Tinderbox

41. Folge

Hái – Frauen im Haifischbecken

 

 

SENDEMANUSKRIPT

 
Sendung :
Tinderbox
41. Folge
Hái
Frauen im Haifischbecken
 
Redaktion und Moderation :
Walter Kuhl
 
gesendet auf :
Radio Darmstadt
 
Redaktion :
Alltag und Geschichte
 
gesendet am :
Montag, 08. März 2004, 17.00-18.00 Uhr
 
wiederholt am :
Montag, 08. März 2004, 23.10-00.10 Uhr
Dienstag, 09. März 2004, 08.00-09.00 Uhr
Dienstag, 09. März 2004, 14.00-15.00 Uhr
 
 
Benutzte empfehlenswerte Aufsätze und Artikel :
  • Anita Heiliger : Das sogenannte "PAS" – eine falsche Theorie mit schwerwiegenden familienrechtlichen Folgen
  • Elke Ostbomk-Fischer : Das Kindeswohl und die Pflicht zum Umgang aus pädagogischer und psychologischer Perspektive
  • Elke Ostbomk-Fischer : Zentrale Probleme des Umgangs mit dem neuen Kindschaftsreformgesetz – Neues Recht des Kindes oder Recht auf das Kind?
  • Nawal el-Saadawi : Frauenstimmen vom Weltsozialforum 2004 (Teil 4)
 
 
Playlist :
  • The Creatures : Say Yes!
  • The Creatures : Around The World
  • The Creatures : Godzilla!
  • The Creatures : Seven Tears
 
 
URL dieser Seite : https://www.waltpolitik.de/tinderbx/tinder41.htm
 
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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 : Einleitung
Kapitel 2 : Der emanzipatorische Fortschritt des Marktes ...
Kapitel 3 : ... beruht auf Verdrängung und Gewalt
Kapitel 4 : Vater oder Verantwortung
Kapitel 5 : Parental Hallucination Syndrome
Kapitel 6 : Virtuelle und reelle Schleier
Kapitel 7 : Die Rollbahn
Kapitel 8 : Schluß
Anmerkungen zum Sendemanuskript

 

Einleitung

Jingle Alltag und Geschichte / Tinderbox

Tinderbox
Einundvierzigster Teil
Hái
Frauen im Haifischbecken

The Creatures : Say Yes!

Die heutige 41. Folge meiner Sendereihe Tinderbox thematisiert am heutigen Internationalen Frauentag den gewalttätigen Charakter einer kapitalistischen Männergesellschaft. Außerdem stelle ich das im vergangenen Herbst erschienene neue Album von Siouxsie Sioux und ihres Partners Budgie vor, die seit zwei Jahrzehnten das ehemalige Seitenprojekt von Siouxsie and the Banshees mit dem Namen The Creatures betreiben. Das Album, dessen Titelstück Say Yes! ihr im Hintergrund hören könnt, heißt schlicht Hai! und bedeutet auf japanisch "Ja".

 

Der emanzipatorische Fortschritt des Marktes ...

Der 8. März ist traditionell der Internationale Frauentag. Alljährlich werden an diesem Tag frauenpolitische Fort- und Rückschritte zelebriert, diskutiert, gefeiert oder in Frage gestellt. Auch im Jahr 2004, knapp einhundert Jahre nach dem ersten internationalen Frauentag, ist von einer Gleichheit der Geschlechter, und das meint die gleiche Teilnahme am öffentlichen Leben und gleiche Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum, nicht viel zu spüren. Allenfalls wird von Chancengleichheit geredet, wohl wissend, daß in einer patriarchalen und kapitalistischen Gesellschaft die Chancen sich immer noch daran ermessen, wie reich und männlich Männer und Frauen sind. Die wenigen Ausnahmen bestätigen die Regel. Eben so: du hast zwar keine Chance, aber nutze sie!

Nun kann es uns eigentlich egal sein, ob der zukünftige Bundespräsident ein Mann ist und warum wieder einmal keine Frau eine Chance haben wird. Als Angie gegen Stoiber zurückstecken mußte, hat sich die CDU lieber ihrer Chancen bei der Bundestagswahl beraubt als einer Frau den Vortritt zu lassen. Nicht in ihren Worten, sondern in ihren Taten erkennen wir sie.

Meine heutige Sendung zum Internationalen Frauentag thematisiert die Notwendigkeit feministischen Bewußtseins und den alles andere als frauenfreundlichen Alltag. Ich werde dabei auch auf den absurden Streit um das Kopftuchverbot zu sprechen kommen und danach fragen, ob sich an traditionellen männlichen Verhaltensweisen irgendetwas wesentlich geändert hat. Es wird beispielsweise viel vom Väteraufbruch geschrieben und gesprochen – doch was verbirgt sich dahinter?

Der Emanzipationsgrad einer Gesellschaft mißt sich nicht zuletzt daran, ob Frauen nicht nur dieselben Chancen erhalten wie Männer, sondern ob sie diese auch nutzen können. Die Tatsache, daß Frauen hierzulande frei herumlaufen können, sagt noch nichts darüber aus, wie dieses Herumlaufen aussieht und wie es Frauen in anderen Teilen dieser Welt ergeht. Und auch wenn Statistiken gerne für Lügen herangezogen werden, manche Statistiken sind einfach entlarvend. Das Statistische Bundesamt hat passend zum Internationalen Frauentag die entsprechenden Zahlen geliefert. Demnach verdienen Frauen im produzierenden Gewerbe, im Handel, sowie in der Kredit- und Versicherungswirtschaft im Durchschnitt 30% weniger als ihre männlichen Kollegen. An diesem Verdienstabstand hat sich – nebenbei bemerkt – trotz aller Frauenförderung in den letzten 30 Jahren nichts wesentlich geändert. Es ist sogar zu vermuten, daß ohne die Frauenförderpläne der vergangenen zwei Jahrzehnte der Lohn- und Gehaltsabstand noch krasser ausfallen würde.

