Raus aus Afghanistan
Raus ja, aber „unser Land“?

Kapital – Verbrechen

Taliban und Paramilitärs

Sendemanuskript

 

Sendung der Redaktion Alltag und Geschichte

Radio: Radio Darmstadt

Redaktion und Moderation: Walter Kuhl

Ausstrahlung am:

Montag, 14. September 2009, 17.00 bis 18.00 Uhr

Wiederholt:

Dienstag, 15. September 2009, 05.00 bis 06.00 Uhr
Dienstag, 15. September 2009, 08.00 bis 09.00 Uhr
Dienstag, 15. September 2009, 14.00 bis 15.00 Uhr

Zusammenfassung:

Die Bundeswehr gibt den Abschuß­befehl auf vermeintliche Taliban. In Kolumbien besorgen Paramilitärs das blutige Geschäft der Bourgeoisie. Radiophone Feind­erklärung aus dem Sendehaus am Steubenplatz. Das Minute 34-Syndrom kürrzte die vorproduzierte Sendung um rund eine halbe Minute.

Besprochenes Buch:

Raul Zelik : Die kolumbianischen Paramilitärs, Verlag Westfälisches Dampfboot

Playlist:

The Clash : Give 'Em Enough Rope

 


 

Inhaltsverzeichnis

 


 

Taliban als Gattungsbegriff

Jingle Alltag und Geschichte

Als vor anderthalb Wochen ein Bundeswehr­offizier einen Luftangriff auf die Entführer zweier Tanklast­wagen anforderte, verwandelte sich der deutsche Kriesgeinsatz in Afghanistan in das mörderische Geschäft, in das sich die anderen allierten Kriegsparteien schon länger verstrickt hatten. Hier wurde nicht mehr auf vereinzelte Zivilistinnen und Zivilisten geschossen, sondern großzügig bombardiert. Natürlich leugnet die Bundesregierung im Nachhinein, daß Zivilpersonen betroffen waren, und auf eine gewisse Weise hat sie auch Recht.

In einem von NATO-Truppen besetzten Land gehört die einheimische Bevölkerung grundsätzlich zum Feind. Da selbiger mittels irregulärer Truppen agiert, ist eine Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nicht­kombattanten nicht möglich. Alle Afghaninnen und Afghanen, die nicht offen das Regime der Warlords unter dem mittels Wahl­fälschung wiedergewählten Präsidenten Hamid Karsai unterstützen, sind Taliban. Es ist eine Frage der Definition und keine der Realität. Wer Taliban ist, bestimmen wir. Genau genommen nicht wir, also du und ich, sondern die am Krieg beteiligten westlichen Regierungen und ihre Militärs und Medien.

Am Mikrofon ist Walter Kuhl von der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt.

Ob es sich tatsächlich um Taliban gehandelt hat, ist eine Frage, die sich offen­sichtlich kaum eine oder jemand gestellt hat. Ein irregulärer Krieg in einem kriegs­zerstörten Land mit einer Bevölkerung, die seit Jahrzehnten mittels Gewalt, Hunger und Armut terrorisiert wurde, führt zwangsläufig zu einer Art Kriesgökonomie. Drogenhandel, Schutzgeld­erpressung und religiöser Fundamenta­lismus gehen eine schier unentwirrbare Allianz ein mit Warlords, lokalen Milizen und anderen Kriegs­gewinnlern. „Taliban“ ist hierbei als eine Art Gattungs­bezeichnung für sehr verschiedene Kräfte zu betrachten, die mit den usrprünglichen religiösen Eiferern und Machthabern nur wenig zu tun haben. Der Überfall auf die beiden Tank­lastzüge entspringt der Logik dieses Krieges und kann durchaus als profitabler Beutezug der kriegs­bedingten Alltags­kriminalität gesehen werden.

Und so ist die Bundeswehr nun endlich auch mitten im Krieg angelangt. Jetzt gibt es kein Zurück mehr und offen­sichtlich auch kein Pardon. Die zivilen Kollateral­schäden werden klein­geredet, gerechtfertigt und so hingebogen, daß die afghanische Bevölkerung selbst daran schuld ist, wenn sie massakriert wird. Dieses Kriegs­verbrechen ist jedoch kein Mord. Mord ist, zumindest nach deutscher Jurisdiktion, ein Kapital­verbrechen aus niederen Beweg­gründen. Den Afghaninnen und Afghanen die verlogenen zivilisatorischen Werte des Westens mit Gewehren, Panzern und Kampfjets aufzwingen zu wollen, ist jedoch kein niederer, sondern höchst ehrenwerter, weil arrogant-neokolonialer Beweggrund.

Nun könnten wir hierbei von einem inhärenten Rassismus sprechen, der einen Unterschied darin sieht, ob deutsche Soldaten in einem Straßengraben ersaufen oder afganische Männer und Frauen einfach mal so abgeknallt werden. Die einen bekommen ein Ehrenmal, die anderen bestenfalls hohle Trostworte. Doch selbst­verständlich wird die Bundesregierung wie die Bundeswehr jeden Vorwurf des Rassismus weit von sich weisen. Hier sind Gutmenschen am Werk. Und wenn diejenigen, denen solch Gutes angetan wird, nicht einsichtig sind, dann ist das eben deren Pech und leider unvermeidlich. Ich plädiere deshalb auf Totschlag.

