Ausschnitt aus einem Michelle Shocked Plattencover
Short Sharp Shocked

Kapital – Verbrechen

Die Lichtgestalt in der Dunkelkammer der Finanzkrise

Sendemanuskript

 

Sendung der Redaktion Alltag und Geschichte

Radio: Radio Darmstadt

Redaktion und Moderation: Walter Kuhl

Ausstrahlung am:

Montag, 26. Januar 2009, 17.00 bis 18.00 Uhr

Wiederholt:

Dienstag, 27. Januar 2009, 05.00 bis 06.00 Uhr
Dienstag, 27. Januar 2009, 08.00 bis 09.00 Uhr
Dienstag, 27. Januar 2009, 16.00 bis 17.00 Uhr

Zusammenfassung:

Ein Kommentar zu Barack Obamas Antrittsrede leitet über zu einem Vortrag von Winfried Wolf über die Finanzkrise und wird abgeschlossen durch eine Besprechung des Buchs „Wahnsinn mit Methode“ von Sahra Wagenknecht.

Besprochenes Buch:

Sahra Wagenknecht : Wahnsinn mit Methode, Verlag Das Neue Berlin

Playlist:

Michelle Shocked : Short Sharp Shocked

 


 

Inhaltsverzeichnis

 


 

Einleitung

Jingle Alltag und Geschichte

Die folgende Stunde stelle ich unter die Formulierung: Die Lichtgestalt in der Dunkelkammer der Finanzkrise. Und in der Tat werde auch ich eine Woche nach der Amtseinführung von Barack Obama einige Worte hierzu vortragen. Keine Angst. Ich werde euch mit einer langweiligen Analyse verschonen, ich werde auch nicht die Zeitungen aus aller Welt zitieren. Ich denke, es gibt da die eine oder andere Facette, die im positiven Feedback zu Barack Obamas Antrittsrede untergegangen ist. Facetten, die uns vielleicht nicht so ganz hoffnungsfroh machen sollten.

Ebenfalls am vergangenen Dienstag sprach auf einer Veranstaltung des Zukunftsforums Gewerkschaften Rhein-Neckar und attac in Mannheim Winfried Wolf über die Finanzkrise und ihre Folgen für die Wirtschaft und die Beschäftigten. Den etwa halbstündigen Redebeitrag hat mir der bermuda.funk in Heidelberg und Mannheim zur Verfügung gestellt. Abschließend möchte ich noch das schon im Oktober herausgebrachte Buch der kommunistischen Autorin Sahra Wagenknecht über den Wahnsinn mit Methode vorstellen, das ebenfalls den Finanzcrash zum Thema hat. Nach der Lektüre ihres Buches können wir uns vorstellen, weshalb Barack Obama so viele Millionen an Wahlkampfspenden erhalten hat, und zwar von denen, die sich an dieser Krise ganz gewiß schadlos halten wollen.

Am Mikrofon für die Redaktion Alltag und Geschichte ist Walter Kuhl von der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt.

 

Der 770 Millionen Dollar Mann

Der neue US-amerikanische Präsident hat seine Arbeit aufgenommen. Ok, es gab ein kleines Problem mit dem Amtseid, aber das ist nicht wirklich wichtig. Daß sich mit Barack Obama unerfüllbare Wünsche, Hoffnungen und Projektionen verbinden, sollte allen Menschen klar sein, die ihren gebannten Blick auf die neue Lichtgestalt kurz unterbrechen und ebenso kurz darüber nachdenken, wer diesen Präsidenten mit wievielen Millionen Dollar auf den Thron gehoben hat.

Mir kann nun wirklich keine und niemand erzählen, daß die unglaubliche Summe von 770 Millionen Dollar alleine durch die Spenden vieler kleiner Leute zustande gekommen ist. Vor allem, wenn wir bedenken, daß alle anderen Kandidatinnen und Kandidaten im Laufe des zweijährigen Vorwahlkampfs und Wahlkampfs gerade einmal zusammengerechnet auf diese Summe gekommen sind. Das kapitalistische Kalkül im Hinterkopf wissen wir, welche Politik wir von Barack Obama zu erwarten haben. Wenn wir dann in seiner Antrittsrede hören können, daß er von der üblichen harten Arbeit redet, die uns erwartet, dann sagt dies uns, daß er das kapitalistische Arbeitsethos verinnerlicht hat. Wir schuften, damit andere gut leben können.

