Kapital – Verbrechen

Raubzüge

 

 

SENDEMANUSKRIPT

 
Sendung :
Kapital – Verbrechen
Raubzüge
 
Redaktion und Moderation :
Walter Kuhl
 
gesendet auf :
Radio Darmstadt
 
Redaktion :
Alltag und Geschichte
 
gesendet am :
Montag, 13. Mai 2002, 17.00–18.00 Uhr
 
wiederholt am :
Dienstag, 14. Mai 2002, 00.00–01.00 Uhr
Dienstag, 14. Mai 2002, 08.00–09.00 Uhr
Dienstag, 14. Mai 2002, 14.00–15.00 Uhr
 
 
Besprochene und benutzte Bücher :
  • Jacques Pauwels : Der Mythos vom guten Krieg. Die USA und der 2. Weltkrieg, Papyrossa Verlag
  • Sherman W. Garnett, Alexander Rahr und Koji Watanabe : Der Kaspische Raum vor den Herausforderungen der Globalisierung. Die Verantwortung der Trilateralen Staaten für die Stabilität der Region. Ein Bericht an die Trilaterale Kommission, leske + budrich
 
 
Playlist :
  • Laibach : War
  • Jennifer Rush : Silent Killer
  • Darude : Sandstorm
 
 
URL dieser Seite : https://www.waltpolitik.de/kv/kv_raubz.htm
 
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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 : Wozu sind Kriege gut?
Kapitel 2 : Das Wesen des Zweiten Weltkriegs
Kapitel 3 : Kriegsmotive
Kapitel 4 : Trilaterale Raubzüge
Kapitel 5 : Schluß
Anmerkungen zum Sendemanuskript

 

Wozu sind Kriege gut?

Jingle Alltag und Geschichte
Sendungsankündigung auf Polnisch

Kuriose Meldungen vernebeln unsere Wahrnehmung des neuen deutschen Militarismus. Die Bundeswehr wird als chaotisch–inkompetente und schlecht ausgerüstete Truppe hingestellt, um den Umbau zu einer Söldnerarmee mitsamt High–Tech–Ausstattung zu beschleunigen. Scharpings Alleingang mit Transportfliegern, die nach dem jetzigen Stand der Dinge nicht benötigt würden, lassen erahnen, daß neue Einsätze in weiteren neu erschaffenen Krisenherden bevorstehen.

Die folgende Meldung jedenfalls verschleiert wieder einmal, daß die Bundeswehr längst auf Menschenjagd gegangen ist. Im neuesten SPIEGEL ist zu lesen: Unmut über ungewöhnliche Aufgaben regt sich bei den deutschen Heeresfliegern in Kabul. Seit Wochen müssen die Hubschrauberbesatzungen ihre Helikopter auf dem Flugplatz von Kabul rund um die Uhr selbst bewachen. Als Grund wird angegeben, daß die für Schutzaufgaben eingesetzten Fallschirmjäger überlastet sind und allenfalls zeitweilig aushelfen können. Zusätzliche Mannschaften könne die Bundeswehr jedoch nicht einfliegen, weil das Bundestagsmandat nur insgesamt 1200 Soldaten genehmigt habe. [1]

Das kann ich nur sagen: schlecht geplant, Herr Scharping. Derweil plagen die Bundesregierung ganz andere Probleme. Wieder sind die leidigen Menschenrechte im Weg. Auch hier vermeldet der SPIEGEL:

Die Bundesregierung läßt durch Rechtsexperten des Verteidigungs–, des Justiz– und des Außenministeriums die Rechtsgrundlage des KSK–Einsatzes in Afghanistan prüfen. Nach einem vorläufigen Gutachten sei die Teilnahme an der [Menschen–]Jagd auf Taliban und [Al] Qaida–Verdächtige von der UNO–Charta zwar gedeckt, aber die [US–]amerikanische Regierung müsse den Status der Gefangenen und deren Haftbedingungen klären. Die Juristen sind zu dem Schluß gekommen, daß ein "zeitlich unbegrenztes Festhalterecht ohne richterliche Überprüfung" mit "zwingenden internationalen menschenrechtlichen Mindeststandards unvereinbar" sei. Besondere Schwierigkeiten bereitet die Möglichkeit, daß den mit deutscher Hilfe Festgenommenen auch die Todesstrafe drohen könne. Das Gutachten vertritt die Auffassung, daß die Übergabe von Verdächtigen an die USA dann unzulässig sei, wenn "bereits von vornherein erkennbar" sei, daß ihnen dort die Todesstrafe drohe. [2]

Also – solche Menschenrechtsprobleme möchte ich einmal haben. Haben Fischer, Scharping, Schröder und Co. die gute alte US–amerikanische Menschenrechtsdoktrin vergessen, daß nur ein toter Afghane ein guter Afghane sei? Und dann macht ihr euch ernsthaft Probleme um die mögliche Todesstrafe für diejenigen, die eure Menschenjagd mit Thermobomben und Urangeschossen überlebt haben? Unglaublich! Aber so ist sie eben, die blaßrosarot–olivgrüne Menschenrechtsfraktion.

Bleibt nur noch die Frage zu klären: mit welchem Einsatzbefehl habt ihr die an den Hubschraubern vermißten Fallschirmjäger losgeschickt? Nun gut (oder in diesem Fall eher: nun schlecht!) – Deutschland führt Krieg. Damit gibt es ja gewisse historische Erfahrungen. Manchmal waren deutsche Soldaten auf der falschen Seite und haben verloren. Doch Schröder, Fischer, Scharping und Co. machen es diesmal besser. In einer Allianz gegen den Terror (und damit meinen sie nicht den Terror der Ökonomie, den sie mitgestalten) sind sie immer auf der Seite der Guten.

Doch gibt es überhaupt gute Kriege? Jacques Pauwels untersucht in einem Buch über den 2. Weltkrieg den nach Kriegsende gepflegten Mythos vom guten Krieg. Schon im 2. Weltkrieg war für manche Beobachterinnen und Beobachter nicht so genau zu unterscheiden, auf welcher Seite die Guten und auf welcher die Bösen waren.

