Dr. Hans-Joachim Landzettel beim Vortrag
Dr. Hans-Joachim Landzettel

Roma in Darmstadt

1979 bis 1984

Sendemanuskript

 

Sendung der Redaktion Alltag und Geschichte

Radio: Radio Darmstadt

Redaktion und Moderation: Walter Kuhl

Ausstrahlung am:

Mittwoch, 17. Juni 2009, 19.00 bis 21.00 Uhr

Wiederholt:

Donnerstag, 18. Juni 2009, 01.10 bis 03.10 Uhr
Donnerstag, 18. Juni 2009, 10.00 bis 12.00 Uhr
Donnerstag, 18. Juni 2009, 14.00 bis 16.00 Uhr

Zusammenfassung:

Mitschnitt eines Vortrags von Dr. Hans-Joachim Landzettel im Darmstädter Gewerkschaftshaus am 27. Mai 2009. Er referierte über die fünf Jahre, in denen Roma in Darmstadt erst folkloristisch willkommen geheißen und später mit polizeilichen Kontrollen, bürokratischen Schikanen und der Zerstörung eines von ihnen bewohnten Hauses kriminalisiert, stigmatisiert und vertrieben wurden.

Zu diesen Vorgängen gibt es eine Dokumentation, deren Herkunft mir nicht klar ist, die ich aber eingescannt und auf meiner Webseite zur Verfügung gestellt habe: [dokumentation].

Weiterhin wurde 1992 (oder 1993?) auf dem Luisenplatz in Darmstadt ein Flugblatt verteilt, das die Verantwortung des damaligen Oberbürger­meisters Günther Metzger für die Vertreibung der in Darmstadt lebenden Roma thematisierte: [dokumentation].

Zwischenmusik:

Fanfare Ciocărlia : Queens and Kings

 


 

Inhaltsverzeichnis

 


 

Einleitung: Vom Feingeist

Jingle Alltag und Geschichte

Am 27. Mai [2009] sprach der inzwischen in den Ruhestand getretene Kinderarzt Dr. Hans-Joachim Landzettel im Hans-Böckler-Saal des Gewerkschafts­hauses in Darmstadt über ein gerne verdrängtes Kapitel der lokalen Stadt­geschichte. Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts kamen auf Einladung des damaligen Oberbürger­meisters Heinz Winfried Sabais mehrere Romafamilien nach Darmstadt, um hier zu leben und zu arbeiten.

Wie der Referent in seinem rund einstündigen Vortrag darlegen wird, war die Stimmung in der sich so gerne als weltoffen gerierenden Stadt nur begrenzt freundlich. Einige Jahre später wurde die Abwesenheit einer dieser Romafamilien gezielt durch den damaligen Oberbürger­meister Günther Metzger ausgenutzt, um mit dem Abriß des von den Roma bewohnten Hauses vollendete Tatsachen zu schaffen. Der Skandal wurde bundesweit diskutiert.

Eine ausführliche Dokumentation dieser Ereignisse ist auf meiner Webseite nachzulesen. Gebt einfach bei einer Suchmaschine eurer Wahl die Begriffe „romadoku“ und „pdf“ ein, und ihr werdet diese Dokumentation recht leicht finden.

Ich möchte den Vortrag zum Anlaß nehmen, eine kurze Anmerkung zum Selbst­verständnis des Darmstädter Bürgertums zu machen. Der schon benannte Oberbürger­meister Sabais gilt in der offiziellen Sprach­regelung als Feingeist. Diese Auffassung ist jedoch einseitig, womöglich gar falsch. Tatsächlich stapfte selbiger Feingeist in so manches Fettnäpfchen, das eher die provinzielle Borniertheit des Darmstädter Selbst­verständnisses zum Ausdruck bringt.

Sabais, von 1971 bis 1981 Darmstadts Stadt­oberhaupt, fühlte sich berufen, den anti­kommunistischen Diskurs der SPD in das PEN-Zentrum der Bundesrepublik zu tragen, zumal es in Darmstadt seinen Sitz hat. Wo Willy Brandt 1969 noch vollmundig mehr Demokratie wagen wollte, sah die vom selben Willy Brandt mitgestaltete Realität in den kommenden Jahren gänzlich anders aus.

