Sendung der Redaktion Alltag und Geschichte
Radio: Radio Darmstadt
Redaktion und Moderation: Walter Kuhl
Ausstrahlung am:
Montag, 25. Mai 2009, 17.00 bis 18.00 Uhr
Wiederholt:
Montag/Dienstag, 25./26. Mai 2009, 23.10 bis 00.10 Uhr
Dienstag, 26. Mai 2009, 08.00 bis 09.00 Uhr
Dienstag, 26. Mai 2009, 16.00 bis 17.00 Uhr
Zusammenfassung:
Am 14. Mai 2009 statteten zwei Arbeitsloseninitiativen der Darmstädter Kreisagentur für Beschäftigung einen Besuch ab, um gegen die rechtswidrige Berechnung der Heizkosten zu demonstrieren. Am 19. Mai demonstrierten Erzieherinnen, Sozialpädagoginnen und Sozialarbeiter in Frankfurt für einen verbesserten Gesundheitsschutz. Die Sendung bestand aus drei Interviews und O–Tönen der Demonstration und Kundgebung in Frankfurt.
Radio Darmstadt, der Sender mit seiner über zwölfjährigen Sendeerfahrung, schaffte es einmal mehr, auch diese Sendung seinen schlecht gewarteten CD-Abspielgeräten zum Fraß vorzuwerfen. Es scheint so, als gebe der Sender lieber Geld für sinnlose Gerichtsverfahren aus, als den Studiogeräten im Sendehaus die nötige Aufmerksamkeit und Pflege zu widmen. Ich habe dieses seit Mitte 2008 anzutreffende Phänomen springender CD-Player das Minute 34-Syndrom getauft. Diesmal geschah der Sprung schon zur Minute 28.
Jingle Alltag und Geschichte
Für meine heutige Sendung war ich mit Mikrofon und Aufnahmegerät unterwegs, um soziales und gewerkschaftliches Engagement zu begleiten. In zwei Beiträgen geht es um den Umgang mit Arbeitslosen und noch Beschäftigten.
In meinem ersten Beitrag geht es um den Besuch der Gewerkschaftlichen Arbeitsloseninitiative Galida und des ver.di-Erwerbslosenausschusses bei der Kreisagentur für Beschäftigung in Kranichstein am 14. Mai. Der dortigen Arbeitslosenverwaltung sollte ein Preis verliehen werden, und zwar „Der verdrehte Paragraf“. Dazu gleich mehr.
In einem zweiten, etwas längeren Beitrag geht es um den Streik von Erzieherinnen, Sozialpädagoginnen und Sozialarbeitern im öffentlichen Dienst, der eine verbesserte betriebliche Gesundheitsförderung zum Ziel hat. Die Auswirkungen dieses Streiks sind vor allem in Kindertagesstätten, aber auch in Jugendhäusern und Sozialberatungsstellen zu spüren. In einem Gespräch mit zwei aktiven streikenden Frauen werden wir den Hintergrund zu diesem Arbeitskampf hören. Als Collage wird dieser Beitrag mit O–Tönen der Demonstration und Kundgebung am vergangenen Dienstag in Frankfurt untermalt, an der rund 5.000 Beschäftigte aus Südhessen teilgenommen hatten.
Am Mikrofon ist Walter Kuhl von der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt.
Vor zwei Wochen, am 11. Mai, tagte der Kreistag des Landkreises Darmstadt-Dieburg. Einer der beiden Abgeordneten der Linken beantragte, der Kreis solle die vollen Heizkosten für die Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II übernehmen. Nebenbei warf er der SPD pure Heuchelei vor, wenn es um Worte und Taten bei sozialen Fragen gehe. Das war den anwesenden Kreistagsmitgliedern offensichtlich zu scharf, und so kam es zu einer hitzigen Debatte. Der frisch gewählte Landrat Hans-Peter Schellhaas verstieg sich dabei zu der Aussage, erkenne die Lebensverhältnisse der Arbeitslosengeldbezieher sehr gut. Deshalb ist er auch Landrat und bezieht keine Hartz IV-Leistungen. Weil er ja weiß, wie das ist, und das möchte er sich dann wohl doch ersparen.
Die Aufregung hatte ihren Grund. Der linke Kreistagsabgeordnete Werner Bischoff hatte offensichtlich in ein Wespennest getochen. Der Vorwurf lautete, die Kreisagentur für Beschäftigung zahle rechtswidrig nicht die anfallenden Heizkosten. Aus diesem Grund hatten für den 14. Mai, also drei Tage später, die Gewerkschaftliche Arbeitsloseninitiative Galida und der ver.di-Erwerbslosenausschuß zu einem Besuch der Agentur im Landratsamt nach Kranichstein aufgerufen. Dort sollte der Kreisagentur besagter „verdrehte Paragraf“ überreicht werden.
