Tinderbox

33. Folge

Global Players – Es ist geil, ein Arschloch zu sein

 

 

SENDEMANUSKRIPT

 
Sendung :
Tinderbox
33. Folge
Global Players
Es ist geil, ein Arschloch zu sein
 
Redaktion und Moderation :
Walter Kuhl
 
gesendet auf :
Radio Darmstadt
 
Redaktion :
Alltag und Geschichte
 
gesendet am :
Montag, 18. November 2002, 17.00–18.00 Uhr
 
wiederholt am :
Dienstag, 19. November 2002, 00.00–01.00 Uhr
Dienstag, 19. November 2002, 08.00–09.00 Uhr
Dienstag, 19. November 2002, 14.00–15.00 Uhr
 
 
Besprochenes und benutztes Buch :
Hans-Jürgen Wirth : Narzissmus und Macht, Psychosozial–Verlag
 
 
Playlist :
  • Die Gerd Show : Steuersong
  • Christian : Es ist geil ein Arschloch zu sein
  • Siouxsie and the Banshees : Falling Down
  • Siouxsie and the Banshees : Forever
  • Siouxsie and the Banshees : The Double Life
 
 
URL dieser Seite : https://www.waltpolitik.de/tinderbx/tinder33.htm
 
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HINTERGRUND ZUR SENDUNG
 Siouxsie and the Banshees 
 Die Gerd Show 
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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 : Einleitung
Kapitel 2 : Gerd Show
Kapitel 3 : Aus dem Leben eines Abgeordneten
Kapitel 4 : Karriereplanung
Kapitel 5 : Dispositionen
Kapitel 6 : Narzissmus
Kapitel 7 : Macht
Kapitel 8 : Lobbyismus
Kapitel 9 : Schluß
Anmerkungen zum Sendemanuskript

 

Einleitung

Jingle Alltag und Geschichte / Tinderbox

Tinderbox
Dreiunddreißigster Teil
Global Players
Es ist geil, ein Arschloch zu sein

Die Gerd Show : Steuersong

Ja ja, die Arbeitslosen. Es gibt nicht nur viele von ihnen, sondern sie sind auch nützlich. Zumindest zur Umsetzung der wirtschaftspolitischen Vorstellungen der frisch wiedergewählten rot–grünen Lügenregierung. Niedriglohnsektor, Gesundheits– und Rentenreform werden drei Vehikel sein, den armen jammernden Kapitalisten dieser Republik wieder ein Leben in Reichtum und Wohlstand zu ermöglichen – so, wie sich das auch in einer sozialen Marktwirtschaft gehört. Denn wer, wenn nicht die Arbeitslosen, sollen sozial zu ihren zukünftigen Bossen sein?

Der Steuersong der Gerd Show hat es mühelos von Null auf Platz 1 der deutschen Charts geschafft. Nun ist dies sicher kein Ausdruck eines erwachenden politischen Bewußtseins, sondern allenfalls Ausdruck dumpfer ohnmächtiger Wut. Wobei sicher der eine oder die andere die Platte auch deswegen geil findet, weil sie genau das ausdrückt, worauf sie selbst abfahren: abzocken, abwälzen, abkassieren.

Ob das auch für die 20% der Darmstädterinnen und Darmstädter gilt, die den grünen Koalitionspartner gewählt haben? Nun, neoliberal sein ist hip, und deshalb haben diese 20% jedes Recht verwirkt, sich über den Wirtschafts– und Kriegskurs ihrer Regierung zu beschweren. Diese 20% bekommen das, was sie verdient haben: eine antisoziale, antiemanzipatorische, unsolidarische Regierung, die sich treu den Interessen der deutschen Wirtschaft verpflichtet fühlt. Die Kollateralschäden können dann im vielseits gelobten Ehrenamt aufgefangen und verarztet werden.

Deswegen bin ich für die sofortige Einführung einer Dumpfbackensteuer auf grüne Flausen und Illusionen; und fordere den grünen Kriegsminister Joschka Fischer auf, in Zukunft nur noch die Wählerinnen und Wähler seiner Partei an der Front zu verheizen. Die wollen es ja nicht anders so. Ach ja, ich habe es mal wieder vergessen: auch diese Sendung ist für die grüne Wahlklientel nicht geeignet. Ich rede nicht mit Bildungsresistenten. Das ist genauso sinnlos, als wollte ich mit esoterischen und spirituellen Menschen rational argumentieren.

Alle anderen begrüße ich hier auf Radio Darmstadt. Am Mikrofon für die Redaktion Alltag und Geschichte ist Walter Kuhl.

 

Gerd Show

Doch die Gerd Show mit Hans Eichel und seinen grünen Claqueuren wird ohnehin ein klares Ergebnis zur Folge haben. Die Landtagswahl in Hessen im nächsten Frühjahr könnte jetzt schon als Maßnahme zur Kostensenkung im Politikerunwesen eingespart werden. Die Partei der schwarzen Koffer und die Partei der gelben Flyer werden garantiert wiedergewählt werden.

Wobei wir nicht denken dürfen, daß bei einem anderen Ausgang der Bundestagswahl sich irgendetwas geändert hätte. Statt Schröder, Eichel und Fischer hätten statt dessen Stoiber, Merkel und Westerwelle die neoliberale Offensive verschärft. Derselbe Hohn und Spott wäre über dieser Regierung ausgeschüttet worden. Doch Stoiber hätte uns sicher gesagt, daß seine tolle Regierung nur die Scherben seiner rot–grünen Vorgänger hätte aufräumen müssen. Um Ausreden sind die Damen und Herren der Politik ja nie verlegen.

