Sendung der Redaktion Alltag und Geschichte
Radio: Radio Darmstadt
Redaktion und Moderation: Walter Kuhl
Ausstrahlung am:
Montag, 28. März 2005, 17.00 bis 18.00 Uhr
Wiederholt:
Montag/Dienstag, 28./29. März 2005, 23.10 bis 00.10 Uhr
Dienstag, 29. März 2009, 08.00 bis 09.00 Uhr
Dienstag, 29. März 2009, 16.00 bis 17.00 Uhr
Zusammenfassung:
Was ist Ostern und wozu ist es gut? Die heidnischen Wurzeln führen uns in die Jungsteinzeit und deren religiösen Vorstellungen. Jahrtausende später siedelten sogenannte Kelten in Mitteleuropa und hinterließen uns Spuren, die wir zu interpretieren haben.
Besprochenes Buch:
Jingle Alltag und Geschichte
Es ostert. Doch was bedeutet Ostern? Die Tagesredaktion von Radio Corax aus Halle ist dieser Frage im folgenden Beitrag nachgegangen.
Ich hätte es wissen müssen. Der verkaufsoffene Sonntag am 20. März war nicht dazu gedacht, das wahlmüde Volk aus seinen Wohnstuben auf die Straße und damit in die Wahllokale zu locken. 57% der Darmstädterinnen und Darmstädter zogen es bekanntlich vor, weder dem frisch gewählten Oberbürgermeister Walter Hoffmann noch seinem schnarchigen Herausforderer Wolfgang Gehrke ihre Stimme zu geben. Es sind fast schon US-amerikanische Verhältnisse: das Stadtoberhaupt wurde von weniger als einem Viertel der hier lebenden Menschen gewählt. Anders gesagt: drei Viertel wollten ihn nicht haben. Er kommt trotzdem. [2]
Wahrscheinlich sind nicht wenige derjenigen, die in dieser Wahl keine Wahl gesehen haben, am selben Sonntagnachmittag durch Darmstadt flaniert und haben sich angeschaut, was es im Bereich der bunt glitzernden Konsumwelt zu wählen gibt. Im Gegensatz zum Wahlzettel, dessen Ankreuzen nichts kostet (aber: beachtet die Folgekosten einer solchen Wahl!), war das Wählen einkaufswürdiger Gegenstände ganz sicherlich nicht preiswert. Die hessische Geschäftswelt hat sich ganz gewiß etwas dabei gedacht, als sie für Sonntag vor Ostern den Geschäftstrubel entdeckt hat. Ostern ist eben ein Fest wie jedes andere auch: es wirkt nur, wenn dabei Freundschaft und Geborgenheit gekauft werden können.
Ich mag mir lieber nicht vorstellen, was diese Form der Korruption über unsere Lebenswelt aussagen mag. Statt dessen stelle ich etwas anderes in meiner heutigen Sendung vor. Österlich gestimmt, wie wir uns in den Darmstädter Geschäften eingedeckt haben, fragen wir uns natürlich auch, woher diese österliche Stimmung kommen mag. Ostern ist ein christliches Fest, aber ist das alles? Und was mögen die Menschen, die lange vor dem Christentum hier gelebt haben, über derartige Stimmungen gedacht haben?
Nun – die Religionswissenschaftlerin Ina Mahlstedt hat sich mit der religiösen Welt der Jungsteinzeit auseinandergesetzt und der Wissenschaftsautor Martin Kuckenburg weiß mehr zu den Kelten in Mitteleuropa. Die Vorstellung der von ihnen hierzu geschriebenen Bücher wird den Schwerpunkt meiner heutigen Sendung ausmachen. Und damit wir hierzu auch ein wenig Anschauungsmaterial erhalten, lädt uns Thomas F. Klein zu einhundert Ausflügen in die keltische Vergangenheit ein. Für die Redaktion Alltag und Geschichte auf Radio Darmstadt ist am Mikrofon Walter Kuhl.
