Beiträge für den Radiowecker

von Radio Darmstadt

– Juni 2002 –

 

Radiowecker–Redaktion von Radio Darmstadt
 
02.06.2002Römische Wasserleitungen
03.06.2002Surfen am Arbeitsplatz
16.06.2002Emotionale Vampire
17.06.2002Handbuch Gesundheit
23.06.2002Chefs verklagen
30.06.2002Coca Cola in Kolumbien
 
 
Seit November 1998 liefere ich auch kleinere redaktionelle Beiträge für den Radiowecker von Radio Darmstadt. Diese Beiträge fasse ich monatsweise zusammen und stelle sie dann auf einer eigenen Seite ins Internet. Eine komplette Übersicht auf alle Beiträge seit 1998 gibt es auf meiner Radiowecker–Startseite. Zudem gibt es eine inhaltliche Übersicht auf alle Beiträge des Jahres 2002.
Meine Radiowecker–Startseite kann auch mit http://www.wkradiowecker.de.vu aufgerufen werden.
 
 
URL dieser Seite : https://www.waltpolitik.de/rawe/rw_jun02.htm
 
NAVIGATION
 Startseite 
 Neu auf der Homepage 
 Stichwortsuche 
 Orientierung verloren? 
 Abstract in English 
 
RADIOWECKER
 Startseite  
 Beiträge 2002 
 
SENDUNGEN
 Geschichte 
 Kapital – Verbrechen 
 Specials 
 Tinderbox 
 Nächste Sendung 
 
SERVICE
 Besprochene Bücher 
 Sendemanuskripte 
 Veröffentlichungen 
 Bisheriges Feedback 
 Email an Walter Kuhl 
 Rechtlicher Hinweis 
 
LINKS
 Radio Darmstadt (RadaR) 
 Alltag und Geschichte 
 Radiowecker – Redaktion 
 

 


Römische Wasserleitungen
02.06.2002 *** Wdh. 04.06.2002 Nächster Beitrag

 
Anmoderation

Die städtischen Kulturen der Frühgeschichte waren in ihrer Entwicklung abhängig von der ausreichenden Zufuhr von Wasser. Doch wie kam das Wasser in die Städte? Hierzu mehr im folgenden Beitrag von Walter Kuhl aus der Redaktion Alltag und Geschichte.

Beitrag Walter Kuhl

Schon in der Antike war die Wasserversorgung der Stadtanlagen ein Problem. Nicht jede Stadt lag an einem Fluß oder besaß Brunnen oder Quellen. Und nicht erst die Römer machten sich hierüber so ausschweifend Gedanken, daß sie kilometerlange Wasserleitungssysteme für Quellwasser aus den Bergen erbauen ließen.

Die Ausgrabungen in der Hauptstadt des Hethiterreiches – Chattusa – zeigen, daß schon im 2. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung ausgeklügelte Wasserbevorratungstechniken zum Einsatz kamen. Bislang entdeckten die Archäologen und Ausgräberinnen mehrere Brunnen, die auf ein Fassungsvermögen für etwa 28 Millionen Liter Quellwasser schließen lassen. Damit ließ sich eine Bevölkerung von 20.000 Menschen relativ problemlos ein Jahr lang versorgen.

Verschwenderischer waren hierbei die Römer. Womit die Hethiterinnen und Hethiter ein Jahr lang auskamen, das verwendeten bzw. verschwendeten die römischen Bewohnerinnen und Bewohner Kölns an einem einzigen Tag. Grundlage hierfür war eine Wasserleitung aus der Eifel, deren archäologische Reste man und frau auch heute noch erkennen kann.

Allerdings wurde nur ein geringer Teil der durch die Wasserleitung zur Verfügung stehenden Kapazitäten auch zur Versorgung der Kölner Bevölkerung genutzt. Große Mengen des Tag und Nacht unreguliert fließenden Wassers liefen aus öffentlichen Brunnen und Speichern direkt in die Abwasserkanäle und Straßen der Stadt. Diese reinigende Wirkung einer ständigen Durchspülung war sicherlich ein erwünschter Nebeneffekt.