Überhaupt erfreute sich Barack Obamas Rede großzügigen Wohlwollens. Doch es sind bekanntlich die Zwischentöne, die die Musik machen, und die Zwischentöne sollten uns schnell von der Illusion zur rauhen Wirklichkeit zurückführen. Barack Obama will den Irak in verantwortungsvoller Weise den Irakerinnen und Irakern zurückgeben, später einmal. Doch wer sind diejenigen, die hiervon profitieren?

Der Irak ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie eine Besatzungsmacht lokale Rivalitäten dazu nutzt, Stämme und Religionen gegeneinander aufzubringen und die Menschen derart voneinander zu entfremden, daß Gewalt und Haß dafür sorgen, daß das irakische Volk in den nächsten 50 Jahren nicht auf die dumme Idee kommen wird, die eigenen Geschicke selbst in die Hand zu nehmen. Und dazu waren die Irakis durchaus einmal fähig, beispielsweise 1958, als sie ihren pro-britischen König Faisal II. stürzten. Hier wird die Macht an verantwortungsbewußte Männer zu übergeben sein, welche ausreichend Gewähr dafür bieten, daß das Volk nicht noch einmal auf dumme Gedanken kommt. Vom irakischen Öl schweigen wir dann besser.

Die Ankündigung, daß die US-Truppen den Irak verlassen und in Afghanistan Frieden herstellen werden, läßt mich an weitere feige und heimtückisch hingemetzelte Hochzeitsgesellschaften und die Unterstützung des Warlord-Regimes unter dem Vasallen des Westens, Hamid Karsai, denken [1]. Barack Obama gibt sich als Gegner regierungsamtlicher Geheimniskrämerei zu erkennen. Werden in Zukunft US-amerikanische Terrorjagden ohne Wahrheitsschminke übertragen? – Wie auch immer, mir sind insbesondere zwei Stellen aufgefallen, die unscheinbar geblieben sind und dennoch einiges darüber aussagen, wohin uns der Kurs des neuen freiheitsliebenden, auf den Patriotismus der Vorväter aufbauenden Amerika führen wird.

An einer Stelle bezieht er sich darauf, daß die USA eine Nation von Christen und Moslems, Hindus und Nichtgläubigen seien. Und was ist mit denen, die vor den Vorvätern das Land besiedelten und die von den Terroristen des 16. bis 19. Jahrhunderts belogen, betrogen, beraubt, vertrieben und getötet wurden? Dieser seltsame Blick auf die Native Americans wird bestärkt durch eine andere Formulierung, wonach er auf die Leistungen dieser Vorfahren verweist, die auch den Westen besiedelt hätten. War da vorher keine und niemand?

Noch seltsamer wird es, wenn einige Worte später auf die Kämpfe von Concord und Gettysburg, die Normandie und Khe Sanh verwiesen wird. Nun mögen die USA ihre Mythen von Concord und Gettysburg gerne pflegen, und der Angriff auf die deutschen Stellungen in der Normandie war 1944 längst überfällig. Doch Khe Sanh, kennt jemand oder eine von euch Khe Sanh? Ich dachte, ich höre nicht richtig.

Ende Dezember 1967 hieß es in der Einladung zur Silvesterparty in der amerikanischen Botschaft von Saigon: „Kommen Sie, um das Licht am Ende des Tunnels zu sehen.“ Es war ein Witz. Seit Monaten hatten die Generale Lyndon Johnson, und er wiederum der amerikanischen Bevölkerung, erzählt, es gebe Licht am Ende des Tunnels. Es sieht jetzt düster aus, wir können nicht klar sehen, aber haltet noch ein bisschen durch und wir werden gewinnen.[2]

Ein Monat später fand das vietnamesische Neujahrsfest statt – Tet. Es läutete die nicht unbedingt militärisch, aber auf jeden Fall propagandistisch größte Niederlage der USA bis zur Pleite im Irak ein.