Anders gesagt: schauen wir auf die Motive der kriegsführenden Mächte. Der Schutz der von der Vernichtung bedrohten Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, von Behinderten und sogenannten Untermenschen gehörte jedenfalls nicht dazu.

Und wenn wir schon bei guten Kriegen sind – dann sollten wir vielleicht auch einmal in die aktuellen Diskussionen der Reichen und Mächtigen dieser Erde hineinhören. Ein Bericht an das Zentralorgan der westlichen Welt, die Trilaterale Kommission, untersucht den Kaspischen Raum vor den Herausforderungen der Globalisierung. Debattiert wird darin die Verantwortung der Trilateralen Staaten für die Stabilität der Region. Was sich hinter diesem Wortgeklüngel verbirgt, dazu mehr im Verlauf dieser Sendung.

Es gibt nur eine Antwort aufdie Frage, wozu Kriege gut sind, aller Menschenrechtsrhetorik zum Trotz. Und Joschka Fischer, den die NATO–BündnisGRÜNEN als ihren Strahlemann für den Bundestagswahlkampf aufgebaut haben, weiß dies nur zu gut. 1994 sagte er aus aktuellem Anlaß: "Das ist mein großes Problem, wenn ich sehe, wie die Bundesregierung den Bundestag an der Nase, an der humanitären Nase, in den Bosnienkrieg führen will." [3]

Allerdings ist zu ergänzen, daß sich der Bundestag auch an der Nase herumführen lassen will. Das ist ja kein Haufen von Ahnungslosen. Und wenn es heute noch BündnisGRÜNE gibt, die an den Weihnachtsmann glauben, dann kann ich ihnen nur raten, erwachsen zu werden und die Realität zur Kenntnis zu nehmen. Doch wer lieber an den Weihnachtsmann glauben möchte, ohne zur Kenntnis zu nehmen, was Menschenrechte im Kapitalismus bedeuten, was Zivilgesellschaft bedeutet und was Frieden in einer wahnhaft gewalttätigen Profitgeierwelt bedeutet, die oder der zieht auch im Namen von Menschenrechten und der Zivilgesellschaft humanitär intervenierend in den Krieg, um eine ganz banale imperialistische Blutspur zu hinterlassen.

Das ist – in Abwandlung eines Begriffs aus der Friedensbewegung – Frieden mit olivgrünen Waffen zu schaffen. Nur verstecken sie sich dann immer noch feige hinter ihren Floskeln oder heucheln Gewissensbisse, anstatt dazu zu stehen und zu sagen: "Ja, wir sind die Guten. Und wir bestimmen, was gut für andere ist. Mit Waffen eben. Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt."

Und so liegt Fischers Bosnien zunächst im Kosovo und heute in Afghanistan; und morgen womöglich im zentralasiatischen Raum. Doch dazu komme ich noch zu sprechen. Für die Redaktion Alltag und Geschichte auf Radio Darmstadt begrüßt euch Walter Kuhl. Also jetzt: what is it good for?

Laibach : War

 

Das Wesen des Zweiten Weltkriegs

Der wohl bedeutendste marxistische Wirtschaftstheoretiker des 20. Jahrhunderts, Ernest Mandel, beschrieb den Charakter des 2. Weltkrieges als eine Verschränkung von fünf gleichzeitigen, zum Teil miteinander verbundenen Kriegen weltweit.

Erstens, so schrieb er in einem Aufsatz 1985, als sich Helmut Kohl und Ronald Reagan auf dem SS–Soldatenfriedhof in Bitburg die Hand gaben, war es ein Krieg zwischen den imperialistischen Mächten Deutschland, Italien und Japan auf der einen, USA, Großbritannien und Frankreich auf der anderen Seite.

Zweitens gab es den chinesischen Verteidigungskrieg gegen die japanische Aggression, also der Besetzung der Mandschurei und Teilen von Nordchina. Dieser Krieg begann schon Anfang der 30er Jahre und wurde als innerchinesischer Bürgerkrieg 1949 mit dem Sieg der Arbeiterinnen, Bauern und Kommunisten unter der Führung Mao Zedongs beendet. In diesem Bürgerkrieg stand Chiang Kaishek als Verbündeter der nächsten imperialistischen Macht, nämlich der USA, die schon ein begehrliches Auge auf China geworfen hatte, auf der Verliererseite.

Drittens war die Sowjetunion nicht Teil der innerimperialistischen Auseinandersetzung, sondern führte einen Verteidigungskrieg gegen die Nazi–Aggression. Stalins Problem war während des gesamten Zeitraums 1939 bis 1945, ob sich die Imperialisten beider Lager letztlich nicht doch zusammenraufen würden, um gemeinsam gegen die Sowjetunion vorzugehen. Auch um dies zu verhindern, verbündete sich Stalin zunächst 1939 mit Hitler und anschließend mit den westlichen Alliierten. Allerdings gab es selbst 1945 noch Planspiele einer westlichen Allianz mit den Nazis gegen die Sowjetunion. Daß Stalin so ganz nebenbei diesen Krieg benutzt hat, um die Grenzen der Sowjetunion nach Westen zu verschieben, ändert nichts daran, daß die Sowjetunion nicht der Aggressor, sondern das Opfer war.