Irgendwie scheint das Landratsamt Wind von der Sache bekommen zu haben. Am Morgen des 14. Mai war in der lokalen Presse zu lesen, das Landratsamt bestehe auf seinem Hausrecht und werde den Preis auch nicht entgegennehmen. Doch ganz so heiß her ging es dann doch nicht, als sich am frühen Nachmittag etwa fünfzehn Männer und Frauen an der Pforte des Landratsamtes versammelten. Ich fragte Helmut Angelbeck von der Galida nach dem Grund und der Zielsetzung der Aktion.
Das Interview liegt nicht verschriftlich vor.
Wir hörten zunächst O-Töne des Besuchs bei der Kreisagentur für Beschäftigung am 14. Mai und abschließend noch einmal Helmut Angelbeck von der Galida zum Herumgescheuche der Arbeitslosen, damit sie etwas finden, was Arbeitsämter, Kreisagenturen oder Argen nicht vermitteln können. Das sieht dann gegebenfalls so aus, daß Listen ausgefüllt werden sollen, wo man oder frau sich beworben hat; vollkommen egal ist hierbei, ob die Stellensuche sinnvoll war oder ob einzelne Firmen schon routiniert automatische Absagetextblöcke für derartige virtuelle Bewerbungen vorbereitet haben.
Natürlich hat das Ganze einen tieferen Sinn, und der liegt darin, die Arbeitslosen zu entmutigen, sie zum Aufgeben zu bewegen, vor allem aber darin, dafür zu sorgen, daß sie jede noch so schlecht bezahlte oder prekäre Arbeitsstelle annehmen, um aus dieser Mühle zu entfliehen. Habt ihr euch je gefragt, weshalb ein FDP-Mitglied Chef des Darmstädter Arbeitsamts ist? Auch ein Verwaltungshandeln, das Bescheide verfaßt, die man oder frau ja – wie haben es vorhin gehört – rechtlich anfechten kann, entspricht diesem Motto. Und das lautet: „ihr könnt ja klagen“. Als ob wir nicht ohnehin schon genügend andere Probleme hätten. Und so sparen derartige Agenturen einen Haufen Geld ein, das eigentlich den Bezieherinnen und Beziehern von Arbeitslosengeld II rechtmäßig zustünde.
Wer Probleme mit seinem oder ihrem Bescheid hat, kann sich an den ver.di-Erwerbslosenausschuß wenden. Dort gibt es qualifizierte Personen, die dabei helfen können, die Fallstricke von Fragebögen und Bescheiden zu vermeiden. Die Beratung des ver.di-Erwerbslosenausschusses findet mittwochs von 14.00 bis 16.00 Uhr im DGB-Haus in der Rheinstraße 50 in Raum 14 statt. Wobei es gerne gesehen wird, wenn auch Arbeitslose, so sie es noch nicht sind, der für sie zuständigen Gewerkschaft beitreten.
In der folgenden halben Stunde lasse ich die Kolleginnen und Kollegen von ver.di zu Wort kommen. Die im öffentlichen Dienst Beschäftigten in Kindertagesstätten, Jugendheimen und anderen sozialen Einrichtungen befinden sich im Streik für bessere Arbeitsbedingungen. Ihnen geht es vorrangig um einen Tarifvertrag für den betrieblichen Gesundheitsschutz, wobei sie nicht verhehlen, daß sie sich angesichts ihrer qualifizierten Arbeit für unterbezahlt halten. So verdienen mehr als ein Drittel aller Erzieherinnen und Erzieher weniger als 1.500 Euro brutto pro Monat, was auch daran liegt, daß nur 40 Prozent dieser Beschäftigten eine Vollzeitstelle haben.
Der Griesheimer Bürgermeister Norbert Leber bezweifelt diese Zahlen und macht eine eigene Rechnung auf. Berufseinsteiger, so verlautbart er, bekämen als Gruppenleiter auf 2.130 Euro [1]. Gezielt werden hier Tomaten mit Apfelsinen verglichen, denn es ist kaum anzunehmen, daß a) alle Pädagoginnen als Gruppenleiterinnen eingesetzt werden, und b) werden Lebers Gruppenleiter wohl kaum Teilzeit arbeiten. Diese Art irreführender Informationspolitik können wir häufig antreffen, zum Beispiel wenn Julia und Marina für die Nordostumgehung werben. [2]
Vergangenen Dienstag trafen sich im Gewerkschaftshaus rund 200 Kolleginnen und Kollegen, um den anstehenden Streik vorzubereiten. Ich sprach hierbei mit zwei Vertrauensfrauen, deren Name hier taktvoll verschwiegen werden soll, denn öffentliche Äußerungen zu den Arbeitsbedingungen können durchaus eine Abmahnung nach sich ziehen. Tags darauf fand in Frankfurt eine gemeinsame Demonstration und Kundgebung der Gewerkschaften ver.di und GEW mit rund 5.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Südhessen statt, wovon ich auszugsweise einige Beiträge collagenartig einspielen werde.
