Beiträge für den Radiowecker

von Radio Darmstadt

– März 2005 –

 

Radiowecker–Redaktion von Radio Darmstadt
 
06.03.2005Eine indische Dynastie
13.03.2005Sprache und Schrift
20.03.2005Pariser Commune
27.03.2005Das Oster–Paradoxon
 
 
Seit November 1998 liefere ich auch kleinere redaktionelle Beiträge für den Radiowecker von Radio Darmstadt. Diese Beiträge fasse ich monatsweise zusammen und stelle sie dann auf einer eigenen Seite ins Internet. Eine komplette Übersicht auf alle Beiträge seit 1998 gibt es auf meiner Radiowecker–Startseite. Zudem gibt es eine inhaltliche Übersicht auf alle Beiträge des Jahres 2005.
Meine Radiowecker–Startseite kann auch mit http://www.wkradiowecker.de.vu aufgerufen werden.
 
 
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Eine indische Dynastie
06.03.2005 *** Wdh. 08.03.2005 Nächster Beitrag

 
Anmoderation

Indien gilt – nach den üblichen Maßstäben – als größte Demokratie der Erde. Und doch wird Indien seit seiner Unabhängigkeit 1947 fast durchgehend von einer einzigen Familie regiert. Wie dies zusammenpaßt, davon handelt der folgende Beitrag von Walter Kuhl aus der Redaktion Alltag und Geschichte.

Beitrag Walter Kuhl

Indien ist ein Staat mit mehr als einer Milliarde Bewohnerinnen und Bewohnern. Formal betrachtet wird Indien demokratisch regiert. Es finden regelmäßig Wahlen statt und nicht immer gewinnt die Kongreßpartei. Und doch ist es diese Partei und insbesondere ein Familienclan, welche Indiens Politik beherrschen. Tariq Ali, 1943 im damaligen Britisch–Indien geboren, ist einer der fundiertesten Kenner der Politik des indischen Subkontinentes. Er behandelt in seinem vor kurzem bei Diederichs erschienenen Buch Die Nehrus und die Gandhis die Entstehung, den Werdegang und die Bedeutung dieser indischen Dynastie.

Der indische Weg zur Befreiung von kolonialer Unterdrückung war weitgehend gewaltfrei. Wir verbinden diesem Kampf mit dem Namen Mahatma Gandhis. Doch weniger bekannt ist, daß der Apostel der Friedfertigkeit ein sehr taktisches Verhältnis zum gewaltfreien Widerstand besaß. Während der zwei Jahrzehnte seines Aufenthaltes in Südafrika stellte er sich in den Dienst der britischen Unterdrückungspolitik gegenüber der schwarzen Mehrheit.

Gandhi verband Religiosität mit Toleranz, und eine Abscheu gegen die westliche Modernisierung mit politischer Raffinesse. Vor allem aber war er an stabilen gesellschaftlichen Verhältnissen interessiert und nicht daran, die Ursachen für Hunger und Armut grundsätzlich zu beseitigen. Denn dann hätte er sich auf die Seite der armen Bäuerinnen und Bauern und auf die Seite der Arbeiterinnen und Arbeiter stellen müssen. Genau dies tat er jedoch nicht. Er tadelte die herrschenden Klassen Indiens eigentlich nur dafür, mit den Briten zu paktieren und sich nicht zu indisieren.

Man und frau sah eigentlich nur aufgrund seiner Popularität und seiner politischen Fähigkeiten über seine Marotten hinweg. Die Dichterin und Politikerin Sarojini Naidu hatte für sein Heldenimage wenig übrig und verglich ihn deshalb öffentlich mit Mickey Mouse.