Mittels des sogenannten „Radikalenerlasses“ wurden in der durch die 68er aufgeweckten Bundesrepublik mehr als eintausend Berufsverboten gegen politisch engagierte Menschen ausgesprochen, die sich nicht dem anti­kommunistischen Grundkonsens des Frontstaates BRD unterwerfen wollten. Gravierender als das Berufsverbot selbst war das hiermit erzeugte Gesinnungs­klima. Rund anderthalb Millionen Menschen wurden durchleuchtet und auf politisch konformes Denken und Handeln abgeklopft.

Die Frankfurter Rundschau, damals irgendwie noch ein als linksliberal angesehenes überregionales Blatt, kam nicht umhin, dem feingeistigen Literaten auf dem Stuhl des Ober­bürgermeisters kräftig die Leviten zu lesen. Am 1. April 1975 hieß es dort unter der Überschrift „Im Geiste Noskes. Ein SPD-Winkelpoet möchte im PEN-Club Hexen jagen“:

So schlägt einem auch aus diesem Antrag nicht nur der faulige Mundgeruch einer hechelnden Reaktion entgegen, sondern gleichzeitig der ganze subalterne, geistfremde Provinzmief, den selbst alle Wohlgerüche Arabiens nicht versüßen könnten, geschweige denn die ölige Selbst­gerechtigkeit eines mäßig, aber regelmäßig dichtenden Oberbürger­meisters, destilliert auf der Darmstädter Rosenhöhe. Die Mitglieder­versammlung des PEN, … sieht sich also zugleich mit krähwinkel­haften Aktivitäten eines politischen Hinterbänklers konfrontiert, der sein partei­politisches Mütchen im PEN kühlen möchte. Gelänge es ihm, zöge die politische Hexenjäger­mentalität in das PEN-Zentrum der Bundesrepublik ein. [1]

Das PEN-Zentrum erwies sich nicht als ebenso provinziell.

Ich möchte hier nicht mißverstanden werden. Sofern Dr. Hans-Joachim Landzettel im folgenden Vortrag sich positiv auf den Feingeist Sabais bezieht, liegt dem kein Provinzmief zugrunde. Im Gegenteil – der Referent hat durch sein Reden und Handeln deutlich zum Ausdruck gebracht, daß ihm das Provinzielle des Darmstädter Kleingeistes fremd ist. Und damit übergebe ich das Wort an einen derjenigen, welcher die mehrere Jahre in Darmstadt siedelnden Roma aktiv, engagiert und mit viel Empathie begleitet hat.

Am Mikrofon ist für die Redaktion Alltag und Geschichte Walter Kuhl von der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt.

Das frei gehaltene Referat liegt nicht verschriftlicht vor.

 

Zwischenmoderation

Jingle Alltag und Geschichte

Wir sind jetzt mitten in der zweiten Stunde der heutigen Sendung der Redaktion Alltag und Geschichte angelangt. Das Thema der Sendung ist der Umgang der Stadt Darmstadt mit einigen Romafamilien, die sich von 1979 bis 1984 in Darmstadt aufgehalten haben. Der Referent war Dr. Hans-Joachim Landzettel, der damals die Kinder der Romafamilien ärztlich behandelt und betreut hat.

Im Anschluß an seinen Vortrag wurde die Frage aufgeworfen, wie der ehemalige Oberbürger­meister Günther Metzger sein Handeln gerechtfertigt habe. Hierzu noch einmal Dr. Hans-Joachim Landzettel.

Auch diese Ausführungen liegen nicht verschriftlicht vor.

 

Klauen Volksdeutsche nicht?

Ihr hörtet einen Vortrag, den Dr. Hans-Joachim Landzettel am 27. Mai auf Einladung des Bündnisses gegen Rechts Darmstadt, der Initiative „Gedenkort Güterbahnhof Darmstadt“, des Arbeitskreises Stolpersteine, des Deutschen Gewerkschafts­bundes in der Region Südhessen und der DGB-Jugend gehalten hat. Sein Thema war der feingeistig-provinzielle, aber durch und durch deutsche Umgang mit den Roma-Familien, die sich zwischen 1979 und 1984 in Darmstadt aufgehalten haben.

Ich danke dem Referenten für die Möglichkeit des Mitschnitts und hätte der Veranstaltung ein breiteres Publikum gewünscht. Nur fünfzehn Anwesende an diesem Abend belegen, daß ein auch nur halbwegs vorurteilsfreier Umgang mit Sinti und Roma in Deutschland, und das heißt auch: in Darmstadt, noch lange nicht erreicht ist.

