Geschichte

Santorin – Karthago

 

 

SENDEMANUSKRIPT

 
Sendung :
Geschichte
Santorin – Karthago
 
Redaktion und Moderation :
Walter Kuhl
 
gesendet auf :
Radio Darmstadt
 
Redaktion :
Alltag und Geschichte
 
gesendet am :
Montag, 27. Dezember 2004, 17.00–18.00 Uhr
 
wiederholt am :
Montag, 27. Dezember 2004, 23.10–00.10 Uhr
Dienstag, 28. Dezember 2004, 08.00–09.00 Uhr
Dienstag, 28. Dezember 2004, 14.00–15.00 Uhr
 
 
Besprochene und benutzte Bücher :
  • Walter L. Friedrich : Feuer im Meer, Spektrum, Akademischer Verlag (2. Auflage)
  • Hannibal ad portas, Konrad Theiss Verlag (Begleitband zur Ausstellung)
 
 
URL dieser Seite : https://www.waltpolitik.de/herstory/ge_sanka.htm
 
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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 : Einleitung
Kapitel 2 : Santorin
Kapitel 3 : Atlantis
Kapitel 4 : Karthago
Kapitel 5 : Handelswege
Kapitel 6 : Schluß
Anmerkungen zum Sendemanuskript

 

Einleitung

Jingle Alltag und Geschichte

Das heftige Seebeben im Indischen Ozean in der Nähe von Sumatra, dessen Auswirkungen Tausende von Menschen zum Opfer gefallen sein sollen, mag dennoch als Einstieg in meine heutige Sendung dienen. Die indische Platte, die sich unter die eurasische Platte schiebt und dabei Erdbeben und Vulkanausbrüche hervorbringt, ist auch für die Auffaltung der Himalaya–Gebirgskette mitverantwortlich.

Finden diese Erdbeben in Meeresgebieten statt, spricht man und frau von Seebeben – und diese Seebeben können insofern sehr tückisch sein, als ihre Auswirkungen noch mehr als tausend Kilometer entfernt zu spüren sind. Das Seebeben vor Sumatra hat riesige Wellen hervorgebracht, sogenannte Tsunamis, die in Küstengebieten und auch mehrere Kilometer weit im Inland große Schäden anrichten können. Kommt dann noch eine hohe Bevölkerungsdichte an den Küsten des Indischen Ozeans hinzu, dann fallen derartigen Tsunamis eine größere Anzahl Menschen zum Opfer. Für den pazifischen Bereich gibt es immerhin ein Frühwarnsystem, aber bei einer neoliberalen Kosten–Nutzen–Kalkulation fallen die Menschenleben der Habenichts rund um den Indischen Ozean nicht ins Gewicht.

Vor etwa dreieinhalbtausend Jahren wurde die Insel Santorin in der Ägäis durch einen gigantischen Vulkanausbruch zerstört. Auch hierbei müssen derartige Tsunamis entstanden sein; und es gibt Theorien, wonach dieser Vulkanausbruch und seine Begleitumstände für den Untergang der minoischen Kultur verantwortlich gewesen sein soll. Das vor kurzem in 2. Auflage erschienene Buch Feuer im Meer des Geologen Walter L. Friedrich geht der Frage nach, ob dieser Zusammenhang tatsächlich besteht. Zudem geht der Autor auf eine mögliche historische Entstehung der von Platon verbreiteten Geschichte des Untergangs von Atlantis ein.

Im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe ist zur Zeit die Ausstellung Hannibal ad portas zu sehen. Gezeigt wird hier ein Einblick in die Macht und den Reichtum Karthagos. Karthago, heute ein Vorort der tunesischen Hauptstadt Tunis, beherrschte etwa drei Jahrhunderte lang weite Teile des westlichen Mittelmeerraums. Doch wer waren diese Karthager und warum waren sie den römischen Legionen unterlegen? Das umfangreiche Begleitbuch zur Ausstellung gibt einen in dieser Form wohl einzigartigen Einblick in die Geschichte und Kultur dieses phönizischen Machtzentrums in der Antike. Ein guter Grund, diesen Band in meiner Sendung vorzustellen.

Für die Redaktion Alltag und Geschichte auf Radio Darmstadt ist am Mikrofon Walter Kuhl.