Viertens, oftmals vergessen, gab es die nationalen antikolonialen Befreiungskriege in Asien und Afrika auch während dieser innerimperialistischen Auseinandersetzung. Für die Menschen des Südens war es relativ uninteressant, welche der Raubritterfraktionen die Oberhand gewinnen würde. Von keiner Seite war etwas Positives zu erwarten. Vietnam ist das beste Beispiel dafür. Hier gaben sich die Imperialisten beider Lager die Klinke in die Hand. Die Japaner vertrieben die Franzosen aus Indochina zu Beginn des 2. Weltkriegs, den die USA dann gegen Japan gewannen. Die Franzosen kehrten wieder zurück, um selbst 1954 in Dien Bien Phu von der vietnamesischen Armee vernichtend geschlagen zu werden. Und danach kam die US Army, um die Menschenrechte standesgemäß durchzusetzen. 1975 hatten mehr als drei Millionen Vietnamesinnen und Vietnamesen ihr Menschenrecht auf Leben verloren. Ein wichtiger Grund übrigens für Konrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Kohl, ihre Sympathien für die US–Regierung zu zeigen. So wie Willy Brandt die Freiheit des Westens in Berlin verteidigen wollte, zogen die USA für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte nach Vietnam. Mit den richtigen Vokabeln läßt sich jedes Verbrechen begründen.

Übrigens: deutsche Firmen haben an diesem Massenmord gut verdient. Etwa das Chemie– und Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim, das der US Army den Grundstoff für den chemischen Kampfstoff Agent Orange geliefert hat. Agent Orange wurde in Vietnam flächendeckend eingesetzt und führt noch heute zur Geburt mißgebildeter Kinder. Geschäftsführer dieses Unternehmens war ein gewisser Richard von Weizsäcker. Zur Belohnung für seinen tapferen Einsatz für Freiheit und Demokratie wurde er später zum Bundespräsidenten gewählt.

Aber antikoloniale Befreiungskriege gab es während des 2. Weltkrieges auch in Indien, auf den Philippinen, in Indonesien und Burma.

Der fünfte Krieg war ein besonderer, nämlich ein internationaler Klassenkrieg. Dazu Ernest Mandel:

Ich würde sagen, daß er im gesamten vom Nazi–Imperialismus besetzten Europa vonstatten ging, aber ganz besonders fand er in zwei Ländern statt, in Jugoslawien und Griechenland, weitgehend in Polen und in seinen ersten Stadien in Frankreich und Italien. Das war ein Befreiungskrieg der unterdrückten Arbeiter und Bauern und der städtischen Kleinbourgeoisie gegen die deutschen Nazi–Imperialisten und deren Handlanger. [4]

Wir ersehen daraus, daß der 2. Weltkrieg mehr war als ein Krieg gegen die Nazis und ihre Verbündeten. Daß im Anschluß daran eine ideologische Verklärung stattfand, wonach die Guten gegen das Reich des Bösen gesiegt hätten, ist logisch. Denn die Sieger bestimmen immer die Geschichtsschreibung. Dennoch ist es wichtig festzuhalten, daß die USA in den europäischen Teil dieses 2. Weltkriegs nicht eingegriffen haben, um die Menschenrechte wiederherzustellen. Krieg ist vor allem und zuerst eine ökonomische Frage. Und für die USA gab es in diesem Krieg viel zu gewinnen.

Doch bevor ich auf das Buch von Jacques Pauwels mit dem Titel Der Mythos vom guten Krieg zu sprechen komme, möchte ich zwei Vorbemerkungen machen. Erstens legitimieren die mit dem Eintritt in den damaligen Krieg verbundenen Absichten der US–Regierung keinesfalls die Kriegsführung und Kriegsziele der anderen Seite, also vor allem Nazideutschlands. Und zweitens ist es wichtig zu begreifen, warum und worum Kriege geführt werden, und warum und worum nicht. Die Tatsache, daß die Judenvernichtung den westlichen Alliierten bekannt war, ohne daß sie dies zum moralischen Antrieb ihrer Kriegsführung gemacht hätten, zeigt nur, daß Ernest Mandel mit seiner Einschätzung des 2. Weltkrieges als einer innerimperialistischen Auseinandersetzung nicht allzu falsch liegen kann.

 

Kriegsmotive

Jürgen Elsässer hat seinem Buch Kriegsverbrechen, das von den tödlichen Lügen der Bundesregierung und ihren Opfern im Kosovo-Konflikt handelt, ein Vorwort vorangestellt, das vom newspeak nicht nur der deutschen Menschenrechtsregierung handelt.

O–Ton : Jürgen Elsässer liest aus seinem im Konkret Literatur Verlag erschienenen Buch Kriegsverbrechen
Seite 7: "Im Jahr 2000 ..." bis Seite 8: "... Lügen sind akzeptiert."
und Seite 13: "Aber die Zeiten haben sich geändert. Wir schreiben jetzt 1984 und Ozeanien führt Krieg."

Um Interpretationen geht es auch im Buch von Jacques Pauwels. Er hat mit seinem im PapyRossa Verlag erschienenen Buch Der Mythos vom guten Krieg zwar keine neue Fakten zusammengetragen, sondern eine neue Interpretation des 2. Weltkriegs als einer innerimperialistischen Auseinandersetzung unter Einschluß eines sowjetrussischen Verbündeten versucht. Einiges davon hätte ich mir klarer und nicht durch eine leicht antiamerikanische Brille gewünscht. Dennoch hat das Buch seine Stärken, weil es die Fakten neu bewertet und zu Schlüssen gelangt, die der herrschenden Geschichtsschreibung widersprechen.

