Geschichte

Ausstellungen

 

SENDEMANUSKRIPT

In der Sendung vom 14. August 2006 sprach ich über drei Ausstellungen in Speyer, Bonn und Hamburg zum Persischen Weltreich, zu den Neandertalern und zu Frida Kahlo

 

 

Sendung :

Geschichte

Ausstellungen

 

Redaktion und Moderation :

Walter Kuhl

 

gesendet auf :

Radio Darmstadt

 

Redaktion :

Alltag und Geschichte

 

gesendet am :

Montag, 14. August 2006, 17.00–18.00 Uhr

 

wiederholt am :

Montag, 14. August 2006, 23.10–00.10 Uhr
Dienstag, 15. August 2006, 08.00–09.00 Uhr
Dienstag, 15. August 2006, 14.00–15.00 Uhr

 
 

Besprochene und benutzte Bücher :

  • Das Persische Weltreich, Theiss Verlag
  • Roots – Wurzeln der Menschheit, Verlag Philipp von Zabern
  • Frida Kahlo, Hirmer Verlag

 
 

URL dieser Seite : https://www.waltpolitik.de/herstory/ge_austl.htm

 

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 : Einleitung

Kapitel 2 : Perser

Kapitel 3 : Griechen

Kapitel 4 : Eiszeiten

Kapitel 5 : Neandertaler

Kapitel 6 : Frida Kahlo

Kapitel 7 : Schluß

Anmerkungen zum Sendemanuskript

 

Einleitung

Jingle Alltag und Geschichte

In der heutigen Sendung der Redaktion Alltag und Geschichte werde ich die Kataloge bzw. Begleitbände zu drei Ausstellungen vorstellen, die derzeit in Speyer, in Bonn und in Hamburg zu sehen sind. Zunächst werde ich auf die Ausstellung Das Persische Weltreich eingehen, die noch bis zum 29. Oktober 2006 im Historischen Museum der Pfalz Speyer geöffnet hat. Anschließend geht es um eine Spurensuche. Die Ausstellung Roots – Wurzeln der Menschheit setzt ihren Schwerpunkt auf den Neandertaler. Sie ist noch bis zum 19. November 2006 im Rheinischen Landesmuseum in Bonn zu betrachten. Und schließlich möchte ich auf eine Ausstellung zu Frida Kahlo hinweisen, die bis zum 17. September 2006 im Bucerius Kunst Forum in Hamburg angeschaut werden kann. Durch die Sendung führt Walter Kuhl.

 

Perser

Besprechung von : Historisches Museum der Pfalz Speyer (Hg.) – Das Persische Weltreich, Theiss Verlag 2006, 260 Seiten, € 29,90, ab 1.2.2007: € 39,90, Museumsausgabe € 24,90

Noch bis zum 29. Oktober 2006 ist im Historischen Museum der Pfalz Speyer die Ausstellung Das Persische Weltreich zu betrachten. Es handelt sich hierbei um die erste große Persien–Ausstellung im deutschsprachigen Raum, was möglicherweise etwas damit zu tun hat, daß das Reich der Achämeniden in der abendländischen Tradition, welche sich auf das klassische Griechenland und Rom stützt, nicht so gut weggekommen ist.

Wir sind nämlich zu weiten Teilen auf die griechische Überlieferung angewiesen, da schriftliche Quellen aus dem Perserreich selbst nur in geringem Maße vorhanden sind. Die griechische Überlieferung wiederum ist alles andere als vorurteilsfrei. Schließlich hatten zwei Perserkönige versucht, die griechischen Stadtstaaten auf dem griechischen Festland dem großen Reich zwischen dem heutigen Rumänien und Indien einzuverleiben.

Katalog Das Persische WeltreichDie Geschichte des ersten Perserreiches beginnt Mitte des 6. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung und von dieser Geschichte und ihren künstlerischen Hinterlassenschaften handelt die Ausstellung, zu der im Theiss Verlag das Begleitbuch erschienen ist.

Nach etwa zweieinhalb Jahrtausenden schriftlich faßbarer Geschichte bestand das Gebiet des sogenannten Fruchtbaren Halbmonds aus nur noch zwei großen Reichen: dem Ägypten der Pharaonen und dem Neubabylonischen Reich der Nachfolger Nebukadnezars. Was zweieinhalb bis drei Jahrtausende zuvor als eine Ansammlung vieler kleiner Stadtstaaten oder Fürstentümer begonnen hatte, führte nach jahrhundertelangen Kriegen zu einer immensen Machtkonzentration.

Die Assyrer des 7. Jahrhunderts waren die ersten, die den gesamten Halbmond beherrschten, doch sie waren nicht in der Lage, dieses riesige Imperium auch zusammenzuhalten. Das Assyrerreich wurde am Ende des 7. Jahrhunderts durch eine gemeinsame Aktion der Meder und der Babylonier zerstört. Das medische Kernland lag im Westen des heutigen Iran, während das Neubabylonische Reich im südlichen und mittleren Irak konzentriert war. Ob die Perser nun Untertanen der Meder waren, wie die griechische Überlieferung besagt, oder eine von Anfang an unabhängige aufstrebende Macht am Persischen Golf, ist derzeit nicht zu entscheiden. Jedenfalls besiegte der erste historisch faßbare Perserkönig Kyros die Meder und begann mit dem Aufbau zur größten Weltmacht, welche die Erde bis dahin gesehen hatte.

