Von Ruinen und Hieroglyphen

Geschichte

 

 

SENDEMANUSKRIPT

 
Sendung :
Geschichte
Von Ruinen und Hieroglyphen
 
Redaktion und Moderation :
Walter Kuhl
 
gesendet auf :
Radio Darmstadt
 
Redaktion :
Alltag und Geschichte
 
gesendet am :
Freitag, 11. Januar 2002, 17.05–17.55 Uhr
 
wiederholt am :
Samstag, 12. Januar 2002, 03.05–03.55 Uhr
Samstag, 12. Januar 2002, 09.05–09.55 Uhr
 
 
Besprochene und benutzte Bücher :
  • Alfred Diwersy und Gisela Wand : Irak – Land zwischen Euphrat und Tigris, Gollenstein Verlag
  • Rüdiger Göbel, Joachim Guilliard und Michael Schiffmann (Hg.) : Der Irak – Ein belagertes Land, PapyRossa Verlag
  • Gerd–Christian Weniger : Projekt Menschwerdung, Spektrum Akademischer Verlag
  • Gabriele Wenzel : Hieroglyphen, Nymphenburger in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung
 
 
URL dieser Seite : https://www.waltpolitik.de/herstory/ge_ruine.htm
 
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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 : Einleitung
Kapitel 2 : Neolithische Revolution
Kapitel 3 : Irak – Land zwischen Euphrat und Tigris
Kapitel 4 : Hieroglyphen
Kapitel 5 : Gewinnfrage
Anmerkungen zum Sendemanuskript

 

Einleitung

Alltag und Geschichte auf Radio Darmstadt heute mit einer Geschichtssendung. Darin werde ich einen Bildband über den Irak vorstellen, der gleichzeitig viele schöne Bilder der Ruinenstätten der altmesopotamischen und arabischen Reiche enthält. Danach werde ich eine kleine Einführung in die ägyptischen Hieroglyphen geben und – es gibt dabei ein Buch zu gewinnen. Durch die Sendung führt Walter Kuhl.

Übrigens: Alltag und Geschichte gibt es auch im Internet unter www.alltagundgeschichte.de.

 

Neolithische Revolution

Der Irak ist nicht nur das von Saddam Hussein beherrschte Land und eins der möglichen neuen Opfer von George W. Bush und Joschka Fischer, sondern auch eine Region mit einer über fünftausendjährigen Kultur. Es ist das Land zwischen Euphrat und Tigris, weshalb es auch Zweistromland oder Mesopotamien – Land in der Mitte der Flüsse – heißt.

Die besondere Fruchtbarkeit des Bodens und der damit verbundene frühzeitige Wechsel einer Jäger– und Sammlerinnen–Kultur zum seßhaften Leben haben aus dem Zweistromland eine der Wiegen der westlichen Kultur gemacht. Regenfeldbau im bergigen Norden, im Altertum Sitz der kriegerischen Assyrer, und Bewässerungstechniken im Süden führten zu kultureller Blüte und den ersten bekannten zentralisierten Staaten und Reichen.

Gerd–Christian Weniger schreibt hierzu in seinem lesenswerten Essay Projekt Menschwerdung:

Der von Gordon Childe geprägte Begriff der neolithischen Revolution verkürzt die entwicklungsgeschichtlichen Vorgänge aus heutiger Sicht auf eine unzulässige Weise. Die Veränderung der Wirtschaftsform im Vorderen Orient, in China, Nordafrika oder später in Mittel– und Südamerika war ein über mehrere Jahrtausende ablaufender Prozeß, dessen Unumkehrbarkeit erst später feststand. Die neolithischen Techniken waren längst latent im kulturellen Gefüge des Paläolithikums [also der Altsteinzeit] angelegt, ohne allerdings ökonomisch bestimmend zu sein. Im späten Paläolithikum des Vorderen Orients begann dieser Prozeß vor etwa 15.000 Jahren mit der intensiven Nutzung von Wildgetreide, das an seinen natürlichen Standorten mit langstieligen Steinmessern geerntet wurde. Die Standorte wurden wahrscheinlich zunehmend durch ausgesätes Getreide angereichert und ergiebiger gemacht. Dabei handelte es sich um eine Landschaftspflege, die eine Steigerung der Erträge bewirkte und zugleich die Physiologie der Wildgetreidearten veränderte. [...]
Diese Landschaftspflege führte dann im Vorderen Orient vor etwa 11.000 Jahren zu einer kontinuierlichen Anpflanzung von inzwischen domestizierten Arten wie Einkorn, Emmer, Gerste, Linsen oder Erbsen. Der Wandel in der Nutzung der Umwelt war kein einmaliges historisches Ereignis, sondern vollzog sich, wenn auch mit zeitlichen Verschiebungen, in verschiedenen Bereichen der Welt. Wobei Tierhaltung und Feldbau keineswegs überall Hand in Hand gingen. Das kulturelle Grundmuster des Neolithikums [also der Jungsteinzeit] mit Seßhaftigkeit, Feldbau, Tierhaltung und Keramik konnte in verschiedenen Kombinationen auftreten. Von den Zentren, an denen der Übergang zum Neolithikum bereits vollzogen war, breitete sich diese Wirtschaftsform schnell weiter aus. Der Feldbau erlaubte die langfristige Besiedlung eines Lagerplatzes. [...]
Die Produktion der Nahrung erhöhte die Selbständigkeit und bot die Chance, ökonomische Reserven zu schaffen, um kritische Phasen im Jahresverlauf besser meistern zu können. [...] Trotzdem darf nicht übersehen werden, daß bereits zwei ungünstige Jahre nacheinander Ackerbau betreibende Gemeinschaften in eine ökonomische Krise stürzen konnten. Eine solche Krise erfuhr das Kerngebiet der Neolithisierung in Südwestasien vor etwa 8.000 Jahren. [...] Die neolithische Wirtschaftsform war aber längst in benachbarten Gebieten wie Anatolien oder dem nördlichen Teil Mesopotamiens, die von den Klimaveränderungen nicht berührt wurden, etabliert und weiterentwickelt worden. [...]
Mit der Seßhaftwerdung und der Umstellung der Ernährung ging [aber] nicht automatisch eine Verbesserung des Lebensstandards einher. Die ausgewogene Diät der Jäger wurde nun durch die in großen Mengen vorhandene, im Feldbau gewonnene pflanzliche Nahrung ersetzt. Dadurch wurde zwar der Energiehaushalt ausgeglichen – der Hunger konnte gestillt werden –, es fehlten jedoch häufig die dringend benötigten Vitamine und Spurenelemente. Bei einigen neolithischen Populationen resultierten daraus ein schlechter Gesundheitszustand und Mangelerkrankungen. Unverkennbar ging mit der Seßhaftwerdung eine stärkere Arbeitsbelastung einher. Insbesondere an den weiblichen Skelettresten können in vielen neolithischen Bevölkerungsgruppen verstärkt Streßmerkmale erkannt werden. Trotz der keineswegs einfachen Lebensbedingungen begann mit dem Neolithikum eine rasante demographische Entwicklung. [1]

Soweit Gerd–Christian Weniger. Was dann folgte: Die Bevölkerung nahm schnell zu, Städte entstanden, der Kampf um Ressourcen begann. Die Städte bewaffneten sich, kämpften gegeneinander, bis um etwa 2400 vor unserer Zeitrechnung der nächste Schritt vollzogen wurde: eine Stadt unterwarf sich alle anderen – das erste mesopotamische Großreich entstand mit Sargon von Akkad. Dies ist eine Entwicklung, die einige Jahrhunderte zuvor schon in Ägypten stattgefunden hatte und sich später in China wiederholen sollte.