Diese vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Zahlen sind allerdings unvollständig, denn hier werden nur Vollzeitarbeitsplätze miteinander verglichen. Da aber ein Großteil der Frauen und nur wenige Männer Teilzeit arbeiten, sollten wir vielleicht genauer sagen: Frauen verdienen in diesem Land durchschnittlich nur die Hälfte dessen, was ein Mann erhält. Oder in den Kategorien des Marktes ausgedrückt: Frauen sind nur halb so viel wert. Und das im zweit- oder drittreichsten Land dieser Erde. Es lebe der emanzipatorische Fortschritt des Marktes!

Und dabei ist weder die unbezahlte Hausarbeit noch die häusliche Pflege miteinberechnet. Unbezahlte Arbeit taucht in einer solchen Statistik schon gar nicht auf. Und dies hat durchaus Auswirkungen darauf, wie Frauenarbeit – vor allem von den Männern dieser Gesellschaft – wahrgenommen wird. Meist überhaupt nicht. Wir haben hier sozusagen den klassischen Fall autistischen Wunschdenkens. Sicher – es soll auch Frauen geben, die gut bezahlte Management-Posten innehaben. Aber wie ich schon sagte: reden wir nicht von den Ausnahmen, sondern von der Regel!

 

... beruht auf Verdrängung und Gewalt

Nun sind natürlich auch Frauen nicht frei von solchem Wunsch-, oder soll ich in diesem Fall eher sagen?: Verdrängungsdenken. Das Sein bestimmt bekanntlich das Bewußtsein. Es wäre doch ein Wunder, wenn die so krass Benachteiligten alle rebellieren würden. Statt dessen wird sich angepaßt und ein Weltbild zusammengezimmert, das die passende Legitimation zur Benachteiligung liefert. Hessens Sozialministerin Silke Lautenschläger ist vorne mit dabei, wenn es darum geht, den schönen Schein aufrecht zu erhalten und gleichzeitig soziale Errungenschaften der Frauenbewegung systematisch zu demontieren.

Jede seriöse Studie beweist es: Armut ist weiblich. Frauen sind die ersten, welche den Sparmaßnahmen der neoliberalen Deregulierer zum Opfer fallen. Das vielzitierte und vielgelobte Ehrenamt hat ja nicht zuletzt den Zweck, sich noch mehr unbezahlte Frauenarbeit anzueignen. Für die häusliche Pflege, die Erziehung der Kinder und die emotionale Bereicherung des männlichen Teils der Bevölkerung ist selbstverständlich eine Frau zuständig. Natürlich gibt es Ausnahmen. Es soll ja tatsächlich Hausmänner geben; es soll auch Männer geben, die freiwillig zugunsten einer Frau zurückstehen. Es soll sogar Frauen geben, die sich einen Mann halten, um Karriere zu machen, und nicht umgekehrt. Aber wir reden hier nicht über die wenigen Ausnahmen, sondern über die Regel. Wir wollen uns ja nicht in die Tasche lügen und die Welt schöner reden als sie ist. Obwohl – nehmen wir einfach einmal an, daß 10% aller Männer über 20 Jahre anders sind, partnerschaftlich, Gleichberechtigung tatsächlich leben. Also mindestens 50% eines gemeinsamen Haushaltes aktiv tragen.

Ihr findet 10% zu wenig? Nun – wenn wir berücksichtigen, daß es in Deutschland rund 33 Millionen Männer über 20 Jahre gibt, dann wären 10% rund drei Millionen. Und jetzt die Frage: kennt ihr drei Millionen Männer, die regelmäßig kochen, waschen, mit den Kindern zum Arzt gehen, einkaufen, putzen und brav zu Hause bleiben, weil ihre Frau, Freundin oder Tochter etwas unternehmen will? Ehrlich? Also, ich kenne sie nicht. Drei Millionen? Der Psychoanalytiker Josef Christian Aigner bemerkt in seinem Buch Der ferne Vater klarsichtig, daß die vielzitierten neuen Männer und Väter einfach nicht repräsentativ sind. [1]

Und selbst wenn – die Regel ist: Männer haben die qualifizierteren Jobs, verdienen weitaus mehr Geld, sitzen in Spitzenpositionen oder trinken sich in der Kneipe ihren Rausch an, während sich Frauen um die alltäglichen Dinge des Lebens aufopferungsvoll zu kümmern haben. Und Frauen, die nicht mitspielen, Frauen, die aufbegehren, Frauen, die nicht selbstverständlich lächeln und hilfsbereit sind, werden immer noch als Zicken beschimpft und als Hexen betrachtet. Auch in unserer sogenannten Zivilgesellschaft werden Frauen weiterhin verfolgt, mißhandelt, beschimpft oder ausgelacht, nur weil sie Frauen sind.

Gewalt gegen Frauen ist ein universelles Phänomen. Es sind nicht nur islamistische Fanatiker, welche Frauen in ihren Häusern wegsperren, in Schleier pressen oder vom öffentlichen Leben ausschließen. Subtiler, aber ähnlich wirkungsvoll, funktioniert das auch in den Metropolen des Kapitals. Die christliche Wertegemeinschaft, die auf den drei "K"s beruht – also Kinder, Küche, Kirche – pflegt immer noch den Mythos, daß es die Frau ist, welche sich um die Familie zu kümmern habe. Die Familie, die bürgerliche Kleinfamilie, ist jedoch eine Erfindung der Neuzeit und wurde gerade in der Arbeiterschaft erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts durchgesetzt. Die bürgerliche Kleinfamilie ist eine Erfindung, welche den Zwecken kapitalistischer Ausbeutung angepaßt wurde. Männer mit Familie ließen sich leichter domestizieren als Männer ohne. Die Fabrikdisziplin wurde nicht nur im Militärdienst eingebleut, sondern auch durch den stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse. Dafür erhielten die Männer eine neue Form der Verfügungsgewalt über Frauen: bis weit ins 20. Jahrhundert waren die bürgerlichen Rechte von Frauen stark eingeschränkt. Beispielsweise konnten Frauen nur mit Zustimmung ihres Ehemanns arbeiten gehen anstatt ihn brav zu Hause zu bedienen.

Doch dieses Familienideal wird durch die zunehmende Atomisierung und Individualisierung der Gesellschaft in Frage gestellt. Das ist ja auch das große Problem der Christdemokraten. Sie fordern ideologisch etwas ein, was dem neoliberalen Trend der allseitigen Vernutzung und Nützlichmachung aller Ressourcen entgegensteht. Andererseits soll das allgemeine Lohnniveau weiter gedrückt werden, entweder durch Einführung eines Niedriglohnsektors oder durch unbezahlte, sogenannte "freiwillige" Arbeit. Und hier bietet sich das erprobte Modell "freiwillig" erbrachter kostenloser Frauenarbeit an.