Mit der Wahrheit haben sie es nicht so. Doch Politik ist kein dreckiges Geschäft, weil Politik per se dreckig ist, sondern das dreckige Geschäft ergibt sich zwingend aus den Notwendigkeiten staatlichen Handelns. Denn der Staat ist zunächst nicht mehr als der geschäftsführende Ausschuß der gesamten Kapitalistenklasse – und genau diese Interessenlage drückt sich dann auch in der Politik aus. Und dann ist es so ziemlich egal, welche Parteien dieses Geschäft besorgen.

Wobei es vielleicht doch einen wesentlichen Unterschied zwischen der schwarzen Kofferpartei und der Gerd Show gibt. Die Sozialdemokratie, seltsamerweise in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts noch wegen angeblich revolutionärer Umtriebe verfolgt, muß ihr Anliegen immer wieder neu beweisen. Und um zu beweisen, daß sie es ehrlich meint, den Kapitalismus im Sinne des Kapitals zu managen, muß sie zwangsläufig immer wieder aufs Neue die eigene Klientel opfern. Daß sie dabei ihre Basis aufs Spiel setzt, ist ihr dann egal. Macht ist einfach zu geil.

 

Aus dem Leben eines Abgeordneten

Nehmen wir doch den darmstädter SPD-Bundestagsabgeordneten Walter Hoffmann. Er ist ganz gewiß ein lieber Kerl und würde nichts lieber tun, als sozial und verantwortlich die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu vertreten. Doch was zählt, sind nicht die Worte, sondern die Taten. Als er noch Vorsitzender des DGB–Kreises Starkenburg war, saß er auch im Verwaltungsausschuß des Arbeitsamts Darmstadt. Dies ist dessen sogenanntes Selbstverwaltungsgremium; ein Drittel der 15 Mitglieder werden von Arbeitnehmern und Gewerkschaften bestellt. Aber hat dies reale Auswirkungen zugunsten der eigenen Klientel? Weit gefehlt!

Zu den glorreichen Zeiten eines Walter Hoffmann im Verwaltungsausschuß des Arbeitsamts Darmstadt wurden 1999, 2000 und noch 2001 Arbeitslose auf die Spargeläcker geschickt. Vielleicht hätte es Walter Hoffmann einmal gutgetan, selbst zwei oder drei Monate diese gesundheitsschädliche Knochenarbeit für einen Hungerlohn abzuleisten. Das Argument, daß auch andere sich dort ihre Wirbelsäule demolieren lassen, also man oder frau sich nicht so anstellen solle, zählt nicht. Aber wir wissen jetzt, woher die Kostenexplosion im Gesundheitswesen stammt.

Doch Walter Hoffmanns Karriere ist noch lange nicht beendet. Als DGB–Kreisvorsitzender wurde er 1998 von der SPD zum Bundestagsabgeordneten erwählt, weil die Gewerkschaften in Zeiten einer rot–grünen Koalitionsregierung die Aufgabe haben, sowohl arbeitsmarktpolitische Maßnahmen abzusegnen, als auch die Mitgliederbasis ruhig zu halten. In seiner Doppelfunktion konnte Walter Hoffmann hier segensreich wirken. Selbstverständlich nur zum Wohl der Arbeitslosen und auch derer, die noch nicht zur Arbeit im Dumpinglohnbereich verdammt waren.

Vielleicht muß ich jetzt einen kleinen Schlenker in meiner Argumentation machen. Kommen wir noch einmal auf die aktuellen Projekte der rot–grünen Lügenregierung zurück. Die Erhöhung der Beiträge zur Rentenversicherung auf 19,5% ist ja nur der Tropfen auf einen heißen Stein, der durch die Wirtschaftspolitik derselben Regierung maßgeblich miterhitzt wird. Denn wenn das Ziel der ganzen Bemühungen ist, die Lohnnebenkosten drastisch zu senken, passiert was? Genau – die Beiträge zur Sozialversicherung sinken und weitere Löcher in den Kassen sind die Folge.

Nun ist es ja nicht so, daß nicht genügend Geld in diesen Kassen wäre. Ganz im Gegenteil! Für sinnvolle Projekte und Zukunftsinvestitionen ist immer Geld da. Hans Eichel müßte also gar nicht auf Kosten derjenigen sparen, die ohnehin schon für alles mögliche zur Kasse gebeten werden, sondern müßte nur die überflüssigen Ressorts und Ausgabenposten einfach schließen. Ihr wißt, woran ich denke – richtig! Ich denke beispielsweise an das Kriegsministerium, das Herr Eichel ohne mit der Wimper zu zucken mit 25 Milliarden Euro beehrt. 25 Milliarden Euro für die Planung, Vorbereitung und Durchführung von Mord und Totschlag. Ach nein, das sind ja die falschen Vokabeln. Die richtigen lauten: friedenserhaltende Maßnahmen, Menschenrechtspolitik und Kampf gegen den Terrorismus. Aber egal, welche Vokabeln gewählt werden, für die Betroffenen ist das Ergebnis gleich tödlich. Und Walter Hoffmann, jetzt kommt der Schlenker zurück, erklärte der Öffentlichkeit, durch seinen Einsatz seien die Bundeswehrstandorte Darmstadt und Pfungstadt gesichert worden [1]. Wozu? Wer braucht das?