Das Schlimme ist: es wird noch viel schlimmer kommen. Denn wer sich einmal so in einen Krieg hinein­eskaliert hat, kommt da nicht wieder ungeschoren heraus. Nun sind mir die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr hierbei herzlich egal, denn sie wollten es nicht anders. Wer sich in Gefahr begibt, der kommt zuweilen darin um. Die Afghaninnen und Afghanen hingegen haben keine Wahl. Denn es ist ihr Land, ihr Zuhause, ihr Leben. Sie dürfen allenfalls wählen zwischen Unterwerfung und Tod.

Wir hingegen dürfen am 27. nur wählen zwischen Abzocke und weiterem Sozialabbau. Kein Wunder, daß diese Wahl für die langweiligste, uninteres­santeste und perspektiv­loseste Wahl seit Gründung der Bundes­republik Deutschland gehalten wird. Damals, 1949, wagte noch keine und niemand wieder daran zu denken, daß deutsche Soldaten frohgemut einen zivilen Feind bekämpfen könnten, so wie noch einige Jahre zuvor.

 

Eine Gewaltkultur, die nichts erklärt

Besprechung von : Raul Zelik – Die kolumbianischen Paramilitärs, Verlag Westfälisches Dampfboot 2009, 353 Seiten, € 29,90

Afghanistan, Irak, Somalia, Kongo, Sierra Leone – diese, und vielleicht noch das eine oder andere Land gelten als typische Repräsentanten der Theorie der failing states. Hierunter wird der mißglückte Versuch verstanden, Staatlichkeit aufzubauen und eine zentrale Staats­autorität gegenüber zentrifugalen Kräften durchzusetzen; im Gegensatz zu den gelungenen state oder nation buildings. Eng verbunden mit diesem Begriff ist der der neuen, der asymmetrischen Kriege. Es kämpfen Staaten nicht mehr gegen andere Staaten, sondern gegen die irregulären Kräfte eines unsichtbaren Feindes.

Interessanterweise sind es die Regionen dieser Erde, in denen sich in den letzten beiden Jahrzehnten deutsche Soldaten getummelt haben, um deutsche Interessen wahrzunehmen. Bill Clintons Versuch, sich in Somalia festzusetzen, scheiterte Mitte der 90er Jahre [1], ein Häuflein Bundeswehr-Soldaten war auch dabei. Die direkte Teilnahme am Irak-Krieg verweigerte die damalige Bundes­regierung um Gerhard Schröder, stellte jedoch den US-amerikanischen Militärs Flugplätze, Seehäfen und logistische Unterstützung zur Verfügung. Und daß Deutschland am Hindukusch verteidigt werden muß, war kein Einfall reaktionärer CDU-Militärs, sondern das rationale Kalkül eines SPD-Politikers.

Gewisse Parallelen gibt es hier auch zu Kolumbien. Auch dieses Land im Nordwesten Südamerikas gilt als ein Kandidat für die Theorie des gescheiterten Staates, auch dort mischt die bundesdeutsche Politik, vorzugsweise durch die Parteien­stiftungen der CDU und der SPD mit. Kolumbien ist ein Land, das zumindest seit über einem halben Jahrhundert durch Gewalt geprägt ist. Der violencia zu Beginn der 1950er Jahre folgte der Guerillakrieg und später der Aufstieg der Paramilitärs. Insofern stellt sich nicht nur die Frage nach dem Zerfall der zentralen Staatsgewalt, sondern auch die, ob es sich hierbei ebenfalls um einen asymmetrischen Krieg handeln könnte.

Buchcover Die kolumbianischen ParamilitärsIn seiner im Frühjahr im Verlag Westfälisches Dampfboot als Buch erschienenen Dissertation über „Die kolumbianischen Paramilitärs“ vertritt der Schriftsteller und Politik­wissenschaftler Raul Zelik eine gänzlich andere These. In kritischer Auseinander­setzung mit dem politologischen Mainstream gelingt es ihm nachzuweisen, daß es sich bei den gewalttätigen Auseinander­setzungen in Kolumbien keineswegs um Ausdruck eines Staatszerfalls handelt, sondern eher um eine spezifische Form der Durchsetzung von Kapital­interessen gegen die Mehrheit der Bevölkerung.

Die im Lande vorzufindende Gewaltkultur ist demnach vor dem Hintergrund jahrhunderte­langer kolonialer und neokolonialer Abhängigkeit zu betrachten. Während die Gewalt der Guerilla­verbände zwar spürbar, aber nur begrenzt offensiv ist, handelt es sich bei den Opfern der paramilitärischen Strukturen in der Regel um den Teil der Zivil­bevölkerung, der sich der neokolonialen und neoliberalen Zurichtung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft widersetzt. Anders gesagt: Paramilitärs morden nicht in den Vierteln der Reichen.

Besonders bemerkenswert ist in Raul Zeliks Arbeit sein theoretischer Gedankengang. Zwar ist sein Untersuchungs­gegenstand der kolumbianische Paramilitarismus, doch führt ihn seine wissen­schaftliche Beschäftigung mit diesem Thema zunächst zur generellen Klärung der Frage, was „failing states“ und die vielzitierten „neuen Kriege“ denn wirklich ausmachen. In Deutschland wird diese vor allem in US-amerikanischen Kreisen diskutierte These der neuen, der asymmetrischen Kriege vor allem durch den Politik­wissenschaftler und Philosophen Herfried Münkler vertreten, unter anderem in seinem 2002 erschienenen Buch „Die neuen Kriege“. Diese Theorie geht davon aus, daß der Westfälische Frieden von 1648 ein Wendepunkt in der Kriegs­führung darstellte, weil seither die Kriegs­führung verrechtlicht und somit eingehegt worden ist.