Gandhis Gegenspieler während des Befreiungskampfes war der Städter Nawaharlal Nehru. Wo Gandhi die Fäden zusammenhielt, trieb Nehru vorwärts. Seine ursprüngliche Radikalität wandelte sich jedoch später in Pragmatismus und in die Einsicht in die Notwendigkeit, die Interessen der herrschenden Klassen Indiens zu vertreten. Nehru wie Gandhi waren nämlich auch damit beschäftigt, das revolutionäre Schreckgespenst zu bannen. Und wo beide versuchten, mit den Briten einen Übergang zur Unabhängigkeit auszudealen, gingen die Massen auf dem Land und vor allem in den Städten weiter: Für sie war Unabhängigkeit mehr als nur eine Frage, wer das Land beherrscht. Für die Massen ging es um ihre Existenz.

Doch sowohl Nehru wie auch Gandhi konnten nicht verhindern, daß Britisch-Indien auseinanderfiel und daß sich Hindus und Moslems an die Gurgel gingen. Diese Saat hatten jedoch die Briten vorbereitet, als sie gezielt eine politische Moslembewegung gegen die hinduistischen Inderinnen und Inder aufbauten und förderten. Die Kolonialherren hatten weder ein Problem damit, religiösen Wahn zu ihrer Politik des Teilens und Herrschens zu nutzen, noch damit, Anfang der 40er Jahre Millionen Menschen in Bengalen verhungern zu lassen.

Dennoch ist es eine Ironie der Geschichte, daß Gandhi 1948 von einem fanatischen Hindu ermordet wurde. Nawaharlal Nehru regierte anschließend Indien bis zu seinem Tod 1964. Ihm folgte nach zwei Jahren seine Tochter Indira Gandhi, die nicht mit dem großen Mahatma verwandt oder verschwägert war. Die Zeiten waren jedoch andere geworden. Ging es zu Mahatmas Zeiten darum, den Bären zu erlegen, mußte Indira darauf achten, daß die Verteilung des Bärenfells das Land nicht auseinanderriß. Dabei griff sie verstärkt zu diktatorischen Methoden und paktierte mit den religiösen Eiferern zur Sicherung der Macht. Kein Zufall ist es deshalb, daß der Zauberlehrling Indira Gandhi von fundamentalistischen Sihks ermordet wurde.

Ihr älterer Sohn Rajiv wurde noch am Tag ihres Todes als Premierminister vereidigt – und damit war allen endgültig klar, daß Indien von einer politischen Dynastie regiert wurde. Rajiv wurde 1991 von einer Bombe getötet; fünf Jahre später gewannen Hindu–Fundamentalisten die Wahl. Doch die Familienehre wurde durch den Wahlsieg der Kongreßpartei unter Sonia Gandhi, der Witwe Rajivs, im Jahr 2004 wiederhergestellt. Ihre Tochter Priyanka und ihr Sohn Rahul sitzen schon in den Startlöchern.

Tariq Ali erklärt in seinem Buch Die Nehrus und die Gandhis die gesellschaftlichen und politischen Hintergründe für eine derartige Dynastie. Politik ist in Indien ein Geschäft; Korruption weit verbreitet. Ein Parlamentsmandat gilt als Eintrittstür in diverse lukrative Geschäfte. Die Kongreßpartei verwaltet das Land nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Hierbei geraten die Armen, die Bäuerinnen und die Arbeiter selbstverständlich unter die Räder – und doch sind es diese, welche die absolute Mehrheit des Wahlvolkes stellen. Dies erklärt so manche Kapriole der indischen Politik, aber auch, warum es der Kongreßpartei immer wieder gelingt, die Macht zu ihren Gunsten zu gestalten. Hierzu benötigt sie die Gandhis, die den Laden zusammenhalten.

Tariq Alis Buch über Eine indische Dynastie bringt uns den indischen Subkontinent auf eine analytisch klare und gleichzeitig gut lesbare Weise nahe. Wären dem Verlag nicht bei der Übertragung ins Deutsche einige kleine Ungenauigkeiten [auf Seite 275 sitzt Phoolan Devi noch im Knast, dabei ist sie 2001 ermordet worden; auch Kim Il Sung ist im Gegensastz zur Behauptung auf Seite 377 auch schon seit 1994 tot] passiert, wäre es als rundum gelungen zu bezeichnen. Die Nehrus und die Gandhis – so der Titel des Buches – ist im Diederichs Verlag herausgekommen und kostet 24 Euro 95.

