Beiträge für den Radiowecker

von Radio Darmstadt

– September 2002 –

 

Radiowecker–Redaktion von Radio Darmstadt
 
01.09.2002NPD–Kundgebung in Darmstadt
02.09.2002Menschenversuch
09.09.2002Indiens Töchter
15.09.2002Irak
16.09.2002Dunst
21.09.2002Herta Däubler–Gmelin
22.09.2002Ethel Rosenberg
23.09.2002Die blaue Aubergine
 
 
Seit November 1998 liefere ich auch kleinere redaktionelle Beiträge für den Radiowecker von Radio Darmstadt. Diese Beiträge fasse ich monatsweise zusammen und stelle sie dann auf einer eigenen Seite ins Internet. Eine komplette Übersicht auf alle Beiträge seit 1998 gibt es auf meiner Radiowecker–Startseite. Zudem gibt es eine inhaltliche Übersicht auf alle Beiträge des Jahres 2002.
Meine Radiowecker–Startseite kann auch mit http://www.wkradiowecker.de.vu aufgerufen werden.
 
 
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NPD–Kundgebung in Darmstadt
01.09.2002 *** Wdh. 03.09.2002 Nächster Beitrag

 
Anmoderation

Am vergangenen Mittwoch wollte die NPD auf dem Mercksplatz Wahlkampf machen. Dies konnte erfolgreich verhindert werden. War Peter Benz in seinem Wunsch, keine NPD–Kundgebung in Darmstadt zulassen zu wollen, erfolgreich? Walter Kuhl aus der Redaktion Alltag und Geschichte meldet doch einige Zweifel an.

Beitrag Walter Kuhl

Als Oberbürgermeister Peter Benz am 15. August verkündete, er werde keine NPD–Wahlkampf–Kundgebung in Darmstadt zulassen, schien die Welt noch in Ordnung zu sein. Endlich mal wieder ein Politiker, der nicht nur Sonntagsreden hält, sondern auch ernst macht in einer konsequenten Haltung gegen Rassismus und Rechtsradikalismus. Doch schon damals war klar, daß er keine Chance haben würde. Die Gerichte sehen nämlich das Recht auf eine Wahlkampfkundgebung einer nicht verbotenen Partei als schützenswertes Gut an. Ich denke, Peter Benz wußte das. Aber immerhin. Aus Reihen der CDU oder FDP fehlt bis heute eine Äußerung zu dieser geplanten Kundgebung. Auch dies ist bezeichnend für die politische Kultur in Parteien, in denen sich Antisemiten zuweilen auch öffentlich zu Wort melden.

Doch nach der durch Antifaschistinnen und Antifaschisten dann auch tatsächlich verhinderten NPD–Kundgebung tauchen mehr neue Fragen auf, als uns lieb sein kann. Was hat der Oberbürgermeister wirklich gemeint? Im Darmstädter Echo vom vergangenen Donnerstag wird er wie folgt zitiert:

Darmstadt hat ein ganz anderes gewaltbereites Potenzial als in anderen Städten.

Benz wollte also die NPD–Kundgebung vor allem deshalb verbieten, weil er Gegengewalt befürchtete. Und er wies hierbei ausgerechnet auf Vorkommnisse während der Castor–Transporte vor einigen Jahren hin. Nun ist ein Brandanschlag auf einen NPD–Funktionär auch dann nicht gutzuheißen, wenn es sich eigentlich um einen verkappten Verfassungsschützer handelt, der eine rechtsradikale Partei in staatlichem Auftrag mit aufbaut und entsprechendes Gedankengut propagiert.

Aber was hat das mit Menschen zu tun, die sich gegen die kriminellen Machenschaften der Atommafia auf Gleise setzen? Schon vergessen, daß die strahlenden Züge der Atomindustrie kontaminiert waren? Schon vergessen, daß ein Störfall nach dem anderen Strahlungsleck vertuscht worden ist? Bis heute übrigens – trotz Jürgen Trittin.

