T I N D E R B O X

Folge 1 bis 10

 

 
Nachfolgend die ersten zehn Folgen von Tinderbox, der kapitalismuskritischen Sendereihe der Redaktion Alltag und Geschichte auf Radio Darmstadt.
Mehr zu dieser Sendereihe ist auf der Tinderbox-Hauptseite nachzulesen. Dort gibt es auch eine Übersicht über alle bisherigen und geplanten Folgen.
Zur Folge 1 geht es hier.
 
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Folge 1 20. März 2000 TBX01_05.ZIP
Knockin' On Heaven's Door Start Tinderbox
Vater Unser, der Du bist im Himmel Folge 2

Willkommen zu einer neuen Sendereihe auf Radio Darmstadt.

Worin besteht der Unterschied zwischen kapitalistischer Ausbeutung und einem Verbrechen? Nun - wenn wir uns die Welt genauer anschauen, dann dürfte es uns schwer fallen, überhaupt einen Unterschied festzustellen. Es werden genügend Nahrungsmittel für alle Menschen dieser Erde produziert und dennoch verhungern jährlich Millionen. Woran liegt es? Doch nicht etwa daran, daß die zivilisierte Welt an der Schwelle zum 21. Jahrhundert das Wohlergehen der Menschheit daran mißt, wer zahlungsfähig ist und wer nicht?

Allerdings definiert die Gesellschaft, in der wir leben, das Verbrechen anders. Kriminell handelt nicht, wer andere ausbeutet, unsere Umwelt mit Chemikalien vergiftet, auf vier Rädern rollende Mordwerkzeuge herstellt oder Panzer in die Türkei liefert. Kriminell handelt nicht, wer Entwicklungshilfe streicht, freuenverachtende Werbung schaltet oder auch nur zuläßt, wer abschiebt oder freundschaftlichen Umgang mit zum Beispiel dem iranischen Folterregime pflegt wie unser Menschenrechts-Außenminister Joschka Fischer.

Ich will mich und euch dieser kapitalistischen Wirklichkeit, die vorgibt, friedlich und human zu sein, einmal auf eine gänzlich andere Weise nähern. Jeden dritten Montag im Monat um 17 Uhr wird die Redaktion Alltag und Geschichte bei Radio Darmstadt den Kapitalismus musikalisch Revue passieren lassen; mit Hilfe von Siouxsie and the Banshees. Es wird jedoch keine der üblichen Musiksendungen sein. Es wird nicht darum gehen, vermeintliche oder echte Stars zu promoten. Ich will mich auch nicht zum Musikkritiker aufschwingen - davon gibt es ohnehin viel zu viele. Allerdings wird es mitunter auch um die Frage gehen, warum Menschen Popidole brauchen, oder was so spannend ist an den neuesten Trends im Musikbusiness.

Mit Tinderbox, zu deutsch etwa: der Anstiftung, sich selbst zu entflammen, um diese kriminelle kapitalistische Wirklichkeit zum Brennen zu bringen, will ich zweierlei versuchen: Erstens eine Musikgruppe vorzustellen, die in den zwei Jahrzehnten zwischen 1976 und 1996 versucht hat, sich jedem musikalischen mainstream zu entziehen und trotzdem hörbare (wenn auch gewöhnungsbedürftige) Musik zu schaffen. Und zweitens von dieser Musik ausgehend assoziativ unsere ganz reale Welt zu erforschen und Verbindungen herzustellen, die herzustellen sich die ganz normalen kapitalistisch orientierten Medien weigern. Aus gutem Grund - müßten sie dann doch ihre eigene Existenz in Frage stellen.

Kapitalismus ist eine asoziale Veranstaltung - und dies wird in den Texten von Siouxsie and the Banshees auch immer wieder deutlich, obwohl sich diese Gruppe nie als eine politische Band verstanden hat. Allerdings war Siouxsie and the Banshees von Anfang an als ein Projekt geplant, das zum Nachdenken anregen und Widersprüche sowohl textlich wie auch musikalisch hörbar machen sollte. Was für uns vielleicht etwas problematischer ist, wenn wir der englischen Sprache nicht mächtig sind und die vielen Anspielungen leicht überhören. Das ist auch mein Grund, diese Gruppe, ihre Musik, ihre Texte und viele damit verbundene Assoziationen vorzustellen.