 

Santorin

Besprechung von : Walter L. Friedrich – Feuer im Meer, Spektrum Akademischer Verlag, 2. Auflage 2004, € 50,00

Santorin, das frühere Thera, ist eine kleine Insel im südlichen ägäischen Meer, etwa 120 Kilometer nördlich von Kreta gelegen. Schon die alten Griechinnen und Griechen bestaunten ihre Schönheit; und so erhielt sie den Beinamen Kalliste, die schönste von allen. Santorin heißt diese Insel vermutlich seit dem 4. Jahrhundert; doch sicher ist dieser Name erst im Zusammenhang mit der Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer im Jahr 1204 überliefert, als die Inselgruppe um Thera den Venezianern überlassen wurde. Zu Santorin gehört die Hauptinsel Thera im Osten, die kleinere Insel Therasia im Westen und das Inselchen Aspronisi im Süden. Inmitten des Meeresbeckens zwischen den drei Inseln liegen die beiden vulkanischen Kameni–Inseln [1].

Die antike Überlieferung kennt für die Insel noch einen weiteren Namen – Strongyle, die Runde. Zwar läßt sich der Name gut mit der Inselgruppe vereinbaren, doch wahrscheinlicher ist es, daß der von Plinius überlieferte Name eigentlich den Inselvulkan Stromboli in der Nähe von Sizilien meint. Demnach hätte eine ungenaue Interpretation mit der runden Insel fälschlich die Insel Santorin gemeint. Die Inselgruppe Santorin bildet jedoch tatsächlich fast einen Kreis, so daß diese Fehlinterpretation verständlich ist. Allerdings bestand in historischer Zeit, also in einer Zeit schriftlicher Überlieferung, diese Insel nie in zusammenhängender Form.

Die Inselgruppe Santorin ist fast durchgängig vulkanischen Ursprungs. Mehrfach in der Geschichte – und hier müssen wir schon in geologischen Zeiträumen rechnen – wurde die Insel durch einen Vulkankomplex aufgebaut und wieder zerstört. Die letzte große Eruption fand vor dreieinhalbtausend Jahren statt und zerstörte zumindest die minoische Gesellschaft auf Santorin selbst. Seither bildet sich langsam, aber stetig ein neuer Inselvulkan im von den drei Inseln umschlossenen Meeresbecken heran. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird auch dieser Vulkan – und auch hier in geologischen Zeiträumen gemessen – wieder ausbrechen und sein Zerstörungswerk fortsetzen. Doch dies werden wir wohl nicht mehr selbst erleben.

Santorin liegt in einer Gegend, in welcher die afrikanische Platte unter die eurasische Platte abtaucht. Derartige Platten sind rund einhundert Kilometer dick; und dieses Abtauchen ist mit Erdbeben und Vulkanismus verbunden. Die vulkanischen Ketten liegen dort, wo die Erdbeben eine Tiefe von 150 bis 170 Kilometer haben. Dies charakterisiert vor allem die Inselbögen; und ein solcher Inselbogen spannt sich von der griechischen Küste bei Athen über Santorin bis zur türkischen Küste beim Badeort Bodrum – oder bei Sumatra und der sich anschließenden indonesischen Inselwelt. Santorin ist derzeit der einzig aktive Vulkan im ägäischen Inselbogen, aber es gibt antike Berichte weiterer Vulkantätigkeit auf anderen Inseln.

Dieser Vulkanismus im ägäischen Raum ist relativ jungen Datums. Erst seit etwa drei Millionen Jahren sind in dem Inselbogen zwischen Griechenland und der Türkei Vulkane aktiv. Dem Thera–Vulkan gilt hierbei ein besonderes Interesse; weshalb wir hier auch relativ viel über die Entstehungsgeschichte und den Verlauf des Vulkanismus wissen. In den letzten 200.000 Jahren ist dieser Vulkan demnach fünf Mal mit ziemlicher Wucht ausgebrochen, zuletzt vor dreieinhalbtausend Jahren.

Auf Santorin hat man und frau mehr als zwölf Vulkanzentren gezählt. Im allgemeinen baut sich der Vulkan langsam auf, füllt sozusagen die Insel zu ihren runden Größe, um dann mit heftiger Wucht auszubrechen. Anschließend fällt das Dach über der (dann entleerten) Magmakammer ein und es bildet sich eine sogenannte Caldera. Durch die Meereslage Santorins wird diese Caldera anschließend mit Wasser gefüllt, was auch heute noch deutlich zu sehen ist. Schroffe Felswände fallen steil ab ins Meer.

