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Inhaltsverzeichnis |
Kapitel 1 : Einleitung |
Kapitel 2 : The Ghost In You |
Kapitel 3 : Keltische Träume |
Kapitel 4 : Klassik als kulturelle Norm |
Kapitel 5 : Der Erste Weltkrieg |
Kapitel 6 : Politische Gewalt in der Weimarer Republik |
Kapitel 7 : Schluß |
Anmerkungen zum Sendemanuskript |
Jingle Alltag und Geschichte / Tinderbox
Tinderbox
Neunundzwanzigster Teil
Interlude
Zwischenspiel
Siouxsie and the Banshees : Softly
Softly aus dem Album Superstition von Siouxsie and the Banshees. Das Album Superstition erschien 1991 und läutete ein Zwischenspiel ein, das 1996 mit der Auflösung der Band endete. Zwar gab es 1992 noch die Compilation Twice Upon A Time und 1995 das Album The Rapture, aber es war absehbar, daß der Band sowohl die Ideen als auch der Zusammenhalt fehlte.
Dennoch erfuhr eine überraschte Öffentlichkeit dieses Jahr, daß die drei Kernmitglieder der Band die Sängerin Siouxsie Sioux, der Bassist Steve Severin und der Schlagzeuger Budgie wieder zusammen auftreten; aber ohne die Absicht, die Band zu reaktivieren.
Ich werde im Verlauf dieser Sendung das Album Superstition ausklingen lassen und das eine oder andere Stück, das die Band oder Siouxsie alleine bis zu ihrem letzten Album The Rapture aufgenommen hat, spielen.
Doch der Schwerpunkt dieses Zwischenspiels soll ein anderer sein. Während Siouxsie and the Banshees mehr verspielt oder metaphorisch die Ungeheuerlichkeiten und die Kälte eines paranoiden Wahnsystems namens Kapitalismus besingen, beschreiben oder anklagen, will ich heute einige Bücher über die Vergangenheit vorstellen. Geschichte wird nicht nur gemacht; Geschichte wirkt auch nach oder wird gerade im Zeitalter multimedialer Spektakel neu zelebriert. Grund genug, sich damit zu befassen. Grund genug auch, sich mit der eigenen Vergangenheit zu beschäftigen. Der Sinn bei dieser Beschäftigung kann nur darin bestehen, zu begreifen, warum bestimmte Ereignisse so und nicht anders stattgefunden haben, um daraus zu lernen, wie unsere Geschichte vielleicht anders, vielleicht besser, gestaltet und verändert werden kann.
Geschichte ist nicht einfach da. Geschichte ist keine Ansammlung von Daten und Fakten. Geschichte ist nicht zuletzt ein komplexes soziales, politisches und wirtschaftliches Gewebe, deren Fäden uns heute so umspinnen sollen, daß wir den Kapitalismus als deren Ende, Wahrheit und Weisheit zu begreifen haben. Jeder Schritt darüber hinaus, auch Sozialismus oder Kommunismus genannt, führe in den Abgrund, ins Chaos und in weitere Ungerechtigkeiten, wird uns zumindest gesagt.
Also bleiben wir doch lieber bei dem, was wir hier sicher haben. Millionen Hungertote im Süden und sichere Arbeitsplätze im Norden. Krieg in Afghanistan und offene Grenzen in Europa. Folter in der Türkei und florierende Waffengeschäfte mit rotgrüner Unterstützung. Da wir ja alles haben, ist eine ernsthafte Beschäftigung mit den Entstehungsbedingungen unserer Gesellschaft offensichtlich sinnlos und unnötig. Oder? Also ich glaube den verlogenen Mythen und Geschichtserzählungen nicht. Und deshalb werfe ich einen anderen Blick auf Vergangenheit und Gegenwart. Für die Redaktion Alltag und Geschichte auf Radio Darmstadt begrüßt euch Walter Kuhl.