Playlist :

Siouxsie : Pure
Siouxsie : Jigsaw Feeling
Sex Pistols: God Save The Queen
Bob Dylan : Knockin' On Heaven's Door
Beatles : Twist And Shout
Siouxsie : The Lord's Prayer
Siouxsie : Overground
Abba : Money Money Money
Jean-Michel Jarre : Oxygene IV

 

Folge 2 17. April 2000 TBX01_05.ZIP
The Cry of the Banshees Folge 1
Siouxsie Sioux und ihre Todesfeen Folge 3

Punk galt und gilt - zumindest bei seinen Anhängerinnen und Anhängern - als etwas Widerständiges, als ein Ausdruck der Verweigerung kapitalistischer Werte und Normen. Ich will einmal dahingestellt sein lassen, ob diese Selbsteinschätzung den Tatsachen entspricht. Punk als jugendliche Subkultur ist jedoch sicher auch ein Versuch von jungen Menschen, die vorherrschende Wirklichkeit zu begreifen und für sich selbst darin einen Platz zu finden. Was ja gar nicht so einfach ist.

Siouxsie and the Banshees war aber alles andere als eine Punk-Band. Medien brauchen ein Etikett, eine Zuschreibung, eine Einordnung. Medien schaffen aber auch Wirklichkeit. So haben sie die Punk-Bewegung der 70er Jahre in England in den grellsten Farben dargestellt, um die von den Medien selbst aufgeschreckte Bevölkerung dazu zu bringen, Punk als etwas Absurdes und Absonderliches zu begreifen und deshalb auch abzulehnen. Punk war aber auch etwas Exotisches und zierte so das eine oder andere Mal die Titelseiten der Regenbogenpresse. Schließlich geht es bei der Darstellung von Ereignissen in erster Linie nicht um die Wahrheit, nicht um die Hintergründe, sondern um die Auflage oder - im Hörfunk und im Fernsehen - um Quoten.

Das wissen wir alle und dennoch ist der Glaube weit verbreitet, hier eine ehrliche Darstellung dessen zu erhalten, was so alles in der Welt geschieht. Mit Erschütterung habe ich dieses Phänomen sogar bei denen feststellen müssen, die seit Jahren für ein Medium wie Radio Darmstadt arbeiten. Mehrjährige Beschäftigung mit Journalismus hat offensichtlich nicht dazu geführt, das Offensichtliche zu sehen: Medien stellen das dar, was sie darstellen wollen und sollen. Sie inszenieren Wirklichkeit. Und sicher ist auch Radio Darmstadt, bei allem Bemühen, es anders zu machen, hier keine Ausnahme. Dennoch will ich versuchen, diesen trügerischen Schleier, den die Medien erschaffen, zu lüften.

Susan Dallion, die Sängerin der Band, trat anfangs mit einem Hakenkreuz-Armband auf. Über die Rolle von Nazisymbolen als Mittel der Provokation in der Punk-Bewegung führte ich ein Gespräch mit Günter Mergel - das leider im Sendemanuskript nicht wiedergegeben wird.

Playlist :

Siouxsie : Carcass
Beatles : Helter Skelter
Siouxsie : Helter Skelter
Siouxsie : Mirage
Siouxsie : Metal Postcard
Clash : London Calling
Laibach : Alle gegen alle

 

Folge 3 15. Mai 2000 TBX01_05.ZIP
Join Hands Folge 2
Alle Menschen werden Brüder Folge 4

Hong Kong Garden war die erste kommerziell erhältliche Platte von Siouxsie and the Banshees und ein ziemlicher Erfolg - zumindest nach den Kriterien des kapitalistischen Warenmarktes. Wenn wir die Charts als Spiegelbild der Beliebtheit einer Gruppe interpretieren, dann passen wir uns dem trügerischen Schein dieses Warenmarktes an. Wissen wir doch, daß die Charts genauso wie jede gute Statistik gefälscht werden. Natürlich versuchen die Plattenfirmen, ihre Produkte bestmöglich zu vermarkten, und dazu gehört dann auch, daß die Bemusterung der Plattenfirmen an Radiostationen damit gekoppelt wird, daß die gelieferten Platten auch häufig gespielt werden. Die Fälle, bei den direkte Bestechung im Spiel ist, sind hierbei nur die Spitze des Eisberges. Oder anders gesagt: direkte Bestechung kommt zwar vor, ist aber nicht unbedingt notwendig zum Funktionieren dieses Systems.