Die römische Architektur ist bekannt für ihre ausgeklügelten Ingenieurleistungen. Wasserleitungen mit kaum feststellbarem Gefälle, riesige Aquädukte oder Brücken, und nicht zu vergessen die repräsentativen Bauten als Ausdruck römischer Macht und Herrlichkeit legen hiervon Zeugnis ab.

Die neueste Ausgabe der Zeitschrift Archäologie in Deutschland hat zum Thema Römische Ingenieurskunst einige eindrucksvolle Beispiele – wie etwa das Kolosseum in Rom – versammelt. Ein weiterer Aufsatz befaßt sich mit einem Königsgrab aus der Bronzezeit im heutigen Brandenburg. Zu den Funden der damaligen Kultur gehört auch eine Amphore mit kalendarischer Funktion. Erstaunlich sind hierbei die parallel verwendeten Mond– und Sonnenkalender, die sich auf den Buckeln der Amphore nachvollziehen lassen. Wie eine solche Jahreszählung aussah, erklärt ein spezieller Artikel. Daraus läßt sich der Schluß ableiten, daß mit derartigen Buckeln versehene Bronzefunde mehr als nur bloße Dekoration waren.

Weitere Aufsätze befassen sich mit der Unterwasserarchäologie und bronzezeitlichem Kupferbergbau. Kupfervorkommen sind an bestimmte geologische Formationen gebunden. Eine dieser reichen Kupfer– und Silberlagerstätten im Alpenraum lag in Nordtirol. Doch wie wurde das Kupfer gewonnen? Eine wichtige bronzezeitliche Vortriebstechnik war das Feuersetzen. Mit Feuer wurde das Gestein mürbe gemacht. Das Gestein platzte unter der Hitzeeinwirkung schalenartig ab. Derart gesprengte Gruben reichen bis 50 Meter tief in den Berg hinein. Ausgeklügelte Kaminsysteme halfen dabei, den beim Brand unvermeidlichen Rauch abziehen zu lassen. Das gewonnene Erz wurde mühsam zerkleinert und ausgewaschen, und anschließend verhüttet. Hierbei läßt sich durchaus von industrieller Produktion sprechen, denn die Verhüttung wurde planmäßig organisiert.

Mehr dazu in der Ausgabe Mai/Juni der Zeitschrift Archäologie in Deutschland aus dem Konrad Theiss Verlag. Das Heft kostet 9 Euro 95 und ist im gutsortierten Zeitschriftenhandel erhältlich.

Abmoderation

Ein Beitrag von Walter Kuhl für Radio Darmstadt.
 

Moderation : Katharina Mann (Sonntag), Holger Coutandin (Dienstag)
Zum Seitenanfang Vorheriger Beitrag

 


Surfen am Arbeitsplatz
03.06.2002 Nächster Beitrag

 
Anmoderation

Ist privates Surfen am Arbeitsplatz erlaubt oder verboten? Die Spielregeln zu kennen, bedeutet, den Job nicht zu gefährden. Ein Beitrag von Walter Kuhl aus der Redaktion Alltag und Geschichte.

Beitrag Walter Kuhl

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die an ihrem Arbeitsplatz einen Internetanschluß haben, nutzen ihn häufig auch zu privaten Zwecken. Ob erlaubt, geduldet oder verboten – wer gegen die Spielregeln verstößt, riskiert den Job. Aber wie gehen Unternehmen mit der privaten Nutzung um und warum?

Spätestens seit dem Moorhuhn– und dem Börsenfieber sorgt die private Nutzung des Internet in vielen Firmen für Unruhe. Eine einheitliche Regelung gibt es nicht. Vielmehr zeigt sich, daß die Frage Verbieten oder Erlauben eine Frage der Unternehmenskultur und des Betriebsklimas ist. Nach einer Umfrage der Zeitschrift Capital vom September 2001 verbieten die meisten von 250 befragten großen Unternehmen die private Nutzung.