Die neuen Kriege, die vor allem an den Rändern der Peripherie stattfinden, seien demnach als ein Rückfall in die Irregularität vormodernenr Kriege zu begreifen. Der Zerfall staatlicher Strukturen gehe einher mit einer entgrenzten Gewalt­anwendung der modernen Partisanen. Raul Zelik verweist hierbei nicht nur auf den neokolonialen Tonfall von Münklers These, sondern auch darauf, daß entgrenzte Gewalt eben kein Spezifikum irregulärer Guerilla­verbände war und ist, sondern zu imperialistischen Kolonial­kriegen und zur nazi­deutschen Kriegs­führung genauso dazugehör hat wie zu den Militär­dienstleistern, die im Auftrag der USA und ihrer Verbündeten inzwischen einen Großteil der Kriegs­führung und Aufstands­bekämpfung im Irak und andernorts übernommen haben.

Die Theorie der „failing states“ und der „neuen Kriege“ ist offensichtlich interesse­geleitet. Es wird so getan, als habe sich eine Asymmetrie entwickelt, die von den irregulären Kräften ausgegangen ist, gegen die sich nun die internationale Staaten­gemeinschaft zur Wehr setzen müsse. Bewußt ausgeblendet werden hierbei 500 Jahre Kolonialismus und Neokolonialismus sowie die Tatsache, daß sich irregulär geführte Kriege in der Regel gegen eine Besatzungs­macht richten. Täter und Opfer werden ausgetauscht, so daß die westlichen Besatzer als die Opfer irregulärer Gewalt erscheinen, gegen die sie sich selbst­verständlich mit allen notwendigen Mitteln zur Wehr setzen müssen. Daß die Zivil­bevölkerung hierbei ins Visier gerät, ist nicht nur einkalkuliert, sondern geradezu notwendig. Sie hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn sie sich gegen die Zumutungen neokolonialer Arroganz, Ausplünderung, Besatzung und Vermarktung zur Wehr setzt.

So ähnlich rechtfertigte Frank-Walter Steinmeier das Bombardement der Tanklastwagen­räuber.mit den Worten: „Die Taliban schrecken offen­sichtlich vor nichts zurück, um die Sicherheit zu destabilisieren und Wiederaufbau unmöglich zu machen.“ Deutsche Opfer, afghanische Täter, verkehrte Welt. Aber je länger die Propaganda­maschine läuft, desto mehr Menschen geben dem medialen Trommelfeuer nach. Jüngste Umfragen zeigen eine erhöhte Akzeptanz des Bundeswehr­einsatzes in Afghnaistan, immer noch angeführt von den Gutmenschen des grünen Umfeldes.

Asymmetrische Kriege sind zu einem gewissen Teil Partisanen­kriege. Schon der rechts­konservative Vordenker der national­sozialistisch entgrenzten Wehrmachts­kriege, Carl Schmitt, wußte zu sagen, daß sich der Partsan außerhalb der kriegerischen Ordnung stellt und zum herrschenden System in totaler Feindschaft steht. Es wird, so stellt Raul Zelik weiter fest, so argumentiert, daß die Entgrenzung der Gewalt von den Aufständischen ausgeht, um hiermit den Terror des Besatzungs­regimes zu rechtfertigen. In dieser Tradition stehen britische, französische und vor allem US-amerikanische Aufstands­bekämpfungs­konzepte, die keinen Hehl daraus machen, wer der Feind ist: die Zivil­bevölkerung des besetzten Gebietes. Diese Konzepte sind übrigens nicht geheim und können nachgelesen werden. [2]

 

Die Feinderklärung

Schon Carl Schmitt wußte, daß man gegen Partisanen am besten als Partisan kämpft, ein Gedanke, den Raul Zelik auf die kolumbianische Wirklichkeit überträgt, wenn er den Para­militarismus als Gegen­strategie nicht nur gegen die seit Jahrzehnten verankerten Guerilla­verbände begreift, sondern gegen alle diejenigen, die mit der Guerilla in Verbindung gebracht werden; und das ist im paranoiden Wahn der inneren Sicherheit nun einmal die legale Linke in ihrer Gesamtheit. In dieser Weise äußern sich dann auch die kolumbianischen Para­militärs, die ihren Auftrag sehr genau verstanden haben.

