Weihnachtsbücher

 

 

SENDEMANUSKRIPT

 
Sendung :
Offenes Haus
Weihnachtsbücher
 
Redaktion und Moderation :
Walter Kuhl
 
gesendet auf :
Radio Darmstadt
 
Redaktion :
Offenes Haus
 
gesendet am :
Dienstag, 23. Dezember 1997, 17.00-17.55 Uhr
 
wiederholt am :
Mittwoch, 24. Dezember 1997, 08.00-08.55 Uhr
Mittwoch, 24. Dezember 1997, 12.00-12.55 Uhr
 
 
Besprochene und benutzte Bücher :
  • Hermann Bürnheim und Jürgen Burmeister : Bahnen und Busse rund um den Langen Ludwig. Stadtverkehr in Darmstadt, Alba Verlag
  • Louis Mercier Vega : Reisende ohne Namen, Edition Nautilus
  • Christian Martin Schmidt : Reclams Musikführer Johannes Brahms, Reclam Verlag
  • Paco Ignacio Taibo II : Che, Edition Nautilus
  • Ivo Scanner : Die Hände des Che, Elefanten Press
  • Sor Juana Inés de la Cruz : »Es höre mich dein Auge«, Verlag Neue Kritik
  • Axel Esser und Martin Wolmerath : Mobbing, Bund-Verlag
  • Albert Sterr : Die Linke in Lateinamerika, Neuer ISP Verlag
  • Dario Fo : Zufälliger Tod eines Anarchisten, Rotbuch Verlag
  • Antje Windgassen : Kasturbai Gandhi, Eugen Salzer Verlag
 
 
Ich danke insbesondere Antje Trukenmüller für ihre Mitarbeit an dieser Sendung. Das leider nicht für diese Seite transkribierbare Hörspiel mit ihr war ein Genuß.
 
 
URL dieser Seite : https://www.waltpolitik.de/send199x/oh_weihn.htm
 
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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 : Einleitung
Kapitel 2 : Darmstädter ÖPNV
Kapitel 3 : Reisende ohne Namen
Kapitel 4 : Johannes Brahms
Kapitel 5 : Mythos Che Guevara (1)
Kapitel 6 : Mythos Che Guevara (2)
Kapitel 7 : Eine außergewöhnliche Frau
Kapitel 8 : Mobbing ist neoliberal
Kapitel 9 : Die Linke in Lateinamerika
Kapitel 10 : Absurdes Theater - aber politisch
Kapitel 11 : Mythos Mahatma Gandhi
Kapitel 12 : Schluß

 

Einleitung

WK: Weihnachten steht vor der Tür. Der Nikolaus hat uns die neuesten Arbeitslosenzahlen gebracht und Knecht Ruprecht war in der Bundeswehr-Führungsakademie und hat von Nichts nichts bemerkt und gewußt. Und das Christkind geht über den Markt und pfeift sich die neuesten Konsumartikel rein. Jaja, wir alle lieben unseren Bethlehem-Terror, nicht wahr? Was wären wir ohne ihn? Wir werden unseren Teil dazu beitragen. Von der Frankfurter Buchmesse haben wir einige Bücher mitgebracht. Quer durch den Gemüse- ... äh ... Büchergarten. Dazu in den nächsten 54 Minuten mehr. Am Mikrofon Walter Kuhl ...

AT: ... und Antje Trukenmüller.

 

Darmstädter ÖPNV

WK: Über den Stadtverkehr in Darmstadt ist in der überarbeiteten vierten Auflage das Buch Bahnen und Busse rund um den Langen Ludwig erschienen. Hermann Bürnheim und Jürgen Burmeister zeichnen darin die Entwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs in Darmstadt von 1886 bis heute nach. Die Autoren können mit vielen interessanten Details aufwarten; als Nichtdarmstädter habe ich das Buch mit Gewinn gelesen.

Nicht verschweigen möchte ich zwei Schwachpunkte. Wünschenswert wäre eine grafische Darstellung der Entwicklung des darmstädter Bahn- und Busnetzes gewesen; die Autoren bieten nur eine zwar erschöpfende, aber unübersichtliche Auflistung der Veränderungen im Laufe der Zeit an. Auch hätte ich mir eine Diskussion über die Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs in Darmstadt gewünscht; Hinweise auf die geplante Straßenbahn nach Kranichstein fehlen zum Beispiel völlig. Dafür entschädigen die vielen, zum Teil farbigen Fotos.

