Sendung der Redaktion Alltag und Geschichte
Radio: Radio Darmstadt
Redaktion und Moderation: Walter Kuhl
Ausstrahlung am:
Montag, 9. März 2009, 17.00 bis 18.00 Uhr
Wiederholt:
Montag/Dienstag, 9./10. März 2009, 23.05 bis 00.05 Uhr
Dienstag, 10. März 2009, 08.00 bis 09.00 Uhr
Dienstag, 10. März 2009, 14.00 bis 15.00 Uhr
Zusammenfassung:
Die 70er Jahre wurden im deutschen Fußball im wesentlichen von zwei Mannschaften geprägt, deren Dominanz auf dem Spielfeld mitunter auch ästhetische Momente besaß. Archäologische Funde können uns einiges über frühe Herrschaftstechniken und über eine strategisch geplante Dominanz aussagen. Vorgestellt wird eine Archäologie des Schlachtfeldes, eine römische Provinz und ein hessisches Jahrbuch.
Besprochene Bücher bzw. Zeitschrift:
Playlist:
Al Stewart : Year of the Cat
Jingle Alltag und Geschichte
In meiner heutigen Sendung werde ich Spuren von Herrschaft und Dominanz nachgehen. Dies wird jedoch keine wissenschaftstheoretische Abhandlung sein, zumal dies den Rahmen einer solchen Sendung auch sprengen würde. Vielmehr möchte ich anhand mehrerer Buch- und Zeitschriftenbesprechungen dazu anregen, derartigen Spuren selbst zu entdecken. Unser Weltbild ist davon geprägt, was wir wahrnehmen, aber auch von dem, was wir wahrnehmen wollen – und erst recht davon, was nicht.
Je mehr wir über die herrschenden Verhältnisse wissen, desto weniger – so zumindest im Idealfall – werden wir mit Sichtweisen manipuliert, die in der Regeln den Interessen der herrschenden Klassen dienen. Dies gilt nicht nur für Finanzkrisen und Rohstoffkriege, sondern auch im Vereinsleben und beim Konsum moderner Medien. Ein historischer Rückblick erhellt hierbei so manches. Parallelen fallen vielleicht umso deutlicher ins Auge, wenn wir in hirstorischer Perspektive Aspekte unserer Alltagserfahrung wiederfinden.
In meiner ersten Besprechung widme ich mich einer sporthistorischen Mystifizierung. Ein Buch über Borussia Mönchengladbach in den 70er Jahren ist durchaus geeignet zu überprüfen, ob der Verein tatsächlich den schönen und attraktiven Fußball gepflegt hat, wie dies in der Rückschau heute so gerne vermittelt wird.
Anschließend werde ich das aktuelle Heft der Zeitschrift Archäologie in Deutschland vorstellen, in der es schwerpunktmäßig – 2000 Jahre nach der Varusschlacht – um ein neues Forschungsgebiet, nämlich die Schlachtfeldarchäologie geht. Details römischer Herrschaftssicherung und Dominanz werden in dem von Pierre Gros verfaßten Band über die Gallia Narbonensis in Südfrankreich deutlich. In meinem vierten und letzten Beitrag stelle ich das archäologische Jahrbuch für das Jahr 2007 in Hessen vor.
Als Redakteur am Mikrofon, aber nicht im Studio, ist Walter Kuhl von der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt.
Besprechung von : Ulrich Merk / André Schulin / Maik Großmann – Mein Verein: Borussia Mönchengladbach. Chronik der 70er Jahre, Agon Sportverlag 2008, 189 Seiten, € 25,00
Eine gute Wahl, Kindheitserinnerungen kritisch zu überprüfen, bietet die Reihe Mein Verein aus dem Agon Sportverlag. Wenn wir gedanklich zurückkehren in die 60er oder 70er Jahre und nachlesen, wie heutige Analysten die damaligen Spiele der Fußball-Bundesliga sehen und bewerten, dann fragen wir uns vielleicht doch das eine oder andere Mal, ob uns unsere Erinnerung so sehr täuscht. Die Fans von Eintracht Frankfurt muß ich leider auf eine ungewisse Zukunft vertrösten – ihr Verein fehlt in dieser Reihe noch. Die Buchreihe Mein Verein beschreibt den Werdegang einzelner Bundesligavereine von den 60er Jahren bis heute – Spiel für Spiel. Erschienen sind bislang die ersten Bände zum Hamburger SV, zu Borussia Dortmund, Schalke 04, dem 1. FC Köln, Werder Bremen, Borussia Mönchengladbach, dem 1. FC Nürnberg und selbstverständlich dem FC Bayern München.
Mitte der 60er Jahre kamen zwei Mannschaften nach oben, die einen für die damalige Zeit modernen, offensiven und ambitionierten Fußball zu spielen pflegten – nämlich der FC Bayern und Borussia Mönchengladbach. Wahrscheinlich wäre der FC Bayern ohne Gerd Müller nie das geworden, was er heute ist; auch wenn das quasi geschenkte Stadion zu den Olympischen Spielen 1972 die finanziellen Möglichkeiten drastisch erweiterte. Damals waren die Fußballvereine noch hauptsächlich auf die Einnahmen aus dem Ticketverkauf angewiesen, und hierfür war eine riesige, hochmoderne Arena sehr willkommen.
Es waren Zeiten, in denen um die Bezahlung der Mehrwertsteuer für die Übertragung eines Fußballspiels gestritten wurde, und wir sprechen hier von einigen tausend D-Mark. Weil das öffentlich-rechtliche Fernsehen nicht bereit war, diese „Unsumme“ auszugeben, mußten die damaligen Fußballfans auf die Übertragung einer der wohl größten Highlights der Europapokalgeschichte verzichten, nämlich auf das legendäre 7:1 von Borussia Mönchengladbach gegen die Meister des Catenaccio aus Mailand. Womit wir bei dem Verein angelangt sind, der hier vorgestellt werden soll.