Nun gehört zu jeder Kriegsführung ein angemessener Propaganda­apparat, der weniger gegen den Feind, als vielmehr gegen die eigene Bevölkerung zu wirken hat. Die Erfahrung des Vietnam-Kriegs führte den US-amerikanischen Militärs die Wichtigkeit der Heimatfront drastisch vor Augen. Der Krieg war für die Militärs verloren, als die Menschen in den USA an ihm zu zweifeln begannen [3]. Raul Zelik entwickelt hierzu einen Gedanken, von dem ich denke, daß er weit über die geistige Mobilmachung für einen Krieg hinausgeht. Diese spezifische Art Wahrheits­produktion läßt sich in jedem konflikt­geladenen sozialen Umfeld wiederfinden. Es ist eine Wahrheits­produktion, der nicht oder nur ganz schwer mit rationalen Argumenten begegnet werden kann. Raul Zelik schreibt, hier auf Kolumbien bezogen:

Aus Perspektive des aufstands­bekämpfenden Staates muss die Bevölkerung nämlich gar nicht unbedingt davon überzeugt werden, dass wirklich die Guerilla hinter den Massakern steckt. Es reicht aus, dass der politische Charakter des Konflikts verwischt, die Glaub­würdigkeit der Akteure in Frage gestellt wird und die Brutalität des Krieges ein Gefühl allgemeiner Unsicherheit erzeugt. Die Gefahr des ungezügelten, „natürlichen“ Gewalt­zustands bekräftigt die Daseins­berechtigung des Staates – ganz im Sinne von Thomas Hobbes, demzufolge das staatliche Gewalt­monopol vor dem allgemeinen Bürgerkrieg schützt. Die Akzeptanz einer autoritären Lösung wächst in dem Maße, in dem der Konflikt diffus und unüber­schaubar zu werden droht. Die Verschärfung der Unsicherheit und ihre mediale Thematisierung bereiten putschähnlichen Maßnahmen das Terrain. Auf diese Weise kann das von der Armee zu verantwortende, verdeckt durchgeführte para­militärische Massaker paradoxer­weise zur Legitimierung der Armee beitragen. [4]

Raul Zelik betrachtet hier die psychologische Kriegsführung sicherheits­politischer Diskurse. Wie bekommt man Menschen, die eigentlich klar denken können, dazu, etwas zu akzeptieren, was ihrem Wertegefühl widerspricht? Man schafft Unsicherheit, verwirrt durch gezielte Halb- oder Desinformation, weckt Zweifel und setzt letztlich darauf, daß sich der Mainstream durchsetzt. Und es funktioniert. Es funktioniert vor allem dann, wenn es gelingt, mentale, soziale und psychische Befindlich­keiten zu bedienen und Bedürfnisse zu befriedigen. Ein in sozialen Geflechten beliebtes Argumentations­mittel ist, daß ja auch die andere Seite Dreck am Stecken hat, daß Konflikte immer zwei Seiten haben, verbunden mit dem Vorwurf, die Opfer einer Attacke hätten dieselbe durch ihr Verhalten ja selbst herbeigeführt. So werden derartige Attacken legitimiert.

Anstatt einen klaren Standpunkt zu ermöglichen, weil es tatsächlich so ist oder so sein kann, daß eine Seite die andere unterdrückt, ausgrenzt und verfolgt, wird ein nebulöses Bild erzeugt, wonach die Opfer eigenen Handelns selbst daran schuld sind. Im kolumbianischen Kontext sind es beispielsweise Folteropfer, die gewiß irgendetwas ausgefressen haben, denn sonst wären sie ja nicht verfolgt worden. Aber ich könnte auch auf hierzulande ausgeübte sexuelle Gewalt verweisen, die – im sozialen Diskurs der Diffusions­taktik – daher rührt, daß Frauen sich provozierend gekleidet oder verhalten haben sollen. Es läßt sich immer ein Grund, so absurd er auch sein mag, finden, um den Unterschied zwischen Tätern und Opfern zu verwischen. So funktioniert Herrschaft und jede gesell­schaftliche Ordnung, die nicht auf Emanzipation, sondern auf Unterordnung und Mitläufertum basiert.

Mit ähnlichen Methoden werden uns hierzulande Massenproteste gegen die staatliche Gewalt in Kolumbien als diffuser Protest gegen die Gewalt schlechthin verkauft, um davon abzulenken, daß die Gewalt in Kolumbien klassen­spezifischer Natur ist. Wenn Angela Merkel den kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe für seine Bemühungen um die Verbesserung der Menschenrechtslage lobt, dann nicht, weil sie davon überzeugt ist (das womöglich auch), sondern weil hier ein gemeinsames Klassen­interesse zum Ausdruck kommt. Denn gemordet wird in Kolumbien auch weiterhin, der Terror gegen die Zivil­bevölkerung geht weiter. Uribe steht jedoch in der öffentlichen Wahrnehmung für eine Form autoritärer Herrschaft, die über den kämpfenden Parteien steht und diese zurückdrängt. Daß mit Uribe der Para­militarismus im Präsidenten­amt angekommen ist, kann somit ausgeblendet werden.

Dennoch wäre es vollkommen falsch, Kolumbien als einen Staat der Para­militärs zu begreifen. Vielmehr, und das macht die vielschichtige, sorgfäktige und gut belegte Analyse von Raul Zelik deutlich, bedient sich die herrschende Klasse para­militärischer Strukturen, um die krisen­geschüttelte Gesellschaft der 1980er Jahre so zu transformieren, daß die Ausbeutung der Arbeiterinnen, Kleinbauern und Indigenas in wohlgeordnete neoliberale Bahnen gelenkt werden kann. In gewisser Weise wird der staatliche Terror ausgegliedert und irregulären Kräften überlassen. Im Gegensatz zu klassischen repressiven Regimes wie in Chile, Argentinien und Uruguay lassen sich so die sozialen Folgekosten begrenzen. Anstatt als Folterdiktatur am Pranger zu stehen, kann sich der Staat als Opfer einer von allen Seiten ausgehenden Gewalt gerieren.