Feuer im MeerDiese vulkanische Geschichte Santorins beschreibt der Geologe Walter L. Friedrich in seinem Buch Feuer im Meer, das vor wenigen Wochen in zweiter Auflage beim Spektrum Akademischer Verlag erschienen ist. Das Besondere an diesem Buch ist, daß der Geologe Friedrich aufgrund seiner Forschungen fundiert in zwei Debatten eingreifen kann und Material liefert, bestimmte historische Geschehnisse noch einmal neu überdenken zu können. Zum einen behandelt er mögliche Gründe für den Untergang der minoischen Kultur, zum anderen gibt er Hinweise auf eine neue Lesart zum Inhalt von Platons Atlantis–Bericht [2].

Die Vulkangeschichte der Insel Thera und ihrer Nachbarinseln war in einigen Grundzügen bereits bekannt, als zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Archäologe Arthur Evans begann, in Knossos die minoische Kultur auszugraben. 1939 veröffentlichte der griechische Archäologie Spyridon Marinatos seine damals provokative These, der Vulkanausbruch in der Bronzezeit, etwa im 15. oder 16. Jahrhundert, sei für den Untergang der minoischen Kultur verantwortlich. Der Ausbruch sei von massiven Erdbeben und Tsunamis begleitet gewesen; und der Ascheregen des Vulkans habe die Vegetation auf Kreta nachhaltig geschädigt.

Heute wissen wir, daß diese Theorie nicht stimmen kann; aber damals war sie ein wichtiger Meilenstein zur Erforschung der Insel und ihrer Geschichte. Mit der Entdeckung einer minoischen Siedlung unter der ehemals bis zu 60 Metern dicken Bimssteinschicht bei Akrotiri an der Südspitze Theras wurde die Debatte nochmal angeregt. Gab es neben den Palästen auf Kreta weitere Zentren dieser Kultur, war vielleicht auf Santorin sogar das Zentrum, das plötzlich zerstört wurde? Schon sehr bald waren die Parallelen zu dem, was Platon über Atlantis schrieb, nicht zu übersehen. Doch wie so oft wurde mehr spekuliert als tatsächlich nachgewiesen. Hier schließt das Buch von Walter L. Friedrich eine Lücke.

Nach dem heutigen Stand der archäologischen Wissenschaft wurden die Paläste auf Kreta etwa um 1450 zerstört. Die Gründe sind unklar und daher umstritten. Neben Erdbeben, Aufständen und anderen inneren Streitigkeiten kann auch eine Invasion vom griechischen Festland den Untergang der minoischen Kultur (mit)verursacht haben. Den Ausbruch des Thera–Vulkans datiert Walter L. Friedrich jedoch rund zweihundert Jahre früher zwischen 1650 und 1640. Mehrere voneinander unabhängige Untersuchungen legen dieses Datum nahe. Wenn das Datum zutreffen sollte, dann kann der Ausbruch des Vulkans nicht für den Untergang der minoischen Kultur verantwortlich gemacht werden. Einzelne auf Thera gefundene Baum– und Strauchreste wurden mit der Radiokarbonmethode analysiert. Diese Methode mißt den Zerfall des Kohlenstoff–Isotops 14 und kann daher im Prinzip ziemlich genaue Ergebnisse liefern. Doch der Teufel steckt im Detail. Der radioaktive Zerfall dieses Isotops geschieht nämlich nicht gleichmäßig, so daß eine gewisse Unsicherheit in der genauen Altersbestimmung bestehen bleibt. Allerdings kann die Zählung von Jahresringen dazu beitragen, Altersangaben zu eichen und von dort wiederum Rückschlüsse auf das tatsächliche Alter einer Probe liefern. Eine Gefahr von Zirkelschlüssen ist jedoch vorhanden, zumindest dann, wenn Radiokarbondaten die Basisdaten der Jahresringzählung liefern.

Der Mittelwert von vier Holzproben aus Akrotiri erbrachte ein Datum bei etwa 1645 vor unserer Zeitrechnung. Diese Zahl befindet sich in bemerkenswerter Übereinstimmung mit drei Eiskernbohrungen aus dem grönländischen Eis. In diesen Proben sind Säuresignale enthalten, die auf einen massiven Vulkanausbruch hinweisen; zudem will man feinste Glaspartikel der minoischen Ascheschicht entdeckt haben. Das hierbei gefundene Datum liegt zwischen 1650 und 1640. Allerdings sind diese Ergebnisse noch nicht allgemein anerkannt; mögliche Fehlerquellen sind also nicht auszuschließen.

Ein Problem bei dieser Datierung besteht jedoch darin, daß sie mit den herkömmlichen archäologischen Methoden nicht übereinzustimmen scheint. Will man und frau nicht die bisherige Chronologie einfach um einhundert Jahre zurückversetzen, dann stellt sich ein Problem: Funde aus Handelsbeziehungen mit Ägypten deuten nämlich darauf hin, daß für den Vulkanausbruch ein Datum zwischen 1550 und 1500 vorzuziehen ist. Die Eiskernproben zeigen in diesem Intervall jedoch keinen besonders heftigen Ausschlag. Liegt das daran, daß die damals vorherrschenden Winde gar keine Asche nach Grönland gebracht haben?