Während die Bundesregierung die allgemeinen Rahmenbedingungen schafft und damit insbesondere die Armutsfalle für Frauen zuschnappen läßt, besorgt die treuherzig daherkommende CDU den Rest. Konsequent streicht Hessens Sozialministerin Silke Lautenschläger genau dort, wo die Frauen gefördert und unterstützt werden, die als erste das Opfer der neoliberalen kapitalistischen Modernisierungsstrategie geworden sind. So gesehen sind Frauenhäuser ja auch unnötig, also werden die Mittel entsprechend zusammengestrichen. Das gilt erst recht für die berufliche Förderung; denn warum etwas fördern, was nicht gebraucht wird?

Frauenhäuser sind jedoch auch aus anderen Gründen – zumindest ökonomisch betrachtet – überflüssiger Luxus. Wir ich schon sagte, ist Gewalt gegen Frauen ein universelles Phänomen. Es soll zwar auch Frauen geben, die Gewalt gegen Männer ausüben, aber das soll uns hier nicht weiter beschäftigen. Denn es handelt sich nur um Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Dabei ist gerade der Kapitalismus eine Gesellschaftsformation, die unmittelbar auf Gewalt beruht. Die friedliche Idylle der Marktkräfte, welche uns in der wirtschaftswissenschaftlichen Ideologie entgegenstrahlt, wird seit 500 Jahren kontrastiert von der nackten Gewalt der Realität. Die Eroberung und Ausplünderung ganzer Kontinente war begleitet von Sklavenhandel und Massenmord. Millionen Menschen mußten dazu gezwungen werden, diszipliniert entfremdete Arbeit für Kapitalisten zu leisten. Die Geschichte Englands vom 16. bis zum 18. Jahrhundert ist voller Beispiele dafür, wie die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals vonstatten ging, nämlich durch Vertreibung von Haus und Hof, durch Arbeitshäuser und Strafkolonien, oder durch Schuldsklaverei und simplen ordinären Betrug. Diese Methoden wirken bis heute fort, subtiler vielleicht, aber manchmal bricht die Gewalt elementar wieder durch.

Kriege um Rohstoffe und Märkte werden auch heute geführt, Zigmillionen Menschen müssen verhungern oder an leicht heilbaren Krankheiten sterben. Produziert wird genügend und die Erde ist reich genug, allen Menschen ein ausreichendes Leben in Würde zu gewähren. Aber dies ist ja nicht der Sinn dieser Gesellschaftsordnung. Bereicherung auf Kosten Anderer muß jedoch immer wieder neu eingetrichtert und durchgesetzt werden. Ohne Gewalt würde auch das beste Werbefernsehen seine Wirkung verfehlen. Gewalt gegen Kinder und Frauen gehört also genauso dazu wie Kriegsspiele und Kriegführen. Deshalb ist Gewalt allgegenwärtig.

Und genau deshalb, weil die Gewalt in homöopathischen Dosen so nützlich ist, werden Frauenhäuser nur in noch kleineren Dosen finanziert. Der Bedarf ist anerkanntermaßen um ein Vielfaches höher als derzeit vorhanden. Männer sind gewalttätig, weil diese Männergewalt nicht nur systemimmanent ist, sondern auch nützlich bei der kapitalistischen Konkurrenz in Friedens- und Kriegszeiten. Insofern ist es auch unsinnig, Gewaltpräventionsprogramme durchzuführen, wenn nicht der Wille dahintersteht, eine Gesellschaft abzuschaffen, welche den Boden für Gewalt, Ausbeutung und Zerstörung immer wieder neu bereitet.

Gewalt in den Medien ist keine Abweichung von der Norm, sondern ist die Norm. Gewalt als Mittel der Politik ist keine Abweichung von der Norm, sondern selbst die Norm. Gewalt in der Familie und gegen Frauen wird zwar offiziell verurteilt, aber die Bedingungen dafür, daß diese Gewalt weitergehen kann, werden täglich neu geschaffen. Nun sollten wir jedoch nicht denken, daß Gewalttätigkeit und Aggression natürliche Erbanlagen des Menschen sind. Dies ist eine biologistische Annahme, welche nur die herrschende Ideologie in einer gewalttätigen Gesellschaft nachplappert. Aggression entsteht in frühester Kindheit dort, wo Kinder schlecht behandelt und ihre Bedürfnisse nicht befriedigt werden. Statt Liebe und Geduld steht die Schizophrenie einer kapitalistischen Leistungsgesellschaft auf dem Stundenplan. Täglich wird Kindern vermittelt, daß die ethischen Gebote der Gesellschaft mit Füßen getreten werden. Kinder sollen von frühester Jugend an funktionieren und gehorchen. Und lebenslänglich (ja, lebenslänglich, wie im Knast) lernen für entfremdete Ziele und fremden Profit. Sie sollen lernen, sich für andere einzusetzen, aber dabei eigennützig zu sein. Sie sollen buckeln und treten (also das Radfahrer-Syndrom); und selbstverständlich all dies von Anfang an geschlechtsspezifisch.

Eine Gesellschaft, in der nicht Ausbeutung und Profit die Maxime menschlichen Handelns ist, wird auch weniger aggressiv und gewalttätig sein. Und sie wird den Beweis antreten, daß Aggression keine natürliche Anlage, sondern eine Kulturtechnik ist.

Das kapitalistische Patriarchat ist nicht mit Gender Mainstreaming zu reformieren oder gar zu zähmen [2]. Die ägyptische Feministin und Schriftstellerin Nawal el-Saadawi hat das sehr richtig so benannt: wenn eine Frau sich ein Leben lang duckt und zurücksteckt, wird sie dennoch verprügelt und benachteiligt. Eine Frau, die sich dagegen zur Wehr setzt, kann auch verprügelt und benachteiligt werden. Aber wenn das Ergebnis dasselbe ist, dann ist es vielleicht sinnvoller, sich zu wehren und deutlich zu machen, daß Gewalt gegen Frauen in keiner Hinsicht akzeptiert wird. Wegschauen, weghören, sich wegducken – all dies wird daran jedoch nichts ändern. [3]

Männer und ihre Männergesellschaft sind nicht reformierbar oder therapierbar.