 

Phase 3

Die kolumbianische Geschichte ist nicht nur eine Geschichte der Gewalt von oben, sondern auch eine des Widerstandes und der Selbst­organisation. Als 1949 der antioligarchische Präsidentschafts­kandidat Jorge Eliécer Gaitán ermordet wurde, kam es zur Massenrevolte und nachfolgend zum einem blutig ausgetragenen Bürgerkrieg. Anders jedoch, als es die übliche Geschichts­schreibung hinstellt, handelte es sich weniger um einen Konflikt zwischen Liberalen und Konservativen. Raul Zelik weist zurecht darauf hin, daß hier die unteren Klassen unter dem Deckmantel des Parteien­kampfes gegeneinander aufgehetzt wurden, um den sozialen Impuls des Aufstandes zu eliminieren.

Der 1958 geschlossene Pakt zwischen Liberaler und Konservativer Partei, die (oder der?) sogenannte „Frente Nacional“, diente der Klassen­kollaboration mit dem Ziel, die Herrschaft untereinander aufzuteilen und das städtische und ländliche Proletariat davon fernzuhalten – in Venezuela wurde zeitgleich im Anschluß an eine Militär­diktatur ein ähnlicher Pakt geschlossen. Die in der Folge entstehenden Guerilla­bewegungen waren Konsequenz dieser repressiven Abschottungs­politik. Und es ist kein Zufall, daß die Guerilla trotz aller zwischen­zeitlichen politischen Deformationen bis heute Teile Kolumbiens kontrolliert.

Raul Zelik zeichnet die Geschichte des Para­militarismus seit der violencia der 1950er Jahre nach und kommt zu dem Ergebnis, daß eine bestimmte Melange von Gewalt­unternehmern, Drogenbossen, Klein­kriminellen und Politikern geradezu notwendige Voraussetzung gewesen ist, um Strukturen zu schaffen und zu finanzieren, die einerseits im Auftrag von Bourgeoisie und Land­eigentümern Angst und Schrecken verbreiten, die sich jedoch andererseits nicht derart verselbständigen, daß sie ihre Auftraggeber ausschalten und selbst die Macht übernehmen.

Der Autor geht hier noch einen Schritt weiter und stellt fest, daß derart gewalt-kriminell-militärische Strukturen keines Besonderheit Kolumbiens darstellen, sondern immer dort anzutreffen sind, wo Befreiungs­bewegungen, Guerillaverbände oder soziale Bewegungen bekämpft werden sollen, also dort, wo die vorherrschende Ordnung der Ausbeutung und Ausplünderung bedroht ist oder zu sein scheint. So erinnert er an die Iran-Contra-Affäre der 1980er Jahre oder an den drogen­finanzierten Spezialkrieg der CIA in Südostasien in den 1960er und 1970er Jahren.

In Kolumbien sind de Zusammen­hänge deutlich zu erkennen. Eine zuweilen unabhängig ermittelnde Justiz hat immer wieder die Zusammen­arbeit lokaler Politiker, Drogenbosse, Militärs und Para­militärs aufdecken können. Es kann keinesfalls davon die Rede sein, daß der Para­militarismus eine Bedrohung für den Staat darstellt, auch wenn dies so erscheinen mag. Denn nicht der Staat ist der Feind der Para­militärs, sondern die legale Linke sowie rechts­staatliche Garantien, die der Transformation Kolumbiens in einen neoliberalen und autoritär regierten Staat im Wege stehen. Wenn sich die Para­militärs in den 90er Jahren als eigene Kriegspartei definierten, dann nur, um in den Genuß einer Amnestie zu gelangen, bei der sie ihre illegal erworbenenen Reichtümer legalisieren konnten.

Inzwischen ist das Transformations­projekt an dem Punkt angelangt, in dem es nicht mehr so offensichtlich auf die Unterstützung der Para­militärs angewiesen ist. Mit dem 2002 gewählten Präsidenten Álvaro Uribe gelangte nicht nur ein mit dem Para­militarismus eng verstrickter Politiker an die Macht, sondern auch jemand, der den Macht­apparat neu strukturieren und führen konnte. Seine Bedeutung scheint für die kolumbianischen Eliten derart bedeutsam zu sein, daß sie bereit waren und sind, ihm nun zum zweiten Mal eine Verlängerung seiner Amtszeit zu ermöglichen, ein in der Geschichte Kolumbiens einmaliger Vorgang. Daß hierbei Wahlbetrug und Stimmenkauf eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben, paßt ins Bild.

Uribe, der selbst seine Wiederwahl vorantreibt, hat einen ähnlichen Vorgang in Venezuela scharf verurteilt. Der scheinbare Widerspruch ist keiner, wenn wir die politischen Programme von Álvaro Uribe und Hugo Chávez vergleichen. Auch wenn die soziale Wirklichkeit weit hinter der rhetorischen Programmatik des venezolanischen Präsidenten zurück­bleibt, so besteht doch ein Unterschied zwischen knallharter kapitalistischer Klassen­herrschaft und einem sozial­demokratischen Reformprojekt. In Kolumbien ist jede linke Politik verdächtig; und deshalb (auf Venezuela bezogen) eine Wiederwahl von Chávez ein Anschlag auf Freiheit und Demokratie. Die zeitweise systematische Ermordung linker Politikerinnen und Gewerkschafter in Kolumbien verweist auf den Grundgedanken dieser Freiheit und Demokratie. Sind die Untertanen nicht freiwillig einsichtig, wird ihnen die Einsicht mit Schwert, Gefängnis und Terror beigebracht.

