Kapital – Verbrechen

Frauen, Hexen, Männerwahn

Teil 2 : Expedition

 

 

SENDEMANUSKRIPT

 
Sendung :
Kapital – Verbrechen
Frauen, Hexen, Männerwahn
Teil 2 : Expedition
 
Redaktion und Moderation :
Walter Kuhl
 
gesendet auf :
Radio Darmstadt
 
Redaktion :
Alltag und Geschichte
 
gesendet am :
Montag, 15. September 2003, 17.00–18.00 Uhr
 
wiederholt [29] am :
Montag, 15. September 2003, 23.10–00.10 Uhr
Dienstag, 16. September 2003, 08.30–09.30 Uhr
Dienstag, 16. September 2003, 15.00–16.00 Uhr
 
 
Besprochenes und benutztes Buch :
Christa Rohde–Dachser : Expedition in den dunklen Kontinent, Psychosozial–Verlag
 
 
Playlist :
  • Pat Benatar : Big Life
  • Vangelis : Conquest of Paradise
  • Siouxsie and the Banshees : Oh mein Pa Pa
  • B52's : Rock Lobster
 
 
TEIL 1 : HEXENJAGD TEIL 3 : BRUCHSTELLEN
 
 
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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 : Einleitung
Kapitel 2 : Die Konsequenzen einer Theorie
Kapitel 3 : Der Spuk des Ödipus
Kapitel 4 : Männer und ihre Wissenschaft
Kapitel 5 : Grandiose männliche Logik
Kapitel 6 : Mütter sind an allem Schuld! (Wer sonst? Die Täter?)
Kapitel 7 : Rette mich!
Kapitel 8 : Expeditionserfahrungen
Kapitel 9 : Schluß
Anmerkungen zum Sendemanuskript

 

Einleitung

Jingle Radio Darmstadt - RadaR

Im ersten Teil meiner kleinen Reihe Frauen, Hexen, Männerwahn am vergangenen Montag habe ich mich mit der Funktionen von Hexen, dem (nicht nur) islamischen Frauenbild und der Notwendigkeit feministischer Theorie beschäftigt. Dabei bin ich auf das Prinzip des double bind gestoßen. Frauen haben selten eine Chance, den Anforderungen und Widersprüchlichkeiten patriarchaler Zuschreibungen und Anforderungen zu entgehen. Frauen, die sich hiergegen zur Wehr setzen, laufen Gefahr, zur Hexe ernannt zu werden; und aus den Folgen dieser Benennung gibt es selten einen Ausweg.

Im heutigen zweiten Teil von Frauen, Hexen, Männerwahn geht es mir darum herauszuarbeiten, wie eine patriarchal definierte Weiblichkeit hergestellt wird. Hierbei soll die Psychoanalyse als eine Wissenschaft nicht nur des Unbewußten, sondern auch des kollektiv unbewußt Wirkenden befragt werden. Doch auch die Psychoanalyse ist eine patriarchale Wissenschaft. Ist es daher überhaupt möglich, die Psychoanalyse so zu befragen, daß wir keine ideologischen und das Geschlechterverhältnis verklärenden Aussagen erhalten?

Die Psychoanalytikerin und Soziologin Christa Rohde-Dachser hat 1991 in ihrem Buch Expedition in den dunklen Kontinent diesen Versuch unternommen. Ihr ist hierbei nicht nur gelungen, das Frauenbild der Psychoanalyse ideologiekritisch zu hinterfragen. Darüber hinaus konnte sie darlegen, daß die Psychoanalyse, auf sich selbst angewandt, Methoden entwickeln kann, ein von patriarchalen Einflüssen freies Analyseinstrumentarium zu entwickeln. Hierbei konnte sie auf Erklärungsmodelle der feministischen Theorie zurückgreifen.

Dieses Buch von Christa Rohde-Dachser möchte ich in meinem heutigen zweiten Teil von Frauen, Hexen, Männerwahn vorstellen. In einem dritten Teil werde ich am kommenden Montag über Gender Mainstreaming, den patriarchalen Mythos von Frauen als dem bevorzugten Geschlecht und über Frauen in Afghanistan reden.

Für die Redaktion Alltag und Geschichte auf Radio Darmstadt begrüßt euch Walter Kuhl.

Jingle Alltag und Geschichte

 

Die Konsequenzen einer Theorie

Christa Rohde-Dachser war von 1987 bis 2002 Professorin für Psychoanalyse am Institut für Psychoanalyse an der Universität Frankfurt. Sie beschäftigte sich hierbei unter anderem mit Fragen der Psychoanalyse in Bezug auf die Geschlechterdifferenz. Ihr 1991 erstmalig im Springer Verlag erschienenes Buch Expedition in den dunklen Kontinent behandelt hierbei ein Thema, mit dem sich die Psychoanalyse bislang ungern auseinandergesetzt hat. Schon für Siegmund Freud war die Psychologie der Frau nach eigenem Eingeständnis ein dunkler Kontinent, an dem er scheiterte.

Doch nicht etwa, weil der Kontinent nicht erforschbar gewesen wäre. Nein - es waren ganz bestimmte patriarchale Widerstände im Mann Freud gewesen, die ihn daran gehindert haben, unbefangen eine wirklichkeitsgetreue Theorie des Weiblichen in die psychoanalytische Theorie zu integrieren. So blieb ihm nur das Rätsel Weib; und er forderte seine Hörerinnen und Hörer in seinen Vorlesungen dazu auf, sich bei der Erforschung dieses Rätsels an die Gelehrten und die Dichter zu wenden. Dabei verlor er keinen Gedanken daran, daß diese vielleicht selbst in ihren patriarchalen Denkmustern gefangen sein könnten. [1]