Hinzu kommt, daß eine gewisse seichte Mischung hervorragend zu Radiosendern paßt, bei denen das Musikprogramm wie auch die eingesprengselten redaktionellen Beiträge dem unvermeidlichen Werbeblock angepaßt werden. Deswegen hören wir tagaus tagein auch immer wieder dieselben Songs, bis sie uns zum Hals heraushängen - oder bis wir sie auswendig mitsummen können. Dann hat das soziale Konditionierungsprogramm wieder einmal funktioniert. Wir haben den größtmöglichen Schwachsinn widerspruchslos geschluckt. Stephan Brünjes und Ulrich Wenger haben in ihrem lesenswerten und aufschlußreichen Buch über die Entwicklung der deutschen Radiolandschaft - das Buch heißt Radio-Report - geschrieben, wie die Musikauswahl von vor allem kommerziellen Radiosendern funktioniert.

Alessandra Krueger führt uns in einem Interview ein wenig in die Londoner Scene ein und gibt ihren Höreindruck von Siouxsie and the Banshees wieder: eigenwillig. Eigenwillig ist auch das zweite Album von Siouxsie and the Banshees. Join Hands legt noch einmal ganz anders die Finger in die Wunde der Heuchelei in dieser Gesellschaft. Join Hands könnte unter dem Motto stehen Alle Menschen werden Brüder und passenderweise beginnt das Album mit einem Lied über die Kreuze der Toten der Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs in Flandern. Hierzu fällt mir der Ausspruch von Rosa Luxemburg über die internationale Sozialdemokratie ein - angesichts rotgrüner weltweiter Machtpolitik auch heute aktuell. Sie schrieb 1915:

"Der welthistorische Appell des Kommunistischen Manifestes erfährt eine wesentliche Ergänzung und lautet nun nach [der Korrektur durch die deutsche Sozialdemokratie]: Proletarier aller Länder, vereinigt euch im Frieden, und schneidet euch die Gurgeln ab im Kriege!" [Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Band 5, Seite 25]

Nun, die brüderliche Hand der heutigen rot-grünen Politik erfährt eine Ergänzung dadurch, daß man und frau die Menschenrechte in Jugoslawien am besten mit Bomben herstellt und in der Türkei, indem man und frau Flüchtlinge ihren Henkern ausliefert und vielleicht gleich auch noch die Panzer dazu liefert. Join Hands à la Fischer, Scharping und Schröder. Vielleicht sollte ich sagen: es handelt sich eher um ein joint venture aus Kapital, Militär und Politik.

Playlist :

Siouxsie : Hong Kong Garden
Siouxsie : Nicotine Stain
Siouxsie : Suburban Relapse
Siouxsie : Switch
Siouxsie : Poppy Day
Siouxsie : Regal Zone
Creedence Clearwater Revival : Susie Q

 

Folge 4 19. Juni 2000 TBX01_05.ZIP
Placebo Effect Folge 3
Ein bißchen Gehirnwäsche tut's auch Folge 5

Join Hands ist eine Textzeile aus Premature Burial. Hier findet die düstere Seite der kapitalistischen Heilsversprechen ihren Niederschlag. Ihr sollt alle Brüder und Schwestern sein und freundlich zueinander. Die alljährlich fälligen Millionen Toten - Hungertote, Kriegstote, Opfer einer rassistischen Todesstrafe wie in den USA oder von mit den USA mehr oder weniger verbündeten Diktaturen - sind das Spiegelbild, sozusagen das Icon dieser netten Worte. Wir sollen schön brav sein und friedlich im Miteinander, damit andere ungestört ihrem mörderischen Geschäft nachgehen können.

Allerdings schrieben Siouxsie and the Banshees diesen Song 1979, also zum Zeitpunkt der Gründung der Grünen Partei in Deutschland, die damals auf ihre Fahnen geschrieben hatte: ökologisch, basisdemokratisch und gewaltfrei. Übrig geblieben davon ist bekanntlich nichts. Dafür sind die Grünen ein geduldetes, manchmal sogar geachtetes Mitglied im erlauchten Kreis der Reichen und Mächtigen. Ähnlich wie die FDP, von der sich die Grünen in ihrem Wirtschaftsprogramm in nichts unterscheiden, tun sie alles, um an der Regierung beteiligt zu werden. Prinzipien werden dann über Bord geworfen und durch Phrasen zum Wohle des Standorts und zur Vermeidung eines fiktiven Auschwitz ersetzt.

