Neue Aspekte zur Odysseelokalisation

(1976)

 

 

FACHARBEIT

 
Griechisch-Leistungskurs
Deutung irdischen Geschehens durch den Mythos und die frühe Geschichtsschreibung: Herodot und Homer
Neue Aspekte zur Odysseelokalisation
Autor : Walter Kuhl
geschrieben in der 1. Hälfte des Jahres 1976
 
NAVIGATION
 Startseite Waltpolitik 
 Neues auf meiner Homepage 
 Stichwortsuche 
 Orientierung verloren? 
 Abstract in English 
 
SENDUNGEN
 Geschichte 
 Kapital - Verbrechen 
 Radiowecker - Beiträge 
 Specials 
 Tinderbox 
 Nächste Sendung 
 
SERVICE
 Besprochene Bücher 
 Sendemanuskripte 
 Veröffentlichungen 
 Bisheriges Feedback 
  Email an Walter Kuhl 
 Rechtlicher Hinweis 
 
LINKS
 Radio Darmstadt (RadaR) 
 Alltag und Geschichte 
 Radiowecker-Redaktion 
 

 

Inhaltsverzeichnis

Teil 1 : Vorbemerkung zum Text
Teil 2 : Wiedergabe der Facharbeit von 1976
Teil 3 : Gutachten Dieter Schellenberger
Teil 4 : Anmerkungen zum Text

 

 

VORBEMERKUNG ZUM TEXT

 

Fehler und Schreibweise wurden beibehalten. Zitate des griechischen Originals wurden überprüft und ggf. korrigiert. Einzelne Anmerkungen des Originals wurden in den Text integriert. Bis auf weiteres werden die griechischen Zitate ohne Akzente wiedergegeben, da nicht jeder HTML-Browser auf den kompletten griechischen Zeichensatz zugreifen kann. Darstellungsfehler oder -probleme bestimmter Browser konnten leider nicht kompensiert werden. Insbesondere die mangelnde Fähigkeit älterer Browser (IE 4.x, Netscape 4.x) bei der Darstellung griechischer Buchstaben ist hier zu nennen. Das Literaturverzeichnis der Facharbeit wurde - soweit rekonstruierbar - um einige Angaben ergänzt; diese Ergänzungen sind durch eckige Klammern kenntlich gemacht.

Neben den zuweilen kuriosen Quellen im Originaltext sticht auch die Unbekümmertheit eines 18-jährigen heraus, der sicher ist, einen genialen Entwurf zu einer Fragestellung gelandet zu haben, die jahrtausendelang kontrovers diskutiert worden ist. Wesentliche Forschungsarbeiten waren dem Verfasser damals überhaupt nicht bekannt. Die Theorie der Oral Poetry hätte sicher einige Anhaltspunkte auch für die Thera-Odyssee liefern können.

Zur wissenschaftlichen Herangehensweise möchte ich heute - 26 Jahre nach dieser vom Grundgedanken her immer noch genialen Facharbeit - Wolfhard Schlosser und Jan Cierny zu Wort kommen lassen. In ihrem äußerst lesenswerten Buch Sterne und Steine schreiben sie jeder und jedem, die oder der den genialen Wurf gefunden zu haben glaubt, einige wichtige Sätze ins Stammbuch [1] :

Wie sollte also eine wissenschaftliche Untersuchung mit der notwendigen Ehrlichkeit im Umgang mit den Fakten durchgeführt werden?
Am Anfang steht meist eine Vermutung, die erstaunlicherweise oft auf irrationale Weise entsteht. Sie formt sich aufgrund von Assoziationen, die im einzelnen kaum nachvollziehbar sind: Sie sind einfach da! Es zeichnet den echten Forscher aus, daß er eine "gute Nase" für sein Forschunsggebiet hat oder - vornehmer ausgedrückt - eine Intuition.
Während die Vermutung in Sekundenbruchteilen im Gehirn aufblitzt, bedeutet die zweite Phase echte Knochenarbeit, die sich über Jahre erstrecken kann. Nun heißt es, das Material zu sammeln. Hierzu gibt es drei eiserne Regeln:
  • Trage alles Material zusammen, welches für die Bestätigung oder Widerlegung der Vermutung relevant ist.
  • Widerstehe der Versuchung, Daten wegzulassen, die nicht in die Reihe passen, und höre nicht mit der Datensammlung vor dem gesetzten Ziel auf.
  • Denke daran, daß ein auf Vollständigkeit angelegter Datensatz auch dann für die Wissenschaft wertvoll ist, wenn die ursprüngliche Vermutung widerlegt werden sollte.

 

 

WIEDERGABE DER FACHARBEIT VON 1976

 


Inhaltsverzeichnis


 


1. Meine Theorie

Nach bisher über siebzig Versuchen, die Odyssee zu lokalisieren, die alle, wie ich meine, des Odysseus Fahrtroute unrichtig wiedergeben, will ich, im Rahmen einer Facharbeit, versuchen, einen konstruktiven Beitrag zu diesem Thema zu leisten. Alle bisherigen Theorien scheinen mir von falschen Voraussetzungen auszugehen; ich behaupte nämlich, daß in der Odyssee zwei Fahrten beschrieben werden: die erste fand während des kretischen Neopalatikums statt (=Spätminoisch Ia+b, ca. 1500 v. Chr.), die zweite nach dem Troianischen Krieg, also - nach Eratosthenes - zwischen 1184/3 und 1174/3.

Es gibt mehrere Anhaltspunkte für diese Theorie: Da wird einmal die Odyssee als Folgeereignis des Troianischen Krieges beschrieben, zum anderen sind die Phaiaken für mich die minoischen Bewohner von Kreta kurz vor der Caldera-Bildung des Thera-Vulkans.

Die Argonauten sind, nach Apollonios von Rhodos, zum Hades (Schildt S. 83), zu Kirke (Schildt 149ff), zu den Sirenen (Schildt 151) gelangt, sie fahren zwar nicht zu Skylla und Charybdis, dafür aber durch die Plankten (Schildt 151f), was auch die Odyssee erwähnt (12,69-72)[2], und von dort nach Thrinakia (Schildt 152f). Und, wie Odysseus, gelangen sie zu den Phaiaken und deren König Alkinoos (Schildt 153ff, 185). Die Argo aber fuhr vor dem Troianischen Krieg, was sich durch Genealogien und einer Stelle aus Homers Odyssee (12,69-72) nachweisen läßt.

