Kapital Verbrechen |
Bushs Empire |
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Inhaltsverzeichnis |
Kapitel 1 : Einleitung |
Kapitel 2 : Miles and |
Kapitel 3 : Das Bush |
Kapitel 4 : Empire |
Kapitel 5 : Schluß |
Anmerkungen zum Sendemanuskript |
EinleitungJingle Alltag und Geschichte Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Die Bundestagswahl am 22. September, bei der niemand und keine so recht weiß, warum es besser sein soll, Schröder oder Stoiber zu wählen, hat einige interessierte Medien dazu veranlaßt, ein bißchen im Korruptionssumpf der Berliner Politik herumzustochern. Ein bißchen Hunzinger hier, ein paar miles and more dort. Scharping mußte gehen, Gysi ging freiwillig. Dabei dachte ich, daß Korruption zum Geschäft gehört. Warum soll das dann ein Grund sein zurückzutreten? Ich verstehe das nicht. Zwar ist Korruption ein wichtiges Lebenselixier im Kapitalismus, aber nicht alles verläuft in den geldgeschmierten vorgegebenen Bahnen. Manches jedoch schon. So etwa die Karriere des derzeitigen USPräsidenten George W. Bush. Vor kurzem ist im Bremer Atlantik Verlag von James H. Hatfield die Bush Doch wie ich schon sagte, nicht alles läuft wie geschmiert. Es ist einfach falsch, den globalen Kapitalismus als eine einzige Verschwörung korrupter Wirtschaftsbosse und Politiker zu betrachten. Nein, das Leben ist viel banaler. Der Staat ist immer noch der geschäftsführende Ausschuß der Kapitalistenklasse, und als solcher handelt er, egal ob rot Doch wie funktioniert dieses System tatsächlich? Michael Hardt und Antonio Negri haben vor zwei Jahren einen fulminanten Entwurf vorgelegt, mit dem sie versuchen, die neue Weltordnung nach dem Fall der Mauer analytisch in den Griff zu bekommen. Ihr Buch Empire, auf deutsch bei Campus erschienen, behauptet das Ende der Nationalstaatlichkeit und den Beginn imperialer Herrschaft, die an keinen Ort mehr gebunden ist, aber gleichwohl in unseren Köpfen wirkt. Dieses Buch werde ich in der zweiten Hälfte dieser Sendung besprechen. Für die Redaktion Alltag und Geschichte auf Radio Darmstadt begrüßt euch Walter Kuhl. |
Miles and
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Das Bush
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Empire
Doch Kapitalismuskritik ohne Alternative ist ziemlich sinnlos. Daher geht es uns neben der Darstellung des alltäglichen Wahnsinns auch um die Vermittlung einer Vision, wie eine andere, menschliche Gesellschaft aussehen kann. Zugegebenermaßen ist vieles utopisch, nicht greifbar. Aber wer den Kapitalismus für eine asoziale Veranstaltung hält, kann nicht einen besseren, netteren, freundlicheren Kapitalismus fordern, sondern muß sich über die Möglichkeiten eines solidarischen und emanzipatorischen Miteinanders Gedanken machen. Woraus natürlich der Schluß zu ziehen ist, daß ein Kreuzchen alle vier Jahre nicht der Weisheit letzter Schluß sein kann. Irgendwie halte ich die Wahlen am 22. September für eine ziemliche Papierverschwendung. Gedanken ganz anderer Art haben sich der USamerikanische Literaturwissenschaftler Michael Hardt und der italienische Philosoph Antonio Negri gemacht. In ihrem vor zwei Jahren auf Englisch erschienenen Buch Empire unternehmen sie den ambitionierten Versuch, die neue Weltordnung nach dem Ende des Kalten Krieges zu analysieren und in einen neuen begrifflichen Rahmen zu passen. Wenn allerdings der Rezensent der Frankfurter Allgemeinen meint, die beiden hätten nichts weniger als den Versuch unternommen, Marx auf den neusten Stand zu bringen, und sie hätten ihn als Nichtmarxisten damit überzeugt, dann werde ich skeptisch [2]. Doch der Reihe nach. Vor etwas mehr als einhundert Jahren begann in marxistischen Kreisen eine Debatte, die heute vielleicht etwas skurril wirken mag, die jedoch in Empire nachwirkt. Die