Es gibt ein altes delphisches Orakel, eines, was auch gerne zitiert wurde im klassischen Griechenland, welches dem in der heutigen Westtürkei regierenden Lyderkönig Kroisos weissagte, ein großes Reich werde zerstört werden, wenn er den Grenzfluß Halys, den Roten Fluß, also den heutigen Kızılırmak mitten in Anatolien überschreite. Diese geradezu klassische Prophezeiung ist eine Legende, die besagt, daß das Delphische Orakel interpretationsbedürftig ist; und so etwas läßt sich natürlich zur Herrschaftssicherung oder zur Durchsetzung bestimmter Ziele instrumentalisieren – vor allem, wenn man das Orakel zuvor gekauft hatte. [1]

Der uns geläufige Kyros ist die gräzisierte Form des Namens Kurusch, der möglicherweise nicht einmal persischen, sondern elamischen Ursprungs ist. Das kleinere Reich Elam koexistierte mit einigen Unterbrechungen seit den frühen Stadtstaaten Mesopotamiens mit den angrenzenden Rivalen und lag am nördlichen Ausläufer des Persischen Golfs an der heutigen irakisch–iranischen Grenze, und zwar im iranischen Teil. Es spricht einiges dafür, daß die persische Kultur von der elamischen beeinflußt war.

Kyros, so die griechische Überlieferung, besiegte Kroisos im Jahr 546 [2], bevor er sieben Jahre später von der Marduk–Priesterschaft ohne Widerstand in Babylon empfangen wurde. Vorausgegangen waren innerbabylonische Machtkämpfe zwischen König Nabonid und der Priesterschaft, die hoffte, unter Kyros ihre alten Privilegien zurück erhalten zu können. In der Bibel erscheint dieser Kyros als religiös toleranter Herrscher, was jedoch eine nachträgliche Projektion zu sein scheint.

Religiöse Verfolgungen waren in den altorientalischen Reichen nämlich nicht üblich, allenfalls wurden Götterstatuen entführt, um die besiegte Macht auch sinnbildlich ohne den Schutz ihrer Götter und Göttinnen zu lassen. Wenn Kyros nun erlaubte, daß die nach Babylon entführten jüdischen Kultgegenstände wieder nach Jerusalem zurückgebracht werden durften, dann handelte er im Einklang mit dieser Tradition. Toleranz bedarf als Begriff seines Gegenparts; doch religiöse Intoleranz als der Maßstab, an dem Toleranz zu messen wäre, war den damaligen Gesellschaften fremd.

Kyros' Nachfolger Kambyses eroberte Ägypten, scheint sich jedoch mit der persischen Aristokratie überworfen zu haben. Er starb während der Rückkehr aus Ägypten und hierließ ein Machtvakuum. Über den genauen Verlauf der nachfolgenden Ereignisse informiert uns dessen Nachfolger Dareios, doch gibt es gute Gründe, diese Darstellung anzuzweifeln, die er an die Felswand von Bisutun hatte anbringen lassen. Offensichtlich hatte Dareios ein Legitimationsproblem, so daß anzunehmen ist, daß er auf nicht legalem Weg an die Macht gekommen ist. So betrachtet ist es geradezu erstaunlich, daß die auf Dareios folgende Dynastie nie in Frage gestellt worden ist.

Schon Kyros hatte bei der Eroberung des Lyderreiches die griechischen Städte an der ägäischem Küste gleich mit unterworfen. Unter Dareios versuchten diese Städte, ihre Unabhängigkeit wiederzugewinnen; und dies unternahmen sie mit Hilfe ihrer griechischen Verbündeten auf dem Festland. Wobei wir uns das nicht so vorstellen müssen, daß die Griechen vom Freiheitsdrang beseelt waren; sondern es handelte sich um eine Auseinandersetzung innerhalb der griechischen Poleis zwischen der mit den Persern zusammen arbeitenden Aristokratie und dem Demos, der gegen die Aristokraten die griechischen Demokratien zu Hilfe rief. Dies führte dann zur Auseinandersetzung zwischen Griechenland und Persien, wo Dareios zur Sicherung seines westlichen Machtbereiches die griechischen Stadtstaaten zu bestrafen gedachte. Das delphische Orakel, bestens informiert über die militärische Macht der Perser, empfahl vorsichtshalber, keinen Widerstand zu leisten. Gemäß antiker Militärtradition wurden Feinde, die sich freiwillig unterwarfen, in der Regel geschont, jedoch Städte, die Widerstand leisteten, erbarmungslos zerstört, die Männer getötet und die Frauen vergewaltigt und versklavt.

 

Griechen

Einen wichtigen Baustein der abendländischen Tradition und Überlegenheit bildet der heroische Kampf der Athener und Spartaner, denen es in mehreren Schlachten tatsächlich gelang, den übermächtigen persischen Gegner zu besiegen. Man und frau darf hierbei jedoch nicht vergessen, daß griechische Heere aus in der Regel bestens gedrillten Kadertruppen bestanden, wohingegen das persische Heer aus einer militärstrategisch nur ungenügend integrierten Ansammlung einzelner Verbände aus den verschiedenen Teilen des großen Reiches zusammengesetzt war. Jedenfalls wurde der griechische Sieg zum Mythos aufgebauscht, der für den nächsten zweieinhalb Jahrtausenden das Motiv der westlichen Überlegenheit über den Osten zu begründen half.

Schon der Makedonenkönig Alexander griff hierauf zurück, um sich anderthalb Jahrhunderte später als Rächer der Griechen aufzuspielen und die Perser unter Dareios III. anzugreifen.