Viele Arbeitgeber befürchten, daß ihre Untergebenen einen großen Teil der Arbeitszeit mit Privatvergnügen im weltweiten Netz verbringen. Gewichtiger ist vielleicht noch die Angst um die Datensicherheit. Eingeschleppte Viren, nicht lizenzierte Software und die Verbreitung strafrechtlich bedenklicher Inhalte können erheblichen Schaden anrichten. Dennoch gibt es gute Gründe, kein generelles Verbot auszusprechen.

Von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird heute Eigenverantwortung und der souveräne Umgang mit elektronischen Medien verlangt. Ein generelles Verbot würde auf der einen Seite das einschränken, was man auf der anderen Seite fordert. Zudem wird Streß um so bedrückender wahrgenommen, je mehr das selbstbestimmte Handeln am Arbeitsplatz eingeschränkt wird.

Gegen die Arbeitszeitkosten durch privates Surfen oder Mailen können als positive Auswirkungen bilanziert werden: steigende Kompetenz auf dem Gebiet der Informationstechnik, Aufrechterhaltung sozialer Kommunikation und ein besseres Betriebsklima.

Grundsätzlich ist für die private Nutzung des Internetzugangs das Einverständnis des Arbeitgebers notwendig. Denn Computer, Netzwerk und Internetzugang gehören dem Unternehmen und dürfen prinzipiell nur für die Arbeit eingesetzt werden. Duldet der Arbeitgeber wissentlich das private Surfen, können die Arbeitenden auch zu Recht davon ausgehen, daß es erlaubt ist.

Besser sind jedoch klar formulierte Vereinbarungen, die Mißverständnisse vermeiden. Zum Beispiel sollten zeitliche Einschränkungen – Surfen in den Pausen oder innerhalb eines bestimmten Zeitlimits – festgehalten werden. Hält sich dann eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer nicht an die Vereinbarungen, müssen sie mit Abmahnung oder einer Änderungskündigung rechnen.

Bei der Kontrolle privater Mails muß sich der Arbeitgeber an das Briefgeheimnis halten – egal, ob er grünes Licht für die private Nutzung gegeben hat oder nicht. Nur in Ausnahmenfällen, zum Beispiel bei der berechtigten Annahme, daß Viren eingeschleppt wurden, darf er den Inhalt kontrollieren. Eine pauschale oder vorbeugende Kontrolle zum Beispiel durch eine systematische Überwachung der Internet–Aktivitäten ist nicht zulässig. Allerdings darf ein Arbeitgeber den Zugriff auf bestimmte Webseiten durch Filtersoftware verhindern.

Zum Thema ist ein ausführlicher und empfehlenswerter Ratgeber im gewerkschaftlichen Bund–Verlag erschienen. In aktualisierter Auflage erläutert darin Wolfgang Däubler das Thema Internet und Arbeitsrecht.

Abmoderation

Ein Beitrag von Walter Kuhl für Radio Darmstadt.
 

Moderation : Dirk Beutel (Montag)
Zum Seitenanfang Vorheriger Beitrag

 


Emotionale Vampire
16.06.2002 *** Wdh. 18.06.2002 Nächster Beitrag

 
Anmoderation

Ausbeutung gehört zu den Grundlagen unserer Gesellschaft. Nicht nur in Fabriken, Büros oder Zeitarbeitsfirmen ist sie Standard. Gerade die zwischenmenschlichen Beziehungen eignen sich besonders dafür, andere Menschen physisch und psychisch auszubeuten. Walter Kuhl aus der Redaktion Alltag und Geschichte hat ein Buch über diese emotionalen Vampire gelesen.

Beitrag Walter Kuhl

Es muß nicht immer Dracula sein, der uns begegnet. Ganz normale Beziehungen mehr oder weniger ganz normaler Menschen sind geprägt von Interessen, Macht, der Suche nach Anerkennung und Geborgenheit. Menschen sind soziale Wesen. Das heißt aber nicht, daß sie sich deshalb auch sozial verhalten. Der US–amerikanische Psychologe Albert J. Bernstein hat ein ganzes Buch über die Spezies Mensch geschrieben, die sich emotional an uns ranmacht und auszusaugen versucht. Er nennt sie emotionale Vampire. Natürlich tut Bernstein das, was jeder gute Psychologe tun würde, dem was an seinem Job liegt: er macht sich keine grundsätzlichen Gedanken über das Funktionieren dieser Gesellschaft. Sie wird als gegeben und damit als unvollkommen, aber gut dargestellt.