Christa Rohde-Dachsers Buch behandelt daher die Weiblichkeit im Diskurs der Psychoanalyse. Ihre Absicht hierbei ist jedoch nicht, die Psychoanalyse als Wissenschaft für unbrauchbar zu erklären, sondern im Gegenteil, sie zu ihren Wurzeln zurückzuführen. Diese Wurzeln liegen, so Christa Rohde-Dachser, nicht zuletzt in einem aufklärerischen Anspruch begründet, der auch nicht davor zurückscheut, die zu jeder Aufklärung gehörende Tendenz zur erneuten Mythenbildung systematisch mit zu reflektieren. So schreibt sie dann auch, daß ihr Buch diese Lösung des Rätsels Weib im hergebrachten Sinn nicht erbringen wird; statt dessen will sie mit den Mitteln der Psychoanalyse selbst dieses Rätsel ad absurdum führen [2]. Dieses Buch ist dankenswerter Weise dieses Jahr im Psychosozial-Verlag neu aufgelegt worden. Der Verleger Hans-Jürgen Wirth formuliert in diesem Zusammenhang:

Hundert Jahre nach ihrer Schöpfung durch Sigmund Freud sieht sich die Psychoanalyse vor neue Herausforderungen gestellt, die sie nur bewältigen kann, wenn sie sich auf ihr kritisches Potential besinnt. [3]

Das Kernstück der Psychoanalyse besteht in der Lehre vom Unbewußten. Ein Teil der Seelentätigkeit erfolgt demnach unbewußt und entzieht sich daher der rationalen Steuerung. Freuds Forschungen galten dem Bemühen herauszufinden, wie diese unbekannten Seelenräume zu erkunden seien, um sie dem rationalen Denken und Handeln unterzuordnen.

Nun bewegt sich die Psychoanalyse genauso wenig wie ihr Untersuchungsgegenstand, also die menschliche Psyche, im herrschaftsfreien Raum. Wäre dem so, also gäbe es diesen herrschaftsfreien Raum, so würden bestimmte psychische Probleme erst gar nicht entstehen können. Woraus folgt: jede psychoanalytische Forschung und Untersuchung muß die wesentlichen Widersprüche dieser Gesellschaft mit reflektieren. Eine Psychoanalyse ohne Kapitalismuskritik ist demnach genauso sinnlos wie eine Psychoanalyse ohne Patriarchatskritik.

Dies verweist auf ein weiteres Problem: die Psychoanalyse versteht sich nicht zuletzt auch als eine Theorie der Kulturkritik. Eine Kulturkritik, die Herrschaft, Warenverhältnisse und globale Asymmetrien nicht mitreflektiert, ist letztlich wirkungslos. Mehr noch, diese Kulturkritik müßte sich eigentlich darum bemühen, die gesellschaftlichen Zustände, die zu den analysierten zum Teil schwersten psychischen Störungen führen, nicht nur zu verändern, sondern abzuschaffen. Von diesem so gesehen revolutionären Gehalt ist die Psychoanalyse weit entfernt. Aber es wäre eigentlich ihre logische Konsequenz.

Doch begeben wir uns nun zur Expedition in den dunklen Kontinent. Expeditionsleiterin wird Christa Rohde-Dachser sein.

Pat Benatar : Big Life

 

Der Spuk des Ödipus

Das Thema von Sigmund Freuds Arbeiten

ist der Ödipuskomplex und damit das Gesetz des Vaters, sein Forschungsfeld eine um dieses Gesetz zentrierte patriarchalische Kultur. Dort aber wird das Verhältnis von Mann und Frau nicht durch einen wirklichen Dualismus bestimmt; was dieses Verhältnis vor allem anderen charakterisiert, ist vielmehr seine grundlegende Asymmetrie. Freuds Theorie vom Ödipuskomplex, neben der Entdeckung des Unbewußten das zentrale Theorem der Psychoanalyse, ist deshalb mehr noch und anderes als lediglich die theoretische Konzeption eines typischen kindlichen Entwicklungskonflikts im Dreieck der Kernfamilie. [Freuds Theorie] beschreibt, wie das Kind an diesem Punkt seiner Entwicklung die Gesetze der Kultur erwirbt; damit wird gleichzeitig sichtbar, wie sich diese Kultur reproduziert. [4]
Die psychoanalytische Theorie des Ödipuskomplexes läßt sich demnach auch als eine Sozialisationstheorie beschreiben, die den je unterschiedlichen Weg der beiden Geschlechter hinein in die patriarchalische Kultur zur Darstellung bringt. Sie beschreibt diesen Weg als Errungenschaft dieser Kultur und gleichzeitig als deren Voraussetzung - nicht als, aber doch wie ein Naturgesetz. Damit unterscheidet sie sich klar von anderen sozialisationstheoretischen Ansätzen, in denen die Bedingungen geschlechtsspezifischer Sozialisation im Patriarchat ideologiekritisch hinterfragt werden [...]. Für Freud ist der Ödipuskomplex eine biologisch ableitbare anthropologische Konstante. [...] Damit erfährt auch die patriarchalische Geschlechterhierarchie eine zumindest indirekte Legitimation. Der mit ihr verknüpfte Geschlechterkonflikt muß dann als einer der unausweichlichen, sozusagen "normalen" Konflikte der Kultur erscheinen [...], oder aber er wird individualisiert, d. h. dem einzelnen Individuum als sein persönliches Problem (oder Versagen) zugeschrieben. Die psychoanalytische Theorie enthält so implizit auch eine Vorstellung von Normalität. [5]

Praktischerweise gibt es am Ende des Buches ein Glossar, in dem die wichtigsten theoretischen Grundlagen der Psychoanalyse erklärt werden. Damit wir auch wissen, was es mit diesem vielzitierten Ödipuskomplex wirklich auf sich hat, stelle ich ihn in den Worten von Christa Rohde-Dachser vor:

[Der Ödipuskomplex ist die nach] der Ödipussage benannte normale Phase der kindlichen Entwicklung [im 4. und 5. Lebensjahr], in der das Kind seine sexuellen Wünsche auf das gegengeschlechtliche Elternteil richtet, während der gleichgeschlechtliche Elternteil als Rivale empfunden wird, dem die feindseligen Wünsche [...] des Kindes gelten. Der negative Ödipuskomplex bezieht sich auf die umgekehrte Konstellation: Liebeswünsche gegenüber dem gleichgeschlechtlichen [Elternteil], Todeswünsche gegenüber dem gegengeschlechtlichen Elternteil. Positiver und negativer Ödipuskomplex existieren (in unterschiedlicher Ausprägung) nebeneinander und bilden zusammen den sog[enannten] vollständigen Ödipuskomplex.
Der Ödipuskomplex nimmt bei beiden Geschlechtern einen unterschiedlichen Verlauf. Der Junge reagiert auf seine inzestuösen Wünsche mit Kastrationsangst [...]. Die Kastrationsangst führt schließlich zum Verzicht auf die inzestuösen Wünsche gegenüber der Mutter und zur Identifizierung mit dem Vater und seinem Inzestverbot. Damit wird auch das Über-Ich errichtet, welches das Erbe des Ödipuskomplexes antritt.
Das Mädchen unterliegt im Gegensatz zum Jungen nicht dem Diktat der Kastrationsangst. Aufgrund seiner Penislosigkeit erlebt es sich vielmehr bereits als "kastriert". Es lastet seine körperliche Mangelausstattung der Mutter an und wendet sich enttäuscht von ihr ab und dem Vater zu. [Das ist der sogenannte "Objektwechsel".] Vom Vater erhofft es sich zunächst doch noch einen Penis und später - wenn es die mangelnde Realisierbarkeit dieses Wunsches erkennt - ein Kind, das in der unbewußten Phantasie den Penis des Vaters repräsentiert. Die sexuelle Entwicklung führt - Freud zufolge - somit von der Mutter weg und hin zum Vater. Dabei läuft das Mädchen in den Ödipuskomplex ein "wie in einen Hafen" [Freud]. Damit ist gemeint, daß sich der Zeitpunkt des Untergangs des weiblichen Ödipuskomplexes, so er überhaupt stattfinden sollte, wegen des Wegfalls der Kastrationsdrohung weniger eindeutig bestimmen läßt. Freud sah hierin auch die Ursache jener "Über-Ich-Schwäche", die ihm für den weiblichen Charakter bezeichnend erschien. [6]

In diesem Modell gibt es keinen Raum für die Vorstellung weiblicher Selbstverwirklichung jenseits der traditionellen Frauen- und Mutterrolle. Bestrebungen hin zu dieser weiblichen Selbstverwirklichung galten daher in der Psychoanalyse auch lange Zeit hindurch eher als Ausdruck eines nicht überwundenen Penisneides. Das war natürlich verdächtig und mußte analysiert werden. Insofern kann die Theorie des Ödipuskomplexes vielleicht noch als Sozialisationstheorie des Patriarchats begriffen werden; für über das Patriarchat hinausgehende Lebensentwürfe ist jedoch kein Platz. [7]

Dennoch wäre es vereinfacht, Freuds Theorie aus seiner Zeit heraus verstehen zu wollen. Das grundlegende Moment der Theorie vom Ödipuskomplex, insbesondere des weiblichen Komplexes, ist nämlich in patriarchalen Vorstellungen davon zu suchen, wie Jungen und Mädchen ihren Platz in einer patriarchalen Welt zu finden haben. Freud ist vielmehr vorzuwerfen, daß er den ideologiekritischen Gehalt der Psychoanalyse genau dort unterschlagen hat, wo er ganz besonders dringend vonnöten gewesen wäre.

Doch der mainstream der Psychoanalyse versucht, diese Auseinandersetzung zu vermeiden. Frauen, die dennoch eine Diskussion der Geschlechterfrage einfordern, geraten schnell unter Legitimationsdruck. Ein Phänomen, dem wir in vielen gesellschaftlichen Bereichen begegnen können. Doch damit zurück zur Expedition in den dunklen Kontinent.

 

Männer und ihre Wissenschaft

Männlichkeit und Weiblichkeit werden in einer patriarchalen Gesellschaft nicht zuletzt diskursiv erzeugt. Unter Patriarchat versteht Christa Rohde-Dachser

eine Gesellschaftsform, in der das Geschlechterverhältnis typisch durch ein Machtgefälle zwischen Mann und Frau charakterisiert ist, und zwar zugunsten des Mannes. Es manifestiert sich in einer alle Bereiche der Gesellschaft durchziehenden Geschlechterhierarchie [...]. Im Patriarchat haben Männer bevorzugt Zugang zu bedeutsamen Machtpositionen, was ihnen die Möglichkeit gibt, Frauen von diesen Positionen auszuschließen [...]. Auch das Symbolsystem der Kultur ist männlich dominiert [...]. Das Symbolsystem der patriarchalen Gesellschaft ist also so beschaffen, daß es unbewußten Phantasien von der Dominanz des Mannes Wahrnehmungsidentität verleiht und gleichzeitig die Abwehr anderslautender Phantasien bekräftigt. Daraus folgt weiter, daß in der patriarchalischen Gesellschaft "der Mann" "die Frau" definiert, nicht umgekehrt. Die Weiblichkeitsentwürfe solcher Gesellschaften sind [also] Männerphantasien. [8]

Es gibt also nicht das Weibliche und das Männliche an sich. Weiblich und männlich sind Konstruktionen einer patriarchalen Welt. C.G. Jungs Lehre von anima und animus geht dagegen von einer ahistorischen, sozusagen vorgefundenen Geschlechteridentität aus, einem Gegensatz auf womöglich gleichrangiger Basis. Christa Rohde-Dachser geht statt dessen konsequent von einer Asymmetrie aus. Wenn sie die Psychoanalyse als Wissenschaft mit den Mitteln dieser Wissenschaft betrachtet, dann ist sie sich dessen bewußt, daß Wissenschaft zunächst einmal männlich ist. Ihre feministische Perspektive befähigt sie dazu, diese männliche Wissenschaft nicht nur als solche zu wahrzunehmen, sondern auch zu begründen, warum sie so sein muß.

Es sind hauptsächlich (früher sogar ausschließlich) Männer, die Forschungsgegenstände und die Art ihrer Betrachtung festlegen, die wissenschaftliche Modelle in Konzepte fassen und die dabei von ihren männlichen Lebens- und Denkgewohnheiten als universalistisch richtige ausgehen. Wer das bezweifelt, stellt sich außerhalb der Konventionen eines akademischen Diskurses, wird also nicht ernstgenommen. Dadurch daß diese männliche Wissenschaft diesen Zusammenhang nicht einmal thematisiert, erweist sie sich als ideologisch [9].