1979 regierten die Militärs in Uruguay, Chile und Argentinien, um nur drei von der westlichen demokratischen Staatengemeinschaft freundlich unterstützten Folterdiktaturen zu nennen. Die heutigen Folterregimes nennen sich demokratisch und erfreuen sich ähnlichen Wohlwollens. Die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung lud im April dieses Jahres 2000 zu einer Tagung sogenannte iranische Reformerinnen und Reformer ein, deren einzige Differenz zu den Mullahs darin besteht, daß sie die Mullahs nicht für so recht effektiv halten, die iranischen Interessen weltweit zu vertreten. Wenn im Iran gefoltert wird und unter dem Reformer Khatami weiterhin oppositionelle Studentinnen, Arbeiter oder zuweilen auch Intellektuelle - und das sind ja die einzigen, die in grünen Köpfen wirklich zählen, also ihresgleichen -, also wenn diese mitunter auch umgebracht werden, wenn Frauen immer noch gesteinigt und systematisch diskriminiert und vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden; dann ist dies Grund genug, mit den etwas reformerischeren Unterdrückern einen freundlichen und freundschaftlichen Dialog zu pflegen.

Playlist :

Siouxsie : Poppy Day
Siouxsie : Regal Zone
Siouxsie : Placebo Effect
Siouxsie : Icon
Siouxsie : Premature Burial
Siouxsie : Mother
Siouxsie : The Lord's Prayer

 

Folge 5 17. Juli 2000 TBX01_05.ZIP
Happy House Folge 4
Bruch und Neuanfang Folge 6

Abhängen, alles geil finden, oder cool, auf Big Brother abfahren und jeden Lebenssinn aus dem größten Schwachsinn dieser medial gestalteten kapitalistischen Wirklichkeit ziehen - das scheint nicht nur heute der Geist der Zeit zu sein, sondern entsprach schon dem Lebensgefühl der 70er Jahre. Die Erkenntnis, wie das alltägliche Gehirnwäscheprogramm funktioniert, kann dich ganz schön fertig machen. Und dazu führen, dir irgendwelche Ersatzsinngebungen zu suchen und sie kritiklos zu verinnerlichen, und das auch noch gut zu finden. Big Brother is watching you.

In der fünften Folge spielte ich auch die Toten Hosen aus ihrem Album Ein kleines bisschen Horrorschau von 1988, vielleicht eine der besten Platten, die in den letzten 20 Jahren in Deutschland veröffentlicht wurde. Ein kleines bisschen Horrorschau bringt den kapitalistischen Wahnsinn ganz gut auf den Punkt. Und wer sich heute fragt, warum unsere Jugend so sinnlos gewalttätig und superkriminell graffitisprühend ist, möge sich dieses Album einfach einmal anhören. Aber - diejenigen, die am lautesten schreien, werden sich weigern, die Verantwortung dafür zu übernehmen, daß es in diesem Land so sinnlos kapitalistisch effizient zugeht und die Perspektiven für die heutigen Kids ziemlich düster sind.

Und eine linke Bewegung, die Alternativen hierzu nicht nur im Kopf hat, sondern auch versucht, sie kämpferisch durchzusetzen, gibt es nicht mehr. 32 Jahre kapitalistischer Normalzustand nach 1968 hat jeden Funken ernsthaften Widerstand zu dieser erbarmungslosen Maschine gnadenlos gebrochen. Das heißt aber nicht, daß der Kampf um Befreiung nun sinnlos wäre. Im Gegenteil, er ist nicht nur notwendiger denn je, sondern auch bei 24 Stunden Weichspüler an sieben Tagen die Woche ... möglich.

Playlist :

Siouxsie : Playground Twist
Die Toten Hosen : 180 Grad
Blondie : Hanging On The Telephone
Hazel O'Connor : Hanging Around
Siouxsie : The Staircase
Siouxsie : Happy House
Siouxsie : Tenant
Die Toten Hosen : 35 Jahre
Siouxsie : Trophy
Jimi Hendrix : Star Spangled Banner
Deutsche Nationalhymne (verfremdet)

 

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Folge 6 21. August 2000 TBX06_10.ZIP
Paradise Place Folge 5
Paradiesische Zustände Folge 7

Das Chaos im Kopf. Wer beherrscht hier wen? Handelt es sich um ein Paar, das sich gegenseitig beherrschend beeinflußt - oder ringen hier verschiedene Teile unseres Ich miteinander und mit eigenem oder dem gesellschaftlichen über-Ich? Nun ist dies keine Angelegenheit, die einzelne Individuen mit sich selbst abmachen müssen. Die Vereinzelung ist zwar groß und psychische Probleme werden meist immer noch der oder dem einzelnen als persönliches Fehlverhalten angekreidet. Aber psychische oder gar Realitätsprobleme sind grundlegender Bestandteil einer Gesellschaft, die von ihren Subjekten Normen abverlangt, die in krassem Gegensatz zu einem Bedürfnis nach Nähe, Anerkennung und Gemochtwerden stehen, das nicht auf Leistung beruht.