Und hier wird es dann doch interessant. Es ist absolut illusorisch, von einem strukturell gewaltförmigen Wirtschaftssystem wie dem Kapitalismus so etwas wie Friedfertigkeit zu erwarten. Eine Kriegsmaschinerie wird auf jeden Fall benötigt. Daher bietet sich der Einzelplan 14 des Bundeshaushaltes – also das Kriegsministerium – auch nicht als Einsparpotential an. Unsere Jungs müssen schließlich wieder auf der ganzen Erde deutsche Interessen – diesmal getarnt als Menschenrechtspolitik – durchsetzen. Und da kommt ihnen ein Walter Hoffmann gerade recht!

So verstehe ich dann auch, warum Walter Hoffmann am 25. September des letzten Jahres dem russischen Präsidenten Wladimir Putin begeistert Beifall spendete. Putin hatte im Deutschen Bundestag noch einmal deutlich gemacht, daß sein Krieg gegen Tschetschenien als Anti–Terror–Kampf zu verstehen sei. Und da Walter Hoffmann seine Vokabeln richtig gelernt hatte, hat er Putin genau verstanden – und applaudiert. Ist ja auch logisch. Denn schließlich übt die Bundeswehr in Afghanistan nur. Was sie im Hindukusch wirklich treibt, wird absolut geheim gehalten. Vergessen will ich dabei nicht, daß auch Andreas Storm seine Vokabeln gelernt hat und als Claqueur im Bundestag mitgeschauspielert hat. Eine Frage nach Anstand und Gewissen erübrigt sich. Hätten die beiden so etwas wie Anstand, dann hätten sie schon längst die Konsequenz daraus gezogen, einen Präsidenten bejubelt zu haben, der 100.000 Menschen auf dem Gewissen hat [2].

Nein, nein – Walter Hoffmann ist darum nicht unbedingt ein Sympathisant der grünen Kriegsfraktion. Er macht das doch nur aus arbeitsmarktpolitischen Gründen. Dabei wäre es schon eine spannende Frage, wieviele Arbeitsplätze in Deutschland an der Produktion, Wartung und Instandhaltung von Mordwaffen hängen; von über 300.000 Bundeswehrsoldaten, die zumindest kurzfristig den Arbeitsmarkt entlasten, ganz zu schweigen. Auch hier ist Vokabellernen angesagt: wenn von Arbeitsplätzen die Rede ist, geht es immer um Profit. Ist ja logisch. Oder warum sonst werden Arbeitslose möglichst billig eingestellt? Aus Mitleid oder Nächstenliebe?

 

Karriereplanung

Doch laßt mich noch einmal auf Walter Hoffmanns Karriereplanung zurückkommen. In einem vom Darmstädter Echo am 2. September 1999 veröffentlichten Interview zum schon damaligen Sparpaket der Bundesregierung hatte er doch tatsächlich behauptet:

Es gibt zwar eine neoliberale Strömung in der SPD, aber die ist nicht gleichzusetzen mit dem Kurs der Regierung.

Und nur, damit wir das auch richtig verstehen: vielleicht hat er ja Recht gehabt. Vielleicht ist die Bundesregierung noch neoliberaler, noch unsozialer, noch gewissenloser als die Mehrheit in der SPD. Das ist nicht auszuschließen. Jedenfalls – so viel Schleimerei ist auf jeden Fall karrierefördernd. So läßt der wiedergewählte Bundestagsabgeordnete in einer Pressemitteilung am 11. November [2002] verkünden:

Der Darmstädter SPD–Bundestagsabgeordnete Walter Hoffmann (SPD) wird in der neuen Legislaturperiode im Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Arbeit mitwirken und in dieser Funktion die Arbeit von Bundesminister Wolfgang Clement (SPD) begleiten.

Mir schwant schon so einiges. Und als wolle er meine Ahnungen bestätigen, heißt es dort weiter:

Nach Angaben Hoffmanns liegt der Schwerpunkt der Ausschussarbeit bei der Umsetzung des Hartz–Konzepts zur Reform des Arbeitsmarktes, bei der Mittelstandsförderung, der Entbürokratisierung und bei allgemeinen wirtschafts– und arbeitsmarktpolitischen Fragen.

Und damit die Lobby weiß, an wen sie sich zu wenden hat, endet die Pressemitteilung mit den Worten:

Walter Hoffmann ist der einzige SPD–Vertreter aus Hessen in diesem Ausschuss.

Immerhin – er ist in der Ausschuß–Hierarchie aufgestiegen. Er darf die Arbeit von Wolfgang Clement begleiten. Klatschend – wie bei Kumpel Putin? Oder worin besteht seine begleitende Arbeit im Wirtschaftsausschuß des Bundestages? Das Hartz–Konzept umzusetzen, bedeutet ja nichts anderes, als die Arbeitslosen dazu zu benutzen, einen relevanten Niederiglohnsektor in der Bundesrepublik zu etablieren. Daß dabei der Mittelstand gefördert werden muß, weiß sogar Edmund Stoiber. Walter Hoffmann kann das viel schöner sagen:

Wir brauchen eine Reform der Unternehmenssteuer, auch damit die Klagen der Arbeitgeber aufhören. [3]

Klasse! Damit die Bosse nicht mehr jammern, werfe ich ihnen die Arbeitslosen zum Fraß vor – oder wie? Ich sagte es ja schon: die SPD beweist ihre Nützlichkeit und Ungefährlichkeit für das Kapital dadurch, daß sie ihre eigene Klientel opfert. Die Opferung wird im entsprechenden Bundestagsausschuß spruchreif verhandelt und danach dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt. Wahrscheinlich liegt der Opferaltar in Frankfurt oder in der Daimler–Raubritterburg in Stuttgart [4], am Standort eines der weltweit größten Rüstungskonzerne.