Doch zu Beginn einer kleiner Überblick auf das, worüber ich in der nächsten Stunde reden werde. Sommerzeit heißt Lesezeit, und trotz Regens bin ich dazu auch gekommen: Das Rätsel der Kelten vom Glauberg handelt von einigen unserer Vorfahren, die vor zweieinhalb bis drei Jahrtausenden wahrscheinlich den süddeutschen Raum bevölkert haben. Als Begleitband zur Kelten
Wer sich mit Klassischer Archäologie beschäftigt, wünscht sich zuweilen ein griffiges Handbuch, um die eine oder andere Grundlage noch einmal nachschlagen zu können. Diese Lücke hat Tonio Hölscher mit seinem Buch über die Klassische Archäologie geschlossen. Mir geht es nun darum festzustellen, auf welchen ideologischen Grundlagen dieses im Buch verbreitete Grundwissen beruht.
Die beiden letzten Bücher, die ich heute vorstellen möchte, behandeln die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Zum einen geht es um eine mögliche Neubewertung des 1. Weltkriegs und um die Frage, inwieweit dieser Krieg die Geschichte des 20. Jahrhunderts beeinflußt hat. Das andere Buch behandelt die Politische Gewalt in der Weimarer Republik und zeigt, daß die übliche Behauptung, die Weimarer Republik sei an seinen rechten und linken Extremen zugrunde gegangen, daß diese Behauptung nicht länger aufrecht zu erhalten ist.
Und damit komme ich zu Susanne und ihren Todesfeen (also Siouxsie and the Banshees) und dem letzten Stück ihres Albums Superstition The Ghost In You. Auch dieses Stück ist nicht frei von historischen Einsprengseln, jedoch auf eine Weise, die das Geschehen nicht begreifbar macht, sondern nur als Metapher benutzt.
Du erwachtest in einem brennenden Haus aus Papier
von den unendlichen Feldern eines traumlosen Schlafes
Du kehrst zurück zum Platz des Himmlischen Friedens
als Augenzeuge in einem Totenhemd
Du siehst sie fallen, fühlst, wie sie ihren Geist aufgeben
erlebst noch einmal den Terror der Massen.
Halte den Wirbelsturm fest, laß ihn nicht blasen
nur für einen Moment schien ich ihn zu kennen
den Geist in dir.
You awoke in a burning paperhouse
from the infinite fields
of dreamless sleep
You return to Tiananmen
an eyewitness in a shroud
to see them fall, feel them yield
reliving the terror of the crowd.
Hold the whirlwind, don't let it blow
just for a moment I seemed to know
Hold the whirlwind, dont't let it blow
I seemed to know the ghost in you.
The whisper of your scream
sighed through the air
and faith - the flag is torn and frayed
inferno heat, glory in flame
love was beaten and betrayed.
In every step I hear your sobbing
dare I break the shade with one caress?
dare I trespass to loft the veil
to touch the lips so soft and frail?
Hold the whirlwind, don't let it blow
I seemed to know the ghost in you.
Your captive heart, the belief you share
with a kiss eternal, the spirits of the square.
Hold the whirlwind, don't let it blow
hope remains with the ghost in you
Hold the whirlwind, don't let it blow
I seemed to know the ghost in you.
don't let it blow
the ghost in you
the ghost in you. [1]
Selbstverständlich machen Gerhard Schröder und sein Betroffenheits
Siouxsie and the Banshees : The Ghost In You
Besprechung von : Das Rätsel der Kelten vom Glauberg, Theiss Verlag 2002, 344 Seiten, [Preis ab 2003:] € 39,90
und von : Sabine Rieckhoff und Jörg Biel Die Kelten in Deutschland, Theiss Verlag 2001, 542 Seiten, € 64,00
Noch bis zum 1. September ist in der Frankfurter Kunsthalle Schirn die Ausstellung Das Rätsel der Kelten. Glaube Mythos Wirklichkeit zu sehen. Hierbei werden erstmals die Funde vom Glauberg im Original gezeigt. Der Begleitband zur Ausstellung stellt nicht nur die Ausstellungsstücke vor, sondern auch die keltischen Statuen vom Glauberg in der Wetterau, die Mitte der 90er Jahre ausgegraben worden sind. Hierbei werden die Verbindungslinien zu ähnlichen Funden in Frankreich, Süddeutschland und Portugal gezogen, aber auch nach kulturellen Einflüssen aus Griechenland und dem etruskischen Italien gefragt.
