Sendung der Redaktion Alltag und Geschichte
Radio: Radio Darmstadt
Redaktion und Moderation: Walter Kuhl
Ausstrahlung am:
Montag, 10. Oktober 2005, 17.00 bis 18.00 Uhr
Wiederholt:
Montag/Dienstag, 10./11. Oktober 2009, 23.10 bis 00.10 Uhr
Dienstag, 11. Oktober 2009, 08.00 bis 09.00 Uhr
Dienstag, 11. Oktober 2009, 16.00 bis 17.00 Uhr
Zusammenfassung:
In der Sendung vom 10. Oktober 2005 gab ich einen Vortrag von Germinal Civikov zu den Ungereimtheiten der Wahrheitsfindung zu den Ereignissen in und um Srebrenica im Juli 1995 wieder.
Jingle Alltag und Geschichte
Am 11. Juli 1995 eroberten bosnisch-serbische Verbände innerhalb einer UN-Schutzzone die Stadt Srebrenica. Im Zuge dieser Eroberung und nachfolgender Massaker sollen 7–8.000 bosnische Muslime getötet bzw. ermordet worden sein. Zu den damaligen Ereignissen gibt es jedoch verschiedene Versionen. Interessant daran ist, daß selbst die bosnisch-muslimische Seite der weltweit in den Medien verbreiteten Version in wichtigen Teilen widerspricht [1]. Daß es Massaker gegeben hat, ist unzweifelhaft, offen ist jedoch die Dimension des Verbrechens mitsamt seiner Umstände.
Am 1. Juni 2005 zeigten die Ankläger des Kriegsverbrechertribunals zu Jugoslawien ein Video, das die Exekution von sechs Männern im Rahmen dieses Massakers belegen sollte. Eine genauere Analyse des gezeigten Materials warf jedoch mehr Fragen auf als die Ankläger beantworten konnten und wollten. Sie zogen es daher vor, das Video mangels überprüfbarer Authentizität nicht offiziell als Beweisstück in das Verfahren einzuführen. Das war auch nicht notwendig. Die Medien waren schon gefüttert worden und verbreiten eine Geschichtslektion, deren Wahrheitsgehalt vorsichtshalber nicht überprüft wurde. Das Video hatte somit seinen Zweck erfüllt und kann daher wieder verschwinden. [2]
Am vergangenen Mittwoch sprachen auf einer Veranstaltung im Café Habibi der bulgarische Journalist Germinal Civikov und die Mitarbeiterin des Verteidigungsteams von Slobodan Milošević, Cathrin Schütz, über die Verdunkelung der Geschehnisse durch die Ankläger und Richter in Den Haag. Srebrenica, Lügen und Video lautete in Anspielung an einen Film, den ich nicht kenne, der Titel der Veranstaltung vor etwa 30 bis 40 interessierten Gekommenen.
Ich hätte gerne auch den einleitenden Vortrag von Cathrin Schütz gesendet. Sie befaßte sich hierin im Zeitraffer mit den Ungereimtheiten und den politischen Voreingenommenheiten im Prozeß gegen Slobodan Milošević. Angesichts dessen, daß ich nur eine Stunde zur Verfügung habe, habe ich entschieden, lieber den Vortrag von Germinal Civikov in einer leicht gekürzten Fassung zu bringen. Er berichtete von einer Merkwürdigkeit, die – wenn das gleich zu Hörende zutreffend ist – ungeheuerlich ist. Das Gericht in Den Haag weigert sich, namentlich bekannte Massenmörder zu fassen zu bekommen, um sie aburteilen zu können. Wir reden hier nicht über sechs, sondern, wenn wir den Einlassungen eines Mittäters Glauben schenken wollen, von etwa 1.200 Massakrierten.
Um es vorweg zu nehmen – es geht nicht darum, serbische Massaker wie in Srebrenica zu leugnen. Es hat sie gegeben. Was jedoch genau in Srebrenica geschehen ist, entzieht sich nicht nur unserer Kenntnis. Germinal Civikov wird belegen, daß es vor allem ein offizielles Interesse an der Wahrheitsfindung nicht gibt. Mit einem Massaker, das zum Völkermord hochstilisiert wird, läßt sich nämlich viel besser Politik machen. Meint derjenige, der diese Sendung der Redaktion Alltag und Geschichte zusammengestellt hat – Walter Kuhl.
Und damit übergebe ich das Wort an Germinal Civikov.
Die Audiofassung des Vortrags liegt nicht verschriftlicht vor. Siehe hierzu jedoch einen Artikel von Germinal Civikov, der das Thema in einem anderen Zusammenhang behandelt: Panther, Kaimane und Skorpione, publiziert im Freitag vom 1. Juli 2005.
Das 2008 im Promedia Verlag herausgebrachte Buch „Srebrenica. Der Kronzeuge“ habe ich am 27. April 2009 in meiner Sendung Vergehen, Verbrechen, Vermittlung besprochen.