Leistung soll sich lohnen - so heißt es. Aber für wen lohnt sie sich? Und - welche Opfer werden für den alltäglichen Leistungswahn gebracht? Ein x-beliebiger Ratgeber zum Thema Siegerstrategien benennt ganz offen, worum es geht. Wer in dieser Gesellschaft zu den Gewinnern gehören will, sollte sich eine Familie zulegen, die seine (seltener ihre, weil: es ist ja eine Männergesellschaft) Prioritäten kennt und auch akzeptiert. Das heißt - das Privatleben wird dem Raubbau an körperlichen und geistigen Kräften zugunsten des Betriebs geopfert. Nun ist das keine neue Erkenntnis. Aber wie wirkt sich das aus?

Wer im Wirtschaftsleben bereit ist, für den eigenen und betrieblichen Erfolg alles zu tun, wird auch im Privatleben keine Rücksicht auf sich und seine Familie oder Freunde nehmen. Was dabei herauskommt, ist soziale Kälte, sind Warenbeziehungen, Egotrips und daran zerbrechende Menschen. Und das sind nicht nur die Managerkarrieren, die so funktionieren und sich so auswirken. Nein, es ist der ganz normale alltägliche Wahnsinn. Und dieser Wahnsinn wird uns täglich abverlangt; es sei denn, wir machen ihn uns bewußt und ... verweigern ihn.

Meist läuft es jedoch darauf hinaus, diesen Wahnsinn zu verdrängen und sich statt dessen Ersatzwelten aufzubauen, die das kompensieren sollen, was an sozialer Wärme und an echter Anerkennung verloren gegangen ist. Ersatzwelten gibt es viele - manche finden nur im Kopf statt und können zu gespaltenen Persönlichkeiten führen. Manche werden real ausgelebt: auf dem Sportplatz, auf der Autobahn oder in Freizeitbeschäftigungen, wo vor allem mann mal wieder so richtig Mann sein, also die Sau rauslassen darf. Ersatzwelten bieten uns Romane, Kinofilme oder Videospiele mit zumeist einfachen Strickmustern, die uns trotzdem gefangen nehmen, deren eigene Logik wir verinnerlichen und weiterentwickeln. Wir tauchen ein in fremde Welten und kümmern uns nicht um unsere eigene. Dabei hätte die es bitter nötig. Andererseits ist es auch ein bißchen viel verlangt, nach entfremdeter Arbeit die Welt retten zu wollen. Wobei die Welterrettungsphantasien meist denselben entfremdeten Gedankengängen folgen, denen wir im Beruf ausgesetzt sind.

Technokratische Allmachtsphantasien eben. Entfremdete Arbeit ist nicht nur monotone Fließbandarbeit. Entfremdete Arbeit ist auch: Das Bedienen im Kaufhaus mit den Frauen als sozialer Leistung abverlangten freundlichen Lächeln selbst beim unhöflichsten Kunden. Arbeit im Büro nach genau festgelegten Verfahrensregeln, die jede individuelle und spontane Reaktion ausschließen sollen. Alles muß nach Vorschrift erfolgen; eigene Gedanken sind unerwünscht. Wer sich unseren Arbeitsalltag einmal genauer anschaut, mü,ßte eigentlich entsetzt sein, wie Menschen zum Wohle des Profits in der Tat genauso vernutzt werden wie ein Rohstoff bei der Herstellung eines Produkts.

Playlist :

Siouxsie : Clockface
Siouxsie : Hybrid
Siouxsie : Lunar Camel
Siouxsie : Christine
Siouxsie : Desert Kisses
Siouxsie : Red Light
Siouxsie : Paradise Place
Siouxsie : Skin
Siouxsie : Israel

 

Folge 7 18. September 2000 TBX06_10.ZIP
Halloween Folge 6
Froöhliche Weihnachten! Folge 8

Es mag sein, daß viele Fans ihren eigenen Okkultismus in der Musik von Siouxsie and the Banshees wiederfanden. Ich bezweifle aber, daß Magie und Okkultismus die typische Banshee-Musik ausgemacht haben. Gerade die beiden ersten Alben The Scream und Join Hands sind auf ihre Weise sehr politisch, aber eben auch düster, weil der Kapitalismus keine nette Angelegenheit ist. Daß Siouxsie and the Banshees der Gothic-Musik zugerechnet wurde, ist meines Erachtens eine Fehlinterpretation; und auch Siouxsie Sioux sah sich in einem späteren Interview nicht als Gothic Queen, zu der sie zuweilen gemacht wurde.