Wenn die Christenheit das Osterfest begeht, dann geschieht dies nicht notwendigerweise überall zur selben Zeit. Die Orthodoxe Kirche ist bekanntlich noch dem julianischen Kalender verhaftet, weshalb das Osterfest, wie dieses Jahr, hier auch einmal fünf Wochen später als bei uns begangen werden kann. [Mit den exakten Jahrestagen haben es die Kirchen offensichtlich nicht. Jesus Christus' Tod und Wiederauferstehung zu immer anderen Daten – und wie das kalendarische Durcheinander zeigt: auch noch doppelt – zu begehen, bezeugt sicherlich nicht ein glaubwürdiges Ereignis.] Mit ziemlicher Sicherheit hat das Osterfest jüdische Wurzeln; die Verwandtschaft zum Pessachfest ist zu offensichtlich. Da bis heute nicht geklärt werden konnte, ob die mythische Figur Jesus tatsächlich gelebt hat, kann es also durchaus sein, daß diesem Mythos, also Jesus von Nazareth, ein jüdisches Fest als Auferstehungsfest untergeschoben worden ist.
Inwieweit das Osterfest heidnische Wurzeln hat, ist umstritten. Natürlich hatte das Christentum von Anfang an kein Problem damit, sich aus nichtchristlichen Religionen oder Glaubensvorstellungen zu bedienen. Es wäre ja auch seltsam, wenn aus dem Nichts eine vollkommen neue Religion erfunden worden wäre. Angesichts der kalendarischen Nähe zum Frühlingsanfang ist es also durchaus möglich, daß im Osterfest auch Elemente eines heidnischen Frühlingsfestes enthalten sind. Allerdings heißt dies noch lange nicht, daß ein solcher heidnischer Bezug ausgerechnet aus der gemanischen Götterwelt stammen muß. Zwar gibt es die Behauptung, daß sich das Wort Ostern von einer germanischen Göttin der Morgenröte namens Ostara herleiten läßt. Es ist jedoch nach neuerem Forschungsstand alles andere als gesichert, daß es diese Göttin überhaupt gegeben hat. Woher das Wort Ostern kommt, läßt sich daher nur mutmaßen. [3]
Nehmen wir das Osterfest einfach als gegeben. Wir müssen es ja nicht in einem wie auch immer gearteten religiösen Gewand begehen. Wir können auch einfach nur den durchgeknallten Propheten der neoliberalen Deregulierung eine lange Nase zeigen und, anstatt zu malochen, einfach einmal ausspannen. Doch machen wir uns nichts vor: ein christliches Fest wie Ostern ist im Sinne marktwirtschaftlicher Reformvorstellungen einfach anachronistisch. Vielleicht wird es nur deswegen bewahrt, um am Sonntag zuvor den Massen das Geld aus der Tasche locken zu können, damit diese sich auf Euro und Cent genau berechnet ihr Seelenheil erkaufen können.
Besprechung von : Ina Mahlstedt – Die religiöse Welt der Jungsteinzeit, Konrad Theiss Verlag 2004, € 24,90
Vor vielen tausend Jahren dachten die Menschen, die in Europa siedelten, ganz gewiß nicht an das Osterfest. Nach dem Ende der Eiszeit und der sogenannten Neolithischen Revolution in Vorderasien begannen die Menschen, seßhaft zu werden. Gewiß war dies ein langwieriger und nicht immer erfolgreicher Prozeß. Es mögen viele Jahrhunderte (oder gar Jahrtausende) des Halbnomadentums vorausgegangen sein, bis es den Menschen gelang, ihren Lebensunterhalt durch eine seßhafte Lebensführung zu sichern. Dabei ist sicher auch zu berücksichtigen, daß es von Anfang an Tendenzen gegeben hat, welche die private Aneignung des produzierten Reichtums gefördert haben. Die Klassengesellschaften der Bronzezeit und der Eisenzeit sind nicht einfach aus dem Nichts entstanden; sie haben eine lange Vorgeschichte der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung.
Diese neolithische Lebensform ging allen frühen Hochkulturen voran, wenn auch je nach Region in unterschiedlicher Ausprägung. Die mit Beginn der Schriftkulturen faßbaren, weil aufgeschriebenen, religiösen Vorstellungen wurzelten in der vorangegangenen Jungsteinzeit. So liegt es durchaus nahe, diese bekannten und vielleicht auch verstandenen religiösen Vorstellungen auf die Zeit vor den Schriftkulturen zu übertragen. Doch dies, so die Religionswissenschaftlerin Ina Mahlstedt in ihrem Buch „Die religiöse Welt der Jungsteinzeit“, wird den Menschen des Neolithikums nicht gerecht. Sie sieht einen fundamentalen Unterschied in den Glaubensvorstellungen der Menschen der Jungsteinzeit und denen der nachfolgenden Bronzezeit. Was wir zunächst vorfinden, sind archäologische Überreste. Am deutlichsten sichtbar sind die Hinterlassenschaften der Jungsteinzeit in der Megalithkultur. Die Archäologie befaßt sich ihrem Selbstverständnis nach mit der Aufarbeitung dieser Hinterlassenschaften. Ina Mahlstedt hält dies für zu kurz gedacht. Genausowenig, wie man und frau das Christentum aus mittelalterlichen Kathedralen oder vergrabenen Kruzifixen verstehen kann, ist es möglich, die geistige und religiöse Welt der Jungsteinzeit anhand ihrer Kultstätten zu erfassen.