 

Irak – Land zwischen Euphrat und Tigris

Doch kommen wir wieder auf den heutigen Irak zurück. Das Wirtschaftsembargo der zivilisierten westlichen Staaten– und Wertegemeinschaft kostet weiterhin unzähligen Kindern das Leben – seit Beginn des Embargos nach dem Zweiten Golfkrieg etwa eine halbe Million. Es fehlt an Medikamenten und Nahrungsmitteln. Immerhin ist es seit kurzem wieder möglich, in den Irak zu reisen, um historische Stätten und die heutigen Städte zu besuchen. Alfred Diwersy und Gisela Wand haben die Gelegenheit genutzt und können uns so einen kleinen Einblick in ein Land geben, das durch die beiden Golfkriege und das anschließende, gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichtete, Wirtschaftsembargo am Boden liegt. Allerdings gilt auch hier: wer über die nötigen Geldmittel verfügt, kann sich alles kaufen, trotz Embargos und trotz hoher Verschuldung des Landes.

Wer den Irak besuchen möchte, muß gegenwärtig noch den Weg über Amman [in] Jordanien nehmen. Man reist ab September, in den Wintermonaten, in denen es in Bagdad auch kühl sein kann, oder im warmen Frühjahr bis April. Vor Malaria braucht man sich, wie die Reiseunternehmer versichern, nicht mehr zu fürchten, besondere Schutzimpfungen sind nicht nötig. Dennoch nimmt man manches auf sich auf dieser Reise, denn man hat sich nicht zu einer Wellnesstour entschlossen und erwartet nicht, mit Komfort verwöhnt zu werden

schreiben Alfred Diwersy und Gisela Wand in ihrer Einleitung zu ihrem Irak-Buch, das insbesondere durch einen umfangreichen Farbbildteil besticht. Und sie fahren fort:

Im großen Überlandreisebus legt man die weite Strecke vom Flughafen Amman [...] durch die Syrische Wüste bis Bagdad in 12 bis 15 Stunden zurück. Die Busse klappern, sie sind aber klimatisiert, geräumig und weich gepolstert. Der 800 Kilometer lange Highway ist als lebensnotwendige Verbindung des Irak mit dem Westen breit ausgebaut und in gutem Zustand. Tankwagen und Taxis sind unterwegs. Besonders über diesen Ferntaxiverkehr kommen dringende Medikamente, auch westliche Bücher, Zeitungen und Zeitschriften, für Körper und Geist Lebenswichtiges also, ins abgekapselte Land. Wer über Dollar verfügt, heißt es, kann mittlerweile alles haben, auch PCs und moderne Software. Seit Oktober 2000 ist für den irakischen Außenhandel der Euro die Leitwährung. [2]

Alfred Diwersy und Gisela Wand haben auf fast 500 Farbfotos festgehalten, wie sie den Irak, die Menschen und die kulturellen Hinterlassenschaften der letzten fünftausend Jahre erlebt haben. Die Auswahl der Bilder und der Motive ist sicher eingeschränkt, logischerweise durch die Vorgabe ihrer organisierten Reisemöglichkeiten. Dennoch vermitteln ihre Bilder durchaus repräsentative Einblicke.

Besonders beeindruckt hat mich, welche architektonischen Meisterwerke mit simplen gebrannten Ziegelsteinen möglich gemacht worden sind. Denn Ziegelsteine sind der Baustoff, der praktisch unbegrenzt vorhanden ist. Man braucht nicht mehr als Lehm und Wasser und einen Brennofen. Auch der allgegenwärtige Saddam Hussein ist mehrfach verewigt; und man oder frau fragt sich, was kitschiger ist – Saddam Hussein im Militärkostüm vor einer Moschee kniend dargestellt oder die allgegenwärtigen Verlockungen kapitalistischer Heilsversprechungen auf Werbetafeln und Neonleuchten.

Imposant sind die Reste einer sassanidischen Palastruine mit einem riesigen Torbogen aus Ziegeln aus den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung genauso wie die restaurierten Tempeltürme Dur Kurigalzus oder im berühmten Ur in Chaldäa – oder die restaurierte Prozessionsstraße in Babylon. Saddam Hussein bezieht sich in seinen ideologischen Wurzeln durchaus auf das kulturelle Erbe des Zweistromlandes, weshalb einige der unzähligen Ruinenstätten auch sorgfältig wiederhergestellt worden sind.

