Kapital Verbrechen |
Schuldgefühle (im Dienst des Kapitals) |
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Inhaltsverzeichnis |
Kapitel 1 : Einleitung |
Kapitel 2 : Demonstrationen gegen den Irrsinn, Demonstrationen des Irrsinns |
Kapitel 3 : Gegen die Arbeit |
Kapitel 4 : Fanatischer Markt |
Kapitel 5 : Einübung in die Sinnlosigkeit |
Kapitel 6 : Die Liebe zur Arbeit |
Kapitel 7 : Ausgrenzungen grenzenlosen Wahns |
Kapitel 8 : Was Adorno zur Ikone macht |
Kapitel 9 : Schluß |
Anmerkungen zum Sendemanuskript |
EinleitungJingle Alltag und Geschichte Schuldgefühle im Dienste des Kapitals. Durch die Sendung führt Walter Kuhl. Polyphon/Berlin : Eine Reise durch den Telefoncomputer des Berliner Arbeitsamts. Die Audiofassung dieses Beitrags findet sich auf den Seiten des Bundesverbandes Freier Radios. Die unfreiwillige Komik automatisierter Telefonschleifen ist eine der vielen Facetten des organisierten kapitalistischen Wahnsinns. Wo einerseits von arbeitslosen Männern und Frauen verlangt wird, allzeit bereit dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen und dabei jede Verrenkung mitzumachen, wird andererseits das Einholen einer simplen Auskunft zum schier unmöglichen Unterfangen. Dabei steckt Methode in diesem Wahnsinn. Denn das Arbeitsamt ist nicht für die Arbeitslosen da, sondern eine Agentur der herrschenden Ordnung organisierter Irrationalität, in der wir zu funktionieren haben. |
Demonstrationen gegen den Irrsinn, Demonstrationen des IrrsinnsWenn wir den herrschenden Medien Glauben schenken dürfen, dann gehen immer weniger Menschen auf die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV und Agenda 2010. Das mag so sein, aber wer weiß das schon so genau? Zahlen sind Schall und Rauch. Wenn Wirtschaftsminister Wolfgang Clement trotz fehlender 30.000 Lehrstellen von einem Erfolg spricht [1], dann zeigt sich nur die Beliebigkeit offizieller Verlautbarungen. Auf die Wahrheit kommt es gar nicht an. Positiv Denken scheint das Schlagwort zu sein; und jede noch so schlechte Nachricht wird solange schöngeredet, bis es auch jeder Nachplapperer verinnerlicht hat. Schon die Hartz Aber selbst wenn, um auf die Montagsdemonstrationen zurückzukommen, weniger Menschen selbige aufsuchen, ist ja damit das zugrunde liegende Problem nicht vom Tisch. Die meisten Menschen haben anderes zu tun als ausgerechnet bei Sonne und Regen jeden Montag durch die Innenstädte zu latschen. Es ist sicher an der Zeit, zu anderen Aktionsformen zu greifen, die deutlich machen, daß die organisierte Plünderungstour gegen Arbeitslose und (noch) Arbeitende ganz gewiß nicht widerstandslos hingenommen werden wird. Da mag eine Demonstration, wie sie für den kommenden Samstag in Berlin geplant ist, auch nur ein Zwischenschritt sein. Zu dieser bundesweiten Großdemonstration gegen die Hartz Der gesellschaftliche Erosionsprozeß zeigt sich auch an anderer Stelle. Die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg haben deutlich gemacht, daß die großen Volksparteien nicht nur an Glaubwürdigkeit, sondern auch an Wählbarkeit verlieren. Daß die PDS im Osten eine ganz spezielle Funktion übernimmt und nicht zuletzt auch Protestpotential binden soll, muß uns nicht überraschen. Auch daß rechtsradikale Parteien in die Landtage einziehen, ist alles andere als verwunderlich. Es zeigt, daß die CDU derzeit nicht in der Lage ist, ihren rechten Rand bei Laune zu halten [3]. Insofern ist die eigentlich skandalöse Aussage des BDI Wenn die abgegebenen Stimmen letztlich nicht zählen, dann sind ein paar Nazis mehr oder weniger auch kein Problem. Zumindest für die herrschende Klasse, wenn sie ihr Reformprogramm abzieht. Neonazis sind zwar nicht beliebt, aber sie werden geduldet. Denn es könnte ja doch einmal sein, daß sie noch gebraucht werden. Da