Warum das wichtig ist? Jede Reduzierung menschlichen Handelns auf zwischenmenschlichen Austausch verkennt, daß Menschen nicht nur aus Bosheit oder Unreife gegen andere hetzen, Intrigen spinnen, sich an sie ranmachen oder sie benutzen. Das Sein bestimmt das Bewußtsein. Und eine kapitalistische Leistungsgesellschaft formt die Menschen, mit denen wir es konkret zu tun haben. Allerdings ist dies keine Entschuldigung oder Ausrede für mieses Verhalten. Ein wenig anders sieht es Bernstein:

Emotionale Vampire sind nicht von sich aus böse, doch ihre Unreife gestattet es ihnen, zu handeln, ohne darüber nachzudenken, ob ihr Handeln gut oder schlecht ist. Vampire sehen andere Menschen als potentielle Quellen für die Befriedigung ihrer Bedürfnisse, nicht als separate menschliche Wesen mit eigenständigen Bedürfnissen und Gefühlen. Statt selbst das Böse zu verkörpern, öffnet die verzerrte Wahrnehmung der Vampire eine Tür, durch die das Böse leicht Zugang hat. [Seite 24]

Vampire sind wie Kinder – sie wollen nicht erwachsen werden. Diese Vampire leben aber auch davon, daß diese Gesellschaft und ihre profitgeirigen Grundlagen sozusagen die Hefe bilden, auf denen sie gedeihen können. Insofern lebt auch der Psychologe Bernstein in einer Scheinwelt, wenn er schreibt:

Wenn normale Menschen erwachsen werden, erleben und schätzen sie in zunehmenden Maß ihre Ähnlichkeit mit anderen. Reife hat sehr viel mit Empathie zu tun. […] Gesellschaftliche Systeme beruhen auf Gegenseitigkeit in allen Dingen […]. Erwachsene entwickeln einen Sinn für Fairness und verwenden ihn als Maßstab, nach dem sie ihr Verhalten ausrichten. […] Soziale Wesen vertrauen darauf, daß diese Grundregeln von allen beherzigt werden. [Seite 22–23]

Ehrlich? Na ja, irgendwie schon. Es gibt diese im positiven Sinne naiven Menschen, die tatsächlich daran glauben, daß es etwas anderes geben muß als Unehrlichkeit, Nervensägen, Autofahrer oder Kapitalisten und Kriegsverbrecher. Aber es stimmt sicher nicht, daß diese sozialen Menschen der Normalfall sind. Sozialverhalten ist eine schwierige Sache. Sozialverhalten in einer grundlegend asozialen Welt zu erlernen, ist gar nicht so einfach.

Also gut: es gibt sie also, diese Vampire. Wie mit ihnen umgehen? Albert J. Bernstein hat ein ganzes Buch dazu geschrieben, wie wir mit Menschen fertig werden, die uns den letzten Nerv rauben. Einiges davon ist sicher brauchbar. Weder sollten wir uns verrückt machen lassen und schon gar nicht zulassen, daß andere unsere Grenzen überschreiten. Wenn er uns dann jedoch rät, Kritik nicht persönlich zu nehmen, dann ist das nett daher gesagt, denn meist ist Kritik genau dies: persönlich gemeint. Daß es auch andere Formen der Kritik geben kann, werden nur diejenigen erfahren, die das herrschende asoziale Wertesystem emanzipatorisch in Frage stellen können.

Viel heiße Luft also? Nicht ganz. Als Psychologe verrät uns Bernstein schon so einiges über unsere Mitmenschen, die unsere Stärken und Schwächen auszunutzen wissen. Und darüber etwas zu erfahren, kann dann auch dazu beitragen, daß wir uns nicht jeden Schuh anziehen, der uns hingestellt wird. Und zu dem Thema schlechthin, was die Welt bewegt, also der Liebe als systematischer Ausblendung der Realität, schreibt Bernstein sehr richtig:

Es gibt keinen Beweis für Zuneigung. Nur ein Vampir kommt auf die Idee, daß die Aufgabe [der] Eigenständigkeit [etwas] mit Liebe zu tun hat. [Seite 239]

Emotionale Vampire von Albert J. Bernstein ist im mvg–Verlag zum Preis von 19 Euro 90 erschienen.