Ulrich Merk, André Schulin und Maik Großmann, drei Autoren bzw. Journalisten vom Fach, liefern in der Ende 2008 ausgelieferten Chronik der 70er Jahre das Archiv zu einem Fußballfest, das zuweilen in Schönheit, manchmal auch in Tragik erstarb. Bayern München und Borussia Mönchengladbach machten zwischen 1969 und 1977 die Meisterschaften unter sich aus; fünfmal ging der Titel an den Niederrhein, viermal nach Bayern. Obendrein holten die Bayern dreimal den Europapokal der Landesmeister nach Hause, während die Konterfußballer aus Mönchengladbach nur zweimal den UEFA-Cup gewannen. Als das Spiel des FC Bayern recht bald einem nüchternen Zweckfußball ähnelte, ließen es sich die Fohlen nicht nehmen, hoch zu gewinnen, um im folgenden Spiel genauso hoch abgewatscht zu werden.
Von den in 46½ Bundesligajahren eingefahrenen sechs zweistelligen Siegen gehen vier auf das Konto einer Mannschaft, die zumindest in ihrer Außenwirkung das Gegenteil von dem versprühte, was dem FC Bayern fehlte: Spielfreude und Leichtigkeit, eben all das, was man oder frau unter den Begriff „schöner Fußball“ fassen könnte. Daß die Fußballer aus Mönchengladbach immer wieder auch fürchterliche Spiele ablieferten, belegen die drei Autoren nur allzu deutlich. Es ist keine Jubelschrift, sondern nüchterne Bestandsaufnahme, weshalb schlechte Spiele auch nicht schön geredet werden.
Nehmen wir beispielsweise Jupp Heynckes. Er trug neunzehn Tore zum zweiten Meistertitel 1971 bei und wird mit einer Durchschnittsnote von 3,4 bewertet. Wobei zumindest aus dem Buch selbst nicht ersichtlich wird, woher die doch eher durchwachsenen Noten stammen; ich vermute, aus der relativ objektiven Tageswertung des Kicker Sportmagazins. Dennoch sprechen fünf Meistertitel in zehn Jahren eine deutliche Sprache und manchem Gegner müssen die Himmelsstürmer aus Mönchengladbach wie Spieler von einem anderen Stern erschienen sein, zumindest in den guten Tagen. Da wurde der Gegner nicht einfach nur beherrscht, sondern dominiert, und er konnte von Glück sagen, wenn er nicht auch noch demontiert wurde.
Vielleicht lag es manchmal auch daran, daß nicht zielstrebig genug aufs Tor geschossen wurde. Ich erinnere mich dunkel, an einem eher kalten Nachmittag auf den nicht gerade luxuriösen Holzbänken von Fortuna Köln gesessen zu haben, als es auf dem Spielfeld hieß: „Jupp soll schießen.“ Wahrscheinlich hätten die Fortunen komplett aus dem Stadion geschossen werden können, wären nicht die Teamkollegen darauf fixiert gewesen, den Jupp in seinem Kampf um die Torjägerkanone gegen den genialsten Mittelstürmer aller Zeiten zu unterstützen. Im Buch nachgeschaut muß das am 5. Januar 1974 geschehen sein.
Tatsächlich erzielte Jupp Heynckes einen lupenreinen Hattrick, aber wenn wir den drei Chronisten Glauben schenken, dann waren die Gladbacher beim 5:3-Sieg „mit einem blauen Auge davongekommen“ [1]. Manchmal ist es eben doch gut, die eigene Erinnerung mit Fakten unterfüttert zu bekommen. Die Wertung für Heynckes: nur 2,0, denn in der ersten Halbzeit war er komplett abgemeldet gewesen.
Ein solches Buch mit einer kompletten Chronik von zehn Bundesligajahren besitzt selbstverständlich auch einige Schwächen. Das ist bei einer solchen Materialsammlung fast schon unvermeidlich. Wünschenswert wäre es meiner Ansicht nach gewesen, die Gladbacher Europapokaltriumphe und Tragödien mindestens ebenso ausführlich nacherzählt zu erhalten. Wüßten wir sonst noch, warum wir am Trainer Jupp Heynckes schlicht verzweifelten, der nach einem 5:1-Heimsieg gegen Real Madrid auswärts auf totale Defensive setzte und damit fürchterlich einging? Natürlich hätte man auch offensiv spielen und dennoch ausscheiden können.
In einem Interview mit der ARD-Sportschau bemerkt Jupp Heynckes hierzu Anfang 2010:
Wir haben das Hinspiel mit 5:1 in Düsseldorf gewonnen. Das Spiel hätte aber 7:1 ausgehen müssen, weil ein Spieler von mir zwei Mal den Ball nicht quer gelegt hat. Und dann haben wir in Madrid in der 89. Minute das 0:4 bekommen und sind wegen der Auswärtstorregel ausgeschieden. Da wollte ich kein Trainer mehr sein.
Ist ja auch blöd. Erst patzt sein Spieler und dann fällt kurz vor Spielende das entscheidende Gegentor. Pech? Unvermögen? Ich bleibe dabei: falsche Taktik. Es kann doch nicht so schwer sein, einen Viertorevorsprung gekonnt über die Zeit zu bringen.
Aber kurz nachgerechnet war es doch so: schießt Gladbach ein Tor, muß Real fünf nachlegen, werden es gar zwei, dann wären sieben Treffer gegen Gladbach erforderlich gewesen. Und dazu wäre das Real der 80er Jahre nicht fähig gewesen. Aber das alles geschah im Achtelfinale des UEFA-Cups am 11. Dezember 1985 und ist nicht Gegenstand dieses Buches. Doch gerade die 70er Jahren hatten es in sich und hätten mehr Raum für nostalgische Reminiszenzen verdient. Vielleicht hatte Jupp Heynckes bei seiner merkwürdigen Taktik auch nur ein anderes Spiel bei Real Madrid vor Augen, am 17. März 1976, in dem der holländische Schiedsrichter van der Kroft zwei astreine Tore nicht gegeben hatte.
Die deutsche Volksseele war aufgebracht. Es sei schade, so ließ man ihn wissen, daß er im Krieg nicht vergast worden sei [2]. Da wird aus den Tiefen des blöden Kommerzgebolzes der reinrassige arische Herrenmensch wieder zum Leben erweckt. Auch dies zu erwähnen, hätte dem Buch gut angestanden.