ist es schon fast unnötig, darauf zu verweisen, daß Neonazi Aufgrund dieser guten Erfahrungen wollen die Neonazis am 3. Oktober ein weiteres Mal in Heppenheim aufmarschieren. Populistisch nehmen sie den Protest gegen Hartz IV auf, weil sie sich ausrechnen, daß die sozialen Erosionsprozesse auch vor dem Bewußtsein der Ausgegrenzten nicht Halt machen. Ob hiergegen eine Protestkundgebung mit anschließendem internationalen Kulturfest eine ausreichende Antwort ist? Jedenfalls rufen verschiedene Gewerkschaften, Sozialdemokratinnen, Antifas, Grüne, DKP, Christen und andere für kommenden Sonntag um 11 Uhr 30 dazu auf, sich am Bahnhof in Heppenheim zu treffen. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Allerdings eines, das in der deutschen Gesellschaft ganz offensichtlich immer noch seinen Platz findet. Michael Rogowski kommt das Verdienst zu, diesen Skandal öffentlich ausgesprochen zu haben. |
Gegen die ArbeitBesprechung von : Ernst Lohoff, Norbert Trenkle, Maria Wölflingseder und Karl-Heinz Lewed (Hg.) Dead Men Working, Unrast Verlag 2004, EUR 16,00 Allenthalben ist davon die Rede: es müssen Arbeitsplätze geschaffen werden. Bundesregierung und Opposition palavern in trautem Einklang mit Wirtschaftsverbänden, Massenmedien und Wirtschaftsweisen hierüber, so als kümmere sie die Realität nicht. Man und frau könnte den Eindruck eines autistischen Kaffeekränzchens bekommen. Dabei geht es nicht um Arbeitsplätze, sondern darum, die Ausbeutung profitabler zu gestalten. Alle Gesetzesvorhaben der letzten Jahre hatten nur ein Ziel: die Massenarbeitslosigkeit zu nutzen, um den Arbeitsmarkt einmal so richtig aufzumischen. Daß hierbei ganz konkrete Menschen auf der Strecke bleiben, ist nicht etwa beklagenswerter Kollateralschaden, sondern geradezu erwünscht. Eine Demonstration wie in Berlin oder wie die für Anfang November in Nürnberg geplante wird jedoch an diesen Verhältnissen wenig ändern. Das spricht nicht dagegen, an diesen Demonstrationen teilzunehmen. Nein, es verweist darauf, daß die sozialen Erosionsprozesse kapitalistischer Deregulierung im Bewußtsein der lohnabhängig arbeitenden oder nicht mehr arbeitenden Menschen sich so festgesetzt haben, daß wir fest daran glauben: Widerstand ist zwecklos [6]. Der heilige Markt verkündet es uns tagtäglich: Wir müssen unser Humankapital nur richtig einsetzen, unsere Chancen nur richtig wahrnehmen, das damit verbundene Risiko billigend in Kauf nehmen und vor allem positiv denken. Davon entsteht zwar kein neuer Arbeitsplatz, aber es fördert den Konkurrenzgeist und zerstört die letzten Reste zwischenmenschlicher Solidarität. Allein machen sie dich ein genau darum geht es. Und so schwierig es ist, so wenig erfolgversprechend oder vielleicht gar utopisch: wenn wir uns nicht aufgeben wollen, wenn wir nicht überrollt werden wollen, wenn wir uns auch morgen noch im Spiegel anschauen mögen wollen dann müssen wir uns überlegen, wie wir dem neoliberal aufgeblasenen Wahn einer kapitalistischen Leistungsgesellschaft etwas entgegensetzen. Ernst Lohoff, Norbert Trenkle, Maria Wölflingseder und Karl-Heinz Lewed haben in dem von ihnen im Unrast Verlag herausgegebenen Buch Dead Men Working eine Art Gebrauchsanweisung zur Arbeits und Sozialkritik in Zeiten kapitalistischen Amoklaufs zusammengetragen. Sie zeigen: wir sind nicht allein; unsere Lage ist kein Schicksal. Nicht wir sind daran Schuld, sondern die Verhältnisse, die uns aufgezwungen werden. Im Kapitalismus wird nur das produziert, was sich vermarkten läßt, was Profit einbringt. Dem Kapital ist es dabei völlig schnuppe, ob es sich um Giftgas, Babypuder, Kopfschmerztabletten oder Werkzeugmaschinen handelt. Nicht die Bedürfnisbefriedigung der Menschheit ist das Ziel, sondern die Produktion von Gütern, die sich verkaufen