Tinderbox, 31. Folge

O Baby

Die Wahl der Qual, Teil 2

 

 

SENDEMANUSKRIPT

 
In der Sendung vom 16. September 2002 versprach ich vor der Bundestagswahl eine Wahl der Qual.
 
Sendung :
Tinderbox, 31. Folge
O Baby
Die Wahl der Qual, Teil 2
 
Redaktion und Moderation :
Walter Kuhl
 
gesendet auf :
Radio Darmstadt
 
Redaktion :
Alltag und Geschichte
 
gesendet am :
Montag, 16. September 2002, 17.00–18.00 Uhr
 
wiederholt am :
Dienstag, 17. September 2002, 00.00–01.00 Uhr
Dienstag, 17. September 2002, 08.00–09.00 Uhr
Dienstag, 17. September 2002, 14.00–15.00 Uhr
 
 
Playlist :
  • Siouxsie and the Banshees : B Side Ourselves
  • Schmetterlinge : Mächtelmöchtel
  • Siouxsie and the Banshees : O Baby
  • Siouxsie and the Banshees : Tearing Apart
  • Siouxsie and the Banshees : Stargazer
  • Siouxsie and the Banshees : Fall From Grace
  • Siouxsie and the Banshees : Not Forgotten
 
 
URL dieser Seite : https://www.waltpolitik.de/tinderbx/tinder31.htm
 
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 Die Wahl der Qual, Teil 1 
 

 

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 : Einleitung
Kapitel 2 : Mißverständnisse
Kapitel 3 : Verwerfungen
Kapitel 4 : Schluß
Anmerkungen zum Sendemanuskript

 
 
 

Einleitung

Jingle Alltag und Geschichte / Tinderbox

 

Tinderbox
Einunddreißigster Teil
O Baby
Die Wahl der Qual, Teil 2

 

Siouxsie and the Banshees : B Side Ourselves

 

B Side Ourselves von Siouxsie and the Banshees aus dem Jahr 1994.

Laß die Engel los, laß sie frei.
Hat man dir nicht alles auf einmal beigebracht?
Etwas ist nicht besser als Nichts.
Nun gehörst du dahin, wo wir schon sind.
Zum Erdrutsch im Geheimen neben der realen Welt.
Rohe Gefühle bringen uns neben uns selbst.
Instinkte führen uns durch diese neblige Welt.

Und während ich heute das vorläufig letzte Album von Siouxsie and the Banshees – The Rapture aus dem Jahr 1994 vorstelle, komme ich zu einem verwandten Thema, das uns noch bis zum kommenden Sonntag beschäftigen wird, nämlich der Wahl der Qual. Etwas ist nicht besser als Nichts – oder anders gesagt: das kleinere Übel ist auch ein Übel und bestimmt nicht besser als gar kein Übel.

Laßt mich daher mit einem schlechten Scherz beginnen, den sich unser Wunderdoktor Edmund Stoiber ausgedacht hat. Wunderdoktor – nun er hat ganz offensichtlich die Medizin für den Arbeitsmarkt gefunden. Im Januar dieses Jahres verkündete er noch, er werde im Falle seiner Wahl die Zahl der Arbeitslosen um 900.000 senken. Im Februar, bei der Vorstellung des CDU-Wahlprogramms, waren es nur noch 800.000. Konsequent fortgesetzt bedeutet dies, daß Edmund Stoiber im Oktober – im Falle seiner Wahl – die Zahl der Arbeitslosen nur noch um exakt 0 senken will. Und im November darf dann Lothar Späth aus seinem Kompetenzteam dran. Immerhin hat es der ehemalige Baden–Württembergische Ministerpräsident fertiggebracht, mit staatlichen Subventionen in Milliardenhöhe zigtausende Arbeitsplätze zu vernichten und damit die Arbeitslosenquote drastisch zu erhöhen. Und genau darin liegt die Funktion und die Qualifikation Lothar Späths in Edmund Stoibers Kompetenzteam. Abzocken, entlassen, schmieren und Arbeitslose quälen. Aber Medizin muß ja wohl bitter sein, um zu wirken. Lothar Späth hingegen wird sicher weich fallen. [1]

Die Wahl der Qual – selten war eine Bundestagswahl so quälend und alternativlos. Sollen wir wirklich unsere Kreuzchen abliefern und derartige Schnarchnasen, die sich und andere auf unsere Kosten bereichern, auch noch legitimieren? Ich sehe darin keinen Sinn. Am Mikrofon für die Redaktion Alltag und Geschichte auf Radio Darmstadt ist Walter Kuhl.