Wenn Peter Benz nun hingeht, und ausgerechnet gewaltlos demonstrierende Castorgegnerinnen und –gegner, die zwar nicht legal, aber öffentlichkeitswirksam derart undemokratisch–kriminelle Machenschaften verhindern wollen, diese gleichsetzt mit Rechtsradikalen, die sich an Menschenjagden in Ostdeutschland beteiligen, dann hat der Mann offensichtlich den Überblick verloren. Zumal Peter Benz selbst jahrelang eine stadtbekannte Freundin und Sympathisantin von Nazi–Dichtern hofiert hat, zumindest solange, bis sie sich selbst durch eindeutige Äußerungen in der Öffentlichkeit diskreditiert hatte – und deshalb nicht länger haltbar war. Ihr Name: Margarete Diercks.

Abmoderation

Ein Beitrag von Walter Kuhl für Radio Darmstadt.
 

Moderation : Katharina Mann (Sonntag), Holger Coutandin (Dienstag)
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Menschenversuch
02.09.2002 Nächster Beitrag

 
Anmoderation

Untersuchungen haben ergeben, daß in Deutschland über 40% aller Lebensmittel Pestizid–Rückstände aufweisen. Was ist die Konsequenz daraus? BAYER sucht möglicherweise den pestizidresistenten Menschen. Ich hoffe, Walter Kuhl aus der Redaktion Alltag und Geschichte verdirbt euch mit dem folgenden Beitrag nicht das Frühstück.

Beitrag Walter Kuhl

In der Arzneimittelforschung ist dies ein völlig normaler Vorgang: Bevor ein neues Medikament, ob nützlich oder nicht, auf die Menschheit losgelassen wird, sollten seine Risiken und Nebenwirkungen am lebenden Objekt ausprobiert werden. Besonders geeignet sind hierbei Insassen von Strafanstalten und Psychiatrien, aber auch Versuchskaninchen aus Drittweltländern, die ja schließlich auch irgendwovon leben müssen. Dieses Bedürfnis wird knallhart kalkuliert und ausgenutzt.

Die innovative Firma BAYER aus Leverkusen geht hierbei jedoch neue Wege. Sie hat bei der US–amerikanischen Umweltbehörde Environmental Protection Agency die Zulassung von Tests zur Risikoanalyse von Pestiziden beantragt. Als Menschenversuch. Entsprechende Untersuchungen werden bislang aus sogenannten ethischen Gründen nicht zugelassen. Eine Änderung der US–Bestimmungen, so steht zu befürchten, hätte Signalwirkung für die ganze Welt. Allerdings hat BAYER schon 1998 in Schottland Menschenversuche mit Organophosphaten durchgeführt. Hierbei nahmen die Testpersonen das von der Weltgesundheitsorganisation WHO als hoch gefährlich eingestufte Azinphos–Methyl ein. BAYER ist der weltweit größte Hersteller dieses Wirkstoffs.

Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER–Gefahren sieht hierbei nicht nur die Gesundheit materiell benachteiligter Menschen gefährdet, denn schließlich leben in den USA etwa 30 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze. BAYER, so sagt er, habe wohl verdrängt, daß schon während der Nazi–Zeit es die BAYER–Gruppe innerhalb der IG Farben war, die Experimente am lebenden Objekt in Auftrag gegeben habe. Außerdem sei bei Zulassung derartiger Untersuchungen zu befürchten, daß es zu höheren Grenzwerten für Pestizide in Nahrung und Wasser kommen könne. Denn Risikoforschungen berücksichtigen immer auch das Verhältnis von Kosten und Profit, also von Grenzwerten und Entschädigungszahlungen.

Was sagt Manager Calmund dazu? Und haben derartige Menschenversuche Auswirkungen auf die Spiele der Champions League? Müssen die Dopingbestimmungen neu gefaßt werden? Fragen Sie hierzu am besten Ihren Arzt oder Ihre Apothekerin.

Abmoderation

Ein Beitrag von Walter Kuhl für Radio Darmstadt. Dieser Beitrag ist demnächst nachzulesen auf der Internetseite www.wkradiowecker.de.vu.
 

Moderation : Dirk Beutel (Montag)
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Indiens Töchter
08.09.2002 *** Wdh. 10.09.2002 Nächster Beitrag

 
Anmoderation

Indiens erstarkende Frauenbewegung ist Thema eines Vortrags der österreichischen Journalistin Brigitte Voykowitsch am kommenden Sonntag. Walter Kuhl aus der Redaktion Alltag und Geschichte hat ihr Buch Göttinnen und Frauenrechte für Radio Darmstadt gelesen.