Abmoderation

Ein Beitrag von Walter Kuhl für Radio Darmstadt.
 

Moderation : Katharina Mann (Sonntag), Holger Coutandin (Dienstag)
Zum Seitenanfang Vorheriger Beitrag

 


Handbuch Gesundheit
17.06.2002 Nächster Beitrag

 
Anmoderation

Gesund oder nicht gesund? Das MSD Manual Handbuch Gesundheit versammelt medizinisches Wissen und ärztlichen Rat für die ganze Familie. Walter Kuhl aus der Redaktion Alltag und Geschichte hat einen Blick hineingeworfen.

Beitrag Walter Kuhl

Manchmal sind Krankheiten nur ein Zeichen dafür, daß wir uns und erst die Gesellschaft und ihre Zumutungen uns überfordert haben. Manchmal werden Krankheiten diagnostiziert, die keine sind. Manchmal …

Auch Ärztinnen und Ärzte leben in dieser kapitalistischen Leistungsgesellschaft. Ihre Leistungen werden nach Kostengesichtspunkten abgerechnet; und in Krankenhäusern herrscht eine ganz besondere Form der Ausbeutung der Arbeitskraft vor, Bereitschaftsdienst genannt. Insofern hat unsere medizinische Versorgung Grenzen. Grenzen, die nicht sein müßten. Grenzen, die es nur in einer Gesellschaft geben kann, die selbst krank macht. Auto– und Fluglärm, Maschinen und voll aufgedrehte Kopfhörer machen krank. Trotzdem werden Autobahnen, Flughäfen, Fabriken und Diskos gebaut und betrieben. Geld ist, was zählt, nicht die Gesundheit der Menschen. Gesundheit ist ein Kostenfaktor. Und als solcher soll er – und das geschieht gerade in diesem Land – langfristig wieder auf den oder die Einzelne abgewälzt werden.

Aber nicht nur deswegen ist es wichtig zu wissen, was uns krank macht oder woran wir erkranken. Das Wissen darum, was mit uns geschieht, verhilft uns auch zu der Einsicht, wie wir selbst dazu beitragen können, wieder gesund zu leben. Nur – so wie das in dieser Gesellschaft läuft, heißt das: gesund zu werden für die nächste Runde im Hamsterrad.

Einen Überblick über so ziemlich alles, was uns krank macht oder machen kann, vermittelt das MSD Manual Handbuch Gesundheit. Ursprünglich als diagnostisches Nachschlagewerk für Ärztinnen und Ärzte geschrieben, wird es längst von medizinischen Laien genutzt. Und dementsprechend wurden Fachbegriffe zunehmend durch Sachverhalte in einer Sprache ersetzt, die auch ganz normale Menschen verstehen und nachvollziehen können. Insofern eine nützliche Angelegenheit.

Doch der Schwachpunkt liegt darin, daß die gesellschaftlichen Ursachen von Krankheiten kaum oder nur unzureichend thematisiert werden. Krank ist letzten Endes das, was unter Kosten– und Effizienzgesichtspunkten als krank definiert wird. Gesund ist das, was als normal gilt. Aber wer stellt die Norm des Normalen auf? Laßt mich kurz ein Beispiel nennen. Lernstörungen werden als Krankheit begriffen. Nun ist der Mensch in seiner langen Evolution ganz sicher nicht darauf eingerichtet worden, in schneller Abfolge Ereignisse verarbeiten zu können, durchaus widersprüchliche gesellschaftliche Normen erlernen zu können oder gar Zeichen als Buchstaben lesen zu können. Als Lernstörungen definiert das MSD Manual

die Unfähigkeit, spezifische Fähigkeiten oder Informationen aufgrund mangelhafter Aufmerksamkeits–, Gedächtnis– oder Gedankenleistungen zu erlangen, zu erhalten oder zu verallgemeinern. [Seite 1248]