lassen. Pervers, wie die sich daraus ergebende Logik ist, werden Bedürfnisse, die sich nicht in barer Münze äußern, ignoriert. Wenn dabei Menschen krepieren, gehört dies geradezu zum Geschäft. Das kapitalistische Modell ist in eine Krise geraten. Es ist zwar erst einmal nur eine Verwertungskrise, aber sie erfordert einen grundlegenden Umbau aller gesellschaftlichen Beziehungen. Die neoliberale Konterrevolution, die 1973 erstmals in Pinochets Chile eingeführt wurde, hat längst die Metropolen des Kapitals erreicht. Alles steht auf dem Prüfstand. Die dritte technologische Revolution hat einen Produktivitätsfortschritt hervorgebracht, bei dem mehr produziert wird als sich verkaufen läßt. Es überlebt, wer kostengünstiger produziert als sein Konkurrent. Der Angriff auf die Löhne und sozialen Errungenschaften ist daher folgerichtig. Daß es ausgerechnet eine rot |
Fanatischer MarktDas Reformprogramm der Agenda 2010 bringt den Schulterschluß von neoliberalen Grünen, sozialdemokratischen Arbeitsethikern, christlichen Kapitalfetischisten und liberalen Yuppies zustande. Das Programm ist zwar nicht konsistent, weil es widersprüchliche Vorstellungen und Erfordernisse vereinen muß; einig sind sie sich aber alle in einem Punkt: im Angriff auf das arbeitsscheue Pack. Und das sind nicht nur die Arbeitslosen, sondern auch all diejenigen, die als Lohnabhängige mit ihrer Leistung geizen, die nicht flexibel und belastbar genug sind, die sich weigern, sich jeder Erpressung zu beugen, die krank feiern oder ihren wohlverdienten Urlaub nehmen. Ernst Lohoff, einer der Autoren von Dead Men Working schreibt: Fanatiker können nie genug bekommen. Das ist allerdings nicht der einzige Grund für das nimmermüde Klagelied und immergleiche Spiel. Bei aller inneren Kohärenz, in ein konsistentes Gesamtkonzept übersetzt sich das arbeitsterroristische Programm tatsächlich in keiner Weise. Nicht nur, dass Teilmaßnahmen unerwünschte fatale Nebenwirkungen zeitigen, sie geraten auch regelmäßig in Widerspruch zueinander; keines der lauthals verkündeten Ziele wird erreicht. Mit einer dauerhaften Stabilisierung der Sozialversicherungskassen ist ebenso wenig zu rechnen wie mit einer Senkung der Arbeitslosenzahlen von statistischen Effekten einmal abgesehen. [7] Wobei durchaus danach zu fragen wäre, ob es wirklich darum geht. Wer braucht noch eine Sozialversicherung, wenn der Arbeitsmarkt genügend Arbeitskräfte bereitstellt, die bereit sind, jeden Dreck zu fressen? Wer nicht mehr arbeiten kann, fliegt raus und wird sich selbst überlassen. Wenn wir das neoliberale Dogma vom homo oeconomicus in aller Brutalität zu Ende denken, ist dies genau das, was uns erwartet: wir werden von früh auf dazu getrimmt, uns auf Kosten Anderer einen Platz in der Gesellschaft zu erobern. Die sozialen Folgekosten interessieren nicht, solange sie keinen Aufruhr verursachen oder sich nicht profitabel verwerten lassen. Dabei dürfen wir nicht vergessen, daß wir geradezu noch im Auge des Wirbelsturms leben. Zwei Drittel der Erdbevölkerung werden jetzt schon sich selbst und der Plünderungsökonomie terroristischer Warlordstrukturen überlassen. Diese zwei Drittel wurden zuvor mit Hilfe von IWF und Weltbank systematisch ausgeweidet und werden es noch heute. So gesehen bekommt die Wahl von Horst Köhler zum Bundespräsidenten noch einen ganz eigenen unappetitlichen Beigeschmack. Horst Köhler weiß nämlich, wovon er redet. Als Präsident des Internationalen Währungsfonds war er in die Geheimnisse dieser globalen Ausplünderung eingeweiht. Dead Men Working ist ein spannendes Buch. Mit möglichst wenig Illusionen über die Grausamkeiten, die uns zugemutet werden, und einem klaren Blick für die globalen Ausbeutungsverhältnisse versuchen die Autorin und die Autoren den Grund allen Übels herauszuarbeiten. Wo