Nur – peinlich, daß damit allein das Jammern der Arbeitgeber abgestellt werden soll. Die jammern doch sowieso immer. Gehört doch zu ihrem Job, ist sozusagen in ihrer Tätigkeitsbeschreibung enthalten. Im Radio geht das einfacher. Entweder hält man sich die Ohren zu oder frau schaltet einfach ab. Kann Walter Hoffmann das nicht auch? Oder wo ist sein Problem?

Doch kommen wir dahin zurück, wo gespart werden muß. Denn wo gespart wird, wird formal (aber nicht wirklich) im Bundestag entschieden. Und hier steht wieder einmal die Erhöhung der Diäten zur Debatte. Auch hier ist es interessant zu erfahren, was Walter Hoffmann dazu zu sagen hat. Am vergangenen Freitag war hierzu im Darmstädter Echo Folgendes zu lesen:

Wir verdienen gut, sagte er, ich habe keinen Grund zur Klage. Kritikern ist zu sagen: Wir haben eine Sieben–Tage–Woche, oft einen 16–Stunden-Tag, entscheiden über Krieg und Frieden, über Ausgaben von 255 Milliarden Euro. Vergleichbare Berufsgruppen verdienen deutlich mehr. Gut wäre es, wenn unsere Bezüge von einer unabhängigen Kommission nach objektiven Maßstäben festgelegt würden. [5]

Ich finde diese Aussagen ziemlich entlarvend. Doch zunächst einmal möchte ich mich schon jetzt als Mitglied dieser unabhängigen Kommission bewerben. Ich mache das auch ehrenamtlich. Ich bin nämlich so dreist und messe die Abgeordneten an dem, was bei ihrer Arbeit herauskommt. Natürlich nicht objektiv nach kapitalistischen Marktkriterien – das ist ja das, was Hoffmann unter objektive Maßstäbe versteht. Nein – bei diesen Marktkriterien fallen nämlich alle raus, die sich nicht optimal verwerten lassen; und das ist blanker plumper billiger Neoliberalismus. Nein, ich würde die Workaholics von der Bundestagsfront daran messen, ob sie für den Profit oder für die Menschen gearbeitet haben. Klar, irgendwie anachronistisch und absolut illusorisch gedacht. Denn solche Kriterien zählen bekanntlich nicht. Aber mal ernsthaft: wer nicht in der Lage ist zu delegieren, wer nicht in der Lage ist, Macht und Kompetenz abzugeben, hat ein Problem. Dann kommt wirklich eine 100–Stunden–Woche dabei heraus. Aber das ist doch kein Verdienst, der auch noch entlohnt werden sollte. Das ist Dummheit, die bestraft gehört.

Soll doch der Walter Hoffmann, anstatt 100 Stunden zu arbeiten, zwei Arbeitslose einstellen. Das wäre in der Tat die doch sonst von ihm propagierte aktive Arbeitsmarktpolitik. Der Bundestagsabgeordnete als Ich–AG, so wie es das Hartz–Konzept auch vorsieht. Aber er soll aufhören, mir etwas von Arbeitsüberlastung vorzujammern. Igitt, ist ja ekelhaft. – Woraus ich zusammenfassend den Schluß ziehe: Walter Hoffmann ist ein würdiges Mitglied der Gerd Show. Kein Grund zum Jubeln. Eher einer zum Abwinken.

 

Dispositionen

Christian : Es ist geil ein Arschloch zu sein

Der Song der neoliberalen Spaßgesellschaft. Vielleicht sollte ich genauer sagen – dieser Song drückt das wahre Ich des Kapitalismus aus und seiner Arschlöcher aus: Weg mit dem Sozialgedöns, weg mit dem Anspruchsdenken (außer dem eigenen), weg mit allen, die nicht willens oder fähig sind, ihren Beitrag zum Bruttosozialprodukt abzuliefern. Sollen sie doch abkratzen – oder sich selbst versichern. Sozialversicherung, nein danke!

Doch wer jetzt glaubt, ich würde Machtgeilheit als ein persönliches Problem betrachten, liegt völlig falsch. Walter Hoffmann mag der ideale Kandidat für neoliberale Wirtschaftspolitik unter dem Deckmantel arbeitmarktpolitischer Zwänge sein. Aber es spielt letzten Endes keine Rolle, wer den Job macht. Kandidatinnen und Kandidaten bieten sich hierfür massenhaft wie sauer Bier an. Der Kapitalismus und seine gesellschaftliche Sozialisation bringen die Menschen selbst hervor, die benötigt werden, um die unsoziale Abzockerei zu gewährleisten.

Andererseits gibt es Menschen, die dafür empfänglicher sind als andere. Das liegt natürlich nicht an den Genen oder unserem evolutionsbiologischen Erbe, wie es die Sozialdarwinisten der Postmoderne so gerne verkünden. Damit Menschen so funktionieren, wie sie gebraucht werden, müssen sie zugerichtet werden. Ich könnte auch sagen: ohne ein gewisses Maß an Gehirnwäsche, verbunden mit plumper materieller Bestechung, läuft der Laden nicht. Das Problem der Schulen liegt nicht in dem, was die Pisa–Studie vorgaukelt, sondern in ihrem Programm.

