Beiträge für den Radiowecker

von Radio Darmstadt

– Juni 2005 –

 

Radiowecker–Redaktion von Radio Darmstadt
 
05.06.2005Einkaufen als politisches Kriterium
12.06.2005Was ist Demokratie?
19.06.2005Der Überfall auf die Sowjetunion 1941
 
 
Seit November 1998 liefere ich auch kleinere redaktionelle Beiträge für den Radiowecker von Radio Darmstadt. Diese Beiträge fasse ich monatsweise zusammen und stelle sie dann auf einer eigenen Seite ins Internet. Eine komplette Übersicht auf alle Beiträge seit 1998 gibt es auf meiner Radiowecker–Startseite. Zudem gibt es eine inhaltliche Übersicht auf alle Beiträge des Jahres 2005.
Meine Radiowecker–Startseite kann auch mit http://www.wkradiowecker.de.vu aufgerufen werden.
 
 
URL dieser Seite : https://www.waltpolitik.de/rawe/rw_jun05.htm
 
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Einkaufen als politisches Kriterium
05.06.2005 *** Wdh. 07.06.2005 Nächster Beitrag

 
Anmoderation

Die Bundestagswahl im Herbst wirft ihre Schatten voraus. Darmstadts SPD war hierauf nicht vorbereitet. Mangels eigener Kandidatin fragte sie bei Bundesjustizministerin Brigitte Zypries an. Ein Kommentar hierzu von Walter Kuhl aus der Redaktion Alltag und Geschichte.

Beitrag Walter Kuhl

Arme arme SPD.

Erst verliert sie die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und dann auch noch ihren Kopf. Kopflos will der Bundeskanzler Neuwahlen ausschreiben, wohl wissend, dass seine Koalition keine Chance hat. Des Kanzlers Charme wird bei den Frauen nicht mehr ankommen, wenn Angie Bundeskanzlerin werden kann. Warum sollten Frauen nicht Frauen wählen? Männer wählen ja auch Männer. Seilschaften wollen ordentlich geschmiert sein.

Und überhaupt – auf politische Inhalte kommt es ja sowieso nicht an. Nicht nur, daß die Vorgänge um die Oetinger Villa bewiesen haben, daß sich auch gewählte Vertreterinnen und Vertreter an der Nase herumführen lassen, weshalb es auch nicht lohnt, sie hierzu nächstes Frühjahr noch einmal zu wählen. Nein – gerade die SPD hat gezeigt, mit welch dubiosen Argumenten sie bereit ist, Politik zu machen.

Schlau, wie diese Partei war, hat sie ihren Bundestagsabgeordneten schnell noch zum Oberbürgermeister gemacht, bevor dieser sein Mandat durch die zu erwartende Wahlschlappe im Herbst hätte verlieren können. Doch im zweiten Schritt zeigte sich, daß diese Schlauheit eher Bauernschläue war. Sie reichte gerade einmal bis zum Ausgang des SPD–Parteibüros. Was war geschehen? Nun ja, die Genossinnen und Genossen vergaßen, sich rechtzeitig Gedanken über eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für unseren neoliberalen neuen Oberbürgermeister zu machen. Macht nix. Eine Wissenschaftsstadt mit weltmännischen Ambitionen holt sich gleich eine gestandene Bundesministerin als Kandidatin ins Haus.

Und jetzt wird es wahrlich lustig. Mit Politik hat das nichts mehr zu tun. Nur noch mit reinster Realsatire auf die vielbeschworene Standortpolitik. Denn es ist ja so: damit sich das Fußvolk, das sowieso nichts zu melden hat, wenigstens im Herbst beim Kreuzchenmachen richtig entscheidet, kommt es nicht auf Politik, sondern auf Emotionen an. Die Frage lautet: Wie verkaufen wir den Wählerinnen und Wählern eine Frau, die mit diesem Wahlkreis nichts verbindet? Sie wohnt nicht in Darmstadt, sie lebt nicht in Darmstadt, aber: sie kauft wenigstens ab und zu einmal in Darmstadt ein. Ok – das reicht als Beweis der Heimatverbundenheit.

Kein Witz – die SPD–Funktionäre Wolfgang Glenz und Klaus–Peter Schellhaas haben dies – laut Auskunft des Darmstädter Echo vom 2. Juni [2005] – erklärt: Die Bundesjustizministerin habe familiäre Bindungen nach Pfungstadt und besuche ihre dortige Verwandtschaft mehrmals im Jahr. Und außerdem habe sie berichtet, gelegentlich in Darmstadt einkaufen zu gehen. Also, wenn das nicht qualifiziert …!