Natürlich werden viele Frauen einwenden, daß ihrer doch so lieb ist und ganz anders. Doch Liebe macht nicht nur blind, sondern auch empfängnisbereit für Selbstverleugnung und die Akzeptanz von Verhaltensweisen, welche wir andernorts keinesfalls dulden würden. Ein Blick in die reiche Frauenliteratur, und zwar nicht die feministische, sondern die durch und durch männerfreundliche, verrät uns nur, daß unsere eigene Lebenserfahrung verallgemeinerbar ist. Was dort an unsozialem gewalttätigen Verhalten so alles geduldet und entschuldet wird ... sagenhaft!

Und das alles finden wir – oftmals noch potenziert – in allen Teilen dieser Erde vor. Und damit komme ich zu Around the World aus dem Album Hai! der Creatures.

The Creatures : Around The World

 

Vater oder Verantwortung

Für meine heutige Sendung zum Internationalen Frauentag habe ich auch einen Blick ins Internet geworfen. Es soll sie ja geben, die Männer und Väter, die so ganz anders sind, die sich liebevoll um ihre Kinder kümmern. Vom Väteraufbruch ist gar die Rede. Doch schnell wird der schöne Schein von der Wirklichkeit wieder eingeholt. Am 17. Februar 2004 war im Darmstädter Echo nachzulesen, daß im hessischen Sozialministerium Ende 2001 über 30.000 Fälle gemeldet waren, bei denen die öffentliche Hand für zahlungsunwillige Väter einspringen mußte. Offensichtlich hat hier das Verantwortungsbewußtsein eine klar definierte Grenze.

Schätzungsweise zahlt nur ein Drittel der unterhaltspflichtigen Elternteile den Unterhalt auch regelmäßig, ein weiteres Drittel unregelmäßig und das letzte Drittel überhaupt nicht. Davon sind knapp 97 Prozent Väter. [4]

Spannend finde ich in diesem Zusammenhang, daß die Tendenz der allgemeinen Rechtsprechung und auch der Praxis der Jugendämter seit Inkrafttreten des geänderten Kindschaftsrechts 1998 dahin geht, das Kindeswohl nicht daran zu messen, ob die Väter auch brav Unterhalt zahlen. Das Motto lautet: Kindesunterhalt habe nichts mit dem Kindeswohl zu tun. Weil: ein schlechter Vater sei für das Kind immer noch besser als gar keiner. Mit dieser abstrusen Begründung werden übrigens nicht gerade selten alleinerziehende Mütter dazu gezwungen, einem Vater auch dann das Umgangsrecht einzuräumen, wenn dieser gewalttätig gegen Frau oder Kind gewesen ist. Nicht wenigen Müttern wird hierbei eindeutig gedroht: wenn sie nicht mitmachen, wird ihnen das Sorgerecht entzogen. So etwas nennt man und frau übrigens Täterschutz.

Die Sozialpädagogin Elke Ostbomk-Fischer hat im Hinblick auf das geänderte Kindschaftsrecht einige nachdenkenswerte Gedanken formuliert. Sie schreibt:

Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß ein verläßlicher und einfühlsamer Vater eine große Bereicherung für ein Kind ist bzw. wäre. Die tatsächliche Anzahl dieser erstrebenswerten Väter ist aber gering [...]. Eine hervortretende Fehlertendenz [der diesbezüglichen] Forschungs- und Publikationsstrategie ist es, Wünschenswertes auf Seiten der Väter als Realität umzudeuten. [...] Studien weisen nach, was im Alltag leicht zu beobachten ist: Hier entziehen sich viele Väter weitgehend ihrer Familienarbeit und zeigen nur wenig oder gar kein Interesse an der verläßlichen Betreuung ihrer Kinder. Im gleichen Maße leisten die Frauen in der überwiegenden Anzahl der Fälle fast ausschließlich allein die Rund-um-die-Uhr-Arbeit in den Familien, und dies unabhängig davon, ob sie berufstätig sind oder nicht. [...] Trotz Grundgesetz und Gleichberechtigung: Auch in unserer fortschrittlichen Gesellschaft würde die Mehrzahl der Kinder kaum zwei Wochen überleben, wenn sie mit der Fürsorge ihrer Väter auskommen müßten.[...] Bei Prüfung der realen Lebensverhältnisse stellt sich häufig heraus: Viele der Väter, die um weitgehende Umgangsregelungen streiten, kämpfen um Rechte und Entscheidungsbefugnisse. Nur wenige kämpfen darum, ihre Lebensplanung und den Tagesablauf nach ihren Kindern zu richten oder ein behindertes oder krankes Kind pflegen zu dürfen. [5]

Und an anderer Stelle schreibt sie:

In verschiedenen Studien zur Kinderbetreuung wird die Betreuungszeit durch den Vater mit durchschnittlich zwischen 7 Minuten und 30 Minuten pro Tag ermittelt. [...] Danach leisten die Mütter vorwiegend die Rund-um-die-Uhr-Betreuung der gemeinsamen Kinder [...]. In den statistischen Daten mitgerechnet sind natürlich auch die engagierten und verläßlichen Väter. Sie bilden die erfreuliche Ausnahme und bessern die unerfreulichen Statistiken auf. [6]

Damit ist allerdings noch keine Aussage über die Qualität der Betreuung getroffen worden. Und gerade hier wird es erst richtig spannend. Gerade diese wenigen Minuten werden oftmals dazu genutzt, für beide Seiten, also Vater und Kind, lustvolle Erlebnisse einzusetzen. Es wird gemacht, wozu der Vater Lust hat. Im Gegensatz hierzu der Alltag der restlichen 23 Stunden. Früh aufstehen, kochen, Windeln wechseln oder stundenlang beim Arzt herumhocken – alle diese wenig lustvollen Beschäftigungen erledigen in der Regel die Mütter. Väter, die das Umgangsrecht einfordern, orientieren sich natürlich am lustvollen Teil der Erziehungsarbeit.