Zu Arabian Knights: Die Kritik an arabischen Gesellschaften und insbesondere an der Rolle von Frauen in diesen muß jedoch im Kontext der 70er Jahre gesehen werden. Spätestens seit dem sogenannten Ölschock von 1973 galten die Araber als diejenigen, die das westliche Zivilisationsmodell angreifen können. Die Ölwaffe und die Flugzeugentführungen palästinensischer Kommandos prägten gerade in den 70er Jahren ein Bild des arabischen Raums, der dem unterschwelligen Rassismus der westlichen Industriestaaten freien Lauf ließ.

Nun sind Frauen in den arabischen Ländern garantiert nicht die freiesten, zumindest im Vergleich zu Mitteleuropa. Aber - erstens gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den arabischen Staaten, zum Beispiel zwischen Algerien und Tunesien oder zwischen Saudi-Arabien und Libyen. Und zweitens sollten wir nicht so tun, als sei in Mitteleuropa die Frauenemanzipation verwirklicht. Die Frage muß daher gestellt werden, ob es sich bei der Kritik an den patriarchalen Strukturen in den arabischen Ländern um eine auf Emanzipation gerichtete Kritik handelt oder um ein Ventil, um den unterschwelligen Rassismus ausleben zu können.

Besprochen wird diese Frage anhand des Buches von Assis Djebar : Die Frauen von Algier, erschienen im Unionsverlag.

Playlist :

Die Roten Rosen : Alle Jahre wieder
Siouxsie : Israel
Siouxsie : Spellbound
Siouxsie : Into The Light
Siouxsie : Arabian Knights
Siouxsie : Halloween
Pat Benatar : Hit Me With Yer Best Shot
Dire Straits : Solid Rock
Die Roten Rosen : Jingle Bells

 

Folge 8 16. Oktober 2000 TBX06_10.ZIP
Sin In My Heart Folge 7
Liebe und Leidenschaft Folge 9

Die achte Folge wird von dem Thema handeln, das die Welt bewegt: Liebe und Leidenschaft. Liebe ist der Kleister, der diese Gesellschaft in ihrem Innersten zusammenhält. Eine gutorganisierte Ausbeutungsgesellschaft funktioniert nicht allein über das ökonomische Druckmittel Geld. Zuweilen hilft auch ein Repressionsapparat, der Demonstrantinnen und Demonstranten im Notfall auch zusammenschießen läßt. Weit hergeholt? Dann nehmt mal an einer 1. Mai-Demonstration in Istanbul teil. Oder hört euch an, was die Demonstrantinnen und Demonstranten gegen den IWF und Weltbank-Gipfel in Prag vor einigen Wochen erlebt haben. Oder bedenken wir, was in den nächsten Tagen passieren wird, wenn der nächste Castor-Transport aus Philippsburg losfahren sollte. Einfach irre: die blaßrosarot-olivgrüne Bundesregierung schützt und unterstützt die Atommafia. Manche Länder haben für so etwas ihre Polizei, manche setzen das Militär ein - das Prinzip ist dasselbe.

Doch Geld und Repression alleine reichen nicht aus, um eine komplexe globale kapitalistische Marktwirtschaft so richtig flutschen zu lassen. Ohne Ideologie ist Ausbeutung auf Dauer schwierig durchzusetzen. Menschen haben nämlich die unangenehme Eigenschaft zu denken; und manchmal denken sie sogar darüber nach, warum sie sich die alltäglichen Zumutungen gefallen lassen sollen. Und deshalb benötigen sie Werte und Normen, um die an sie gestellten Anforderungen auch so richtig gut zu finden. Leistung soll sich ja lohnen.

Zwar wird in Familien, Kindergärten, Kirchen und Schulen eine Menge dafür getan, die heranwachsenden Menschen davon zu überzeugen, daß sie die Werte und Normen dieser Gesellschaft freudig zu akzeptieren haben, aber - diese Überzeugungsarbeit, die auch heute noch von so mancher Tracht Prügel begleitet wird, führt nicht immer zum erwünschten Ergebnis.

Aber dafür gibt es ja noch den Militärdienst, der dazu beitragen soll, daß Männer die richtigen männlichen Werte verinnerlichen. Da mir die Bundeswehr erspart geblieben ist, nehme ich einfach frei nach dem bekannten Spruch "Ich kenne das Leben, ich bin im Kino gewesen" die im Film gezeigte Realität der Ausbildung im US-amerikanischen Militär zum Maßstab. Wenn ihr einmal genau hinschaut, werdet ihr feststellen, daß das militärische Ausbildungsprogramm dem entspricht, was eine gute Gehirnwäsche ausmacht: Auslöschen einer selbstbestimmten Individualität, freiwillige Unterordnung unter jeden noch so sinnlosen Befehl, Abtöten eigener Gefühle, Härte gegen sich selbst und gegen Andere.