Es wird allgemein angenommen – schreibt Pauwels –, daß die Kriegsziele der Vereinigten Staaten und ihres britischen Partners am besten in der sogenannten Atlantikcharta zusammengefaßt wurden, jenem Dokument, dessen Inhalt Präsident Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill bei ihrem Treffen auf einem Kriegsschiff in den Küstengewässern von Neufundland am 14. August 1941 der Welt gemeinsam verkündeten. [...]
In dieser Charta erklärten die beiden angelsächsischen Partner, es gehe beim Kampf gegen Hitler–Deutschland um das Selbstbestimmungsrecht aller Völker sowie um die sogenannten vier Freiheiten, d.h. Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit, Freiheit von materiellem Mangel und Freiheit von Furcht [...].
Wir müssen die schönen und ziemlich verschwommenen Worte jedoch nicht rundweg für bare Münze nehmen. Bestimmt lag es nicht in der Absicht Washingtons und Londons, die Bevölkerung der eigenen kolonialen Besitzungen und Protektorate (wie beispielsweise Britisch Indien oder die von den USA dominierten Philippinen) in den Genuß all dieser Freiheiten kommen zu lassen. Und in den Vereinigten Staaten selbst sollte nach dem gemeinsamen Sieg, der sozusagen im Namen all dieser [Freiheiten] erkämpft worden war, so gut wie nichts unternommen werden, um das Problem des bitteren materiellen Mangels [...] für Millionen schwarzer und auch weißer Amerikaner zu lösen. [...]
Die Atlantikcharta trug jedenfalls dazu bei, die Vorstellung ins Leben zu rufen, die USA kämpften gemeinsam mit ihrem britischen Bundesgenossen allein für Recht und Freiheit. [...] Die offizielle Sprache schuf somit eine offizielle Wahrheit – oder besser gesagt, eine offizielle Mythologie –, derzufolge rein idealistische Motive die Rolle der Vereinigten Staaten im Zweiten Weltkrieg bestimmt hätten. [5]

Gut – solche Mythen gehören auch heute zum imperialistischen Menschenrechtskriegsalltag. Oder zur Antiterrorbekämpfung. Der russische Präsident Wladimir Putin beispielsweise spielt diese Klaviatur hervorragend, während seine Truppen in Tschetschenien keinen Unterschied zwischen Rebellen und Zivilbevölkerung machen. Das Demoralisieren der Zivilbevölkerung ist ja bekanntlich ein wichtiges Ziel moderner Kriegsführung.

Doch kommen wir auf den 2. Weltkrieg bzw. seine Vorgeschichte zurück. US–Firmen haben sich besonders in den 20er Jahren in Deutschland engagiert. Opel wurde von General Motors übernommen, IBM besaß die Lochkartenfirma DEHOMAG, Ford hatte eine Filiale in Köln, um nur einige zu nennen. Und sie hatten durchaus gewisse Sympathien für Hitler und dessen Politik, insbesondere für die Politik, aktive Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Kommunisten auszuschalten. IBMs deutsche Filiale lieferte den Nazis dann auch die Lochkartentechnik, um sowohl Eisenbahnen pünktlich fahren zu lassen und Jüdinnen und Juden zum Zweck der Enteignung zu erfassen. Denn es gibt bekanntlich nur eine Freiheit, und das ist die Freiheit des Kapitals, das ist die Freiheit, unter allen Umständen Profit zu machen. Das ist das Menschenrecht schlechthin. Aber auch DuPont, der Konzern, der General Motors finanziell kontrollierte, hatte in deutsche Waffenfabriken investiert. Zur Verbesserung der Konzernbilanz wurden darüber hinaus über die Niederlande Waffen und Munition nach Deutschland geschmuggelt. Ähnlich wie Krupp im 1. Weltkrieg profitierten hier US–Konzerne auch von der deutschen Kriegsführung.

Auch am Antisemitismus Hitlers und seiner faschistischen Konsorten störte man sich seinerzeit in den USA wenig oder gar nicht. Antisemitismus war in den 20er und 30er Jahren nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Vereinigten Staaten groß in Mode. In den eleganten Clubs und Hotels beispielsweise waren Juden häufig nicht zugelassen. Der bekannteste Antisemit der USA war der Industrielle Henry Ford, [...] der Hitler bewunderte, finanziell unterstützte und sogar mit seinem antisemitischen Buch The International Jew, das schon in den 20er Jahren erschienen war, inspirierte. [6]

Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob Jacques Pauwels mit diesen zugegebenermaßen drastischen Beispielen wirklich die Stimmungslage des US–Kapitals exakt widergibt. Sicher, Henry Ford stand nicht alleine da, und auch der Flieger Charles Lindbergh war mit Hermann Göring befreundet, was beim medial inszenierten Jubiläumsflug seines Enkels vor einigen Wochen natürlich nicht Erwähnung fand. Aber von einzelnen Stimmen auf die gesamte Stimmungslage in den USA zu schließen, halte ich für problematisch. Dennoch ist es ist richtig, wenn Jacques Pauwels darauf verweist, daß

wegen Hitlers antisemitischer Worte und Taten die USA sicher nicht bereit [waren], einen Kreuzzug in Europa zu führen. Übrigens erhielten nur bitter wenige jüdische Flüchtlinge aus Deutschland die Genehmigung, sich in den USA niederzulassen [...]. Einem mit jüdischen Flüchtlingen überfüllten Schiff aus Deutschland – der St. Louis – wurde noch im Frühjahr 1939 von den US–Behörden die Genehmigung verweigert, seine Passagiere von Bord gehen zu lassen. Das Schiff mußte nach Deutschland zurückkehren, erhielt jedoch im letzten Moment von den dortigen Behörden die Genehmigung, Antwerpen anzusteuern. [7]

Interessant wird jedoch die Interpretation von Jacques Pauwels, wenn es um die US–Interessen am 2. Weltkrieg ging. Zurecht weist er darauf hin, daß das keynesianische Infrastrukturprogramm Franklin Delano Roosevelts, der New Deal, letztendlich die Wirtschaftskrise von 1929 nicht entscheidend lösen konnte. Nur ein gigantisches Rüstungsprogramm war in der Lage, neue Bedingungen zu schaffen, um den US–Konzernen und der US–Wirtschaft Absatzmärkte und Profit zu ermöglichen. Nachdem Hitlers Armeen blitzkriegartig die europäische Landkarte 1939/40 verändert hatten, blieb nur Großbritannien als Absatzmarkt in Europa übrig. Spannender war jedoch der Gedanke, einen langfristigen Absatzmarkt in Europa zu schaffen, wenn es gelang, das Kriegsende entscheidend herauszuzögern. Nachdem klar war, daß die Wehrmacht England nicht erobern konnte, konnte man dieses Programm auch gelassen verfolgen. Dahinter steckte natürlich auch der Gedanke, die Nazis und die Sowjets sich gegenseitig bekämpfen zu lassen.