Beitrag Walter Kuhl

In Indien leben über eine Milliarde Menschen. Entsprechend verschieden sind die Lebensumstände in einem Land, in dem Reichtum und Armut krass aufeinanderprallen. Während mit Indira Gandhi eine der ersten Ministerpräsidentinnen aus Indien kam, können die meisten Frauen dort weder lesen noch schreiben, und sie besitzen kaum eine Chance, ihr Leben selbst zu bestimmen. Aber so vielfältig die Lebensumstände auch sind, so viele mögliche Ausnahmen von diesem Bild gibt es. Millionen Frauen haben es geschafft, sich zumindest teilweise von der patriarchalen Unterdrückung zu emanzipieren. Einige dieser Frauen stellt Brigitte Voykowitsch in ihrem Buch Göttinnen und Frauenrechte vor.

Da ist Medha Patkar, die seit zwei Jahrzehnten gegen ein gigantisches Staudammprojekt kämpft, durch das Hunderttausende Menschen vertrieben würden. Und wie das so im Kapitalismus ist – profitable Geschäfte werden mit aller Gewalt durchgesetzt: Immer wieder wurden Medha Patkar und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter auf Kundgebungen tätlich angegriffen, verprügelt und verhaftet. Frauen aus der Bewegung wurden vergewaltigt, Aktivisten gefoltert. Dennoch: Selbst die mächtige Weltbank mußte ihre Pläne zur Unterstützung des Staudammprojekts revidieren.

Da ist Lakshmi, die in Mumbai (früher Bombay) ein Frauenarchiv über die andere Geschichte Indiens aufbaut und viele Frauen ermutigt hat, ihre eigene Geschichte aufzuschreiben. Da ist Mayawati, die erste Frau an der Spitze eines indischen Bundesstaates, die nicht dem hinduistischen Kastensystem angehört. Sie greift offen die wahren Absichten des paternalistischen Vaters Indiens – Mahatma Gandhi – an, der sich zwar in der Theorie für die Unberührbaren eingesetzt hat, aber eigentlich das Kastensystem beibehalten wollte. – Und da ist Indiens weiblicher Supercop Kiran Bedi, die offen Privilegien und Korruption angreift und sich damit unbeliebt macht.

Natürlich bedroht das allgegenwärtige Mitgiftsystem auch heute noch das Leben von Indiens Ehefrauen. Männer erpressen die Familien ihrer Frauen; und zahlen diese nicht, dann kommt die Frau bei einem Unfall ums Leben. Obwohl diese Praktiken verboten sind, kommen Indiens Männer im allgemeinen damit durch. Eine Hand wäscht die andere. Die Polizei ermittelt dann einfach nicht, selbst wenn die Tatumstände eindeutig sind. So sind die Männer eines weltumspannenden Männerbundes eben. Und sollte doch ein Verfahren eröffnet werden, dann endet es so, wie hierzulande Verfahren wegen Übergriffen der Polizei. Im südindischen Bundesstaat Karnataka beispielsweise sollen 3000 Verfahren wegen Mitgiftmordes anhängig sein, in den letzten drei Jahren gab es keine einzige Verurteilung.

Und dennoch: Indiens neue Mittelschichtfrauen, je nach Schätzung einige Millionen an der Zahl, leben nach der Devise: nimm es dir. Lebe dein eigenes Leben. Das muß ansteckend sein, denn selbst in den indischen Dörfern organisieren sich Frauen, um ihre Rechte wahrzunehmen. Brigitte Voykowitsch verdeutlicht jedoch, welchen Preis diese Frauen dafür bereit sind zu zahlen. Göttinnen und Frauenrechte – Indiens Töchter von Brigitte Voykowitsch ist im österreichischen Picus Verlag erschienen und kostet 14 Euro 90.