Zwar ist auch die Psychoanalyse eine solche männliche Wissenschaft, doch liefert sie in ihrer radikalen Interpretation auch das Instrumentarium, um den Schleier zu lüften: als eine Theorie des Unbewußten kann die Psychoanalyse auch die unbewußt vorhandenen Hintergründe einer männlichen Theoriekonstruktion aufdecken. [10]

Das Unbewußte, das hier zur Debatte steht, ist das Verbotene, Tabuisierte. Es enthält jene Körpererfahrungen, Vorstellungen und Wünsche, die der allgemeine Konsens verpönt - Lebensformen, die den Normen und Werten der geltenden Kultur widersprechen und damit auch jenen Regeln, die das Individuum sich aufzwingen läßt. [11]

Diese Denkverbote gelten dann auch für die Psychoanalyse und ihre Texte, müssen also erschlossen werden [12]. Das Zusammenspiel von Männern und Frauen in einer Gesellschaft auf der Basis eines solcherart definierten Unbewußten hat Gerda Lerner einmal mit Hilfe einer Bühnenmetapher so beschrieben.

Männer und Frauen leben auf einer Bühne, wo sie die ihnen zugewiesenen Rollen spielen, alle gleich wichtig für das Stück. Das Spiel kann ohne beide Arten von Darstellern nicht weitergehen. Keiner von ihnen trägt mehr oder weniger zum Ganzen bei; keiner von ihnen ist marginal oder verzichtbar. Aber die Bühneneinrichtung ist von Männern entworfen, gemalt, definiert. Männer haben das Stück geschrieben, die Aufführung inszeniert und den Sinn der Handlung interpretiert. Sie haben sich selbst die interessantesten und die Heldenrollen zugewiesen und Frauen die Nebenrollen. [13]

Also gibt es dann auch ein patriarchales Drehbuch und einen männlichen Text.

Die in ihm verschlüsselten verpönten und ausgeschlossenen Lebensentwürfe wären dementsprechend aus dem männlichen Bewußtsein ausgeschlossene Lebensentwürfe. [14]

Nun stellt sich die Frage, wie eine patriarchale Gesellschaft mit der relativ ungestörten Geschlechterhierarchie sich so lange hat halten können ohne den Einsatz von Gewalt. Hier kommen unbewußte Phantasien ins Spiel, die dafür sorgen, daß das Bühnenstück immer wieder neu aufgeführt werden kann. Als eine zentrale These ihres Buches formuliert Christa Rohde-Dachser dann auch,

daß das Geschlechterverhältnis einer Gesellschaft sich nicht einseitig unter dem Einfluß unbewußter Phantasien [...] formt, sondern in seiner jeweiligen sozialen Ausgestaltung umgekehrt auf diese Phantasien einwirkt. [15]

Dies hat natürlich auch Auswirkungen auf die Psychoanalyse als Theorie und als Methode. Gesellschaftliche Umbrüche, wie etwa sich durchsetzende gesellschaftliche Gleichheitsvorstellungen in Bezug auf beide Geschlechter bei gleichzeitiger Auflösung überkommener sozialer Strukturen, müssen ihre Spuren in einer modifizierten psychoanalytischen Theoriebildung hinterlassen. Solange die Psychoanalyse jedoch mehr oder weniger deutlich ein Frauenbild auf dem Stand der Freud'schen Erkenntnis reproduziert, wird es ihr nicht oder nur unvollkommen gelingen, auf die nicht nur psychischen Problemen des derzeitigen globalen Irrsinns eine Antwort zu finden.

Vangelis : Conquest of Paradise

 

Grandiose männliche Logik

Freuds Vorstellungen über das Weibliche lassen sich kurz so zusammenfassen:

Jungen und Mädchen sind von Geburt an männlich. Jungen bleiben so. Mädchen entdecken den Geschlechterunterschied und entwickeln einen Penisneid. Mädchen fühlen sich daher kastriert; der Mangel wird der Mutter angelastet. Daher wenden sie sich dem Vater zu. Sie begehren seinen Penis, jedoch nicht als Lustobjekt, sondern zur Vervollständigung. Dieses Begehren wandelt sich um in einen Kinderwunsch. Die daraus resultierende Mutterschaft beschreibt ihren beschränkten Lebens- und Denkradius. Weiblichkeit ist passiv. [16]

Christa Rohde-Dachser wendet nun die psychoanalytische Methode auf diese Vorstellung an und kommt zu folgenden, dem Ganzen zugrunde liegenden Text:

Für meine Mutter (später: meine Frau) bin ich der einzige. Sie wird immer bei mir bleiben, denn sie ist abhängig von mir. Ich brauche sie mit niemandem zu teilen. Sie braucht mich, nicht umgekehrt. Mein Penis garantiert mir ihren Besitz. Sie selbst hat nichts, worum ich sie beneiden könnte. Im Gegenteil, sie beneidet mich. Ich bin es, der sie liebt und begehrt, nicht umgekehrt. Sie selbst ist ohne Begehren. Deshalb wird sie auch nie nach einem anderen verlangen. Ohne mich gibt es für sie keinen Genuß. Sie lebt nur durch mich (und nicht umgekehrt). Alles, was sie dabei erleidet, ist nicht meine Schuld. Sie will es so. [...] Diese Überzeugung gibt mir Sicherheit. Ich bin froh und stolz, ein Mann zu sein. [17]

Es ist eine zutiefst narzißtische Phantasie. Er (der Junge, der Mann) interpretiert die Welt nach seinem Bild. Was hier vorliegt ist eine Ansammlung von Abwehrmechanismen - Spaltung, Projektion, Verleugnung, Idealisierung und Entwertung.

Mit dem Bild von der "kastrierten Frau" erschafft sich der Knabe/Mann also gleichzeitig auch seinen narzißtischen Spiegel und das Fundament seiner männlichen Geschlechtsidentität. Der Knabe und später der Mann werden von da an auf der Suche nach Erfahrungen sein, die dieses Bild bestätigen, und [werden] versuchen, die äußere Welt mit dieser Konstruktion in Übereinstimmung zu bringen. [18]

Wenn es sich bei Freuds Weiblichkeitstheorie um eine Abwehrphantasie handelt, kann das Abwehrverhalten durch die ständigen Negationen (also was die Frau nicht ist und nicht hat und nicht kann) erkannt und das Dahinterliegende erschlossen werden. Was der Mann im Patriarchat nicht denken darf und auch nicht will, ist die Idee dieser Frau mit folgendem Inhalt: Ihre Unabhängigkeit, ihre Macht und Überlegenheit, ihre Sexualorgane, ihr Begehren, ihr Besitz und ihre Neidlosigkeit, sowie ihr Vorwurf: er sei schuld. [19]

Eine derart autonome Frau darf es im Patriarchat jedoch nicht geben. Diese andere Frau, die in der Lage ist, sich seinem Wunsch zu verweigern, muß die narzißtische Wut des Mannes wecken.