Das Bild des letzten Achämenidenkönigs ist bis heute vor allem dadurch bestimmt, dass ihn viele als unfähigen Gegenspieler des großen Alexander ansehen. Dabei wird nicht nur die Voreingenommenheit mancher der allein auf uns gekommenen griechischen Zeugnisse übersehen, sondern auch kein ernsthafter Versuch unternommen, die Motive des Großkönigs für sein Handeln zu ergründen. Ein solches Bemühen kann etwa erweisen, dass Dareios sehr wohl eine überlegte und nachvollziehbare militärische Abwehrstrategie verfolgte. Dass er die Schlachtfelder von Issos [333] und Gaugamela [331] vorzeitig verließ, ist zu Recht damit erklärt worden, dass der Tod oder gar die Gefangennahme des Königs, des von den Göttern eingesetzten Garanten der weltlichen Ordnung, von den Untertanen eher als Trauma empfunden denn als Auszeichnung angesehen worden wäre und dass allein der Großkönig selbst die gestörte Ordnung wiederherstellen, nur er den weiteren Widerstand organisieren konnte. [3]

Wobei bei dieser Einschätzung schon anzumerken wäre, daß es den normalen Untertanen wohl ziemlich egal war, wer ihr Herrscher war. Somit scheint auch diese Einschätzung allenfalls für ein kleinen Teil der persischen Gesellschaft zuzutreffen.

Entscheidend war jedoch, daß Alexander wie kaum ein Feldherr vor und nach ihm militärstrategisch in der Lage war, den Zusammenhang zwischen begrenzter Truppenzahl und effizienter Kriegsführung zu begreifen. Das Perserreich ist somit nicht, wie oftmals behauptet, an seinen inneren Schwächen zugrunde gegangen. Selbst Alexander benötigte zur Eroberung des Persischen Reiches elf Jahre.

Erst aus der Rückschau erscheint sein Sieg leicht, hat die Perserherrschaft ihr längst überfälliges Ende gefunden. In Wirklichkeit hatte es keinen stetigen Niedergang, auch keine existenziellen Krisen gegeben […:]. [4]

Wenn ich in der bisherigen Darstellung vornehmlich die persischen Herrscher erwähnt habe, dann verweist dies auf zwei miteinander zusammenhängende Dinge. Zum einen trägt die Ausstellung in Speyer den Untertitel Pracht und Prunk der Großkönige, gibt sich also als ein Spiegel der herrschenden Klasse. Das liegt jedoch nicht zuletzt daran, daß die Fundsituation extrem einseitig ist. Es gibt wenige Hinterlassenschaften, welche uns ein genaueres Bild von den Lebensbedingungen von Bäuerinnen, Händlern oder Sklaven aufzeigen könnten. Viele Schriftquellen sind entweder aufgrund natürlicher Vergänglichkeit oder der Zerstörung des zentralen Palastarchivs in Persepolis durch Alexander verloren gegangen.

Deshalb ist es fraglich, ob das in manchem durchscheinende positive Frauenbild, das in der herrschenden Klasse vorzufinden ist, tatsächlich repräsentativ für den Rest der Gesellschaft war. Mir scheint, hier handelt es sich um ein ähnliches Phänomen, wie die Emanzipationsbestrebungen von Frauen aus der Aristokratie oder dem frühen Bürgertum zu Beginn der bürgerlichen Gesellschaft, denen es aufgrund ihrer materiellen Ressourcen möglich war, zumindest teilweise aus dem Vorgaben einer männlich dominierten Gesellschaft auszusteigen.

Dennoch handelt es sich bei der Ausstellung über Das Persische Weltreich um eine sinnvolle, wenn nicht gar notwendige Korrektur eines lang eingeübten Geschichtsbildes. Der Begleitband zur Ausstellung führt deshalb tiefer in die Materie ein. Er erlaubt uns hierbei anhand ausgewählter Detailuntersuchungen auch eine ideologiekritische Auseinandersetzung mit der Mythologie der heutigen wie auch der antiken griechischen und persischen Geschichtsschreibung.

Zahlreiche Rekonstruktionen machen es uns auch sinnlich erfahrbar, wie antike Paläste tatsächlich ausgesehen haben mögen und wie sie auf die Besucherinnen und Besucher gewirkt haben könnten, die sich dann ganz klein vorgekommen sein müssen. Bekanntlich finden wir nur selten antike Funde in ihrer farblichen Pracht wieder. Die computergestützten Rekonstruktionen sind allerdings auch nur als Annäherung zu verstehen, sie sind jedoch – wie im Begleitband vermerkt wird – keinesfalls willkürlich, sondern entsprechen dem heutigen Stand der Erkenntnis.

Überhaupt ist der Begleitband sehr schön aufgemacht. Der Band geht zudem näher auf das effektiv organisierte Verwaltungssystem ein, führte uns in den Stand der damaligen Metallverarbeitung ein, aus welcher ja so manches Prunkstück entstanden ist. Weiterhin wird auf das Perserbild der antiken Griechen näher eingegangen wie auch auf die persische Schrift und Religion. Und schließlich gibt der Katalog Antworten auf die Frage, wie in einem solch großen Reich eine sprachliche Verständigung überhaupt möglich war..

Zwei marginale Ungenauigkeiten sind nicht wirklich störend, sollten jedoch erwähnt werden. Bei der Auflistung der persischen Könige auf Seite 19 fehlt Artaxerxes III. (358-338). Und der zweite Versuch von Xerxes I., Griechenland zu unterwerfen, fand sein Ende im Jahr 479 nicht auf der Ebene von Marathon, sondern beim böotischen Plataiai.