im Marxismus das Kapital als Gegner ausgemacht wird, ist es hier die Arbeit. Die Arbeit gleichermaßen als sinnentleerter abstrakter Begriff und als Grundlage für Wertschöpfung, Ausbeutung und Profit. Deshalb versuchen sie erst gar nicht, sich an der Reparatur des Kapitalismus abzuarbeiten, sondern empfehlen gleich die Abschaffung des allgemeinen Wahnsinns. Lothar Galow Ein wesentliches Ziel von Qualitätsmanagement ist es deshalb auch, die Umdefinition von [Patientinnen und Patienten] und deren Angehörigen zu Kunden in den Köpfen der Klinikbeschäftigten zu verankern. Dabei wird geschickt an dem in diesen Kreisen durchaus verbreiteten Unbehagen an dem Begriff Mittels Qualitätsmanagement und Kundenorientierung sollen die Beschäftigten der Kliniken für den Verdrängungswettbewerb |
Einübung in die SinnlosigkeitWer durch diesen auf dem Rücken der Patientinnen, pardon: der Kunden, ausgetragenen Konkurrenzkampf nicht überlebt, darf sich dies als eigene Schuld zurechnen. Es ist nicht etwa das gnadenlose Verwertungsprinzip, sondern die angebliche eigene Unfähigkeit, das Qualitätsmanagement effizient umgesetzt zu haben. Aber es gibt ja noch eine Chance, man und frau muß sie nur nutzen: Der aktivierende Staat fordert und fördert [10]. Frank Rentschler untersucht im Sammelband Dead Men Working die ideologischen wie praktischen Auswirkungen des allgemeinen Schwachsinns, der jedoch Methode hat. Denn wie sollen die Arbeitsagenturen ihre Zielvorgaben erfüllen? Beziehungsweise: welche Zielvorgaben? Auch hier ist die Kostenreduzierung Leitmotiv. Das Arbeitsamt sortiert sich seine Fälle nach ganz eigenwilligen Kriterien heraus. Kosten fallen nur dann an, wenn Leistungen bezogen werden. Also sorgt man und frau durch aktive Verfolgungsbetreuung dafür, daß Arbeitslose sich in den Fallstricken des Sozialgesetzbuchs verheddern. Dabei wird auch nicht davor zurückgeschreckt, gesetzwidrige Methoden anzuwenden. Das Zauberwort heißt Sperrzeit und es werden ganz konsequent in den Arbeitsämtern dann auch Hitlisten geführt, um herauszufinden, wer nicht genügend Druck auf die Arbeitslosen ausgeübt hat. Kein Wunder, daß jede mögliche und unmögliche Gelegenheit zur Verhängung von Sperrzeiten genutzt wird. Wer hierbei nicht auf der Strecke bleibt, soll gefordert und gefördert werden. Ganz freiwillig wird der Kunde Arbeitslose durch die staatliche Verwaltung dazu gebracht, an der eigenen Verhaltenskorrektur mitzuwirken. Denn es liegt ja an jeder und jedem einzelnen selbst, daß es keine Jobs gibt. Die sinnlosesten Fördermaßnahmen haben nur einen Sinn: Anpassung. Die Position der Arbeitslosen dem Arbeitsamt gegenüber ist nicht mehr bestimmt durch den erworbenen Anspruch auf Leistungen, sondern sie gelten nach dem Hartz Das Arbeitsamt hat die Aufgabe zu überprüfen, ob die Menschen, die [es] aufsuchen, angepasst genug sind, und welcher Aufwand betrieben werden müsste, um sie fit für den Arbeitsmarkt zu machen. [12] So betrachtet macht auch das sinnloseste Bewerbungstraining wieder Sinn. Es ist so wie in der Schule und an der Universität. Neben den offiziellen Fächern gibt es noch den heimlichen Lehrplan. Und dieser besteht aus Disziplin, Anpassungsfähigkeit, Flexibilisierung und Maul halten. Das Beratungsgespräch soll dann abklären, ob sich der ganze Aufwand überhaupt lohnt. Maria Wölflingseder beschreibt aus ihrer österreichischen Sicht, was Menschen hierbei zugemutet wird zu schlucken; und zwar durchaus im wahrsten Sinne des Wortes. Erich Ribolits faßt deshalb auch zurecht den Übergang vom Job zum Arbeitsamt mit den Worten Vom sinnlosen Arbeiten zum sinnlosen Lernen zusammen. Wenn die Unterwerfung das Ziel ist, ist lebenslanges Lernen sozusagen der Knast, in dem die Gehirnwäsche abläuft. Was jedoch auch bedeutet: Arbeit im Kapitalismus mag zwar subjektiv (und oftmals nur eingebildet) befriedigend sein, aber in Wahrheit ist sie entfremdet und macht krank. Marco Fernandes beschreibt anhand des argentinischen Beispiels, wie sich eine Betriebsbesetzung auf politisches Bewußtsein, soziale Kommunikation und Zufriedenheit mit sich auswirkt. Ohne Chefs arbeitet es sich besser und wer von uns wüßte dies nicht selbst aus eigener Erfahrung? |