Daß die Nazis auf diese Weise Herrscher über den europäischen Kontinent blieben und überall ihre neue Ordnung verkündeten, ließ Washington eigentlich ziemlich kalt. Je länger der europäische Krieg dauerte, desto besser für die Vereinigten Staaten; und wie dieser Krieg letzten Endes ausgehen würde, darum würde man sich später sorgen. [8]

Insofern wurde nicht etwa in Frankreich eine neue Front eröffnet, mit dem erst 1944 verfolgten Ziel, Richtung Deutschland zu marschieren, sondern an einer Stelle, die garantiert kein schnelles Ende des Krieges versprach – in Nordafrika. Abgesehen davon, hatten die USA noch ein Problem im Pazifik zu lösen, nämlich Japan daran zu hindern, sich ein eigenes Imperium aufzubauen. Die dortigen Rohstoffe und Märkte hatten die USA schon in den 30er Jahren als ureigenstes nationales Interesse definiert.

Erst als nach der Schlacht um Stalingrad abzusehen war, daß Stalins Armeen siegreich nach Westen marschieren würden, begann man umzudenken. Stalin Deutschland zu überlassen, war im Drehbuch nicht vorgesehen. Und so wurde im Sommer 1944 in der Normandie eine zweite Front aufgebaut, die weniger Hitler daran hindern sollte, sich gegen die Sowjetarmeen zu behaupten, sondern vor allem Stalin daran hindern sollten, zuerst Berlin zu erreichen. Doch man kam zu spät, bekam mit einer eigenen Besatzungszone aber dennoch ein Stück vom Kuchen.

Doch bis es soweit war, mußte die US–amerikanische Rüstungsproduktion geschmiert werden. Also begann man Deutschland aus der Luft zu bombardieren. Jacques Pauwels verweist zwar darauf, daß es darauf ankam, die deutsche Industrie an der Rüstungsproduktion zu hindern, und vor allem darauf, die deutsche Bevölkerung zu demoralisieren. Aber es weist auch darauf hin, daß die deutschen Filialen der US–Konzerne weitestgehend verschont blieben oder erst dann bombardiert wurden, nachdem die wichtigsten Komponenten ausgelagert worden waren.

Denn der Kontakt zwischen deutschen Filialen und US–amerikanischen Konzernzentralen riß nie ab. Doch überhaupt galten die Bombenangriffe mehr den Städten als der kriegswichtigen Industrie. Denn diese wollte man nach einem gewonnenen Krieg schließlich selbst nutzen. Untersuchungen zeigen, daß die deutschen Industriekapazitäten 1945 (also nach dem verlorenen Krieg) trotz oder wegen der gezielten Bombardements größer waren als 1937. Statt dessen wurden gezielt die deutschen Städte bombardiert. Krieg gegen die Zivilbevölkerung eben.

Nur daß diese im Falle Deutschlands alles andere als unschuldig war.

Jacques Pauwels weist hierbei möglicherweise zurecht darauf hin, daß die Bombardierung Dresdens Stalin zeigen sollte, was der Sowjetunion blühen könnte, falls er sich nicht kooperativ bei der Aufteilung Europas zeigen würde. Eine ähnliche Funktion hatten im übrigen die Atombombenabwürfe auf Hiroschima und Nagasaki, die keine kriegswichtige Funktion hatten, aber Stalin vor Augen hielten, daß die USA eine Waffe besaßen, gegen die die Sowjetunion schutz– und machtlos sein würde.

Jacques Pauwels' Buch Der Mythos vom guten Krieg ist bei aller Detailkritik ein Beispiel dafür, wie hilfreich es sein kann, hinter die Kulissen der Macht zu schauen. Er demontiert die ideologischen Nebelschleier von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten, oder was sonst auch immer angeführt wird, um einen banalen kapitalistischen Raubzug zu begründen. Dabei ist es jedoch wichtig zu begreifen, daß die schonungslose Kritik am Imperialismus der einen kriegsführenden Partei nicht Parteinahme für die andere Seite bedeutet und bedeuten darf.

Der 2. Weltkrieg war für die USA ein guter und erfolgreicher Krieg. Er legte den Grundstock für das Wirtschaftswunder bis weit in die 60er Jahre hinein. Der Kalte Krieg war die beste Gewähr dafür, daß die militärkeynesianische Rüstungsproduktion weiterhin auf vollen Touren laufen konnte. Absatz und Gewinn waren garantiert. Doch auch dieses Modell geriet unweigerlich in eine Krise. 1967 fand die erste globale Rezession nach dem 2. Weltkrieg statt und markierte das Ende dieses Wirtschaftswunders.

Hier erweist es sich dann als konsequent, wenn die USA zur Sicherung des eroberten Deutschlands auf Nazis in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft setzten. Denn moralische Probleme hatten die führenden Kreise in den USA – wie schon gezeigt – mit der Nazi–Ideologie nicht. Und dann ist es überhaupt kein Zufall (manchmal kommt eben alles zusammen), wenn schon wieder der SPIEGEL in der neuesten Ausgabe auch diese Kollaboration benennt. Dort heißt es:

General Reinhard Gehlen, damals designierter Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), hegte im Frühjahr 1956 staatsstreichartige Pläne. Dies belegt die Gesprächsnotiz eines hochrangigen CIA–Verbindungsmanns, die der US–Geheimdienst jetzt freigegeben hat. [...] Die SPD, so befürchtete der zuvor in Hitlers Generalstab für den Aufklärungsdienst Fremde Heere Ost zuständige Gehlen, könne sich mit Adenauer–Gegnern der nationalistischen Rechten zu einer neutralistischen Koalition verbünden. Eine derartige Regierung aber werde früher oder später dem Einfluß des Ostens erliegen. Falls es soweit komme, fühle er sich moralisch berechtigt, alle denkbaren Gegenmaßnahmen zu ergreifen – einschließlich der Bildung eines illegalen Apparats in der Bundesrepublik zur Bekämpfung der deutschen Anhänger einer prosowjetischen Politik. Einen entsprechenden Plan wollte Gehlen in Washington im kleinsten Kreis konspirativ erörtern. Ob es dazu kam, ist ungeklärt. Im April 1956 wurde Gehlen zum BND–Chef ernannt [...]. [9]