Aus dem Hethiterreich in Anatolien kennt man den Mythos von Ullikummi. Kumarbi, der vom hattischen Wettergott gestürzte Obergott, zeugte ihn, um die Herrschaft wieder an sich zu reißen. Ullikummi ist ein aus dem Meer steigender Felsen aus Diorit, vulkanischem Gestein, der, da es der einzige den Hethitern bekannte Meeresvulkan ist, mit dem Vulkan von Thera gleichzusetzen ist. [3]

Weiter heißt es: Zunächst versucht es die Göttin Ischtar, das Ungeheuer durch Gesänge zu verzaubern und durch ihre Weiblichkeit zu verlocken:

Ischtar nahm eine Harfe und das Instrument Galgalturi ... sie legte (ihre Kleider) auf den Boden. Sie sing, Ischtar (=Sirenenmotiv). ... Kam eine große Woge des Meeres, die große Woge sprach zu Ischtar: "Für wen singst du? ... Der Mensch ist taub: er hört nicht (=Niemand-Motiv). Er ist blind: er sieht nicht (=Polyphemos, Blendmotiv) ... geh also, Ischtar ..." (Lehmann 302)

Die Götter rüsten zur Schlacht, fallen aber alle siebzig beim Kampf mit Ullikummi ins Meer, erst, nachdem sie ihn abgesägt haben, wagen sie erneut eine Schlacht und diesmal fällt Ullikummi ins Meer, eine gut getroffene Schilderung des Einbruchs des Thera-Vulkans.

Um festzustellen, welche Fahrt welche Inseln und Orte berührte, untersuchte ich die Odyssee nach Spuren vulkanischer Aktivität und kam zu folgendem Ergebnis:

TROIA keine Spuren vulkanischer Aktivität
ISMAROSkeine
LOTOPHAGENkeine
KYKLOPEN 9,481 f:
ηκε δ απορρηξας κορυφην ορεος μεγαλοιο
καδ δ εβαλε προπαροιθε νεος κυανοπρωιρου
AIOLOS-INSELkeine
VÄTERLICHES LANDkeine
LAISTRYGONEN 10,84 ff:
ενθα κ αυπνος ανηρ δοιους εξηρετο μισθους
τον μεν βουκολεων, τον δ αργυφα μηλα νομευων·
εγγυς γαρ νυκτος τε και ηματος εισι κελευθοι.
AIA 10,187-192:
ημος δ ηριγενεια φανη ροδοδακτυλος Ηως,
και τοτ εγων αγορην θεμενος μετα μυθον εειπον·
κεκλυτε μευ μυθων, κακα περ πασχοντες εταιροι·
ω φιλοι, ου γαρ ιδμεν οπη ζοφος ουδ οπη ηως
ουδ οπη ηελιος φαεσιμβροτος εισ υπο γαιαν
ουδ οπη αννειται·
Außerdem erwähnt Homer hier zum ersten und einzigen Mal den Begriff "αλη" (10,464).
HADES 11,15-19:
ηερι και νεφελη κεκαλυμμενοι, ουδε ποτ αυτους
ηελιος φαεθων καταδερκεται ακτινεσσιν,
ουθ οποτ αν στειχησι προς ουρανον αστεροεντα,
ουθ οπ αν αψ επι γαιαν απ ουρανοθεν προτραπηται,
αλλ επι νυξ ολοη τεταται δειλοισι βροτοισι.
SIRENEN keine, aber man denke an den Ullikummi-Mythos
PLANKTEN, SKYLLA, CHARYBDIS keine, aber ich halte es für wahrscheinlich, daß es vulkanische Ereignisse sind [4]
THRINAKIA keine
PHAIAKEN 13, 162 ff:
... της δε σχεδον ηλθ ενοσιχθων,
ος μιν λααν εθηκε και ερριζωσεν ενερθεν
χειρι καταπρηνει ελασας, ο δε νοσφι βεβηκει.
ITHAKA keine

Die Verse 10,84-86 beschreiben meiner Meinung nach Ereignisse, deren Ursache der Thera-Vulkan ist: Er kann die Nacht durch seinen gewaltigen Feuerschein zum Tag machen, genauso aber durch seine Ascheneruptionen alles verdunkeln.

Während einer solchen Ascheneruption landet Odysseus auf Aia. Odysseus weiß zwar, daß die Sonne aufgeht, aber nicht, wo. Da Odysseus nicht in eine Schlechtwetterzone geraten ist, dies hätte Homer erwähnt, schließe ich auf eine Naturkatastrophe, den Thera-Vulkan.

Zur Phaiakischen Odyssee - ich nenne sie so, weil in ihr neben Odysseus die Phaiaken die Hauptrolle spielen - gehören also: Kyklopen, Laistrygonen, Aia, Hades, Sirenen und Phaiaken. Da Odysseus in sieben Tagen von der Aiolos-Insel zu den Laistrygonen rudert, gehören auch Aiolos-Insel und Väterliches Land dazu. Weiterhin sehe ich in Plankten, Skylla und Charybdis vulkanische Ereignisse, so daß man auch sie dazuzählen kann. Sie werden auch in der Argonautika des Apollonios als Folgeereignisse der Sirenen genannt wie auch Thrinakia, die Insel des Sonnengottes. Wenn ich schließlich zwar Thrinakia, aber nicht Ogygia dazurechne, dann berufe ich mich auf Homers Odyssee (19,273-279). Zur Troianischen Odyssee - so von mir genannt, weil sie auf den Troianischen Krieg folgt - zählen: Troia, Ismaros, Lotophagen und Ogygia, weiter Alybas (24,302-314), Thesproten und Dodona (14,321-333). Letztere halte ich nicht für "Lügenmärchen", sondern für reale Ereignisse; schließlich wird erwähnt, daß Odysseus dort war.

Auch die Frage, welche Insel das Ithaka der Odyssee war, kann ich mit Hilfe meiner Theorie lösen. Das Ithaka, das der troianische Held Odysseus bewohnte, ist das heutige, wozu auch die Beschreibung Ithakas in den Versen 9,21-24 paßt, die Verse 9,25-26 beschreiben eine andere Insel, die des von den Phaiaken heimkehrenden Odysseus. Dies ist auch als Beleg für meine Theorie anzusehen.

Ich will diese theoretischen Überlegungen versuchen in die Praxis umzusetzen, d.h. zeigen, daß sich die Odyssee in Übereinstimmung mit meiner Theorie lokalisieren läßt.