In gewisser Weise ist das Projekt zur Restrukturierung des kolumbianischen Staates und seiner Wirtschaft inzwischen in Phase 3 angelangt. Raul Zelik teilt die Funktion para­militärischer Gewalt nämlich in drei Phasen ein. In der ersten Phase dringen para­militärische Verbände in ein noch nicht von ihnen kontrolliertes Gebeit ein, terrorisieren und vertreiben die Bevölkerung, verüben Massaker und etablieren ein autoritäres Kontrollregime. Die Massaker können in aller Öffentlich­keit stattfinden, aber auch unter Ausschluß derselben. Dennoch wird dafür gesorgt, daß bei diesen Gewaltorgien die Adressatinnen und Adressaten dieser Gewalt genau mitbekommen, was geschieht, etwa indem die Schmerzens­schreie der bestialisch Gefolterten aus einem symbolisch genau gewählten Schlachthaus laut zu hören sind oder eine Stromsperre eintritt und die Dunkelheit das Unheilvolle verstärkt.

In der zweiten Phase lenkt der Para­militarismus Finanzmittel in die eroberte Region, verteilt Sozialleistungen und siedelt gehorsame Bevölkerungs­gruppen anstelle der vertriebenen an. Die Gewalt wird selektiver angewandt, etwa um Bürgermeister­posten neu zu besetzen oder unliebsame Staats­anwälte aus dem Weg zu räumen. Neben der politischen Umformung findet eine ökonomische statt. Die Land­wirtschaft wird auf Monokulturen umgestellt, zudem werden Bodenschätze verstärkt ausgebeutet. Eiegene Nicht­regierungs­organisationen und soziale Bewegungen verhelfen diesem Regime zu erhöhter Legitimität und binden die Bevölkerung in das neue soziale Netzwerk ein.

 

Plan Colombia

In der dritten Phase konsolidiert der Para­militarismus seine im Auftrag von Kapitaleignern und Großgrund­besitzern ausgeübte Herrschaft. Offen repressive Maßnahmen rücken in den Hintergrund. Die Dynaik des neoliberalen Modernisierungs­prozesses sorgt für eine Art stummen Zwang der Verhältnisse, die alternativlos zu sein scheinen und Widerstand zwecklos erscheinen lassen. Somit kann die durch den Para­militarismus hergestellte gesellschaftliche Struktur auch weitgehend ohne bewaffnete Strukturen auskommen. Die para­militärischen Verbämde lösen sich auf oder werden durch Illegalisierung aufgelöst. „Die Existenz einer Parallelarmee ist schließlich kein eigenständiges Ziel, sondern Mittel zur Durchsetzung einer spezifischen Ordnung.“ [5] Das kleinkriminelle Milieu, in dem der Para­militarismus existiert, gewährleistet, daß sich die Gewalt­kriminellen gegenseitig mißtrauen, kontrollieren und ausschalten.

Während die para­militärischen Strukturen den Drogenbossen Schutz vor Verfolgung bieten konnten, finanzierten die Drogengelder den Aufbau und die Aufrüstung der Para­militärs. Die Eigendynamik dieser symbiotischen Beziehung verlief jedoch nicht konfliktfrei und führte zu einer Gewalt­eskalation, die in gewisser Weise auch system­funktional war, da sich kein Beteiligter wirklich seines Lebens und seines durch Gewalt und illegale Machen­schaften erworbenen Reichtums sicher sein konnte. Die den Staat beherrschenden wirtschaftlichen Eliten können somit in gewissem Rahmen die para­militärischen Strukturen lenken und dafür sorgen, daß sie sich nicht zu einem Staat im Staate auswachsen.

Unterstützt wurde und wird das para­militärische Projekt jedoch auch von außen. Der 1999 verabschiedete Plan Colombia diente offiziell der Bekämpgung des Drogenhandels und der Kriminalität, erwies sich jedoch als eine Maßnahme zur Bekämpfung der Guerilla und deren politischer, wirtschaftlicher und militärischer Infrastruktur. Bei einem Finanzvolumen von 400 bis 700 Millionen Dollar entwickelte sich der Plan Colombia schnell zum größten Militärhilfe­projekt der USA in Lateinamerika. Daß mit diesen Geldern und den damit beschafften Waffen auch die para­militärischen Verbände aufgerüstet wurden, die selbst in Drogenhandel und Gewalt­kriminalität verwurzelt waren, ist kein Widerspruch, sondern folgt der Logik derartiger Programme. Raul Zelik spricht hier von einer komplementären Politik militärischer und para­militärischer Gewalt.