Einseifen, abwaschen und adrett zurechtfönen.

 

Narzissmus

Doch allein das erklärt die Attraktivität von Macht und Herrschaft, von Geld und Profit nicht. Es soll ja Menschen geben, denen das alles nichts bedeutet. Wir müssen davon ausgehen, daß eine gewisse psychische Grundeinstellung notwendig ist, um perfekt zu funktionieren. Der Psychoanalytiker Hans–Jürgen Wirth hat sich in seiner Studie Narzissmus und Macht darüber ausführliche Gedanken gemacht. Anhand der Biographien von Uwe Barschel, Helmut Kohl, Joschka Fischer und Slobodan Milosevic analysiert er diesen Zusammenhang zwischen Narzißmus und Macht.

Wirths Studie abstrahiert jedoch von der kapitalistischen Wirklichkeit. Die ist sozusagen gegeben. Er negiert sie nicht, aber sie ist nicht sein Untersuchungsgegenstand. Ihn interessiert, was Macht so attraktiv macht; ihn interessiert der Kick dabei. Ich möchte an dieser Stelle einige Gedanken aus diesem Buch einflechten, um sowohl die Gerd Show als auch die Claqueure der Macht in ihrem Handeln, aber auch in ihrer medialen Inszenierung besser begreifbar zu machen.

Vielleicht ist es sinnvoll, kurz auf den Begriff des Narzißmus einzugehen. Und das ist gar nicht so einfach, weil er sehr ambivalent besetzt ist. Negative Eigenschaften wie Eitelkeit, Egoismus oder Selbstgefälligkeit, aber auch Unsicherheit oder Selbstanklagen bezeichnen genauso Aspekte des Narzißmus wie positive Werte, als da wären Selbstbewußtsein, Charakterfestigkeit oder Selbstdisziplin.

Freud versteht unter Narzissmus den Umstand, dass man das eigene Ich, das eigene Selbst, die eigene Person, den eigenen Körper, genauso zum Objekt libidinöser (und aggressiver) Wünsche und Impulse machen kann, wie eine andere Person, wie ein anderes Objekt. [...] Man kann sich selbst, den eigenen Körper, die eigenen Merkmale genauso lieben, idealisieren, umsorgen, aber auch hassen, verachten und beschädigen, wie man dies alles einer anderen Person antun kann. [6]

Dennoch, so Wirth, ist es unmöglich psychoanalytisch anzugeben, was einen gesunden Narzißmus ausmacht; und Wirth ist sich der Problematik des Begriffs gesund sehr wohl bewußt. Dennoch gibt es den Unterschied zwischen wahrem und falschem Selbst; und daran läßt sich pathologischer von gesundem Narzißmus unterscheiden. Noch einmal Wirth:

Nur in dem Maße, in dem es dem Subjekt gelingt, von seinem selbstsüchtigen Narzissmus Abstand zu gewinnen, wird es innerlich frei für die wahre, die echte, die uneigennützige Liebe. Solange es hingegen von seinem selbstsüchtigen Narzissmus beherrscht wird, gestaltet es auch seine Liebesbeziehungen nach narzisstischen Gesichtspunkten, das heißt, es funktionalisiert das Liebesobjekt für seine eigennützigen Interessen. [7]

Wobei hier unter Liebe nicht oder nicht nur das verstanden wird, wovon die Musik– und Filmindustrie weitgehend lebt. Liebe ist mehr als die Suche nach dem Märchenprinzen oder der Backfischprinzessin. Dazu Wirth:

Es gehört zum Charakteristikum von Liebe und Anerkennung, dass diese geschenkt, also prinzipiell freiwillig und zweckfrei gegeben werden. Unter den Bedingungen von Macht und Gewalt erzwungen, werden sie automatisch mit dem Gift der Lüge kontaminiert und durch ihre Funktionalisierung [...] entwertet. Erkaufte, befohlene, erzwungene, gestohlene Liebe ist keine wahrhaftige und echte Liebe, sie kommt von einem falschen Selbst und erreicht darum auch im Liebesobjekt häufig nur das falsche Selbst. [8]

Vor einiger Zeit habe ich mal ein irres Buch gelesen. Obwohl, so irre war es nicht. Es behandelte nur den ganz normalen kapitalistisch–patriarchalen Wahnsinn. Und zwar handelt es sich hierbei um einen Flirtratgeber für Frauen. Das Problem sind die Männer. Männer sind im allgemeinen bekanntlich soziale Idioten. Und das gilt es auszunutzen. Also sollten Frauen bei der Suche nach irgendeinem x–beliebigen Mann (und die sind ja weitestgehend austauschbar) behaupten, unkompliziert zu sein. Und wenn es nicht ganz stimmt, werden die Männer es ohnehin erst herausfinden, wenn es zu spät ist. Was derartige Lebenslügen für eine zukünftige Beziehung bedeuten, ist egal. Es handelt sich ja um eine Geschäftsbeziehung, und Betrug ist im Kapitalismus bekanntlich eine Maxime des Erfolgs. Und so verlaufen die meisten Beziehungen auch – als Warenbeziehung. Nun ist, so Hans–Jürgen Wirth,

kein Mensch [...] frei von pathologischem Narzissmus, kein Mensch ist frei von dem unbewussten Verlangen, sein eigenes psychisches Gleichgewicht zu stabilisieren, indem er seine Partner, auch und gerade seine Liebespartner, für seine eigennützigen Interessen und Bedürfnisse benutzt. Kein Mensch ist frei von der Versuchung, auch in seinen Liebesbeziehungen seine Macht spielen zu lassen. Dies hat aber unweigerlich zur Folge, dass die Beziehungen zumindest partiell einen narzisstischen Charakter annehmen. [9]

Schaut in den Spiegel und um euch herum. Ihr werdet genau dies vorfinden. Doch auch die Nächstenliebe ist alles andere als clean.