Doch hören wir uns zunächst an, woher unsere Demokratie stammt und wem sie dient. Mein geschichtlicher Rückblick führt uns zum Vorabend der Französischen Revolution.

 

Schmetterlinge : Mächtelmöchtel

Siouxsie and the Banshees : O Baby

 

Mißverständnisse

 

O Baby von Siouxsie and the Banshees.

Die Geschichte des Kreuzchenmachens ist eine Geschichte mehrerer Mißverständnisse. Es handelt sich nämlich um eine absolut formale Vorstellung von Demokratie, bei der die Willensbildung des Volkes, wie sie im Grundgesetz vorgesehen ist, auf ein oder zwei Kreuzchen alle vier Jahre reduziert wird. Diejenigen, die durch zwei Kreuzchen auf Parlamentssitze und Regierungsämter gehievt werden, vertreten ja nur formal die Interessen des Volkes, tatsächlich jedoch – wie wir vorhin gehört haben – die Interessen einer kleinen radikalen neoliberalen Minderheit.

Demokratie ist nicht, wenn welche Menschen auch immer mit Mehrheit irgendetwas beschließen. Theoretisch kann auch mit Mehrheit beschlossen werden, daß die Erde eine Scheibe ist, zumal die andere Wahrheit [2] ohnehin Geschäftsgrundlage dieses kapitalistisch–patriarchalen Gesellschaftssystems ist. Eine Untersuchung beispielsweise hat ergeben, daß 75% aller Männer als Partnerin am liebsten ein hübsches Dummchen haben. Allerdings ist der Sinn einer derart demokratischen Entscheidung – also, daß die Erde eine Scheibe ist – mehr als fragwürdig. Ganz offensichtlich fehlt hier etwas. Nämlich – wer etwas beschließt, muß auch die Verantwortung für die Durchführung und die Folgen der Beschlüsse tragen. Persönliche Haftung sozusagen. Nun wissen wir alle, daß die Damen und Herren Bundestagsabgeordneten ganz sicher nicht für das gerade stehen, was sie angerichtet haben. Auch hier sind die Grenzen der Demokratie deutlich. Aber man und frau sollte von zwei Kreuzchen auch nicht mehr als Papier für den Papierkorb erwarten.

Das zweite Mißverständnis bei Wahlen liegt darin, daß die Gewählten das tun, was wir wollen. Natürlich tun sie das nicht. Wir legitimieren allein, welche Nasen unser Land im Auftrag der herrschenden Klasse, als des Kapitals, regieren dürfen. Zu wessen Gunsten sie regieren, verraten uns nicht nur diverse schwarze Koffer, sondern auch Beraterverträge, Bonusmeilen oder handgeschneiderte Anzüge. Daraus erwächst gleich das dritte Mißverständnis, nämlich daß es eine Wahl gibt. Wählen dürfen wir nur aus dem, was uns zwei Werbekampagnen vorsetzen. Milka oder Milky Ways. Wir sind so gesehen Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer riesigen Werbeveranstaltung. Und das vierte Mißverständnis besagt, daß es immer noch besser sei, das kleinere Übel zu wählen. Nun ist eine Regierung Stoiber mit einem Juniorpartner aus der unsozialen Abzockerpartei sicher ein Übel – aber ob Rot-Grün auch nur einen Funken besser ist, möchte ich doch bezweifeln. Diese wunderbare Koalition hat ja so einiges auf den Weg gebracht.

O–Ton Kerstin Müller, Auszug aus ihrer Bundestagsrede 16. November 2001 zu grüner Moral :

Macht wird in einer Demokratie auf Zeit verliehen; die Moral ist unveränderbar. Wir GRÜNE beteiligen uns an diesem Regierungsbündnis, um eine Politik zu verwirklichen, die auf festen, unveränderlichen moralischen Überzeugungen begründet ist. Und die Koalition hat eine eindrucksvolle Bilanz vorzuweisen. Wir haben diese Republik verändert, meine Damen und Herren.

Ich finde Kerstin Müller immer wieder klasse, wie sie Scheiße als Gold anpreist.

