Sonja Vogel

Reisen in das Land der Kriege

(Rezension)

 

 

SENDEMANUSKRIPT

 
Rezension :
Reisen in das Land der Kriege
 
Redaktion und Moderation :
Sonja Vogel
 
gesendet auf :
Radio Darmstadt
 
Redaktion :
Alltag und Geschichte
 
gesendet am :
Mittwoch, 24. September 2003, 19.00–21.00 Uhr [1]
 
wiederholt am :
Donnerstag, 25. September 2003, 01.00–03.00 Uhr
Donnerstag, 25. September 2003, 10.00–12.00 Uhr
 
 
Besprochenes Buch :
Kurt Köpruner : Reisen in das Land der Kriege, Diederichs Verlag
 
 
URL dieser Seite : https://www.waltpolitik.de/takeover/rezsonjk.htm
 
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REZENSION VON SONJA VOGEL

 

Reisen in das Land der Kriege

Kurt Köpruners Reisen in das Land der Kriege – Erlebnisse eines Fremden in Jugoslawien gibt Einblick in die Geschehnisse auf dem Balkan ab 1990, dem Beginn der Sezessions– und Bürgerkriege, bis zum "Kosovokrieg" 1999. Köpruner zeichnet sehr plastisch die Zerschlagung Jugoslawiens nach und zeigt die Auswirkungen der fatalen Politik der Westmächte, speziell der deutschen und österreichischen, aus einer zunächst politisch–unbedarften Sichtweise auf. Besonders eindrucksvoll wird die Diskrepanz zwischen der westeuropäischen Berichterstattung und vor Ort Erlebtem.

Als Manager eines österreichischen Maschinenbauunternehmens bereiste Kurt Köpruner ab 1990 vielfach das ehemalige Jugoslawien. Er, der den Balkan nur aus westlichen Presseberichten kannte, machte dabei erstaunliche Erfahrungen. Durch viele Bekanntschaften und unzählige Gespräche, fand er sich schließlich in einem politischen Kontext wieder, der so gar nicht dem entsprechen mochte, was die heimischen Politiker sagten, die Medien kolportierten und mit ihnen die meisten Menschen. An die Stelle anfänglicher, etwas hilfloser Naivität – etwa der Überzeugung, die EU würde Nationalisten generell (also auf allen Seiten) ausbremsen und neue kriegerische Grenzziehungen zu verhindern wissen – tritt mit der Zeit ernüchternde Erkenntnis. Die EU hat nichts verhindert. Im Gegenteil. Gegen internationalen Widerstand erkannten Deutschland und Österreich die jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien und Kroatien an – und setzten so die Spirale der blutigen Sezessions– und Bürgerkriege in Gang.

Reisen in das Land der Kriege ist in drei große Abschnitte unterteilt, die chronologisch die Stadien der Kriege von Kroatien 1991 bis Kosovo 1999 nachzeichnen.

Der erste Teil widmet sich dem Krieg in Kroatien. Hierin finden sich bewegende Berichte, etwa über die sogenannte "dalmatinische Kristallnacht" – ein von offiziellen Stellen organisiertes anti-serbisches Pogrom im Mai 1991, im Zuge dessen in der Stadt Zadar 116 serbische Wohn– und Geschäftsräume niedergebrannt und ausgeplündert wurden. Oft schreibt Köpruner seine ersten Gedanken auf solche und ähnlich lautende Berichte nieder: So könne es nicht gewesen sein steht da,

so etwas wäre bei uns im Fernsehen gekommen, mindestens in einer Zeitung hätte ich darüber wenigstens eine kleine Notiz lesen müssen, wo doch täglich auch über viel unspektakulärere Zwischenfälle in Jugoslawien berichtet wurde. Über hundert Geschäfte zu zerstören, ohne dass die Polizei dieses sich über einen vollen Tag hinziehende Spektakel stoppte, das ist völlig ausgeschlossen.

Und auch der Leser denkt, während er stockend weiterliest: "Völlig ausgeschlossen." Aber so war es. Auf diese Art und Weise, anhand präziser Menschenzeichnungen und fragmentarischen Erzählungen, bekommt man Stück für Stück ein Kroatien vor Augen geführt, wie man es vom hiesigen Medientenor her nicht kannte - ein nationalistisch–verblendetes Kroatien, das rücksichtslos und unter den schützenden Händen der deutschen und österreichischen Politelite Jagd auf alles Jugoslawische machte.