Das Buch Bahnen und Busse rund um den Langen Ludwig ist im Alba-Verlag erschienen und kostet 26 Mark.

 

Reisende ohne Namen

WK: Nach Ende des Spanischen Bürgerkrieges, am Ende des vergeblichen Versuchs, die verkrusteten und reaktionären Verhältnisse revolutionär zu verändern, ist auch eine kleine Gruppe von Anarchisten auf der Flucht. Louis Mercier Vega schildert in seinem Roman Reisende ohne Namen, wie Emigranten, Flüchtlinge und Deserteure aus verschiedenen Ländern aufeinandertreffen und sich wieder verlieren, immer auf der Suche nach einem revolutionären Neubeginn. Das Buch ist eine hommage an eine Zeit voller Freiheit und Abenteuer. Zwar geht es immer wieder aufs Neue, in Europa und Lateinamerika, um den Aufbau einer Arbeiterbewegung; doch vermittelt das Buch auch die Schwächen kleiner anarchistischer Zirkel. Als Anhang veröffentlicht der Autor des Buches seine persönlichen Erlebnisse aus dem Spanischen Bürgerkrieg im Jahr 1936.

Durch die Form des Romans werden die Menschen hinter den geschichtlichen Ereignissen sichtbar und vor unseren Augen lebendig. Allerdings wird auch deutlich, wie männerorientiert die gesamte Bewegung war. Auch die sich sonst so gern libertär gebenden Anarchisten machen hier keine Ausnahme. Insofern ist das Buch ehrlich. Es ist auch ehrlich hinsichtlich einer eindimensionalen selbstbezogenen anarchistischen Weltsicht. Aber die Anarchisten stehen hiermit nicht allein. Selbstbezogenheit ist bis heute ein Kennzeichen der Linken. Das gilt auch, vielleicht sogar insbesondere für die deutsche. Deswegen konnte sie - bis auf einen kurzen Moment des Aufbruchs in den 60ern - nie zu einer ernstzunehmenden politischen Kraft werden. Einer politischen Kraft, die auch hierzulande die Verhältnisse zum Tanzen bringen würde, was bitter notwendig ist.

Reisende ohne Namen von Louis Mercier Vega ist in der Edition Nautilus erschienen und kostet 29 Mark 80.

 

Johannes Brahms

WK: Das Leben und das Werk von Johannes Brahms stellt Christian Martin Schmidt in seinem bei Reclam erschienen Musikführer vor. Er leitet diesen mit einer biographischen Skizze ein, in der er ausführlich auf die Entwicklung des typisch Brahms'schen Stils eingeht. Brahms, der schon früh von Robert Schumann als herausragender Musiker herausgestellt wurde, benötigt dennoch Jahrzehnte, um diesen Stil zu entwickeln. Insbesondere der Prozeß der Abgrenzung von der Symphonieform, die seit Beethoven quasi Standard ist, wird hier deutlich.

Schmidt stellt ausführlich Brahms Orchsterwerke und Kammermusik vor, zudem Klavier-, Orgel- und Chorwerke. Eine Diskographie, die sich allerdings nur auf die derzeit lieferbaren Titel beschränkt, rundet den kleinen Musikführer ab. Und wenn mich meine Klavierlehrerin nicht vor vielen Jahren vergrault hätte, könnte ich auch noch genauer darauf eingehen, wie sich Schmidt mit den einzelnen Werken Brahms' beschäftigt. Mit dem Notenlesen habe ich's halt nicht.

Antje, du spielst doch neuerdings Brahms auf dem Klavier. Denkst du, eine Beschäftigung mit dem Herrn lohnt sich?

AT: Wenn man nicht da forte spielt, wo er's verlangt, sondern da, wo ich es will, ist er gut spielbar.

WK: Das Buch Johannes Brahms von Christian Martin Schmidt ist als Reclams Musikführer erschienen und kostet 44 Mark 80.