Doch vor dem Umgangsrecht steht die Trennung oder Scheidung. In den meisten dieser Fälle (rund 90% align=center) gibt es keinen rechtlich ausgtragenen Streit. Das bedeutet jedoch nicht, daß hier Väter und Mütter ganz friedlich und einvernehmlich das Sorge- und Umgangsrecht geklärt hätten. Gerade die Trennung bzw. Scheidung weist ja darauf hin, daß ein Zusammenleben eben nicht mehr möglich war. Meist sind es dann doch die Frauen, die zurückstecken. Interessant sind jedoch auch die übrigen rund 10% der Fälle. Hier wird ein Kampf mit zuweilen harten Bandagen ausgetragen.

Väter, die das Sorge- oder Umgangsrecht einzuklagen versuchen, organisieren sich in entsprechenden Gruppen, Vereinen oder Organisationen. Manche von ihnen mögen ja wirklich das Ziel verfolgen, daß Männer als Väter mit sich und ihrem Gewaltpotential besser klarkommen. Manche von ihnen zeigen auf ihren Internetseiten jedoch ziemlich klar, wer sie sind und warum eine Frau bzw. Mutter gut daran getan hat, sich und das Kind vor diesem Mann zu schützen.

Manche von ihnen bedienen sich einer nach außen hin geschlechtsneutralen Darstellung. Da aber das Sorge- und Umgangsrecht meist von Männern, also Vätern, eingefordert wird, handelt es sich nur um eine Scheinneutralität. In Wirklichkeit sind auch die vorgeblich geschlechtsneutralen Elternorganisationen oftmals verkappte Männerbünde. Einer dieser Väterorganisationen, wie Elke Ostbomk-Fischer zum Beispiel den ISUV nennt [7], war peinlicherweise sogar auf dem Sendeplatz der Redaktion Alltag und Geschichte ungefiltert zu hören gewesen. Kritische Nachfragen gab es hierbei keine; vielmehr wurde so getan, als handele es sich um eine honorige Organisation, die ganz geschlechts- und elternneutral nur das Kindeswohl im Sinn habe [8]. ISUV steht für Interessensverband Unterhalt und Familienrecht.

Ein Blick auf die Internetseiten dieser Organisation zeigt jedoch die Väterlastigkeit. Kein Zufall ist es, wenn unter dem Stichwort Extrem: Rücksichtslose, selbstherrliche Umgangsverweigerung ausgerechnet der Fall einer Frau dargestellt wird, die einem Vater den Umgang verweigert hat. Selbstverständlich wird hier auch behauptet, daß hiermit die persönlichen, natürlichen und notwendigen Bindungen zwischen Vater und Kind betroffen sind.

Ich sagte ganz bewußt: kein Zufall. Denn es ist kein Zufall, daß mehrheitlich ausgerechnet Väter Umgangs- und Sorgerecht einklagen, obwohl, wie wir schon gesehen haben, allein schon die Unterhaltszahlung oftmals unterlassen wird. Diese Unterhaltszahlungen quälen natürlich auch den ISUV. Ein ganz besonderes Problem sind für den Verband die Väter, die wieder heiraten, aber zudem Unterhalt für die Kinder aus erster Ehe abdrücken müssen. Dies gehe zu Lasten der Kinder der zweiten Ehe.

Dem kann ich nicht ganz folgen, obwohl das in der Realität tatsächlich so auftreten mag. Denn: wenn diese Väter wirklich Verantwortung übernehmen würden, dann würden sie sich zunächst einmal um diejenigen sorgen, an deren Inweltsetzung sie selbst beteiligt waren, bevor sie eine neue Beziehung aufnehmen oder gar Kinder in die Welt setzen lassen. Alles andere ist doch nur billiges Schmierentheater. Kinder sind eben nicht einfach mal beiseite zu schieben, um einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Oder anders ausgedrückt: bevor ich etwas Neues anfange, sollte ich das Alte verantwortungsbewußt und zufriedenstellend abgeschlossen haben. Offensichtlich fehlt es jedoch an der Bereitschaft zu dieser Verantwortung. Gejammert wird auch darüber, daß Väter ihre Kinder nicht einmal dann sehen dürfen, wenn Vatertag sei, obwohl sie doch Unterhalt zahlen würden. Hier scheint der Bundesvorsitzende Michael Salchow einige Dinge durcheinander zu bringen. Kinder sind keine Ware, für die man(n) bezahlt. Einmal abgesehen davon, daß Kinder keinem und niemandem gehören. Sie sind kein Besitz oder Eigentum. [9]

 

Parental Hallucination Syndrome

Um noch einmal auf den dargestellten Fall zurückzukommen: Es ist auch deswegen kein Zufall, daß hier der Fall einer rücksichtslosen Frau dargestellt wird, weil dies auf so ziemlich allen Internetseiten entsprechender Väterorganisationen so oder ähnlich zu finden ist. Selbstreflektion über das eigene Handeln oder das Anprangern des Fehlverhaltens von Männern als Vätern finden wir hingegen auf diesen Seiten in der allerseltensten Fällen. Die Bösen sind die Mütter. Und passend hierzu ist auch eine Theorie erfunden worden, welche immer mehr das Handeln von Jugendämtern und Gerichten leitet: das sogenannte Parental Alienation Syndrome.

Dieses Eltern-Entfremdungs-Syndrom, so der ISUV, werde durch die Manipulation eines Elternteils im Kind ausgelöst, das sich dann dem guten Elternteil zuwende und vom bösen Elternteil abwende [10]. Dieses Parental Alienation Syndrome bedient – das zeigen die einschlägigen Seiten im Internet – genau die Interessen der Väter, denen aus gutem Grund das Umgangs- oder Sorgerecht verwehrt worden ist. Das Syndrom wurde erstmals 1984 von dem US-amerikanischen Kinderpsychiater Richard Gardner beschrieben. Es spricht Kindern eine eigene Wahrnehmung ab und behauptet, diese seien von einem Elternteil gegen den anderen manipuliert worden.