Das große Problem, zumindest für Archäologen und andere Forscherinnen, besteht in der Schriftlosigkeit der keltischen Kultur. Wir sind, so gesehen, bei vielen Funden auf eine Interpretation angewiesen, die wir nur unzureichend verifizieren können. Konsequent stellen die Herausgeberinnen und Herausgeber des Begleitbandes zur Ausstellung auch fest, daß hier nur der Forschungsstand des Jahres 2002 wiedergegeben werden kann.
[ ] weitere Forschungen werden wie in der Vergangenheit neue Ergebnisse und neue Kenntnisse nach sich ziehen und zu einem neuen, anderen Blick auf das gesamte historische Umfeld führen. Die Ausstellung kann auf viele drängende und spannende Fragen keine abschließenden, befriedigenden Antworten geben, sie ist eine Art aktueller erster Zwischenstand der Erkenntnisse [ ]. Sicher auch Anlaß, nochmals neu nachzudenken, und sicher kein Grund, sich auf dem gedanklich Erreichten auszuruhen. [2]
Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich wichtig ist, das alles zu wissen; ob es wirklich weiterhilft, den kulturellen Spuren der Vergangenheit nachzugehen. Ich gehe jedoch davon aus, daß das Wissen um die Vergangenheit hilft, die Gegenwart besser zu verstehen, selbst wenn es sich um Kelten, Hethiter oder die Menschen der Eiszeit handelt.
Allerdings frage ich mich auch, aus welchem Motiv heraus die mehr oder weniger aufwendige staatliche Förderung der Archäologie geschieht. Ein wirkliches Interesse daran, mit der Vergangenheit die Gegenwart besser verstehen zu können, um sie für alle Menschen dieser Erde auch menschlicher und lebenswerter zu gestalten, das kann es ja nicht sein. Denn sonst würden dieselben Staaten und Regierungen ja nicht jährlich eiskalt zehn Millionen Kinder verhungern lassen, während sie sich beispielsweise in ihrem neuen Stadtschloß in Berlin feiern lassen.
Ich denke, der mediale Aufwand, mit der sowohl die Keltenausstellung in der Schirn wie auch die hessische Keltenstraße ausgiebig vorgestellt wurde, zielt in eine andere Richtung. Die Kelten, ursprünglich wohl im Süden Deutschlands beheimatet, waren womöglich die ersten Europäer, zumindest in dem Sinn, daß ihre Krieger und Bäuerinnen nach Britannien, Portugal, Italien und in die Türkei gezogen sind, um das Land an sich zu reißen und um sich dort niederzulassen. Und außerdem macht es sich immer gut, sich ein bißchen philanthropisch zu geben. Zudem bieten sich die Kelten geradezu als idealer postmoderner Balladenstoff an. Nichts genaues weiß man und frau nicht, aber viele Mythen ranken sich darum. Und die Schriftlosigkeit der keltischen Kultur hilft bei der Identifikation. Denn was sich nicht überprüfen läßt, kann zunächst einmal hineingeheimnißt werden. Nicht, daß dies die Motivation der Archäologinnen oder Forscher ist. Nein, es ist die Projektionsfläche für all diejenigen, die an Fundorten oder in Ausstellungshallen sich selbst eine eigene Welt imaginieren können. Der Stoff also, aus dem unsere Träume sind. Wir erträumen uns eine Vergangenheit, nicht um die Gegenwart zu verstehen, schon gar nicht, um die Zukunft zu verändern, sondern um der Gegenwart zu entfliehen und uns gleichzeitig eine andere Interpretation derselben Gegenwart zu illusionieren. Wir schaffen uns also keine neue, bessere, Welt, sondern nutzen zum Teil unverstandenes Material als Bruchstücke und Bausteine, um diese heutige Welt besser ertragen und um uns darin auch irgendwie zurechtfinden zu können.