Wir sprechen hier über Kinder, die durchaus als hochintelligent gelten, nur eben eine bestimmte Fähigkeit, die zur gesellschaftlichen Norm einer Leistungsgesellschaft zählt, nicht drauf haben. Ich gehe davon aus, daß hier eine Überforderung vorliegt. Menschen, erst recht Kinder, sind nicht dafür gemacht, eine hochkomplexe Welt eingetrichtert zu bekommen. Und wer hier versagt, ist entweder krank oder bedarf besonderer Förderung. Die Bedürfnisse dieser Kinder werden gar nicht erst befragt. Ich denke, sie sind vollkommen gesund. Aber diese Gesellschaft ist krank. Sie ist so wahnhaft krank, daß sie unsere zum Teil völlig absurden Normen als wahr und richtig begreift – und Kinder zu Legasthenikerinnen und Legasthenikern stempelt. Nun ist richtiges Lesen und Schreiben in dieser Gesellschaft in der Tat Voraussetzung sowohl für Erfolg wie auch für gute Ausbeutbarkeit. Davon handelt das Manual jedoch nicht. Das müssen wir beim Lesen also selbständig mitdenken.

Im übrigen ist der Hinweis des Herausgebers auf jeden Fall zu beherzigen:

Natürlich kann kein Buch die Fachkenntnis und den Rat eines medizinischen Praktikers ersetzen, der in ständigem, direktem Kontakt mit seinen Patienten steht. Das MSD Manual Handbuch Gesundheit will den Arzt durchaus nicht ersetzen, es versteht sich auch nicht als Anleitung zur Selbstmedikamentation. [Seite VI]

Der Sinn liegt vielmehr darin, mögliche oder tatsächliche Krankheiten und ihre Ursachen besser verstehen zu können. Das Handbuch Gesundheit ist als Taschenbuchausgabe im Mosaik Verlag zum Preis von 15 Euro erschienen.

Abmoderation

Ein Beitrag von Walter Kuhl für Radio Darmstadt. Demnächst nachzulesen im Internet unter www.wkradiowecker.de.vu.
 

Moderation : Dirk Beutel (Montag)
Zum Seitenanfang Vorheriger Beitrag

 


Chefs verklagen
23.06.2002 *** Wdh. 25.06.2002 Nächster Beitrag

 
Anmoderation

Die neoliberale Ausbeuterwelt hat eine herbe Niederlage erlitten. Chefs dürfen nach neuester Rechtsprechung angezeigt werden, ohne daß der Verlust des Arbeitsplatzes droht. Ein Beitrag von Walter Kuhl aus der Redaktion Alltag und Geschichte.

Beitrag Walter Kuhl

Ein Arbeitgeber kann von seinen Arbeiterinnen und Angestellten Rücksichtnahme und Verschwiegenheit verlangen. Wer gegen diese arbeitsvertraglichen Pflichten verstößt, mußte bislang mit der Kündigung rechnen. Das Bundesarbeitsgericht hatte hierzu im Jahr 1959 eine Leitentscheidung getroffen, als es die Kündigung eines Speditionsangestellten bestätigte. Der Angestellte hatte damals seinen Chef angezeigt, weil er zum wiederholte Male gegen Bestimmungen des Güterfernverkehrs verstoßen hatte.

Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser lange üblichen Rechtsprechung eine Wende eingeleitet. Darauf weist Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht, in der Mai–Ausgabe der Fachzeitschrift Arbeit und Recht aus der gewerkschaftlichen Bund Verlagsgruppe hin. In einem neuen Urteil hob es die Kündigung eines Ingenieurs auf, der während eines Ermittlungsverfahrens gegen seinen Arbeitgeber als Zeuge ausgesagt hatte.

Das Landesarbeitsgericht Hamm hatte zuvor die Kündigung mit der Begründung bestätigt, der Kläger habe nicht den Versuch unternommen, die Mißstände innerbetrieblich zu beseitigen. Das Bundesverfassungsgericht stellte dagegen fest, daß der Angestellte lediglich seine staatsbürgerliche Pflicht erfüllt hatte. Nach dem Rechtsstaatsprinzip, so die Richter, dürften daraus niemandem und keiner zivilrechtliche Nachteile entstehen, seien es nun Kündigungen oder andere Sanktionsmaßnahmen.