Hinzu kommt, daß die Menschen vor Tausenden von Jahren von gänzlich anderen existenziellen Sorgen und Lebensmustern bewegt worden sind als wir heute. Wir müssen also einen Zugang zu den damaligen geistigen Vorstellungen finden, welcher der damaligen Lebensrealität entsprochen haben mag. Dies ist kurzgefaßt der Grundgedanke von Ina Mahlstedt. Sie fährt fort:
Nicht die sichtbaren, sondern die unsichtbaren geistigen Überreste alter Kulturen sind der Gegenstand religionswissenschaftlicher Forschung. Die Religion, solange sie noch nicht schriftlich fixiert, sondern frei assoziierend in Mythen tradiert wird, reflektiert die existenziellen Gegebenheiten, die der Alltag mit sich bringt, und formt Bilder, Ideen und Konzepte, die in der Lebenswelt der Menschen wurzeln, so wie die Lebenswelt umgekehrt ihre „Wahrheit‘ aus der Religion erhält, die Erklärungen für die großen existenziellen Lebensfragen liefert. Das ist eine lebendige und wechselseitige Durchdringung und Gestaltung, bei der die religiöse Wahrheit zur Realität wird und damit dem Leben Stabilität und Ordnung verleiht. [4]
In einer agrarischen Welt geht es hauptsächlich um Ernten und Saatgut, um Wind und Wetter. Die mit der Seßhaftwerdung verbundenen neuen sozialen Beziehungen schlagen sich in Mythen nieder. Die Welt ist so, wie die Mythen sie erklären; und daraus bezieht eine derartige Gesellschaft ihre Zusammengehörigkeit. Neben Mythen gibt es weiteres Material, das uns die Glaubensvorstellungen der Menschen der Jungsteinzeit nahebringen kann: es ist die Ikonographie. Das überreiche Material an Ritzzeichnungen oder Symbolen ist nach Auffassung der Autorin jedoch überhaupt noch nicht als geistige Ausdrucksform erkannt und ausgewertet worden. Ina Mahlstedt meint, es handelt sich hierbei nicht einfach um eine Dekoration, sondern um eine Symbolik, die uns die neolithische Gesellschaft verständlicher machen kann.
Auch die Welt der Jungsteinzeit hatte ihre Vorgänger. Geistige, auch religiöse Vorstellungen mögen sich im Laufe von Hunderttausenden von Jahren entwickelt haben. Es waren Sammlerinnen und Jäger, welche langsam die Erde bevölkerten und hierbei ihre Fähigkeiten entwickelten. Es ist jedoch problematisch, unser Bild von Religion, erst recht einer monotheistischen Religion, in die Vergangenheit zurückzuprojizieren. Diese Vergangenheit ist jedoch nicht einfach primitiv oder in ihren spirituellen Vorstellungen einfältig. Sie ist auf eine gewisse Weise dem dort vorherrschenden Leben angepaßt. Und nur, wenn wir dieses Leben verstehen, können wir auch erforschen, wie diese Menschen sich selbst und ihre Umwelt verstanden haben mögen.
Die seßhaft werdenden Menschen der Jungsteinzeit übernahmen die Mythen und Vorstellungen ihrer umherwandernden Vorfahren und überlagerten sie im Laufe vieler Jahrhunderte mit neuen Interpretationen und Bildern.