 


2. Die Phaiakische Odyssee


2.1. Kyklopen

Die erste von Homer genannte Station dieser Odyssee sind die Kyklopen. Dem Kyklopenland vorgelagert ist die Ziegeninsel, ihm weder nah noch fern (9,117). Das Kyklopenland suche ich auf der Insel Thera=Strongyle - der Name Strongyle "die Runde" bezieht sich auf die Gestalt Theras vor dem Vulkaneinbruch -, die Ziegeninsel hingegen vermag ich nicht zu lokalisieren, entweder ist sie eine der Nachbarinseln Theras oder sie ist infolge vulkanischer Aktivitäten untergegangen.

Die Kyklopen halte ich für Personifizierungen der Vulkankrater. Polyphemos "der Vielbesprochene" ist wohl der Hauptkrater. Dieser Deutung widerspricht die Odyssee nicht, ihr zufolge leben die Kyklopen auf den Berggipfeln (9,113), sie gleichen einer Felsenkuppe von hohen Bergen (9,190 ff.) und ihnen sind keine Schiffe zu Gebote (9,125 f.) Für den Vulkanismus sprechen die Verse 9,481+482: Polyphemos reißt eine Kuppe eines hohen Berges ab und wirft sie vor das Schiff des fliehenden Odysseus. Und noch etwas spricht dafür, die Kyklopen mit dem Thera-Vulkan zu identifizieren: Sie, die Söhne Poseidons (9,518+519) fürchten Zeus nicht (9,275) - Poseidon war möglicherweise zu der Zeit Hauptgott der Achäer (Marinatos 94) -, eine Parallele zu Ullikummi, Sohn des gestürzten Kumarbi, der sogar die Götter herausfordert und besiegt.

Andere Parallelen zum Ullikummi-Mythos habe ich schon auf Seite 4 beschrieben.


2.2. Aiolos-Insel

Von den Kyklopen gelangte Odysseus zur Insel des Aiolos. Nach einem Aufenthalt von einem Monat (10,14) segelte er zehn Tage und neun Nächte (10,28 f.) mit einem Hauch des Westwindes (10,25) zum Väterlichen Land. Er sah schon die Feuerwachen (10,30), als ihn ein Wirbelwind zurück zur Aiolos-Insel verschlug (10,54 f.).

Da ich die Heimatinsel des Odysseus mit Ikaria identifiziere (s. Kapitel 2.7.), halte ich den Inselraum der Ägäis für das Väterliche Land. Die Feuerwachen sind meiner Ansicht nach Grenzposten der minoischen Thalassokratie, und, weil Odysseus aus dem Westen kam, zwischen Kap Maleia auf der Peloponnes und Kap Spathia auf Kreta zu suchen.

Die Brüder Wolf erschließen für den Hauch eine Segelgeschwindigkeit von 1-2 Knoten (Wolf 68). Demnach legte Odysseus zwischen der Aiolos-Insel und den Feuerwachen 422-845 km zurück. Westlich Antikytheras (etwa in der Mitte zwischen Kap Maleia und Kap Spathia) gibt es nur vier Inseln, die innerhalb dieser Entfernung liegen: Sizilien (ca. 700 km), Malta, Comino und Gozo (ca. 775 km).

Auf Homers Beschreibung paßt nur eine Insel: Malta. Homer schreibt:

πλωτη ενι νησω, πασαν δε τε μιν περι τειχος
χαλκεον αρρηκτον, λισση δ αναδεδρομε πετρη

Sizilien nämlich kann nicht sofort als Insel ausgemacht werden und von den anderen drei Inseln besitzt nur Malta eine solche Steilküste. Der Einwand, diese Insel "schwimme" (πλωτος) nicht, ist nicht stichhaltig, da Homer wohl eher an die zweite Bedeutung "schiffbar" gedacht hat. Aber nicht nur deshalb halte ich Malta für die Aiolos-Insel, sondern auch, weil Homer Aiolos als ταμιας ανεμων bezeichnet. Gerade auf Malta bezogen erscheint dies sinnvoll: Von Mitte September bis Ende Oktober weht aus Südwesten der Scirocco, der dann von einem Nordwestwind, der das ganze Jahr über vorherrscht, abgelöst wird, im Winter schließlich wehen Nord- und Nordostwinde (Wolf 37, 101f.). Daß man von Kreta infolge eines Sturmes nach Malta verschlagen werden kann, bezeugt Lukas in der Apostelgeschichte (27,14-28,1; Wolf 37f.).


2.3. Telepylos im Laistrygonenland

Nachdem Odysseus und seine Gefährten sieben Tage und acht Nächte gerudert waren, erreichten sie Telepylos (10,80 ff.). Forfait, ein französischer Marineingenieur des 19. Jahrhunderts, hat in einer speziellen Studie über die mittelalterliche Mittelmeergaleere, den Schiffstyp, der direkt von dem der homerischen Zeit abstammt, als Ruderdauergeschwindigkeit 1,5 bis 2,25 Knoten errechnet (Wolf 213). Demnach ruderten des Odysseus Leute zwischen 433 und 650 km. Da Odysseus schon bei der ersten Abreise von der Aiolos-Insel nach Osten fuhr, nehme ich an, daß er es noch einmal versuchte; Die Erwähnung schmerzlicher Ruderarbeit (10,78) veranlaßt mich, die obere Grenze, also 650 km anzunehmen. Von Malta zu dem von mir als Telepylos vorgeschlagenen Pylos sind es etwa 650 km.

Auf der Peloponnes gibt es drei Orte namens Pylos: in Elis, Triphylien und Messenien (Putzger 9). Die beiden ersten entsprechen nicht der Beschreibung Homers: Sie besitzen keinen berühmten Hafen (10,87) in einer Bucht (10,92) mit enger Einfahrt (10,90). Nur das messenische Pylos entspricht dieser Beschreibung, aber auch Anderes trifft zu: Es besitzt eine Burg (19,81; πτολιετρον = Burg bei Schadewaldt 126) und die Felsen rings um den Hafen (10,87 f.). Daß die Laistrygonen Kannibalen sein sollen (10,116), halte ich für minoische Propaganda; wahrscheinlich war Odysseus minoischer Untertan (man denke an die minoische Thalassokratie!) und somit verpflichtet, so über die Laistrygonen zu erzählen.