Nach dem, was wir wissen, muß der Ausbruch des Vulkans deutliche Spuren hinterlassen haben. Es gibt einen wissenschaftlichen Index zur Beurteilung historischer und prähistorischer Vulkanexplosionen. Auf dieser achtteiligen Skala wird der Ausbruch des Thera–Vulkans vor rund dreieinhalbtausend Jahren mit der Stufe 6 angegeben; neuere Forschungen legen sogar Stufe 7 nahe. Vergleichbare Vulkanausbrüche gab es in historischer Zeit nur 1815 durch den Tambora–Vulkan (Index 7) und 1883 durch den Krakatau–Vulkan (Index 6), beide im heutigen Indonesien gelegen. Durch die Folgen des Tambora–Ausbruchs kamen 90.000 Menschen ums Leben, beim Krakatau–Ausbruch 36.000 Menschen. Obwohl der Tambora ein Landvulkan und 2850 Meter hoch ist, löste er Tsunamis von vier Metern Höhe aus. Der Knall beim Ausbruch des Krakatau soll noch auf Madagaskar zu hören gewesen sein. Die Flutwelle kreiste zweimal um die Erde; Schiffe wurden mehrere Kilometer weit ins Land gespült.

Wann immer der Ausbruch auf Santorin geschah, er muß Folgen gehabt haben. Die Frage der Datierung bleibt jedoch solange offen, wie der Widerspruch zwischen naturwissenschaftlichen und archäologischen Methoden nicht geklärt werden kann. Beide Datierungen besagen jedoch auch, daß der Untergang der minoischen Kultur wesentlich später stattfand. Erst im 15. Jahrhundert kam es zum friedlichen oder auch militärischen Einsickern früher griechischer Stämme. Der König Minos der griechischen Mythologie mag erfunden sein, aber die nach ihm benannte Kultur hat es tatsächlich gegeben. Gibt es vielleicht auch einen Zusammenhang zwischen dem minoischen Kreta und der Erzählung über Atlantis in den philosophischen Werken Platons?

 

Atlantis

Die Ausgrabungen auf Thera, vor allem an der Südspitze nahe dem heutigen Akrotiri, haben unseren Einblick in die minoische Kultur revolutioniert. Die dort vorgefundenen, zum Teil ziemlich gut erhaltenen Fresken zeigen eine Welt, die nicht unbedingt friedlich gewesen sein muß. Sie zeigen jedoch auch, daß die damaligen Menschen ziemlich unbekümmert gelebt und den Vulkan, auf dessen Dach sie lebten, nicht als Gefahr betrachtet haben. Der letzte große Ausbruch lag zu diesem Zeitpunkt etwa 15.000 Jahre zurück; zu lange, um sich an die Entstehung der ringförmigen Insel erinnern zu können.

Lange Zeit ging man und frau davon aus, daß Santorin in minoischer Zeit eine runde und geschlossene Insel gewesen sei. Neuere Forschungen stellen dieses Bild in Frage; aus geologischer Sicht spricht sehr viel für ein ringförmiges, aber nach Südwesten hin offenes Aussehen der Insel – eine Auswirkung der Caldera–Bildung nach dem Vulkanausbruch vor 18.000 Jahren. Dort, wo auch heute der Vulkan eine kleine Insel im Meer gebildet hat, muß schon damals ein kleines Inselchen bestanden haben. Lag auf dieser Insel ein Heiligtum? War diese Insel gar die atlantische Zentralinsel?

Von Platon sind zwei Textstellen zu Atlantis überliefert. Es handelt sich hierbei um die philosophischen Dialoge Kritias und Timaios. Platons läßt hier Sokrates mit einer zweiten Person die Fragen des Sinns des Lebens erörtern, wobei Sokrates natürlich immer das letzte Wort hat. Kritias erzählt nun in dem einen Dialog, was ihm sein Großvater Kritias erzählt habe. Dessen Vater Dropides hatte Kontakt zu Solon, einem der wichtigen athenischen Staatsmänner und der angeblich größte der sieben griechischen weisen Männer.