Fragestellung war, ob der Kapitalismus ewig existieren kann oder aufgrund seiner eigenen Gesetzmäßigkeiten zusammenbrechen muß. Damit waren natürlich politische Konsequenzen für das eigene Handeln verbunden. Existiert der Kapitalismus ewig, ist es vielleicht besser, ihn nicht zu bekämpfen, sondern schöpferisch zu gestalten. Bricht er von allein zusammen, müssen wir nur abwarten, bis es so weit ist. Rosa Luxemburg wies seinerzeit nach, daß der Kapitalismus systemnotwendig auf ein ausplünderbares Außen angewiesen ist. Wenn die Erde aufgeteilt sei, so sagte sie einen Krieg zwischen den verschiedenen kapitalistischen Mächten voraus. Und so geschah es auch. Das damalige Zeitalter des Imperialismus endete im 1. und 2. Weltkrieg. Hardt und Negri legen nun dar, daß der klassische Imperialismus von etwas ganz Neuem abgelöst worden ist. Es gibt zwar tatsächlich kein Außen mehr, aber dies führe nicht etwa zum Zusammenbruch des Kapitalismus, sondern zu einem Zustand, der über den Imperialismus hinausweist. Das Empire, eine Macht ohne Zentrum, ist geboren. Die klassischen Nationalstaaten verlieren an Bedeutung, die global cities der postmodernen Welt bilden das neue Netzwerk der Macht. Die Produktion von Profit und Reichtum, von Macht und Herrschaft, ist nicht länger an einen Standort gebunden. Der Weltmarkt, das Kapitalverhältnis im Weltmaßstab, sei erstmals hergestellt. Freier Kapital und Warenverkehr auf der einen Seite korrespondiert mit Millionen vagabundierender Migrantinnen und Migranten. Es sind nicht mehr die klassischen Industrien, die den Kapitalismus bilden, sondern computergesteuerte Netzwerke, die in rasantester Geschwindigkeit Informationen, Waren und Finanzströme vom einen Ort der Erde zum anderen befördern. Die virtuelle Welt wird wichtiger als die reale. Doch dies ist nicht alles. Während der klassische Kapitalismus in einem jahrhundertelangen Prozeß die arbeitende Bevölkerung darauf abgerichtet hat, zum Wohle des Kapitals und des Profits zu malochen, dies zudem durch Erziehung, Ausbildung und Medien geradezu verinnerlicht worden sei, werde diese Disziplinargesellschaft heute zu einer Kontrollgesellschaft perfektioniert. Die diesem Gedanken zugrundeliegende Idee ist ja auch nachvollziehbar: wenn der Kapitalismus eine asoziale Veranstaltung ist, warum wird er immer wieder aufs Neue gewählt? Sicher, die Selbstkontrolle und die ideologische Überzeugung von der Richtigkeit dieser Welt funktionieren. Wir gehen arbeiten, auch wenn wir diese entfremdete und uns aufgezwungene Arbeit ablehnen. Wir jagen den kleinen Papierscheinchen nach, obwohl sie uns nicht glücklich machen. Wir glauben an Werte wie Disziplin, Ordnung und Sauberkeit und vor allem an die heilige Familie, obwohl die Realität eine ganz andere ist. Offensichtlich brauchen wir eine Ordnung in unserem Leben, am besten eine fremdbestimmte. Michael Hardt und Antonio Negri haben mit ihrem Buch Empire offensichtlich einen Nerv getroffen. Die Zeit der großen Erzählungen scheint vorbei. Eine Alternative zum Bestehenden ist nicht in Sicht. Dennoch weisen die beiden Autoren darauf hin, daß mit der Entstehung des Empires auch sein Untergang mitbegründet werde. Denn da es kein Zentrum mehr gibt und Vermittlungsinstanzen politischer Konflikte immer mehr fehlen Stichwort Deregulierung , trifft jeder Widerstand, jede Rebellion, jede Krise direkt ins Herz des Empire. Und wer hört das nicht gerne? Zwar fehlt eine genauere Handlungsanleitung, aber man und frau sollte von einem solchen Geschichtsentwurf nicht allzuviel erwarten. Das Entscheidende ist zu begründen, warum die Welt zwar grausam ist, aber trotz aller verinnerlichten Kontrolle Widerstand nicht nur möglich ist, sondern auch erfolgreich sein kann. Das Problem ist, daß sie den Beweis für ihre Behauptungen