Abmoderation

Ein Beitrag von Walter Kuhl für Radio Darmstadt. Demnächst nachzulesen im Internet unter www.wkradiowecker.de.vu.
 

Moderation : Katharina Mann (Sonntag), Simon Hülsbömer (Dienstag)
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Sprache und Schrift
13.03.2005 *** Wdh. 15.03.2005 Nächster Beitrag

 
Anmoderation

Menschen reden miteinander, auch wenn wir uns selten wirklich zuhören. Wir schreiben E–Mails, die oftmals ungelesen im elektronischen Papierkorb landen. Aber wie entwickelten sich Sprache und Schrift? Walter Kuhl aus der Redaktion Alltag und Geschichte stellt uns im folgenden Beitrag ein spannendes Buch zu dieser Thematik vor.

Beitrag Walter Kuhl

Als vor über einer Million Jahren die ersten Menschen in den Savannen Afrikas herumstreiften, verschwendeten sie keinen Gedanken daran, sich mit wohlartikulierten Lauten zu verständigen oder gar ihre Gedanken schriftlich niederzulegen. Wie kam es dann dazu? Der Kulturhistoriker Martin Kuckenburg hat hierzu ein Buch geschrieben und es trägt den passenden Titel: Wer sprach das erste Wort?

Nun – wer und wann das war, das läßt sich nicht mehr genau feststellen. Sicher ist jedoch, daß die Fähigkeit der sprachlichen Kommunikation älter ist als bislang angenommen. Das Problem ist, Belege für die Verwendung von Sprache zu finden. Es gibt jedoch Anhaltspunkte. Die menschliche Evolution läßt sich nämlich anhand der Verarbeitung von Steinwerkzeugen und kultureller Entwicklungen verfolgen. Bei der darin zu findenden Fähigkeit, komplexere Gegenstände herzustellen und zudem abstrakte Vorstellungen zu entwickeln, liegt ein Zusammenhang mit der Herausbildung sprachlicher Verständigungsmittel nahe.

Martin Kuckenburg verfolgt im ersten Teil seines Buches den Weg des Menschen zu seiner Sprache – oder genauer: zu seiner Sprachenvielfalt. Er arbeitet hierin auch den Unterschied zu einer tierischen Kommunikation heraus. Einzelne Tiere sind durchaus in der Lage, komplexe Zusammenhänge über Laute und Lautfolgen auszudrücken. Beim Menschen kommt jedoch etwas Neues hinzu: Seine Sprache ist ein offenes System. Durch beliebige Kombinationen von Lauten lassen sich nicht nur konkrete, sondern hochabstrakte Dinge ausdrücken. Zudem besitzt diese Sprache Regeln für die Verwendung des beliebig erweiterbaren Wortschatzes – Regeln, die vom Prinzip her für alle menschlichen Entwicklungsstufen und für alle Regionen der Erde gelten.

Die Sprache ist eine Erfindung der Altsteinzeit; die Schrift hingegen ist relativ jungen Ursprungs. Im zweiten Teil seines Buches betrachtet Martin Kuckenburg die Herausbildung der Schrift in Mesopotamien und Ägypten. Doch was hat zur Entwicklung der Schrift geführt? Nun – es waren ganz profane Dinge. Im 4. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung bildeten sich im Vorderen Orient größere Siedlungen heraus, die zum Teil Stadtcharakter besaßen und deren Herrscher eine zentralisierte Bürokratie benötigten. Die Schrift war das Werkzeug der Buchhalter. Denn zunächst wurden Schafe gezählt und die Abgabe von Getreide und Öl aufgezeichnet.