Solon berichtete demnach diesem Dropides von seinen Forschungsreisen nach Ägypten und daß ihm dort ägyptische Priester etwas über die Frühgeschichte Athens erzählt hätten. Athen soll sich einstmals im Krieg mit Atlantis befunden haben. Wer denkt hier nicht gleich an die erstaunliche Parallele zu Theseus und seinem Kampf mit dem Minotauros? Jedenfalls war es Platon wichtig zu erwähnen, daß es sich um eine wahre Geschichte handele. Diese wahre Geschichte soll sich vor 9000 Jahren ereignet haben und drehte sich um den Krieg der Athener gegen die Atlanter und den Untergang von Atlantis. Atlantis habe sich jenseits der Säulen des Herakles befunden, was dem damaligen Kenntnisstand nach der Straße von Gibraltar entsprach.

Atlantis sei durch Erdbeben und Überschwemmungen zerstört worden. Von einem Vulkanausbruch ist nicht die Rede. Dennoch könnte ein Vulkan erwähnt sein; zumindest sieht dies Walter L. Friedrich so und untermauert dies durch geologische Fakten. Die Königsinsel soll nach Platon von drei Wasserringen umgeben gewesen sein, welche durch einen Kanal mit dem Meer verbunden waren. Wenn wir diese Angabe auf Santorin übertragen, wäre der Kanal die südwestliche Öffnung zum Meer, die Königsinsel die vielleicht schlummernde Vulkaninsel mitten in der Caldera. Was aber haben die drei Wasserringe zu bedeuten? Walter L. Friedrich zeigt anhand eines Fotos des afrikanischen Vulkans Kilimandscharo [3], auf welche Weise ein solches Vulkangebäude zusammenbrechen kann. Nachdem sich die Magmakammer entleert hat, bricht das Dach dieser Kammer ein und die darüber liegenden Schichten rutschen an den Bruchstellen in die Tiefe. Hierbei entsteht ein System von ineinandergeschachtelten trichterförmigen Ringen. Diese Ringe könnten auch beim Zusammenbruch des Vulkans vor 18.000 Jahren entstanden sein, sich mit Wasser gefüllt haben und damit auch die von Platon erwähnte Hafenanlage erklären.

Aber dies ist zunächst nur Spekulation [4]. Mehr als Indizien haben wir für diese Theorie nicht. Es ist allerdings die einzige Atlantis–Theorie, die einigermaßen begründbar ist. Der Autor liefert uns deshalb in seinem Buch nicht nur den Platon–Text in deutscher Übersetzung, sondern auch die geologisch passende Erklärung.

Wer sich von der Schönheit der Insel Santorin bezaubern läßt, wer etwas über ihre Entstehungsgeschichte erfahren möchte, wer ein bißchen träumen und spekulieren will, ohne gleich in Gedankenspinnereien abzudriften, der oder die findet mit dem Buch Feuer im Meer von Walter L. Friedrich eine solide Grundlage vor. In vierzehn Kapiteln beschreibt der Autor die Geographie der Insel, ihren geologischen Aufbau, die Bedeutung und Deutung der vorgefundenen Pflanzenfossilien und die Geheimnisse des Vulkans. Das Buch ist in zweiter überarbeiteter und auf den neuesten Forschungsstand gebrachter Auflage im Spektrum Akademischer Verlag erschienen. Es kostet – und das ist der Wermutstropfen – 50 Euro.

 

Karthago

Besprechung von : Hannibal ad portas – Macht und Reichtum Karthagos, Konrad Theiss Verlag 2004, € 32,90 bzw. ab 01.02.2005 € 39,90

Neben den Bewohnerinnen und Bewohnern des minoischen Kreta gehören auch die Menschen in Karthago nicht zum klassischen Kanon antiker Geschichte, die sich mehr auf Griechenland und das Römische Imperium konzentriert. Schon in Homers Odyssee können wir die Schmähung phönizischer Händler nachlesen. Doch vielleicht war es sogar so, daß die Phönizier nicht nur die ersten waren, die im westlichen Mittelmeerraum Kolonien gründeten, sondern auch diejenigen, welche den Griechen ihr Alphabet brachten.

Hannibal ad portas Karthago war eine phönizische Gründung; die Mutterstadt hieß – in gräzisierter Form – Tyros. Karthago bedeutet übersetzt "die neue Stadt" oder einfacher Neustadt und unterstand zunächst mehrere Jahrhunderte der phönizischen Metropole Tyros. Dies macht auch gleich den Unterschied zur griechischen Kolonisation im Mittelmeerraum und im Schwarzen Meer aus. Griechische Kolonien waren unabhängig von der Heimatstadt und allenfalls durch persönliche oder religiöse Bande mit dieser verbunden [5]. Karthago wurde sozusagen unabhängig erst dann, als der babylonische König Nebukadnezar Tyros im Jahr 573 eroberte.