Doch halt! Mit dieser Argumentation gibt es allein in Darmstadt und Umgebung garantiert weit über einhunderttausend Männer und Frauen, die wesentlich besser als Bundesjustizministerin Brigitte Zypries qualifiziert wären, Darmstadt und den Landkreis Darmstadt–Dieburg im Bundestag zu vertreten. Was ist dann an der Ministerin so Besonderes? Daß sie bereit ist, für den Standort Darmstadt auch einmal im Luisencenter Brötchen zu kaufen? Oder geht sie in die Bahnhofsbuchhandlung und kauft dort gar das Darmstädter Echo, mit dem sie in Kassel (wo sie herkommt) oder in Berlin sowieso nichts anfangen kann? Oder fährt ihr Bodyguard–Chauffeur bei ihren Heimatbesuchen bei der lokalen Tankstelle vor? Wir wissen es nicht. Wir wissen jetzt nur eins: die SPD ist nicht nur kopflos, sie ist – zumindest was die Begründung ihrer Kopflosigkeit angeht – zudem auch noch gaga.

Abmoderation

Ein Beitrag von Walter Kuhl für Radio Darmstadt. Demnächst nachzulesen im Internet unter www.wkradiowecker.de.vu.
 

Moderation : Teodora Katzenmayer (Sonntag), Simon Hülsbömer (Dienstag)
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Was ist Demokratie?
13.06.2005 *** Wdh. 14.06.2005 Nächster Beitrag

 
Anmoderation

Was ist Demokratie? Ganz einfach, so scheint es. Die Mehrheit entscheidet. Walter Kuhl aus der Redaktion Alltag und Geschichte hat da seine Zweifel.

Beitrag Walter Kuhl

Am vergangenen Mittwoch baten etwa 60 Professorinnen und Professoren, Dozentinnen und Mitarbeiter der TU Darmstadt und anderer Wissenschaftseinrichtungen in einem Offenen Brief den Magistrat der Stadt Darmstadt und die Stadtverordnetenversammlung darum, die Entscheidung über die Nutzung der Oetinger Villa noch einmal zu überdenken. Peter Benz, noch wenige Tage Oberbürgermeister dieser Stadt, sah hierin ein merkwürdiges Demokratie–Verständnis. Ein mehrheitlich gefaßter demokratischer Beschluß sei nicht einfach außer Kraft zu setzen. Nun – Radio Darmstadt ist eben auch ein Bildungssender. Deshalb wollen wir etwas für die Bildung unseres scheidenden Stadtoberhauptes tun.

Landläufig wird tatsächlich gemunkelt, Demokratie sei, wenn die Mehrheit entscheidet. Dies ist jedoch sowohl historisch wie aktuell ein fundamentaler Irrtum. Schon die attische Sklavenhalterdemokratie schloß den weitaus größten Teil der Athener Bevölkerung aus: Frauen und Sklaven. Die männlichen Sklavenhalter wollten bei ihren Beschlüssen unter sich bleiben. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann man zaghaft, Frauen das Wahlrecht zuzugestehen. Und selbst heute ist Demokratie das, was der große Bruder aus Washington mit ApacheHubschraubern oder dem Diktat des Internationalen Währungsfonds durchsetzt. Aber das wird Peter Benz ganz sicher nicht gemeint haben.

Vielleicht wäre hier anzumerken, daß der Offene Brief auch an Walter Hoffmann als Nachfolger des Demokratie–Experten Benz gerichtet war. Walter Hoffmann hat vor vier Jahren im Bundestag dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zugejubelt, der bekanntlich die russische Version der Demokratie in Tschetschenien militärisch und ziemlich tödlich ausführen läßt.

Wo wir gerade bei Walter Hoffmann sind. Eine Demokratie ist doch das, wofür sich die Mehrheit entscheidet, oder? Komisch, im März hat sich die Mehrheit der Darmstädterinnen und Darmstädter sowohl gegen Walter Hoffmann als auch gegen Wolfgang Gehrke ausgesprochen. Der neue Oberbürgermeister wurde nicht einmal von einem Viertel der Wahlberechtigten akzeptiert. Wie kann das in einer Mehrheitsdemokratie sein, daß er dann doch sein Amt antreten darf? Ist das nicht seltsam? Nun – wir erinnern uns an ganz andere Grotesken: 2000 wurde ein Kandidat Präsident, der die Wahlergebnisse in Florida am besten manipulieren konnte.