Die Liebe zur ArbeitHolger Schatz bringt jedoch noch einen anderen Gedankengang hinein, der sehr verführerisch zum Weiterspinnen einlädt. In einer Kultur, in der Arbeit derart positiv besetzt ist wie in der unseren, lassen sich die Folgen eines Arbeitsplatzverlusts etwa mit den einer Auflösung einer Liebesbeziehung vergleichen. Arbeit wie Beziehungspartner waren vor der Trennung Objekte libidinöser Besetzung. Im Falle der Liebesbeziehung ist das Subjekt nun bestrebt, das Objekt aufzugeben, um Selbstbewusstsein wiederzuerlangen und sich auf sein Leben konzentrieren zu können. Und wenn ich jetzt weiterspinne, dann fragt sich, inwieweit das allgemeine Liebesbrimborium auch dazu dient, die Schuldgefühle auf einer ganz anderen Ebene einerseits ausleben zu können, andererseits gesellschaftlich nützlich zu verstärken. Da hilft doch nur noch, positiv zu denken; und es ist sicher kein Zufall, daß diese Ideologie mitsamt ihren esoterischen Begleiterscheinungen Mitte der 80er Jahre aufkam und als Placebo für die arme gebeutelte Seele verordnet wird. Dabei ist es doch so einfach, wie Maria Wölflingseder bemerkt: Das Gegenteil von Positivem Denken ist keineswegs Negatives Denken, sondern schlicht Kritik und Veränderung in Richtung Emanzipation. [14] Die Esoterik hingegen ist für die Flucht in Scheinwelten zuständig. Das ist nicht einmal als Anklage an diejenigen zu verstehen, die ihr Leben esoterisch zu bewältigen versuchen. Aber in einer Welt, die immer mehr an ihren Widersprüchen zugrunde geht, in der der Schein längst mehr zählt als alles andere, ist Positives Denken das wirksamste Mittel zur Anpassung. Früher wurden Sklaven brachial zur Arbeit gezwungen, heute ist jeder sein eigener Sklaventreiber ganz positiv eingepeitscht. [15] Auch die moderne neoliberale Gesellschaft hat ihre Sklavinnen und Sklaven. Karl Die Ökologiedebatte, so Martin Dornis, die in den 70er Jahren begonnen hat und in den 90er Jahren in die Parlamente führte, betrachtete die gesellschaftliche Verschwendung und Müllproduktion unter dem Blickwinkel des Verzichts. Anstatt sich eine Gesellschaft vorzustellen, die ihren Reichtum verantwortungsbewußt organisiert, predigten sie Askese und Nischenexistenzen. An den Futterkrippen angekommen, füllten sie ihren neuen Wein in den altbekannten Schläuchen der Verzichtsethik. Neoliberal gewendet und das sind die meisten Grünen ja , wird diese Verzichtsideologie auf einmal auch noch gesellschaftlich nützlich für's Kapital zumindest. Gaston Valdivia führt uns schließlich noch einen ganz anderen Blickwinkel vor Augen. Die absurdeste Reproduktionsweise der Menschheitsgeschichte, so sagt er, beruht auf einer absolut irrsinnigen Zeitverschwendung. Das sind nicht nur die Monate unseres Lebens, die wir vor den Supermarktkassen Schlange stehen [16], sondern auch die nur im Kapitalismus beheimateten Geldgeschäfte, Transportwege, Fahrtzeiten von und zur Arbeit oder zum Sozialamt, Wartezeiten bei Ärzten, in Behörden oder im Stau nur weil dies im Kapitalismus die einzig Art und Weise ist, Warenproduktion, Geldzirkulation oder persönliche Bedürfnisbefriedigung zuzulassen. Was also tun? Wenn der Irrsinn Methode hat, macht es wenig Sinn, Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten, um den Wahnsinn ein wenig erträglicher zu gestalten. Der Sozialstaat ist kein Rückzugsgebiet, die Arbeit kein Lebenselixier. Nur eine