Genau betrachtet heißt es jedoch: die bösen Mütter haben ihre Kinder dazu gebracht, sich von ihren Vätern abzuwenden. Gerade deshalb müsse dafür gesorgt werden, daß den Vätern der Umgang erlaubt werde, um das Kind vor Schaden zu bewahren. Damit verbunden ist eine biologistische Interpretation frühkindlicher Sozialisation, die besagt, daß Kinder Schaden nehmen würden, wenn sie ohne Väter aufwachsen. Hierfür werden gerne genetische Gründe herangezogen [11]. So als ob das Sperma dafür sorgen würde, daß ein Kind nur diesen einen Mann als Bezugsperson akzeptieren und dringend benötigen würde.

Der von mir schon erwähnte Psychoanalytiker Josef Christian Aigner geht zwar auch davon aus, daß Väter für die Sozialisation nützlich sind, wenn sie sich tatsächlich als verläßliche Väter erweisen würden. Aber, so schreibt er, es geht auch ohne, und zwar ohne daß das Kind Schaden nehmen muß [12]. Und genau das ist der Punkt: Kinder benötigen selbstverständlich Bezugspersonen und einen verläßlichen Rahmen zum Überleben und Aufwachsen. Aber es gibt keinen Grund, warum dies auf Personen beschränkt sein sollte, die zufällig einmal Sperma oder Eizelle zur Verfügung gestellt haben, oder umgekehrt, warum unbedingt diese benötigt werden.

Doch wie die Soziologin Anita Heiliger zu Recht schreibt: die Theorie des Parental Alienation Syndrome ist eine Erfindung [13]. Es gibt bis heute, nach 20 Jahren, keine wissenschaftlich relevanten Forschungsergebnisse, welche diese Erfindung belegen würden. Umso erschreckender, mit welcher Gleichgültigkeit oder gar stillschweigender Zustimmung dieser Unsinn in Jugendämtern und Sorgerechtsfällen verwendet wird. Dies wird jedoch schnell verständlich, wenn wir von der realistischen Einschätzung ausgehen, daß das Patriarchat nicht nur in den Köpfen tief verankert ist, sondern unser Handeln weitgehend bestimmt.

Ich empfehle hier zwei Bücher von Anita Heiliger, und zwar:

  • Täterstrategien und Prävention – Sexueller Mißbrauch an Mädchen innerhalb familiärer und familienähnlicher Strukturen
  • und das zusammen mit Traudl Wischnewski herausgegebene Buch:
    Verrat am Kindeswohl – Erfahrungen von Müttern mit dem Sorge- und Umgangsrecht in hochstreitigen Fällen.
Beide Bücher sind im Verlag Frauenoffensive erschienen.

 

Virtuelle und reelle Schleier

The Creatures : Godzilla!

Das war der Titel Godzilla! aus dem Album Hai! der Gruppe Creatures. Siouxsie Sioux und ihr Lebensgefährte und Ehemann Budgie haben sich von der japanischen Atmosphäre bei der Aufnahme des Albums inspirieren lassen. Godzilla ist ein bekanntes Ungeheuer der japanischen Filmgeschichte.

Doch kommen wir nun zum Kopftuchstreit. Während unser Bundespräsident selbiges nicht verbieten lassen will, weil wir keinen laizistischen Staat hätten, sondern offensichtlich einen religiösen [14], werden anderswo Verbote erlassen. Einen der hierzu interessantesten Beiträge hat die von mir schon erwähnte ägyptische Feministin Nawal el-Saadawi beigesteuert. Diesen Beitrag könnt ihr jetzt in Beitrag von Radio LoRa aus Zürich hören. [15]

Wir müssen wissen, warum wir unterdrückt sind. Warum Frauen in diesem ungerechten Weltsystem die ersten Opfer sind? Diese Frage stellte die bekannte ägyptische Schriftstellerin und Feministin Nawal El Saadawi am Weltsozialforum 2004 in Mumbai, Indien. Sie sprach auf dem Podium Krieg gegen Frauen – Frauen gegen Krieg, auf dem auch eine Vertreterin von RAWA aus Afghanistan, Irene Kahn von amnesty international und Arundhati Roy aus Indien sprachen. Die Veranstaltung war eine der bestbesuchten des Forums, sie wurde organisiert von der Vereinigung autonomer Frauenorganisationen in Indien und fand auf dem großen Platz mit einer riesigen Bühne statt, auf dem mehrere 10.000 Leute gespannt den Worten der Frauen zuhörten. Im folgenden hört ihr die ganze Originalrede [16] von Nawal el-Saadawi, ich werde dazwischen absatzweise auf Deutsch übersetzen.

Frauen haben etwas ganz Spezielles, das sich von den Männern unterscheidet. Ich gebe euch ein Beispiel aus Ägypten. Vor einigen Tagen gab es eine große Demonstration wegen dem Schleier der Frauen in islamischen Ländern. Ausgelöst durch das neue Gesetz, das Jacques Chirac einzuführen versucht, das das Verschleiern von Mädchen in staatlichen Schulen verbietet. Viele Frauen, verschleierte Frauen, in Paris und in Kairo demonstrierten. Ich habe die Demonstrationen selbst gesehen. Ich sah verschleierte Frauen in Kairo, die dafür demonstierten, daß sie sich verschleiern dürfen. Sie demonstrierten gegen sich selbst. Es war sehr widersprüchlich. Denn das Lustige war, die Mächen waren verschleiert, sie verdeckten ihre Haare, aber sie trugen viel Makeup. Ich nenne Makeup den postmodernen Schleier. Diese Mädchen und Frauen trugen also den traditionellen Schleier auf ihrem Haar und den postmodernen Schleier auf ihrem Gesicht, das kommerzielle Makeup. In Paris war es noch lustiger, dort trugen sie lange Ohrringe und enge Jeans, einige von ihnen trugen sogar Mikro-Jeans.

Ihr seht also den Widerspruch. Frauen sind gefangen zwischen den fundamentalistischen, religiösen, rückständigen, reaktionären, patriarchalen Werten und den Werten der Konsumgesellschaft des Kapitalismus und Imperialismus. Männer sind von diesem Wiederspruch viel weniger betroffen.