Wobei er ausdrücklich darauf verweist, daß das in der öffentlichen Darstellung verbreitete Bild von Kolumbien als einem Drogenland verzerrt und übertrieben ist. Zwar kann die Bedeutung des kolumbianischen Drogenanbaus und Drogenhandels nicht negiert werden, doch entscheidender sind ganz andere Produkte. Land­wirtschaftliche Monokulturen für den Weltmarkt korrespondieren mit einer verschärften Ausbeutung von Bodenschätzen und der gewerkschafts­freien Zonen der Massen­produktion, etwa bei den Schnittblumen, die uns hierzulande Freude bereiten sollen. Hier gehen Gewerkschafts­freiheit, Leiharbeit und chemische Versuchung der beschäftigten Frauen durch Herbizide und Pestizide Hand in Hand. Produktions­bedingungen, die nur durch ökonomischen Druck, staatliche Repression und para­militärische Gewalt aufrecht erhalten werden können.

Wenn uns Raul Zelik mit seinem Buch über „Die kolumbianischen Paramilitärs“ einen Einblick in eine bestimmte Form repressiver Politik in einem Staat der Peripherie gewährt, dann zeichnet er gleichzeitig ein wesentlich differenziertes Bild als die vorherrschende mediale Darstellung des sozialen Konflikts in Kolumbien. Die von ihm benutzte Figur des Gewalt­unternehmers, der mittels einer Art Franchise ein bestimmtes Gebiet zugesprochen erhält, das er ausplündern darf, sofern er seiner mörderischen Auftragsarbeit nachgeht, unterscheidet sich von der grob­schlächtigen Figur eines gewalt­versessenen Warlords. Raul Zeliks Ausführungen sind nicht nur Ergebnis einer Zusammenstellung von Zeitungs­berichten, soziologischen Studien oder politischen Analysen, sondern basieren insbesondere auf mehrjährigen Forschungs­aufenthalten vor Ort. Die objektiven Daten werden durch subjektive Erfahrungs­berichte untermauert.

Vom Staate

Einen wichtigen Teil seines Buches nimmt die Auseinander­setzung mit dem Begriff und der Funktion des Staates ein, insbesondere des Staates der Peripherie. Ohne an dieser Stelle hierauf näher eingehen zu wollen, möchte ich darauf hinweisen, daß sich mein Staats­verständnis von dem des Autors unter­scheidet. Dennoch ist seine Staatsanalyse für das Verständnis der Widersprüche im kolumbianischen Staatsapparat und innerhalb der kolumbianischen Bourgeoisie von Interesse, denn es gelingt ihm hierdurch, so manche Inkonsistenz der Politik staatlicher und paramilitärischer Apparate plausibel zu erklären.

Im Gegensatz zu Raul Zelik spreche ich jedoch nicht postmodern von „imperialer Politik“, sondern bleibe beim gut eingeführten Begriff des Imperialismus. Nichtsdesto­trotz hat mir das Buch dazu verholfen, meine Gedanken hinsichtlich der Theoretisierung und Propagierung asymmetrischer Kriege zu klären und zu ordnen. Überhaupt ist das Buch eine Fundgrube kreativen Denkens, und es macht immer wieder deutlich, auf wessen Seite der Autor sich sieht.

Der Paramilitarismus in Kolumbien erscheint so als eine ausgelagerte staatliche Gewalt. „Der kalkulierte Einsatz teilentstaatlichter, verdeckt ausgeübter Gewalt ist ein effizientes Mittel der gesellschaftlichen Kontrolle.“ [6] Zumal in einem Land, in dem Reichtum und Armut auch für Drittwelt­verhälrnisse extrem auseinander­klaffen und in dem soziale Bewegungen von unten immer wieder aufbegehren. Trotz aller Gewalt sollte hier jedoch kein Opferdiskurs geführt, sondern die soziale Wirklichkeit als eine schwierige, aber nicht hoffnungslose betrachtet werden. Deshalb will ich zum Schluß meiner Besprechung dieses ausgezeichneten Buchs den letzten Absatz vorlesen:

Trotz aller Massaker, Vertreibungen, Folterungen und Morde ist es also offen­sichtlich nicht gelungen, die Vorstellung einer alternativen Gesellschaft vollständig auszulöschen. Als herrschaftliches Stabilisierungs­projekt ist der para­militärische Krieg in Kolumbien weitgehend geglückt: Die latente Krise der 1980er Jahre wurde überwunden. Als politisches Transformations­projekt hingegen ist der Para­militarismus unvollendet geblieben. Anders als etwa in Guatemala, wo staatlicher Terror ein Klima völliger Einschüchterung etablierte, widersetzen sich in Kolumbien soziale Bewegungen und indigene Gemeinschaften bis heute dem aufgezwungenen Modell. [7]

Und so ist dem Buch „Die kolumbianischen Paramiltärs“ ein breiteres Lesepublikum zu wünschen, weil es im Gegensatz zum medialen und politologischen Mainstream die Grundlagen des para­militärischen Terrors offenlegt und nicht verschleiert. Daß Uribe der Mann ist, der das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft genießt, sollte uns nicht beruhigen, sondern genauer hinschauen lassen. Inwieweit das kolumbianische Modell selbst zum Export­schlager wird, muß sich erst noch zeigen. Das Buch von Raul Zelik ist im Verlag Westfälisches Dampfboot zum Preis von 29 Euro 90 erschienen.