Schließlich setze ich auch aus folgendem Grund das messenische Pylos mit Telepylos gleich: Telepylos bedeutet Fern-Pylos. Im Gegensatz aber zu Wolf (S. 46) glaube ich nicht, daß Telepylos ein dem messenischen Pylos ähnlicher Ort, weit von diesem entfernt, ist, sondern ein Ort in einiger Entfernung zu einem (alten) anderen Pylos. Damit wird das triphylische gemeint sein; bei den Römern hieß es Pylus vetus.


2.4. Aia und Hades

Von Telepylos fuhr Odysseus zur Insel Aia. Sie besitzt - nach Homer - eine Hafen (10,140), einen Aussichtspunkt (10,146 f.), Wald (10,150), ist ringsum vom unendlichen Meer umschlossen (10,195), besitzt Anhöhen (10,281), Höhlen (10,404) und liegt im Osten (12,3 ff.). Mit Nordwind kann man zum Haus des Hades fahren (10,507), wo in den Acheron der Pyriphlegeton fließt, sowie der Kokytos, der Ausfluß der Wasser der Styx (10,513 ff.). Es ist das Land der kimmerischen Männer, die in Dunst und Wolken eingehüllt sind und nie die Sonne sehen (11,13-19).

Den Hades glaube ich im Thera-Vulkan-Komplex wiederzufinden, denn die Namen der Hadesflüsse Pyriphlegeton "Feuerbrand" und Kokytos "Heulstrom" sowie die Verse 11,15-19 deuten darauf hin. Das Haus des Hades selbst wird eine (verlassene?) Kultstätte sein. In nordöstlicher Richtung von Thera muß Kirkes Insel liegen (wegen 10,507 und 12,3 ff.); man vergleiche mit der Argonautika des Apollonios: Vom Hades (Bithynien) segelt die Argo in nordöstlicher Richtung nach Aia (Kolchis) (Schildt 9, 83 und 87), wobei Bithynien und Kolchis späte Lokalisationen einer Seefahrt zur Zeit des Thera-Ausbruchs sind (, wovon man aber in hellenistischer Zeit nichts mehr wußte).

Eine genaue Entfernungsangabe gibt Homer nicht: Odysseus segelte nach Sonnenaufgang von Aia ab (10,541; 11,1-10) und kam nach Sonnenuntergang desselben Tages zum Haus des Hades (11,11-22; 19,512). Daraus läßt sich eine Fahrzeit von mindestens zehn und höchstens 24 Stunden erschließen und, bei einer Fahrtgeschwindigkeit von 3,9 Knoten [5] (Wolf 70 f.), eine Entfernung von 72 bis 174 Kilometern.

Aia ist eine kleine Insel, denn Odysseus konnte sie von seinem Aussichtspunkt überblicken (10,194-197). Einige Kilometer von ihr entfernt darf keine andere Insel liegen - die genaue Entfernung hängt von der Dichte des Vulkanascheschleiers ab -, an ihr nämlich Odysseus sich orientieren können, was im Widerspruch zu 10,187-192; 195 und 464 stünde.

Ich setze Aia mit Farmakonesi (westlich Kariens, ca. 175 km von Thera entfernt) gleich, ohne allerdings die Existenz von Wald und Höhlen überprüfen zu können. Alle anderen Bedingungen werden [vgl. Anm. 5] erfüllt. Es gibt noch zwei weitere Anhaltspunkte für diese Gleichsetzung: Nach Mavor (S. 36 f.) und Luce (S. 127) liegt Farmakonesi im Grenzgebiet des Niederfalls von Thera-Asche, d.h., daß dort die Asche zwar noch den Himmel verdunkelt, aber nicht mehr herunterfällt, was 10,187-192 erklären könnte. Die Hethiter kennen an der Westküste Kleinasiens ein - in seiner genauen Lage unbekanntes - Land namens Karkiša, welches ich aufgrund seiner Wort-Ähnlichkeit mit Kirke und Karien mit diesen gleichsetze, ohne einen Beweis dafür nennen zu können.

Der Einwand, daß ich die Kyklopen und den Hades auf derselben Insel, Thera, lokalisiere, ohne daß Homer davon etwas erwähnt, ist nicht stichhaltig, da der Thera-Vulkan-Komplex zur Zeit des Ausbruchs aus mindestens vier Inseln bestanden hat (Mavor 75 Abb.), von denen eine das Kyklopenland sein kann und eine andere die Hadesinsel.


2.5 Sirenen, Plankten, Skylla, Charybdis, Thrinakia

In Übereinstimmung mit Schadewaldt (S. 330) glaube ich, daß Odysseus nicht wieder zu Kirke zurückkehrte, denn in Sirenen (vgl. Ullikummi), Plankten, Skylla und Charybdis sehe ich vulkanische Ereignisse.

Da beim Einbruch des Thera-Vulkans Land untergegangen ist - wieviel, ist unbekannt -, halte ich eine genaue Lokalisation dieser fünf Ereignisse für unmöglich; sie werden in unmittelbarer Nachbarschaft von Thera zu suchen sein.


2.6 Scheria

Von Charybdis trieb Odysseus 9½ Tage lang (12,447) im Meer, allerdings nicht nach Ogygia zu Kalypso, sondern nach Scheria (19,273-279), der neuen Heimat der Phaiaken, die unter Nausithoos vor den Kyklopen nach Scheria geflohen waren (6,4-8). Da ich die Kyklopen auf Thera lokalisiere und die Thera-Bewohner nach der ersten Eruption hauptsächlich nach Kreta geflohen sind, setze ich Scheria mit Kreta gleich. Den Einwand, "Scheria" bedeute "Festland", Kreta aber sei eine Insel, entkräfte ich durch Vers 6,204: οικεομεν δ απανευθε πολυκλυστω ενι ποντω.

Der Weg des Odysseus auf Kreta läßt sich gut verfolgen: Er betrat Kreta an der Mündung eines Flusses in der Nähe von Iraklion - Giofiros, Kairatos oder Karteros. Am nächsten Tag ging er zum Palast von Knossos. Nach der Erzählung seiner Abenteuer wurde er von einem Herold nach Amnissos geleitet, von wo er nach "Ithaka" gerudert wurde.

Poseidon konnte den - vor der kretischen Norwestküste - treibenden Odysseus von den Solymerbergen (=Taurus) sehen (5,283 f.). Mit Nordwind gelangte Odysseus zu den Phaiaken (5,385 f.) an die Nordküste Kretas.