Doch auch die architektonischen Zeugnisse der Kalifenzeit sind beeindruckend. Und zwischendurch immer wieder kurze Einblicke auf das Leben im heutigen Irak. Ein Schreiber etwa, der an einer alten Adler–Schreibmaschine, die für arabische Schrift ausgelegt ist, auf der Straße sitzt und gestochen scharfe Briefe tippt. Oder Innenansichten von Moscheen und Mausoleen, die bislang den Blicken westlicher Besucherinnen und Besucher entzogen waren. Zwar stellt sich nicht nur hier die Frage, wieviel Voyeurismus erlaubt ist, aber das ist das Problem jedes Bildbandes, der Menschen ablichtet. Dennoch kommt hier selten das Gefühl auf, man und frau sei unwillkommen gewesen. Die Irakis sind gastfreundlich und offen; und wer nicht fotografiert werden will, geht halt aus dem Bild.

Eher schon befremdet mich, daß ganz offensichtlich bewußt keine Position zur westlichen Politik gegen den Irak bezogen worden ist. Nun handelt es sich jedoch bewußt nicht um ein politisches Buch, so daß wir einfach einmal darüber hinwegsehen wollen und uns statt dessen aus Quellen informieren, die klar und deutlich sagen, was für eine Schweinerei das Embargo gegen den Irak und vor allem gegen die Menschen des Irak ist – wohlgemerkt mit Billigung unserer Menschenrechtsregierung in Berlin.

Ich empfehle hier das im PapyRossa Verlag erschienene Buch Der Irak – ein belagertes Land. Es macht deutlich, daß nicht Saddam Hussein, sondern dessen Untertanen das Ziel und Opfer des Wirtschaftsembargos sind. Wer Chemiebücher aus den Fenstern einer Universität wirft, um sie verbrennen, angeblich, um den Irak daran zu hindern, jemals wieder Massenvernichtungswaffen herzustellen, wer die Einfuhr von Medikamenten und Nahrungsmitteln verweigert, handelt nicht humanitär, sondern zynisch. [3]

Das, was dem Irak heute verweigert wird, war in den 80er Jahren ein lohnendes Geschäft. Das Giftgas, das Saddam Husseins Truppen mit westlicher Billigung auf die kurdische Stadt Halabja abließen, kam – Tradition verpflichtet! – aus Deutschland, und die Waffen für den vom Westen begrüßten Krieg gegen den Iran aus so ziemlich allen NATO–Staaten. Töten soll sich schließlich lohnen; vielleicht brauchen wir dazu Saddam Hussein deshalb nicht mehr, weil wir ja jetzt selbst überall auf der Welt nach dem Rechten sehen. Wenn dabei Tausende unschuldiger Menschen draufgehen – wie derzeit in Afghanistan –, was soll's? Stört doch Daniela Wagner, Jochen Partsch und Finn Kaufmann von der Orwell'schen Friedenspartei [4] nicht. Doch genug der – leider notwendigen – Polemik.

Die Welt ist zwar böse – doch: wer mehr über den Irak und seine Jahrtausende alte reiche Kultur erfahren möchte, mehr noch, wer dies auch visuell aufnehmen möchte, der oder dem empfehle ich den Bildband von Alfred Diwersy und Gisela Wand. Irak – Land zwischen Euphrat und Tigris ist im Gollenstein Verlag erschienen und kostet 49 Euro bzw. ab Februar [2002] 65 Euro.

 

Hieroglyphen

Ein gänzlich anderes Buch hat die Ägyptologin Gabriele Wenzel für uns geschrieben; und wer beim folgenden Beitrag genau hinhört, kann eins dieser Bücher gewinnen. Zum Schluß der Sendung stelle ich nämlich die Gewinnfrage.