Abmoderation

Ein Beitrag von Walter Kuhl für Radio Darmstadt. Die Autorin wird am kommenden Mittwochabend um 19 Uhr 30 auf einer Veranstaltung der Deutsch–Indischen Gesellschaft in Zusammenarbeit mit der Luise–Büchner–Bibliothek des Deutschen Frauenrings im Kennedyhaus zu hören sein. Sie wird hierbei insbesondere über die heutige Frauenbewegung in Indien sprechen. Mittwoch, 19 Uhr 30, Kennedyhaus, Kasinostraße 3 in Darmstadt.
 

Moderation : Katharina Mann (Sonntag), Holger Coutandin (Dienstag)
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Irak
15.09.2002 *** Wdh. 17.09.2002 Nächster Beitrag

 
Anmoderation

Quod licet Iovi, non licet bovi – so lautet ein altes lateinisches Sprichwort. Aktuell heißt dies: Was George Dubya Bush erlaubt ist, darf Saddam Hussein noch lange nicht. Ein Beitrag von Walter Kuhl aus der Redaktion Alltag und Geschichte.

Beitrag Walter Kuhl

Als Saddam Hussein 1988 die kurdische Stadt Halabdscha im Norden des Irak mit Giftgas bombardieren ließ, schwiegen die USA. Auch die Bundesregierung zog es vor, sich nicht zu äußern, denn das Giftgas stammte aus Deutschland.

Saddam Hussein war in den 80er Jahren klar der Mann des Westens. Zwei waffenstarrende Regimes – der Irak und der Iran – kämpften um die Vorherrschaft am Persischen Golf. Für die Weltkonjunktur war dieser erste Golfkrieg ein äußerst lukratives Geschäft. Nicht nur, daß Arbeitsplätze durch Massenmord erhalten werden konnten, nein, die Profite der Waffenindustrie von Amiland bis Oberndorf am Neckar sprudelten nur so vor sich hin.

Doch Saddam Hussein, der blutrünstige Diktator von Westens Gnaden, wollte mehr. Er versicherte sich des US–amerikanischen Wohlwollens, bevor er im August 1990 in den Kuwait einmarschierte. Kuwait – alles andere als eine Demokratie, ein Land mit einem autokratischen Regime. Kuwait – künstlich gezogenes Staatsgebilde, um die Ölquellen auf möglichst viele Staaten und Scheichtümer zu verteilen, die man dann gegeneinander ausspielen kann.

Saddam Hussein machte nichts anderes, als US–amerikanische, britische, französische, italienische, belgische, japanische oder deutsche Truppen in den hundert Jahren zuvor. Doch was den Herren der Welt vorbehalten ist, ist einem kleinen Diktator selbstverständlich nicht erlaubt, nämlich die Annektion anderer Länder: Quod licet Iovi, non livet bovi.

Und die USA zogen mit ihren britischen Verbündeten in den Krieg. Nachdem sie die irakische Armee besiegt und die besiegte Armee völkerrechtswidrig massakriert hatten, stoppten sie kurz vor Bagdad. Denn Saddam Hussein war weiterhin nützlich. Er diente auch nach seiner Niederlage als Feindbild und sorgte ganz im westlichen Sinne effektiv für die Unterdrückung seiner Bevölkerung. Er tat also das, was sein Job war. Als die US–Truppen vor Bagdad stoppten, schlug Saddam Hussein ungehindert einen Volksaufstand im Süden des Irak nieder.

Doch die USA gingen einen Schritt weiter. Sie ließen über die von ihnen abhängigen Vereinten Nationen ein Wirtschaftsembargo gegen den Irak verhängen. Dieses Wirtschaftsembargo traf nicht den Diktator, sondern die Zivilbevölkerung. Fünfhunderttausend Kinder, eine halbe Million, starben in den 90er Jahren aufgrund dieses Embargos. Keine Lebensmittel, keine Medikamente, keine Wasseraufbereitungsanlagen und keine Transportfahrzeuge wurden ins Land gelassen. Die damalige US–amerikanische Außenministerin Madeleine Albright wurde in einem Fernsehinterview gefragt, ob eine halbe Million toter Kinder nicht ein zu hoher Preis für die Unterwerfung des Irak seien. Madeleine Albright brachte den Zynismus der westlichen Kriegsherren auf den Punkt: Nein, sagte sie, diese toten Kinder sind den Preis durchaus wert.