Die vietnamesische Nationale Befreiungsfront griff im Süden des Landes an, überrannte die Städte und besetzte kurz die US-amerikanische Botschaft am Ende des Tunnels. Während dessen organisierte die nordvietnamesische Armee ein großangelegtes Ablenkungsmanöver an der Grenze zum Süden, um die US-Truppen zu binden. Eben bei Khe Sanh. Leider nicht alle Truppen. Der wahrlich bemerkenswerte Satz eines US-Offiziers im Mekong-Delta machte weltweit die Runde und sagte alles über den jämmerlichen, feigen, terroristischen Charakter des Vietnamkrieges aus: „Um die Stadt zu retten, mussten wir sie zerstören.“ [3]

Und während US-Bomber und Marines, CIA-Agenten und Generäle die Guerilla buchstäblich pulversisierten und dabei natürlich keinerlei Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nahmen, wirde auch bei Khe Sanh gekämpft. Erbittert gekämpft. Nicht wirklich klar ist, ob die Nordvietnamesen die US-Basis wirklich einnehmen wollten. Doch auch hier, wie bei der Tet-Offensive im Süden, kämpften vorwiegend Menschen gegen Maschinen, und der Blutzoll war hoch. Wahrlich ein Grund, darauf stolz zu sein, Barack Obama. Schlecht bewaffnete Truppen abzumurksen. Aber das ist ja jetzt auch das Programm für Afghanistan.

Tet war der Anfang vom Ende des US-Krieges in Vietnam.

 

Die Wirtschaftsweisen

In der folgenden halben Stunde könnt ihr einen Vortrag von Winfried Wolf über die Finanzkrise und ihre Auswirkungen hören. Winfried Wolf war von 1994 bis 2002 für die damalige PDS Abgeordneter im Deutschen Bundestag und gilt als einer der profiliertesten linken Ökonomen in Deutschland. Er ist außerdem als einer der Sprecher des Bündnisses Bahn für Alle ein sachlich ebenso fundierter wie vehementer Kritiker des Börsengangs der Deutschen Bahn. Den folgenden Redebeitrag hielt Winfried Wolf am vergangenen Dienstag in Mannheim auf Einladung des Zukunftsforums Rhein-Neckar und von attac. Die Aufzeichung nahm das freie Radio für Heidelberg und Mannheim bermuda.funk vor.

Cash, Crash und Crisis

Mit nebenstehendem Player kann der Redebeitrag (Länge: 28 Minuten, 23 Sekunden) angehört werden. Siehe zum gesendeten Beitrag auch die Kurzbeschreibung auf dem Audioportal des Bundesverbandes Freier Radios.

Winfried Wolf über die Finanzkrise und ihre Auswirkungen. Ein Beitrag vom freien Radio bermuda.funk.

 

Die wahnsinnig rationalen Methoden der neoliberalen Gaukler

Besprechung von : Sahra Wagenknecht – Wahnsinn mit Methode. Finanzcrash und Weltwirtschaft, Das Neue Berlin 2008, 254 Seiten, € 14,90

Der Crash kam vollkommen unerwartet. Zumindest für diejenigen, die jahrelang als Gesundbeter des neoliberal durchgeknallten Kapitalismus durch die Lande zogen und überall verbreiteten, daß wir alle im marktorganisierten Wahnsinn unsere Chancen suchen sollen. Doch auch alle diejenigen, die schon immer vor der Krisenhaftigkeit des globalen Kapitals gewarnt hatten, waren unvorbereitet, als es dann auch wie erwartet kam. Die Linke könnte jetzt ernten, was die Manager und ihre willfährigen Politikerinnen gesät haben. Aber so einfach ist das eben nicht.

Buchcover Wahnsinn mit MethodeMitte 2007 platzte die vorerst letzte Blase des kapitalistischen Spekulationsfiebers an ihren eigenen Widersprüchen. Kredite konnten nicht länger bedient werden und sogenannte Subprime-Hypotheken erwiesen sich als uneinbringbar. Mit einem Mal stockte das Geschäft mit den virtuellen Titeln auf dem Immobilien- und dann auch auf dem Aktienmarkt. Die Gefahr des Kollaps des globalen Finanzsystems wurde als derart gefährlich angesehen, daß seither immer größere Rettungspakete diskutiert und aufgelegt wurden, um zu verhindern, daß die Krise der Finanzblase sich zu einer Krise der Realwirtschaft auswächst.