 

Mythos Che Guevara (1)

WK: 30 Jahre nach der Ermordung Che Guevaras in Bolivien sind mehrere Biographien erschienen. Eine davon stammt von dem heute in Mexiko lebenden spanischen Anarchisten Paco Ignacio Taibo. Minutiös zeichnet er das Leben Che Guevaras nach. Dessen erste Lateinamerikareise, sein Zusammentreffen mit Fidel Castro in Mexiko, die Überfahrt nach Kuba auf einem Schrottkahn und den Guerillakrieg gegen den von den USA unterstützten Diktator Batista.

Der Guerillakrieg endet, auch durch Ches kühne Aktionen, mit dem Sieg der Revolutionäre am Jahresanfang 1959. Aber der Krieg ist bie heute nicht vorbei. Die US-Regierung versuchte von Anfang an, die Revolution in Kuba zu ersticken. Mit einer militärischen Intervention 1961, Sabotageaktionen und einer bis heute andauernden Wirtschaftsblockade haben die USA versucht, Kuba in die Knie zu zwingen. Es ist ihnen nicht gelungen. Bei aller Kritik an den gegenwärtigen kubanischen Verhältnissen ist eines festzuhalten: von allen lateinamerikanischen Ländern ist es Kuba, das seinen Bewohnerinnen und Bewohnern immer noch den höchsten Lebensstandard bietet. Und das trotz Wirtschaftsblockade und trotz bürokratischem und in vielem ineffizientem Wirtschaftssystem. Woraus ersichtlich ist, wie zerstörerisch der Kapitalismus in den anderen Ländern des lateinamerikanischen Kontinents gewirkt hat.

Paco Ignacio Taibo schildert die Mühen der Revolutionäre, ein von den USA unabhängiges Wirtschaftsmodell aufzubauen. Che Guevara wird unversehens Leiter der Nationalbank, ohne Ahnung von konkreter Wirtschaft- und Finanzpolitik. So geht es vielen, denn die alten Leiter von Wirtschaftsunternehmen und Banken haben das Land verlassen. Wo kein Profit zu machen ist, verlassen die Ratten das Schiff. Aber Che Guevara wird mehr und mehr davon überzeugt, daß Kuba auf sich allein gestellt nicht überleben kann. Er reist nach Moskau und Peking; und er merkt langsam, daß die unkritische Übernahme der dortigen Wirtschaftsmodelle für Kuba ungeeignet ist und fatale Folgen nach sich ziehen kann. In Kuba greift er die entstehende Bürokratenschicht scharf an, aber er sieht, daß das Problem letztlich anders gelöst werden muß. Er fordert, zwei, drei, viele Vietnams zu schaffen, um den Imperialismus besiegen zu können. Denn dieser ist es, der Kubas Revolution nicht leben lassen will.

Sein erster Versuch, eine neue Front aufzubauen, scheitert im Kongo. Zu unterschiedlich ist die Mentalität der Afrikaner und der kubanischen Freiwilligen. Aber Che Guevara gibt nicht auf. Er versucht seine Theorie, einen kleinen Fokus aufzubauen, der sich zum Steppenbrand auswächst, ein zweites Mal in die Tat umzusetzen. Doch auch in Bolivien scheitert er. Er wird mit US-amerikanischer Militärhilfe aufgespürt und ermordet. Doch sein Mythos konnte nicht getötet werden.

Paco Ignacio Taibo zeigt aber auch einen Che Guevara, der unbarmherzig mit sich und seinen Mitkämpfern umgeht, der Übermenschliches verlangt. Der aber nie mehr von anderen verlangt als von sich selbst. Er kanzelt Genossen und Untergebene ab, nur weil sie seinen Vorstellungen eines Revolutionärs nicht entsprechen. Diese Härte ist alles andere als vorbildlich. Aber leider ist der Autor hier ähnlich unkritisch wie bei der Darstellung von Che Guevaras Verhältnis zu Frauen. Dabei ist dieser manchmal bloß ... ein Arschloch.

Die Biographie von Paco Ignacio Taibo ist in der Edition Nautilus erschienen und kostet 68 Mark. Bei der geradezu penibel genauen Darstellung des Befreiungskrieges auf Kuba hätte eine dataillierte Landkarte nicht geschadet. Leider bleibt die Leserin bzw. der Leser völlig im Dunkeln, wo sich die beschriebenen Ereignisse abgespielt haben.

