oder frau relativ wieder auf dem neuesten Stand, egal ob bei DS Nine oder Voyager. Die Bänder dieser Reihe sind kompakt und im allgemeinen verläßlich. Aber auch Ralph Sander ist auf der Suche nach den Ungereimtheiten der virtuellen Produktion. Das muß ansteckend sein. Eine der besten Folgen von DS Nine ist eine Ferengifolge, mit der die Ufogläubigkeit der Erdlinge der 90er Jahre aufs Korn genommen wird.

Durch einen Unfall landen Quark, Rom und Nog auf der Erde des Jahres 1947, und zwar auf einem US-Militärstützpunkt. Die Ferengi sind mit dem Universaltranslator ausgerüstet, der aber kaputt geht. Deshalb können Erdlinge und Ferengi nicht miteinander reden. Rom kann ihn zwar reparieren, so daß die Ferengi die Menschen verstehen, aber wieso können die Menschen des Jahres 1947 die Ferengi verstehen? Wunder über Wunder. Das sind Probleme …

Aber vielleicht genügt es ja, wie Lieutenant Barclay ganz einfach ganz laut zu sagen: "Computer, Programm beenden!" und wir finden uns alle wieder im normalen Leben vor.

 


Lizenz zum Zuschlagen

Am nächsten Montag ab 17 Uhr werde ich mit Antje Trukenmüller wieder einigen besonders erlesenen Phantomverbrechen auf der Spur sein. Hellsichtig wie ich bin, habe ich für diesen Montag als Titel der Sendung Beschäftigungsprogramme der Polizei gewählt. Ich habe genau voraussehen können, daß die Polizeidirektion Heppenheim auch dieses Jahr nicht in der Lage sein würde, das Anti–AKW–Sommercamp der darmstädter StadtpiratInnen in Ruhe zu lassen. Statt dessen hat sich die dortige Polizei wieder einmal daneben benommen.

Als Vorgeschmack auf diese Sendung möchte ich jetzt über einen darmstädter Polizeiübergriff berichten. Wie ich schon mehrfach berichtet habe, hat ein Beamter der Schloßwache in der Nacht vom 22. zum 23. November letzten Jahres einen 16–jährigen Jugendlichen aufgegriffen und geschlagen. Der Jugendliche reichte bei der darmstädter Polizei eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein und die Staatsanwaltschaft sah sich gezwungen, in dem Fall zu ermitteln. Es geht hierbei um Körperverletzung im Amt.

Nachdem die Akten gemütlich monatelang im Schrank Staub gefangen hatten, stellte die Staatsanwaltschaft erwartungsgemäß das Verfahren gegen den Beamten am 14. Juli [1998] ein. Eine Stellungnahme der Staatsanwaltschaft versuche ich noch zu erhalten. Anzeigen gegen Polizeibeamte enden in der Regel ergebnislos, obwohl Insider davon ausgehen, daß die Dunkelziffer bei Polizeiübergriffen etwa das 2–3fache der tatsächlich gestellten Anzeigen beträgt.

Was in der Novembernacht geschah, schilderte der Jugendliche in einem mir vorliegenden Gedächtnisprotokoll. Ich kenne ihn persönlich, der denkt sich das nicht aus. Mit drei anderen war er nachts unterwegs, um Plakate zu kleben. Dies fiel einer Polizeistreife auf. Ein Polizeibeamter stieg aus dem Auto und verfolgte den Jugendlichen. Im Protokoll heißt es dazu:

Er rennt hinter mir her. Ich bleibe stehen, weil er mich sowieso kriegt. Er schreit mehrfach, ich solle mich auf den Boden legen. Ich lege mich auf den Boden. Ich schaue, was er macht. Er brüllt mich an, warum ich nicht stehen bleibe. Er ist ziemlich aggressiv, will mich in den Bauch treten. Ich weiche zurück und er kriegt sich einigermaßen unter Kontrolle. Er brüllt weiter. Er schlägt mit der Rückseite seiner Maglite auf meine Schulter. Ich spüre das kaum. Er sagt, daß er mir am liebsten den Schädel einschlagen würde [...]. Er stößt mir die Taschenlampe in den Mund. Er zieht mir die Kapuze ab. Er zieht mir später Handschellen an.

Soweit das Gedächtnisprotokoll. In dem Moment erscheint das Polizeiauto mit einer Beamtin und das Ganze geht dann etwas friedlicher ab.