Neben den Griechen, welche die phönizische Handelskonkurrenz fürchteten, haben auch die Römer viele Unwahrheiten über Karthago in die Welt gesetzt. Die Römer führten drei sogenannte punische Kriege gegen Karthago, bis sie die Stadt im Jahr 146 vor unserer Zeitrechnung eroberten, zerstörten, und ihre Bewohnerinnen und Bewohner vergewaltigten, versklavten und/oder töteten; die üblichen Taten großer zivilisierter Staaten eben.

Die derzeit im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe zu besichtigende Ausstellung Hannibal ad portas nimmt in ihrem Titel Bezug auf den größten Gegner des so zivilisierten Rom. Nach der für die Karthager siegreichen Schlacht bei Cannae im Jahr 216 stellte sich für Hannibal die Frage, ob er den Sieg ausnutzen sollte, indem er Rom direkt angriff. Er entschied sich dagegen, was ihm in späterer Zeit zum Vorwurf gemacht wurde. Hannibals Strategie bestand darin, den Römern auf italischem Boden die Verbündeten abspenstig zu machen, um Rom auf das Niveau eines Kleinstaats zurückzudrängen. Diese Strategie ging nicht auf; zu sehr waren die römischen Bundesgenossen mit dieser Stadt, ihrer Wirtschaft und ihrer Geopolitik verbunden.

Hannibal ad portas – also "Hannibal vor den Toren" Roms – das ist die militärische Seite des jahrhundertelangen Konflikts mit Griechen und Römern. Die Ausstellung und das im Theiss Verlag erschienene Begleitbuch zeigen jedoch ein weitgehend anderes Bild. Karthago war in erster Linie keine Militärmacht, sondern eine Art Handelsrepublik. Über die innerstaatliche Organisation wissen wir jedoch wenig; die Zerstörung durch die römische Armee im Jahr 146 war so vollständig, daß kaum schriftliche Belege aus Karthago selbst zu uns sprechen.

Wir wissen, daß die Menschen Karthagos Phönizisch sprachen, wir haben sogar einige wenige Urkunden; aber die Phönizier machen uns das Lesen schwer. Im Gegensatz zu den Griechen und einigen wenigen Griechinnen benutzten sie zwar eine Alphabetschrift, aber sie benutzten wie das Ägyptische der Pharaonenzeit (in ihren schriftlichen Dokumenten) keine Vokale. Im Gegensatz zu uns wußten sie jedoch, wie ihre Texte zu lesen waren; und so ermöglichen es uns nur wenige Übersetzungen oder gar lautmalerische Wiedergaben zu erraten, wie karthagisches Phönizisch geklungen haben mag.

Der römische Dichter Plautus hat beispielsweise kurz nach dem Zweiten Punischen Krieg, wohl im Jahr 189, eine Komödie geschrieben, in der ein Karthager namens Hanno auftritt. Plautus läßt Hanno zunächst in seiner Muttersprache reden und gibt anschließend eine lateinische Übersetzung. Kleinere phönizische Sätze übersetzte er jedoch nicht; wahrscheinlich hatten die römischen Sklavenhalter karthagische Kriegsgefangene bei sich zu Hause und verstanden derartige Texte so gut, daß sie wohl auch bemerkt haben mögen, daß ein Sklave namens Milphio ein ziemlich stümperhaftes Phönizisch radebrechte.

Klasse! – mögen wir denken. So eine Quelle gibt es kein zweites Mal. Nur – dummerweise: Beim Abschreiben der Texte im Verlauf der Jahrhunderte wurden die Texte gräßlich entstellt, da die Kopisten des Mittelalters einfach kein Phönizisch verstanden. Dennoch können wir nachvollziehen, wie aus dem phönizischen Wort für leben der berühmte Ausruf Ave Caesar – oder jetzt in der Weihnachtszeit – das Ave Maria entstehen konnte.

Griechen und Römer mögen uns so manch falsches Bild von den Karthagern gezeichnet haben. Kinderopfer sollen sie dargebracht haben, was in der neueren archäologischen Forschung als Mythos entlarvt worden ist. Hierzu gibt es im Begleitbuch zur Ausstellung einige erhellende Anmerkungen [6].