 

Mythos Che Guevara (2)

WK: Die Hände des Che lautet der Titel eines Kriminalromans, bei dem es um die unversehens wieder aufgetauchten Hände von Ernesto Che Guevara geht. Im jugoslawischen Bürgerkrieg findet ein italienischer Söldner diese Hände, die Che Guevara nach dessen Ermordung 1967 abgehackt worden sein sollen. Tatsächlich wurde im Juli dieses Jahres der Leichnam Che Guevaras in Bolivien gefunden - ohne Hände. Aber auch andere sind hinter diesen Händen her. Und so reist der Söldner quer durch Europa und muß sich seiner Häscher erwehren. Eine ziemlich skurrile Geschichte mit überraschendem Ausgang. Die Hände des Che ist ein Kriminalroman von Ivo Scanner. Er ist bei Elefanten Press erschienen und kostet 17 Mark 90.

Und nun hören wir Che Guevara bei seinem Auftritt vor der UNO.

Che en la ONU

 

Eine außergewöhnliche Frau

AT: Juana Inés de la Cruz war eine ungewöhnliche Frau. Geboren 1649, stand sie vor der im damaligen Mexiko einzig möglichen Wahl für eine Frau aus der Oberschicht, nämlich Ehefrau oder Nonne zu werden. Ihr Drang nach wissenschaftlicher Erkenntnis ließ sie Nonne in einem Kloster werden, bei der sie nicht nur ihre wissenschaftlichen Studien betreiben konnte, sondern sich auch schriftstellerisch betätigte.

Ihre Schriften waren der Kirche und insbesondere dem Erzbischof von Mexico ein Dorn im Auge. Solange sie unter der Protektion des Vizekönigs von Mexiko stand, konnte sie ihres Lebens sicher sein. Als dieser jedoch starb, mußte sie eine Unterwerfungserklärung abgeben und ihre wissenschaftlichen Instrumente fortgeben. Geschrieben hat sie dann nichts mehr, bis sie 1695 an den Folgen einer Seuche starb.

WK: Ihr Leben ist eindrucksvoll in dem Film Ich, die unwürdigste von allen beschrieben. Ein Film, den zu sehen ich nur empfehlen kann.

Im Verlag Neue Kritik werden nun ihre Schriften in deutscher Übertragung neu aufgelegt. Es handelt sich hierbei um Gedichte, Theaterstücke und philosophische Texte. Ihre Gedichte befassen sich zum einen mit ihrem Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis und den Folgen, die dies für sie haben kann. So schreibt sie:

AT: Einem Schwerte gleicht das Denken,
Zwiefach steht's uns zu Gebote;
Dient zum Schutz es mit dem Griffe,
Droht die Klinge mit dem Tode.

Wissen ist ja nicht: zu wissen,
Scharfe Schlüsse zu verbinden;
Das ist nur die Kunst des Wissens,
Stets das Beste aufzufinden.

Nicht zu wissen, laßt uns lernen,
O Gedanke, denn wir sehen,
Was an Einsicht wir gewinnen,
Muß an Leben uns entgehen!

WK: Andere ihrer Gedichte sind Liebesgedichte, gerichtet an Frauen. Ein Grund mehr für die Männerwelt der Katholischen Kirche, Juana Inés de la Cruz zum Schweigen bringen zu wollen. Jedoch - sie versucht ihr Handeln und Schreiben zu rechtfertigen. Ihre Korrespondenz erstreckt sich über die Vizekönigreiche des amerikanischen Kontinents und das spanische Mutterland. Zum Teil verklausuliert als theologische Streitschrift, greift sie auch in die aktuelle Politik ein und legt sich mit dem Erzbischof von Mexico an. Ihr sogenannter Athenagorischer Brief harrt immer noch der Interpretation. Einen Ansatz dazu liefert Karin Schüller in dem besprochenen Buch.

AT: Einer dieser im Verlag Neue Kritik erschienen Bände von Sor Juana Inés de la Cruz heißt »Es höre mich dein Auge«. Interessanterweise wurden einzelne Gedichte schon im 19. Jahrhundert rezipiert und auch übersetzt. Diese Übersetzungen werden neben dem spanischen Originaltext abgedruckt. Der hier besprochene Band kostet 34 Mark.