Doch kommen wir zurück zum Offenen Brief: Was hat Peter Benz denn dann gemeint, als er ein Demokratiedefizit feststellte? Richtig! Ende April hatte die Stadtverordnetenversammlung einen Beschluß gefaßt, wonach sowohl für das Deutsche-Polen–Institut als auch für das Jukuz Oetinger Villa gleichermaßen nach Ersatzräumlichkeiten gesucht werden solle. Es vergingen keine zwei Wochen, da … ja man und frau glaubt es nicht … da setzte sich unser Demokratie–Experte Peter Benz über einen gültigen Beschluß hinweg und überreichte die Oetinger Villa dem Polen–Institut. Im Nachhinein wurde die rot–grüne Koalition auf diese Mißachtung des Souveräns eingeschworen und stimmte mit Ausnahme eines tatsächlichen Demokratie–Experten namens Jürgen Barth noch einmal im gewünschten Sinne ab. Dies ist in der Tat echte Demokratie: es wird solange abgestimmt, bis das Ergebnis stimmt.

Woraus folgt: quod licet Iovi non licet bovi. Oder zu gut Deutsch: Was Peter Benz darf, ist gewöhnlich sterblichen Universitätsangehörigen noch lange nicht gestattet. Sie dürfen nicht einmal daran denken, das durch einen Demokratie–Experten verkündete Demokratie–Verständnis in Frage zu stellen. Schon eine einfache Bitte ist hier ein Affront für die Macht.

Hierzu gibt es ein historisches Vorbild. Im Juni 1992 sollte die dänische Bevölkerung über den Vertrag von Maastricht abstimmen, mit dem die europäische Wirtschafts– und Währungsunion eingeführt wurde. Die Däninnen und Dänen stimmten jedoch falsch ab. Anstatt das Ergebnis zu respektieren, wurde ein bißchen am Vertragswerk herum manipuliert und ein Jahr später eine erneute Abstimmung anberaumt. Bis dahin waren die Däninnen und Dänen richtiggehend weich gekocht worden und stimmten folglich dafür.

Demokratie ist also, wenn eine relative Mehrheit die richtigen Kreuzchen macht. Ganz abgesehen davon, daß Demokratie immer dann ist, wenn Steuergeschenke für wenige und die Belastungen für viele beschlossen werden. Aber das ist ein ganz anderes Thema; es wird uns bei der Bundestagswahl im Herbst wieder beschäftigen.

Abmoderation

Ein Beitrag von Walter Kuhl für Radio Darmstadt. Demnächst nachzulesen im Internet unter www.wkradiowecker.de.vu.
 

  Eine ausführliche Dokumentation des Offenen Briefes und der darauf folgenden Reaktion findet sich auf www.sicetnon.org.  
Moderation : Viktoria Thumann (Montag), Simon Hülsbömer (Dienstag)
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Der Überfall auf die Sowjetunion 1941
19.06.2005 *** Wdh. 21.06.2005 Nächster Beitrag

 
Anmoderation

Am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion. Nicht alle Historiker sehen darin ein Verbrechen. Manche behaupten gar, Hitler sei Stalin nur zuvor gekommen. Walter Kuhl aus der Redaktion Alltag und Geschichte stellt im folgenden Beitrag ein immer noch lesenswertes Buch über diese Präventivkriegsthese vor.

Beitrag Walter Kuhl

Nicht nur Nazideutschland, sondern auch die Sowjetunion sind Geschichte. Die einen wurden unter schweren Opfern besiegt, nicht zuletzt durch den heldenhaften Kampf vieler Millionen Soldatinnen und Soldaten der Sowjetunion. Jahrzehnte später implodierte diese selbst an ihren inneren Widersprüchen, aber auch durch den enormen wirtschaftlichen und militärischen Druck des kapitalistischen Westens. Was Hitlers Armeen nicht vermochten, gelang in den 80er Jahren. Heute sind die beiden ehemaligen Kriegsgegner Deutschland und Rußland beste Freunde; und der Bundeskanzler gibt seinem Freund Putin moralische Schützenhilfe bei dessen Terrorkrieg in Tschetschenien.