Auch, daß die Phaiaken weitab im vielflutenden Meer wohnen, zuäußerst (6,204 f.), trifft auf Kreta bzw. dessen Bewohner zu. Minoer wie Phaiaken ziehen die Seefahrt dem Kriegshandwerk vor (6,270 ff.). Beiderseits der Stadt des Alkinoos liegt ein Hafen (6,263), das minoische Gegenstück ist Knossos mit seinen Häfen an der Mündung des Kairatos und Amnissos, beide etwa 5 km Luftlinie vom Palast entfernt, den zu minoischer Zeit eine Stadt noch unbekannten Ausmasses umgab.

Auch die Namen der Phaiaken verdienen Beachtung.

Alkinoosαλκη Schutz, Stärke
νοος Sinn, Verstand
Nausikaaναυς Schiff
Wurzel κασ sich auszeichnen
Nausithoosναυς Schiff
θοος schnell
Ρηξηνωρ männerreihen durchbrechende Kraft
Αλιοςzum Meere gehörig
Κλυτονεως κλυμενος
Λαοδαμας völkerbezwingend

Sie deuten auf ein berühmtes Seefahrervolk hin. Während des Thera-Ausbruchs im 2. Jahrtausend gab es im Mittelmeergebiet nur ein Volk, das Seefahrt in großem Stil betrieb: die Minoer; die Phönizier tauchten erst im 11. Jahrhundert auf, die Ägypter kannten nur überdimensionale Flösse, die nicht hochseetüchtig waren, und die Mykener wurden erst nach dem Einbruch des Thera-Vulkans zu einer Seemacht.

Die Phaiaken fuhren Rhadamantys, einen Minoer, nach Euboia (7,321-324). Welchen Grund aber sollten die Minoer, das Seefahrervolk der Ägäis, haben, ein Phaiakenschiff zu chartern, wenn sie nicht selbst die Phaiaken wären?

Wenn nun Phaiaken und Minoer dasselbe Volk sind und Alkinoos als deren König in Knossos residierte, begegnete ihm Odysseus im dortigen Palast (6,301f.).

Nach meiner Zweifahrtentheorie kehrte Odysseus "zweimal" nach Hause zurück, im 15. Jahrhundert von den Phaiaken, 1174 von den Thesproten. Es stellt sich die Frage, da Homer nur eine Heimfahrt beschreibt, ob die Beschreibung der Phaiaken und ihres Landes Elemente beider Fahrten enthält. Die Bejahung dieser Frage läßt sich deutlich an folgendem Beispiel zeigen: Vers 8,54 beschreibt, wie die Phaiaken die Segel setzen, nach 13,78;115 ruderten sie nach Ithaka. Deshalb behaupte ich, daß die Unstimmigkeiten, die sich aus der Gleichsetzung Scherias mit Kreta ergeben, nicht auf eine fehlerhafte Lokalisation zurückzuführen sind - mein Indizienbeweis ist noch nicht abgeschlossen -, sondern auf das Einfließen der Beschreibung des Thesprotenlandes. Meiner Meinung nach beziehen sich zumindest die Verse 6,9; 7,118 f.; 8,54 und 13,84 f. auf die Thesproten, möglicherweise noch einige Verse aus der Beschreibung des Alkinoospalastes (7,84-132).

Als das Phaiakenschiff von Ithaka zurückkehrte, verwandelte es Poseidon Enosichthon in einen am Meeresgrund verwurzelten Stein (13,159-164). Dieser Stein könnte mit der Insel Dia (12 km nördlich von Amnissos) identisch sein, wo zu minoischer Zeit vielleicht eine Schiffswerft existierte. Ebenso wäre auch ein Bezug auf die Thera-Aktivitäten möglich. Typisch für Thera ist es, daß nach jedem Ausbruch Erdbeben - oft katastrophalen Ausmasses - die Umgebung, u.a. Kreta, erschüttern (Marinatos 17). Deshalb ist die Furcht davor bei den Phaiaken (13,172-187) nicht unbegründet. Der dafür verantwortliche Poseidon Enosichthon / Ennosigaios wird auf mykenischen Tontafeln im Zusammenhang mit Quellen in Amnissos genannt: Enesidaone Aminiso kerena rene (Marinatos 94) [6]. Der Lokalisation der Phaiaken auf Kreta widerspricht nur folgender Vers (6,205): ... ουδε τις αμμι βροτων επιμισγεται αλλος.


2.7 Ithaka

Ebenso wie Wolf nehme ich eine Fahrzeit von mindestens eineinhalb Tagen an: Schon der Schlaf bei der Ankunft im Phaiakenland, der durch die ganze Nacht, den Morgen und den Mittag währte, wird unendlich genannt (7,286 ff.). Der tiefe, unerweckliche, ganz süße, todähnliche Schlaf (13,79 f.) erscheint demgegenüber noch als Steigerung. Er kennzeichnet also, da Odysseus an einem Abend einschlief (13,33; 79) und an einem Morgen erwachte (13,93 ff.;187), offenbar einen Schlaf über - mindestens - zwei Nächte samt dem dazwischenliegenden Tag (S. 89). Nun stellt sich die Frage, ob die Phaiaken gesegelt (8,54) oder gerudert (13,78;115) sind. Sie sind gerudert, und zwar aus folgenden Gründen: Auf Scheria weht immer Westwind (7,118 f.), auf Kreta aber herrscht Nordwind vor. Deshalb halte ich dies für die Beschreibung der Windverhältnisse im Thesprotenland; dort weht tatsächlich Westwind (s.a. S. 18). Bei der Abfahrt des Odysseus folgte dem Schiff die purpurne Woge des vieltosenden Meeres (13,84 f.), was, da es Abend war, auf Westwind hindeutet. Westwind zu erwähnen ist aber nur dann sinnvoll, wenn man ihn zum Segeln braucht.

Angenommen, die Phaiaken wären gesegelt, so hätten sie aufgrund des vorherrschenden Nordwindes nur nach Süden - bestenfalls nach Westen oder Osten - fahren können und wären wieder auf Kreta gelandet.

Die zu suchende Insel muß folgende Bedingungen erfüllen:

  1. Sie muß von Amnissos aus in mindestens anderthalb Tagen erreichbar sein.
  2. Sie muß niedrig ganz zuoberst im Salzmeer liegen (9,25).
  3. Westlich von ihr ist Meer, ihre Nachbarinseln liegen im Osten und Süden (9,24 ff.).

Ich schlage als "Ithaka" die Insel Ikaria vor (ca. 230 km von Amnissos entfernt).