Eine Entlassung ist demnach auch dann nicht rechtmäßig, wenn sich die in der Anzeige gestellte Behauptung zwar als falsch oder als nicht aufklärbar erweist, der Arbeitnehmer aber in gutem Glauben gehandelt hat. Der Arbeitgeber darf allenfalls dann kündigen, wenn die Anzeige wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben enthält. Auch Beschäftigte, die eine Beschwerde einreichen oder um eine Untersuchung bestimmter Umstände im Betrieb bitten, genießen einen besonderen Schutz.

Allerdings stellt sich bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage die Frage: Wer wird schon offensiv gegen Mißstände im Betrieb vorgehen? Gerade die anfangs angesprochene Speditionsbranche ist ein Musterbeispiel für eine auf dem Rücken der Fahrer ausgetragene Rücksichtslosigkeit. Lenkzeiten werden regelmäßig überschritten; und auch mit der Fahrtüchtigkeit und der Beladung der Fahrzeuge nimmt man es nicht so genau. Die darmstädter Polizei (und nicht nur die) wird bei ihren in dieser Hinsicht viel zu seltenen Kontrollen erschreckend oft fündig.

Dennoch ist ein solches Urteil wichtig. Selbst wenn der Verlust des Arbeitsplatzes trotz höchstrichterlichen Kündigungsschutzes eintritt, so gibt es beim Arbeitsamt wenigstens keine Sperrzeit. Ein schwacher Trost, gewiß. Aber solange der Mißstand namens Kapitalismus besteht, gibt es keinen besseren.

Zum Schluß sei noch einmal die Fundstelle für dieses wichtige Urteil des Bundesverfassungsgerichts genannt, nämlich die Mai–Ausgabe der Fachzeitschrift Arbeit und Recht.

Abmoderation

Ein Beitrag von Walter Kuhl für Radio Darmstadt.
 

Moderation : Katharina Mann (Sonntag), Holger Coutandin (Dienstag)
Zum Seitenanfang Vorheriger Beitrag

 


Coca Cola in Kolumbien
30.06.2002 *** Wdh. 02.07.2002 Nächster Beitrag

 
Anmoderation

Ob Speisen oder Getränke – wir wissen selten, was wirklich darin enthalten ist. Über die zuweilen tödlichen Folgen der Brauseproduktion berichtet uns Walter Kuhl aus der Redaktion Alltag und Geschichte im folgenden Beitrag.

Beitrag Walter Kuhl

Aufklärung über gesundheitsschädliche Stoffe und geschmacksechte Chemie ist selten zu bekommen. Selbst die angeblich besonders ökologische Bioproduktion hat sich als üble kapitalistische Masche herausgestellt, Stichwort: Nitrofen. Doch warum sollen sich grün–alternativ ökologisch–nachhaltig wirtschaftende Agrarbetriebe anders verhalten als der Rest der Welt? Schließlich ziehen ja auch olivgrüne Menschenrechtssoldaten für die bekannten deutschen Interessen in den Krieg.

Doch nicht nur chemische Kampfstoffe bereichern unsere Mahlzeiten. Auch ganz ordinäres Blut ist in dem einen oder anderen Lebensmittel enthalten. Das Symbol der US–Imperialismus schlechthin ist Coca Cola, eine Brause, deren Ursprünge im Drogensumpf des 19. Jahrhunderts verborgen sind. Selbst heute noch benutzt die Coca Cola Company Coca–Blätter in ihrer sogenannten Formel 7X, wofür sie jedes Jahr mehr als 500 Tonnen Coca–Blätter aus Peru und Bolivien importiert. Der Siegeszug dieses Getränks war begleitet von den üblichen Auswirkungen einer kapitalistischen Marktwirtschaft. Gerade in Drittweltstaaten waren und sind Gewerkschaften unerwünscht. Und vertreten diese gar allzusehr die Interessen der bei Coca Cola–Beschäftigten, so kann es vorkommen, daß die üblichen Methoden der Einschüchterung, der Folter oder des politischen Mordes zum Einsatz kommen.