Ein Dr. Pausch vom Polizeipräsidium Darmstadt weist die Dienstaufsichtsbeschwerde mit den folgenden Worten zurück:

Die Einstellung erfolgte nach umfassender Würdigung der Gesamtaktenlage, wonach dem Beamten ein strafrechtlich zu ahndendes Verhalten nicht angelastet werden konnte. Der Beamte hat weder durch den bei der Festnahme angewendeten rauhen Ton den Tatbestand der Beleidigung, noch durch das Heben der Stablampe zur Verhinderung evtl. Tätlichkeiten Ihrerseits den Tatbestand der Bedrohung noch den der versuchten Körperverletzung im Amt erfüllt. Die von dem Beamten durchgeführten Maßnahmen waren aufgrund der nächtlichen Begegnung aus Gründen der Eigensicherung erforderlich und verhältnismäßig. Aufgrund meiner Ausführungen verstehen sie sicherlich, daß das Verhalten des Beamten nicht zu beanstanden war und als unbegründet zurückgewiesen werden mußte.

Soweit Dr. Pausch. Mit der Grammatik scheint er es nicht so zu haben. Der letzte Satz lautete nämlich: "daß das Verhalten des Beamten [...] als unbegründet zurückgewiesen werden mußte." Ein ziemlich kurioser Fall einer Freud'schen Fehlleistung. Ich stelle somit fest:

  • 1) Wer von der darmstädter Polizei geschlagen wird und sich dagegen wehrt, kommt damit erstens nicht durch und wird zweitens auch noch verhöhnt.
  • 2) Die darmstädter Staatsanwaltschaft hat der Polizei dieser Stadt mit diesem Beschluß die Lizenz zum Zuschlagen erteilt. Jeder Beamte darf ab sofort aus Gründen der Eigensicherung im Vorgriff auf möglicherweise oder auch nicht eventuell auftretende Geschehnisse zuschlagen. Bei anderen Polizeidienststellen ist mit ähnlicher Begründung auch schon der tödliche Schuß in den Rücken gerechtfertigt worden.
  • 3) Die Staatsanwaltschaft hat sich nicht einmal die geringste Mühe gegeben, den Widersprüchen in der Darstellung des Opfers und des Polizisten nachzugehen. Hierzu wäre sie verpflichtet gewesen. Ganz offensichtlich lag kein Interesse an der Aufhellung dieses Verbrechens vor.
  • 4) und letztens: Ein gewisser Staatsanwalt Balß hat in einem dreijährigen akribischen Verfahren herausgefunden, daß der Stadtverordnete Bastian Ripper den öffentlichen Frieden dadurch gestört hat, daß er vor drei Jahren das Sprengen der Gleise vor dem Atomkraftwerk Biblis der Presse angekündigt hatte. Damals erschienen dann einige Atomkraftgegnerinnen und –gegner mit der Gießkanne. Balß fand einen Richter, der diesen Fall unbedingt zur Verurteilung bringen wollte. Drei Jahre Ermittlungstätigkeit mündeten in der geringst möglichen Strafe einer ausgesprochenen Verwarnung. Denselben Biß hat die Staatsanwaltschaft selbstverständlich nicht, wenn es um höhere Rechtsgüter wie Morddrohungen und Körperverletzung im Amt geht.

Der Skandal ist offenkundig. Staatsanwaltschaft und Polizei arbeiten Hand in Hand an der Vertuschung eines Verbrechens. Soweit mein heutiger Beitrag zum Thema Phantomverbrechen. Mehr am nächsten Montag ab 17 Uhr.

 


Area 51, Roswell, Ufos

1947, Roswell, New Mexico. Ein unbekanntes Flugobjekt taucht im Herzen der USA auf und verschwindet auf wundersame Weise. War es ein UFO, wie manche glauben, oder war es ein harmloser Wetterballon, der abgestürzt sein soll, wie es das US–Militär behauptet?

Für diejenigen, die sich hauptberuflich mit Ufos und der Großen Verschwörung beschäftigen, ist die Sache klar. Hier soll ein gigantisches militärisches Projekt verheimlicht werden, das den USA die absolute Weltherrschaft über Himmel und Erde garantiert. Aber warum solch ein Aufwand? Die Zeit des Kalten Krieges ist vorbei, die Sowjetunion zerfallen und die Bundeswehr ist noch nicht soweit, Deutschlands dritten Anlauf zur Weltmacht zu ermöglichen.