230 Kilometer sind mit einer Ruderdauergeschwindigkeit von 2,25 Knoten (s. a. Seite 8) nicht in anderthalb Tagen zurücklegbar, sondern in zweieinhalb, dieser Tatsache aber steht die Odyssee nicht entgegen.

Ikarias höchster Punkt ist 1031 m hoch, hier scheint also ein Widerspruch vorzuliegen.

Ikaria ist aber die einzige Insel des gesamten griechischen Mittelmeerraumes, auf die Punkt 3 zutrifft: Man kann von Kap Fanari im Osten der Insel sowohl im Süden als auch im Osten Inseln sehen; die nächste Insel im Westen liegt 40 km von Kap Papas im Westen Ikarias entfernt, die nächste von Kap Papas aus sichtbare (nur bei günstiger Witterung), Mykonos, 50 km.

 


3. Die Troianische Odyssee


3.1. Troia, Ismaros, Maleia & Kythera

1869 behauptete Heinrich Schliemann, daß nicht Bunarbaschi, sondern Hissarlik der Hügel sei, auf dem Troia gestanden habe. Er grub und behielt recht.

Odysseus' nächste Station war Ismaros im Kikonenland in der Nähe des heutigen Alexandroupolis. Von dort fuhr er südwärts, wurde von einem Sturm überrascht und ruderte ans Land (9,67-73). Nach einem Aufenthalt von zwei Tagen und Nächten segelte er weiter nach Maleia. Als er es umfahren wollte, wurde er vom Nordwind und der Strömung an Kythera vorbei abgetrieben (9,74-81).


3.2. Lotophagen

Nach neuneinhalb Tagen gelangte Odysseus zu den Lotophagen (9,82 ff.). Da bei Kythera die Strömung westwärts gerichtet ist, gleichzeitig aber Nordwind blies (9,81), wurde des Odysseus Schiff nach Südwesten abgetrieben. Herodot berichtet, daß ein von Nordwind bei Kap Maleia verschlagenes Schiff, ohne zwischendurch Land zu sehen, in die Kleine Syrte (an den Tritonsee) verschlagen wurde (Wolf 36). In Übereinstimmung mit der antiken Tradition, die auf dem Vorkommen süßer, dattelähnlicher Früchte, die als der Lotos der homerischen Lotophagen galten, gründet, lokalisiere ich das Lotophagenland auf der Insel Djerba. Nach Wolf (S. 78) ist es möglich, in der angegebenen Fahrzeit von Kythera nach Djerba zu gelangen.


3.3. Alybas, Ogygia, Thesproten und Dodona

Als "Lügenmärchen" wurden bisher die Stellen aufgefaßt, in denen Odysseus (unter anderem Namen) erzählt, wo und wann er Odysseus getroffen habe: in Alybas (24,303-314), oder von ihm gehört habe: bei den Thesproten, daß er von dort nach Dodona gegangen sei, um vom dortigen Orakel zu erfahren, ob er offen oder heimlich nach Hause zurückkehren solle (14,321-333). Aufgrund meiner Zweifahrtentheorie behaupte ich aber, daß hierbei wahre Begebenheiten geschildert werden; diese Behauptung steht der Odyssee nur in einem Punkt entgegen: Wenn Odysseus fünf Jahre vor seiner Ankunft auf Ithaka in Alybas gewesen ist, kann er nicht sieben Jahre bei Kalypso verbracht haben. Diese sieben Jahre wurden von Homer wahrscheinlich aber nur hineingedichtet, um für die Länge der Odyssee, wie bei der Ilias, zehn Jahre zu erhalten.

Zwischen dem Aufenthalt bei den Lotophagen und in Ogygia wird die Mannschaft des Odysseus vom Zorn Athenes (5,108-111) getroffen worden sein. Da nämlich alle Abenteuer - nach der Reihenfolge der homerischen Odyssee - zwischen den Lotophagen und Ogygia einer anderen Fahrt zugehören, muß für das Verschwinden der Mannschaft - bei den Lotophagen lebte sie noch (9,85), nach Ogygia gelangte nur Odysseus allein (5,111) - ein anderer Grund vorliegen als die Dezimierung durch den Kyklopen und die Lotophagen [7] und der Sturm, den Zeus nach den Ereignissen auf Thrinakia sandte; auf einmal gibt die Erwähnung des Athenezornes einen Sinn - es sei denn, man bezöge ihn auf Aiax den Lokrer, der Kassandra aus dem Athenetempel in Troia herauszerrte (Schwab 430; 435 ff.); doch dem steht entgegen, daß bei diesem Sturm die Gefährten des Odysseus zugrundegingen (5,111), das Schiff des Odysseus aber wurde von dem Sturm bei Euboia, der aufgrund des Tempelfrevels entstand, nicht erfaßt, da es nicht mit der griechischen Flotte segelte.

Alybas' Lage wird von Homer nicht beschrieben. Somit ist eine Lokalisation unmöglich.

Daß Odysseus nach seinem Aufenthalt in Alybas zu Kalypso kam, ist aus dem Synchronismus in den Versen 4,555 ff. (8. Jahr nach der Zerstörung Troias) ersichtlich, aber auch daraus, daß er von Ogygia über die Thesproten und Dodona nach Ithaka kam - da er, wenn er schon bei den Thesproten war, nicht fünf oder mehr Jahre (24,309) gewartet hätte, um in das von den Thesproten nur 90 km entfernte Ithaka zu gelangen.

Über Ogygia schreibt Homer, es sei baumreich (1,51), weit im Westen (5,272-277) (von Griechenland - die nächste Station, das Thesprotenland, ist in Epirus (s. S. 18)) - entfernt (5,55), es liegt keine Stadt in der Nähe (5,101) und: ... νησω εν αμφιρυτη, οθι τ ομφαλος εστι θαλασσης (1,50).

Mit Homers Entfernungsangabe ist nicht viel anzufangen; er schreibt, daß Odysseus auf einem Floß (5,265) mit einem leidlosen und lauen Wind (5,268) siebzehneinhalb Tage dahinfuhr (5,278), ehe er von einem Sturm überrascht wurde (5,291-383). Dies alles läßt nur den Schluß zu, daß Ogygia mit einer der Inseln zwischen Sizilien und Tunesien identisch ist, weiter hätte das Floß wohl kaum treiben können.