Die Schrift war von Anfang an ein Herrschaftsinstrument. Das Spannende daran ist, daß zumindest in Mesopotamien die Schrift einen Vorläufer hatte, der bis vor kurzem nicht beachtet worden war. An verschiedenen Ausgrabungsplätzen wunderten sich die Archäologen und Ausgräberinnen über Tonmarken und kleine Steinchen, die gehäuft auftraten. Aber sie sahen den darin verborgenen Sinn zunächst nicht. Mit diesen Steinchen und Tonmarken wurde nämlich die erste einfache Buchführung durchgeführt. Irgendwer muß dann auf die Idee verfallen sein, auf die Tonmarken zu verzichten und sie stattdessen auf Lehm zu ritzen, der getrocknet als Tontafel archiviert wurde. Diese Aufzeichungen waren für die Buchhaltung klar und verständlich.

Wir mögen uns heute über dieses System wundern, doch ähnliche Buchführungstechniken wurden noch im Britischen Empire verwendet. Daraus ergibt sich jedoch auch eine Erklärung für den komplizierten Charakter der Keilschrift und der Hieroglyphen. Denn erstaunlicherweise machten beide Systeme nicht den nächsten Schritt zu einer Alphabetschrift. Womöglich, so der Autor, war dies aber Absicht. Eine Schrift, die nur eine Elite erlernen konnte, war vorzüglich dazu geeignet, die Herrschaft von Pharaonen und Großkönigen festzuschreiben.

Diese Vermutung wird dadurch erhärtet, daß der Übergang zur Alphabetschrift dort vollzogen wurde, wo sie dringend benötigt wurde – in den Seestädten an der phönizischen und kanaanäischen Küste. Die Erfindung des Alphabets vereinfachte den Handel mit all seinen Verträgen, Aufzeichnungen und Geschäftsbriefen; und die Küstenstädte des östlichen Mittelmeerraums waren die Handelsstädte schlechthin. Von dort gelangte das Alphabet nach Griechenland und trat später seinen Siegeszug über den größten Teil der Erde an.

Dennoch dürfen wir nicht übersehen, daß die Demokratisierung der Schriftbeherrschung die Zahl der wirklich Lesefähigen nicht übermäßig erweiterte. Bis zur Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert dürfte die Zahl der Schreibkundigen kaum 10% der Gesamtbevölkerung überschritten haben. Und dies traf genauso im phönizischen Byblos zu wie im klassischen Athen, im republikanischen Rom wie im christlichen Mittelalter. Lange Zeit blieb die Schrift nur Eingeweihten zugänglich. Lesen zu können war so gesehen immer auch eine Klassenfrage.

Martin Kuckenburg stellt diesen Zusammenhang in seinem Buch Wer sprach das erste Wort? kompetent und gut lesbar dar. Er bezieht sich nicht nur auf den neuesten Forschungsstand, sondern zeigt zudem die Problematik manch einfach erscheinender Erklärungen auf. Sein Buch ist im Theiss Verlag erschienen und kostet 29 Euro 90.

Abmoderation

Ein Beitrag von Walter Kuhl für Radio Darmstadt. Demnächst nachzulesen im Internet unter www.wkradiowecker.de.vu.
 

Moderation : Katharina Mann (Sonntag), Norbert Büchner (Dienstag)
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Pariser Commune
20.03.2005 Nächster Beitrag

 
Anmoderation

Im März 1871 ergriffen die Bürgerinnen und Bürger von Paris die Macht. Sie wählten ihr eigenes gesetzgebendes und vollziehendes Organ. Ihr Beispiel war so gefährlich, daß es blutig zusammengeschossen werden mußte. Walter Kuhl aus der Redaktion Alltag und Geschichte entführt uns in diese Vergangenheit und stellt gleichzeitig den Bezug zum heutigen Wahltag her.