Wir könnten jetzt darüber spekulieren, ob der Bundesnachrichtendienst dieser illegale Apparat war und ist. Es wäre zumindest naheliegend, denn Gehlens Bundesnachrichtendienst war in das antikommunistische geheime Terror–Netzwerk namens Gladio integriert, welches, o Wunder!, von einer geheimen NATO–Zentrale in Brüssel koordiniert wurde. Gladio soll übrigens nach seinem Auffliegen 1990 aufgelöst worden sein. Wer's glaubt ...

Zeitgleich mit dem angeblichen Ende von Gladio, mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, also dem Wegfall des aufgebauschten Kalten–Kriegs–Grundes, ergeben sich neue Chancen, Märkte und Kriegsgründe, um die Claims neu abzustecken. Doch das ist eine andere Geschichte, die ich zumindest noch kurz anreißen möchte. Der Mythos vom guten Krieg von Jacques Pauwels ist im PapyRossa Verlag erschienen und kostet 16 Euro 50.

Jennifer Rush : Silent Killer

 

Trilaterale Raubzüge

Der 11. September, bei dem schon gar nicht mehr gefragt wird, warum auch das Pentagon ein völlig logisches Ziel von Osama bin Laden oder wem auch immer war, eröffnete den kriegsheischenden Politikerinnen und Militärs in West und Ost ungeahnte Perspektiven. Endlich hatten die USA wieder einen greifbaren Feind. Endlich konnte man die Rüstungsproduktion wieder ankurbeln, um die lahme US–Wirtschaft aufzupäppeln. George W. Bush, früherer Geschäftspartner des bin Laden–Clans, ergriff die Gelegenheit beim Schopfe.

Nun ist der Krieg gegen Afghanistan nicht erst am 11. September 2001 geplant worden. Die Taliban waren den US–Kriegsherren schon vorher ein Dorn im Auge. Wobei Afghanistan selbst von seinen Ressourcen her uninteressant ist, und die Menschen, die unter den Mudschaheddin verschiedenster Fraktionen zwei Jahrzehnte lang zu leiden hatten, sowieso. Schließlich wurden diese Mordgesellen von den USA und ihrem Geheimdienst CIA selbst an die Macht gebracht, um ihr blutiges Handwerk zu verrichten. Nein, wie immer geht aus hier um Öl, genauer: um eine geplante Ölpipeline durch Afghanistan.

Und zwar für Öl aus dem Kaspischen Raum. Weitgehend unbemerkt von der westlichen Medienöffentlichkeit wurden dort in den 90er Jahren ein gigantisches Reservoir an Erdöl und Erdgas gefunden und Erdölfelder ausgebeutet. Das Ölvorkommen im Kaspischen Raum wird von seiner Dimension her in der gleichen Liga wie der Arabische Golf angesiedelt. Das Problem ist der Transport des Öls nach Europa, Japan und in die USA. Denn das Kaspische Meer liegt geostrategisch etwas ungünstig. Die vorhandenen Pipelines führen durch Tschetschenien, den Iran oder durch Rußland – Gebiete also, die nicht so recht unter westliche Kontrolle zu bringen sind. Und darüber machen sich Konzerne, Politiker und Militärs natürlich so ihre Gedanken.

Ein wichtiger Think Tank, vielleicht sogar der wichtigste, ist die Trilaterale Kommission. Ihr gehören Vertreter und einige wenige Vertreterinnen der drei wichtigsten Zentren des kapitalistischen Weltmarktes an. Sie kommen vorzugsweise aus den USA, aus Japan und den Ländern der Europäischen Union. Und es sind nicht irgendwelche drittklassigen Vertreter, sondern die creme de la creme. Handverlesen. Die Trilaterale Kommission wurde 1973 gegründet, um die unterschiedlichen Interessen der drei wirtschaftlichen Machtblöcke zu bündeln.

In den Führungsgremien sitzen derzeit – nur um die Funktionen zu nennen – ein früherer Sprecher des US–Repräsentantenhauses und Botschafter in Japan, der Vorsitzende des Erdölgiganten BP Amoco oder ein früherer südkoreanischer Außenminister. Frühere Führungsleute waren ein Notenbankchef der USA, David Rockefeller, Graf Lambsdorff oder ehemalige japanische Premierminister. Natürlich finden wir dort auch Namen wie Zbigniew Brzezinski, Thorvald Stoltenberg, Gerhard Schröder, Helmut Schmidt, Volker Rühe, Kurt Biedenkopf, Bill Clinton oder George Bush sr. Ein illustrer Kreis eben, dessen Zusammensetzung die Verschwörungstheoretiker in aller Welt zu den wildesten Spekulationen verführt hat. Gibt man und frau im Internet in eine beliebige Suchmaschine den Begriff Trilaterale Kommission ein, landet sie oder er sofort bei Illuminaten und anderen finsteren Mächten, die die Welt in ihrem Griff haben.

Dabei funktionieren Kapitalismus und kapitalistische Machtpolitik völlig anders. Mag sein, daß da mitunter auch die eine oder andere Verschwörung mit im Spiel ist. Aber das ist eine Sichtweise, die mehr auf Karl und Lieschen Müller (oder die Anhängerinnen und Anhänger von Tobi Blubb) zugeschnitten ist. Eine ernsthafte Analyse hilft da doch weiter. Manchmal ist es sogar nützlich, die Schriften der Trilateralen Kommission zu studieren. Daraus ist mehr zu lernen als aus albernen Verschwörungstheorien.