Die Ausstellung Das Persische Weltreich ist noch bis zum 29. Oktober 2006 im Historischen Museum der Pfalz Speyer zu sehen. Weitere Informationen bietet die Webseite www.museum.speyer.de.

Der Begleitband zur Ausstellung ist im Theiss Verlag erschienen, hat 260 Seiten mit vielen farbigen Abbildungen und kostet in der gebundenen Buchhandelsausgabe 29 Euro 90 [ab 1.2.2007: € 39,90]. Die broschierte Museumsausgabe ist im Rahmen der Ausstellung fünf Euro günstiger zu erwerben.

 

Eiszeiten

Besprechung von : Gabriele Uelsberg und Stefan Lötters – Roots // Wurzeln der Menschheit, Verlag Philipp von Zabern 2006, 360 Seiten, € 34,90, ab 1.1.2007: € 39,90

Vor einhundertfünfzig Jahren fanden Arbeiter in einem Steinbruch zwischen Düsseldorf und Wuppertal einige Knochen, die eher durch Zufall als Hinterlassenschaften einer frühmenschlichen Art erkannt wurden. Mitte des 19. Jahrhunderts war der Stand der Wissenschaft noch nicht so entwickelt, daß fossile Funde als selbstverständlich betrachtet wurden. Charles Darwin mußte erst noch seine Evolutionstheorie veröffentlichen, doch selbst dann wurde der Neandertaler noch lange nicht vorbehaltlos als frühmenschlicher Fund anerkannt.

Katalog Roots150 Jahre Neandertaler aus dem Neandertal (es gab schon vorher Neandertaler-Funde, die aber erst später als solche erkannt wurden) war für das Rheinische Landesmuseum in Bonn ein willkommener Anlaß, den heutigen Stand der Erkenntnis zu präsentieren. Herausgekommen ist hierbei nicht nur die Ausstellung Roots – Wurzeln der Menschheit, die noch bis Mitte November zu sehen ist, sondern zudem ein eindrucksvoller Katalog.

Die Paläoanthropologie ist nicht nur die Wissenschaft über die frühen Menschen, sondern auch eine Wissenschaft, die mit gewissen Tücken zu kämpfen hat. Während es bei derzeit lebenden Tieren oder Pflanzen relativ einfach ist, Arten voneinander zu unterscheiden, fehlen für diese Unterscheidung in der Frühzeit wichtige Erkenntnisse. Wenn eine (tierische) Art dadurch definiert ist, daß eine Fortpflanzung außerhalb der Art nicht möglich ist, dann ist dies eine Prämisse, die bei einzelnen Knochenfunden nur schwer verifizierbar ist. Wir müssen uns hierbei vergegenwärtigen, daß wir für einen Zeitraum von mehreren Millionen Jahren gerade einmal ein paar tausend Funde haben; Funde, die von einem Teil eines Zahnes bis hin zu einem komplexen Skelett reichen können. Streng genommen also im Durchschnitt für jedes Jahrtausend ein einzelnes Fundstück.

Das ist – statistisch betrachtet – sehr wenig. Und dann ist es schon erstaunlich, wie viele Informationen wir aus wie wenig Fundmaterial erhalten können. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, daß wir auch auf andere Quellen zurückgreifen können. So sind zum Beispiel die Eiszeiten und ihr Verlauf durch astronomische Ereignisse [5] oder durch Pflanzen– und Tierfunde relativ genau nachzuvollziehen, auch wenn so manches Detail noch nicht eindeutig zuzuordnen ist.

Wir wissen also schon, unter welchen Lebensbedingungen die meisten der hinterbliebenen 220 Neandertaler gelebt haben. Es waren vorzugsweise Jäger; die Nahrung bestand wohl weniger aus pflanzlichen Bestandteilen. Sie hatten bessere Lebensbedingungen in mäßig kalten Zeiten als in wärmeren, was daran lag, daß sie als Jäger in kälteren Zeiten mehr tierische Biomasse vorfanden, die wiederum dann so freundlich war, an bekannten Stellen im Frühjahr und Herbst Flüsse zu überqueren oder Ebenen zu durchstreifen.

Auch wenn die 360 Seiten des Katalogs viele Informationen bieten, so sollten wir vorsichtig gegenüber Rekonstruktionsversuchen sein, wie sie uns insbesondere visuell in Fernseh–Dokumentationen begegnen. Immer eingedenk der Tatsache, daß wir nicht einmal wissen, wieviele Menschen es wirklich vor zwei Millionen oder vor 20.000 Jahren gegeben hat, und auch nicht wissen, was sie wirklich gedacht haben, geben diese Darstellungen meist nicht mehr als das in Bild und Ton geronnene Urteil und Vorurteil der Produktionsteams wieder.

Wir können beispielsweise begründet vermuten, daß die Neandertaler zu artikulierter Sprache in der Lage waren. Dennoch wissen wir nicht, seit wann der Mensch diese Fähigkeit entwickelt und wie er sie tatsächlich eingesetzt hat. Es gibt Hinweise auf Steinverarbeitung vor über zwei Millionen Jahren. Dennoch wissen wir nicht, ob es sich um einen Zufall handelt, daß dieser Stein so behandelt aussieht, oder ob wir ab etwa dieser Zeit von einer systematischen Benutzung von Steinwerkzeugen ausgehen können. Auch die Frage, wann das Feuer selbst erzeugt (und nicht durch Blitzschlag entzündet) und genutzt wurde, ist strittig und offen.