schuldig bleiben. Es ist eine wunderbare Parforcejagd durch die Ideengeschichte vom klassischen Griechenland über Machiavelli, die Aufklärung bis hin zu den postmodernen Theoretikerinnen und Theoretikern. Was fehlt, ist das materielle Fundament. Wenn sie behaupten, es gebe keinen Imperialismus mehr und Kriege zwischen den führenden Wirtschaftsmächten würden zukünftig der Vergangenheit angehören, so müssen die beiden den Beweis antreten. Sicher, ein solcher Krieg scheint heute undenkbar. Allein schon das Vernichtungspotential der vorhandenen Atombomben macht dies illusionär. Doch ich wäre mir da nicht so sicher. Im 1. und 2. Weltkrieg beispielsweise verfügten die kriegsführenden Mächte über biologische und chemische Kampfstoffe, die eingesetzt so manche Schlacht verhindert hätte. Doch es gab die weitgehend eingehaltene stillschweigende Übereinkunft, diese Waffen nicht einzusetzen. Weil sie unkalkulierbar waren. Und genau diese Situation ist für die Zukunft auch bei Atomwaffen denkbar. Nein, das Problem liegt noch ganz woanders. Hardt und Negri gehen den Verheißungen der Globalisierung auf den Leim. Sie nehmen die Propaganda des ITZeitalters mit all seinen Segnungen für bare Münze. Sie hätten vielleicht einmal aus ihrem Elfenbeinturm auf das richtige Leben herabschauen sollen. Fabrikanlagen sind nämlich nicht beliebig verschiebbar, und Arbeitskräfte sollen es auch nur begrenzt sein. Schengen und die Festung Europa zeigen eher, daß Abschottungspolitik angesagt ist; dasselbe gilt übrigens für die USmexikanische Grenze. Auch scheinen sie bereitwillig zu glauben, daß der postmoderne Wert des Einkaufens als Vergnügen immer mehr unser Leben bestimmt, nur weil dies die Marketingexperten und ihre willfährigen Sprachrohre in Wirtschaft und Politik so herausposaunen. Einkaufen ist kein Vergnügen, sondern lebensnotwendig; und die meisten Menschen dieser Erde haben nicht einmal das nötige Kleingeld dafür. Mag ja sein, daß Konzernmanager und Bundestagsabgeordnete mit ihrem Geld nichts Besseres anzufangen wissen, als sich am Einkaufen zu laben. Ich finde es nur lästig; aber gehöre wohl auch nicht zum anvisierten Konsumpublikum. Peinlich wird es, wenn sie die Segnungen der neuen Unternehmenskultur nachblubbern: Die Unternehmen versuchen, Differenz innerhalb ihres Bereichs einzubeziehen, mit dem Ziel, die Kreativität, das freie Spiel und die Vielfalt am Arbeitsplatz zu maximieren. Menschen aller Rassen, beiderlei Geschlechts und wie auch immer gearteter sexueller Ausrichtung sollen nach Möglichkeit ins Unternehmen einbezogen werden; die tägliche Routine am Arbeitsplatz soll durch unerwartete Veränderungen und ein Klima des Spaßes aufgelockert werden. [...] Die Aufgabe des Chefs besteht folglich darin, diese Energien und Differenzen im Interesse des Gewinns zu organisieren und zu koordinieren. [3] Selten so gelacht! Erzählt das doch mal den streikenden Busfahrerinnen und Busfahrern von Glück&Seitz! Oder besteht das Klima unerwarteter Veränderungen gar etwa darin, daß die nächste Entlassungswelle angekündigt wird? Heißa, was für ein Spaß! Leider gibt es noch ganz andere Peinlichkeiten in diesem Buch zu finden, weshalb ich langsam die Begeisterung des Rezensenten der Frankfurter Allgemeinen nachvollziehen kann. Bei ihrer Parforcejagd durch die Ideengeschichte des Souveränitätsbegriffs, den sie benötigen, um ihr Empire zu begründen, machen sie weder vor Carl Schmitt, dem Theoretiker des verfassungsgemäßen Ausnahmezustandes im Vorfeld der NSHerrschaft, Halt noch vor Léopold Senghor als einem der Begründer der Négritude, der seine antikolonialen Attitüden dann auch als Staatspräsident des Senegal mit brutaler Gewalt an seiner Bevölkerung ausließ. Kein Wort darüber ist bei Hardt und Negri zu finden. Auch die USamerikanische Verfassung wird