Die Kumpanei des Konzerns mit der Armee war nicht nur in Guatemala während der Militärdiktatur der 70er und 80er Jahre zu vermerken, sondern reicht bis heute in einem Land fort, das ohnehin durch Gewalt, durch staatliche Gewalt, geprägt ist – Kolumbien. Dabei ist es vollkommen unerheblich, ob Coca Cola die Morde selbst in Auftrag gegeben hat, oder ob es vom Vernichtungswillen des kolumbianischen Militärs profitiert. Seit mehreren Jahrzehnten führt Kolumbiens Oligarchie mittels des Militärs und paramilitärischer Banden einen klar definierten Krieg gegen alle, die soziale Rechte, Demokratie und Menschenrechte einfordern.

Und die USA ist wieder einmal fleißig dabei. Offiziell als Krieg gegen Drogenhändler deklariert, wird das kolumbianische Militär in allen Bereichen der Aufstandsbekämpfung und der schmutzigen Kriegsführung unterstützt und eingewiesen. Das Skurrile am angeblichen Antidrogenkrieg ist, daß der US–Geheimdienst CIA der wahrscheinlich größte Drogenhändler der USA ist.

Vor dem Hintergrund der Straflosigkeit all dieser Gewalttätigkeiten und der Notwendigkeit, daß diese geklärt und die Verantwortlichen verurteilt werden, erhob die kolumbianische Lebensmittelgewerkschaft SINALTRAINAL eine Strafklage gegen Coca Cola und reichte diese am Gericht des Süd–Distriktes von Florida in Miami ein. SINAILTRAINAL wird hier bei von der US–Gewerkschaft United Steel Workers und dem internationalen Fonds der Arbeiterrechte in den USA unterstützt. Um jedoch die angeprangerten kriminellen Handlungen eines der größten transnationalen Konzerne der Welt zu stoppen, reicht eine Klage nicht aus. Als Ergänzung zu dieser Aktion arbeitet SINALTRAINAL an der Realisierung eines öffentlichen Volktribunals, ein Ausdruck des Kampfes der kolumbianischen Bevölkerung zur Überwindung der zerstörerischen Wirkungen des Staatsterrorismus und der Politik der multinationalen Konzerne. Das Volkstribunal will Schutzmaßnahmen, Aufmerksamkeit, Begleitung und Solidarität für die Arbeiterinnen und Arbeiter, welche sich in SINALTRAINAL organisieren, und für die Opfer in der kolumbianischen Bevölkerung schaffen. Dazu sind große Anstrengungen notwendig, und angesichts der aktuellen schmutzigen Kriegssituation in Kolumbien erweist sich internationale Unterstützung als entscheidend. Dieses Volkstribunal wird weltweit in drei Sitzungen tagen, beginnend am 22. Juli am Hauptsitz von Coca Cola in Atlanta, Georgia.

Im übrigen ist dieses gefärbte Zuckerwasser, in Lateinamerika auch agua negro del imperialismo genannt, gerade in den Sommermonaten alles andere als ein sinnvoll erfrischendes Getränk. Dies gilt jedoch auch für das deutsche Gegenstück, nämlich für die eigene imperialistische Brause mit Reinheitsgebot.

Abmoderation

Ein Beitrag von Walter Kuhl für Radio Darmstadt.
 

  Zur Coca-Cola-Kampagne siehe auch: www.labournet.de/internationales/co/cocacola.  
Moderation : Katharina Mann (Sonntag), Holger Coutandin (Dienstag)
Zum Seitenanfang Vorheriger Beitrag

 

 

Diese Seite wurde zuletzt am 1. August 2005 aktualisiert.
Links auf andere Websites bedeuten keine Zustimmung zu den jeweiligen Inhalten, sondern sind rein informativer Natur.
©  Walter Kuhl 2002, 2005
Die Wiedergabe, auch auszugsweise, ist nur mit dem Einverständnis des Verfassers gestattet.
 Startseite  
 Zum Seitenanfang 
 Radiowecker Startseite  
 Email an Walter Kuhl