Ärgerlich hingegen finde ich den mit Militarismen angereicherten Sprachduktus, der beim Fußball ohnehin angelegt ist; und das ist etwas, was bei mir grundsätzlich zur Abwertung um mindestens eine Note führt. Eine Fußballmannschaft ist kein Erschießungskommando (18), das seinen Gegner vernichtet (26). Und wer beim Großangriff (33) erschossen (38) wird, hat wohl zu sehr in die Mündung (20) einzelner Torschüsse geschaut [3].
Bleiben noch die Flüchtigkeitsfehler, die beim Korrekturlesen übersehen wurden. Da werden 1975 tatsächlich fünf Siege in vier Partien eingefahren [4], was beweist, wie phänomenal diese Mannschaft gewesen sein muß, oder es wird der Bökelberg mit dem Betzenberg verwechselt [5], was nun wirklich erstaunlich ist. Aber das sind Ausnahmen, die uns nicht daran hindern sollten, uns ein ganzes Jahrzehnt Fußballgeschichte in den Schrank zu stellen, vor allem, wenn es sich um die Geschichte einer Mannschaft handelt, die selbiges Jahrzehnt maßgeblich mitbestimmt hat.
Die Chronik der 70er Jahre aus der Reihe Mein Verein: Borussia Mönchengladbach von Ulrich Merk, André Schulin und Maik Großmann ist auf 189 großformatigen Seiten mit rund 150 Fotos nachzulesen. Der Band kostet 25 Euro und ist im Agon Sportverlag erschienen.
Besprechung von : Archäologie in Deutschland, Heft 1/2009, 81 Seiten, € 9,95
Vor genau 2000 Jahren marschierten die Legionen des römischen Feldherren Publius Quinctilius Varus aus ihrem Sommerlager an der Weser durch Germanien in ihr Winterquartier am Rhein. Eine germanische Armee unter Führung eines gewissen Arminius besiegte sie an einem Ort, der als saltus teutoburgiensis in die Literatur einging. Daß es sich hierbei um das in den beiden letzten Jahrzehnten ergrabene Schlachtfeld bei Kalkriese am Wiehengebirge handelt, ist nicht ausgeschlossen, jedoch auch nicht mit letzter Sicherheit erwiesen. Zweifel bleiben.
Kriege und Schlachten erfreuen sich seit jeher der besonderen Aufmerksamkeit spielender Jungen und Männer, insbesondere dann, wenn sie nicht selbst vor Ort das wahre Ausmaß derartiger Kampfhandlungen am eigenen Leib erfahren müssen. Bei Radio Darmstadt können wir alle zwei Wochen eine Sendung hören, in denen es um das Online-Rollenspiel World of Warcraft geht, bei dem vor allem junge Männer begeistert in die Schlacht gegen Feinde – bevorzugt Monster oder Drachen – aller Art ziehen. Tage- und vor allem nächtelang werden hier blutige Gemetzel ausgefochten, die immerhin den Vorteil bieten, daß hierbei nicht reale, sondern nur imaginierte Feinde abgeschlachtet werden.
Immerhin soll eine Studie der Fachhochschule Köln belegt haben, daß derartige Computergemetzel nicht zu erhöhter Jungendkriminalität führen [6]. Das glaube ich gerne, denn wer am Bildschirm daddelt, hat schlicht keine Zeit für Unfug außerhalb der eigenen virtuellen Realität. Für interessanter halte ich jedoch die damit verbundene mentale Disposition, Konflikte nicht niederschwellig lösen zu wollen, sondern sich ihrer durch organisierte Gewalt zu entheben. Bemerkenswerter an dieser als Gameshow angepriesenen Sendung ist jedoch, daß die versprochene show im Wesentlichen darin besteht, Texte aus diversen Internetseiten abzulesen und den Rest der Sendezeit mit beliebiger Mainstreammusik zu füllen.
Zuweilen wird bei einem derart abgelesenen Interview dann behauptet, man habe es selbst geführt, was schlicht gelogen ist. Plagiate gehören eben zur Vielfalt von Radio Darmstadt und gelten für die zuständige Landesmedienanstalt offensichtlich als Ausdruck finanziell förderungswürdiger Medienkompetenz. – Nun mag sich diesen Quatsch antun, wer will. [7]
Andere Zeiten boten jedoch ganz andere, reale Schlachten, und die sogenannte Varusschlacht bot den deutschtümelnden Imperialisten des 19. und 20. Jahrhunderts genügend Stoff zur Mystifizierung eigener Aggressivität. In drei Ausstellungen in Haltern, Bramsche und Detmold wird dieses Phänomen in diesem Jahr auch näher betrachtet werden, wenn 2000 Jahre Varusschlacht nicht nur dargestellt, sondern auch – hoffentlich – kritisch gewürdigt werden. Der Stuttgarter Theiss Verlag bringt hierzu im April den offizielle Begleitband in drei Teilbänden heraus.
Die Januarausgabe der alle zwei Monate erscheinenden Zeitschrift Archäologie in Deutschland befaßt sich somit nicht von ungefähr schwerpunktmäßig mit dem relativ neuen Zweig der Schlachtfeldarchäologie. Sofern schriftliche Überlieferungen über die Schlachten vergangener Jahrhunderte oder gar Jahrtausende überhaupt vorliegen, kann jetzt im Detail nachgeprüft werden, ob sich alles tatsächlich so zugetragen hat, wie wir es bislang nachzulesen gewohnt waren.
Dieser neue Forschungszweig hat seine Wurzeln in den USA und in Großbritannien und wird erst seit kurzem auch hierzulande zur Rekonstruktion kriegerischen Gemetzels genutzt. Dabei interessieren nicht nur die Schlachten selbst, sondern auch das Umfeld. Wurden die Toten liegen gelassen, wie das bei der Varusschlacht geschehen sein soll, bis sechs Jahre später an anderer römischer Feldherr die Schlachtstätte aufgesucht hat, oder wurden die Toten in Massengräbern verbuddelt? Welche Rückschlüsse lassen sich auf Bewaffnung, Versorgung und Befestigung ziehen? Einmal abgesehen davon, daß zu erforschen wäre, wie es der in Mitleidenschaft geratenen Zivilbevölkerung ergangen sein mag. Tatsächlich ist es so, daß die archäologische Nachprüfung der schriftlichen Überlieferung so manche bisherige Darstellung korrigieren mußte.