Der nächste Teil steht im Zeichen des Bosnienkrieges, einem Krieg der aufgrund von Bosniens traditioneller Multiethnizität nur besonders grausam sein konnte. Im Kapitel Anmerkung zur Architektur eines Krieges wird aufgezeigt, wie westliche Medienagenturen systematisch Falschinformationen streuten um Rückhalt für ihre Interventionen in der Bevölkerung zu sichern. Über die angeheuerten PR–Agenturen heißt es:

Offenbar genügt es, komplexe Vorgänge geschickt mit emotionsgeladenen Bildern zu versehen, die Rolle von Gut und Böse in der gewünschten Weise klar zuzuordnen, und wenn dieses Gebräu erstmal in den Köpfen verankert ist, prallt jede andere Darstellung ab. Seit dem erfolgreichen Engagement von Ruder Finn und anderen Agenturen derselben Art war praktisch die ganze Welt davon überzeugt, was man bei uns in Österreich und Deutschland schon längst wusste: Die Serben sind Bestien.

Dementiert wurde in dieser Propagandaschlacht manchmal auch – allerdings erst, wenn bereits erfolgreich Stimmung gemacht worden war.

Im dritten und letzten Teil geht es um die Vorgeschichte des Kosovokonfliktes, der schließlich im März 1999 im 79–tägigen NATO–Dauerbombardement auf Serbien und Montenegro endete. Detailliert werden die Verhandlungen von Ramboulliet nachgezeichnet und jene westliche Spitzfindigkeit, die nicht zuletzt der deutschen Regierung die ungeteilte Zustimmung der MenschenrechtlerInnen und Friedensfreunde einbrachte: Köpruner nennt dies Massakerpolitik – die Erfindung und Inszenierung von grausamsten Massakern, die nicht selten durch den schlichten Tausch von Tätern und Opfern den feindlichen Serben zugeschrieben wurden. Denn: wer sonst konnte zu solch unvorstellbaren Verbrechen fähig sein?

Nach und nach erst lässt Kurt Köpruner Sekundärliteratur einfließen und nutzt präzise Quellenangaben – so das die letzten Kapitel immer analytischer und schärfer werden. Gekonnt werden Erlebnisse mit recherchierten historischen und aktuellen Hintergründen verknüpft. Sicher sind diese persönlichen Momentaufnahmen nicht immer "richtig" oder zu verallgemeinern – "falsch" sind sie deshalb noch lange nicht. So zeigt diese Buch, dass es etwas gibt zwischen trockener, politisch–wertender Sachliteratur und kitschigem Reisetagebuch. Denn trotzdem sich der Autor nicht als "Balkanexperte" bezeichnen lassen möchte, sind seine politischen Angaben detailliert und nachprüfbar. Am Ende des Buches findet sich zudem ein umfassendes Glossar der klassischen, kritischen Jugoslawienliteratur von Tisma bis Olschewski.

Reisen in das Land der Kriege, so lässt sich abschließend festhalten, ist erschreckend schön – auch wenn ich weiß, diese Kategorie ist für jenen tragischen Abschnitt der jugoslawischen Geschichte mehr als unpassend.

Kurt Köpruner ist aber eben auch ein Erzähler.

Er schafft es, gefangen zu nehmen mit seinen Berichten und Erzählungen, die bestechen durch die packende Ehrlichkeit des Erlebten. Es bleibt ein Eindruck, den es erstmal zu verarbeiten und auch nachzuprüfen gilt. Und obwohl der Autor stets sagt, es sei ein "Verbrechen, Bücher zu schreiben" ob der publizierten Massen, gehört sein Buch ganz bestimmt zu jenen, die nötig waren.

Das Buch Reisen in das Land der Kriege – Erlebnisse eines Fremden in Jugoslawien von Kurt Köpruner ist erstmals erschienen im Espresso-Verlag und wurde neu aufgelegt im Hugendubel Verlag, München. Dort kann es zum Preis von 19 Euro 95 erworben werden.

 

 

 

ANMERKUNGEN

 

[1]   Die Besprechung von Sonja Vogel wurde als Vorspann zu einem Veranstaltungsmitschnitt mit Kurt Köpruner gesendet.

 

 

Diese Seite wurde zuletzt am 24. Dezember 2005 aktualisiert.
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