Zur Präsentation des Buchs fand am 17. März 2009 eine Podiumsdiskussion in Wien statt. Der etwa zweistündige Mitschnitt ist auf der Webseite des cultural broadcasting archives als Podcast herunterzuladen bzw. anzuhören.
Jingle Alltag und Geschichte
Ihr hörtet einen leicht gekürzten Mitschnitt eines Vortrags des bulgarischen Journalisten Germinal Civikov zu den Ungereimtheiten der Wahrheitsfindung vor dem UN-Tribunal in Den Haag hinsichtlich der Ereignisse in Srebrenica im Juli 1995. Die Fragen, die Civikov hier zu dem einzigen und willfährigen Zeugen Dražen Erdemović aufgworfen hat, werden durch das Haager Tribunal wahrscheinlich niemals beantwortet werden.
Der Fall Erdemović ist insofern wichtig, weil hier eine Art Wahrheit auf Abruf produziert wurde, die sich jeder Überprüfbarkeit entzieht und wohl auch entziehen soll. Daß hierzu nichts in den westlichen Medien erscheint, muß uns nicht verwundern. Pressefreiheit ist immer noch die Freiheit der Reichen und Mächtigen, ihre Wahrheit zu verkünden.
Jürgen Elsässer hat in seinem Buch Kriegsverbrechen einiges Material zu den Geschehnissen in und um Srebrenica zusammengetragen. Dieses Material stellt die offizielle wie herrschende Version in Frage. Doch auch Elsässer läßt keinen Zweifel daran, daß wahrscheinlich etwas mehr als 1.000 bosnische Muslime durch serbische Verbände ermordet worden sind [3]. Eigentlich ein fast schon normal zu nennendes Kriegsverbrechen innerhalb der serbisch-kroatisch-bosnischen Abrechnung. Pervers genug. Aber ein Völkermord war es nicht. Doch mit einem Völkermord läßt sich halt viel besser Politik machen – bis heute, so wie etwa im Prozeß gegen das Monster oder den Hitler von Serbien, Slobodan Milošević.
Der Prozeß gegen Slobodan Milošević vor dem UN–Tribunal in Den Haag ist fraglos ein politischer Prozeß. Das ergibt sich nicht nur daraus, daß der Prozeß ein Politikum darstellt, sondern auch daraus, daß die Täter der einen Seite über Täter der anderen Seite zu Gericht sitzen. Das Tribunal ist nicht nur mit der UNO, sondern auch mit der NATO verbandelt, die wiederum beide an der systematischen Zerschlagung des ehemaligen Jugoslawien beteiligt waren und sind.
Politische Prozesse wiederum haben ihre eigene Inszenierung. Die juristische Wahrheitsfindung ist hierbei nicht so wesentlich wie das Urteil, das dabei herauskommen soll. Von Anfang an wird die Voreingenommenheit nicht nur im Prozeßgebäude sichtbar, als gleich am ersten Verhandlungstag dem Angeklagten das Mikrofon abgedreht wurde, um ihn mundtot zu machen. Auch außerhalb der Gerichtshallen wird durch eine gezielte Medienberichterstattung darauf hingewiesen, daß Serbien und insbesondere sein ehemaliger Präsident Slobodan Milošević am Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien die Hauptschuld trägt. Die ethnischen Säuberungen und andere Kriegsverbrechen der kroatischen wie der bosnischen Seite kommen allenfalls als Fußnote vor, aber nur, wenn es sich nun wirklich nicht vermeiden läßt, darauf hinzuweisen.
Allerdings gibt es auch bei den Kritikerinnen und Kritikern der propagandistischen wie realen Kriegsführung gegen Serbien – bzw. des Prozesses gegen Slobodan Milošević – die Tendenz, alles genau umgekehrt zu sehen wie die Kriegsherren, ihr Tribunal und die Mainstream-Medien. Dies führt zur unkritischen (ja fast schon) Glorifizierung Miloševićs als Bewahrer der Ideale des ehemaligen Jugoslawien. Die internen Gründe für den Bürgerkrieg werden hingegen fast gar nicht benannt; allein die westlichen Imperialisten mitsamt ihrer UNO und NATO gelten als die eigentlichen Saboteure und Übeltäter. Von einer grundsätzlichen Kritik hin zur Verschwörungstheorie ist es nicht sehr weit und dieser Weg wird leider auch häufiger – auch von Jürgen Elsässer in seinen neueren Schriften – bestritten. [4]
Nun ist es sicher nicht von der Hand zu weisen, daß von den Auflagen des Internationalen Währungsfonds in den 1980er Jahren – über die deutsche Außenpolitik von Genscher und Kinkel zu Anfang der 1990er Jahre – über die Einmischung Clintons nach den Ereignissen von Srebrenica – bis hin zum Angriffskrieg der NATO 1999 ein massiver äußerer Druck auf den Zusammenhalt Jugoslawiens ausgeübt worden ist (und bis heute – siehe Kosovo – wird). Dennoch ist festzuhalten, daß der Bürgerkrieg wie die systematische Zerschlagung Jugoslawiens nur als Zusammenspiel der externen Faktoren mit den internen auseinanderstrebenden Kräften zu begreifen ist. Der dabei auftretende Nationalismus ist allerdings – wie jeder Nationalismus – nicht Ursache, sondern Vehikel des Übels. Fragen wir daher eher: wer sind die Kriegsgewinnler?