Nehmen wir zum Beispiel das Zuwanderungsgesetz, das korrekterweise Gesetz zur kapitalismuskonformen Zuwanderung nützlicher Ausländer und zur Abschiebung unbrauchbarer Asylanten heißen sollte [3]. Hier zeigt sich die grüne Moral von ihrer besten Seite. Die Guten ins Kröpfchen, die Schlechten dorthin, wo der Markt brutalstmöglich zuschlägt. Aber nein, immerhin haben wir ja die Homo–Ehe. Na, Wahnsinn. Jetzt dürfen sich auch Homos Sklaven halten. Und während sich das Paarungsverhalten ganz normaler Heteros und Heten immer mehr von der Institution der Ehe ablöst, wird es jetzt als Fortschritt gefeiert, wenn Homosexuelle heiraten dürfen. Nein, aber ernsthaft: Neben dem Menschenrechtsbomber Fischer gibt es ja noch – Jürgen Trittin.

Thomas Ebermann und Rainer Trampert haben in ihrem politischen Kabarett Verpaßt Deutschland den Anschluß? das rot–grüne Rumgeeiere um die Abschaltung aller Atomanlagen treffend gewürdigt.

 

Auszug aus dem Programm Verpaßt Deutschland den Anschluß?, aufgenommen am 13. Dezember 2001 in Darmstadt

Siouxsie and the Banshees : Tearing Apart

 

Tearing Apart von Siouxsie and the Banshees.

Sie hören nun eine aktuelle Realsatire zu den Wahlen im Märchenland NN. Ähnlichkeiten mit existierenden Ländern, Wählern oder Ideologien sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Da wir in einem freien Land leben, in dem Wahlen nichts verändern, weswegen sie ja auch zugelassen und nicht verboten sind, und in einem Land, in dem die Meinungsfreiheit zumindest auf diesem nichtkommerziellen Lokalradio nicht nur die Meinungsfreiheit der Eigentümer der Publikationsmöglichkeiten ist, sind auch die folgenden Äußerungen erlaubt und ganz bestimmt staatstragend. Doch stellt sich mir die Frage: wie naiv darf man eigentlich noch sein? Tut mir leid – aber ich habe selten so gelacht. Aber das macht ja auch das Wesen einer guten Satire aus.

Es folgt ein Ausschnitt aus der Sendung NN vom 10. September 2002, gesendet auf Radio Darmstadt, Moderator: Aurel Jahn.

Schließlich ist jeder Mensch mehr oder weniger egoistisch. Fast schon eine triviale Erkenntnis. Schon das legt nahe, daß es nur zu fairen und gerechten Lösungen kommen kann, wenn jeder sein eigenes Interesse vertritt. Aber – es gibt noch einen weiteren Grund. Wahlen und Pressefreiheit sind das wirksamste Mittel gegen korrupte Politiker. Es klingt paradox – aber es sind die Skandale, die die Korruption beenden. Es ist Ihr Kreuz auf dem Stimmzettel, der Politiker dazu bringt, sich gegenseitig zu kontrollieren. Sie werden sich sicherlich an Politiker erinnern, die zum Rücktritt gezwungen wurden. Das Resultat: Weitere Korruption wird damit unmöglich. Ohne Wahlen ist das undenkbar. In der Konsequenz heißt das: Wenn es zuviele Leute gibt, die nicht wählen gehen, unterstützt das die Korruption in der Politik.

Sie können sowieso nichts ändern? Sie alleine nicht – und das ist auch gut so. Sonst wären Sie auch ein Tyrann. In der Gemeinschaft können Sie aber sehr wohl etwas ändern. Vielleicht bringen Sie den Einwand, daß Politiker sowieso nur das machen, was sie wollen. Mag sein. Aber Sie bestimmen, wer das tut. Und das hat in den letzten Jahren schon einiges verändert. Wahlen alle vier Jahre bedeutet auch, daß die Parteien alle vier Jahre nach Themen suchen müssen, mit denen sie die Wähler ansprechen können. Zugegeben – es dauert lange. Manchmal eine ganze Generation, bevor das, was diskutiert wird, die Welt verändert hat. Aber reden wir es nicht klein. Die Ostverträge und Deutschlands Währungsunion sowie die Wiedervereinigung, um nur zwei Beispiele zu nennen – das waren wahre Visionen, die in der Vergangenheit durch Wahlen und nur durch Wahlen möglich wurden. Auch wenn uns das Ergebnis heute selbstverständlich erscheint. Diesmal geht es vielleicht nicht um so dramatische Unterschiede bei den Wahlprogrammen. Dennoch sind sie groß genug, daß es sich lohnt, wählen zu gehen.