Die passende Antwort auf all die Fragen und Geheimniskrämerei hat wieder einmal das Star Trek Universum geliefert. Demnach ist 1947 in der Wüste New Mexicos tatsächlich ein Raumschiff mit Ferengi an Bord gelandet. Daß sie zum Schluß der Folge dem US–amerikanischen Militär entwischt sind, erklärt leicht, weshalb die ganze Angelegenheit als top secret behandelt und abgestritten wurde. Ist ja auch peinlich: das mächtigste Militär der uns bekannten Welt läßt die Repräsentanten fremder Welten einfach entfliehen.

Oder ist es vielmehr so, daß die Ferengi–Folge vom US–Militär ganz bewußt gefördert wurde, um noch mehr Verwirrung in die Reihen der Ufologen zu tragen? Oder haben die Ferengi längst die Erde übernommen und wollen uns durch Star Trek davon überzeugen, daß hinter diesem Geheimnis nichts, aber auch gar nichts steckt?

Nun, wenn wir die Fortschritte des Phänomens betrachten, das die Ökonomen Globalisierung nennen, liegt es nahe, davon auszugehen, daß nur noch das blanke kapitalistische Profitstreben die Welt regiert. Und dahinter könnte tatsächlich Quark stecken. Oder der Große Nagus? Ihr wißt nicht, was Ferengi sind? Ganz schön clever, die Kerlchen. Also, Ferengi sind die profithungrigen Bewohner von Ferenginar, einem Planeten, auf dem es immer regnet. Und das spricht tatsächlich dafür, daß die Ferengi die Erde langsam, aber sicher übernehmen. Der strömende Regen der letzten Tage, das kann kein natürliches Phänomen sein. Dafür sind die Außerirdischen verantwortlich, genauso wie für vermehrt auftretende Flutkatastrophen, Wirbelstürme, Erdbeben, Vulkanausbrüche, Kriege und Umweltkatastrophen.

Wie wir es auch drehen und wenden, irgendeine Verschwörungstheorie läßt sich immer daraus zurecht basteln. Und Verschwörungstheorien sind sehr praktisch. Sie entlasten die auf dieser Erde ganz real lebenden Menschen davon, für ihr eigenes Handeln auch die Verantwortung zu tragen. Wir brauchen keine Ferengi, um zu erklären, warum Millionen Menschen hungern müssen, obwohl genügend Lebensmittel für alle vorhanden sind. Wir brauchen keine geheimen Mächte, um zu erklären, warum die sich Ende der 70er Jahre bei ihrer Gründung als gewaltfrei bezeichnet habende Partei Die Grünen heute mit an vorderster Front stehen, wenn es darum geht, deutsche Soldaten überall auf der Welt einzusetzen. Es ist der ganz normale kapitalistische Wahnsinn.

Zum Kapitalismus gehört, daß sich alles vermarkten läßt. Manche fälschen einen Film, um zu dokumentieren, wie hinterhältig das US-amerikanische Militär ist. Dabei würde ein Blick auf die reale Welt genügen. Ich verweise hier nur auf den Vietnam– oder auf den 2. Golfkrieg. Manche schreiben einen Roman, um die von Verschwörungs–Szenarios angeregte Phantasie weiter in mystische Bahnen zu bringen.

Andreas Kasprzak hat einen solchen sogenannten Mystery–Roman zum Thema geschrieben. Der Journalist David Anderson bekommt zufällig die Meldung über eine abgestürzte Fliegende Untertasse mit. Als ein Kollege rein zufällig bei einem Autounfall stirbt und die Telexverbindung zu den großen Radiostationen unterbrochen wird, ahnt er, daß etwas faul sein muß an der Geschichte über den abgestürzten Wetterballon. Anderson trifft auf eine Straßensperre. Ein Soldat hindert ihn am Weiterfahren.

"Tut mir leid, Sir, aber die Presse ist momentan nicht erwünscht. Die Bergung des Ballons findet in sehr schwierigem Gelände statt. Wir haben Anweisung erhalten, Störungen strikt zu vermeiden." Anderson schielte an dem Soldaten vorbei zu dem Konvoi aus Militärfahrzeugen, die sich hinter der Absperrung seinen Weg in die Hochebene [...] bahnte. "Ehm, ist das nicht viel Aufwand, um einen simplen Wetterballon zu bergen?" Die Miene des Militärpolizisten verfinsterte sich. Demonstrativ faßte er den Riemen der Maschinenpistole fester. [Kasprzak, Seite 48–49]