Soweit bekannt.

Dennoch gibt diese Krise genügend Stoff her für Bücher und Artikel, Features und Stories. Die Frage ist, wer mit welchem Interesse uns was darüber erzählt. Natürlich haben die früheren Gesundbeter auch heute nichts Besseres zu tun, als uns zu beruhigen und auf zukünftige neue Chancen im globalen Kasino einzustimmen. Insofern müssen wir ihren Stimmen nicht lauschen, denn sie seifen uns ein, damit die große neoliberale Umverteilung – wie Marx das sagen würde – auf höherer Stufenleiter weitergehen kann. Es gibt jedoch auch Autorinnen und Autoren, die ein anderes Interesse verfolgen. Sie sehen in der Finanzkrise nicht einfach einen Auswuchs eines ansonsten gesunden Marktgeschehens. Das System macht keine Fehler, denn es ist der Fehler. Der profitorientierte Kapitalismus ist keine Schmuseveranstaltung, sondern eine knallharte Angelegenheit. Was der Markt nicht richtet, wird mit Gewalt exekutiert. Wer nicht mithalten kann, wird ausgepreßt und weggeworfen, darf verhungern oder wird mit der Maschinerie der Hartz IV-Agenturen weichgekocht.

Vor einigen Wochen hatte ich an dieser Stelle die Aufzeichnung eines Vortrags von Lucas Zeise über die Hintergründe der Finanzkrise eingespielt. Soeben habt ihr Winfried Wolf hierzu gehört; wobei anzumerken ist, daß bei der Veranstaltung in Mannheim Lucas Zeise daneben saß. Die ökonomiekritische Zeitschrift Lunapark21 habe ich hier auch schon vorgestellt. Heute möchte ich gegen Ende dieser Sendung kurz das im Herbst des vergangenen Jahres erschienene Buch der marxistischen Autorin und Politikerin Sahra Wagenknecht vorstellen. Auch wenn von Lucas Zeise, Winfried Wolf oder Lunapark21 schon eine Menge zur Finanzkrise, den Hintergründen, den Absahnern und den Auswirkungen gsagt wurde, so ist eine weitere Buchvorstellung durchaus gerechtfertigt.

Sahra Wagenknecht erzählt nicht einfach dieselbe Geschichte mit anderen Worten. Sie legt den Finger auf den entscheidenden Punkt. Deshalb lautet der Titel ihres Buches auch „Wahnsinn mit Methode“. Und der Wahnsinn hat Methode, eine Methode, die Sahra Wagenknecht vielleicht etwas langatmig, dafür aber auch präzise herausarbeitet.

Wenn die Autorin vom grassierenden Wahnsinn schreibt, so hält sie die Akteure nicht für irre. Ganz im Gegenteil – das Handeln der Akteure auf dem Finanzparkett, in den Konzernzentralen und Ministerialbürokratien ist durchaus rational und zielgerichtet. Allerdings ergibt die Summe des gesamtrationalen Handelns nicht unbedingt ein ebenso rationales Ergebnis. Was für den Einzelnen rational zu sein scheint, ist in einem auf Konkurrenz und Intransparenz beruhenden Marktgeschehen unkontrollierbar und führt zu scheinbar irrationalen Ergebnissen. Wenn wir aber jede kapitalistische Krise als Bereinigungskrise begreifen, dann entspricht auch die Krise einer eigenen Rationalität. Mit der Krise rettet sich das System der globalen Plusmacherei vor den eigenen Zauberlehrlingen. Die Frage bleibt jedoch, ob dies unendlich so weitergehen kann, und vor allem, mit wieviel Leid, Elend und Tod dies buchstäblich erkauft wird.