Soviel zu den humanitären Absichten der US–Regierung unter George Dubya Bush, die sich in nichts von denen seines Vorgängers Bill Clinton unterscheiden. Und was es wirklich mit den von der UNO verhängten Waffeninspektionen im Irak auf sich hat und warum diese Inspektionen dazu dienen, jede wirtschaftliche Regenerierung des Irak zu verhindern, das beleuchtet das ausgezeichnete Buch von Rüdiger Göbe, Joachim Guilliard und Michael Schiffmann mit dem Titel Der Irak – Ein belagertes Land, erschienen im Papyrossa Verlag.

Der Irak ist aber auch eine der Wiegen der Menschheit. Im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris entstand eine der ersten Hochkulturen der Menschheit. Es steht zu befürchten, daß die zielstrebige Politik des US–Präsidenten, auch dieses Land in die Steinzeit zurückzubomben, zu den üblichen Kollateralschäden führen wird. Ob es danach noch die Zikkurats von Ur oder Uruk, die assyrischen Paläste oder die babylonischen Prachtstraßen geben wird, ist zweifelhaft. Alfred Diwersy und Gisela Wand haben noch vor kurzem den Irak besuchen können und eindrucksvolle Bilddokumente dieser Hochkultur eingefangen. Ihr Bildband Irak – Land zwischen Euphrat und Tigris ist im Gollenstein Verlag erschienen.

Abmoderation

Ein Beitrag von Walter Kuhl für Radio Darmstadt.
 

Moderation : Katharina Mann (Sonntag), Holger Coutandin (Dienstag)
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Dunst
16.09.2002 Nächster Beitrag

 
Anmoderation

Keine Macht den Drogen, heißt die offizielle Doktrin der Drogenfahnder. Doch die gefährlichen Drogen sind erlaubt, die eher ungefährlichen verboten. Ein Beitrag von Walter Kuhl aus der Redaktion Alltag und Geschichte.

Beitrag Walter Kuhl

Ob Otto Schily oder Günther Beckstein, Horst Knechtel oder Rudolf Kilb: Sie alle sind auf der Jagd. Auf der Jagd nach gefährlichen Drogen. Sie jagen die Junkies, vor allem die Junkies, die ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Drogen finanzieren. Vor allem die Darmstädter Polizei scheint es sich in den letzten Monaten wieder einmal zur Aufgabe gemacht zu haben, den Drogenhandel äußerst effektiv durch das Vertreiben vom einen Drogenumschlagsplatz zu einem neuen bekämpfen zu wollen. Hat die Darmstädter Polizei Langeweile?

Doch es gibt ja auch Drogen, die zu konsumieren kein Verbrechen ist. Es sind Drogen, an denen kräftig verdient werden kann, und die nicht auf Rezept in Apotheken erhältlich sind. Während an den Folgen des Alkoholkonsums in Deutschland jährlich um die 40.000 Menschen sterben, sind es beim Zigaretten– und Zigarrenqualm doppelt so viele. Oder anders gesagt: jedes Jahr stirbt an ganz legalen Drogen eine Stadt wie Darmstadt. Und – tschüß!

Insofern ist es erfreulich, daß die blaßrosarot–NATOlivgrüne Bundesregierung wenigstens die Arbeitsstättenverordnung so geändert hat, daß Nichtraucherinnen und Nichtraucher im wahrsten Sinne des Wortes am Arbeitsplatz aufatmen können. Durch die Neuregelung wird der bestehende Schutz in Pausenräumen auf alle Arbeitsstätten ausgeweitet. Arbeitgeber können nun im gesamten Betrieb das Rauchen verbieten – ausgenommen bleiben Gaststätten, Restaurants und andere Betriebe mit Publikumsverkehr. Also die übligen Drogenhöllen.

Natürlich finden Raucherinnen und Raucher das überhaupt nicht witzig. Am Arbeitsplatz nicht mehr rauchen zu dürfen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln – so langsam gehen den Luftverpestern die Gelegenheiten aus, ihre Mitmenschen zu quälen und zu vergiften. Nun hilft es nichts, den Süchtigen die Gefahren des Rauchens unter die Nase zu reiben. Das interessiert sie ja nicht. Es interessiert sie auch nicht, daß dem Tabak süchtig machende Stoffe untergemischt werden, damit sie – um im Bilde zu bleiben – bei der Stange bleiben.