Die neue Keltomanie,
so schreibt Sabine Rieckhoff im Buch "Die Kelten in Deutschland",
treibt seltsame Blüten. Über einen
Hier wäre zu ergänzen, daß in den einschlägigen esoterischen Buchhandlungen nicht nur Feng Shui, Keltenmystizismus und Naturheilverfahren, sondern auch rechtsradikales Gedankengut verbreitet wird. Gewisse Gedankengänge scheinen offensichtlich kompatibel zu sein.
Wer aber waren nun diese Kelten, die uns außer einigen Burgen, Wallanlagen und dem Reichtum ihrer herrschenden Klasse so wenig hinterlassen haben? Dazu nochmals Sabine Rieckhoff:
Die Kelten waren nie ein Reich und hatten nie einen eigenen Staat. Es gab wohl größere Stämme und monarchisch regierte Stammesverbände (von denen wir nicht einmal wissen, ob sie sich als
Womit wir dann doch wieder beim Europagedanken wären. Nein die Kelten waren keine Wegbereiter Europas, wie dies 1991 in der großen Keltenausstellung in Venedig behauptet wurde. Sie zogen halt umher und kümmerten sich nicht darum, ob zweieinhalbtausend Jahre später irgendwelche Spinner noch mythischer und mystischer waren als die Kelten selbst.
Passend zur Keltenausstellung in der Schirn haben wir also zwei Bücher, die auf sehr unterschiedliche Weise sich dem Phänomen Kelten nähern. Der Begleitband zur Ausstellung, mit dem Titel Das Rätsel der Kelten vom Glauberg setzt seinen Schwerpunkt mehr auf die Fundsituation vor Ort, also am Glauberg, auf Grabungstechniken und Werkstattberichte. Hier wird deutlich, mit welchen objektiven und das heißt eben: wissenschaftlichen Methoden versucht wird, der keltischen Nichtschriftkultur auf die Schliche zu kommen. Der Katalog der ausgestellten Funde bildet dann den zweiten Teil dieses für historisch Interessierte durchaus empfehlenswerten Begleitbandes. Erschienen im Konrad Theiss Verlag, kostet Das Rätsel der Kelten vom Glauberg 34 Euro 90. [5]
Ganz anders aufgebaut ist das ebenfalls im Konrad Theiss Verlag erschienene Buch von Sabine Rieckhoff und Jörg Biel mit dem Titel Die Kelten in Deutschland. Während Sabine Rieckhoff nüchtern und ideologiekritisch jedem Mystizismus aus dem Weg geht und so tatsächlich unser Bild von den Kelten zu bereichern versteht, liefert Jörg Biel im zweiten Teil des Buches eine Topographie der Geländedenkmäler von Allenbach bei Zwiefalten. Will sagen: auf über 200 Seiten erhalten wir einen Überblick über die Fundstätten in Deutschland. Dieses hervorragende Buch hat nur einen wirklichen Nachteil, nämlich seinen Preis, denn es kostet 64 €.
Siouxsie and the Banshees : Face To Face
Besprechung von : Tonio Hölscher Klassische Archäologie, Theiss Verlag 2002, 360 Seiten, € 39,90
Face To Face aus dem Soundtrack des Films Batman Returns aus dem Jahr 1992. Dieser Song fand Eingang in die zweite Single
Auch wenn ich die Compilation sicher anders zusammengestellt hätte.
Das Interesse an den Kelten ist eigentlich erstaunlich. Daß die Deutschtümler sich ein Germanenbild entwarfen, das ihren ideologischen und politischen Bedürfnissen entsprach, ist bekannt. Aber warum die Kelten? Mag sein, daß es auch damit zusammenhängt, daß der Ursprung der keltischen Kultur in Süddeutschland vermutet wird. Dennoch ist ein gewisser Bruch mit der kulturellen Tradition von Teilen der deutschen Eliten festzustellen. Diese hatten sich eher am klassischen Griechenland und an den römischen Eroberern orientiert.