Ina Mahlstedt betrachtet deshalb die Vorstellungen der Kung-Jäger der Kalahari und die der Aborigines in Australien etwas näher, um eine Vorstellung von dem zu erhalten, wie Menschen vor der Seßhaftwerdung ihre Welt begriffen haben mögen. Wie bei vielen derartiger Einzelfallbetrachtungen kann auch Ina Mahlstedt kein statistisch gesichertes Material vorlegen. Sie kann weder nachweisen, daß diese nomadisierende Gedankenwelt universell gewesen ist, noch daß die von ihr angeführten Quellen verallgemeinerbar sind. Dies ist ein Grundproblem jeder ethnologischen und religionswissenschaftlichen Betrachtung. In gewisser Weise können wir hier glauben oder nicht glauben. Gesichertes Wissen werden wir jedenfalls kaum jemals darüber erhalten, was und wie Menschen vor 10.000 Jahren gedacht haben mögen.
Dennoch sind einige Annäherungen möglich. Umherwandernde Menschengruppen haben andere Probleme als seßhafte. Wer seßhaft geworden ist, ist dem Verlauf der Jahreszeiten ungleich stärker ausgesetzt als diejenigen, welche mit den Jahreszeiten wandern. Mangel, Dürre und Frost bekommen ein gänzlich neues Gewicht. Seßhaftigkeit trennt die einzelnen Gruppen stärker voneinander und führt zu territorialen Einheiten. So entstanden neue soziale Probleme, die einer kommunikativen [und da auch Gewalt eine Kommunikationsform ist, eben auch der gewaltförmigen] Lösung harrten.
Die Leben spendenden Kräfte mussten jetzt dort Verehrung finden, wo man lebte, und nicht mehr in der Natur, wo man saisonal hingezogen war. [5]
Planung und Voraussicht wurden wesentliche Faktoren des Zusammenlebens. Um die Jahreszeiten genau vorherzusagen, mußten Techniken der Stern- und Himmelsbeobachtung gefunden werden. Dies erklärt womöglich die vielen Steinsetzungen, die jedoch nicht willkürlich immer gleich als Kultstätten oder Observatorien gedeutet werden dürfen. Die Frage ist jedoch: hat der Prozeß der Seßhaftwerdung einen einzigen Ursprung oder handelt es sich hierbei um ein universelles Phänomen?
Erstaunlich ist dabei immer wieder, wie sehr sich neolithische Kulturen in der Ikonographie ihrer Töpfereien, ihren Artefakten, ihrem Handwerkszeug und Kultgegenständen ähnelten. […] Eine solche Übereinstimmung über die Kontinente hinweg kam aber nicht zufällig, kann auch nicht auf kolonialistischer Verbreitung basieren, sondern kann nur auf einer geistigen Grundlage beruhen, die zu dieser ähnlichen Gestaltung führte. […] Da sich religiöse Vorstellungen aus der Lebenswelt ergeben und die Mythen sich auf existenzielle Anforderungen beziehen, denen die Menschen ausgesetzt sind, müssen ihre „Wahrheiten“ auch die gleichen sein. Sie gleichen sich überall dort, wo man mit der Bearbeitung der Erde beginnt und sich Nahrung anbaut, wenn auch ihre mythische Gewandung recht unterschiedlich ist. Die kulturell-religiöse Grundstruktur in der Ausrichtung auf die Erde, auf den Rhythmus des Himmels und die Vegetationsperioden ist in ihrer Tendenz überall die gleiche. [6]
Ina Mahlstedt bricht also mit dem wissenschaftlichen Dogma, aus den vorhandenen Funden eine Vergangenheit zu rekonstruieren. Statt dessen geht sie, durchaus materialistisch, davon aus, daß Menschen ihre Geschichte selbst machen, aber eben unter den jeweils vorgefundenen Bedingungen. Und auf dieser Grundlage erklären sich diese Menschen ihre Welt. Wenn es dann gelingt, das vorhandene Fundmaterial mit diesem Erklärungsansatz abzugleichen, dann hätten wir einen spannenden Forschungsansatz, um die geistige Welt der Jungsteinzeit zu begreifen.
Der Hauptteil des Buches von Ina Mahlstedt befaßt sich daher mit der Symbolik von Steinen und Schöpferkraft, mit bildlichen Darstellungen und den als Ornamente gedeuteten Ritzzeichnungen. Mag sein, daß die Autorin hierbei mehr erklären will, als tatsächlich möglich ist. Lesenswert ist ihr Ansatz und das, was sie damit herausfindet, allemal. Dieser Ansatz ist nicht willkürlich und läßt sich daher auch nicht für esoterische Gedankenspiele vereinnahmen. Ina Mahlstedt verneint hierbei die Existenz eines Matriarchats oder genauer: matriarchaler Strukturen. Für ein solches ist in der neolithischen Welt kein Platz [7].