Gabriele Wenzel hat ein Buch über ägyptische Hieroglyphen geschrieben, das wir nicht nur dazu nutzen können, den einen oder anderen altägyptischen Text zu verstehen, sondern auch, um damit spielerisch selbst Namen und Begriffe aufzuschreiben. Wir lernen also Schreiben und lesen wie die Pharaonen, und so lautet auch der Untertitel dieses bei Nymphenburger erschienenen Buches.

Gabriele Wenzel stellt uns jedoch nicht nur die Hieroglyphen und ihre Lautwerte vor, sondern bietet sozusagen einen kleinen Schulungskurs an, auf dessen Grundlage wir tatsächlich Grabsteine und Inschriften lesen und übersetzen können. Und das ist gar nicht so kompliziert, wie es scheint. Zwar hatten die alten Ägypter wesentlich mehr Zeichen als unser Alphabet, aber ganz offensichtlich haben auch sie sich selbst das Leben nicht allzu schwer gemacht und deshalb manche Texte mit zusätzlichen Zeichen versehen, um einen Hinweis darauf zu geben, was denn nun gemeint ist.

Die ägyptische Schreibschrift kam fast vollständig ohne Vokale aus - für die damaligen Menschen kein Problem, weil: sie wußten ja, wie das Wort ausgesprochen wird. Wir hingegen kennen zwar den Lautwert der Konsonanten; aber wie die Wörter dann tatsächlich ausgesprochen wurden, das bleibt wahrscheinlich das Geheimnis der Ägypterinnen und Ägypter. Das Deutsche wäre mit einer solchen Konsonantenschrift vollkommen aufgeschmissen, aber zum Glück haben die alten Griechen bei der Übernahme des phönizischen Konsonantenalphabets ein paar Vokale eingefügt. Ein Wort beispielsweise aus den beiden Lauten B und R könnte im Deutschen so völlig verschiedene Begriffe wie Ober, aber, Brei, Bauer, Bier, Bar, Bär, Eber oder Bayer bezeichnen. Aber auch in Ägypten waren solche Probleme nicht ganz unbekannt.

Auf diese Art wäre es kaum möglich, einen Satz zu lesen, vor allem dann, wenn er mehrere ungebräuchliche Wörter enthält. Zur Vermeidung solchen Unsicherheiten gibt es im Ägyptischen die Gruppe der Deutzeichen. Wie der Name schon sagt, werden sie nicht mitgesprochen, sondern zeigen nur die Bedeutungskategorie eines Wortes an. So wird hinter einem Männernamen ein auf dem Boden sitzender Mann abgebildet. Dasselbe Deutzeichen wird auch bei Männerberufen verwendet und steht dann hinter Wörtern wie Schreiber, Maler, Schreiner, Bauer oder Gärtner. Auf den Namen einer Frau, die Bezeichnung eines Frauenberufes oder auf Wörter wie Schwester oder Mutter folgt das Bild einer am Boden sitzenden Frau. Den Namen eines Gottes kennzeichnet meist auch das Bild eines sitzenden Gottes. Hinter Wörtern der Bewegung steht das Zeichen der laufenden Beine, hinter Wörtern, die etwas mit Licht oder Helligkeit zu tun haben, erscheint das Bild der Sonne etc. Allerdings gibt es – wie überall – leider auch Ausnahmen: Bei Wörtern, die besonders häufig vorkommen, wie z.B. sagen [DschD], schön [NFR] oder bei den Namen der wichtigsten Götter, wurde das Deutzeichen häufig einfach weggelassen. [5]

Und damit wir dann auch bei so vielen Zeichen durchblicken, erhalten wir nicht nur eine Übersicht der wichtigsten Deutzeichen, sondern auch ein ägyptisch–deutsches und ein deutsch–ägyptisches Wörterbuch. Denn neben den Deutzeichen und Zeichen, die einen einzelnen Laut wiedergaben, gab es auch Mehrkonsonantenzeichen oder gar Zeichen, die ein ganzes Wort ausdrückten. Aber auch hier behalfen sich die ägyptischen Schreiber mit Hilfskonstruktionen. Um sicherzustellen, daß ein solches Wortzeichen auch richtig ausgesprochen wird, haben sie zuweilen einfach die Schlußlaute dahintergeschrieben. Nehmen wir an, wir würden das Zeichen Brot für das Wort Brot schreiben, wollen aber sichergehen, daß wir Brot auch Brot aussprechen, dann setzen wir einfach hinter das Zeichen für Brot die Konsonanten R und T. Ein O, wie gesagt, gibt es ja nicht.