Leider sehe ich viele Feministinnen, die von Frauenbefreiung sprechen und diesen postmodernen Schleier tragen, bestehend aus Makeup, Ohrringen und so weiter. Das ist ein Widerspruch, den wir bekämpfen müssen. Der schlimmste Schleider ist die Verschleierung des Verstandes. Wenn ich Makeup benütze, bedeutet dies, daß mein Verstand verschleiert ist. Daß ich zu einem Werkzeug in den Händen des Imperialismus und Kapitalismus geworden bin. Die vier lukrativsten Profitquellen der multinationalen Konzerne und der wirtschaftlichen Globalisierung sind:
1. der Waffenhandel, mit Massenvernichtungswaffen, Armeewaffen etc.
2. der Drogenhandel
3. die Pharmaindustrie. Bevor ich Schriftstellerin wurde, war ich Ärztin, ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich sage, die Pharmaindustrie verbreitet AIDS in Afrika, indem sie den Leuten Impfungen verkaufen. Wir kämpfen dagegen an.
Und Nummer 4 ist die Kosmetikindustrie für Frauen. Mit anderen Worten, wenn ihr euch schminkt, verschafft ihr den multinationalen Konzernen Profite. Als Frauen sollten wir uns der Kosmetikindustrie entgegensetzen.

Wenn von Frieden, Entwicklung, kultureller Relativismus und Multikulturalität etc. die Rede ist, was meinen dann die Philosophen und gebildeten Leute in den USA, in Europa und in unseren Ländern? Diese Worte werden oft benützt, um Frauen zu unterdrücken. Die intellektuelle Elite spricht von Postmoderne und kulturellem Relativismus. Als ich in London war zum Beispiel, öffnete ich die Zeitung The Guardian, eine bekannte britische Feministin wurde darin über Verschleierung und Klitorisbeschneidung in Ägypten befragt. Sie sagte, daß sei deren Kultur und Religion und sie habe nicht das Recht, es zu verurteilen, denn dies sei kultureller Relativismus. Diese Haltung ist falsch. Wir müssen den Feministinnen in England und den USA den Schleier über ihrem Verstand wegnehmen. Sie verstehen nicht, daß wir in islamischen Ländern durch den Schleier und Klitorisbeschneidung unterdrückt sind.

Der Widerspruch zwischen Schleier und Nacktheit unterdrückt uns. Kommerzielle Werte zwingen uns, möglichst nackt zu sein, und religöse Werte zwingen uns, uns zu verschleiern. Verschleierung und Nacktheit sind zwei Seiten derselben Münze.

Ihr hörtet Nawal el-Saadawi, ägyptische Schriftstellerin und Feministin, auf dem Weltsozialforum im indischen Mumbai (früher: Bombay) im Januar dieses Jahres. Ein Beitrag von Bianca Milgioretto von Radio LoRa aus Zürich, den ich für diese Sendung gekürzt habe.

Den Schleier aus unseren Köpfen zu vertreiben, heißt jedoch nicht, ihn zu verbieten. Verbote sind selten emanzipatorisch und ein Kopftuchverbot festigt in seiner antiislamischen Grundhaltung allenfalls den patriarchalen Konsens der Metropolengesellschaft. Andererseits ist ein Kopftuch auch keine multikulturelle Folklore. Ein Kopftuch ist erst einmal nur ein Kleidungsstück. Nur das Zusammenspiel von imperialistischer Machtpolitik und Männerkumpanei macht hieraus ein Politikum. Aber dieses Politikum ist nicht unseres. Beschäftigen wir uns daher lieber mit unseren Schleiern und schauen in den Spiegel. Welchen Schleier an uns selbst sehen wir?

Ob Kopftücher, Makeup oder multikulturelle Fassade – nichts davon weist über das Bestehende hinaus. Am 8. März 1917, also vor siebenundachtzig Jahren, gingen im heutigen Sankt Petersburg die Frauen auf die Straße und lösten die gewaltigste Revolution der Weltgeschichte aus. Vielleicht sollten wir uns an einem Tag wie heute diese Frauen zum Vorbild nehmen und nicht versuchen, die neoliberale Offensive mit ein bißchen Gender Mainstreaming zu versüßen. Das sich Einrichten im Falschen und das Wegschauen angesichts weltweiter Gewaltverhältnisse hilft nur denjenigen, die davon profitieren, aber nicht uns selbst.

Doch diese Welt ist viel zu schön, um sie den Arschlöchern zu überlassen.

 

Die Rollbahn

Jingle Alltag und Geschichte –

mit der 41. Folge der Tinderbox zum Internationalen Frauentag. Ich sprach heute über strukturelle Ungleichheit, männerbündlerische Väterorganisationen und ließ die ägyptische Feministin Nawal el-Saadawi zum Kopftuchstreit zu Wort kommen. Vorgestellt habe ich zudem das im vergangenen Herbst erschienene Album der Creatures mit dem Titel Hái!, was japanisch einfach "Ja" bedeutet. Siouxsie Sioux als Sängerin und Budgie am Schlagzeug bilden sicher eines der originellsten Duos der Popgeschichte. Auf der beigelegten DVD läßt sich übrigens sehr schön verfolgen, wie der musikalische Rhythmus dieses Albums zustande gekommen ist.

Zum Schluß noch ein Veranstaltungshinweis: Am kommenden Mittwochabend wird im DGB-Haus in der Rheinstraße 50 der Film Die Rollbahn gezeigt. Der Film erzählt die Geschichte der Frauen des KZ-Außenlagers Walldorf. Sie waren 1944 als Zwangsarbeiterinnen der Baufirma Züblin am Bau der ersten Betonpiste für die militärische Nutzung des Rhein-Main-Flughafens beteiligt. Zusammen mit der Leiterin des Heimatmuseums Mörfelden-Walldorf und einer Schulklasse folgt der Film den Spuren der Überlebenden bis nach Israel, Schweden, Ungarn und in die USA. Die Frauen, die als Jugendliche zwangsweise hier leben mußten, erzählen bei einem Besuch den heutigen jungen Frauen von diesem schrecklichen Teil ihrer Vergangenheit.

Die Rollbahn ist ein Film von Malte Rauch, Bernhard Türcke und Eva Voosen aus dem vergangenen Jahr. Er ist am Mittwochabend ab 19 Uhr 30 im DGB-Haus, und zwar im Hans-Böckler-Saal, zu sehen.