Playlist :

Siouxsie : Sin In My Heart
Fehlfarben : Grauschleier
Siouxsie : Monitor
Siouxsie : Night Shift
Siouxsie : Head Cut
Siouxsie : Voodoo Dolly
Flying Lesbians : Frauen kommt her

 

Folge 9 20. November 2000 TBX06_10.ZIP
Love Stories Folge 8
Sie liebt mich - sie liebt mich nicht Folge 10

In der neunten Folge stelle ich das sechste Album von Siouxsie and the Banshees vor: A Kiss In The Dreamhouse aus dem Jahr 1982 - erklärtermaßen das Liebesalbum der Band. Es gibt den Vorwurf gegen die Band, ihre Wurzeln verlassen zu haben und kommerziell geworden zu sein. Steve Severin, der Bassist der Band, formulierte es einmal so: Wenn wir unsere Botschaft verbreiten wollen, müssen wir uns ein Stück weit auf das Musikbusiness einlassen. Wir können nun darüber streiten, ob dies unter kapitalistischen Bedingungen sinnvoll ist; wir können auch darüber diskutieren, ob sich mit dem Lauf der Zeit nicht doch das Sein ins Bewußtsein einschleicht, sprich: die Band die kapitalistischen Bedingungen zu ihren eigenen macht.

Aber wir sollten immer genau überlegen, was wir mit dem Begriff kommerziell meinen. Radio Darmstadt ist zum Beispiel ein nichtkommerzielles Lokalradio. Nichtkommerziell bedeutet hier - das sagt das Hessische Privatrundfunkgesetz - erst einmal nur die Abwesenheit von Werbung im laufenden Programm. Es gibt aber Vereinsmitglieder von RadaR, die unter kommerziell schon verstehen, wenn Menschen für die Arbeit zugunsten von Radio Darmstadt bezahlt werden.

Es gibt in der Tat diese Ethik, diesen Versuch, im allgemeinen kapitalistischen Dschungel eine reine Weste zu behalten. Sich nicht korrumpieren zu lassen, sich nicht zu verkaufen und sich nicht kaufen zu lassen. Da wir aber alle im Kapitalismus leben und selbstverständlich an anderer Stelle Geld verdienen müssen oder sonstwie finanziell unterstützt werden, ist es absurd, Inseln der geldlosen Glückseligkeit herbeizubeschwören, in denen alles angeblich rein und edel ist. Weder Radio Darmstadt ist diese Insel noch eine Band wie Siouxsie and the Banshees. Wer diese Reinheit dort hineinprojiziert, unternimmt nur den zum Scheitern verurteilten Versuch, sich selbst ein reines Gewissen in einer brutalen kapitalistischen, marktorientierten, alles verschlingenden Welt zu erhalten. Das reine Gewissen, wenn es überhaupt eins gibt, entsteht nicht in der Nische, sondern im Kampf gegen die Zumutungen einer kapitalistischen Gesellschaft.

Weder Siouxsie and the Banshees noch Radio Darmstadt haben aber den Anspruch, außerhalb dieser Wirklichkeit zu stehen. Wer die Band hören will, muß akzeptieren, daß sie sich ihre eigenen Grundlagen schafft, um gehört zu werden; wer Radio Darmstadt hören will, muß akzeptieren, daß bestimmte Arbeiten bezahlt werden müssen, damit die Infrastruktur für eine Sendung wie diese überhaupt erst geschaffen werden kann. Die Puristen mögen die Nase rümpfen, aber das Leben ist eben alles andere als pur. Wichtig ist allerdings, sich darüber zu verständigen; und wichtig ist auch, ein Bewußtsein davon zu haben, in welcher Gesellschaft wir leben, welchen Zwängen wir unterworfen sind, und warum wir uns in bestimmten Situationen für das Sich-Einlassen auf die Mechanismen der kapitalistischen Markt- und Profitlogik entscheiden.

Und dann ist es selbstverständlich auch möglich, mit Hilfe der Songs von Siouxsie and the Banshees Kapitalismuskritik zu betreiben, obwohl es sich um eine Band gehandelt hat, die mit ihren Songs Geld verdient hat und entsprechend aufgetreten ist. Der Inhalt ihrer Songs nämlich gibt genügend Stoff her, eben weil die Band sich der Verlogenheit dieser Gesellschaft und ihrer Marktgesetze bewußt war. Ich möchte diesen Gedankengang mit einem Gedanken von Karl Marx abschließen. Er schrieb hierzu 1844 in seiner Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie: "Man muß diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, daß man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!"