in ihrer Verkündung von Freiheit und Glück als Gegenentwurf zu den imperialistischen Verfassungen Europas unkritisch gefeiert, anstatt zu begreifen und das meine ich mit materieller Begründung , warum die Gründungsväter der USA sich diese und keine andere Verfassung gegeben haben. Hardt und Negri hingegen benötigen die Werte dieser Verfassung, um zu begründen, warum das Empire aus der pax americana und der USExpansion heraus entstehen mußte. Die USVerfassung ist jedoch ein Kompromiß zwischen aristokratischen Landbesitzern auf der einen und kleinkapitalistischen Gewerbetreibenden auf der anderen Seite gewesen, ausgetragen auf dem Rücken der indigenen und der schwarzen Bevölkerung, sowie der Frauen. Wahrscheinlich hat diese unkritische Übernahme USamerikanischer Ideale etwas damit zu tun, daß sich das Buch bei den USLiberalen verkaufen sollte. Und man sollte ja seine zukünftigen Kunden nicht verprellen. Meine Begeisterung für dieses Buch kennt also Grenzen. Und dabei gäbe es noch eine ganze Menge zu kritisieren. Etwa das verschwommen erkennbare organische Gesellschaftsbild, also die Vorstellung von Gesellschaft als einem Körper. Dies ist, wie Peter Kratz in seinem Buch Die Götter des New Age sehr klar herausgearbeitet hat, kompatibel mit rechten, wenn nicht faschistischen Ideen und Vorstellungen. Oder wie soll ich einen Gedanken verstehen, der die Verschmelzung von Mensch und Maschine feiert? Ich muß mich wirklich fragen, warum ausgerechnet die bundesdeutsche Linke so auf dieses Buch abfährt. Ich jedenfalls war bitter enttäuscht. Da hilft es mir auch nicht, wenn der eine oder andere Gedankenblitz durchscheint. So, wie diese kurzfristigen erhellenden Momente miteinander verknüpft werden, kommt ziemlich viel Quark dabei heraus. Die allseits verwendeten postmodernen Sprachbausteine kaschieren diesen Bluff nur oberflächlich. Kommunikation ist nicht nur Ausdruck der Globalisierung, sondern organisiert deren Lauf. [4] Aber Kommunikation ist eben nicht alles. Die Welt wird eben nicht durch Geschwätz zusammengehalten. Und schon gar nicht durch Geschwätz gestürzt. Empire von Michael Hardt und Antonio Negri ist bei Campus erschienen und kostet 34 Euro 90. |
SchlußJingle Alltag und Geschichte heute zum Thema Geld und Macht. Neben einigen Anmerkungen zum Wahlkampf zwischen zwei freundlichen älteren Herren und ihren Wahlkampftrucks, die uns darum bitten, unsere Meinung kundzutun, wer denn bitteschön in den nächsten vier Jahren das Geschäft des Kapitals in diesem Land besorgen darf, habe ich zwei Bücher vorgestellt, und zwar
Nächste Woche werde ich an dieser Stelle aller Voraussicht nach das Buch Der Medien Diese Sendung wird am Dienstag um Mitternacht, nach dem Radiowecker um 8 und noch einmal ab 14 Uhr wiederholt. Das Sendemanuskript wird in den nächsten Tagen auf meiner Homepage nachzulesen sein www.waltpolitik.de. Wer mehr über die Ziele und Vorstellungen der Redaktion Alltag und Geschichte erfahren möchte, schaue einfach auf unsere Homepage: www.alltagundgeschichte.de. Im Gegensatz zur vorherrschenden Internethysterie gehe ich nicht davon aus, daß ein Internetanschluß zum üblichen Inventar meiner Hörerinnen und Hörer gehört. Daher ist die Redaktion auch über das gute alte Telefon erreichbar: die Telefonnummer lautet (06151) 87 00 129. Gleich folgt Gehörgang, eine Sendung der Kulturredaktion. Am Mikrofon für die Redaktion Alltag und Geschichte auf Radio Darmstadt war Walter Kuhl. |
ANMERKUNGEN |
[1] Diese Sendereihe hat Alltag und Geschichte Anfang 2003 verlassen, auch weil sie nicht den redaktionellen Kriterien entsprach. |
[2] Gerd Roellecke, zit. nach dem Einbandrücken des Buchs Empire. |
[3] Michael Hardt / Antonio Negri : Empire, Seite 166. |
[4] Empire Seite 47. |
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