Näher vorgestellt werden in der Januarausgabe von Archäologie in Deutschland vier Schlachten während des 30-jährigen Krieges, eine weitere aus der Zeit Napoleons und – im Jahr 2009 natürlich unvermeidlich – die Varusschlacht selbst. Problematisiert wird in diesem Zusammenhang auch die Fundlage, denn die bekannten Schlachtstätten werden häufig durch Militaria-begeisterte Männer mit Metallsonden abgegrast, so daß wichtige Erkenntnisquellen auch wieder verloren gegangen sein können.
Immerhin lieferte ein Massengrab interessante Daten über die Lebensbedingungen der Söldner im Dreißigjährigen Krieg. 60% dieser Männer litten an einer Entzündung der Mundschleimhaut, was auf unzureichend behandelte Infektionen schließen läßt, aber mit der medizinischen Versorgung war es ohnehin nicht weit her. Hinzu kam die Überlastung bestimmter Gelenke, was auf spezielle, den Körper schädigende Kampftechniken oder Trainingsmethoden schließen läßt. Heute nennen wir so etwas: Sport.
Wie in jeder Ausgabe der nunmehr seit 25 Jahren erscheinenden Zeitschrift werden aktuelle Funde aus der Landesarchäologie vorgestellt. Das Schaufenster zur Welt ist diesmal ein Fürstengrab einer nomadischen Stammeskonföderation, welche von den Chinesen Xiongnu genannt wurde, als sie vor rund 2200 Jahren die damalige chinesische Nordgrenze unsicher machte. Zwar wurde auch dieses Fürstengrab schon sehr früh geplündert, doch es fand sich bei jüngsten Ausgrabungen dennoch ein einachsiger leichter chinesischer Wagen, der in einer Steppenlandschaft nutzlos, für Repräsentations%shy;zwecke jedoch durchaus sinnvoll gewesen sein mag. Die Schlachten, die hier geschlagen wurden, harren allerdings noch der archäologischen Untersuchung. Vielleicht müßte dann die chinesische Geschichtsschreibung in Teilen neu abgefaßt werden.
Die Zeitschrift Archäologie in Deutschland wird alle zwei Monate herausgegeben und kostet im gut sortierten Buch- und Zeitschriftenhandel 9 Euro 95 oder ist über den Theiss Verlag in Stuttgart zu beziehen. Das nächste Heft erscheint Mitte des Monats und befaßt sich schwerpunktmäßig mit Blütenstaub als Quelle der Erkenntnis über die Lebens- und Umweltbedingungen früherer Epochen.
Besprechung von: Pierre Gros – Gallia Narbonensis. Eine römische Provinz in Südfrankreich, Verlag Philipp von Zabern 2008, 166 Seiten, € 29,90
Wo immer die Römer sich dauerhaft niederließen, prägten sie nicht nur die jeweilige Region, sondern auch die lokale Gesellschaft. Sie eroberten nicht einfach nur neue Provinzen, sondern sie integrierten die neu eroberten Gebiete in die römische Lebenswelt. Es ist kein Zufall, daß das Spanische wie das Rumänische aus dem Lateinischen heraus entstanden und ältere Sprachsubstrate sich nur den wissenschaftlich Vorgebildeten erschließen. Und doch war keine Provinz wie die andere und die lokalen Eliten besaßen durchaus Alternativen, ob und inwieweit sie sich dem römischen Lebensstil unterwerfen wollten. Wo es ihnen nützte, um ihre eigene Regionalherrschaft zu stabilisieren, übernahmen sie die Insignien der Macht, schmückten sich damit und dokumentierten, wozu sie dazugehören wollten.
Das heutige Südfrankreich, von den Pyrenäen bis zu den Alpen, vom Mittelmeer bis zum Genfer See, bildete die Provinz Gallia Narbonensis. Wie so manche Provinz des Imperium Romanum bildete sie keine ursprüngliche Einheit. Neben der urban geprägten Region um die griechische Kolonie Massilia, das heutige Marseille, bewohnten keltische Stämme das Gebiet. Der Zug Hannibals von Spanien über die Pyrenäen und Alpen nach Italien zeigte den Römern, wie verwundbar sie im Nordwesten waren, so daß sie im 2. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung versuchten, ihren Einfluß auf die spätere Provinz Narbonensis zu erweitern. Die Etappen des Übergangs von einem eroberten Gebiet hin zu einer Integration dieses Gebiets in eine echte Provinz sind unklar und wurden wahrscheinlich erst mit Beginn der Herrschaft des Kaisers Augustus abgeschlossen.
Noch zur Zeit Caesars trug die Provinz den Namen Gallia Transalpina und galt eher als Vorposten und noch nicht als vollwertige Provinz. Caesar wurde nach seinem Konsulat im Jahr 59 vor unserer Zeitrechnung zum Proconsul für die beiden damaligen gallischen Provinzen am Mittelmeer und in Norditalien sowie für die dalmatinische Küste bestimmt. Er benutzte die Wanderung des keltischen Stammes der Helvetier aus ihrem Stammland in der heutigen Schweiz nach Westen als Vorwand zur schrittweisen Eroberung Galliens. Die spätere Narbonensis wurde hierdurch zur Infiltrationsbasis römischer Kultur und Lebensart, vor allem aber römischer Herrschaft.
Was wir bei der Geschichte, der Architektur und der Stadtplanung in der Narbonensis sehr gut beobachten können, ist die von den Römern gezielt vorgenommene Raumordnung. Manche Konzepte moderner Raumplanung wie etwa das System zentraler Orte lassen sich in der Anlage römischer Städte und Siedlungen wiederfinden. Der französische Archäologe Pierre Gros läßt uns in seinem im Verlag Philipp von Zabern verlegten Band über die Gallia Narbonensis an der Rekonstruktion dieser tiefgreifenden Unwandlung eines weitgehend ländlich geprägten Raums teilhaben.