Mit Beginn der Bronzezeit ist die damit verbundene Entwicklung der Waffentechnologie offensichtlich – und diese neue Epoche hat durchaus ihre religiösen Folgen. Die bisherigen zyklischen Vorstellungen von Leben und Sterben, vom Tod, der Leben hervorbringt, werden abgelöst durch endzeitliche Erfahrungen mit dem Tod. Der bisherige Mensch stand in einer endlosen Reihe vergehender und wiederkehrender Lebewesen; doch nun nimmt er sein Schicksal selbst in die Hand und spielt Gott. Diese kulturelle und soziale Tat erforderte neue religiöse Konzepte. Mit dem Beginn der sogenannten Hochkulturen ist kein Platz mehr für die Lebens- und Glaubensvorstellungen der Jungsteinzeit.
Kleinere Ungenauigkeiten mögen beim Lesen irritieren, aber sie halten sich in Grenzen. Die sumerischen Tempelberge wurden nicht aus Stein, sondern aus Ziegeln erbaut [Seite 32], der ägyptische Gott Amun heißt nicht Amum [Seite 59, jedoch richtig auf Seite 58], Ahua Mazda sollte doch wohl Ahura Mazda heißen [Seite 65] und die hethitische Sonnengöttin hieß nicht Arinna, sondern wurde in dieser Stadt verehrt [Seite 121].
Das Buch „Die religiöse Welt der Jungsteinzeit“ von Ina Mahlstedt ist durch seinen methodischen Ansatz provokativ und nicht ganz unproblematisch. Lesenswert ist es allemal. Bei Theiss erschienen, kostet es 24 Euro 90.
Besprechung von : Martin Kuckenburg – Die Kelten in Mitteleuropa, Konrad Theiss Verlag 2004, € 39,90
Gänzlich andere Glaubensvorstellungen bestimmten das Leben der Kelten in Mitteleuropa. Der Wissenschaftsjournalist Martin Kuckenburg hat im vergangenen Jahr (ebenfalls bei Theiss) eine sorgfältig recherchierte Zusammenfassung unseres Wissensstandes herausgebracht.
Wenn wir auch vermuten können, daß das Ursprungsgebiet der Kelten irgendwo im südlichen Mitteleuropa zu suchen ist, so liegt die genaue Herkunft dieser Kelten noch im Dunkeln. Nach dem heutigen methodischen Standard der Klassifizierung von Menschengruppen in Ethnien müssen wir festhalten, daß diejenigen, welche wir als Kelten bezeichnen, sehr wahrscheinlich keine gemeinsame ethnischen Wurzeln besaßen. Wie Jahrhunderte später bei den Germanen oder Hunnen, so ist auch hier der Name nur ein Oberbegriff für ursprünglich nicht zusammengehörige Gruppen, die jedoch eine kulturelle oder politische Einheit bildeten.
Die Kelten treten uns erstmals faßbar gegen 600 vor unserer Zeitrechnung entgegen und breiteten sich im Laufe der Zeit zwischen den Britischen Inseln und Anatolien, zwischen den [deutschen] Mittelgebirgen und Spanien aus. Das muß nicht bedeuten, daß die dort lebenden Menschen sich als Kelten verstanden haben, und erst recht gab es mit einer kurzzeitigen Ausnahme nie den Versuch, ein größeres Territorialgebiet unter einer einheitlichen Führung zu vereinen. Doch kulturell sind die Kelten für sechshundert Jahre faßbar, ehe sie vor allem von den römischen Legionen besiegt wurden.
Ansätze für kleinere Territorien oder Herrschaftsgebiete lassen sich dennoch finden. Sogenannte Fürstensitze scheinen eine überregionale Bedeutung besessen zu haben; und die Monopolstellung über Salz und Metallerze sowie die Beherrschung von Handelsrouten mag zu einem gewissen Reichtum (und zu Macht) geführt haben. Ein etwas anderes Bild entwickelt sich im 2. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, als sogenannte oppida, kleinere städtische Siedlungen entstanden. Das oppidum Manching in Bayern, dessen keltischen Namen wir nicht kennen, besaß eine Befestigungsmauer von sieben Kilometern Länge und umschloß ein Areal von rund 380 Hektar, also fast vier Quadratkilometern.
