Kapital Verbrechen |
20. Juli 1944 |
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IKatharina Mann : Am 20. Juli 1944, heute vor 61 Jahren, versuchte Claus Graf Schenk von Stauffenberg in einer militärischen Aktion, Hitler mit einer Bombe im Führer Die offizielle Blickrichtung der Bundesrepublik Deutschland war viele Jahre allein auf den 20. Juli 1944 gerichtet, wenn es um den antifaschistischen Widerstand in Deutschland ging. Widerstand war immer auch die Sache von Einzelnen, die bereit waren, für ihre politische, religiöse oder moralische Überzeugung Risiken für Leib, Leben, Gesundheit und Freiheit auf sich zu nehmen. Gerade im militärischen Lager kam der Widerstand spät. Er stand unter dem Wissen der vorwärtsrückenden Roten Armee und war stark bestimmt vom Gedanken, zu retten, was zu retten war. Der 20. Juli 1944 ist somit nicht der Widerstand gegen die Nazidiktatur, sondern ein Bestandteil von ihm als solches sollte das Datum politisch eingeordnet werden. |
IIWalter Kuhl : Wir müssen uns jedoch auch fragen, welche Motive die Gruppe um Stauffenberg hatte, Hitler zu töten und gegen die Nazis zu putschen. Und wir müssen uns fragen, welche Rolle nicht wenige Männer und auch manche Frauen des 20. Juli in den elf vorangegangenen Jahren gespielt haben. Bei der militärischen Verschwörergruppe um Stauffenberg wird sehr schnell deutlich, daß es sich nicht um Demokraten gehandelt hat. Insofern ist es bedenklich, möglicherweise gar typisch, daß sich das westdeutsche antifaschistische Selbstverständnis ausgerechnet auf diese Verschwörergruppe bezogen hat. Zunächst einmal handelte es sich um Militärs; und diese dachten streng militärisch. Am 6. Juni 1944 landeten die westlichen Alliierten in der Normandie und im Osten hatte anderthalb Jahre nach Stalingrad eine großangelegte russische Offensive begonnen, welche die Wehrmachtseinheiten nur noch vor sich her trieb. Die Militärs um Stauffenberg wußten: der Krieg war verloren. Die Nationalsozialisten, die elf Jahre lang sehr nützlich waren, um Deutschland zur imperialistischen Weltmacht aufzubauen, waren überflüssig geworden. Mehr noch: mit ihrem totalen Durchhaltewillen forderten sie die bedingungslose Kapitulation und Zerstörung Deutschlands geradezu heraus. Den Militärs ging es um die Aufrechterhaltung der gewonnenen diktatorischen und für das Kapital ungemein profitablen Ordnung. Werte wie Demokratie und Menschenrechte kamen dabei nicht vor. Bundesjustizministerin und Wahlkreiskandidatin Brigitte Zypries (SPD) weist in einer heute gehaltenen Rede darauf hin, daß der Anschlag auf Hitler trotz seines Scheiterns als "Ausdruck des Gewissens gegen das nationalsozialistische Unrechtssystem" von großer Bedeutung sei [1]. Erstaunlich nur, daß die Stunde dieses Gewissens erst dann schlug, als alles verloren war. Die Militärs und die mit ihnen konspirierenden bürgerlichen Kräfte setzten alles auf eine Karte. Nach einem erfolgreichen Militärputsch wollten sie versuchen, mit den westlichen Alliierten einen Separatfrieden zu schließen, um anschließend mit ihnen gemeinsam den Bolschewismus im Osten zu bekämpfen. Nein, das Gewissen schlug nicht, als Millionen Jüdinnen und Juden zuerst schikaniert, dann vom sozialen Leben ausgeschlossen und schließlich vernichtet wurden. Es schlug auch nicht, als die Wehrmacht bei ihrem brutalen Angriffskrieg gegen Polen und die Sowjetunion bei ethnischen Säuberungen, Massenerschießungen und einer Politik der verbrannten Erde mithalf. Das war den Verschwörern alles längst bekannt, als ihre Stunde des Gewissens am 20. Juli 1944 schlug. [2] Nein sie dachten an sich und ihre Rolle in einem Nachkriegsdeutschland. Und sie dachten daran, wie sie für all die Verbrechen der tausend Jahre zuvor nicht zur Verantwortung gezogen werden könnten. Die Millionen, die bei ihrer Kriegsführung krepierten, waren ihnen hingegen egal. Staatsministerin Christina Weiss erklärte letztes Jahr bei der Eröffnung der Ausstellung "20. Juli 1944 Vermächtnis und Erinnerung", daß das Gewissen der konservativ Doch als Hitler damit durchkam, verhielt sich auch das Militär ruhig. Es verhielt sich ebenso ruhig, als die Tschechoslowakei zerschlagen, Österreich einverleibt und Polen überfallen wurde. Natürlich gab es im Militär kritische Stimmen. Aber die kritischen Stimmen betrafen mehr Fragen von Strategie und Taktik; denn im Ziel war man sich einig. Der in den national Warum eigneten sich derartige Attentäter, die noch zu blöd waren, richtig zu putschen, als Symbolfiguren des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus im Nachkriegsdeutschland? Der Grund ist einfach: es war eine antikommunistische Elite, die der antikommunistischen Grundstimmung der 50er und 60er Jahre entsprach. Gleich und gleich gesellt sich gern. Ist es ein Zufall, daß ein Gewerkschafter wie Wilhelm Leuschner und ein Sozialdemokrat wie Julius Leber von den meisten Verschwörern nur ungern in einer zu bildenden Nachkriegsregierung geduldet wurden? Und ist es so merkwürdig, daß ernsthaft erwogen wurde, Hitler durch Himmler zu erstzen? Nein es zeigt, daß die Motivation dieser ehrenhaften Männer ganz sicher nicht in der Wiederherstellung einer demokratischen Ordnung lag. Umso bemerkenswerter, daß dieser Männer an jedem 20. Juli gedacht wird. Wenn sich die Bundeswehr inzwischen positiv auf derartige Verschwörer bezieht, dann läßt dies tief blicken. [5] |
ANMERKUNGEN |
[1] Pressemitteilung des Bundesjustizministeriums vom 20. Juli 1944: "Zypries würdigt Aufstand des Gewissens am 20. Juli 1944" |
[2] Nicht zu vergessen: Jugoslawien und Griechenland. |
[3] "Gottesfurcht statt Selbstvergottung" Rede der deutschen Staatsministerin Christina Weiss zur Eröffnung der Ausstellung "20. Juli 1944 Vermächtnis und Erinnerung" in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand |
[4] Selbst der jeder kritischen Darstellung unverdächtige Katalog zur Wanderausstellung des Militärischen Forschungsamtes "Aufstand des Gewissens Militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS |
[5] Siehe hierzu auch:
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