Ob der Sturm vor der thesprotischen Küste in den Versen 5,291-383 oder 14,303-315 beschrieben wird, ist für die Lokalisation des Thesprotenlandes ohne Bedeutung; wie Dodona liegt es in Epirus (Putzger 7). Auf die Thesproten bezogen sind meiner Meinung nach folgende Verse der Beschreibung Scherias: 6,9, da die Minoer keine Stadtmauern bauten, sowie 7,118 f.; 8,54; 13,84 f., da an der thesprotischen, nicht aber an der phaiakischen Küste Westwind weht (nicht belegbar, da jedoch in Kalabrien Westwind weht (Wolf 102), nehme ich dasgleiche auch für Epirus - ca. 400 km westlich Kalabriens - an).


3.4. Ithaka

Das von Homer in den Versen 9,21-24; 1,186 beschriebene Ithaka ist das heutige (Putzger 7), die Verse 9.25 ff. gehören zur Beschreibung des "phaiakischen" Ithakas. Odysseus ermordete hier die Freier.

Wie ich gezeigt habe, ist es möglich die Odyssee unter der Annahme zweier Fahrten zu lokalisieren. Sieben Orte blieben jedoch ohne geographische Entsprechung, allerdings erhielten davon sechs (nur Alybas nicht) eine ungefähre Lokalisation.

 


4. Anhang


4.1. Die Nebenepen


4.1.1. Telemachie

Ithaka (bis 2,433) - Pylos (ob das messenische oder das triphylische, ist noch nicht geklärt; 3,4-485) - Pherai (3,488-493) - Sparta (4,1-624; 15,1-83) - Pherai (15,196-191) - Pylos (15,193-291) - Ithaka (ab 15,495)


4.1.2. Menelaie

Troia (3,276) - Lesbos (3,169) - Geraistos (3,177) - Sunion (3,278-285) - Maleia (3,287) - Kypros (4,83) - Phönizien (4,83) - Ägypten (4,83) - Äthiopen (4,84) - Sidon (4,84) - Erember (Sinai; 4,84) - Ägypten (4,351-585) - Sparta (4,586).

Möglicherweise war Menelaos am Angriff der Seevölker und Libyer auf Ägypten beteiligt, denn erstens kam er von Troia, nach ägyptischen Quellen waren aber Tjekker (=Teukrer=Troianer) unter den Seevölkern zu finden und zweitens erwähnt Homer, daß Menelaos wegen Windstille (4,361) nicht heimfahren konnte, wegen Windstille aber waren die Segelschiffe der Seevölker nicht manövrierfähig und waren deshalb den Ruderbooten der Ägypter unterlegen, was sich auch im Schlachtverlauf zeigte; aus diesem Grund wollte Menelaos wohl auch möglichst schnell heim (4,351).


4.2. Zeittafel

JahrÄgyptenMenelaos Odysseus
11847.3. Thronbesteigung Ramses III. Troia zerstört Sunion Kypros Troia terstört Lotophagen
1183Jahr 2??
1182Jahr 3??
1181Jahr 4??
1180LibyereinfallLibyen ??
1179Jahr 6?Alybas
1178Jahr 7? Ogygia ?
1177Seevölkereinfall
Schardana = Scherden [8]
Schekelsch = Sizilianer [8]
Weschesch
Dainuina = Danaer
Peleset = Philister
Tjekker = Teukrer
Teresch = Etrusker [8]
Maschwesch = Maxyer
Akaiwasch = Achäer
Ägypten
Sparta (3,303-311)
Ogygia (Synchronismus aus 4,555-557)
1176Jahr 9SpartaOgygia
1175Jahr 10SpartaOgygia
1174LibyereinfallSparta; Telemachos Ogygia Thesproten Dodona Ithaka

Zwischen dem Untergang Troias und der Seevölkerschlacht von 1177 wurde in Anatolien und Syrien das Hethiterreich von den Seevölkern vernichtet. Bevor die Hauptstadt Chattuscha fiel, konnte König Schuppiluliuma II. noch einen Sieg über die Seevölker bei Alaschija (=Kypros) auf einer Tontafel verewigen lassen.

Da ich annehme, daß Menelaos unter den Seevölkern zu finden war und Menelaos auf dem Weg nach Ägypten an Kypros vorbeifuhr, wäre es möglich das Jahr dieser Schlacht zu bestimmen: 1184. Demnach kann der Fall des Hethiterreiches mit 1184/1177 festgelegt werden, etwa 10 Jahre später, als bisher angenommen.

 

 

LITERATURVERZEICHNIS

 

Ceram, C. W.Ruhmestaten der Archäologie (rororo 6902) [Rowohlt, Reinbek]
Friedrich, JohannesHethitisches Elementarbuch, 2. Teil [Carl Winter Universitätsverlag, Heidelberg 1967]
GemollGriechisch-Deutsches Schul- und Hand-Wörterbuch 91965
Herm, GerhardDie Phönizier. Das Purpurreich der Antike (rororo 6909) [Rowohlt, Reinbek 1975]
Homers OdysseeDeutsche Buch Gemeinschaft 1960
Lehmann, JohannesDie Hethiter. Das Volk der 1000 Götter [C. Bertelsmann Verlag, München u.a. 1975]
Luce, J. V.Atlantis. Neue Entdeckungen der Archäologie [Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 31972]
Marinatos [, Spyridon] / Hirmer [, Max]Kreta, Thera und das mykenische Hellas [Hirmer Verlag, München 21973]
Mavor jr., James M.Reise nach Atlantis [dtv, München 1973]
PausaniasBeschreibung Griechenlands II (dtv 6009)
Propyläen WeltgeschichteBand 3: Die hellenistische Welt
PutzgerHistorischer Weltatlas, 90. Auflage
Schadewaldt, WolfgangHomer, Die Odyssee (RK 29) [Rowohlt, Hamburg 1958]
Schildt, GöranDas Goldene Vlies. Auf den Spuren der Argonauten
Schwab, GustavSagen des klassischen Altertums, Deutsche Buch Gemeinschaft 1960
Vandenberg, PhilippNofretete [Scherz Verlag, Bern/München 1975]
Wolf, Hans Helmut + ArnimDer Weg des Odysseus [Tübingen 1968] [9]
Wolf, WaltherDas alte Ägypten (dtv 3201) [dtv, München 1971]

 

 

GUTACHTEN DIETER SCHELLENBERGER

 

Dieter Schellenberger
Oberstudienrat
Goethe-Gymnasium
Berlin-Wilmersdorf
Betr.:Facharbeit im Fache Griechisch
"Neue Aspekte zur Odysseelokalisation"
von Walter Kuhl (2. Semester)

Gutachten

Das Thema, dem sich der Verfasser gewidmet hat, gilt als eines der schwersten im Zusammenhang mit der Odysseeinterpretation. Das Problem ist bis heute - sieht man einmal von der ebenfalls umstrittenen Arbeit der Gebrüder WOLF ab - ungelöst und wird nach einem schon von Eratosthenes geäußerten spöttischen Wort ungelöst bleiben.