Auf einer primitiven Ebene provoziert so allein schon ihre potentielle Verweigerung, ebenso wie die in der Verweigerung beschlossene Anmaßung, Gewalt - phantasierte oder reale Gewalt. "Sie" wird damit zur Verkörperung des Bösen, welches nur dem Sekundärprozeß als das männliche Böse erscheint, wo doch allein bereits ihre Existenz genügte, um dieses Böse zu wecken: Grund genug, es ihr auch anzulasten. [20]

Frauen sind also schon in ihrer potentiellen Möglichkeit der Verweigerung gefährlich und böse, also Hexen, und müssen bekämpft und bestraft werden. Dieser Männerwahn ist jedoch keine anthropologische Konstante, sondern Konsequenz aus mehreren tausend Jahren patriarchaler Kultur und Macht. Eine Macht, die sich auch (aber nicht nur) daraus speist, daß sich Männer dieser Zuschreibungen immer wieder aufs Neue versichern. Die phantasierten Gebilde männlicher und weiblicher Persönlichkeitskonstrukte realisieren sich als Geschlechtsstereotypen.

So gibt es selbstverständlich vom Mann abhängige Frauen; es gibt Mütter, die sich nur einen Sohn und nie ein Mädchen wünschen; Frauen, die wenig sexuelle Interessen haben oder deren Über-Ich korrupt ist; Frauen, die scheinbar unnötig leiden oder passiv auf ihre "Errettung" hoffen etc. Man kann sie tagtäglich antreffen, im eigenen Alltag, mehr noch in den Massenmedien. Für die unbewußte Phantasie sind diese Wahrnehmungen der "Beweis". Gegenteilige Beobachtungen oder einfach die Erfahrung der gelebten ungeheuren Vielfalt von Mann-Frau-Beziehungen können daran nichts rütteln. Sofern ihnen überhaupt Bedeutung beigemessen wird, figurieren sie [...] als die berühmten "Ausnahmen, die die Regel bestätigen". [21]

Auf diese Weise funktioniert auch die Beweisführung des darmstädter Antifeministen Paul-Hermann Gruner. Neben dieser Wirklichkeitskonstruktion durch den bloßen Augenschein, der weder über strukturelle Voraussetzungen nachdenkt noch über die eigene Befangenheit, gibt es eine weitere Ebene der Konstruktion und Mythologisierung. Hierbei spielen Fehlattributtierungen eine Rolle, Auslassungen, Assoziationen, die Überdehnung von Begriffen, analogische Beweisführungen oder metaphorische Ausdrucksweisen, die scheinbar wissenschaftlich fundiert zum gewünschten Ergebnis führen. Gerade bei Freud und seinen orthodoxen Nachfolgern findet sich ein geradezu

charakteristisches Driften zwischen Metapher und Wesensaussage, Phantasie und Realität. Der Ebenenwechsel erfolgt unbemerkt, ohne, daß die damit erzeugte Widersprüchlichkeit des Diskurses auffällig würde und nach Klärung verlangte. So erwähnt Freud wiederholt, daß das kleine Mädchen auf die Entdeckung seiner Penislosigkeit mit der Phantasie reagiere, es sei kastriert. Beinahe gleichzeitig spricht er jedoch von der "Entdeckung seiner Kastration" [...]. [22]

Ebenso typisch ist die konstruierte analogische Beweisführung über einen Vergleich zweier nicht vergleichbarer Ebenen: Freud stellt beispielsweise fest:

Die männliche Geschlechtszelle ist aktiv beweglich, sucht die weibliche auf und diese, das Ei, ist unbeweglich, passiv erwartend. Das Verhalten der geschlechtlichen Elementarorganismen ist sogar vorbildlich für das Benehmen der Geschlechtsindividuen beim Sexualverkehr. [23]

Deswegen sind Männer ja auch die großen Logiker und Denker, denn dies ist männliche Logik!

Die spannende Frage ist jedoch: warum wirken Frauen seit Jahrtausenden an diesem Bühnenstück mit? Tun sie das freiwillig oder gibt es neben dem stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse eine andere Form erzwungener Zustimmung? Ich denke, die Akzeptanz des Patriarchats speist sich aus beidem - aus Gewalt und Zustimmung. Da Zustimmung in einem Gewaltverhältnis jedoch nie eine "freiwillige" sein kann, müssen auch hier unbewußte Phantasien mithelfen, die psychische Zurichtung von Frauen auf ihre erwünschte gesellschaftliche Funktion zu ermöglichen.

Im ersten Teil meiner kleinen Reihe Frauen, Hexen, Männerwahn habe ich über die Hexenverfolgung als Teil einer männlichen double bind-Strategie gesprochen. Wer zur Hexe ernannt wurde, konnte nie den Gegenbeweis führen, da jede Äußerung einer Frau, jedes Verhalten prinzipiell verdächtig und beweiskräftig war. Wenn wir die Zeit der Hexenverfolgung als eine Umbruchssituation vom Feudalismus zum Kapitalismus begreifen, in der Frauen eine veränderte Rolle spielen mußten, dann ist klar, daß die dort ausgeübte Gewalt ihre Spuren hinterlassen haben muß. Reale Gewalterfahrungen im Patriarchat des beginnenden 21. Jahrhunderts zementieren dieses kollektive Unbewußte und bringen Frauen auch ohne systematische Gewalt, um nicht zu sagen: Terror, dazu, ihre Rolle im schon erwähnten Bühnenstück zu spielen.