so schreibt Tonio Hölscher, der Autor des Buches "Klassische Archäologie",
ist [
] die Bezeichnung klassisch, die durch eine lange geistesgeschichtliche Tradition belastet ist. Schon in der römischen Antike, programmatisch aber im neuzeitlichen Humanismus, enthielt das Wort ein Werturteil im Sinne des Vorbildlichen und Normativen: Die griechische und römische Kultur galten als klassische Norm von überzeitlichen, allgemein menschlichen Werten, an denen alle anderen geschichtlichen Kulturen gemessen wurden und auf die die Gegenwart sich wieder orientieren konnte und sollte. Diese humanistischen Ideale sind in den Erfahrungen der europäischen Moderne und der Diktaturen des 20. Jh. zerbrochen. Sie haben zudem, wenn wir außereuropäische Kulturen ernst zu nehmen bereit sind, ihren Anspruch auf Allgemeingültigkeit verloren. Zweifellos ist unsere Bildung mehr oder minder bewußt, noch stark europazentriert und insofern auf die griechisch
Daraus lassen sich wichtige Erkenntnisse, aber auch neue Fragestellungen entwickeln. Dadurch, daß die klassische Antike nicht länger monopolartig zum ideologischen Normengerüst unserer Gesellschaft gehört, können wir in ihr auch Aspekte und Facetten wahrnehmen, die von einer ewiggestrigen ideologischen Norm ausgeblendet werden mußten. Griechen und Römer stehen zwar unserer Kulturgeschichte nahe, aber sind uns auch gleichzeitig fremder geworden. Vielleicht sind sie auch gar nicht mehr als so zivilisiert anzusehen. Oder eben so zivilisiert, wie unsere Menschenrechts
Aber vielleicht steht die Abkehr vom klassischen Bildungsideal auch im Zusammenhang mit einer multikulturelleren, multimedial aufbereiteten Welt. Ein bißchen postmoderne Beliebigekeit halt. Wo es früher nur Troja, Rom oder Athen gab, kommen nun Kelten, Hethiter, Maya oder Yoruba hinzu.
Tonio Hölscher hat versucht, in seinem Buch über die Klassische Archäologie das Grundwissen über die von ihm kritisch reflektierte Klassik zusammenzutragen, mit Verweisen, wo dieses Wissen vertieft werden kann. Gerade in einer Zeit, in der viele Forschungsgebiete sich weiter spezialisieren, ist es umso notwendiger, nicht nur den Überblick zu behalten, sondern auch Verbindungslinien ziehen zu können. Deshalb behandelt das Buch nicht nur den Grundkanon der klassischen Antike, wie wir ihn auf jedem Bildungsurlaub vermittelt bekommen. Vielmehr wird beispielsweise auch auf die Vorgeschichte des klassischen Griechenlands verwiesen, auf die Kulturen der Minoer und Mykener, oder wir erfahren mehr über Malerei, Mythen und Mosaiken. Weil eben auch diese Details wichtig sind, um die ideologischen Grundlagen der antiken Gesellschaften besser verstehen zu können; und dies gilt umso mehr für die Grundlagen unserer Gesellschaft.
Daß ein solches Buch Grenzen hat, ist dem Autor und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durchaus bewußt. Wenn man und frau bedenkt, daß das enzyklopädisch erfaßte Wissen der klassischen Antike weit über hundert dicke Wälzer umfaßt, dann kann ein Buch, das uns das Grundwissen zur Verfügung stellen will, nur Ausschnitte der gesamten bekannten Realität vermitteln. Und dafür eignet sich das Buch allemal und ist somit für die an der klassischen Antike Interessierten nutzbringend. Das Buch Klassische Archäologie von Tonio Hölscher ist ebenfalls im Konrad Theiss Verlag erschienen und kostet 34 Euro 90 [7].
Siouxsie and the Banshees : Fireworks
Besprechung von : Jay Winter, Geoffrey Parker, Mary R. Habeck (Hg.) Der Erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert, Hamburger Edition 2002, 352 Seiten, € 30,00
Ein problematisches und doch teilweise nicht uninteressantes Buch über den Ersten Weltkrieg und das 20. Jahrhundert hat die Hamburger Edition, der Verlag des Hamburger Instituts für Sozialforschung, herausgebracht. Basierend auf einer Vorlesungsreihe an der Universität Yale 1994, werden hier neuere Forschungsergebnisse zur Entstehung, zum Verlauf und zum Ende des 1. Weltkriegs vorgestellt.