Die Autorinnen und Autoren des Katalogs zur Ausstellung Roots – Wurzeln der Menschheit sind jedoch ehrlich genug, diese Problematiken einzugestehen; dennoch gehen sie offensiv damit um. Sie erzählen uns eine Geschichte, wie sie – vorbehaltlich neuer Funde und damit einhergehender Erkenntnisse – derzeit formuliert werden kann. Und wenn ich mit dem Beispiel begann, daß schon die Frage schwierig zu beantworten ist, ob wir verschiedene Menschenarten auffinden können, dann handelt es sich hierbei um das erste offen formulierte Eingeständnis. Es gibt derzeit hierzu verschiedene Denkmodelle, die im Katalog durchgespielt werden, damit auch die interessierte Öffentlichkeit nachvollziehen kann, warum bestimmte Erkenntnisse als relativ wahrscheinlich angesehen werden können.

Demnach ist zum Beispiel der Neandertaler kein direkter Vorfahre des heutigen Menschen. Aber die Vorfahren aller Menschen stammen aus Afrika. Wahrscheinlich war es die Entwicklung von Steinwerkzeugen, welche die Menschen ein wenig unabhängiger von natürlichen Umgebung in den afrikanischen Savannen gemacht hat. Erst dadurch war es dem Menschen möglich, auch andere Kontinente mit anderen klimatischen Bedingungen aufzusuchen. Wir müssen berücksichtigen, daß zu Beginn der Eiszeit vor etwas mehr als zwei Millionen Jahren sich das Klima weltweit regional anders dargestellt haben kann als heute. So wurden ja erst vor etwa drei Millionen Jahren Nord– und Südamerika miteinander verbunden. Der Begriff Eiszeit ist jedoch relativ zu verstehen, denn es gibt ja keine absolute Wärmeskala, nur die menschliche Definition.

Innerhalb der seit rund zweieinhalb Millionen andauernden Eiszeit dauerten die meisten Warmzeiten nur 10.000 bis 15.000 Jahre. Würde die kapitalistische Industrialisierung nicht verantwortlich sein für einen allmählichen Treibhauseffekt, dann könnten wir statistisch davon ausgehen, daß die derzeitige Warmzeit in einigen Jahrtausenden ihrem Ende entgegen geht. Der über die Jahrhunderttausende feststellbare Wechsel zwischen wärmeren und kälteren Perioden war vor allem in Mitteleuropa und Nordamerika besonders ausgeprägt.

 

Neandertaler

Der Klimawandel mit Beginn der Eiszeit hat auch in Afrika seine Spuren hinterlassen. Als die Menschen begannen, sich von ihren affenähnlicheren Vorfahren zu unterscheiden, gab es noch einen breiteren Regenwaldgürtel im tropischen Afrika von der West- bis zur Ostküste. Vor zweieinhalb bis drei Millionen Jahren verringerte sich die Oberflächentemperatur des Nordatlantiks und ließ das damalige afrikanische Monsunsystem zusammenbrechen, mit direkten Folgen für das tropische Ökosystem. Allerdings wären Zusammenhänge zwischen diesen klimatischen Umbrüchen und der Entwicklung des Menschen derzeit noch rein spekulativ.

So wie der Stammbaum des Menschen aufgrund relativ weniger Funde nur ansatzweise nachvollziehbar ist, ist auch die Frage nach dem Aussterben des Neandertalers alles andere als wirklich geklärt. Wenn die mit der DNA–Analyse einzelner Neandertaler verbundenen Hypothesen stimmig sind, dann ist der Neandertaler kein Vorfahr des heutigen Menschen. Allerdings ist hierbei innerhalb der Wissenschaft strittig, ob die fast schon explosionsartig zunehmende kulturelle Entwicklung beim Übergang vom Neandertaler zum Jetztmenschen vor rund 35.000 Jahren den aussterbenden Neandertalern oder den neu eingewanderten modernen Menschen zuzuschreiben ist.

Wir wissen auch nicht, auf welche Weise sich die beiden Menschenarten begegnet sind. Haben sie sich überhaupt als unterschiedlich wahrgenommen? Konnten sie sich verständigen? Sicher ist, daß zumindest im Nahen Osten beide Arten über mehrere Jahrzehntausende zeitlich nebeneinander existierten. Dennoch stellt sich die Frage, ob sie dann auch jeweils zur selben Zeit am selben Ort lebten oder ob es aus klimatischen oder anderen Gründen regelrechte Wanderwellen gab – mal waren die einen da, mal die anderen. Wir reden schließlich über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehntausenden. Und damit kommen wir zur Frage, wo die Neandertaler in Europa geblieben sind.

Nicholas Conard [6] geht in einem Beitrag des Katalogs über die letzten Neandertaler und die ersten modernen Menschen auf der Schwäbischen Alb davon aus, daß die modernen Menschen sowohl höhere technologische Fertigkeiten als auch aus einer größeren Population bestanden. Dennoch ist mir dabei nicht klar, wie dies das Aussterben des Neandertalers begründen soll. Das Denkmodell funktioniert nämlich nur, wenn nachgewiesen werden kann, daß der Lebensraum für beide Gruppen einfach zu klein war und nicht genügend Nahrungsmittel hergegeben hat.