Selbstverständlich ist es genauso unsinnig, den Spieß umzudrehen, und statt Alkohol und Tabak nun Heroin oder Kokain freizugeben. Denn Verbote ändern nichts an den Grundlagen des Konsums. Ist doch das Problem ein gesellschaftliches. Eine kapitalistische Leistungsgesellschaft ist darauf angewiesen, daß gequalmt und gesoffen wird. Ohne Qualm könnten die Ausgebeuteten ja anfangen, klare Gedanken zu fassen und sich organisieren. Ohne Alk könnte das Leben weniger vernebelt und das Feindbild klar sein. Nein – das ist natürlich nicht gewollt.

Und es ist kein Zufall, das ausgerechnet Haschisch verboten ist. Haschisch gilt nicht als leistungsfördernd, eher ist das Gegenteil der Fall. Zwar stirbt man oder frau nicht daran, außer – Haschisch wird geraucht –, aber das geht ja nun wirklich nicht. Alkies und Nikotinsüchtige können prima malochen; und wenn sie dann abkratzen, wird praktischerweise auch noch die Arbeitslosenstatistik bereinigt. Aber zugedröhnte Arbeitsverweigerer? Das ist der wahre Horror für Schily, Beckstein, Knechtel und Kilb.

Und so wählen wir am nächsten Sonntag natürlich wieder die Befürworter der besonders tödlichen Drogen. Und daß die ganz legalen Drogen Geschäftsgrundlage der Bundespolitik sind, ist spätestens seit Stefan Raab und Gerhard Schröder bekannt. Na denn – Prost!

Abmoderation

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Moderation : Dirk Beutel (Montag)
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Herta DäublerGmelin
21.09.2002 Nächster Beitrag

 
Dieser Beitrag (Telefoninterview mit Michael Hahn, Schwäbisches Tagblatt, Tübingen) ist nur als Audiofile verfügbar.
 

Moderation : Martin Keindl (Samstag)
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Ethel Rosenberg
22.09.2002 *** Wdh. 24.09.2002 Nächster Beitrag

 
Anmoderation

Im Juni vor 49 Jahren wurde in New York Ethel Rosenberg hingerichtet. Sie wurde der Spionage für die Sowjetunion bezichtigt und soll mitgeholfen haben, die Pläne für die Atombombe an die Sowjets weiterzugeben. Walter Kuhl aus der Redaktion Alltag und Geschichte zu den Hintergründen eines Falles, der bei Herta Däubler–Gmelin sicher auch unter die Rubrik lausiges Rechtssystem fallen würde.

Beitrag Walter Kuhl

Ethel Rosenberg, geboren am 28. September 1915, stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Ihr Vater reparierte in einer viel zu engen Wohnung Nähmaschinen für die zahlreichen sweatshops New Yorks, ihre Mutter war eine Hausfrau, die unter der Armut, den miserablen hygienischen Verhältnissen der typischen Mietswohnungen und der fehlenden Heizung im Haus litt.

Doch Ethel wollte schon früh raus aus diesen Verhältnissen. Sie lebte den american dream, also die Vorstellung, es aus eigener Kraft zu etwas bringen zu können. Neben guten Schulleistungen wurde sie zur Schauspielerin ihres Jahrgangs auf der High School gewählt. Doch die Notwendigkeit, Anfang der 30er Jahre während der Depression Geld verdienen zu müssen, holte sie auf den Boden der Tatsachen zurück. Die schlechten Arbeitsbedingungen, die miserable Bezahlung und die Weigerung, eine Gewerkschaft zuzulassen, führte zum Streik. Ethel Rosenberg wurde ins Streikkomitee gewählt und wurde hierbei ziemlich drastisch mit der Wirklichkeit konfrontiert: der Boß ihrer Firma hatte eine Schlägertruppe organisiert, die mit Eisenstangen auf die unbewaffeneten Streikenden einschlugen. Dennoch träumte sie weiter vom american dream. Und dies nicht ganz ohne Grund. Sie heiratete Julius Rosenberg, der eine gut bezahlte Stelle fand.