Einerseits zeichnet das Buch aus, daß es sich von so manchen ideologischen Fesseln nach dem Ende des Kalten Krieges befreien konnte, und somit auch nüchtern auf die imperialistischen Pläne und Interessen der Kriegsteilnehmer eingehen kann. Andererseits ärgert es mich beim Lesen immer wieder, mit welchem Brett vor dem Kopf so manche Autorin oder so mancher Autor argumentiert, etwa wenn Gerald Feldman ziemlich begriffslos oder sogar begriffsstutzig davon ausgeht, daß selbst in Zeiten großer Not der Markt das bessere Instrument zur Verteilung von Ressourcen ist als wirtschaftlicher Dirigismus. Hier scheint dann deutlich die neoliberale Vorherrschaft in den Köpfen USamerikanischer Professoren durch.
Festzuhalten ist jedenfalls: auch die neuere historische Forschung geht davon aus, daß der 1. Weltkrieg kein Versehen, sondern Absicht war, und daß Deutschland mitsamt seines Satelliten Österreich
Die Soldaten der Alliierten und die sie unterstützende Zivilbevölkerung hätten sich keine düsterere Zukunft vorstellen können als ein vom deutschen Kaiserreich beherrschtes Europa. Wir haben jedoch den Vorteil nachträglicher Erkenntnisse und wissen es besser. War der Sieg der Alliierten ohne Rußland tatsächlich der optimale Ausgang des Ersten Weltkrieges? Wäre unter den gegebenen Umständen ein deutscher Sieg für die Zivilisation und die Menschheit nicht besser gewesen? Wenn das Deutsche Reich in diesem Krieg gesiegt hätte, hätte es mit dem bolschewistischen Regime kurzen Prozeß gemacht, und wir hätten ein 20. Jahrhundert ohne einen Stalin oder Hitler gehabt. Unser hypothetisches 20. Jahrhundert hätte sicherlich viele andere Schrecken hervorgebracht, aber keiner davon wäre mit den tatsächlich folgenden vergleichbar gewesen oder hätte sie gar überstiegen. [8]
Vielleicht. Aber vielleicht auch nicht. Weil Mr Fuller etwas vergißt - nämlich den tatsächlichen Grund für den 1. und letztlich auch für den 2. Weltkrieg; nämlich die imperialistische Konkurrenz zwischen den damaligen Großmächten. Und dieser Imperialismus war keine Frage der Herrschaftssystems, von Demokratie oder Freiheit, oder militärischen Eroberungsgelüsten, sondern letztlich eine wirtschaftliche Frage. Nur dadurch, daß unsere neoliberal gewendeten Professoren nach dem Fall der Mauer meinen, die ökonomischen Ursachen des 1. Weltkriegs ignorieren zu können, kommen sie zu derart seltsamen Gedankengängen. Wer meint, die durchaus hellsichtigen Schriften von Rosa Luxemburg und Wladimir Iljitsch Uljanow alias Lenin zum Altpapier geben zu können, verpaßt die Chance, die Geschichte, die zum 1. Weltkrieg führte, auch in ihrer Gesamtheit zu begreifen.
Denn interessanterweise kommt dieser Imperialismus sozusagen als Nebenbemerkung im Buch sogar vor. A.S. Kanya
Und interessant ist hierbei vor allem, daß selbst die Alliierten unter und gegeneinander unvereinbare Eroberungspläne besaßen. Offensichtlich wurden sie vor allem durch den Kampf gegen die Achse Deutschland
Das Spannendste an dem Buch über den Ersten Weltkrieg und das 20. Jahrhundert ist jedoch der Beitrag von Holger Herwig über die Mythen, die bis heute über die Geschichte oder einzelne Ereignisse erzählt werden. Er belegt die systematische Unterschlagung von Akten, die Säuberung der Archive und die Ausgrenzung von Wissenschaftlern bis weit in die Nachkriegszeit der Bundesrepublik Deutschland und Österreichs hinein. Belastendes Material wurde entfernt und statt dessen die Geschichtsschreibung manipuliert.