Eine richtig kalte Periode begann aber erst nach dem archäologisch faßbaren Aussterben der Neandertaler, wird also kaum der Grund dafür gewesen sein. Wir reden hier nicht von Millionen, sondern vor einigen hundert, vielleicht auch zweitausend Menschen im gesamten Mitteleuropa [7] – das ist in etwa die Bevölkerunfsdichte, von der wir ausgehen müssen. Ein technologischer Vorsprung sollte sich demnach aufgrund ausreichender Ressourcen für alle nicht dramatisch auswirken. Schließlich handelten die Menschen nicht nach denselben gewinnmaximierenden Kriterien wie der moderne Homo Oeconomicus; sie gingen also mit sich und ihrer Umwelt ganz anders um als wir.

Ein anderes Modell, das Wighart von Koenigswald präsentiert, hilft hier vielleicht weiter. Er geht davon aus, daß Arten, die in einem lokalen Raum leben, in Zeiten der Klimaverschlechterung sich nicht mehr zurückziehen können, weil die Biotope schon von anderen Arten belegt sind:

Die Populationen florierten in Mittel– und Westeuropa, solange die Bedingungen günstig waren. Wenn sie sich – nach Jahrtausenden – wieder verschlechterten, dürften die meisten Arten lokal wieder ausgestorben sein. Denn ein Abwandern im großen Stil ist unwahrscheinlich, weil die Biotope in den (noch) günstigeren Gebieten durch andere Populationen besetzt waren. [8]

Wenn nun weiterhin die Neandertaler zusammen mit bestimmten jagbaren Tieren der – wie Wighart von Koenigswald sie benennt – Waldelefantenfauna in wärmeren Perioden eingewandert sind, dann fragt sich, was passiert ist, als die Waldelefantenfauna am kälteren Klima zugrunde ging. Sind die Neandertaler wieder in den Süden Europas gezogen oder mangels Nahrung in einem lokalen Gebiet ausgestorben? Und was passierte, als der moderne Mensch sich von Afrika kommend nach Norden bewegte? Sind die Neandertaler gar einmal zuviel von Spanien nach Mitteleuropa gewandert und haben keine Artgenossen im Süden hinterlassen, die nach der darauf folgenden Eiszeit wieder den Weg nach Norden hätten finden können?

Was auch immer geschah: weder war ein Massenmord der modernen Menschen an den Neandertalern vonnöten noch sind sie genetisch im vordringenden modernen Menschen aufgegangen. Vielleicht ist es einfach so gewesen, daß die Neandertaler das Pech hatten, mit der falschen ökologischen Nische untergegangen zu sein. Fragen, zu denen der Katalog zur Ausstellung Roots – Wurzeln der Menschheit inspiriert.

Dennoch sollten Fragestellungen, die sich an der Klimaentwicklung der Eiszeit orientieren, mit Vorsicht zu betrachten sein. Menschen sind soziale Wesen; und die Funde der Vergangenheit belegen ein sehr soziales Verhalten. Daraus ist zu folgern, daß Neandertaler genauso wie die frühen modernen Menschen in der Lage waren, ihre Probleme kognitiv anzugehen und kommunikativ zu lösen. Viele Fragen werden wir daher vorerst einmal nicht beantworten können. Zeitreisen in die Vergangenheit sind nun einmal Science Fiction.

Die Ausstellung Roots – Wurzeln der Menschheit ist noch bis zum 19. November im Rheinischen Landesmuseum in Bonn zu sehen. Weitere Informationen hierzu gibt es auf der Webseite www.roots2006.lvr.de.

Der Katalog zur Ausstellung ist im Verlag Philipp von Zabern herausgekommen. Er hat einen Umfang von 360 Seiten und kostet 34 Euro 90 [ab 1.1.2007: € 39,90]. [9]

 

Frida Kahlo

Besprechung von : Ortrud Westheider und Karsten Müller (Hg.) – Frida Kahlo, Hirmer Verlag 2006, 176 Seiten, € 29,90

Frida Kahlo gilt zweifellos als die bedeutendste lateinamerikanische Künstlerin. Es ist schwer, sich der Wirkung ihrer Malerei zu entziehen; eine Wirkung, die darauf beruht, daß sie fast schon exhibitionistisch an der Verarbeitung eines Traumas gearbeitet hat. Im Herbst des Jahres 1925 wurde die damals 18jährige durch einem Unfall schwer verletzt. Während der langen Genesungszeit beginnt Frida Kahlo zu malen. So zumindest lautet die bis heute vorherrschende, fast schon hagiografisch zu nennende Darstellung.

Katalog Frida KahloMit der Frida Kahlo–Ausstellung im Bucerius Kunst Forum in Hamburg wird nun der Versuch unternommen, diese Mythisierung als eine Selbstinszenierung der Künstlerin zu begreifen. Demnach geht es weniger um die Verarbeitung der Schrecken, die mit diesem Unfall verbunden waren und an deren Folgen Frida Kahlo zeitlebens litt. Vielmehr ist es der performative Akt, sich selbst vermittels ihrer Bilder als Ikone in den Vordergrund zu stellen. Elisabeth Bronfen schreibt hierzu in dem im Hirmer Verlag erschienenen Katalog zur Ausstellung:

Wäre der Unfall am 17. September 1925 nicht passiert, Frida Kahlo hätte ihn erfinden müssen – stellt der Zusammenstoß einer Straßenbahn mit dem Bus, in dem die junge, angehende Medizinstudentin saß, doch den Ausgangspunkt ihrer Legendenbildung dar. […]
Infolge ihrer traumatischen Verletzung, die ihr die Aufnahme des geplanten Medizinstudiums unmöglich machte, ist Frida Kahlo nämlich die Gestaltung jener Künstlerpersona gelungen, die sie im Zeichen eines Martyriums zum Star des internationalen Kunstbetriebes werden ließ. Die bewusst zur Schau gestellte Schönheit ihrer Erscheinung bezog zusätzlichen Charme nicht nur daraus, dass sie immer im Bezug auf ihre körperliche Behinderung inszeniert wurde. Kahlo hat zudem geschickt Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen gewusst, indem sie den Unfall in ihren Bildern als ein mythisches Zeichen übersetzte. [10]

Dieser Star–Kult unterscheidet sich durchaus von der Beliebigkeit heutiger massenmedialer Projektionsflächen. Und doch ist der Kult um Frida Kahlo als ein frühes Beispiel für diesen Starrummel zu sehen; ein Kult übrigens, den die Künstlerin bewußt genährt hat. Star–Legenden – so fährt Elisabeth Bronfen im Anschluß an Roland Barthes fort– leben davon, daß an ihnen Wünsche ausgelebt werden können, die im Alltag gar nicht erfüllt werden. Dieser

medial erzeugte Starkörper und die an ihm festgemachte Phantasie des Startums – Erfolg, Glamour, Abenteuer, Luxus und eine Portion tragische Fügung – werden zur Projektionsfläche für Wünsche, die sowohl das Publikum wie die Person, die sich zum Star umgestalten lässt, zu erfüllen suchen. [11]

Stars übertönen üblicherweise die reale Person. Das Image macht den Star unsterblich und kümmert sich nicht um die Sterblichkeit des Menschen. Die damit verbundene visuelle Logik wird nun von Frida Kahlo aufgegriffen, die jedoch gar nicht erst versucht, das Bild der zur Ikone transformierten Malerin abzuschütteln.

Im Gegenteil: Die Übertragung ins Bild wird von ihr explizit als Bedingung ihres Ruhms dargestellt. Die persönliche Geschichte ist von dem am versehrten Körper verhandelten Starimage nie zu trennen. [12]

Deshalb, so Elisabeth Bronfen, sei es verfehlt, hinter den vielen Selbstporträts und Fotografien eine authentische Person entdecken zu wollen. Denn die Bilder sind das Authentische. Mit den Bildern verschafft sich die reale Person eine eigene Autorität, und die eigene Autorität verschafft den Bildern ihr Image. Sie definiert sich als Kunstkörper. Dadurch, daß sie ihr Innenleben bedingungslos preisgibt, verwandelt sie die Öffentlichkeit in eine Bühne für ihr künstlerisches Projekt – und das künstlerische Projekt ist die Malerin selbst.

Naiv war sie ganz sicherlich nicht und sie war auch nicht künstlerisch so unbedarft, wie sie gerne dargestellt wird. Zu diesen Inszenierungen gehört die Legende, daß der Surrealist André Breton 1938 nach Mexiko kam, um dort festzustellen, daß die Künstlerin Frida Kahlo ihr Werk unabhängig von den westeuropäischen Entwicklungen geschaffen habe. Dieser demnach autodidaktische Surrealismus geistert bis heute durch die Kunstgeschichte. Doch es läßt sich anhand mehrerer Beispiele zeigen, daß Frida Kahlo sehr wohl Kenntnis vom aktuellen Kunstschaffen in Europa gehabt haben muß. Diesen Zusammenhang herzustellen, ist ein Anliegen der Frida Kahlo–Ausstellung in Hamburg, die daher nicht nur die Werke der Malerin zeigt, sondern auch die Verbindungslinien.

Frida Kahlos ins Phantastische gesteigerter Realismus, ihre verstörende Kombination von Motiven, ihre Montagetechniken und Diskontinuitäten – zwischen innen und außen, groß und klein, indigenen und industriellen Elementen – stehen in enger Beziehung zu den europäischen Avantegardebewegungen ihrer Zeit: der Pittura Metafisica, dem Dadaismus, dem Surrealismus und der neuen Sachlichkeit. [13]

Schreibt Ortrud Westheider, die Künstlerische Leiterin des Bucerius Kunst Forums.

Nun sind in der Tat die im Katalog wiedergegebenen Verbindungslinien eindeutig. Dennoch besteht ein Unterschied zwischen einer visuell dargebotenen suggestiven Kausalität und einer durch belegbare konkrete Zusammenhänge hergestellten Argumentation. Natürlich hat Frida Kahlo bei ihren Aufenthalten in New York genügend Anregungen aus Europa mitnehmen können, selbstverständlich war sie im Gespräch mit Künstlerinnen und Künstlern der europäischen und US–amerikanischen Avantgarde, und ganz offensichtlich waren die Kunstkataloge in ihrem Haus nicht nur Staubfänger.