Beitrag Walter Kuhl

Vor 135 Jahren, im Sommer 1870, versuchte der französische Kaiser Napoleon III., mit einem Feldzug quer durch Deutschland Preußen daran zu hindern, die Einigung Deutschlands zu vollziehen. Doch ehe die französischen Truppen deutschen Boden berühren konnten, sahen sie sich einer modernen schlagkräftigen Armee Preußens und seiner Verbündeten gegenüber. In der Schlacht von Sedan verlor Frankreich sein Heer, und nur einen Tag später wurde in Paris die Republik verkündet. Diese Republik hatte jedoch ein Problem: nämlich das Volk von Paris unter Waffen. Karl Marx analysierte damals scharfsichtig: "Aber Paris in Waffen, das war die Revolution in Waffen." [Der Bürgerkrieg in Frankreich, 1871, in: MEW, Band 17, Seite 319]

Schon schnell drängte das französische Bürgertum die preußische Armee, Paris nicht nur zu belagern, sondern auch zu besetzen und damit dem Spuk ein Ende zu bereiten. Aber Bismarck beschloß klugerweise, diese Drecksarbeit durch das besiegte französische Heer erledigen zu lassen. Doch einer entsprechenden Kapitulationsaufforderung kam das Volk von Paris nicht nach. Die am 18. März 1871 nach Paris eindringenden Truppen des franzöischen Bürgertums wurden zurückgeschlagen und statt dessen die Commune ausgerufen. Das Volk von Paris war nicht bereit, als Schuldner die Kosten des französischen Eroberungskrieges zu tragen.

Einen Tag später beschloß das Zentralkomitee der Nationalgarde von Paris für den 26. März Wahlen zum Rat der Commune. Es beschloß weiterhin, daß alle Abgeordneten ihren Wählern gegenüber verantwortlich sind und deshalb jederzeit abgewählt werden können; und es beschloß, daß alle Abgeordneten mit dem durchschnittlichen Arbeiterlohn bezahlt werden. Ansonsten betrachtete sich die Commune als Vertretung der sozialen Interessen der Mehrheit des Volkes. Das war für das französische Bürgertum zuviel.

Die österreichische Gruppe Schmetterlinge schrieb in den 70er Jahren ihre Proletenpassion – eine musikalische Zeitreise durch die Geschichte des Widerstandes gegen feudale und kapitalistische Zumutungen. Wir hören im Folgenden zunächst den Wahlaufruf der Kommune, gefolgt von einer kurzen Vorstellung der Ziele und Vorstellungen der Kommunarden.

Schmetterlinge : Wahlaufruf der Kommune

Vergeßt nicht, daß diejenigen Menschen euch am besten dienen werden, die ihr aus eurer eigenen Mitte wählen werdet, die das gleiche Leben wie ihr führen, un die gleichen Leiden ertragen, wie ihr …
Hütet euch vor Leuten, die zuviel reden, vermeidet vom Schicksal Begünstigte, denn selten nur will derjenige, der ein Vermögen besitzt, im Arbeitenden seinen Bruder sehen.
Wählt eher diejenigen, die sich um eure Stimme nicht bewerben. Der wahre Verdienst ist bescheiden, und es idt die Sache der Wähler, ihre Kandidaten zu kennen, und nicht der Kandidaten, sich erst vorzustellen.

Schmetterlinge : Was ist die Kommune?

Was ist die Kommune?
Ein Volk, das nun das Sagen hat,
eine neue Qualität von Staat,
das ist die Kommune:
Zum erstenmal in dieser Zeit
herrscht das Volk in Wirklichkeit.
Was ist die Kommune?
Lehrer, Richter, Kommandant,
vom Volk gewählt, vom Volk ernannt,
das ist die Kommune:
vom Volk auch wieder angewählt,
wer das Versprechen ihm nicht hält.
Was ist die Kommune?
Den Arbeitern gehört ihre Fabrik
und was sie herstellt, Stück für Stück,
das ist die Kommune:
Ihren Bewohnern, das rufen wir aus,
gehören die Stadt, und jedes Haus.
Das ist die Kommune.
Und daß im ganzen Sitzungssaal
kein Advokat, kein General,
kein Fabrikant, kein Journalist,
kein Mitglied der herrschenden Klasse ist.
An ihrer Stelle beraten hier
ein Schneider, ein Bäcker, ein Grenadier,
Buchbinder, Schuster und Koch.
Sie kennen sich nicht und wissen doch,
was sie wollen, und wofür, und für wen.
Auch das ist die Kommune.