Aus diesem Grund sollte die vorliegende Arbeit auch nicht versuchen, die Fragen zu lösen, was eher Gegenstand einer Dissertation sein könnte. Der Verfasser hat sich darauf beschränkt, neue Aspekte zum Thema zusammenzutragen und diese am Text zu verifizieren.

Ausgehend von seiner Hypothese, daß der Odyssee, so wie wir sie heute lesen, zwei Irrfahrten zugrundeliegen, die eine zur Zeit des kretischen Neopalatikums, die andere im Anschluß an den Trojanischen Krieg, hat der Verfasser in der Odyssee und anderen Quellen nach Belegen geforscht. Hierbei gelingen ihm einige beeindruckende Ergebnisse. So sein Hinweis auf den hethitischen Mythos von Ullikummi und seine Parallelen in der homerischen Kyklopenerzählung. Beide Mythen werden scharfsinnig mit dem Ausbruch des Theravulkans in Verbindung gebracht. Überzeugend auch seine These, Odysseus Orientierungsschwierigkeiten auf Aia (10,187 ff) auf den Vulkanascheschleier von Thera zurückzuführen (S. 10). Auch sein Versuch, die Phaiaken mit den minoischen Kretern zu identifizieren, wirkt bestechend. Gut in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die Fahrt des Rhadamantys (S. 12).

In seinem Bestreben, möglichst alle Fragen im Lichte seiner Hypothese zu klären, geht der Verfasser allerdings bisweilen zu weit.

So ist es zumindest problematisch, die Argonautica des Apollonius von Rhodos als Quelle heranzuziehen; denn einmal schreibt Apollonius wesentlich später, zum anderen versteht er sich als Homerrivale.

Nicht alle angeführten Belege vermag ich als Beweise vulkanischer Tätigkeit gelten zu lassen. So sind die Verse 10,84-86 und 11,15-19 für eine solche Aktivität nicht unbedingt schlagende Beweise. Auch kann man wohl kaum Skylla und Chraybdis als vulkanische Phänomene gelten lassen, wie es der Verfasser tut, werden doch die Strömungsverhältnisse von Kirke (12,105) als regelmäßige Erscheinung (επ ηματι) geschildert. Eine Lokalisation, die Skylla und Charybdis an eine der Stellen verlegt, wo die Gezeitenströmungen sichtbar werden, erscheint mir überzeugender.

Einige Widersprüche im Odysseetext sind im übrigen schon von den Analytikern, wie mir scheint einfacher, mit zwei Bearbeitern des Epos erklärt worden. So weist SCHADEWALDT den Vers 8,54 dem Dichter B, den Vers 13,78 dem Dichter A zu (vgl. S. 13).

Überhaupt vermißt man - gesetzt, die Hypothese des Verfassers entspräche den Tatsachen - eine Verbindung mit dem Problem der homerischen Frage: Ist die Odyssee das Werk zweier Dichter, die jeder eine der Fahrten beschrieben haben, oder hat ein Dichter zwei Quellen mit-einander kontaminiert?

Die Arbeit zeigt, daß der Verfasser es versteht, mit Texten zu arbeiten und mit Scharfsinn seine Schlüsse zu ziehen. Die Zitate sind korrekt belegt, leider fehlen im Literaturverzeichnis häufig Erscheinungsort und -jahr der Publikationen. Auch hätte man sich eine Kartenskizze zur besseren Übersichtlichkeit gewünscht.

Sehr gut - (13 Punkte)

Berlin, den 20.8.1976[Unterschrift Dieter Schellenberger]
(Oberstudienrat)

 

 

ANMERKUNGEN ZUM TEXT

 

[1]   Wolfhard Schlosser und Jan Cierny : Sterne und Steine. Eine praktische Astronomie der Vorzeit, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1997, Seite 150-151   » [1]
[2]   Homer, Odyssee, Gesang, Vers(e)   » [2]
[3]   Gerade in Bezug auf das Hethiterreich hat sich der Forschungsstand in den letzten dreißig Jahren erheblich verändert. Siehe hierzu das 2002 zur Hethiter-Ausstellung herausgekommene Standardwerk Die Hethiter und ihr Reich aus dem Konrad Theiss Verlag. Siehe hierzu auch meine Besprechung.   » [3]
[4]   Skylla ist im Original unterstrichen und mit folgender Anmerkung am Seitenrand versehen: s. Od. Gesang 12.   » [4]
[5]   Der ουρος πλησιστιος (11,7) wird ohne Begründung mit dem ανεμος ακρωης καλος (14,253) gleichgesetzt; ich halte den ersteren für einen stärkeren Wind und nehme eine Fahrtgeschwindigkeit von 4,75 Knoten an (Mittelwert zwischen dem ανεμος ακρωης καλος (14,253; 3,9 kn) und dem λιγυς ουρος (3,176; 5,6 kn)). Demnach wäre Aia vom Hades zwischen 88 und 212 Kilometern entfernt. Dies trifft für Farmakonesi zu. [Anmerkung im Originaltext zur Geschwindigkeitsangabe von 3,9 Knoten.]   » [5]
[6]    - übersetzt etwa: Die Quelle des (Poseidon) Enesidaon (=Ennosigaios) fließt in Amnissos. [Anmerkung im Originaltext zur Umschrift des Linear B-Textes.]   » [6]
[7]   So - falsch - im Original. Es muß natürlich "Laistrygonen" heißen.   » [7]
[8]   damals noch nicht die Bewohner Sardiniens, Siziliens und Etruriens   » [8]
[9]   hierauf beziehen sich alle Zitate im Text (Wolf ...)   » [9]

 

 

Diese Seite wurde zuletzt am 20. September 2009 aktualisiert.
Links auf andere Websites bedeuten keine Zustimmung zu den jeweiligen Inhalten, sondern sind rein informativer Natur.
©  Walter Kuhl 1976, 2001, 2009
Die Wiedergabe, auch auszugsweise, ist nur mit dem Einverständnis des Verfassers gestattet.
 Startseite Waltpolitik 
 Zum Seitenanfang 
 Email an Walter Kuhl