 

Mobbing ist neoliberal

WK: Einmachen, das machen nicht nur große und kleine Chefs, wenn sie ihre Untergebenen loswerden wollen. Mobbing ist weiter verbreitet und ist eine Form des Konkurrenzkampfes. Aber dagegen kann frau oder man etwas unternehmen.

Einen Ratgeber für vom Mobbing Betroffene haben Axel Esser und Martin Wolmerath herausgegeben. Nach einer Definition, was unter Mobbing zu verstehen ist, diskutieren die Autoren Handlungsmöglichkeiten von Betroffenen. Insbesondere gehen sie auf die Möglichkeiten, aber auch die Schwierigkeiten betrieblicher Interessenvertretungen hierbei ein. Aber es geht dabei nicht nur um rechtliche Tips. Bevor die Situation eskaliert, können ja schon einige vorbeugende Schritte unternommen werden. Informationen und Aufklärung gehört genauso dazu wie etwa eine entsprechende Sprechstunde des Betriebsrats. Außerdem ist es sinnvoll, den Prozeß des Mobbings von Anfang an zu dokumentieren, um bei nachträglichen rechtlichen Problemen Aufzeichnungen und Zeuginnen als Beweismittel zur Verfügung zu haben.

Wie das alles im Einzelnen aussehen kann, beschreiben Axel Esser und Martin Wolmerath in ihrem Ratgeber Mobbing. Der Ratgeber für Betroffene und ihre Interessenvertretung. Das Buch ist im Bund-Verlag erschienen und kostet 24 Mark 90. Lieber darauf vorbereitet sein, als nachher gemobbt zu werden.

 

Die Linke in Lateinamerika

WK: Ein Buch über die kubanische Revolution habe ich bereits vorgestellt. Doch wie ist die Situation der in Lateinamerika gegen die Zumutungen von Internationalem Währungsfond und nationalen Oligarchien Kämpfenden heute?

Ein umfangreiches Buch über die Linke in Lateinamerika hat Albert Sterr herausgegeben und eingeleitet. Dieses überaus nützliche Buch trägt die Handschrift verschiedener Autorinnen und Autoren. Auch wenn der Titel einschränkt, es gehe um die Linke in Lateinamerika, so läßt sich in jedem dieser Artikel auch eine sinnvolle Einschätzung der politischen Lage in einzelnen Ländern herauslesen. Ausführlich wird auf Mexiko, Haiti, Guatemala, El Salvador, Nicaragua, Kolumbien, Venezuela, Peru und Brasilien eingangen. Die drei südlichsten Länder Südamerikas - Chile, Argentinien und Uruguay fehlen leider. Dabei haben gerade diese drei Länder eine sehr interessante politische Geschichte.

Nach den Länderübersichten nähern sich die Autorinnen und Autoren dem Thema von einer anderen Seite. Jeanette Habel schreibt über die Ethik im politischen Kampf am Beispiel Che Guevaras. Albert Sterr beginnt seinen Aufsatz über Guerillakampf und Befreiungsbewegungen in Lateinamerika mit dem Satz: Die derzeit bedeutendsten Guerillabewegungen Lateinamerikas könnten grundsätzlicher kaum sein. Zum einen die Zapatisten in Mexiko, die mit schwachen militärischen Kräften eine große politische Wirkung ausgeübt haben; zum anderen die Guerilla in Kolumbien, die große Teile des Landes kontrolliert, ohne dies in politischen Druck verwandeln zu können. Hier herrschen sehr traditionelle Vorstellungen von Guerilla und Macht vor, was sich in einer ziemlich machistischen und militarisierten Denkweise äußert.

Über das Verhältnis von Christentum und Befreiung - gerade in Lateinamerika - schreibt Michael Löwy. Aber auch die sozialen Bewegungen werden nicht vergessen. Es ist ohnehin interessant zu sehen, daß der Zusammenbruch der vermeintlich sozialistischen Staaten Osteuropas kaum eine Auswirkung auf die Bedeutung linker Kräfte in Lateinamerika gehabt hat. Dies gilt insbesondere für Brasilien, wo der Kandidat der Linken bei den letzten Präsidentschaftswahlen nur knapp geschlagen wurde.

Das von Albert Sterr herausgegebene Buch Die Linke in Lateinamerika ist im Neuen ISP Verlag erschienen und kostet 36 Mark. Für meine Themensendungen im Offenen Haus ist gerade dieses Buch ein Gewinn.