Der Band vereinigt eine systematische Darstellung des Gegenstandes mit einer zuweilen nur für Spezialistinnen interessanten Auseinandersetzung mit dem Stand der Forschung. Hierbei gibt er häufig ein fachkundiges Urteil ab, ohne es in jedem Fall auch zu begründen, und doch tun wir gut daran, diesem Urteil zu folgen, denn hier schreibt ein ausgewiesener Fachmann mit differenzierter Urteilskraft.
Er beginnt mit der römischen Eroberungspolitik, betrachtet die anschließend vorgenommenen städtischen Neugründungen und belegt hierbei den Beginn einer Raumplanung, die einerseits zielgerichtet war und einem Muster folgte, andererseits aber sich flexibel lokalen Bedingungen anzupassen verstand. Wer den Urlaub in Südfrankreich verbringt, kann hiermit eine ganze Region mit ganz anderen Augen wahrnehmen. Behandelt werden die römischen Zentren in Narbonne, Arles, Glanum, Nîmes, Orange, Fréjus oder Aix-en-Provence, um nur einige zu nennen.
Die wirtschaftliche und strategische Bedeutung der Gallia Narbonensis war für Augustus derart wichtig, daß er sich persönlich um die Organisation kümmerte. Die Urbanisierung der Narbonensis legte den Grundstock für eine vier Jahrhunderte währende problemlose Herrschaft über ein noch im 2. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung als unruhig angesehenes Gebiet.
Der Bau der Städte war verbunden mit spezifischen Insignien römischer Kultur, und das heißt hier: Herrschaft. Foren und Theater, selbst Triumphbögen wurden nicht einfach aufgrund praktischer Erwägungen errichtet, sondern demonstrierten immer auch die Anwesenheit römischer Macht. Der Stadtbogen von Arausio, dem heutigen Orange, oder der Tour Magne in Nîmes beispielsweise besaßen überhaupt keine praktische Funktion. Sie besagen ganz einfach, hier ist Rom, und wer hier leben will, unterwirft sich der römischen Zivilisation. Die herrschenden keltischen Eliten verstanden dies genauso wie die hier angesiedelten Veteranen des römischen Heeres, und sie integrierten sich umso schneller, je mehr für sie der Vorteil des italischen oder gar römischen Bürgerrechts dabei heraussprang.
Entsprechend stellt uns Pierre Gros nicht nur die Städte und ihre Bauwerke vor, sondern betrachtet sie im Gefüge römischer Machtentfaltung und Herrschaft.
Hierbei spielte der Kaiserkult eine wichtige Rolle. Er war gewiß kein von der Obrigkeit eingepflanztes fremdes Element ohne religiöse Bedeutung. Auch wenn die Kaiser kamen und gingen, vor allem im 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, so machte sich gerade am Kaiserkult die Zugehörigkeit zum Imperium Romanum fest.
Diesen von der Zentralgewalt vorgeschriebenen und daher stark politisch gefärbten Kulten kann deshalb jedoch nicht jegliche Beziehung zur rein religiösen Welt abgestritten werden. Die ihnen eigenen zivilen Veranstaltungen sind für viele, und nicht nur für die Nachkommen der italischen Siedler, eine Gelegenheit, den sozialen Zusammenhalt und die echten oder vermuteten Wohltaten der pax Romana zu zelebrieren. Die Kulte bringen die unterschiedlichsten Schichten der Bevölkerung zusammen und verherrlichen die ganze Gemeinschaft, zusammen mit den vergöttlichten Mitgliedern der Kaiserfamilie, als Teil einer Welt, deren Fähigkeit, eine den Wohlstand fördernde Ordnung aufrechtzuerhalten, zumindest während der ersten beiden Jahrhunderte von allen anerkannt ist. [8]
Wobei sich hier durchaus die Frage stellt, ob die ärmeren Schichten oder Klassen sich hier ein bißchen Opium des Volkes gegönnt und ob sie wirklich an die Wohltaten geglaubt haben. Wenn wir jedoch berücksichtigen, daß heutzutage auch Hartz IV-Empfänger mit der FDP die Partei des durchgeknallten Marktegoismus wählen, dann sollten wir die Bedeutung des ideologischen Kitts nicht geringschätzen. Die Wahrheit ist oftmals zu ungeheuerlich, um sie zu glauben.
Ganz wesentlich war in dieser Provinz der Weinbau. Zwar gab es mehrere Versuche, den Export gallischer Weine nach Italien einzuschränken oder gar zu verbieten, doch es scheint auch den Römern nicht verborgen geblieben zu sein, daß sich mit dem Wein aus der Narbonensis viel Geld verdienen läßt. Der damit verbundene Drogenkonsum darf durchaus als Teil eines rationalen Herrschaftskalküls betrachtet werden. Wer Drogen einpfeift, wehrt sich nicht. Die hier erzeugten gallischen Weine wurden nicht nur nach Britannien und Germanien, sondern auch nach Ägypten und sogar Südindien exportiert. Gleichzeitig war die Narbonensis auch ein wichtiges Zentrum der Amphorenherstellung, denn der Wein mußte ja irgendwie transportiert werden. Zudem war die Provinz zur Lieferung von Getreide an die immer hungrige Hauptstadt Rom verpflichtet, was offensichtlich keine Ernährungsprobleme in der Provinz aufwarf.
Die enormen Bemühungen um den Aufbau einer städtischen Infrastruktur mit allen wesentlichen Errungenschaften, die eine römische Stadt ausmachten, waren nicht auf die Stadt selbst beschränkt. Die Wasserversorgung spielte eine zentrale Rolle. Druckwasserleitungen und Aquädukte führten Wasser in Mengen heran, die wir geradezu für Wasserverschwendung großen Stils halten müssen.