Dies war nicht unbedingt so abzusehen gewesen. In den 80er Jahren tobte hierzulande ein Streit unter Historikern über die korrekte Einordnung der nationalsozialistischen Verbrechen. Ein einstmals angesehener Historiker, Ernst Nolte, hatte die These gewagt, daß Hitler mit seinem Angriff Stalin nur zuvorgekommen sei. Er hatte hierzu die im Westen weit verbreitete Totalitarismus–Theorie radikalisiert und zugespitzt. Diese Theorie unterscheidet nicht das Wesen unterschiedlicher Gesellschaftsformationen, sondern macht an diktatorischen Elementen eine Wesensgleichheit fest, die dann wiederum zu Vergleichen einlädt: Welches Regime war mörderischer, welches verbrecherischer?

Der Hintergedanke dabei ist, die deutschen Verbrechen in einer banale Reihe verschiedenster Menschheitsverbrechen seit dem Diebstahl der ersten Banane in der afrikanischen Savanne vor sechs Millionen Jahren einzuebnen. Was in den 80er Jahren allenfalls schemenhaft vorstellbar war, ist heute Realität: Deutschland befindet sich zurück auf dem Weg zur Weltmacht und bedarf eines klaren ideologischen Auftrags. Allerdings sind sich die Ideologen und Politiker über den dabei einzuschlagenden Weg nicht einig. Die einen setzen auf das, was sie Aufarbeitung nennen, und führen dann Krieg mit der Behauptung, aus der Geschichte von Auschwitz gelernt zu haben. Die anderen wollen einfach nur einen Schlußstrich ziehen – und dann wieder losmarschieren.

Die im Historikerstreit der 80er Jahre wieder ausgegrabene Präventivkriegsthese fand ihre begeisterten Anhänger. Diese fühlten sich bestätigt, als in den seit den 90er Jahren geöffneten sowjetischen Archiven tatsächlich Generalstabsplanungen aus dem Jahr 1941 veröffentlicht wurden, die einen Präventivkrieg gegen Nazideutschland befürworteten. Doch es war Stalin selbst, der entschied, diese Pläne nicht weiter zu verfolgen.

Hierzu erschien 1998 im Darmstädter Primus–Verlag das vom Historiker Gerd R. Ueberschär und dem russischen Journalisten und Professor an der Moskauer Militärakademie Lev A. Bezymenskij herausgegebene Buch Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion 1941 zu dieser Kontroverse um die Präventivkriegsthese. In diesem Band setzen sich deutsche und russische Historiker kritisch mit dieser These und auch mit dem verfügbaren Quellenmaterial auseinander. Das Ergebnis ist eindeutig: Zwar betrieb auch Stalin eine skrupellose Großmachtspolitik und versuchte, die Grenzen des vergangenen zaristischen Rußlands im Westen wieder herzustellen. Hierzu gehörte die Rückeroberung der baltischen Staaten, sowie von Teilen von Polen und Finnland.

Doch die These vom Präventivkrieg Hitlers und der Wehrmacht wird dadurch nicht richtiger. Dieser Krieg war von langer Hand vorbereitet und diente der Eroberung neuen Lebensraums. Die Vernichtung von Millionen Menschen war von vornherein eingeplant.

Der von Ueberschär und Bezymenskij herausgegebene Band hat den Vorzug, sich eingehend mit dem Hitler–Stalin–Pakt als Übergangsphänomen zum auf beiden Seiten erwarteten Krieg zu befassen. Er präsentiert zudem wichtige russische und deutsche Dokumente, welche auf der einen Seite die defensive Denkweise der sowjetischen Führung aufzeigen, auf der anderen Seite die verbrecherische Dimension des deutschen Überfalls belegen.

Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion 1941, herausgegeben von Gerd R. Ueberschär und Lev A. Bezymenskij, ist 1998 im Primus–Verlag erschienen und für 29 Euro 90 im Buchhandel zu erhalten.

Abmoderation

Ein Beitrag von Walter Kuhl für Radio Darmstadt. Demnächst nachzulesen im Internet unter www.wkradiowecker.de.vu.
 

Moderation : Katharina Mann (Sonntag), Simon Hülsbömer (Dienstag)
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Diese Seite wurde zuletzt am 3. Juli 2005 aktualisiert.
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