Gesellschaft, in der die Menschen ihre Bedürfnisse gemeinsam artikulieren, kommunizieren und die Produktion entsprechend ausrichten, ohne Chefs und Herrschaft, ohne Rassismus und Sexismus, nur eine solche Gesellschaft kann ein Ausweg aus dieser Misere sein. Utopisch? Ganz sicher! Aber allemal besser als das, was wir hier vorfinden. Und das finden sicher auch und vor allem die Milliarden Ausgegrenzten dieser Erde. Gebrauchsanweisungen zur Arbeits und Sozialkritik in Zeiten kapitalistischen Amoklaufs nennt sich das im Unrast Verlag erschienene Buch Dead Men Working. Anstatt sich totzuarbeiten, sollten wir lieber eine Pause einlegen, darüber nachdenken, was wir hier eigentlich tun, und dazu ein gutes Buch wie dieses lesen. Vielleicht auf der Busfahrt nach Berlin, während die anderen noch ein wenig ausschlafen. Es kostet 16 Euro. |
Ausgrenzungen grenzenlosen WahnsBesprechung von : Mittelweg 36, Heft 4/2004, EUR 9,50 Um Ausgrenzung, auf Neudeutsch Exklusion, geht es auch im August / September Die neoliberale Wahnwelt benötigt nur noch eine bestimmte Masse an möglichst billigen Arbeitskräften. Während in den Zeiten des sozialstaatlichen Kompromisses der 60er und 70er Jahre nur Randgruppen nicht wirklich zur Gesellschaft gehörten, führen die ökonomischen Erosionsprozesse heute dazu, daß sich selbst die Mitte der Gesellschaft nicht sicher sein kann, auch morgen noch dazuzugehören. Der Soziologe Heinz Bude schreibt hierzu: Die Formel von der So wird im politischen Alltagsgeschwätz dann auch von Chancen und Risiken geredet, als ob die individuellen Schicksale nebensächlich wären. Doch was geschieht, wenn man oder frau den eigenen Platz in dieser Welt verloren hat, wenn es scheinbar und oftmals auch tatsächlich keine wirkliche Perspektive gibt? Nun, die gesellschaftliche Polarisierung sortiert die Nützlichen aus, säubert ihre öffentlichen Orte der warenförmigen Lustbarkeiten vom verkaufsschädlichen Gesindel, und sperrt sie falls nötig weg. Dies ist oftmals nicht einmal nötig: die Ausgegrenzten sperren sich selbst in ihre eigenen vier Wände ein und erflimmern sich eine eigene Welt. Oliver Callies ergänzt in einem zweiten Beitrag zum Thema Exklusion, daß die hiervon Bedrohten oder gar Betroffenen dennoch mit unterschiedlicher Selbstwahrnehmung damit umgehen. Erst die fehlende Zukunftsperspektive macht auch in der eigenen Wahrnehmung das Ausgegrenzte aus. Berthold Vogel schließlich betrachtet den Nachmittag des Wohlfahrtsstaats, der seiner Meinung nach noch nicht seine Bedeutung eingebüßt hat. Allerdings nimmt die Verletzbarkeit Einzelner und auch bestimmter gesellschaftlicher Gruppen zu und es stellt sich die Frage, welche Rolle der Staat in Zukunft für die Reproduktion gesellschaftlicher Verhältnisse einnehmen wird. Hier wäre den Autoren jedoch zu wünschen gewesen, sie hätten sich illusionsfrei mit der Frage beschäftigt, ob der Staat überhaupt für die Menschen da ist. Es könnte ja sein, daß der Staat nicht nur der Ausschuß ist, der die Geschäfte der gesamten Kapitalistenklasse führt, sondern seinen Bürgerinnen und Bürgern gegenüber als Summe aller hierfür notwendigen Ordnungsmaßnahmen auftritt. |
Was Adorno zur Ikone machtGeradezu spannend hingegen ist der Aufsatz von Christian Schneider über den Holocaust als Generationenobjekt. Seine These ist, daß die zweite Generation nach dem Holocaust den Umgang mit diesem bewacht und dabei bestimmte Deutungsmuster dieses Verbrechens kanonisiert und monopolisiert. Diese zweite Generation hat nicht nur Ende der 60er Jahre ihren Eltern den Prozeß gemacht, sondern sich ein Generationenobjekt erwählt, welches für diese Generation eine ganz besondere Bedeutung besitzt. Christian Schneider fragt weiter: Warum können Achtundsechziger so schwer alt werden? Warum haben viele von