Der Pont du Gard zur Versorgung der Stadt Nemausus, dem heutigen Nîmes, ist nicht nur eine architektonische Meisterleistung. Vielmehr wurden inzwischen weitere Bauwerke dieser Art freigelegt. Dabei lassen sich Reparaturen oder Ausbesserungen beobachten, die durchaus schon kurz nach dem Bau erforderlich waren. Praktisch, wie die Römer waren, integrierten sie von vornherein das Baugerüst in das Mauerwerk, um schnell und ohne großen Aufwand die notwendigen Maßnahmen durchführen zu können. Insbesondere Kalkablagerungen und das Anbohren der Leitungen für die Bewässerung der Felder scheinen ein größeres Problem gewesen zu sein.
Das 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung scheint eine Phase der Stagnation, wenn nicht des Niedergangs gewesen zu sein. Zwar finden wir dieses Phänomen auch in anderen Teilen des Römischen Reiches, das durch zunehmende Militärausgaben, Grenz- und Bürgerkriege angespannt ist. Und doch müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß Stadtviertel, ja ganze urbane Bereiche aufgegeben wurden. Meine grundsätzliche Vermutung ist, daß ein Reich wie das Römische Imperium expandieren muß, um sich neue Rohstoffe, Märkte und Reichtümer zu erschließen. Es handelt sich nicht um eine intensive Wirtschaft wie der Kapitalismus, sondern um eine extensive. Die Expansion des Römischen Reiches stoppte jedoch im 2. Jahrhundert und im 3. begann der Rückzug aus einzelnen Gebieten.
Für die Narbonensis ist der archäologische Befund nicht in allen Einzelheiten eindeutig. Neuere Forschungen weisen darauf hin, daß auch auf dem Land Gutshöfe aufgegeben wurden. Möglicherweise wurden hier jedoch Güter zusammengelegt, weshalb ein Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion eher spekulativ und vorerst nicht zu belegen ist. Zum tatsächlichen Zusammenbruch der römischen Vorherrschaft kommt es dann mit der Völkerwanderung zu Beginn des 5. Jahrhunderts.
Was ich hier ansatzweise benannt habe, wird in dem von Pierre Gros kompetent geschriebenen Band über die Gallia Narbonensis ausführlich dargelegt. Wir können dem Werk eine Strukturpolitik römischer Herrschaft entnehmen, die zu erklären vermag, weshalb die römische Herrschaft mehrere Jahrhunderte andauern konnte. Der 166 Seiten starke, großformatige und mit zahlreichen Bildern versehene Band ist im vergangenen Herbst im Verlag Philipp von Zabern zum Preis von 29 Euro 90 erschienen.
Besprechung von: hessenArchäologie 2007, Konrad Theiss Verlag 2008, 192 Seiten, € 24,90
Ob es angebracht ist, von Herrschaft oder gar Dominanz während des Neolithikums zu sprechen, da habe ich meine Zweifel. Anders sieht es mit der Bronzezeit aus, die in Mitteleuropa mit einiger Verspätung gegenüber dem östlichen Mittelmeerraum beginnt. Immer wieder finden sich Fundstätten, die mit ihren ringförmigen Wällen und Gräben als befestigte Anlage gedeutet werden können. Spätestens im 2. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung dürften sich Machtverhältnisse herausgebildet haben, die vielleicht noch nicht als Klassengesellschaft, aber durchaus als sich ausdifferenzierende Gemeinschaften angesehen werden können. Vor allem dort, wo Rohstoffe und ihre Bearbeitung lokale oder vielleicht gar überregionale Monopole ermöglicht hatten, dürfte anzunehmen sein, daß lokale Gruppen sich diesen – wie das heute heißt – Standortvorteil nicht aus der Hand nehmen lassen wollten.
Die Frage ist eher, ob sich dies mangels schriftlicher Zeugnisse durch den archäologiechen Befund belegen läßt. Und hier steckt die Forschung trotz jahrzehntelanger Ausgrabungen und ihrer zum Teil bemerkenswerten Auswertungen immer noch in den Anfängen. Das, was sich in Hessen Jahr für Jahr an neuen Funden und Erkenntnissen gewinnen läßt, dokumentiert das Landesamt für Denkmalpflege in dem im Theiss Verlag verlegten Jahrbuch hessenArchäologie. Die zur Zeit aktuelle Ausgabe für das Grabungsjahr 2007 ist im vergangenen Herbst erschienen und soll hier näher vorgestellt werden.
Es gab Zeiten, da lagen die heutigen geologischen Formationen nicht in den gemäßigten Klimaten, sondern am Äquator. Die Meeresriffe des Devon vor rund 390 Millionen Jahren bilden beispielsweise die Massenkalke im Gebiet von Lahn und Dill in Mittelhessen. Beschrieben werden hier Fossilien, die einen Einblick nicht nur in das damalige, sondern auch in die Entwicklung des heutigen Ökosystems geben können. Dabei scheinen Grabungen weniger einem systematischen Plan zu folgen, als vielmehr der Not zu gehorchen, schneller zu sein als Landstraßen, Parkhäuser oder Industriegebiete. So war durchaus zu erwarten, daß der Sprendlinger Horst eine reichhaltige geologische Fossiliensammlung beherbergt, doch jeder Fund muß erst einmal gemacht werden und ist daher eher zufällig, so wie fossilierte Fische und Amphibien an der Baustelle einer Umgehungsstraße bei Dreieich.
Höhlenbären hielten sich vor einigen Hunderttausend Jahren in schon gefestigten geologischen Formationen auf, auch wenn hier die Funde eher dem industriellen Abbau von Steinen, Gipsen, Kies oder Sand entspringen – und damit ebenfalls ein gewisses Maß an Zufälligkeit beinhalten. Die im aktuellen Band besprochenen Funde in Nordhessen sind insofern bedeutsam, weil sie an der nördlichen Grenze des Verbreitungsgebietes dieser ausgestorbenen Bärenart aufgetaucht sind. Nach diesen zeitlich eher weiter zurückliegenden Fundbeschreibungen gelangen wir in die Spätphase der Jungsteinzeit und können von Fall zu Fall einige neue Erkenntnisse über das Leben und die Umwelt der Menschen im hessischen Siedlungsraum erfahren.