Ethel brauchte nicht zu arbeiten, denn Julius' Gehalt reichte aus. Das Paar schien auf dem Weg in die Mittelschicht zu sein und pflegte deren Lebensstil: für den Unterhalt sorgte der Mann, die Frau für den Haushalt. Das Gefühl, die soziale Leiter hinaufgestiegen zu sein, muß mehr als nur Ethels Ehrgeiz befriedigt haben: es rechtfertigte auch den amerikanischen Traum. Ihr politisches Engagement hatte nicht der Abschaffung des Kapitalismus gegolten, sondern der Umgestaltung der kapitalistischen Gesellschaft, und genährt hatte es sich vor allem aus ihrer antifaschistischen Überzeugung. [Stefana Sabin, Seite 30]

Doch die Zeiten änderten sich. Beide waren Mitglied der Kommunistischen Partei der USA, und dies wurde ihnen zum Verhängnis. Solange der gemeinsame Krieg mit der Sowjetunion gegen Deutschland andauerte, war dies kein Problem, doch 1945 wurde Julius entlassen. McCarthy und sein Komitee für unamerikanische Umtriebe bestimmten die Richtlinien der Politik; und der fanstisch antikommunistische FBI–Chef J. Edgar Hoover zog im Hintergrund die Fäden. 1949 zündete die Sowjetunion eine eigene Atombombe. Selbstverständlich konnte nur Verrat an der guten amerikanischen Sache daran Schuld sein. Hoover bohrte und fand in seiner Kommunistenhatzkartei die richtigen Leute, die, unter Druck gesetzt, weitere Personen denunzierten. So landeten die Rosenbergs im Knast. Doch sie gaben sich nicht auf. 1951 wurden beide in einem Schauprozeß zum Tode verurteilt, doch in einer weltweiten Kampagne wurde versucht, ihrer beider Leben zu retten. Vergebens. Am 19. Juni 1953 wurden beide auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. Und selbst hier mußte das barbarische System mehrmals nachhelfen. Erst nach dem vierten Stromstoß starb Ethel Rosenberg.

Wenn nun Herta Däubler–Gmelin das lausige US–Justizsystem verantwortlich macht, dann irrt sie. Politische Prozesse haben ihre eigene Logik. Das Wesen politischer Prozesse ist überall auf der Welt dergestalt, daß verurteilt wird, wer verurteilt werden soll. Auf Beweise kommt es überhaupt nicht an. Das war bei Ethel Rosenberg so und das war bei Mumia Abu–Jamal so; und bei vielen anderen in so ziemlich allen westlichen Demokratien. Das Grundprinzip des angeblich lausigen Justizsystems – was für ein Begriff! – ist jedoch, daß in den USA die liberale Wirtschaftsideologie bis in die Gerichtssäle reicht: wer Geld hat, kommt frei, wer keins hat, wird verurteilt. So einfach ist das. Aber auch Herta Däubler–Gmelin war am 16. November 2001 uneingeschränkt solidarisch mit den USA. Aber da ging es ja darum, Zivilistinnen und Zivilisten auch ohne Gerichtsurteil in Afghanistan vom Leben in den Tod zu befördern.

Im Verlag Neue Kritik ist 1996 ein spannendes und lesenswertes Buch zu Ethel Rosenberg und ihrem angeblichen Verrat erschienen. Gut dargestellt ist vor allem die sexistische Komponente des Gerichtsverfahrens. Ethel Rosenberg als engagierte Frau konnte es nur falsch machen und konnte auch daher nicht auf Milde hoffen. – Der sowjetische Besitz der Atombombe hat übrigens die USA davon abgehalten, beispielsweise Hanoi während des Vietnam–Kriegs zu bombardieren.

Abmoderation

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Moderation : Katharina Mann (Sonntag), Holger Coutandin (Dienstag)
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Die blaue Aubergine
23.09.2002 *** Wdh. 29.09.2002 Nächster Beitrag

 
Anmoderation

Die blaue Aubergine ist ein Roman aus Ägypten, deren Hauptperson gefangen ist zwischen Islam, Emanzipation und Liebe. Ein Beitrag von Walter Kuhl aus der Redaktion Alltag und Geschichte.