Auf der psychologischen Ebene hat die Zuschreibung des Weiblichen als des Unvollständigen, Defekten, Ergänzenden zum Verzicht auf eine eigenständige Selbstdefinition geführt. Der Narzißmus des Mannes wird geradezu komplementärnarzißtisch durch die Frau ergänzt.

Die Phantasie lautet hier [...]: "Ich selbst bin unvollkommen, aber Du, Vater (Mann), bist vollkommen, und ich habe Teil an Dir. In dieser Teilhabe bin ich ganz, vollständig, wertvoll oder sogar selbst grandios." Es ist diese Phantasie, die die Suche nach einem eigenen Selbst überflüssig und den Selbstverzicht lohnenswert erscheinen läßt. [24]

Christa Rohde-Dachsers Expedition in den dunklen Kontinent des Rätsels Weib hat hiermit schon eine gute Ausgangsbasis für weitere Erkenntnisse. Wer mehr darüber wissen will, wer vielleicht selbst herausfinden möchte, wo er oder sie diese unbewußten kollektiven Phantasien verwendet und weitergibt, sollte ihr Buch Expedition in den dunklen Kontinent unbedingt selbst lesen. Ich möchte in den verbleibenden Minuten dieser Sendung nur noch einen Aspekt herausgreifen, der mir zum Verständnis des antifeministischen frauenfeindlichen patriarchalen Weltbildes wichtig erscheint. Es geht um die Rolle der Mütter.

 

Mütter sind an allem Schuld! (Wer sonst? Die Täter?)

Hierzu spiele ich sozusagen als Einleitung ein Stück von Siouxsie and the Banshees, dessen Melodie ihr alle kennt: Oh mein Papa. Und solltet ihr zufällig an eurer Stereoanlage einmal nur den linken oder den rechten Kanal hören, dann werdet ihr zwei verschiedene Fassungen parallel gesungen hören: die böse und die gute Mutter.

Siouxsie and the Banshees : Oh mein Pa Pa [25]

The word you learn to love that's MotherThe disapproval that you hate from Mother
They teach you to respect ... MotherMakes you always want to please Mother
 
The one who keeps you warmThe one who keeps you warm
And shelters you from harmAnd shelters you from harm
Watch out she'll stunt your mindShe'll open up your mind
‘Til you emulate her kindTo make you good and make you kind
Is that Mother?Mother
 
Downstairs I don't knowDownstairs I don't know
If it's the springs in her bedWhy I feel safe in my bed
Or her joints I hearWhen I know I'm alone
Creaking overheadShe must be watching overhead
MotherMother
 
She'll twist the words you speakShe'll kiss and say goodbye
If she thinks you're near escapeIf you want to go away
MotherMother
 
So she clutches at her broodSo she gathers up her brood
And sits across its faceAnd smiles into their face
She sucks up all its energyShe beams down vital energy
And smothers their last breathShe gave us our first breath
Oh motherMother
 
The thing you grow to hateThe love you won't forget

Christa Rohde-Dachser schrieb schon 1991, also vor zwölf Jahren, zur zunehmenden Bedeutung, den Mütter für die psychoanalytische Forschung erfahren, folgenden etwas längeren Gedankengang:

In den letzten Jahrzehnten registrierten Beobachter der psychoanalytischen Szene unabhängig voneinander immer wieder das gleiche Phänomen: eine auffallende Akzentverschiebung psychoanalytischer Theorie und Praxis weg vom Ödipuskomplex hin zu sog[enannten] präödipalen Konflikten, [...] von den Vätern zurück zu den Müttern [...]. Diese Bewegung "zurück zu den Müttern" steht in diametralem Gegensatz zu der progressiv-emanzipatorischen Tendenz, mit der sich Frauen heute in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft von traditionellen Rollenbindungen befreien oder aus ihnen freigesetzt werden. Das Geschlechterverhältnis der Moderne ist jedenfalls nicht mehr ohne weiteres dazu angetan, dem Weiblichkeitsentwurf einer "kastrierten Frau" Wahrnehmungsidentität zu verschaffen. Immer mehr Frauen nähern sich - allen äußeren und inneren Schwierigkeiten zum Trotz - statt dessen jenem Bild des autonomen weiblichen Subjekts, das Freuds [...] Weiblichkeitsentwurf zu negieren trachtete. Die Konfrontation mit der subjekthaften Frau führte dort zu ihrer Entwertung ("Kastration") oder zu ihrer Dämonisierung.
Davon ausgehend möchte [Christa Rohde-Dachser] die These formulieren, daß die zunehmende Rückwärtsorientierung psychoanalytischen Denkens mit ihrer Zentrierung auf das Bild der präödipalen, "frühen" Mutter auch als ein Versuch zu interpretieren ist, die alte Abwehrkonstellation zu zementieren, und zwar durch eine immer ausschließlichere Fokussierung auf die Imago der "bösen Mutter". Je schreckenserregender und gefährlicher sich diese Mutterimago präsentiert (und sie ist [...] der Inbegriff des Bösen), desto notwendiger erscheint es wiederum, ihr ein entsprechend mächtiges und idealisiertes Vaterbild gegenüberzustellen, das in der Lage ist, die Macht dieser "bösen" mütterlichen Imago einzudämmen. [26]

Eine Imago ist eine künstliche Projektion, eine Mutterimago also eine Konstruktion, welche versucht, eine frühkindliche Erfahrung oder Phantasie symbolhaft zu erfassen. Was wir hier jedoch vorliegen haben, ist eine Redefinition des Vaters als eines Retters und Befreiers und der Mutter als eines Sündenbocks der Moderne.

 

Rette mich!

Die eher neue theoretische Konzeption geht davon aus, daß zunächst eine enge Verbindung zwischen Mutter und Kind besteht, eine Dyade, also eine Zweiheit. Diese enge Verbindung seitens der Mutter wird als Gefahr, als ein Verschlingen, ein Klammern verstanden. Der Vater wiederum bricht diese Dyade auf, tritt als Retter in Erscheinung, als ein von der Mutter verschiedenes Objekt. Obwohl dies in der Literatur selten thematisiert wird, ist das gerettete Kind meist der Junge. Es geht hierbei um die Herstellung einer männlichen Geschlechtsidentität; hierzu muß das Kind aus den Klauen des Weiblichen, also der Mutter, befreit werden.