Unter Meinungsforschern ist bekannt, daß vor Wahlen der Anteil der Unentschlossenen bei der sogenannten Sonntagsfrage abnimmt. Zugleich stellen diese immer wieder erhebliche Verschiebungen fest. Das ist ein sicheres Zeichen dafür, daß unsere Bürger die Demokratie annehmen. Der Wahltag wird also offenbar zum Anlaß genommen, sich mit der Wahlentscheidung auseinanderzusetzen. Es ist ein gutes Zeichen, daß immer mehr Menschen ernsthaft überlegen, welcher Partei sie zutrauen, die Entscheidungen in ihrem Interesse zu fällen. Meinungsumfragen geben den Politikern regelmäß Rückmeldung über das, was den Bürgern wichtig ist. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Das kleinere Übel ist besser als das größere Übel. Manchmal ist es schon revolutionär, sich ungestraft für das kleinere Übel einsetzen zu können. Kennen Sie ein Land ohne allgemeines, freies, geheimes und gleiches Wahlrecht, in dem es den Menschen gut geht? Denken Sie in Ruhe darüber nach?

Vielleicht sind es ja doch die Wahlen, die die Welt verbessern. Auch wenn es oft nur sehr langsam geht. Ich jedenfalls gehe gerne wählen. Im Wahllokal gibt es immer wieder so eine angenehme Atmosphäre. Solche Wahllokale strahlen friedliche Ruhe, den Respekt vor der Meinung Anderer aus. Genießen Sie es, die Politik mitzugestalten, indem Sie Ihre Stimme bewußt vergeben. Am 22. September in Ihrem Wahllokal. Damit Sie sich nicht vier Jahre lang sagen müssen, es war mir egal, aber so wollte ich es auch nicht haben. Das war ein Beitrag von Aurel Jahn von Radio Darmstadt für alle nichtkommerziellen Lokalradios in Deutschland.

 

Siouxsie and the Banshees : Stargazer

 

Verwerfungen

 

O–Ton Gerhard Schröder am 25. August 2002 im 1. TV–Fernsehduell mit Edmund Stoiber zu den weltwirtschaftlichen Verwerfungen

Ich bin der letzte, der nicht enttäscht wäre darüber, daß es uns nicht gelungen ist, das Ziel, die Arbeitslosigkeit auf dreieinhalb Millionen zu reduzieren, zu erreichen. Aber das hat natürlich eindeutig – und jeder vernünftige Ökonom weiß das auch – Gründe, die in den weltwirtschaftlichen Verwerfungen liegen, und die nicht in erster Linie hausgemacht sind.

Nun – hätte Gerhard Schröder nicht auf seine Stichwortgeber gehört und das Wort weltwirtschaftliche Verwerfungen auswendig gelernt, sondern sich einmal an einer ernsthaften Analyse der Weltwirtschaft und der Weltkonjunktur versucht, dann würde er sicher nicht solch einen Unsinn erzählen.

Die Verwerfungen der Weltkonjunktur betreffen den globalen Kapitalismus; und der ist nicht irgendwo in der Ferne, sondern selbstverständlich auch in Deutschland zu Hause. Produziert, spekuliert, entlassen und dereguliert wird auch hierzulande – und das mit ziemlich gravierenden Folgen.

Der marxistische Ökonom und PDS-Bundestagsabgeordnete Winfried Wolf hat Mitte des Jahres in der Tageszeitung junge Welt die Frage gestellt: Droht eine Weltwirtschaftskrise? In einer sechsteiligen Artikelserie, die auch auf seiner Homepage herunterzuladen ist [4], geht er nicht nur dem anarchischen Charakter der kapitalistischen Produktion nach, sondern den derzeitigen ganz konkreten Spekulations–, Ausplünderungs–, Korruptions– und Betrugsfällen. Natürlich ist ihm klar, daß Betrug zum Geschäft gehört und Korruption kein Übel, sondern Schmiermittel ist. Deshalb warnt er bei einer Analyse vor theoretischen Kurzschlüssen, die zwischen "raffendem" und "schaffendem" Kapital zu unterscheiden suchen. Dennoch nimmt er die Flaute an den Börsen mit all ihren Krisentendenzen zum Indikator für den allgemeinen Zustand der kapitalistischen Weltwirtschaft. Insbesondere zeigt er, daß die neoliberale Offensive der 90er Jahre tiefe Spuren hinterlassen hat, die sich jetzt als Verwerfungen herausstellen.