Fortsetzung Walter Kuhl

Mit wohlwollender Neutralität der preußischen Belagerer fielen die Truppen des Bürgertums nach mehrmonatiger Belagerung im Mai 1871 in Paris ein. Sie ermordeten innerhalb weniger Tage etwa 30.000 Pariser Arbeiterinnen und Arbeiter, machten rund 40.000 Gefangene und deportierten von diesen etwa 8.000 Menschen in ihre überseeischen Gefangenenlager. Nichts könnte den Geist der Pariser Commune jedoch besser charakterisieren, als daß sie inmitten der preußischen Umzingelung den Deutschen Leon Frankl zum Arbeitsminister wählten. Eugene Pottier, ein Mitglied des Rates der Commune, schrieb im Juni 1871 in seinem Versteck in Paris ein Lied, das diese Haltung wiedergibt – die Internationale.

Und wen wählen wir heute? Zwei Kandidaten, die sich erst vorstellen müssen. Zwei Kandidaten, die nicht so leben wie wir und die uns zumuten, für die Schulden und Wünsche der herrschenden Klasse aufzukommen. Zwei Kandidaten, welche allzeit bereit sind, deren wirtschaftliche und politische Interessen umzusetzen. Es ist also eine Wahl, bei der wir nichts zu wählen und schon gar nichts zu melden haben.

Abmoderation

Ein Beitrag von Walter Kuhl für Radio Darmstadt. Demnächst nachzulesen im Internet unter www.wkradiowecker.de.vu.
 

Moderation : Katharina Mann (Sonntag)
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Das Oster–Paradoxon
27.03.2005 *** Wdh. 29.03.2005 Nächster Beitrag

 
Anmoderation

Ist Ostern noch zeitgemäß? Walter Kuhl aus der Redaktion Alltag und Geschichte betrachtet im folgenden Beitrag den Anachronismus eines Osterfestes im Zeitalter neoliberaler Demontage.

Beitrag Walter Kuhl

Wenn es nach den Vorstellungen der Arbeitgeber und ihrer Politikerinnen und Politiker gehen würde, dann müßte nach der strengen Logik neoliberaler Deregulierung auch das Osterfest ins Wasser fallen. Feiertage sind einfach nicht mehr zeitgemäß; der Arbeiter und die Teilzeithelferin haben gefälligst rund um die Uhr an jedem Tag des Jahres auf der Matte zu stehen. Wo kämen wir auch dahin, uns einmal frei zu nehmen, gar Luft zu holen und an etwas anderes zu denken als daran, wie wir freundlich lächelnd den Profit unserer Sklavenhalter mehren können? Und wenn wir schon nicht arbeiten, dann haben wir gefälligst auch an den verkaufsoffenen Sonntagen nur an den schönen Schein der bunten Warenwelt zu glauben und entsprechend zu handeln, wie am 20. März, dem Wahlsonntag. Es ist sicher kein Zufall, daß der verkaufsoffene Sonntag so kurz vor Ostern gelegt worden ist.

Doch unlogisch, wie die Sonntagsanbeter der Konsumtempel nun einmal sind, verwöhnen sie uns mit unschöner Regelmäßigkeit mit verbalen Angriffen auf Feier– und Urlaubstage. Würden wir mehr arbeiten, so ihre Logik, käme das der Wirtschaft und letztendlich auch neuen Arbeitsplätzen zugute. Richtig an dieser Argumentation ist, daß längere Arbeitszeiten zu einer besseren Auslastung vorhandenen Kapitals führen und daher geschäftsfördernd sind. Wie allerdings neue Arbeitsplätze entstehen sollen, wenn durch Mehrarbeit bestehende Arbeitsplätze wegrationalisiert werden, können uns wahrscheinlich nur die Theologen von der Wirtschaftsfakultät erklären.