Doch auch die humanistische Einbildung des lateinischen und griechischen Schulunterrichts hat so manche Blüten hinterlassen. Der dem älteren Cato zugeschriebene Satz ceterum censeo Carthaginem esse delendam hat es in dieser Form nicht gegeben. Mit diesem Satz soll Cato seinen Senatskollegen immer wieder eingetrichtert haben, daß Karthago ein für allemal zerstört werden müsse. Erfunden hat diesen Satz ein deutscher Gelehrter des 19. Jahrhunderts, um seinen Zöglingen die richtige militaristische Einstellung zu vermitteln.

Auch das Motto der Ausstellung Hannibal ad portas mag stutzig machen, heißt es doch immer wieder Hannibal ante portas. Auch hier hat das 19. Jahrhundert seine sprachgeschichtlichen Spuren hinterlassen. Bei Livius und Cicero findet sich nur die erste Variante. Letztlich ist es jedoch unerheblich, weil die Römerinnen und Römer zwar das ante hätten verwenden können, es jedoch nicht taten. Zumindest die Gebildeten unter ihnen nicht. Wie das einfache Volk sprach, ist ohnehin kaum überliefert.

 

Handelswege

Die phönizische Kolonisation des westlichen Mittelmeerraums begann wahrscheinlich im 9. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Da die phönizischen Stadtstaaten nicht militärisch ins kanaanäische, syrische oder frühisraelische Hinterland expandieren konnten, blieb ihnen zur Gewinnung von Macht und Reichtum nur der Handel. Um sich nicht abhängig von den umliegenden Klein– und Großkönigen zu machen, führte ihr Weg nach Westen; dort, wo Rohstoffe und Absatzmärkte winkten.

Früh müssen die Phönizier schon bis zum Atlantik vorgedrungen sein; und ihre Version der Straße des Herakles bestand in einem Melkart–Tempel in der Bucht des heutigen Cadiz in Andalusien. Melkart wurde von den Griechen mit Herakles gleichgesetzt. Es ist reine Spekulation, ob der griechische Name dieser Meerenge von dem für die Phönizier bedeutenden Melkart–Tempel herrührt.

Karthago wurde nach antiker Überlieferung im Jahr 814 gegründet, war also nicht die erste phönizische Kolonie im Westen. Dies paßt durchaus mit den archäologisch faßbaren Spuren zusammen. Während griechische Kolonien die Besiedlung neuer Landstriche vornahmen, waren phönizische Kolonien zunächst nichts anderes als Handelsplätze für die systematische Ausbeutung des Hinterlandes. Erst spät wurde auch das Hinterland politisch und militärisch besetzt. In Spanien wird dies nach der Niederlage Karthagos im Ersten Punischen Krieg deutlich, als die Kornkammern auf Sizilien und Sardinien verloren gingen. Nach 240 wurden weite Teile Spaniens systematisch erobert, um sich Rohstoffbasen, landwirtschaftliche Produkte und Absatzmärkte gegen das expandierende Rom zu sichern.

Karthago war keine griechische oder römische Siedlung, obwohl sich in den archäologischen Relikten durchaus griechische Einflüsse finden lassen. Karthago war zunächst einmal eine Stadt orientalischen Ursprungs. Große Tempel wie im antiken Griechenland finden wir daher nicht vor. Allerdings muß die Frage offen bleiben, ob es größere Kultstätten gab, da diese bislang nicht eindeutig erkannt werden können. Die ganze Stadtarchitektur war nicht – wie in griechischen Städten – an zentrale Markt- und Versammlungsplätze ausgerichtet. Da phönizische Kolonien vor allem Handelsplätze waren, wurden sie an Stellen gegründet, die natürliche Häfen beherbergten. Erst später baute man auch künstliche Hafenbecken. Es wäre demnach falsch, Karthago als eine rückständige Kultur zu betrachten. Das Kriterium ist hier nicht der öffentliche Marktplatz oder ein Versammlungsgebäude zur Ausübung der attischen Demokratie (der Sklavenhalter). Phönizische Kolonien waren durchaus geplant, aber eben anders. Phönizische Schiffe waren den griechischen oder später den römischen ebenbürtig, wenn nicht überlegen. Die Karthager organisierten einen Handelsraum, der das halbe Mittelmeer umfaßte – und dies macht den auch in der Karlsruher Ausstellung gezeigten Reichtum verständlich.

Eine der sicherlich spannendsten, wenn auch wenig erforschten Aspekte phönizischer Forschungsreisen ist die Erkundung von Handelswegen an der afrikanischen Küste. Ein Karthager namens Hanno soll hierbei mit seinem Schiff bis zum heutigen Gabun am Äquator gelangt sein [7].