Auch das christliche Motto Liebe deinen Nächsten wie dich selbst bietet keine zufrieden stellende Antwort auf die Frage nach dem richtigen Leben, denn die Liebe zu sich selbst kann genauso von Macht und Funktionalisierung durch fremde Interessen geprägt und vergiftet sein wie die Beziehung zum Nächsten. [10]

Oder vielleicht noch krasser: wer seine Nächsten wie sich selbst liebt, und mit sich selbst nicht im Klaren ist, geht auch mit seinen Nächsten genau so um. Und verkauft das dann noch als Nächstenliebe. Edmund Stoiber und die hessischen Kofferträger lassen grüßen.

Siouxsie and the Banshees : Falling Down

 

Macht

Vom Narzißmus komme ich nun zur Macht. Macht gilt zwar als böse, aber realistisch betrachtet ist Macht etwas, das durch ein Ungleichgewicht zwischen Menschen hergestellt wird. Das kann durchaus positiv sein, wenn Macht dazu verhilft, sich selbst und andere zu ermächtigen, das Leben besser in den Griff zu bekommen, also letztlich Macht abzuschaffen. Macht kann aber auch negativ sein, allerdings handelt es sich dann ja wohl eher um Herrschaft. Vielleicht ist es sinnvoll, klar zwischen Macht und Herrschaft zu unterscheiden. Hans–Jürgen Wirth betrachtet nun das dynamische Wechselspiel zwischen Narzißmus und Macht, wenn er schreibt, daß dazu

auf der einen Seite die Machtgelüste des Herrschers [gehören], die auf der anderen Seite durch die Unterwerfungs– und Schutzbedürfnisse der Beherrschten ergänzt werden und dessen Macht überhaupt erst ermöglichen. Dazu gehört aber auch die Verzahnung der individuellen Psychopathologie des einzelnen Politikers mit den politischen Strukturen, die er vorfindet. [11]

Die Übermacht der deformierenden Verhältnisse ist [...] so groß, dass sich der einzelne Politiker den korrumpierenden Einflüssen der Macht nicht entziehen kann. Aus einer eher psychologischen Perspektive könnte man ergänzend sagen, dass gesellschaftliche Macht gesucht wird, um innere Gefühle von Ohnmacht, Hilflosigkeit und Minderwertigkeit zu kompensieren. Macht übt deshalb gerade auf solche Personen eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus, die an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden. Ungezügelte Selbstbezogenheit, Sieger–Mentalität, Karriere–Besessenheit und Größenphantasien sind Eigenschaften, die der narzisstisch gestörten Persönlichkeit den Weg in die Schaltzentralen der Macht ebnen. Indem sich der narzisstisch gestörte Führer mit Ja–Sagern, Bewunderern und gewitzten Manipulatoren [...] umgibt, verschafft er sich eine Bestätigung seines Selbstbildes, untergräbt jedoch zugleich seine realistische Selbstwahrnehmung und verfestigt seinen illusionären und von Feindbildern geprägten Weltbezug. [12]

Und da die Feinde überall sind, muß er seine Freunde kaufen. Und den folgenden Gedanken finde ich geradezu spannend, weil er den Sinn der Machtinszenierungen hervorhebt. Noch einmal Wirth:

Die Anerkennung bekommt er nicht geschenkt, er hat sie sich durch harte Macht–Arbeit verdient. Sie ist ein geradezu notwendiges Resultat seiner eigenen Leistung und Macht. Deshalb sind auch bestellte Claqueure keine narzisstische Kränkung für den Herrscher, sondern eher ein Beweis, dass sein Machtapparat funktioniert. Auf die Verehrung der Massen kann sich selbst der mächtigste Herrscher nicht so sicher verlassen wie auf die Vasallen, die bei ihm in Lohn und Brot stehen. Die Macht und die Zeremonien der Macht sollen gerade verhindern und verschleiern, wie abhängig sich der Mächtige von den Gunstbezeugungen der Masse fühlt, indem er es ist, der mit pompöser Gebärde den Massen seine Gunst erweist. [13]

Natürlich bleibt diese Inszenierung nicht ohne Auswirkung auf die eigene Wahrnehmungsfähigkeit. Erinnert ihr euch an meine Freundin Kerstin Müller? Die mit den hohen moralischen Werten der Grünen? Irgendwie paßt Wirths nächster Gedanke dazu:

Eng verknüpft mit dem Realitätsverlust ist die Abkehr von den Normen, Werten und Idealen, denen die Führungsperson sich ursprünglich verpflichtet fühlte. Machtbesessenheit, Skrupellosigkeit und Zynismus führen beim narzisstischen Despoten häufig bis zur brutalen Menschenverachtung. [...] Doch es geht mir nicht nur um die hohe Politik, sondern auch um den Einfluss psychischer Konflikte im alltäglichen politischen Geschäft. Zudem existieren Narzissmus und Macht nicht nur in den oberen Etagen von Politik und Wirtschaft, sondern spielen auch im alltäglichen Leben jedes Einzelnen eine Rolle. Beispielsweise hat die Art und Weise, wie Eltern über ihre Kinder Macht ausüben und sie für ihre narzisstischen Bedürfnisse missbrauchen, Modellcharakter für deren späteres politisches Handeln, so wie sich umgekehrt die Maßstäbe der politischen Kultur auch auf den Umgangsstil in Familien auswirken. [14]