Wenn ich andeutete, daß die Forschung immer noch in ihren Anfängen steckt, so liegt dies nicht zuletzt daran, daß erst neuere nichtzerstörerische archäologische Methoden Fundplätze erschließen, die bei der eher zufälligen Suche unbemerkt bleiben. So galten beispielsweise weite Bereiche zwischen Taunus und Lahn für die Bandkeramik vor rund 7000 Jahren als unbesiedelt.
Neuere Funde in diesem Gebiet deuten darauf hin, daß die Fundleere vielleicht weniger der mangelnden Besiedlung als vielmehr der mangelnden Erforschung geschuldet sein könnte. Anders gesagt: wo Gebiete häufig systematisch begangen und erschlossen werden, ist die Wahrscheinlichkeit höher, auf Funde zu treffen, als in Gebieten, die nur unsystematisch erkundet wurden. Fundleere würde demnach dem Umstand geschuldet sein, daß nur wenig gefunden wurde, nicht aber, daß dort nichts zu finden ist. Eine systematische Auswertung dieses Phänomens könnte demnach zu veränderten Vorstellungen über Siedlungsstrukturen und Siedlungsmuster – hier in der Jungsteinzeit – führen.
Allerdings haben Landwirtschaft und Bebauung häufig schon zur fast vollkommenen Zerstörung derartiger Fundstellen geführt. So kann bei einem Gräberfeld in der Idsteiner Senke nur noch der Auflösungsprozeß dokumentiert werden. Manches hingegen wird mehr zufällig freigelegt, etwa wenn nach einem Orkan ein Baum umstürzt und ein germanisches Grab freilegt. Die Luftbildarchäologie verhilft auch nach jahrzehntelanger Fotografie immer wieder zu neuen Fundplätzen. Inzwischen sind weit mehr Fundplätze bekannt, als archäologisch ausgewertet werden können. Hilfreich ist dies dennoch, wenn beispielsweise beim Neubau von Umgehungsstraßen oder bei der Ausweisung von Bauplätzen schon bekannt ist, wo Notgrabungen erforderlich werden, weil ansonsten bestimmte Fundzusammenhänge unrettbar verloren gehen.
Die Luftbildarchäologie stößt an ihre Grenzen dort, wo dichter Bewuchs vorherrscht. Auch ist zuweilen die Detailgenauigkeit zu gering. Hier können luftgestützte Laserscans recht genaue Abstandsmessungen vornehmen, um anschließend eine Geländekarte zu erstellen. Unregelmäßigkeiten im Geländeverlauf werden sichtbar, auch wenn sie erst vor Ort ihr tatsächliches Wesen offenbaren. Als Hinweis auf mögliche Spuren früherer Besiedlung ist diese recht neue Methode jedenfalls hilfreich. Vorgestellt wird im vorliegenden Band der hessenArchäologie eine entsprechende Prospektion bei den keltischen Relikten am Glauberg.
Wir nähern uns hiermit einem historischen Zeitfenster, in dem aussagekräftige Funde aus der Region um Darmstadt vorzufinden sind. Etwa die vorgestellten Grabungen an einem frühkaiserzeitlichen römischen Heerlager bei Geinsheim am Rhein, die darauf schließen lassen, daß schon vor der Errichtung des Limes das rechtsrheinische Gebiet durch militärische Maßnahmen gesichert wurde.
Der genaue Verlauf der Römerstraße von Gernsheim nach Dieburg ist abschnittsweise bekannt, weshalb ein Grabungsschnitt im Ried bei Gernsheim-Allmendfeld Aufschlüsse über den Erhaltungszustand dieser Straße geben sollte. Überraschenderweise ist vom Straßenbelag selbst nichts mehr erhalten, aber zwei Linienstrukturen am Rand können als Begleitgräben verstanden werden. Sofern die Landwirte dazu bewogen werden können, hier nicht tief umzupflügen, kann dieser Befund auch für nachfolgende Generationen, womöglich mit neueren und besseren Methoden, überprüft oder gar erweitert werden. An diesem Beispiel wird die auch andernorts im Jahresband vorzufindende Sichtweise deutlich, nicht mehr alles auszugraben, sondern Teile des Grabungsgeländes bewußt für zukünftige Forschungen vorzuhalten.
Die schon angesprochene Römerstraße endete natürlich nicht in Dieburg, sondern wurde an den Limes weitergeführt. Während der Verlauf des Limes südlich des Mains an einigen Stellen zwar ungefähr, aber nicht genau bekannt ist, und deshalb einige mit geomagnetischen Methoden entdeckte Wachtürme neue Aufschlüsse geben können, so ist bislang der römische Name Dieburgs nur mit seinen drei ersten Buchstaben bekannt. Jüngste Ausgrabungen der römischen Stadtmauer Dieburgs führen zu der Annahme, daß diese Mauern erst später als bislang angenommen errichtet wurden, nämlich nachdem germanische Verbände 233 weit in römisches Gebiet eingefallen waren. Ein längerer Artikel im Jahrbuch erklärt anhand der genauen Beschreibung des Fundplatzes diese Neuinterpretation. Hinzuzufügen ist, daß die Römer drei Jahrzehnte später ihr rechtsrheinisches Territorium dennoch aufgeben mußten.
An anderer Stelle wird gezeigt, daß ein Neufund im Frankfurter Stadtteil Bonames die römische Herkunft des Namens bestätigt.
Bei der Erweiterung eines Tennisplatzes in der Wetterau fanden sich Knochenreste, weshalb zunächst ein Orthopäde und dann die Polizei herbeigerufen wurden. Möglich schien es, daß vor Jahren eine Leiche unter dem vorhandenen Betonfundament vergraben wurde. Es zeigte sich jedoch, daß beim Bau des Tennisplatzes vor rund 20 Jahren diese Knochen schon vorhanden gewesen sein müssen, die dann aber nicht dem archäologischen Denkmalschutz gemeldet wurden. „In der Praxis ist es kein seltenes Phänomen, dass im Rahmen von Bauarbeiten angetroffene Knochen von den Findern aus Angst vor einem möglichen Baustopp verschwiegen werden“, so das Resumee im Band [9]. Andererseits wird in mehreren weiteren Beiträgen ausdrücklich auf die Kooperation und nachahmenswerte Unterstützung von Behörden und Bauträgern hingewiesen. Vermutlich ist Ignoranz hier kein vorherrschendes Phänomen.