 

Absurdes Theater - aber politisch

AT: Italien, Anfang der 70er Jahre. Eine Zeit sozialer Unruhen. Die linke Szene gewann zunehmend an Bedeutung. Um dieser für sie unliebsamen Entwicklung ein Ende zu setzen, versuchten die Machthaber, die Linke zu kriminalisieren und somit auch die Arbeiterbewegungen zum Schweigen zu bringen. Faschistische Gruppen verübten Bombenanschläge, bei denen viele Menschen ums Leben kamen. In der Öffentlichkeit wurden Anarchisten für die Anschläge verantwortlich gemacht.

Es folgten zahlreiche Festnahmen. Nach einem dreitägigen Verhör stürzte ein Anarchist in Anwesenheit mehrerer Polizisten aus einem Fenster im 4. Stock des Mailänder Polizeipräsidiums. Sein mysteriöser Tod ließ wieder kritische Stimmen gegenüber den Regierungsorgangen laut werden.

Ein Jahr nach diesem Vorfall führte Dario Fo das Thaterstück Zufälliger Tod eines Anarchisten zum ersten Mal auf. Es geht darin um eben diesen Fenstersturz ...

Die Hauptfigur, ein Verrückter, der an Schauspielermanie leidet, sich also ständig als jemand anders ausgeben muß, treibt die Beamten des Mailänder Polizeipräsidiums zum Wahnsinn. Er gibt sich als Untersuchungsrichter aus, der die Umstände des Todessturzes des Anarchisten aufklären soll. Die anfangs autoritären Polizisten werden immer zahmer. Der Verrückte verhört den Polizeipräsidenten mit dessen eigenen Methoden, was dazu führt, daß dieser drauf und dran ist, selbst aus dem Fenster zu springen. Ein leichter Schubs hätte genügt.

Es folgt hörspielartiger Auszug aus dem Text

Dario Fos Zufälliger Tod eines Anarchisten ist zusammen mit dem Stück Einer für alle, alle für einen! Verzeihung, wer ist hier eigentlich der Boß? im Rotbuch-Verlag erschienen. Das Buch kostet 18 Mark 90.

WK: Einen kleinen Veranstaltungstip hätte ich da noch: Jörg Schuh führt am 26.12. [1997] im Theater HoffART in der Lauteschlägerstraße Dario Fos Stück Das erste Wunder vom Jesuskind auf. Der Beginn ist um 21 Uhr.

Nachdem wir beide ihn mit seiner Aufführung der Geschichte einer Tigerin gesehen haben, möchten wir hierfür eine Empfehlung aussprechen. Oder was wollt ihr sonst die Feiertage über machen? Euch mit euren Geschenken bewerfen? Euch die blöden Filme in SAT.1 und RTL reinziehen? Na also.

 

Mythos Mahatma Gandhi

WK: Wenn von Mahatma Gandhi die Rede ist, wird wie selbstverständlich die Frau an seiner Seite nicht erwähnt. Antje Windgassen hat diesem Mangel in ihrem Buch Kasturbai Gandhi. Eine Mutter für Indien versucht abzuhelfen. So ganz ist es ihr nicht gelungen.

Kasturbai Gandhi wird 1869 im Nordwesten Indiens geboren und wird früh mit Mohandas, dem späteren Mahatma verheiratet. Zunächst lebt sie im Haus ihrer Schwiegereltern als unwichtigste aller Frauen, bis sie einen Sohn zur Welt bringt. Mohandas studiert derweil in London Jura, kann aber als Rechtsanwalt in Indien nicht Fuß fassen. Er geht nach Südafrika. Die ganze Zeit muß Kasturbai ihren Status als unwichtige Frau in einer verarmenden Großfamilie ertragen. Doch Mohandas macht in Südafrika Karriere. Er setzt sich für die Rechte der Inder im britisch kolonialisierten Südafrika ein und holt seine Frau zu sich. In fremder Umgebung wandelt Mohandas seine Einstellung zu indischen Sitten und Gebräuchen und zwingt seine Frau, ihm darin zu folgen. Nach zwei Jahrzehnten in Südafrika kehren sie in das ihnen fremd gewordene Indien zurück.