Die Wirtschaftspolitik von Kohl und Schröder, von Thatcher und Blair, von Reagan, Bush sr., Clinton und Dubya – diese Wirtschaftspolitik führt zwangsläufig zum Crash. Jedoch nicht, weil sie falsch war, auch nicht, weil sie unsozial war, sondern weil die Krise systemnotwendig zum System von Ausbeutung und Profitmacherei gehört.

Die Verantwortlichen für diese Politik zu wählen, egal ob als größeres oder kleineres Übel, ist doch ziemlich ausgemachter Unsinn. Oder kann mir eine oder einer meiner Hörerinnen und Hörer erklären, warum wir ausgerechnet diejenigen wählen sollen, die die allgemeine Ausplünderung, Deregulierung, Liberalisierung oder Spekulation tatkräftig unterstützt und organisiert haben? Das kleinere Übel wählen – wie bescheuert darf man und frau auch in einer Demokratie denn sein?

Doch ich möchte einige Passagen aus dem 43–seitigen Papier von Winfried Wolf vorlesen, die ein wenig verdeutlichen sollen, wo die Verantwortlichen für Arbeitslosigkeit, Lehrstellenmangel, Börsenflaute oder Insolvenzen zu suchen sind.

Der entscheidende Grund für den Niedergang an den Börsen liegt zweifellos darin, daß die Aktienwerte im Rahmen einer langanhaltenden Spekulationsperiode sich immer mehr von der Basis, den realen Firmenwerten und den tatsächlichen Umsätzen und Gewinnen, entfernten. Denn letzten Endes spiegeln die Aktienkurse Erwartungen auf spätere Profite wider. Gelegentlich wird geäußert: Die Börsenbewegungen seien in Wirklichkeit unwichtig; es handele sich um Nullsummenspiele. Entscheidend ist allein die materielle Produktion. [D]ies ist ein Mythos, ein gefährlicher zumal. Tatsächlich sind Boom und Baisse an den Börsen von großer Bedeutung eben für die entscheidende materielle Produktion – und letztlich auch für Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Realeinkommen.

Die aktuelle Baisse hat drei massive negative Rückwirkungen auf die "reale Ökonomie". Erstens auf dem Gebiet der börsennotierten Unternehmen selbst: Sie senkt den Börsenwert dieser Firmen. Damit reduziert sich auch die Kreditwürdigkeit, deren entscheidender Maßstab seit langem die Börsenkapitalisierung ist. Da viele Konzerne und Banken hohe Verbindlichkeiten haben, erweisen sich nun viele als überschuldet und gegebenenfalls zahlungsunfähig. Die Pleitewelle wird beschleunigt. Gleichzeitig reduzieren die überlebenden Unternehmen ihre Investitionen, u.a. weil ihre Kreditlimits reduziert werden, was ebenfalls krisenverschärfend wirkt.

Zweitens auf dem Gebiet der Staaten: Die vorgesehenen Privatisierungen bringen weniger als erwartet. Die erforderlichen Stützungsmaßnahmen für vom Konkurs bedrohte Firmen weiten sich aus. Die bereits bedrohlich hohen Staatsschulden steigen weiter an. Die in Privatisierung befindlichen und noch halbstaatlichen Unternehmen (Telekom, Gelbe Post, Bahn AG) werden ihren Sanierungskurs beschleunigen, was den Abbau weiterer Zehntausender Arbeitsplätze bedeutet.

Drittens auf der Ebene der kaufkräftigen privaten Nachfrage: Je höher der Anteil des Einkommens aus Aktien am gesamten Einkommen und je höher der Aktienbesitz am gesamten privaten Vermögen ist, desto massiver wird die Baisse den privaten Verbrauch reduzieren. Laut Bundesbank haben die Bundesbürger zwischen Anfang 2000 und Mai 2002 bereits 160 Mrd. Euro ihres privaten Geldvermögens verloren. Das hat zumindest mittelfristig Rückwirkungen auf den Konsum und damit erneut eine massive negative Wirkung auf die materielle Produktion.

Hinzuzufügen ist, daß der Einbruch an den europäischen Börsen nicht so dramatisch war wie an den US–amerikanischen oder gar japanischen; d.h. es waren gerade nicht die weltwirtschaftlichen Verwerfungen, die hierzulande zur Rezession geführt haben. Und – die unsoziale Umverteilungspolitik von Kohl und Schröder hat gerade in einer Situation, wo der private Konsum stützend wirken könnte, dem Wirtschaftswachstum den Boden entzogen. Also doch – hausgemacht.