Dennoch stellt sich die Frage, ob die Malerin sich bewußt eines europäischen Bildes bemächtigt hat, um etwas eigenes zu kreieren, oder ob sie einfach nur aus ihrer Erinnerung zitiert. Leider bleiben die vier Autorinnen und der Autor des Kataloges hier eher vage, was jedoch, wie ich hinzufügen möchte, keineswegs gegen das mit der Ausstellung verbundene Anliegen spricht, Frida Kahlo auch künstlerisch gerecht zu werden. Noch einmal in den Worten von Ortrud Westheider:

Es ist erstaunlich, dass die Forschung diese Tatsache bisher ausgeblendet hat und statt dessen der falschen Fährte André Bretons folgte. Bei allem, was Frida Kahlo aus ihrem mexikanischen Erbe schöpfte, richtete sie ihr Werk an den international relevanten Positionen ihrer Zeit aus. Es wird höchste Zeit, ihre Kunst auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung in diesen Kontext zu stellen. [14]

Ob hierzu auch die Ausführungen von Bettina Gockel zählen sollten, die der Frage nachgehen, ob sich Frida Kahlo auch als Schamanin inszeniert hat, möchte ich offen lassen. Es ist sicher möglich, auch eine solche Verbindungslinie herzustellen. Ob sie jedoch real existiert hat, läßt sich meiner Meinung nach nicht alleine über die Interpretation von Gemälden und Fotografien aufzeigen.

Wie dem auch sei: Erstmals seit der Ausstellung in der Frankfurter Schirn 1993 ist es nun gelungen, den größten privaten Leihbestand an den Werken Frida Kahlos nach Deutschland zu holen. Ihr Ehemann Diego Rivera hatte nach seinem Tod verfügt, daß die heute zum mexikanischen Nationalerbe zählenden Werke im Frida Kahlo–Museum Mexiko nicht verlassen dürfen. Womit auch gesagt ist, daß viele wichtige Exponate nur vor Ort in Mexiko betrachtet werden können.

Die Ausstellung zu Frida Kahlo ist noch bis zum 17. September 2006 im Bucerius Kunst Forum in Hamburg zu betrachten. Weitere Informationen hierzu bietet die Webseite www.buceriuskunstforum.de.

Den Katalog zur Ausstellung hat der Hirmer Verlag herausgebracht; er hat 176 Seiten mitsamt der Abbildungen der ausgestellten Exponate und kostet 29 Euro 90.

 

Schluß

Jingle Alltag und Geschichte –

heute mit einigen ausführlicheren Hinweisen zu drei Ausstellungen, die derzeit in Speyer, in Bonn und in Hamburg zu sehen sind. Es handelt sich hierbei um die Ausstellung Das Persische Weltreich in der Pfalz Speyer, um die Neandertaler–Ausstellung Roots – Wurzeln der Menschheit in Bonn und um die Frida Kahlo–Ausstellung in Hamburg.

Diese Sendung der Redaktion der Redaktion Alltag und Geschichte wird in der Nacht von Montag auf Dienstag um 23.00 Uhr, am Dienstagmorgen nach dem Radiowecker um 8.00 Uhr und noch einmal am Dienstagnachmittag ab 14.00 Uhr wiederholt.

Am kommenden Montag ist auf diesem Sendeplatz Niko Martin mit der Sendereihe Hinter den Spiegeln zu hören. Es folgt nun eine Sendung der Kulturredaktion von Radio Darmstadt. Am Mikrofon war Walter Kuhl.

 

 

ANMERKUNGEN

 

[1]   Michael Maaß: Das antike Delphi. Orakel, Schätze und Monumente, Theiss Verlag [1997]

[2]   Robert Rollinger : Ein besonderes historisches Problem: Die Thronbesteigung des Dareios und die Frage seiner Legitimität, in: Das Persische Weltreich, Seite 41–53. Das Datum der Eroberung Lydiens ist womöglich nicht so klar, wie es bislang schien.

[3]   Josef Wiesehöfer : Von Kyros dem Großen bis zu Alexander dem großen. Eine kurze Geschichte des Achämenidenreiches, in: Das Persische Weltreich, Seite 21–27, Zitat auf den Seiten 26 bis 27.

[4]   Wiesehöfer Seite 27.

[5]   Die Sonneneinstrahlung wird durch die Ellipsenbahn der Erde, die Neigung der Erdachse und die Präzession (Taumelbewegung) bestimmt, berechnet durch den Mathematiker Milanković.

[6]   Nicholas J. Conard : Die letzten Neandertaler und ersten midernen Menschen auf der Schwäbischen Alb, in: Roots – Wurzeln der Menschheit, Seite 227–242

[7]   Wighart von Koenigswald : Lebendige Eiszeit [2002], Seite 164. Die Zahl 2000 für die Zeit vor dem letzten Hochglazial beruht auf einer Schätzung von A. Zimmermann [1996]. Umgerechnet bedutet dies eine Siedlungsfläche von mindestens 100 Quadratkilometern pro Person, gewiß ausreichend als Ernährungsgrundlage.

[8]   Wighart von Koenigswald : Die Tierwelt als Schlüssel für die Umwelt des frühen Menschen in Mitteleuropa, in: Roots – Wurzeln der Menschheit, Seite 91–100, Zitat auf Seite 94.

[9]   Dem Buch liegt eine Eintrittskarte zur Ausstellung bei.

[10]   Elisabeth Bronfen : Das Wunder des verwundeten Körpers. Frida Kahlo, eine mexikanische Diva, in: Frida Kahlo, Seite 22–31, Zitat auf Seite 22.

[11]   Bronfen Seite 25.

[12]   Bronfen Seite 25.

[13]   Ortrud Westheider : Frida Kahlo und die Avantgarde in Europa. Pittura Metafisica, Dadaismus, Neue Sachlichkeit und Surrealismus, in: Frida Kahlo, Seite 10–21, Zitat auf Seite 10.

[14]   Westheider Seite 20.

 

 

Diese Seite wurde zuletzt am 15. Dezember 2007 aktualisiert.

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