Leider verspricht ansonsten der Titel des Buches mehr als er hält. Gerade von der Fragestellung, welche Auswirkungen der 1. Weltkrieg für das 20. Jahrhundert gehabt hat, habe ich mir wesentlich mehr versprochen. Vor allem die These von Zara Steiner,
daß der Erste Weltkrieg und die Friedensregelungen einen tiefgreifenden Einfluß auf das internationale Staatensystem [9]
gehabt haben sollen, kann ich nicht nachvollziehen. Denn letztlich hängt die Staatenordnung nach dem Zweiten Weltkrieg von mehreren Faktoren ab: sowohl vom umfassenden Sieg der Alliierten als auch vom durch die USA diktierten Währungs und Wirtschaftssystem von Bretton Woods. Leider erzählen uns die Autorinnen und Autoren des Buches hier viel vom Einfluß und politischen Handeln diverser Staatsmänner, so als hätte es an ihrem Willen, ihrer guten Laune und ihren Fähigkeiten abgehangen, wie die Geschichte des 20. Jahrhunderts verlaufen ist. Doch genau das ist einfach grober Unfug. Ich dachte, das Geschichtsverständnis der großen Männer sei längst in den Archiven verstaubt. Wer keine ökonomische, und das heißt auch: kapitalismuskritische, Analyse betreibt, versteht nur die Hälfte, und auch die nur unvollkommen. Insofern hat das Buch mehr Schwachstellen als erhellende Momente. Ich kann es daher nur sehr eingeschränkt empfehlen. Der erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert ist in der Hamburger Edition erschienen und kostet 30 €.
Besprechung von : Dirk Schumann Politische Gewalt in der Weimarer Republik 19181933, Klartext Verlag 2001, 400 Seiten, € 45,00
Mein letztes Buch für heute ist dafür wesentlich interessanter und auch spannender. Dirk Schumann hat seine Habilitationsschrift über Politische Gewalt in der Weimarer Republik 19181933 überarbeitet und in eine für Interessierte lesbare Form gegossen. Zwar ist der Begriff der politischen Gewalt schillernd und, wie ich finde, hier auch nur unzureichend geklärt worden, aber das tut der Aussage des Buches keinen Abbruch. Dirk Schumann belegt anhand seiner Fallstudie über politische Gewalt in der preußischen Provinz Sachsen, weitgehend mit dem heutigen Bundesland Sachsen
Die rechte Gewalt, der Antisemitismus und die Ablehnung der Weimarer Republik all dies ging aus dem hervor, was wir heute die Mitte der Gesellschaft nennen. Ganz normale Bürger, ganz normale Männer, ganz normale Honoratioren, ganz normale Deutsche eben.
Dirk Schumann widerlegt mit seiner Studie, die vielleicht noch durch ähnliche Studien in anderen deutschen Regionen zu verifizieren wäre, die Legende, daß die Gewaltspirale von Rechts und Links zum Untergang der Republik geführt hat. Nein, sein Fazit ist zumindest an einem Punkt eindeutig: die Linke war viel zu schwach und handelte politisch viel zu kontraproduktiv, um eine wirkliche, eine revolutionäre Gefahr für die Weimarer Demokratie zu sein. Das heißt nicht, daß es keine Revolten oder Aufstandsversuche seitens der KPD gegeben hätte. Aber selbst in den Zeiten, in denen die Revolutionsgefahr am größten schien, also von 1918 bis 1923, selbst da ging die größere Gefahr und die gewalttätigere Politik von der mehr oder weniger extremen Rechten aus.