Und Stoiber, Späth und Westerwelle auf der einen wie auch Schröder, Müller und die grünen Wirtschaftsliberalen auf der anderen Seite wollen diesen Kurs – oder soll ich sagen: Konkurs – konsequent fortsetzen. Denn verdienen tun schon einige daran. Und auf die kommt es schließlich an. Nicht auf die Wählerinnen und Wähler. Das ist doch Kokolores.

Und wenn es um Arbeitsplätze geht: die einzig sicheren Arbeitsplätze der Zukunft liegen in der Rüstungsindustrie (also vor allem bei DaimlerChrysler). Wenn ums Töten geht, ist der Profit nicht weit. Und Wirtschaftskrisen schreien geradezu nach – Krieg!

Der vollständige Text zur kommenden Weltwirtschaftskrise ist auf der Homepage von Winfried Wolf zu finden: www.winfried–wolf.de. [5]

 

Siouxsie and the Banshees : Fall From Grace

 

Schluß

Jingle Alltag und Geschichte

 

Gibt es denn überhaupt etwas anderes als das kleinere Übel, bei dem mir auf jeden Fall kotzübel wird, egal, worin das kleinere Übel bestehen mag? Naja, die PDS ist es sicher nicht, denn die biedert sich ja geradezu als regierungsfähig an. Einmal an der Regierung, wird sie den Transformationsprozeß der GRÜNEN zur Kriegspartei im Zeitraffertempo durchführen.

Nein, das Nichtwählen muß verbunden werden mit Selbstorganisation. Die eigenen Interessen werden nicht im Parlament vertreten. Demokratie – Volksherrschaft – ist da, wo das Volk ist, nicht hinter verschlossenen Kabinettstüren oder Ausschußsitzungen. So bescheuerte Entscheidungen wie unsere Politikerinnen und Politiker kriegen wir doch allemal auf die Reihe. Und besseres als das Übel (vor allem das kleinere, das wir wählen sollen) gibt es allemal. Die Macht liegt immer noch auf der Straße. Und die Macht gehört allen, die hier leben. Vor allem auch Menschen mit nichtdeutschem Paß. Offene Grenzen in einer offenen Demokratie sind ja wohl das Mindeste, was einzufordern wäre. Und hier haben gerade die GRÜNEN versagt. Denn zu Selbstbestimmung und Emanzipation gehört Solidarität. Zur Demokratie vor allem die Macht, die Nasen, die man und frau wählt, erstens jederzeit absetzen zu können und zweitens mit dem Durchschnittslohn einer Zeitarbeitsfirma zu entlohnen. Stellt euch vor: Stoiber arbeitet für 5 Euro brutto – das wär's doch!

Soviel zur Wahl der Qual, heute mit freundlicher Unterstützung von Siouxsie and the Banshees. Am Mikrofon für die Redaktion Alltag und Geschichte auf Radio Darmstadt war Walter Kuhl.

 

Abschließend folgt ein weiterer Ausschnitt aus dem politischen Kabarett von Thomas Ebermann und Rainer Trampert – diesmal zu den peinlichen Dichtkünsten unserer Politiker. Schlußsatz: "Von solchen Leuten werden wir regiert."

Siouxsie and the Banshees : Not Forgotten

 

 

ANMERKUNGEN

 

[1]   Den Vogel schoß Edmund Stoiber direkt nach Schließung der Wahllokale ab, als er schon einmal verkündete, es sei Zeit, die Champagnergläser zu öffnen. Siehe hierzu auch meine spöttische Anmerkung zur Bildung für Ungebildete in meiner Sendung Green green grass of home am 30. September 2002.
[2]   Männer haben immer Recht.
[3]   Zum Umgang mit diesem Wunderwerk rot–grüner Migrationspolitik empfehle ich das Buch Das neue Ausländerrecht, herausgegeben von Dorothee Frings und Peter Knösel, 2005 erschienen im Fachhochschulverlag.
[4]   Leider wird sie seit Winfried Wolfs Ausscheiden aus dem Bundestag im September 2002 nicht weiter gepflegt. Schade eigentlich!
[5]   Siehe Anmerkung 4.

 

 

Diese Seite wurde zuletzt am 21. September 2009 aktualisiert.
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