Besprochen wird parallel zur Vorstellung des Liebesalbums der Band das von Christoph Klotter im Psychosozial-Verlag herausgegebene Buch Liebesvorstellungen im 20. Jahrhundert.

Playlist :

Beatles : Love Me Do
Siouxsie : Cascade
Siouxsie : Green Fingers
Siouxsie : Melt!
Siouxsie : Obsession
Siouxsie : She's A Carnival
Siouxsie : Rhapsody
Beatles : All You Need Is Love

 

Folge 10 25. Dezember 2000 TBX06_10.ZIP
Nocturne Folge 9
Opfer Folge 11

Heute spiele ich das (bis zum Zeitpunkt der Sendung) einzige offizielle Live-Album der Band. Nach all der Weihnachtsromantik und der damit verbundenen gesegneten Verlogenheit wird es vielleicht doch wieder Zeit, auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen. 1983 schlossen Siouxsie and the Banshees einen neuen Plattenvertrag mit Polydor ab; und trotz aller zugestandenen künstlerischen Freiheit mußten sie natürlich ein Album abliefern. Nun gab es jedoch kein ausreichendes Material für ein neues Album; und so taten Siouxsie and the Banshees das, was jede gute Band in so einer Situation tun würde: sie produzierten ein Live-Album, das dann auch pünktlich zur Vorweihnachtszeit abgeliefert werden konnte.

Die Aufnahmen hierzu fanden am 30. September und 1. Oktober 1983 in der Royal Albert Hall in London statt. Das Album erschien unter dem Titel Nocturne und es setzt - und damit kommt Igor Strawinski ins Spiel - mit einem Zitat aus Le Sacre du Printemps ein.

Doch zunächst zum Titel Nocturne. Ein Notturno ist ursprünglich die Bezeichnung für eine Musikkomposition im Serenadenstil. Mozart beispielsweise schrieb mehrere Notturni teilweise in Form einsätziger Ständchen. Im 18. Jahrhundert verstand man dann unter Notturno hauptsächlich Instrumentalstücke für Streicher und Bläser. Im 19. Jahrhundert kam das Notturno in Opernszenen auf, die zur Nachtzeit spielten. Unter der französischen Bezeichnung Nocturne versteht man hauptsächlich die melancholischen, träumerischen Klavierstücke.

Alles andere als träumerisch oder melancholisch ist das Thema von Igor Strawinskis Le Sacre du Printemps. Hierbei handelt es sich um ein Ballett, bei dem ein paar alte Männer dem rituellen Tanz eines jungen Mädchens zuschauen, um es anschließend zu opfern. Denn der Gott des Frühlings muß ja freundlich gestimmt werden. Männerkumpanei eben. Frauen zu opfern, ist ja auch ganz normal. Nicht nur in Rußland, woher Strawinski seine Inspiration holte, sondern auch hier und heute. Um Opfer in verschiedenen Variationen geht es dann auch in Nocturne. Denn Siouxsie and the Banshees leiten direkt aus ihrem Zitat aus Le Sacre du Printemps auf ihr Weihnachtslied Israel über, das vielschichtig Täter und Opfer zusammenführt. Nicht nur, daß eine Textstelle direkt auf das christliche Abendmahl verweist, nämlich da, wo Wein in Blut verwandelt wird.

Sondern - wenn wir zu Weihnachten an all die Waisenkinder in aller Welt denken, dann benutzen wir sie auch noch, um uns dabei gut zu fühlen, wenn wir sie für uns unsere verlogenen Weihnachtslieder singen lassen. Nicht zu vergessen die Spendenbereitschaft, die gerade zu Weihnachten Rekordausmaße annimmt. Denn Weihnachten ist die beste Zeit, sich ein gutes Gewissen zu kaufen. Und wenn wir nicht an unseren Lebenslügen erstickt sind, dann lügen wir noch heute. Leben kann man und frau das ja nicht nennen.

Playlist :

Igor Strawinski : Le Sacre du Printemps (Auszug)
Siouxsie : Nocturne (Vinyl Seite A)
Roxy Music : Virginia Plain
Siouxsie : Nocturne (Vinyl Seite B)
Siouxsie : Nocturne (Vinyl Seite C)
Siouxsie : Nocturne (Vinyl Seite D)
Siouxsie : Circle
Siouxsie : Cocoon

 

 

Diese Seite wurde zuletzt am 20. September 2009 aktualisiert.
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©  Walter Kuhl 2001, 2009
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