Sahra Wagenknecht schreibt:

Die aktuelle Krise ist eben nicht nur das Werk unkontrollierter Spekulanten und geldgieriger Investmentbanker, die durch eine bessere Regulierung wieder auf den Pfad der Tugend zurückzuführen wären. Der endlose Finanzschaum speist sich aus Reservoirs, die sehr viel tiefer liegen. Er quillt aus den Lebensadern eines Wirtschaftssystems, das nur produziert und investiert, wenn die Rendite für die Kapitalgeber stimmt, und für das daher Löhne, Sozialabgaben oder auch Unternehmenssteuern nichts als lästige Kostenfaktoren sind, deren man sich nach Möglichkeit zu entledigen hat. In dieser Fixierung auf Profit statt Bedarf liegt die letzte Ursache aller Ungleichgewichte, Instabilitäten und Krisen, die selbst ein besser regulierter Kapitalismus immer wieder erzeugen wird, von einem ungezügelten und enthemmten nicht zu reden. [4]

Hieraus läßt sich auch nur ein Schluß ziehen: Alle diejenigen, die uns die Idee eines Kapitalismus ohne Auswüchse anbieten, einen Kapitalismus, in dem die Finanzspekulation besteuert werden soll, aber auch einen Kapitalismus in öffentlicher Hand, betreiben Symptomkuren.

Da ist schon das realistischer, was Tausende von SPD-Wählerinnen und Wählern bei der Landtagswahl in Hessen getan haben. Sie haben die Heimatpartei des durchgeknallten Wahnsinns gewählt, nämlich die FDP, in Erwartung, am neuen Finanzkuchen teilhaben zu dürfen. Eine Gesellschaft, in der die Menschen ihr Heil bei der FDP suchen, hat wirklich nicht alle Tassen im Schrank. Und doch ist das Kalkül realistisch. Warum eine SPD wählen, die uns Hartz IV gebracht hat, wenn uns die FDP verspricht, daß jetzt die Experten im Absahnen die Sache in die Hand nehmen? Und mal ehrlich, wollen wir nicht alle ein bißchen auf Kosten Anderer absahnen?

Weshalb ich darauf komme?

Was schon Winfried Wolf in seinem Vortrag angedeutet hat, findet sich auch bei Sahra Wagenknecht wieder. Nachdem sie verschiedene Szenarien der Krisenbewältigung durchgegangen ist, die alle auf eine weitere Umverteilung zugunsten der Reichen und Superreichen hinauslaufen und auf mehr soziale Unsicherheit, Armut und Elend für den Rest der Welt, redet sie der Überwindung des Kapitalismus das Wort. Soweit habe ich auch nichts dagegen einzuwenden. Die Frage ist jedoch, wer das in diesem Zusammenhang in die Diskussion eingebrachte öffentliche Eigentum an Banken, Versicherungen oder Schlüsselindustrien verwaltet, wer es kontrolliert, nach welchen Prinzipien gewirtschaftet werden soll. Das ist der Autorin durchaus bewußt:

Öffentliches Eigentum als solches ist noch keine Garantie anderer Prioritäten. Öffentliche Banken brauchen klare Vorgaben, die sie auf gemeinwohlorientiertes statt renditefixiertes Wirtschaften und eine gemeinnützige Gewinnverwendung festlegen. [5]

Damit wäre zum Beispiel der Darmstädter Magistrat ein schlechter Verwalter eines derart öffentlichen Eigentums. Aber wer dann sonst? Das sind Fragen, die wir uns nicht nur stellen, sondern auch jenseits kapitalistischer Effizienzkriterien beantworten müssen.

Eine Stelle in ihrem Buch hat mir sehr gut gefallen, obwohl sie ein bißchen theorielastig ist. Aber sie bringt den Wahnsinn auf den Punkt. Unter Renditegesichtspunkten kann das Problem der Nachfrage kostenneutral und profitabel nur dadurch gelöst werden, daß die Nachfrage sich aus privaten Investitionen, dem Konsum von Unternehmern, den Beziehern von Dividenden und der Zinsrentiers speist. Das heißt: Nicht aus Löhnen, Beiträgen oder Steuern. Gut fürs Geschäft sind auch kreditfinanzierte Staatsausgaben oder kreditfinanzierter Konsum, und natürlich ein Exportüberschuß.

Die Logik ist folgende: Investitionen, der Konsum der Superreichen, aufgenommene Kredite oder Exporte belasten das einzelne Kapital nicht. Insofern geht der neokeynesianische Ruf nach Förderung der Binnennachfrage vollkommen an den Interessen des Kapitals vorbei. Die extreme Exportorientierung der deutschen Wirtschaft ist so gesehen vollkommen rational, auch wenn klar ist, daß dieses Modell nicht ewig funktionieren kann. Denn wenn alle dasselbe machen, bricht das Chaos aus, die Krise kommt und alle – Kapitalisten – müssen jammern, heulen und mit den Zähnen klappern. Wie gut, daß man dann den Markt mit der Waffe in der Hand bereinigen kann. Die letzte große Weltwirtschaftskrise wurde auf genau diese Art und Weise gelöst.