Anderson bohrt weiter nach. Daraufhin wird er von einem Trupp Soldaten zu Hause heimgesucht und fertig gemacht. Er soll seine Nase aus allem raushalten, aber er kann es nicht lassen. Und er kommt einer großangelegten Verschwörung auf die Spur. Mit der Kamera in der Hand geht er auf die Suche nach dem fremden Raumschiff. Wie die Geschichte ausgeht, verrate ich nicht. Allerdings scheint der Autor zuweilen inkonsequent zu sein. Einerseits ist der Autounfall von Andersons Kollegen natürlich kein Unfall gewesen, sondern Mord. Andererseits lassen die Soldaten Anderson am Leben und verabfolgen ihm nur eine ziemlich schmerzhafte Warnung. Ist das glaubwürdig? Aber der Held der Geschichte muß ja bis zum Ende durchhalten und das geht bekanntlich mit einer Kugel im Kopf schlecht.

Andreas Kasprzaks Variation des Themas Roswell heißt Area 51. Der Roman ist im Ullstein Verlag erschienen und kostet 14 Mark 90.

 


Eintracht Frankfurt

Brot und Spiele sind eine Erfindung des antiken Rom. Heute heißt Brot Konsum und die Spiele finden auf dem Fußballplatz oder - bequemer – im Fernsehen statt. Darmstadt hat seine Lilien und diese haben offensichtlich ihre Liga gefunden, in der die 98er auch einmal ein paar Erfolgserlebnisse feiern dürfen. Drei Klassen höher spielt die launische Diva vom Main. Momentan mogelt sich die Mannschaft durch die Bundesliga; die Zeiten, in denen Eintracht-Fans von der Meisterschale träumen durften, sind vorbei. Die genialen Pässe eines Uwe Bein auf Anthony Yebaoh gehören der Vergangenheit an.

Nächstes Jahr wird die Eintracht 100 Jahre alt und vielleicht wird es ihr so gehen wie den Lilien, die im Jubiläumsjahr abgestiegen sind. Passend zum Jubiläum hat Ulrich Matheja unter dem Titel Schlappekicker und Himmelsstürmer die Geschichte der Eintracht nacherzählt.

Die ersten Fußballer in Frankfurt waren in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts in Wahrheit Rugby-Spieler. Der erste frankfurter Fußballverein wurde 1885 gegründet, allerdings in Berlin – der Berliner Fußball-Club Frankfurt. 1899 wurde dann als Vorläufer der Eintracht der FFC Victoria gegründet. Aber auch schon damals war Fußball kein Sport für Schöngeister. Hooligans sind keine neuzeitliche Erfindung. 1924 hatte der Ordnungsdienst der Eintracht große Mühe, die mit Stöcken bewaffneten Fans von Victoria Hanau unter Kontrolle zu halten. Regelmäßig kam es ab Mitte der 20er Jahre zu Auseinandersetzungen zwischen Eintracht-Fans und denen des damals großen Rivalen vom FSV Frankfurt. Das scheint irgendwie zu diesem Männersport dazu zu gehören.

Aufgrund der ihr zukommenden Unterstützung aus jüdischen Geschäftskreisen galt die Eintracht Anfang der 30er Jahre als Judenverein. Sechs der besten Eintracht-Spieler waren bei der Firma J. & C.A. Schneider angestellt, die täglich bis zu 70.000 Paar Hausschuhe produzierte. Daraus entstand der Begriff Schlappekicker für die Eintracht. Schon 1933 wurde die Eintracht gleichgeschaltet und die jüdischen Mitglieder aus der Vereinsführung entfernt.

Größter Vereinserfolg war das Erreichen des Finales im Europapokal 1960 gegen Real Madrid. Das Spiel selbst ging mit 3:7 verloren, aber im Halbfinale zeigte die Eintracht in den Spielen gegen die Rangers eine ihrer zeitweiligen Anwandlungen, wirklich guten Fußball spielen zu wollen. Wobei ich unter gut nicht erfolgreich verstehe; es ist vielmehr eine Frage der Ästhetik.

Ulrich Matheja liefert mit seinem Buch nicht einfach eine Jubiläumsschrift ab. Seine hintergründigen Beiträge sind gut recherchiert, im Anhang findet sich ein Spielerlexikon und natürlich alle Tabellen seit 1899. Sein Buch heißt Eintracht Frankfurt. Schlappekicker und Himmelsstürmer, es ist im Verlag Die Werkstatt erschienen und kostet 39 Mark 80.

 

 

Diese Seite wurde zuletzt am 29. Februar 2008 aktualisiert.
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