Nun kann auch die psychoanalytische Theorie wenig Beweiskräftiges anführen, daß die Gefährlichkeit einer engen Mutter-Kind-Beziehung belegen würde. Auch gelten "unvollständige" Familien alleinstehender Mütter nicht als problematisch; oftmals erwachsen hieraus Kinder, die realitätstüchtiger und entwickelter sind als Kinder aus "normalen" Elternhäusern. Das Problem liegt woanders: die postmoderne Gesellschaft zu Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts löst sich auch in ihren familiären Strukturen auf. Die neoliberale Offensive, die alles Soziale platt walzt, hinterläßt auch hier ihre Spuren.

Nun muß das kein Problem sein. Mag sogar sein, daß es Frauen in der Tat neue Lebensentwürfe erst ermöglicht, obwohl die finanzielle und berufliche Benachteiligung immer noch offenkundig ist. Das Problem der Männer und ihrer männlichen Wissenschaft ist jedoch, den damit verbundenen Umbau des Patriarchats im Griff zu behalten. Und deshalb sollen nicht mehr die Väter die "Bösen" sein, sondern - als Projektion - die "Mütter". Und frei nach der schon vorgestellten männlichen Logik der Beweisführung werden hierzu die passenden Argumentationsmuster zusammengeschustert.

Womöglich liegt hier unbewußt eine Ahnung von der Schuld der Väter an der neoliberalen Katastrophe zugrunde, die verdrängt und auf die Mütter projiziert wird. Christa Rohde-Dachser kommt auf Grundlage anderer Gedankengänge zu dem Schluß, daß das Bild der bösen Mutter oder Frau meist eine Verschiebung der Anklage oder gar Selbstanklage an den Vater oder Mann darstellt.

Die Mutter als Ursache alles Guten und Bösen im Leben: dies ist die Perspektive, aus der wir vermuten dürfen, das kleine Kind die Mutter sieht. Allzu oft scheint sie aber auch die Blickrichtung der Erwachsenen zu bestimmen, die des Patienten und nicht selten auch die der Psychoanalyse. Es ist die gleiche Perspektive, die schließlich zur Anklage führt, weil diese "allmächtige" Mutter jemand ist, die vor der ihr angesonnenen Omnipotenzzuschreibung früher oder später zwangsläufig versagt. Denn auch wo sie es wollte (und die meisten Mütter wollen dies), könnte sie dem Kind Leid, Krankheit, Hunger, Schmerzen, Trennung und andere unangenehme Erfahrungen auf Dauer nicht ersparen [...].

Also eine klassische double bind-Situation. Sorgt und klammert die Mutter nicht, ist sie eine böse Rabenmutter; tut sie alles, um das Kind vor den Zumutungen dieser Welt zu bewahren, wird auch dies ihr zum Vorwurf gemacht, denn sie kann dabei nur versagen.

Wenn alles von der Mutter kommt, ist die Mutter für das Kind aber auch Urheber dieser schlechten Erfahrungen. Damit wird sie gleichzeitig zur Schuldigen, der der Verlust des rückschauend zum Idealzustand erhöhten "Kindheitsparadieses" angelastet wird. [...]
Aus dem beschriebenen Hintergrund wird auch plausibel, warum es regelhaft die Mutter ist, die nicht nur für ihre eigene, sondern auch für die Schuld des Vaters büßt (und nicht umgekehrt). In psychoanalytischen Theorien der Frühsozialisation ist vom Vater allenfalls [nebenbei] die Rede, und auch dann kaum von seiner Beziehung zur Mutter und seiner Aufgabe, diese Mutter zu entlasten, zu beschützen und vor Außenanforderungen abzuschirmen - so wie der Vater in dieser Funktion auch nicht in den Gesichtskreis des Kindes tritt. Sein mögliches Versagen in der Beziehung zur Mutter bleibt dem kleinen Kind deshalb ebenfalls verborgen. Es vermittelt sich ihm allenfalls in Gestalt einer überforderten, gereizten oder depressiven Mutter, und so bleibt es auch hier wiederum ihre Schuld, die sich ihm ins Gedächtnis prägt. [27]

Das Perfide an dieser Situation ist, daß nicht nur die Väter abwesend sind und deshalb weder positiv noch negativ als besonders wichtig erfahren werden, sondern daß sie aus ihrer Verantwortungslosigkeit auch noch Kapital schlagen können. Denn schuld an allem sind dann immer die Mütter, weil sie die notwendigen Anforderungen nicht erfüllt haben. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie diese Anforderungen erfüllen konnten. Es ist wie in der richtigen Welt. Entlasse soviele Mitarbeiter wie möglich, lade den anderen die Arbeit auf, und wer das nicht packt, hat versagt. Ganz einfach, oder?

Nur funktioniert das hier gesamtgesellschaftlich auf patriarchaler Ebene. Und Frauen ziehen sich dieses Kapitulieren vor unbewältigbaren Anforderungen in einem fremdbestimmten Theaterstück, das leider kein Stück ist, sondern das Leben, auch noch als eigene Schuld rein. Diese Schuldgefühle sind die besten Garanten dafür, daß das Patriarchat weitgehend unbeschadet in seine nächste Runde gehen kann. Frauen, die funktionieren, sind nicht gefährlich. Böse sind immer die anderen; also die anderen Frauen, die sich das nicht mehr gefallen lassen.

 

Expeditionserfahrungen

Christa Rohde-Dachser hat mit ihrer Expedition in den dunklen Kontinent ein Buch vorgelegt, das auch zwölf Jahre nach seinem erstmaligen Erscheinen nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat. Feministische Analysen, die den akademischen Diskurs verlassen und gesamtgesellschaftlich wirken, sind ohnehin selten genug geworden. Zudem versteht es die Autorin, psychoanalytische Argumentationen auch für diejenigen nachvollziehbar zu gestalten, die nicht gewohnt sind, sowohl feministisch als auch psychoanalytisch zu denken.