Eines der noch harmloseren Vorurteile lautet. Roma klauen. In der Tat, das soll vorkommen; wir haben es ja auch soeben im Vortrag gehört. Sofern die Nationalität festgehalten wird, gehe ich wohl nicht fehl in der Annahme, daß die meisten Diebstähle in diesem Land von ethnisch mehr oder weniger reinen Volksdeutschen begangen werden. Höre ich ein dem entsprechendes Vorurteil „Deutsche klauen“?

Immerhin hat es die Stadt Darmstadt geschafft, mit dem Landesverband Hessen des Verbands Deutscher Sinti und Roma im Dezember 2007 einen Vertrag abzuschließen, um das – wie es hierzu heißt – „freundschaftliche Verhältnis zwischen der nationaler Minderheit Sinti und Roma und der Stadt in Darmstadt zu festigen und zu fördern.“ 

Bemerkenswert fand ich es hierbei, daß der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, bei seiner Rede am Denkzeichen Güterbahnhof im September vergangenen Jahres diese Episode aus dem Darmstädter Leben unerwähnt ließ. Wir werden seine Rede im Anschluß hören.

Ich möchte in diesem Zusammenhang zwei Bücher erwähnen. Das eine ist als Sammelband in diesem Frühjahr im Unrast Verlag herausgebracht worden und trägt den Titel „Antiziganistische Zustände“. Ich werde es in einer meiner nächsten Sendungen ausführlicher vorstellen. Das andere erschien schon, oder eigentlich besser: erst in den 90er Jahren. Herbert Heuß behandelte in seinem Band „Darmstadt. Auschwitz“ die Verfolgung der Sinti in Darmstadt.

Der Vortrag von Romani Rose liegt nicht verschriftlicht vor. Siehe hierzu meine Sendung Denkzeichen vom 13. Oktober 2008.

 

Schluß

Jingle Alltag und Geschichte

Ihr hörtet in den vergangenen zwei Stunden eine Sendung der Redaktion Alltag und Geschichte. Zunächst sprach der ehemalige Kinderarzt Dr. Hans-Joachim Landzettel über Darmstadts Umgang mit mehreren Romafamilien zwischen 1979 und 1984. Der Vortrag wurde von mir am 27. Mai im Gewerkschaftshaus aufgezeichnet. Der daran anschließende Vortrag von Romani Rose wurde von der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt im September des vergangenen Jahres am Denkzeichen Güterbahnhof aufgenommen.

Das Manuskript zu dieser Sendung werde ich in den kommenden Tagen auf meiner Webseite zur Verfügung stellen: www.waltpolitik.de. Dort könnt ihr auch die schon angesprochene Dokumentation zu Darmstadts weltoffenem Umgang mit diesen Romafamilien finden.

Ich danke der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt für ihre Unterstützung bei der Produktion dieser Sendung, die voraussichtlich am Donnerstag­vormittag zwischen 10 und 12 Uhr wiederholt werden wird. Es folgt im Anschluß eine Sendung der Kulturredaktion von Radio Darmstadt. Am Mikrofon war Walter Kuhl von der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt.

 

ANMERKUNGEN

 

Mittels eines Klicks auf die Nummer der jeweiligen Anmerkung geht es zur Textpassage zurück, von der aus zu den Anmerkungen verlinkt wurde.

 

»» [1]   Den Hinweis auf diesen Kommentar verdanke ich dem Darmstadts Umgang mit der NS-Vergangenheit thematisierenden Buch »Weh der Lüge! Sie befreiet nicht …« des deutsch-kanadischen Historikers Fred Kautz (Seite 94). Vermutlich hat auch er den Kommentar nicht selbst eingesehen, sondern der Schrift „Das Ende der Weimarer Republik“ von Henner Pingel (1978) auf Seite 11 entnommen. Da mir nicht das Original vorliegt, kann ich nicht entscheiden, wem von beiden Autoren beim Abschreiben des FR-Kommentars zwei Fehler unterlaufen sind (versüßen können oder könnten; Hexenjäger- oder Hexenjagd­­mentalität). Der Text auf dieser Webseite orientiert sich an Henner Pingels Wiedergabe.

 


 

Diese Seite wurde zuletzt am 3. August 2009 aktualisiert. Links auf andere Webseiten bedeuten keine Zustimmung zu den jeweiligen Inhalten, sondern sind rein informativer Natur. ©  Walter Kuhl 2001, 2009. Die Wiedergabe, auch auszugsweise, ist nur mit dem Einverständnis des Verfassers gestattet.

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