ihnen den problematischen Habitus von Interessant ist der immer wieder vorzufindende Bezug auf die Kritische Theorie, insbesondere auf Adorno und Horkheimer. Sie galt den 68ern als Schlüssel zur Welt und sie versprach die Antwort auf die Frage, wie es zu Auschwitz hat kommen können. Als jüdische Intellektuelle waren Adorno und Horkheimer Identifikationsfiguren und sie nahmen diese Rolle schon Ende der 40er Jahre auch bewußt an. Das Ganze kann jedoch auch als Tauschgeschäft gesehen werden. Der unbewußte Pakt zwischen [Adorno] und seinen Studenten basierte darauf, daß er ihnen mit seiner Theorie, seiner Art des Denkens und Redens die Möglichkeit einer alternativen intellektuellen Herkunft bot und sie es ihm, das war die andere Seite des Bündnisses, mit ewiger Schülerschaft vergolten. [ ] Das Bündnis zwischen dem ungewöhnlichen Lehrer und seinen Schülern basierte letztlich auf einer unaussprechbaren Schuld. [19] Die zweite Schülergeneration rebellierte jedoch und behandelte die Kritische Theorie dennoch als Glaubensbekenntnis. Dies funktionierte deshalb, weil die 68er sich auf die Frühschriften Adornos und Horkheimers beriefen, um praktisch tätig werden zu können. Um das Schweigen der Elterngeneration zu dechiffrieren, wurde der Holocaust das Thema dieser Generation. Und da sie sich daran abgearbeitet hatten und somit etwas glaubten verstanden zu haben, machten sie dieses Verstandene zum Objekt ihrer eigenen Identität. Den Nachgeborenen konnten sie nur unterstellen, diese Arbeit nie leisten zu können, sich nie gegen die Elterngeneration durchgesetzt haben zu müssen, woraus folgt: nur sie selbst sind im Besitz der Wahrheit. Vielleicht erklärt dies das zuweilen hartnäckige Beharren darauf, daß sie die heutigen Schülerinnen und Schüler immer wieder mit der Geschichte des Nationalsozialismus zu beschäftigen haben. So als bestehe der Verdacht, daß diese nachwachsende Generation unfähig sei, eine ähnlich intensive Einfühlung in die Geschichte und auch eine Identifikation mit den Opfern des Holocaust zu erreichen. Es gibt somit ein Monopol des Verstehens und die Metapher von der Singularität von Auschwitz entfaltet hier ihre volle Bedeutung. Würde diese Metapher an Bedeutung verlieren, entfiele ein wesentlicher identitätsstiftender Bezugspunkt. Und vielleicht auch der Jugendwahn. Ich gebe zu, daß mir der Schluß daraus nicht gefällt, auch wenn ich das selbstgefällige Moralisieren der 68er ablehne. Aber die Frage drängt sich schon auf: wohin führt dieses Festhalten am eigenen Identifikationsobjekt? Joschka Fischer mußte ja bekanntlich Krieg gegen Jugoslawien führen, um ein neues herbeiphantasiertes Auschwitz zu verhindern. Aber wohin führt es uns, dieses Absolute des Singulären neu zu bewerten? Wie leicht wird die historische Schuld geleugnet und wie schnell die daraus zu ziehende Verantwortung beiseite geschoben? Dennoch ist Christian Schneiders Gedankengang sinnvoll. Denn historisches Bewußtsein, Verantwortung und Emanzipation lassen sich nicht verordnen [20]. Sie müssen jedesmal neu in der Auseinandersetzung mit den herrschenden ungerechten Verhältnissen erarbeitet, wenn nicht erkämpft werden. Ich empfehle daher, den Aufsatz selbst zu lesen und sich eigene Gedanken hierzu zu machen. Nachzuschlagen in Heft 4/2004 der Zeitschrift Mittelweg 36. Das Heft kostet 9 Euro 50. |