Beitrag Walter Kuhl

Nada ist die blaue Aubergine. Zwei Monate zu früh zur Zeit des Sechstagekrieges geboren, schimmerte sie bläulich und entwickelte sich auch später nicht so, wie es kleine Mädchen überall auf der Welt sollen. Sie war nicht brav und stumm, sondern tollte, fiel von der Schaukel oder wurde vom Nachbarshund gebissen. Die blaue Aubergine blieb ihrem Namen treu.

Doch es kam die Zeit, wo das Mädchen auf den Heiratsmarkt vorbereitet werden sollte. Halt die Beine zusammen, du bist jetzt erwachsen, sagt der Vater; und ihre Mutter wird dafür sorgen, daß sie sich verhält, wie sich eine gesittete Frau zu verhalten hat. Doch Nada will Weltraumforscherin werden. Die Distanz zwischen eigenem Leben–Wollen und den gesellschaftlichen, und das heißt hier vor allem: patriarchalen Anforderungen wird besonders krass, als sie die Universität besucht.

Nicht nur, daß sie sich in einen Polit–Idioten verliebt, der nichts von ihr wissen will, sondern auch ihr zunehmender Selbsthaß führen dazu, daß sie sich ganz und gar dem reaktionärsten Islam verschreibt. Zugeschleiert, damit niemand sie sehen kann, lebt sie mit Zimmergenossinnen, die dies nicht nur lächerlich finden, sondern die emanzipiert leben wollen. Doch der Schleier um die unsterblich verliebte und gleichzeitig absolut asexuelle Nada verdichtet sich – bis sie feststellt, daß sie verrückt wird, wenn sie so weiterlebt.

Auch hier holt die Realität sie ein. Kairo, 90er Jahre, ein undemokratisches Regime im Kampf gegen islamische Fundamentalisten. Und gleichzeitig wollen auch noch die arabischen Frauen raus aus der patriarchalen Unterdrückung. Die dennoch gefangen sind im Spiel der Liebe. Nichts verdeutlicht mehr wie dieser Roman, daß Liebe die systematische Ausblendung der Realität ist. Daß Liebe der Kleister ist, der vor allem Frauen daran hindert, sich das zu nehmen, was ihnen zusteht. Jedes Regime freut sich darüber.

Und während Nada gleichzeitig so geniale Sätze schreibt wie:

Der Körper der Frau ist einer der wichtigen Bereiche, in den sich ihre Ausbeutung vollzieht. [Seite 150]

starrt sie das Telefon an, damit ihr Auserwählter, noch so ein Idiot, sie endlich anruft und anhimmelt. Doch warum sollen Backfische nur in Deutschland und nicht auch in Ägypten leben? Oder gelten folgende Sätze etwa nicht auch für deutsche Backfische?:

Die Liebe, schreibt Nada, ist eine existenzielle Wahrheit, und das Verständnis von der Würde des Körpers wird der gesellschaftlichen Heuchelei und Verlogenheit geopfert. Die negativen Folgen, die aus der Verbreitung der Wahrheit entstünden, wären geringer als die, die aus der Unterdrückung und Verfälschung der Wahrheit resultieren. Es ist an der Frau, ihren Körper als ihr und nur ihr Eigentum zu verstehen […], statt zu akzeptieren, daß ihr Körper als Ware behandelt wird oder sich in gesellschaftlichen Institutionen, allen voran die Ehe, prostituieren muß, denn die traditionellen Ehemuster bewirken eine permanente moralische Herabsetzung des weiblichen Körpers. [Seite 161–162]

Nada auf der Suche nach sich selbst. Sie ist die blaue Aubergine, so auch der Titel des Romans der ägyptischen Literaturwissenschaftlerin Miral al–Tahawi. Er ist im Schweizer Unionsverlag zum Preis von 14 Euro 80 erschienen.

Abmoderation

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Moderation : Dirk Beutel (Montag), Katharina Mann (Sonntag)
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Diese Seite wurde zuletzt am 5. August 2005 aktualisiert.
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