Die beiden Interviews liegen nicht verschriftlicht vor.
Jingle Alltag und Geschichte
In der vergangenen Stunde hörtet ihr Interviews und O-Töne zum Streik der Beschäftigten im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst und zum Besuch von Arbeitslosen bei der Kreisagentur für Beschäftigung in Kranichstein vor anderthalb Wochen am 14. Mai 2009. Der Streik der in den Gewerkschaften ver.di und GEW organisierten Beschäftigten wird auch in den beiden kommenden Wochen fortgesetzt; wir dürfen gespannt sein, ob kommunale Arbeitgeber ihre Spielzeuge, die Prestigeobjekte von Städten und Kommunen, für wichtiger halten als einen sozialen Umgang mit den in sozialen Einrichtungen Beschäftigten. Ich habe da so eine Ahnung.
Bemerkenswerte Reaktionen auf den Streik kamen aus Griesheim und Groß-Umstadt, bemerkenswert auch deshalb, weil es sich um die beiden Bürgermeister Norbert Leber und Joachim Ruppert handelt, die beide der SPD angehören. Beide lamentieren darüber, daß sie doch ohnehin schon mehr Geld in die Kitas steckten als sie müßten. Vorsichtshalber wiesen sie schon einmal darauf hin, daß die Eltern die Kosten werden tragen müssen, die bei einem verbesserten Tarifvertrag entstünden. Der moralische Druck, der hier mit der Androhung erhöhter Elternbeiträge erzeugt wird, hat gewiß nichts mit der sozialen Heuchelei zu tun, von der Werner Bischoff im Kreistag an die Adresse der SPD gerichtet sprach. Als ob es eine Vorgabe gebe, steigende Kosten als Gebühren den Eltern aufzubürden, die ihre Kinder in die Kitas schicken. Wie wäre es zur Abwechslung einmal mit einem überflüssigen Straßenbauprojekt weniger? Sieht so ein kinderfreundliches Land aus?
Joachim Ruppert jammerte zudem darüber, daß ausgerechnet in Groß-Umstadt der Warnstreik begonnen habe, gerade dort, wo mehr Geld als vorgeschrieben in die Kitas gesteckt werde. Offensichtlich hat der Sozialdemokrat den Sinn gewerkschaftlichen Engagements nicht verstanden. Die Starken nutzen ihre Macht, um den Schwachen zu helfen; diejenigen, die in einer besseren Position sind, zeigen sich solidarisch mit denen, bei denen sozialpolitischer Nachholbedarf besteht [3].
Höhere Löhne fordern während dessen Kirchen- und Diakoniebeschäftigte, zahlt doch die Evangelische Kirche lieber Gottes Lohn als anständige Löhne und Gehälter.
Und gerade deshalb ist es wichtig, derartige Streiks zu unterstützen und nicht der Propaganda der kommunalen Arbeitgeber auf den Leim zu gehen. Eine Gelegenheit hierzu besteht beispielsweise am Mittwochvormittag in Darmstadt, wenn der Streik in die innerstädtische Öffentlichkeit getragen wird. Jeder erfolgreiche Kampf um soziale Belange ist immer auch einer, der auf andere Kämpfe ausstrahlt, der Mut macht und der verdeutlicht, daß wir uns nicht jede Zumutung gefallen lassen. Das mag sehr reformistisch klingen und ist es sicherlich auch. Aber die Verhältnisse sind so wie sie sind, und es liegt an uns, sie zu ändern.
Im Anschluß folgt eine Sendung der Kulturredaktion von Radio Darmstadt. Am Mikrofon war für die Redaktion Alltag und Geschichte Walter Kuhl von der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt.
»» [1] pit : Notdienst für den Streikfall, in: Darmstädter Echo (online) am 23. Mai 2009.
»» [2] Daniel Baczyk : St. Petersburg lächelt für die Nordostumgehung, in: Darmstädter Echo (online) am 15. Mai 2009.
»» [3] Reinhard Jörs : „Verständnis für Kita-Streik wird schwinden“, in: Darmstädter Echo (online) am 20. Mai 2009
Diese Seite wurde zuletzt am 6. August 2009 aktualisiert. Links auf andere Webseiten bedeuten keine Zustimmung zu den jeweiligen Inhalten, sondern sind rein informativer Natur. © Walter Kuhl 2001, 2009. Die Wiedergabe, auch auszugsweise, ist nur mit dem Einverständnis des Verfassers gestattet.
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