Mohandas ist ein berühmter Mann geworden, der den Briten in Südafrika mehr Rechte für die dort lebende indische Bevölkerung abgetrotzt hat. Und er wird sich im Laufe der Zeit bewußt, daß Briten und Inder nicht im gleichen Land zusammenleben können. Mit friedlichen Streiks, Demonstrationen, begrenzten Regelverletzungen und Hungerstreiks bringt er das Land hinter sich und die Briten letztlich dazu, Indien die Unabhängigkeit zu gewähren. Mahatma - übersetzt "die große Seele" - Gandhi ist in Antje Windgassens Biographie allgegenwärtig. An seinem Mythos kratzt sie nicht. Daß er in Südafrika die britischen Kolonisatoren gegen aufständische Zulus unterstützte, bleibt unerwähnt.

Aber auch Kasturbai Gandhi beginnt, sich von den althergebrachten Sitten zu emanzipieren. Leider scheint es so gewesen zu sein, daß erst ihr Mann sie dazu bringen mußte. Aber je öfter ihr Mann im Knast saß oder politisch unterwegs war, desto selbstverständlicher und selbstbewußter greift sie in die Politik ein. Sie setzt sich insbesondere für die Armen und Frauen ein und wird so eine Mutter für Indien. Kasturbai Gandhi stirbt - völlig überarbeitet und immer für ihres Mannes Projekt aufgehend - 1944. Auch wenn sie für Inderinnen und Inder eine Art Heldin geworden ist, war sie jedoch immer wieder aufs Neue gefangen im Widerspruch zwischen Althergebrachtem und dem Kampf für Freiheit und Emanzipation. Mohandas und sie haben sich immer wieder für die Unberührbaren eingesetzt, aber daß ihr Sohn eine Frau aus einer anderen Kaste heiraten wollte, war für beide lange undenkbar.

Diese Widersprüche ziehen sich durch beider Leben und auch durch das Buch. Leider läßt Antje Windgassen sie unbewertet stehen. Die Leserin und der Leser muß halt selbst darauf stoßen, was umso schwieriger ist, als die Autorin den Mythos weiterstrickt. Aber das tut sie wenigstens auf eine angenehme Art. Das Buch ist Beispiel für gut lesbare politische Prosa.

Das Buch von Antje Windgassen Kasturbai Gandhi. Eine Mutter für Indien ist im Eugen Salzer Verlag erschienen und kostet 38 Mark.

Vielleicht noch ein Wort gegen die Legendenbildung. Das Buch endet 1944. Drei Jahre später war Indien unabhängig und zerfiel in einem mörderischen Krieg zwischen Hindus und Moslems in Indien und Pakistan. Aber diese Unabhängigkeit war nicht Gandhis Verdienst. Nach Ende des 2. Weltkriegs wollten die Briten die Unabhängigkeit nicht gewähren. Massenstreiks brachen aus, es gab riesige Demonstrationen und - bewaffnete Aufstände und Guerillakrieg gegen die britischen Besatzungstruppen. Indische Matrosen hißten dann 1946 die rote Fahne in Bombay mit der Losung Lang lebe die Revolution. Die Arbeiter der Stadt traten in einen Generalstreik. Und indische Truppen weigerten sich, gegen die Matrosen und Arbeiter vorzugehen. Und als Soldaten und Polizisten auch in anderen wichtigen Städten meuterten, brach die britische Kolonialherrschaft zusammen. Das Empire übergab die Regierung sogenannten verantwortungsbewußten Kräften und das war eben Gandhis Congress-Partei. Es war aber nicht die Gewaltlosigkeit, die die Freiheit brachte, sondern die Kampfbereitschaft von Millionen Arbeitern und Bauern.

 

Schluß

WK: Wir verabschieden uns für dieses Jahr. Im nächsten haben wir so einiges vor.

AT: Wir widmen uns ausführlich den Phantomverbrechen, also der virtuellen Wirklichkeit von Politikern und Polizei.

WK: Apropos virtuell. Auch im neuen Jahr handele ich wieder mit Zitronen.

AT: Am Mikrofon waren Antje Trukenmüller ...

WK: ... und Walter Kuhl, der mal wieder das letzte Wort haben muß.

AT: Dieses Jahr nicht.

 

 

Diese Seite wurde zuletzt am 28. März 2005 aktualisiert.
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©  Walter Kuhl 1997, 2001, 2005
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