Ich möchte an dieser Stelle die Vorstellung des Buches Narzissmus und Macht von Hans–Jürgen Wirth abbrechen. Das hat außer zeitlichen auch ganz banale persönliche Gründe. Ich habe es noch nicht zu Ende gelesen. Dennoch hoffe ich, daß ihr – wie ich auch – ein wenig neugierig geworden seid und selbst herausfinden möchtet, ob dieses Buch einige eurer Fragen zu euch selbst, aber auch zur Psychoanalyse seelischer Störungen in der Politik beantworten kann. Das Buch von Hans-Jürgen Wirth ist im Psychosozial–Verlag erschienen und kostet 24 Euro 90.

 

Lobbyismus

Doch noch eine Bemerkung zum Schluß: unsere piensigen Arbeitgeber und ihre Manager, die Politikerinnen und Politiker und insbesondere die Regierungsgerdshow verkünden ja überall, daß das Grundübel das soziale Besitzstandsdenken ist. Die Bürokratie müsse beseitigt und der Lobbyismus bekämpft werden. Dies ist natürlich eine Kampfansage an die sozialen Errungenschaften der letzten fünfzig Jahre.

Selbstverständlich würden sie nie ihren Rüstungslobbyismus anprangern oder ihre eigenen Subventionen freiwillig zur Verfügung stellen. Steuern zahlen sie auch nicht freiwillig – das sollen ja andere für sie tun. Und die Diäten sollen sich auch erhöhen. Leistung für's Kapital muß sich ja lohnen.

Da sage ich doch ganz klar: wenn soziale Absicherung Lobbyismus ist, dann bin ich für diesen Lobbyismus. Wenn ein gewisser Standard im Gesundheitswesen, der durchaus verbesserungswürdig ist, Bürokratie ist, dann bin ich für diese Bürokratie. Und wenn dieser Lobbyismus und diese Bürokratie nicht nur für Deutsche, sondern für alle Migrantinnen und Migranten offen ist, dann bin ich erst recht dafür. Ansonsten halte ich den Kapitalismus weiterhin für eine asoziale Veranstaltung, die auf den Müllhaufen der Geschichte gehört. Und zwar für immer.

Dann benötigen wir auch keine Politiker wie Walter Hoffmann und Andreas Storm mehr.

 

Schluß

Siouxsie and the Banshees : Forever

Forever von Siouxsie and the Banshees. Und damit komme ich zum Schluß der heutigen 33. Folge von Tinderbox. Manche meiner Hörerinnen und Hörer mögen es begrüßt haben, daß sie nicht nur den Gesang von Frau Banshee [15] ertragen mußten, doch ich neige ja bekanntlich zuweilen zu unkonventionellen Betrachtungsweisen. Und so mag ich Musik, bei der Andere erschaudernd weghören. So wie Walter Hoffmann das auch tun sollte, wenn mal wieder ein Arbeitgeber wehklagt. Einfach weghören. Nervensägen lassen sich nicht durch Zucker ruhigstellen.

Jingle Alltag und Geschichte

Zum Schluß noch zwei Veranstaltungshinweise.

Am Mittwochabend um 18 Uhr findet eine Veranstaltung des Interkulturellen Büros und des Jugendrings Darmstadt im Foyer des Justus–Liebig–Hauses statt. Welche Möglichkeiten gibt es, mit dem Thema "Holocaust" in multikulturellen Jugendgruppen bzw. in Schulklassen umzugehen? – so lautet die Fragestellung der Veranstaltung. Zwei Kurzvorträge führen in das Thema ein. Zunächst spricht Bernd Fechler von der Jugendbegegnungsstätte Anne Frank in Frankfurt über "Erziehung nach Auschwitz" in der Einwanderungsgesellschaft. Ihm geht es dabei um den Umgang mit der NS–Geschichte und ihren Gegenwartsbezügen in multikulturellen Schulklassen und Jugendgruppen. Anne Messerschmidt vom Institut für Pädagogik an der TU Darmstadt umreißt in einem zweiten Kurzvortrag das Erinnern jenseits nationaler Identität. Eine anschließende Diskussion ist ausdrücklich erwünscht. Mittwochabend 18 Uhr im Foyer des Justus–Liebig–Hauses.

Ebenfalls am Mittwochabend lädt die VVN–BdA, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, zu einer Veranstaltung zur Aktualität des Antisemitismus ein. Referieren werden Peter Gingold und Ulrich Schneider, beide Bundessprecher der Organisation. Am Mittwochabend um 19 Uhr 30 im Naturfreundehaus Darmstadt in der Darmstraße 4a. Im Einladungstext zu dieser Veranstaltung heißt es dazu:

Der Antisemitismus in Deutschland war nie tot. Auch nach Auschwitz blieb er an den Stammtischen und in den Parolen alter und neuer Nazis lebendig, Schändung von Gedenkstätten und Synagogen, tätliche Angriffe haben seither nie aufgehört. Jetzt ist Antisemitismus auf die politische Bühne zurückgekehrt, wie nicht erst der Möllemann-Skandal zeigt. Ein Drittel der Westdeutschen, ein Viertel der Ostdeutschen meinen: Juden haben zuviel Einfluss. Antisemitismus funktioniert wieder. Was tun gegen diese gefährliche Wiederkehr. Peter Gingold, 1933 vertriebener Antifaschist und Teilnehmer an der Résistance in Frankreich, wird über seine persönliche geschichtliche Erfahrung mit Antisemitismus berichten. Ulrich Schneider, Historiker und Pädagoge, wird die gesellschaftlichen Ursachen des aktuellen Wiedererstarkens des Antisemitismus darlegen. Mit den Referenten gemeinsam soll die entscheidende Frage Was tun? erörtert werden.