Insofern ist der Schlußgedanke von Sahra Wagenknecht nicht einfach eine Metapher.

Die Überwindung des Kapitalismus ist nicht nur eine Frage von Produktion und Verteilung. Sie könnte sehr schnell wieder zu dem werden, was sie zu [Rosa] Luxemburgs Zeit und in den Jahren danach schon einmal war: eine Frage von Zivilisation oder Barbarei. Damals siegte die Barbarei.

Wir sollten nicht darauf warten, ob sie es wieder tut. [6]

Ich finde, die Barbarei ist auch heute schon wahnsinnig weit verbreitet.

Sahra Wagenknechts 254 Seiten umfassendes Buch mit dem Titel „Wahnsinn mit Methode“ ist im Verlag Das Neue Berlin zum Preis von 14 Euro 90 erschienen.

 

Ausblick

Jingle Alltag und Geschichte

In der vergangenen Stunde hörtet ihr einen Kommentar zur Lichtgestalt Barack Obama, einen Redebeitrag von Winfried Wolf über die Finanzkrise und ihre Auswirkungen, sowie eine Besprechung des Buchs „Wahnsinn mit Methode“ von Sahra Wagenknecht.

In meinen beiden Februar-Sendungen werde ich ein längeres Gespräch mit der tschetschenischen Journalistin Mainat Kourbanova vorstellen, das ich mit ihr Anfang Januar geführt habe. In Tschetschenien läuft der von Rußland geführte Krieg auf Sparflamme weiter, während die Merkels und Steinmeiers und selbstverständlich auch die Obamas kein Problem mit gutnachbarschaftlichen Beziehungen zum Verantwortlichen massivster Menschenrechtsverletzungen und Massentötungen haben. Das wissen wir eigentlich alle oder wir sollten es zumindest wissen. Mich interessierte daher etwas anderes, nämlich das Leben im unabhängigen Tschetschenien zwischen den beiden Kriegen. Und ich denke, daß mein Gespräch mit Mainat Kourbanova auch für euch einige neue Einsichten bereit hält.

Meine beiden Tschetschenien-Sendungen werden jeweils montags am 9. und am 23. Februar ab 17.00 Uhr zu hören sein. Oder am darauf folgenden Dienstag, also am 10. und am 24. Februar, morgens ab 8.00 Uhr.

Meine heutige Sendung wird am Dienstag um 8.00 und um 14.00 Uhr wiederholt werden. Im Anschluß folgt eine Sendung der Kulturredaktion von Radio Darmstadt. Am Mikrofon war Walter Kuhl von der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt.

 

ANMERKUNGEN

 

Mittels eines Klicks auf die Nummer der jeweiligen Anmerkung geht es zur Textpassage zurück, von der aus zu den Anmerkungen verlinkt wurde.

 

»» [1]   Kaum im Amt, ging das Gemetzel in Afghanistan weiter. Am 24. Januar 2009 endete ein angeblich gegen Taliban gerichteter Einsatz mit dem Tod von 16 Zivilpersonen. Siehe hierzu den Artikel in der Süddeutschen Zeitung am 26. Januar 2009.

»» [2]   Jonathan Neale : Der amerikanische Krieg [2001, dt. 2004], Seite 129.

»» [3]   Neale Seite 131.

»» [4]   Sahra Wagenknecht : Wahnsinn mit Methode, Seite 188.

»» [5]   Wagenknecht Seite 246.

»» [6]   Wagenknecht Seite 248.

 


 

Diese Seite wurde zuletzt am 25. Februar 2009 aktualisiert. Links auf andere Webseiten bedeuten keine Zustimmung zu den jeweiligen Inhalten, sondern sind rein informativer Natur. ©  Walter Kuhl 2001, 2009. Die Wiedergabe, auch auszugsweise, ist nur mit dem Einverständnis des Verfassers gestattet.

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