Andere Wege beschritt ein Archäologe aus Darmstadt, als er einen Kellerfund aus Dieburg im Jahresband 2004 der hessenArchäologie publizierte und dazu schrieb, er wisse nicht, wozu er tauge. Hilfe nahte – aus der Schweiz. Eine dortige Archäologin identifizierte das unbekannte Objekt als einen Breithalter zum Spannen zum Stoffbahnen beim Weben. Bände wie der hier besprochene fördern demnach den Austausch und sind ein probates Mittel gegen eine Froschperspektive.
Eine mittelalterliche Pfeilspitze, die im Gießener Raum gefunden wurde, belegt, daß ungarische Verbände im 10. Jahrhundert nicht nur den Balkanraum und Süddeutschland unsicher gemacht haben, sondern daß sie sogar weiter nach Norden vorgedrungen waren. Wir bewegen uns zeitlich langsam Richtung Neuzeit; doch auch trotz vermehrter schriftlicher Überlieferungen bleiben viele Zusammenhänge unklar. Eine Marburger Archäologin ging daher einer Ausgrabung in Mittelhessen nach, die in den 30er und 50er Jahren vorgenommen wurde. Die damalige Dokumentation des Befundes erforderte eine Nachuntersuchung, um damals unvollkommen aufgenommene Sachverhalte zu überprüfen. Das hier vorgestellte Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, auch nachfolgenden Grabungstrupps Material zur Überprüfung zu überlassen.
Doch wie findet man und frau aussagekräftige Spuren? In der universitären Ausbildung wird zum einen Wert auf theoretisches Methodenwissen gelegt, zum anderen werden Angebote für Lehrgrabungen rarer. Ein Projekt an der Universität Marburg versuchte, hierbei entstehende Lücken auszufüllen. Zwei im Block herbeigeschaffte Urnen konnten Studierenden ohne den Druck einer zeitlich eingeengten Notgrabung das notwendige Wissen vermitteln, selbst kleinste Details aufzuspüren und zu bewerten. Denn beim Graben in freier Wildbahn kann nur das gefunden und interpretiert werden, das zuvor schon einmal gesehen und erkannt worden ist.
Weitere Artikel zur Spurensuche nach der 1938 und später fast vollständig abgetragenen Synagoge in Seligenstadt, sowie Hinweise auf Ausstellungen und einen Freizeitpark im Süden Frankfurts runden den vorliegenden Band ab.
Das von der Archäologischen und Paläontologischen Denkmalpflege des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen herausgegebene Jahrbuch trägt den Titel hessenArchäologie 2007. Es wurde im Stuttgarter Theiss Verlag herausgebracht, umfaßt 192 großformatige Seiten mit 230 aussagekräftigen Fotos und Abbildungen und kostet 24 Euro 90.
Jingle Alltag und Geschichte
In der vergangenen Stunde besprach ich drei Bücher über die Erfolgsjahre von Borussia Mönchengladbach, über die römische Dominanz in der Provinz Gallia Narbonensis und über die jüngsten Grabungen in Hessen, sowie die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Archäologie in Deutschland.
Die Chronik der 70er Jahre aus der Reihe Mein Verein: Borussia Mönchengladbach von Ulrich Merk, André Schulin und Maik Großmann ist im Agon Sportverlag erschienen. Die Zeitschrift Archäologie in Deutschland wird alle zwei Monate im Theiss Verlag herausgegeben. Pierre Gros stellt uns die Gallia Narbonensis im Verlag Philipp von Zabern vor. Das Landesamt für Denkmalpflege Hessen ist Herausgeber des Jahrbuchs hessenArchäologie 2007, verlegt bei Theiss.
Ich danke der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt für ihre Unterstützung bei der Produktion dieser Sendung. Das Manuskript zu dieser Sendung findet ihr in den nächsten Tagen auf meiner Webseite: www.waltpolitik.de. Im Anschluß folgt eine Sendung der Kulturredaktion von Radio Darmstadt. Am Mikrofon war für die Redaktion Alltag und Geschichte Walter Kuhl von der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt.
»» [1] Ulrich Merk u.a. : Mein Verein Borussia Mönchengladbach, Seite 62.
»» [2] Harry Walstra: Gladbachs gestohlenes Wunder, in: Spiegel Online am 25. September 2005.
»» [3] Ulrich Merk u.a. – Erschießungskommando auf Seite 18, vernichtet auf Seite 26, Großangriff auf Seite 33, erschossen auf Seite 38, Mündung auf Seite 20.
»» [4] Ulrich Merk u.a., Seite 68.
»» [5] Ulrich Merk u.a., Seite 119.
»» [6] Birgit Femppel : „Medien erzeugen kein gewalttätiges Verhalten“, in der Online-Ausgabe des Darmstäter Echo am 25. Februar 2009.
»» [7] Siehe hierzu auch meine Dokumentation Plagiate? Plagiate!, in der sowohl diese Kriegsspielshow als auch andere Plagiate ausführlich besprochen werden.
»» [8] Pierre Gros : Gallia Narbonensis, Seite 126.
»» [9] Marcel A. Verhoff u.a. : Ein Skelettfund des 3. Jahrhunderts auf dem Tennisplatz in Butzbach-Nieder-Weisel, in: hessenArchäologie 2007, Seite 102–105, Zitat auf Seite 105.
Diese Seite wurde zuletzt am 8. Januar 2010 aktualisiert. Links auf andere Webseiten bedeuten keine Zustimmung zu den jeweiligen Inhalten, sondern sind rein informativer Natur. © Walter Kuhl 2001, 2009, 2010. Die Aufnahme der Pont du Gard stammt von Egbert Kuhl. Die Wiedergabe, auch auszugsweise, ist nur mit dem Einverständnis des Verfassers gestattet.
URL dieser Seite : https://www.waltpolitik.de/herstory/ge_hedom.htm
Zur vorangegangenen Sendung
Zur nachfolgenden Sendung