Sherman W. Garnett, Alexander Rahr und Koji Watanabe, die drei Autoren des Berichts Der Kaspische Raum vor den Herausforderungen der Globalisierung, standen jedoch vor einem Problem. Sie mußten die unterschiedlichen Sichtweisen und Interessen der drei Machtblöcke USA, Japan und Westeuropa miteinander in Einklang bringen. Offensichtlich war dies nicht möglich, weshalb ihr Bericht an die Trilaterale Kommission eigentlich aus drei Teilen und unterschiedlichen Sichtweisen besteht. Nun ist dies auch im trilateralen Denken kein Schaden. Auf diese Weise werden Probleme pointierter herausgearbeitet, um dann dennoch eine gemeinsame Strategie für die Ausbeutung einer Region zu finden. Natürlich sprechen sie nicht von Ausbeutung oder gar Ausplünderung. Sie sprechen davon, daß alle Beteiligten, inklusive der Auszuplündernden, zu den Gewinnern gehören sollen. Sie sprechen von Reformen und Demokratisierung, von politischer und wirtschaftlicher Stabilität. Aber letztlich geht es dann doch nur um Einfluß, Macht und Öl.

Sherman W. Garnett, Rußlandexperte und ehemaliger Mitarbeiter des US–Kriegsministeriums, versucht daher erst einmal klarzulegen, worin die US–amerikanischen Interessen in der zentralasiatischen Region bestehen könnten. Offensichtlich genießt diese Region nicht gerade höchste Priorität, weshalb sich Garnett eine Strategie überlegt, wie US–amerikanische Interessen trilateral so definiert werden können, daß andere die Kastanien für die USA aus einem möglichen Feuer holen könnten.

Koji Watanabe war in den 90er Jahren erst japanischer Botschafter in Italien und anschließend in Rußland. Heute dient er den Spitzenverbänden der japanischen Wirtschaft als Berater. Da auch Japan keine wirklich eigenständigen Interessen in Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan, Turkmenistan oder Usbekistan besitzt, sieht er Japans Rolle in der Region eher als eine begleitende. Sozusagen als Infrastrukturmaßnahme, damit sich die Länder der Region an das rauhe westliche kapitalistische Klima gewöhnen können. Ein bißchen Wirtschaftshilfe hier, ein bißchen Förderung des Gesundheitswesens dort. Klingt alles harmlos, hat aber Methode:

Das Hauptziel der [japanischen] Wirtschaftshilfe ist die aktive Unterstützung der Anstrengungen dieser Länder zur Einführung marktorientierter Volkswirtschaften. Ein besonderes Schwergewicht wird bei der technischen Hilfe auf die Entwicklung menschlicher Ressourcen und bei der finanziellen Hilfe auf die Abmilderung der mit dem wirtschaftlichen Reformprozeß verbundenen Schwierigkeiten gelegt. [10]

Das liest sich wie eine Drohung. Entwicklung menschlicher Ressourcen, wahrscheinlich weniger durch Klonen, als vielmehr durch die Erziehung der Menschen zu richtigem marktkonformen Denken und Handeln. Und daß der Reformprozeß abgemildert werden muß, ist schon entlarvend genug; doch welche menschlichen Tragödien mit diesem Reformprozeß verbunden sein mögen, das können wir nur erahnen, wenn wir Drittwelt–Verhältnisse zum Maßstab nehmen. Dies abzumildern ist also die japanische Aufgabe bei der Ausplünderung Zentralasiens.

Was machen dann die Europäer? Alexander Rahr, ebenfalls Rußlandexperte, entwirft das leicht konfliktträchtige Szenario aus europäischer Sicht. Und da seit Ende der 60er Jahre mit Beginn der sog. Entspannungspolitik eine Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und später mit Rußland die außenpolitische Option der EU–Staaten schlechthin ist, sieht Rahr nur die Möglichkeit, mit den Russen zusammen die Region auszubeuten. Konsequent schreibt er:

Europa muß seine Politik gegenüber [den] anderen Regionalmächten - Iran, Türkei, China, ganz zu schweigen von Rußland - deutlicher machen, selbst wenn diese Politik mit der amerikanischen im Konflikt liegt. [11]

Denn:

Die Suche nach Erdöl und Erdgas ist aber nicht die Hauptsache in dem neuen Great Game in der Region. Der wahre geopolitische Wettbewerb konzentriert sich auf die Pipeline–Strecken, und dieser Wettbewerb erfordert einen stärkeren politischen Einsatz von der EU. [12]

Und das ist ja auch wahr: wer die Pipelines kontrolliert, hat den Hebel am Ölhahn in der Hand. So werden hier vorsichtig unterschiedliche geostrategische Interessen angedeutet. Insbesondere in der Frage der Erdölpipelines. Während die USA ein Projekt befürworten, nämlich eine Pipeline vom Kaspischen Meer zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan unter Umgehung russischen und iranischen Territoriums, ist Rahr pragmatischer. Deutschland hat sowohl gute Kontakte zu Rußland wie auch zum Iran. Und die sollen nicht gefährdet werden.

Damit dieses geostrategische Interesse aber in der öffentlichen Diskussion richtig behandelt wird, müssen andere Vokabeln thematisiert werden: der wahnsinnig gefährliche Drogenschmuggel aus Afghanistan über Zentralasien beispielsweise. (Dabei dachte ich immer, daß die CIA der größte Drogenhändler sei. [13]) Deshalb müsse der Drogenschmuggel an der Quelle bekämpft werden. Als Vorbild nennt Rahr die Antidrogenpolitik der USA in Kolumbien, die ja in Wirklichkeit die Unterstützung der terroristischen Politik des kolumbianischen Militärs gegen jede fortschrittliche Stimme darstellt.