Die Schriftzeichen, mit denen die Ägypter ihre Sprache schrieben, bezeichnen wir heute als Hieroglyphen. Dieser Ausdruck stammt aus dem Griechischen, übersetzt lautet er heilige Vertiefungen. Die meisten ägyptischen Inschriften wurden in Stein gemeißelt, daher waren die Zeichen tatsächlich in den Stein vertieft. Die Ägypter selbst sprachen von den Hieroglyphen als medu-netscher, das heißt übersetzt Gottesworte, oder auch sesch en medu–netscher, zu Deutsch Schrift der Gottesworte.
Die frühesten Funde mit Schriftzeichen stammen [...] aus Abydos; sie datieren in die Zeit um 3400 bis 3300 [vor unserer Zeitrechnung]. Es handelt sich um kurze Vermerke aus wenigen Zeichen, die in Lautschrift den Inhalt eines Gefäßes, seinen Besitzer oder auch den Herkunftsort bezeichnen. Die Schrift wurde also nicht plötzlich erfunden; vielmehr entwickelte sie sich organisch aus der Notwendigkeit, Namen und Bezeichnungen bestimmter Orte oder Personen des zu dieser Zeit schon ausgedehnten ägyptischen Staatsgebietes notieren zu müssen. Es verging noch viel Zeit, bis das Schriftsystem so weit entwickelt war, daß sich damit auch komplexe Gedanken oder Vorgänge ausdrücken ließen. [6]

Ich sagte ja schon, daß wir meist nicht genau wissen, wie die einzelnen Wörter ausgesprochen wurden. Manchmal helfen uns Vergleiche mit anderen antiken Sprachen weiter, etwa wenn ein ägyptischer Königsname in akkadischer Keilschrift geschrieben wurde – der damaligen Diplomatensprache.

Da es bislang aber keine Möglichkeit gibt, den Vokalwert aller altägyptischen Wörter zu rekonstruieren, Ägyptologen die Wörter jedoch aussprechen wollen, hat man zu einer äußerst einfachen und leicht zu merkenden Hilfskonstruktion gegriffen: Man fügt zwischen zwei Mitlauten einfach ein E ein. [7]

Und so würden wir bei meinem Beispiel mit den Lauten B und R also die Lesung ber erhalten, die sicherlich auf keines der im Deutschen passenden Wörter zutrifft; am ähnlichsten ist noch das Wort Bär. Aber so ist das eben. Und dennoch – eben durch diese Annäherung an eine mögliche tatsächliche Aussprache machen wir aus toten Buchstaben lesbare und sprechbare Wörter.

Hieroglyphen schrieb man (und es waren tatsächlich nur Männer, die als Schreiber tätig waren) vorwiegend auf Stein, aber auch auf alle anderen verfügbaren Materialien. Und so auch auf Papyrus.