Das im Theiss Verlag erschienene Begleitbuch zur Ausstellung Hannibal ad portas umfaßt 400 Seiten mit über 900 farbigen Abbildungen. Es vereint Ausstellungskatalog mit wissenschaftlichen Hintergrundartikeln und liefert so eine einzigartige Übersicht über die karthagische Kultur und Geschichte. Hierbei wird nicht nur die karthagische Metropole und ihr numidisches Hinterland vorgestellt, sondern auch die phönizischen Kolonien in Spanien, auf Sizilien und Sardinien. Wer die Ausstellung im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe nicht besuchen kann oder will, findet hier mehr als nur einen ausreichenden Ersatz vor. Das Begleitbuch aus dem Theiss Verlag kostet bis zum Ende der Ausstellung Ende Januar [2005] 32 Euro 90, danach 39 Euro 90.

 

Schluß

Jingle Alltag und Geschichte –

heute zur Vulkangeschichte von Santorin und der Ausstellung zur Macht und zum Reichtum Karthagos. Vorgestellt habe ich hierbei das von Walter L. Friedrich geschriebene Buch Feuer im Meer zur Geschichte Santorins und der damit verbundenen Legende von Atlantis. Dieses Buch ist im Spektrum Akademischer Verlag neu aufgelegt worden und kostet 50 Euro. Bei Theiss ist das Begleitbuch zur Karthago-Ausstellung Hannibal ad portas herausgekommen; die Buchhandelsausgabe kostet bis Ende Januar [2005] 32 Euro 90 und danach 39 Euro 90. Die nicht ganz so stabile Museumsausgabe kostet 27 Euro 90.

Die Ausstellung Hannibal ad portas hat ihre Pforten im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe noch bis zum 30. Januar [2005] geöffnet. Die Ausstellung ist montags geschlossen und an den anderen Tagen von 10–18 Uhr, donnerstags bis 19 Uhr zu besichtigen. An Silvester ist ebenfalls Ruhetag; am Neujahrstag hat die Ausstellung eingeschränkt von 13–18 Uhr geöffnet. Dafür können die Heiligen Drei Könige am 6. Januar etwas länger verweilen, denn dann ist von 10–21 Uhr offen. Führungen sind auch auf Französisch, Englisch und Spanisch möglich. Genauere Angaben finden sich unter www.hannibal2004.de.

Diese Sendung der Redaktion Alltag und Geschichte wird in der Nacht zum Dienstag um 23 Uhr, am Dienstagmorgen um 8 Uhr und noch einmal am Dienstagnachmittag ab 14 Uhr wiederholt. Laut Programm folgt nun Äktschn! – eine Sendung der Kulturredaktion von Radio Darmstadt. Am Mikrofon war Walter Kuhl.

 

 

ANMERKUNGEN

 

[1]   Thera und Santorin werden in diesem Sendemanuskript in der Regel synonym benutzt – eine kleine Ungenauigkeit, da das heutige Thera nur einen Teil von Santorin bildet.
[2]   In der Literatur wird in der Regel von einer Atlantis–Legende geschrieben. Platon hatte in seinen beiden Dialogen Kritias und Timaios jedoch Wert darauf gelegt, daß es sich hierbei um eine wahre Geschichte handele; und es gibt keinen Grund, ihm hier Legendenbilderei vorzuhalten. Inmitten seiner philosophischen Ideologieproduktion legte Platon durchaus Wert auf wissenschaftliche Erkenntnis. Daß sich die antiken Kriterien wissenschaftlicher Geschichtsschreibung von heutigen unterscheiden, besagt nur, daß wir die Atlantis–Geschichte mit "griechischen Augen" betrachten müssen.
[3]   Walter L. Friedrich : Feuer im Meer, Seite 177
[4]   Spekulationen zum Vulkanausbruch auf Thera/Santorin vor dreieinhalbtausend Jahren haben mich 1976 zum Schreiben einer sogenannten "Facharbeit" bewogen. Mit einer solchen Facharbeit ließ sich damals in der gymnasialen Oberstufe eine Wertung mit doppelter Punktzahl erreichen. Mein Thema war: Neue Aspekte zur Odysseelokalisation.
[5]   Siehe hierzu meine Besprechung des Bandes Die Griechen in Süditalien von Luca Cerchiai, Lorena Jannelli und Fausto Longo im Radiowecker am 24. Oktober 2004.
[6]   Sergio Ribichini : Tophet und das punische Kinderopfer, in: Hannibal ad portas, Seite 247–257
[7]   Hannos Fahrtenbericht ist in deutscher Übersetzung HIER nachzulesen.

 

 

Diese Seite wurde zuletzt am 26. Januar 2005 aktualisiert.
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