Dann überhaupt der Terrorismus und der Islam – die Schreckgespenster des 21. Jahrhunderts. Hinzu kommt das Bevölkerungswachstum und Migrationsbewegungen aus diesem Gebiet. Und da muß ein Sicherheitsexperte wie Alexander Rahr den Schilys und Stoibers dieser Republik konsequent zuarbeiten. "Diese Themen", so sagt er, "stehen den Alltagssorgen europäischer Bürger so nahe", daß hier dringender Handlungsbedarf besteht. Doch auch hier müssen die Vokabeln richtig übersetzt werden. Das Migrationsproblem ist ja eher das Problem der hermetisch abgeriegelten Festung Europa und nicht das Alltagsproblem von mir oder meinen Hörerinnen und Hörern. Doch mit Rassismus läßt sich eben leicht Politik machen.

Woraus für Alexander Rahr folgt, daß sich die europäische Politik stärker mit der zentralasiatischen Region beschäftigen muß. Zwar gibt es außer Erdöl und Erdgas nicht viel zu holen, aber die Kontrolle der Region sollte man nicht undurchsichtigen korrupten Regimes überlassen, die nicht die richtige Gewähr dafür bieten, die Interessen des Westens angemessen zu beachten. Oder in Orwellscher newspeak: Demokratie, Menschenrechte und Wohlstand. Zu ergänzen: für die lokalen Machteliten und die internationalen Konzerne.

Und letztlich ist dies auch der Tenor dieses Berichtes an die Trilaterale Kommission.

 

Schluß

Jingle Alltag und Geschichte –

heute mit einer Sendung, die ich unter das Motto Raubzüge stellen möchte. Hierin habe ich zwei Bücher vorgestellt, nämlich zum einen das Buch

  • Der Mythos vom guten Krieg von Jacques Pauwels, das die Rolle der USA im 2. Weltkrieg kritisch beleuchtet. Dieses Buch ist im PapyRossa Verlag erschienen und kostet 16 Euro 50.
  • Zum anderen der Bericht an die Trilaterale Kommission, verfaßt von Sherman W. Garnett, Alexander Rahr und Koji Watanabe. Sein Thema ist Der Kaspische Raum vor den Herausforderungen der Globalisierung. Darin wird die Verantwortung der Trilateralen Staaten für die Stabilität der Region umrissen. Dieses zum Verständnis neuer ideologischer Begründungen für ganz banale Raubzüge nicht uninteressante Buch ist im Verlag Leske + Budrich zum Preis von 14 Euro 90 erschienen.

Und wer mehr über Gladio – Die Geheime Terrororganisation der NATO erfahren möchte, sollte einen Blick in das gleichnamige von Jens Mecklenburg im Elefanten Press Verlag herausgegebene Buch werfen.

Anregungen, Nachfragen oder Kritik könnt ihr wie immer auf meine Voice–Mailbox bei Radio Darmstadt aufsprechen; die Telefonnummer lautet (06151) für Darmstadt, und dann die 87 00 192. Oder ihr schickt mir eine Email an: kapitalverbrechen@alltagundgeschichte.de. Und www.alltagundgeschichte.de ist überhaupt die Homepage unserer Redaktion mit Hinweisen auf unsere nächsten Sendungen auf Radio Darmstadt.

So zum Beispiel am Dienstag um 18 Uhr 05 Jadran – unsere Sendung in serbischer Sprache und mit jugoslawischer Musik oder das A–Mez Radio zur politischen und Menschenrechtssituation in der Türkei und in Kurdistan am Mittwoch ab 17 Uhr. Oder ihr hört am Mittwoch ab 21 Uhr in die Vorlesung von Helmut Dahmer mit dem Titel Freud und die Probleme der Soziologie herein. Und wie immer, wird diese Sendung wiederholt, und zwar am Dienstag um Mitternacht, direkt nach dem Radiowecker um 8  Uhr und noch einmal am Nachmittag ab 14 Uhr.

Meine eigene Homepage findet ihr unter www.waltpolitik.de; und dort gibt es auch das eine oder andere Sendemanuskript zum Nachlesen oder Herunterladen. Und damit verabschiede ich mich für heute. Am Mikrofon war Walter Kuhl.

Darude : Sandstorm

 

 

ANMERKUNGEN

 

[1]   Der Spiegel, 20/2002, Seite 19.
[2]   Der Spiegel, 20/2002, Seite 147.
[3]   Zitiert nach: Jürgen Elsässer (Hg.) : Nie wieder Krieg ohne uns, Konkret Literatur Verlag, Seite 7.
[4]   was tun 405, 9. Mai 1985, Seite 9. Vergleiche dazu auch das Buch Der Zweite Weltkrieg von Ernest Mandel, erschienen im ISP–Verlag 1991.
[5]   Jacques Pauwels : Der Mythos vom guten Krieg, Seite 17–18.
[6]   Pauwels Seite 35.
[7]   Pauwels Seite 35–36.
[8]   Pauwels Seite 59.
[9]   Der Spiegel, 20/2002, Seite 20.
[10]  Koji Watanabe : Japan und das neue Zentralasien, in: Der Kaspische Raum vor den herausforderungen der Globalisierung, Seite 65–76, Zitat auf Seite 73.
[11]  Alexander Rahr : Europa im neuen Zentralasien, in: Der Kaspische Raum ..., Seite 77–96, Zitat auf Seite 89.
[12]  Rahr Seite 88.
[13]  Siehe hierzu beispielsweise das fundamentale Werk von Alfred W. McCoy : Die CIA und das Heroin, Zweitausendeins 2003. Weiterhin die Aufsätze Verschwiegene Verbrechen. Die CIA und das Gesetz von John Kelly, Information oder Intoxikation? Die CIA, das Crack und die Contras von Gary Webb und Lippenbekenntnisse: Die großen Lügen im Kampf gegen die Drogen von Michael Levine im von Kristina Borjesson herausgegebenen Buch Zensor USA [Pendo 2004].

 

 

Diese Seite wurde zuletzt am 4. Januar 2006 aktualisiert.
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