Und wenn wir so die politischen Auseinandersetzungen vielleicht neu bewerten müssen, die letztlich zur Machtübergabe an Hitler und seine NSDAP geführt haben, so lassen sich hier vielleicht auch Lehren für heute ziehen. Wehret den Anfängen, die schon längst keine mehr sind, kann nicht heißen, Faschisten zu tolerieren oder mit ihnen auch noch wie es in den neuen Bundesländern augenzwinkernd geschieht Sozialarbeit in staatsfinanzierten Jugendhäusern zu machen. Von der Verfassungsschutz
Insgesamt also eine interessante, wenn auch manchmal langatmige und sich in Details verlierende Studie. Auch hätte es der Studie gut getan, wenn der Autor mehr über Aufstandsbekämpfungsstrategien gewußt hätte, weil er dann auch die staatliche Politik noch einmal anders und genauer hätte betrachten müssen und auch hätte können. Aber insgesamt ist sein Buch ein Beispiel dafür, daß ein erhebliches Maß Unvoreingenommenheit der historischen Wahrheit zugute kommt. Politische Gewalt in der Weimarer Republik 19181933 ist im Essener Klartext Verlag erschienen und kostet 45 €.
Jingle Alltag und Geschichte
heute mit einer Geschichtsexkursion und der musikalischen Begleitung von Siouxsie and the Banshees. Zum Schluß dieser Sendung daher noch einmal eine Übersicht über die in dieser Sendung besprochenen Bücher:
Fragen, Anregungen oder Kritik, oder was ihr sonst noch auf dem Herzen habt, könnt ihr wie immer meiner Voice
Doch bevor die Kulturredaktion mit ihrer Sendung Heinerkult on air geht, wird Siouxsie Sioux im Duett mit Morrissey zu hören sein. Die Plattenfirma promotete die daraus entstandene Single mit dem Hinweis, hier seien zwei der größten PopIronistinnen und Ironisten versammelt und zu hören.1994 nahmen die beiden das Duett Interlude, also Zwischenspiel, auf. Die englische Tageszeitung Guardian schrieb hierzu am 19. August 1994:
Ironisten vielleicht, Misanthropen auf jeden Fall. Man verbinde den leidenschaftlichen Pessimismus des einen Songschreibers, der Girlfriend in a Coma textete, mit der strengen Diva, die Liebe in der Leere sang (Love In A Void), und das Ergebnis wird eine doppelte Dosis Elend sein, die kaum zu übertreffen ist. Interlude ist eine finstere, beunruhigende und gelegentlich tonlose Ballade, die niemals die beneidenswerte Reputation auf einer Party erhalten sollte, nur um zu zeigen, wie erbärmlich eine Verletzung sein kann. [12]
Was immer uns der Autor damit sagen wollte, ein gewisser Jim Davies war es hier hört ihr das so furchtbar düstere Duett von Siouxsie und Morrissey. Ob die Düsternis etwas mit den Verhältnissen zu tun hat, in denen wir leben? Wer weiß. Am Mikrofon für die Redaktion Alltag und Geschichte auf Radio Darmstadt war Walter Kuhl.
Morrissey / Siouxsie Sioux : Interlude
ANMERKUNGEN |
[1] © Polydor / Siouxsie and the Banshees; eigene Übersetzung. |
[2] Das Rätsel der Kelten vom Glauberg, Seite 14 |
[3] Sabine Rieckhoff und Jörg Biel : Die Kelten in Deutschland, Seite 13 |
[4] Rieckhoff / Biel, Seite 1516 |
[5] Einführungspreis, ab 1. Januar 2003 € 39,90. |
[6] Tonio Hölscjer : Klassische Archäologie, Seite 14 |
[7] Siehe Anmerkung 5. |
[8] William C. Fuller jr. : Die Ostfront, in: Jay Winter, Geoffrey Parker, Mary R. Habeck (Hg.) : Der Erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert, Seite 3470, Zitat auf Seite 70 |
[9] Zara Steiner : Krieg, Frieden und das internationale Staatensystem, in: Der Erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert, Seite 263297, Zitat auf Seite 263 |
[10] Siehe Anmerkung 5. |
[11] Siehe Anmerkung 5. |
[12] Gefunden im März 2000 auf: http://www.vamp.org/Siouxsie/Text/rev-interlude.html. |
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