Was die Autorin über Weiblichkeit im Diskurs der Psychoanalyse schreibt, läßt sich - und das ist kein Zufall - auch anderweitig wiederfinden. Männermythen, Männerbilder, Männerwahn. Wir leben eben in einer patriarchalen kapitalistischen Leistungsgesellschaft; und wie ich schon im ersten Teil von Frauen, Hexen, Männerwahn ausgeführt habe, hat sich das Kapital zu Beginn der Moderne bewußt auf vorherrschende patriarchale Strukturen bezogen, um ein neues Ausbeutungsverhältnis im weltweiten Rahmen zu etablieren.

Wobei das Kapital natürlich kein eigenständig handelndes Subjekt ist, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis. Aber durchgesetzt hat sich dieses Verhältnis, als wenn dies ein bewußter Prozeß gewesen ist, auch wenn es eher der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse, also der heilige Markt, gewesen ist. Die darin handelnden Akteure waren jedoch Männer; und Männer wissen immer, was für sie gut ist. Auch wenn die Psychoanalytikerin Christa Rohde-Dachser mir hier eher widersprechen würde - also daß es wirklich gut für das Seelenleben der Männer sei. Denn die psychischen Folgen in den logisch denkenden Männerhirnen sind sicher aufzufinden. Destruktion fordert auch hier seinen Tribut.

Aber warum über die Täter weinen? Die jammern doch sowieso dauernd herum, wie schlecht es ihnen geht. Eine Konsequenz daraus zu ziehen, sind jedoch nur die wenigsten bereit. Weil: es gibt ja immer noch das komplementär-narzißtische Andere, an dem mann sich wieder in seiner Grandiosität aufrichten kann.

 

Schluß

Jingle Alltag und Geschichte -

In meinem heutigen zweiten Teil von Frauen, Hexen, Männerwahn begleitete ich Christa Rohde-Dachser auf ihrer Expedition in den dunklen Kontinent. Ihr gleichnamiges Buch ist dieses Jahr im Psychosozial-Verlag neu aufgelegt worden. Expeditionen haben leider ihren Preis; dieser liegt in diesem Fall bei 39 Euro 90. [28]

Am kommenden Montag werde ich mich in meinem dritten Teil von Frauen, Hexen, Männerwahn mit drei sehr unterschiedlichen Facetten des Geschlechterwiderspruchs und seiner patriarchalen Aufbereitung beschäftigen. Hierbei soll es zum einen um das, wie ich finde, problematische Konzept des Gender Mainstreaming gehen. Zum zweiten werde ich mich mit dem auch von unserem darmstädter Antifeministen Paul-Hermann Gruner verbreiteten patriarchalen Mythos vom bevorzugten weiblichen Geschlecht auseinandersetzen. Und schließlich stelle ich ein Buch über Frauen in Afghanistan vor.

Frauen, Hexen, Männerwahn - ich hoffe, es ist etwas deutlicher geworden, wie dieser Wahnsinn selbst in einer angeblich aufgeklärten postmodernen globalen Welt funktionieren kann und immer wieder aufs Neue reproduziert wird.

Diese Sendung wird am Dienstag um Mitternacht, morgens um 8 Uhr nach dem Radiowecker mit Wafaa Harake und Katharina Mann [29], und noch einmal am Dienstagnachmittag um 14 Uhr wiederholt [30]. Fragen, Anregungen und Kritik könnt ihr auf meine Voice-Mailbox bei Radio Darmstadt aufsprechen; die Telefonnummer lautet (06151) 87 00 - 192. Oder ihr schickt mir eine Email an kapitalverbrechen@alltagundgeschichte.de. Es folgt nun eine Sendung der Kulturredaktion von Radio Darmstadt. Am Mikrofon war Walter Kuhl.

B52's : Rock Lobster

 

 

ANMERKUNGEN

 

[1]   Christa Rohde-Dachser : Expedition in den dunklen Kontinent, Seite 1
[2]   Expedition Seite XIV
[3]   Text zum Anliegen der Buchreihe Bibliothek der Psychoanalyse
[4]   Expedition Seite 2
[5]   Expedition Seite 3
[6]   Expedition Seite 310-311
[7]   Expedition Seite 5
[8]   Expedition Seite 27
[9]   Expedition Seite 31-32
[10]  Expedition Seite 34
[11]  Expedition Seite 38
[12]  Expedition Seite 39
[13]  zit. nach Expedition Seite 41
[14]  Expedition Seite 41
[15]  Expedition Seite 43
[16]  Expedition Seite 56-57
[17]  Expedition Seite 57-58
[18]  Expedition Seite 60
[19]  Expedition Seite 63-64
[20]  Expedition Seite 66
[21]  Expedition Seite 69
[22]  Expedition Seite 72
[23]  zit. nach Expedition Seite 73
[24]  Expedition Seite 84
[25]  © Siouxsie and the Banshees 1979 bzw.© Polydor 1979. Zu finden auf der LP/CD Join Hands. Mehr dazu in der Folge Placebo Effect / Ein bißchen Gehirnwäsche tut's auch meiner Sendereihe Tinderbox.
[26]  Expedition Seite 172
[27]  Expedition Seite 209-211
[28]  Etwas, was das Lesevergnügen und die Erkenntnis ein wenig trübt, sind die mannigfaltigen Satzfehler im Buch. Ich vermute einmal, daß für die Neuauflage das Original gescannt und mit einer OCR-Software bearbeitet worden ist, ohne zu bedenken, daß man und frau sich besser auf den eigenen Augenschein und nicht auf die Technik verlassen sollte. Für diese These sprechen die vielen t, die zu r mutiert sind.
[29]  Norbert Büchner vertrat Katharina Mann.
[30]  Im nichtkommerziellen Lokalradio kommt manches anders als gedacht: die Sendung um 23.00 Uhr fiel aus, daher startete die Wiederholung früher. Der DAT-Recorder spielte das Wiederholungsband am Morgen nicht ab, also mußte eine Ersatzgerät her, daher der verspätete Beginn der Wiederholungssendungen am Morgen. Der neue Recorder wiederum besitzt keine automatische Rückspulfunktion, also endete das Programm gegen 14.30 im Sendeloch und wurde erst gegen 15.00 wieder neu gestartet. Daher die seltsamen Wiederholungszeiten für diese Sendung. Nur, um mal ein bißchen aus dem Innenleben eines NKL zu plaudern.

 

 

Diese Seite wurde zuletzt am 23. Dezember 2004 aktualisiert.
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