Die älteste erhaltene Papyrusrolle stammt bereits aus der 1. Dynastie [um 2900 vor unserer Zeitrechnung]. Sie wurde im Grab eines hohen Beamten entdeckt und war offenbar unbeschriftet. Erstaunlicherweise ist die Technik der Papyrusherstellung weder durch altägyptische Texte noch durch Darstellungen überliefert. Sie konnte jedoch mit Hilfe der – allerdings nicht ganz exakten – Schilderung des römischen Historikers Plinius des Älteren und durch moderne Untersuchungen rekonstruiert werden. Nach der Ernte der großen Stengel schälte man diese und zerteilte sie in ungefähr 40 Zentimeter lange Stücke. Das freigelegte Mark schnitt man daraufhin in hauchdünne Längsstreifen und legte sie dicht nebeneinander, so daß eine geschlossene Fläche entstand. Anschließend wurde eine zweite Schicht rechtwinklig darüber gebreitet. Das Ganze wurde nun getrocknet, geklopft und vor allem stark gepreßt. Durch besondere, in der Pflanze enthaltene Stoffe klebten die einzelnen Streifen dabei fest aneinander.
Die auf diese Weise entstandenen Papyrusblätter wurden zum Schreiben noch geglättet, um eine völlig ebene Schreibfläche zu erzielen. Anschließend klebte man, je nach Bedarf, mehrere Blätter aneinander, um längere Streifen zu erhalten, auf denen dann auch größere Erzählungen Platz hatten. Ein ägyptisches Buch bestand daher nicht aus einzelnen zusammengehefteten, sondern aus nebeneinander geklebten Streifen. Zur Aufbewahrung rollte man die Papyri zusammen, steckte sie in schützende Hülsen und legte diese in ein Tongefäß oder in einen Kasten, um sie in den jeweils zuständigen Archiven zu lagern. Der längste erhaltene ägyptische Papyrus, eine umfangreiche Sammlung medizinischer und kosmetischer Rezepte aus dem Neuen Reich, ist 42 Meter lang.
Als Schreibgeräte dienten Binsenstengel, deren unteres Ende man durch Kauen pinselartig ausfranste. Die für den Großteil der Texte übliche schwarze Tusche gewann man aus Ruß und Gummi Arabicum, die bei Überschriften oder Hervorhebungen verwendete rote Farbe bestand hauptsächlich aus Ocker. [8]

Gabriele Wenzel hat also in ihrem Buch über Hieroglyphen nicht nur eine Übersicht über einzelne Zeichen und ein Wörterbuch geschrieben, und dazu ein paar praktische Übungen eingestreut – nein, wir erfahren selbstverständlich auch etwas über den kulturellen Hintergrund und dabei auch, daß die Kenntnis des Schreibens fest in der Hand der ägyptischen Männer lag. Nicht nur in Mesopotamien, auch in Ägypten wurden Frauen weitestgehend aus allen relevanten Positionen und Entscheidungen herausgehalten.

Und wer jetzt immer noch nicht weiß, was er oder sie mit diesem Buch anstellen kann – ich finde, es ist ein auch ästhetisch schönes Geburtstagsgeschenk.

Hieroglyphen - Schreiben und lesen wie die Pharaonen von Gabriele Wenzel ist bei Nymphenburger erschienen, das Buch kostet etwa 20 Euro. Oder ihr beantwortet mir gleich meine Frage zu einem Detail aus dem Buch, das ich gerade genannt habe, dann könnt ihr dieses Buch auch gewinnen. Dazu gleich mehr.

 

Gewinnfrage

Zum Schluß eine Übersicht über die in dieser Sendung genannten oder besprochenen Bücher.

Der Essay Projekt Menschwerdung von Gerd–Christian Weniger ist letztes Jahr im Spektrum Akademischer Verlag erschienen und vielleicht die beste Einführung in die Evolutionsgeschichte des Menschen, die derzeit verfügbar ist.

Über die Auswirkungen des Wirtschaftsembargos gegen den Irak informiert das ebenfalls letztes Jahr geschriebene Buch Der Irak – ein belagertes Land aus dem PapyRossa Verlag. Wer dieses Buch gelesen hat, hat eine Ahnung davon, warum die USA und ihre NATO–Verbündeten nach dem Krieg gegen Afghanistan weitere Kriege führen werden: ganz bestimmt nicht aus humanitären Gründen.