Wobei ich hinzufügen möchte, daß Antisemitismus kein Phänomen alter und neuer Nazis ist, sondern aus der Mitte der Gesellschaft kommt, also von dorther, wo sich die großen Volksparteien selbst verorten.

Diese 33. Folge von Tinderbox mit ihren Einblicken über die Geilheit der Macht wird am Dienstag um 0 Uhr, nach dem Radiowecker um 8 Uhr, sowie noch einmal am Nachmittag um 14 Uhr wiederholt. Anregungen, Fragen und Kritik nehme ich gerne entgegen. Zum Beispiel telefonisch auf meiner Mailbox unter Darmstadt 8700–192. Oder per Email über tinderbox@alltagundgeschichte.de. Gleich folgt Heinerkult, eine Sendung der Kulturredaktion von Radio Darmstadt.

Doch zuvor noch einmal Siouxsie and the Banshees mit dem Stück The Double Life aus dem Album The Rapture aus dem Jahr 1995.

Oben am Ende der Treppe ist ein verschlossener Raum
Mein geheimer Raum, den kein Außenstehender sehen kann
Denn der Eintritt ist strengstens verboten
Hinter dieser Tür ist mein anderes Ich
Nicht ein Bild in einem Rahmen oder eine frische Verkleidung
Sondern mein anderes Ich – unbeweglich, träge und voller Zuversicht
Meine narzißtischen Küsse stoßen einen rot werdenden Atem aus
Und färben die Lippen rot
Ich stehe vor mir – nicht Jekyll oder Hyde
Ich stehe vor mir selbst, ohne mir erklären zu können
warum ich davon träumte, ich hätte die Füße von Cassius Clay
oder ich träumte davon, die sieben Meere zu befahren
Und wenn ich dann erwachte, so wüßte ich nichts davon, ein Doppelleben zu führen.

Ob Walter Hoffmann manchmal auch davon träumt? Oder geht es ihm wie dem Hummer – er wird nach dem Abkochen doch noch manchmal rot? Mit dieser tiefsinnigen Frage verabschiede ich mich für heute – am Mikrofon war Walter Kuhl.

Siouxsie and the Banshees : The Double Life

 

 

ANMERKUNGEN

 

[1]   Walter Hoffmann machte nie ein Hehl daraus, wie sehr ihm die Bundeswehrstandorte seines Wahlkreises ans Herz gewachsen waren. Siehe hierzu beispielsweise
  • Darmstädter Echo vom 30. Januar 2001: Scharping hält Versprechen: Panzerwerk bleibt feste Größe. Hier wird Hoffmann so wiedergegeben: Er habe sich für den Erhalt der Bundeswehrstandorte in seinem Wahlkreis eingesetzt.
  • Darmstädter Echo vom 17. Februar 2001: Standortverwaltung wird aufgelöst
  • Darmstädter Echo vom 8. März 2001: Verfehlte Millionen–Investitionen
Natürlich hat Walter Hoffmann den Kriegen gegen Jugoslawien 1999 und Afghanistan 2001 zugestimmt.
[2]   Das Protokoll der Rede Putins im Bundestag endete mit der Umschreibung einer standing ovation. Walter Hoffmann hat auf meine diesbezüglichen Fragen geantwortet, Andreas Storm nicht. Die geschätzte Gesamtzahl der Toten der beiden Tschetschenien–Kriege beträgt etwa 100.000. Wladimir Putin war als Präsident nur für den zweiten Krieg verantwortlich.
[3]   Interview mit Walter Hoffmann im Darmstädter Echo vom 2. September 1999: "Zum Sparpaket gibt es keine Alternative". Dort sagt Walter Hoffmann ganz offenherzig: "Ich betrachte mich nicht als Linken, sondern als konstruktiven Pragmatiker."
[4]   Die postmoderne Firmenzentrale hat tatsächlich das architektonische Ambiente einer Raubritterbirg. Das Sein bestimmt ganz offensichtlich das zur Schau gestellte Bewußtsein.
[5]   Darmstädter Echo vom 15. November 2002: "Wir bekommen weniger als der Darmstädter OB". Ob Walter Hoffmann an diese Aussage des anderen Darmstädter Bundestagsabgeordneten Andreas Storm gedacht hat, als er im Frühjahr 2004 seine Kandidatur für das Amt des Stadtoberhaupts ankündigte?
[6]   Hans–Jürgen Wirth : Narzissmus und Macht, Seite 28–29.
[7]   Wirth Seite 32.
[8]   Wirth Seite 33.
[9]   Wirth Seite 34.
[10]  Wirth Seite 34.
[11]  Wirth Seite 9.
[12]  Wirth Seite 9–10.
[13]  Wirth Seite 53.
[14]  Wirth Seite 10.
[15]  Susan Dallion aka Siouxsie Sioux.

 

 

Diese Seite wurde zuletzt am 15. Mai 2005 aktualisiert.
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