 

Schluß

Diese Sendung wird am heutigen Montagabend nach den Deutschlandfunk-Nachrichten gegen 23 Uhr 10 wiederholt, sowie am Dienstag um 8 und um 14 Uhr – dann ist natürlich heute nicht Montag. Das Sendemanuskript zu dieser Sendung wird im Laufe der Woche auf meiner Homepage nachzulesen sein: www.tinderbox.de.vu. Es folgt nun eine Sendung der Kulturredaktion von Radio Darmstadt mit Gerhard Schönberger. Am Mikrofon war Walter Kuhl. Hören wir zum Schluß aus dem Album Hái! den Titel Seven Tears.

The Creatures : Seven Tears

 

 

ANMERKUNGEN

 

Wem der Tenor meiner Sendung zum Internationalen Frauentag nicht zusagt, möge berücksichtigen, daß mir das Redaktionsstatut der Redaktion Alltag und Geschichte untersagt, Lügen zu erzählen und wahrheitswidrige Ideologien zu verbreiten. An diese Vorgabe halte ich mich gerne.
 
[1]   Siehe hierzu meine Besprechung seines Buches Der ferne Vater in der Sendung Väter vom 18. August 2003.
[2]   Zum neoliberalen Gehalt des Gender Mainstreaming siehe meine Sendung Frauen, Hexen, Männerwahn (Teil 3) vom 22. September 2003.
[3]   Siehe hierzu auch die Besprechung ihres Buches Fundamentalismus gegen Frauen in meiner Sendung Frauen, Hexen, Männerwahn (Teil 1) vom 08. September 2003.
[4]   Siehe hierzu auch die Sendung Mütter klagen an der Sendereihe Hinter den Spiegeln vom 16. Dezember 2003.
[5]   Elke Ostbomk-Fischer : Zentrale Probleme des Umgangs mit dem neuen Kindschaftsreformgesetz – Neues Recht des Kindes oder Recht auf das Kind? Schriftfassung des Vortrags gehalten auf der Bundesdelegiertenversammlung des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter e.V. vom 8.-10.6.2001 in Augsburg. »» Zum Vortrag. Der von mir zitierte Text findet sich auf den Seiten 3 und 4.
[6]   Elke Ostbomk-Fischer : Das Kindeswohl und die Pflicht zum Umgang aus pädagogischer und psychologischer Perspektive, Seite 5. »» Zum Aufsatz.
[7]   Elke Ostbomk-Fischer : Das Kindeswohl ..., Seite 4.
[8]   Unter dem Titel »Reformbestrebungen im Familienrecht von Seiten des ISUV« wurde am 23. August 2002 dieser Interessensverband wohlwollend vorgestellt: "Diese so klar und einleuchtend klingenden Ziele, die zu fördern Aufgabe des ISUV/VDU e.V. sind, wurden in der Sendung näher erläutert." »» Zur Sendung.
[9]   Presseerklärung des ISUV vom 18. November 2003 : Zentrale Forderungen des Interessenverbandes Unterhalt und Familienrecht, sowie Presseerklärung des ISUV vom 26. Mai 2003 : Vaterbild in Deutschland – ein Zerrbild.
[10]  Folgerichtig wird das PAS auf der Homepage des ISUV so propagiert: "In dem ISUV-Merkblatt Nr. 82 Das Parental Alienation Syndrome (PAS-Syndrom) – Das Wohl und die Interessenvertretung des Kindes wird auch für den Laien verständlich dargelegt, woran man PAS erkennen kann und welche Folgen die Programmierung von Kindern haben kann." »» Zu finden hier..

[11]  So behauptet der vom ISUV gern zitierte Arzt Wilfried von Boch in einem 1999 gehaltenen Vortrag allen Ernstes :

Vater und Mutter, mit ihren je unterschiedlichen Geschlechterrollen, Genen, Persönlichkeitsanteilen, mit ihren Begabungen und Schwächen, repräsentieren sich von der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle an im gemeinsamen Kind. Das Kind trägt die Anteile beider sozusagen in sich. Das Selbst (Wesen) des Kindes bekommt seine Struktur und Substanz – ich möchte sagen seine "Essenz" – von beiden Eltern.

Ich möchte nicht nur sagen, sondern ich sage: das ist geschwollener Blödsinn! Biologismus ist es deshalb, weil sozial erworbene Verhaltensmuster als vererbbare Essenzen hingestellt werden. Daß ein solcher Dummschwätz zu Beginn des 21. Jahrhunderts immer noch oder gerade wieder verbreitet wird, hat einen klar ersichtlichen Grund: denn anders können Väter (oder allgemein: Männer) ihre natürliche Bestimmung, Notwendigkeit und Überlegenheit nicht begründen. Der Text dieses Vortrags findet sich nicht zufällig auf den Seiten einer weiteren Väterorganisation.

[12]  Siehe Anmerkung 1.
[13]  Dabei spielt es keine Rolle, ob diejenigen, die sich aus Eigeninteresse auf diese Erfindung stürzen, davon wissen oder nicht. Unwissenschaftliche Hypothesen haben immer dann Hochkonjunktur, wenn die Argumente für illegitime Ansprüche und Forderungen auszugehen drohen. Siehe hierzu auch von Anita Heiliger : Das sogenannte "PAS" – eine falsche Theorie mit schwerwiegenden familienrechtlichen Folgen.
[14]  So meldet die Nachrichtenagentur ap am 22. Januar 2004: »Im Streit um ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen hat Bundespräsident Johannes Rau auf ein Recht muslimischer Frauen zum Tragen des Tuchs gepocht. [...] Rau warnte vor den unbeabsichtigten Nebenfolgen eines Kopftuchverbots. Man könne nicht nur ein einzelnes Symbol einer Religion verbieten und alles andere beim Alten lassen. Er fürchte, "dass ein Kopftuchverbot der erste Schritt auf dem Weg in einem laizistischen Staat ist, der religiöse Zeichen und Symbole aus dem öffentlichen Leben verbannt".«
[15]  Der vollständige Beitrag Frauenstimmen vom Weltsozialforum 2004 (Teil 4) ist hier anzuhören und/oder herunterzuladen.
[16]  Ich habe diesen Beitrag für meine Sendung allerdings um das Schlußdrittel gekürzt. Das fehlende Drittel ändert jedoch nichts am Tenor des Beitrags.

 

 

Diese Seite wurde zuletzt am 26. Januar 2005 aktualisiert.
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