Nun gibt es wirklich keinen Grund, krampfhaft an bestimmten Feiertagen festzuhalten. Ostern oder Weihnachten sind keine heiligen Kühe. Diese Feiertage entstammen demselben christlichen Dunstkreis wie unsere Wirtschaftsordnung. Doch hierbei ist nicht zu übersehen, dass Feiertage genauso anachronistisch sind wie irrationale Motive in einer rationalen Welt. Andererseits gibt es keine Wirtschaftsordnung, die so irrational und menschenverachtend ist wie der Kapitalismus – und da stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang mit rational nicht nachzuvollziehenden Glaubensvorstellungen schon. Sei's drum. Wer Ostern feiern will, soll es tun, aber nicht ausgerechnet den lieben Herrgott zur Verteidigung der Feiertage zitieren. Der kümmert sich ja auch an den anderen Tagen nicht unbedingt um unser Wohlergehen.

Am vergangenen Mittwoch lagen die Zahlen wieder einmal auf dem Tisch. Der Krankenstand in Deutschland bewegte sich im vergangenen Jahr auf einem Rekordtief. Doch nicht etwa die Angst um den immer unsicherer werdenden Arbeitsplatz sei der wahre Grund dafür, dass wir im Durchschnitt nur noch an 13 Tagen im Jahr nicht arbeitsfähig gewesen sind. Nein – es ist ganz einfach: wenn immer mehr Firmen ihre älteren Beschäftigten rauswerfen, dann sinkt der Krankenstand. Weil: es seien ja gerade die im Laufe ihres Arbeitslebens Verschlissenen, die vermehrt krank werden würden. Zudem, so behauptet es zumindest der Kölner Gesundheitsökonom Karl Lauterbach, würden immer mehr Betriebe gezielt Vorsorge für die Gesundheit ihrer Beschäftigten betreiben.

Das mag so sein. Aber noch weitaus mehr Betriebe huldigen dem Prinzip des hire and fire und setzen ihre Beschäftigten psychisch so unter Druck, daß sie einfach krank werden müssen. Hinzu kommt eine permanente Überforderung, die durch den Abbau von Arbeitsplätzen und die Umverteilung der hiermit verbundenen Arbeit nicht geringer wird. Wenn ausgerechnet der unterlegene OB–Kandidat Wolfgang Gehrke dieses Umverteilungsprinzip in die Diskussion wirft, um städtische Kosten zu senken, dann liegt er natürlich im Trend. Aber solche Art verdichtete und verlängerte Arbeit macht erwiesenermaßen krank. Das Paradox bleibt jedoch zu erklären: warum wir mehr unter Druck gesetzt werden und damit auch krank werden, aber gleichzeitig die Fehlzeiten wegen Krankheit abnehmen.

So ist es natürlich richtig, Arbeitszeiten zu verkürzen und mehr Feiertage zum Luftholen zu fordern. Aber es widerspräche einem Geschäftsprinzip, das nichts dabei findet, auch über Leichen zu gehen. Der auf uns ausgeübte Druck ist ja keine üble Laune fehlgeleiteter schwarzer Schafe auf einer grünen Aue marktwirtschaftlicher Frömmigkeit. Druck, Krankheit und Arbeit sind einfach nur die andere Seite der Medaille von Geld, Leistung und Profit.

Abmoderation

Ein Beitrag von Walter Kuhl für Radio Darmstadt. Demnächst nachzulesen im Internet unter www.wkradiowecker.de.vu.
 

Moderation : Katharina Mann (Sonntag), Norbert Büchner (Dienstag)
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Diese Seite wurde zuletzt am 21. September 2009 aktualisiert.
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