Ein Kriegsverbrechertribunal, das seinen Namen wirklich verdienen würde, müßte so manche westliche Staatsoberhäupter, Außen- und Kriegsminister, Finanzmakler und Kriegsgewinnler, und natürlich auch die herrschende Klasse der drei hauptbeteiligten Kriegsgegner Serbien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina auf die Anklagebank setzen. Und selbstverständlich auch die UÇK und die daraus hervorgegangenen politischen Kräfte. Daß dies nicht geschieht, ist kein Zufall, sondern Absicht; es ist die Logik des gesamten Verfahrens und Vorgehens.
Während es in Deutschland durchaus ein Bewußtsein darüber gibt, daß der US–amerikanische Krieg gegen und im Irak herbeigelogen wurde, fehlt dieses Bewußtsein im Falle Jugoslawiens bzw. Serbiens fast vollständig. Dabei sind die Parallelen eigentlich offensichtlich. Da jedoch Deutschland – im Gegensatz zu den Ereignissen im Irak – im Falle Jugoslawiens nicht nur Mittäter, sondern auch Profiteur ist, kann hier eine Kritik nicht zünden, wie sie im Falle des Irak gegenüber dem politischen wie wirtschaftlichen Konkurrenten USA zum Zuge kommt. Soll heißen: auch die Kritik an den herrschenden Verhältnissen muß sich immer wieder die reale Möglichkeit der Vereinnahmung ihrer Kritik für andere Interessen und Ziele vor Augen führen.
Wer Deutschland am Hindukusch verteidigt, hat handfeste materielle Interessen. Krieg ist immer wieder eine Option zur Durchsetzung machtpolitischer und vor allem wirtschaftlicher Ziele. Es gibt keinen vernünftigen Grund, Deutschland und seine Bundeswehr davon auszunehmen. Die Grünen haben sich Mitte der 1990er Jahre, spätestens seit der medialen Inszenierung eines angeblichen Völkermordes in Srebrenica, von dieser Erkenntnis entfernt. Die sich als regierungsfähig anbiedernde Linkspartei namens PDS ist längst auf dem Weg, den Grünen hierbei zu folgen.
Der Bürgerkrieg in Jugoslawien war ein willkommenes – als solches auch von interessierten Kreisen im Ausland – geschaffenes Ereignis, für die Bundeswehr immer bedeutendere out of area-Einsätze zu ermöglichen. So gesehen war Jugoslawien ein Testlabor für die Bereitschaft der bundesdeutschen Bevölkerung, Krieg zu führen. Welch besseres Argument ließe sich finden, als für Freiheit und Menschenrechte einzutreten? Mit diesen Vokabeln zogen jedoch schon die Herrscher der antiken Welt zu Felde und metzelten ihre Feinde nieder. Nichts Anderes geschieht heute.
Diese Sendung wird in der Nacht von Montag auf Dienstag um 23.00 Uhr, am Dienstagmorgen nach dem Radiowecker um 8.00 Uhr und noch einmal am Dienstagnachmittag ab 14.00 Uhr wiederholt. Nächste Woche könnt ihr auf diesem Sendeplatz Katharina Mann und Niko Martin mit ihrer Sendereihe Hinter den Spiegeln hören. Es folgt nun Gerhard Schönberger mit nickelodeon, einer Sendung der Kulturredaktion von Radio Darmstadt. Am Mikrofon für die Redaktion Alltag und Geschichte war Walter Kuhl.
»» [1] Siehe hierzu: Jürgen Elsässer : Kriegsverbrechen – Die tödlichen Lügen der Bundesregierung und ihre Opfer im Kosovo-Konflikt, Seite 26–28.
»» [2] Siehe hierzu Germinal Civikov : Panther, Kaimane, Skorpione, in: Freitag, 1. Juli 2005, sowie den leicht ins Verschwörungstheoretische abgleitenden Text „Bilder lügen nicht“ oder: Fand das „Massaker von Srebrenica“ gar nicht in Srebrenica statt? der Gruppe Arbeiterfotografie.
»» [3] Jürgen Elsässer : Kriegsverbrechen, Seite 34.
»» [4] Der 11 September 2001 scheint die Verschwörungstheoretiker geradezu magisch anzuziehen. So auch Jürgen Elsässer, übrigens mit fatalen Folgen. Siehe hierzu eine Rezension von Sonja Vogel zu den Phantasmen einer „eurasischen Friedenszone“.
Diese Seite wurde zuletzt am 20. Mai 2009 aktualisiert. Links auf andere Webseiten bedeuten keine Zustimmung zu den jeweiligen Inhalten, sondern sind rein informativer Natur. © Walter Kuhl 2001, 2005, 2009. Die Wiedergabe, auch auszugsweise, ist nur mit dem Einverständnis des Verfassers gestattet.
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