 

Terrorgefahr am Steubenplatz

Dies ist – vorläufig – meine letzte Sendung hier auf Radio Darmstadt. Vor vier Wochen hatte der Programmrat dieses Senders beschlossen, meine Sendung abzusetzen. Davon ebenfalls betroffen sind die Sendungen Hinter den Spiegeln von Katharina Mann und „Gegen das Vergessen“ der gleichnamigen anti­faschistischen Redaktion. Politische Inhalte, die nicht mainstream-kompatibel sind, scheinen auf diesem Sender unerwünscht zu sein. Was mehrere Sende- und Hausverbote in den vergangenen drei Jahren nicht zu bewirken vermochten, wurde nun per Beschluß exekutiert. Man und frau will unter sich bleiben und Vereinsfunk betreiben.

Ich möchte an dieser Stelle nicht ein weiteres Mal auf die Hintergründe dieser leidigen Geschichte eingehen, zumal dies alles auf meiner Webseite ausführlich nachzulesen ist, Bemerkenswert finde ich hingegen, daß der Unterhaltungs­redakteur Bülent D. in zwei Sendungen im Juni dieses Jahres meinte, mich mit den Taliban und den irakischen Sympathisanten von Al Qaida vergleichen zu müssen. Die Feind­erklärung steckt – frei nach dem rechts­konservativen Theoretiker auch des National­sozialismus, Carl Schmitt – in der Denunziation als Terrorist.

Bülent D. vergaß jedoch zweierlei: Erstens – wenn für mich und meine Freundinnen und Freunde in der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt der terroristische Vergleich gewählt wird, dann steht Bülent D. mitsamt seiner Umgebung für das US-amerikanische Besatzungs­regime, sowohl in Afghanistan wie im Irak. Der Vergleich schmeichelt ihm nicht, denn die abscheulichen Methoden der US-Armee und der US-Geheimdienste sind allseits bekannt. Und zweitens – Al Qaida zieht nicht, wie ich beispiels­weise, vor Gericht, um Recht zu bekommen, sondern löst derartige Probleme auf eine ganz eigene Weise. Und da hat Bülent D. richtig Glück, daß sein Vergleich nicht nur unsinnig, sondern auch dumm ist, denn sonst würde er ja nicht mehr leben. Die Metaphorik seines Vergleichs zeigt insofern sehr deutlich die Geisteshaltung auf, mit der Menschen, die nicht zum Mainstream des Senders passen, abgekanzelt, verhöhnt und mit der Fratze des Terrorismus geradezu entmenschlicht werden.

Ein Hinweis noch: sofern diesmal alles klappt, wofür ich nicht garantieren kann, dann wird am kommenden Mittwoch ab 19.00 Uhr noch einmal meine zweistündige Sendung zu antiziganistischen Kontinuitäten zu hören sein. Vielleicht schafft es dieser Sender ja am Mittwoch, eine Sendung zum nationalsozialistischen Völkermord an den europäischen Sinti und Roma nicht von seiner Dudelpop-Maschine unterbrechen und stören zu lassen. [8]

Ich danke an dieser Stelle all denen, die in den vergangenen zwölf Jahren meinen weit über vierhundert Sendungen und ebensovielen Gastbeiträgen in anderen Sendungen zugehört haben. Ich gebe zu, ich habe es euch allen nicht einfach gemacht. Ich rede vielleicht zu viel, zu lange, zu kompliziert, und dann noch ohne Pausen und somit ohne Erholungs­möglichkeit. Ich hoffe jedoch, daß meine Sendungen für alle meine Hörerinnen und Hörer ähnlich viel Erkenntnis­gewinn gebracht haben wie mir bei meiner Lektüre und Vorbereitung. Nicht alles, was ich beispielsweise vor zehn Jahren gesagt und gedacht habe, würde ich heute genauso wiederholen. Aber manches ist es vielleicht wert, aufgehoben zu werden. Ich verweise deshalb noch einmal auf meine Webseite: www.waltpolitik.de.

Was wie ein Abschied klingt, ist keiner. Ich komme wieder. Am Mikrofon war für die Redaktion Alltag und Geschichte Walter Kuhl von der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt[9]

 

ANMERKUNGEN

 

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»» [1]   Der ansonsten gewalt­verherrlichende Film Black Hawk Down von Ridley Scott macht den ungezügelten Rassismus des US-Kriegs­einsatzes in Somalia deutlich. Die Darstellung der käpfenden Somalis als Wilde ist reine Projektion eines westlichen Intellektuellen, der die selbst­inszenierte Paranoia der westlichen Werte­gemeinschaft zeigt..

»» [2]   Beispielsweise Frank Kitson : Im Vorfeld des Krieges, Seewald Verlag [1974]. Oder: Counter­insurgency Planning Guide [zum text].

»» [3]   Genauer: er war verloren, als man die Vietnemesen mit konventionellen Waffen nicht besiegen konnte und die Heimatfront bröckelte. Hinzu kam die Weigerung eines Teils des eingesetzten Heeres, zu kämpfen.

»» [4]   Raul Zelik : Die kolumbianischen Paramilitärs, Seite 103.

»» [5]   Zelik Seite 141.

»» [6]   Zelik Seite 324.

»» [7]   Zelik Seite 328.

»» [8]   Im dritten Anlauf lief die Sendung tatsächlich störungsfrei. Dafür traten andere, neue Artefakte in den Wieder­holungen der Sendung am folgenden Tag auf. Es lebe die Basteltechnik!

»» [9]   Auf der Programmratssitzung am 14. September 2009 wurden der ursprünglich gefaßte Beschluß modifiziert und die einkassierten Sendeplätze zurückgegeben.

 


 

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