SchlußJingle Alltag und Geschichte zum Schluß mit einigen Veranstaltungs und Demonstrationsterminen: Für Dienstagabend um 19 Uhr 30 ist in der Löwenhofreite in Michelstadt eine Veranstaltung über die Schnittstellen von Esoterik und Neofaschismus angekündigt. Claudia Barth referiert hier über Esoterik und Leitkultur. Die Ausstellung Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma im Staatsarchiv am Karolinenplatz hat noch bis zum 6. Oktober geöffnet. Am Mittwochabend um 17 Uhr lohnt sich ein Besuch besonders, denn dann gibt es eine öffentliche Führung durch die Ausstellung. Am Samstag findet in Berlin die Großdemonstration gegen die Plünderungstour der Bundesregierung, auch Hartz IV und Agenda 2010 genannt, statt. Um 5 Uhr morgens fährt ein Bus vom Gewerkschaftshaus los; die Fahrkarte kostet pro Person 5 Euro. Anmeldungen nimmt der AStA der TU Darmstadt unter 16 88 01 entgegen. Für Sonntag wird zur Protestkundgebung gegen einen weiteren Neonazi Die Ausstellung Dies war eine Sendung der Redaktion Alltag und Geschichte auf Radio Darmstadt. Diese Sendung wird in der Nacht von Montag auf Dienstag um 23 Uhr wiederholt, sowie am Dienstag nach dem Radiowecker um 8 Uhr und noch einmal ab 14 Uhr. Die Redaktion ist entweder telefonisch über ihre Voice Das Sendemanuskript zu dieser Sendung werde ich in den nächsten Tagen auf meiner eigenen Homepage zugänglich machen: www.waltpolitik.de. In wenigen Minuten folgt eine Sendung der Kulturredaktion, und zwar Äktschn! Am Mikrofon war Walter Kuhl. |
ANMERKUNGEN |
[1] Darmstädter Echo vom 22. September 2004 |
[2] Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, Bericht der [Hartz] |
[3] Siehe hierzu beispielsweise von Gerd Wiegel: Die Union und der rechte Rand. Zur Strategie der CDU/CSU |
[4] Freie Presse (Chemnitz) vom 24. September 2004; zit. nach DeutschlandRadio Berlin, Nachrichten vom 24. September 2004 |
[5] Darmstädter Echo vom 28. September 2004: "SPD und CDU trotz Verlusten zufrieden". DeutschlandRadio Berlin, Nachrichten vom 26. September 2004: "Die Landesvorsitzenden der Parteien zeigen sich mit den Ergebnissen zufrieden." |
[6] Die kapitalistische Gesellschaft als Borg |
[7] Ernst Lohoff : Das Schweigen der Lämmer. Neue soziale Frage im entsicherten Kapitalismus, in: Dead Men Working, Seite 15 |
[8] Lothar Galow |
[9] Galow |
[10] Silke Lautenschläger, Roland Koch und all ihre treuen Fans werden sich hier wiederfinden. |
[11] Woraus wir für's Leben lernen: Immer wenn von uns als Kunden (seltener als Kundinnen) geredet wird, sollten wir höllisch vorsichtig sein! |
[12] Frank Rentschler : Der aktivierende Staat macht mobil. Auswirkungen des |
[13] Holger Schatz : Last Exit Meritocracy. Zur Herrschaftsrationalität der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, in: Dead Men Working, Seite 144145 |
[14] Maria Wölflingseder : |
[15] Wölflingseder, Seite 156 |
[16] Eine durchschnittliche Mitteleuropäerin verbringt im Verlauf ihres Lebens wahrscheinlich zwei bis drei Monate (24 Stunden, jeden Tag!) schlangestehend vor den Kassen von Supermärkten, Einkaufszentren oder Lifestyle |
[17] Heinz Bude : Das Phänomen der Exklusion. Der Widerstreit zwischen gesellschaftlicher Erfahrung und soziologischer Rekonstruktion, in: Mittelweg 36, Heft 4/2004, Seite 315, Zitat auf Seite 12 |
[18] Christian Schneider : Der Holocaust als Generationsobjekt. Generationengeschichtliche Anmerkungen zu einer deutschen Identitätsproblematik, in: Mittelweg 36, Heft 4/2004, Seite 5673, Zitat auf Seite 61 |
[19] Schneider, Seite 63 |
[20] Das ist nicht zuletzt der Grund dafür, warum die Geschichtslektion "Holocaust" von nicht wenigen Schülerinnen und Schülern als so quälend erlebt wird. Staatlich verordnete Gedenkpolitik setzt nämlich gerade nicht auf Erziehung zur Emanzipation, Selbstbestimmung und Verantwortung. Schulziel ist die möglichst reibungslose Integration in den Arbeitsmarkt nach Kriterien der Verwertbarkeit. Es liegt also nicht an der "heutigen Jugend", daß politisch so wenig mit ihr anzufangen ist, sondern an den gesellschaftlichen Umständen, die Kinder und Jugendliche systematisch daran hindern, zu reflektierten, kritischen und (im Sinne der kapital |
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