Die ehemalige US–Außenministerin Madeleine Albright, die immer mal wieder werbewirksam für das UN–Flüchtlingshilfswerk im Fernsehen tanzt, hat ja schon Mitte der 90er Jahre erklärt, daß eine halbe Million toter Kinder im Irak völlig in Ordnung gehen. Diese Kinder sind sozusagen die Kollateralschäden imperialistischer Politik. Von der ermordeten Zivilbevölkerung in Afghanistan im Zuge der Vertreibung der Taliban und der Wiedereinsetzung anderer reaktionärer Kräfte redet ja auch kaum einer oder eine.

Der Irak hat jedoch auch anderes zu bieten, und seien es die Kunst– und Bauwerke der Babylonier, Assyrer oder der Kalifen, eingefangen in dem druckfrischen und in seinen Motiven zuweilen überraschenden Bildband von Alfred Diwersy und Gisela Wand. Irak – Land zwischen Euphrat und Tigris ist im Gollenstein Verlag erschienen und kostet derzeit noch 49 Euro, ab Februar [2002] allerdings 65 Euro, also 16 Euro mehr.

Und schließlich lernen wir Schreiben und lesen wie die Pharaonen. Gabriele Wenzel führt uns damit in die ägyptischen Hieroglyphen ein. Ihr Buch mit eben diesem Titel – Hieroglyphen – ist bei Nymphenburger zum Preis von umstellungsbedingten 20 Euro 41 herausgekommen. Und wer dieses Buch nicht kaufen, sondern gewinnen möchte, sollte mir folgende Frage beantworten: Wie alt ist die älteste erhaltene Papyrusrolle?

Na gut, ich gebe euch eine Chance – machen wir multiple choice: Ist die älteste erhaltene Papyrusrolle

A5300 Jahre B4900 Jahre
C3400 Jahre D2900 Jahre

alt?

Ihr könnt jetzt anrufen unter der 87 00 100 oder mir die Antwort auf meine Voice–Mailbox bei Radio Darmstadt aufsprechen. Deren Telefonnummer lautet 87 00 192. Vergeßt dabei nicht Namen und Rückrufnummer. Ein Fax tut's natürlich auch – hier lautet die Nummer 87 00 111. Oder ihr schickt mir eine Email an geschichte@alltagundgeschichte.de. [9]

Überhaupt könnt ihr unter www.alltagundgeschichte.de erfahren, welche Sendungen in den nächsten Tagen aus unserer Redaktion zu hören sind.

Diese Sendung wird in der Nacht von Freitag auf Samstag um 3 Uhr und morgens nach dem Radiowecker um 9 Uhr wiederholt. Die nächste Sendung von Alltag und Geschichte könnt ihr am Montag um 17 Uhr hören. Thema ist der russische Krieg in Tschetschenien. Ich habe über diesen Krieg und seine Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung mit der französischen Journalistin Anne Nivat gesprochen, die einige Monate inkognito in Tschetschenien gelebt hat. Das fand der russische Geheimdienst überhaupt nicht witzig, der schließlich auch darüber wacht, daß das russische Informationsmonopol (oder sollte ich sagen: Desinformationsmonopol?) unangetastet bleibt.

Jetzt gleich folgen die Lokalnachrichten und anschließend der KultTourKalender mit Petra Schlesinger. Für die Redaktion Alltag und Geschichte auf Radio Darmstadt verabschiedet sich Walter Kuhl.

 

 

ANMERKUNGEN

 

[1]   Gerd–Christian Weniger : Projekt Menschwerdung, Seite 130–131
[2]   Alfred Diwersy und Gisela Wand : Irak – Land zwischen Euphrat und Tigris, Seite 25
[3]   Siehe hierzu meine Besprechung des Buchs.
[4]   Lokale Exemplare der Grünen Menschenrechtspartei.
[5]   Gabriele Wenzel : Hieroglyphen, Seite 46
[6]   Wenzel, Seite 7
[7]   Wenzel, Seite 19
[8]   Wenzel, Seite 25–27
[9]   Unnötig zu erwähnen, daß ein nachträglicher Anruf oder ein Fax vollkommen sinnlos wären.

 

 

Diese Seite wurde zuletzt am 16. Dezember 2005 aktualisiert.
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