Die Kelten besaßen sehr wahrscheinlich keine eigene Schrift; wenn sie etwas schriftlich notierten, dann wohl eher in griechischen Buchstaben. In Manching und anderen oppida wurden Schreibgriffel und Täfelchen gefunden; aber ob dies auf eine regelmäßige Benutzung der Schrift zu Verwaltungszwecken hinweist, ist eher zweifelhaft. Keltisches Wissen wurde mündlich weitergegeben.
Jahrhundertelang waren keltische Krieger gefürchtet. Alexander der Große soll vor seinem Feldzug gegen das Perserreich eine keltische Gesandtschaft empfangen und sie gefragt haben, was sie denn am meisten fürchten. Die durch den griechischen Schriftsteller Strabon überlieferte Antwort kennen wir aus den Asterix-Comics in einer ironisierenden Weise: Sie fürchten nichts, außer daß der Himmel über ihnen einstürze. Erst als die römischen Legionen mit ihrem Drill dem chaotischen Haufen keltischer Heere gegenüberstanden, erlitten die Kelten eine Niederlage nach der anderen. Caesars Eroberungszug durch Gallien brachte einer Million Menschen den Tod.
Schwieriger zu fassen ist die keltische Religion. Unsere einzigen Quellen sind griechische und römische Autoren mit ihrer tendenziösen Darstellung sowie archäologische Zeugnisse. Menschenopfer und rätselhafte Totenkulte vermitteln ein besonders düsteres Bild, dem sich auch Martin Kuckenburg nicht ganz entziehen kann:
[E]s verfestigt sich der Eindruck, dass die Religion ein absolut zentrales Element in der Kultur der Kelten war und dass der Götter- und Dämonenglaube das gesamte Leben und Handeln dieser antiken Völkerschaften durchdrang. [8]
Allerdings zeigt sich hierbei auch, daß wir vorsichtig damit sein sollten, unser religiöses Empfinden zur Richtschnur zu machen. Blutige Opferrituale mögen uns abschrecken, aber die Geschichte des Christentums ist ja nun auch nicht gerade ein Muster an Friedfertigkeit. Nur wurden die auf Scheiterhaufen Verbrannten nicht Gottes Opfer genannt [und waren es vielleicht doch?]. Und wenn die keltische Religion das gesamte Leben durchdrungen haben soll, was wäre dann von bestimmten Perioden der mittelalterlichen und neuzeitlichen Geschichte zu sagen? Wenn ich überhaupt Kritisches an der Darstellung des Autors finde, dann hier.
Was den Band auszeichnet, ist zweierlei: einerseits werden die in Büchern und Zeitschriften verstreuten Erkenntnisse gut sortiert und mindestens ebensogut lesbar zusammengefaßt. Hier arbeitet ein Wissenschaftsautor, der etwas davon versteht, worüber er schreibt. Das ist leider nicht selbstverständlich. Zum anderen wird die keltische Kultur mit 170 farbigen Abbildungen eindrucksvoll visualisiert.
Der Band „Die Kelten in Mitteleuropa“ von Martin Kuckenburg ist im Theiss Verlag zum Preis von 39 Euro 90 herausgekommen.
Besprechung von : Thomas F. Klein – Wege zu den Kelten, Konrad Theiss Verlag 2004, € 24,90
Wenn wir den Gedanken des Osterfestes als Frühlingsfest noch einmal aufgreifen, dann liegt es nahe, die sich erwärmende Jahreszeit zu Ausflügen in die nähere und weitere Umgebung zu nutzen. Thomas F. Klein hat uns hierzu „100 Ausflüge in die Vergangenheit“ anzubieten; und da ich soeben von den Kelten gesprochen habe, handelt es sich um den Band „Wege zu den Kelten“ aus dem Theiss Verlag.
Schon allein das Rhein-Main-Gebiet ist umfangreich vertreten. Natürlich bietet sich zunächst (oder doch erst am Ende?) ein Besuch im Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz an. Kein anderes Museum, so der Verfasser, besitzt derart viele Exponate der keltischen Zeit. Andererseits strahle es den Charme einer puristischen Lehrsammlung aus, denn es fehlen eine Einführung und erst recht weiter gehende Erläuterungen zu den einzelnen Objekten.
Das Gebiet zwischen Aschaffenburg und Mainz ist seit Jahrtausenden ein bevorzugter Siedlungsplatz gewesen. Im Frankfurter Stadtteil Schwanheim gibt es einen neun Kilometer langen archäologischen Lehrpfad durch Eichen- und Buchenwälder zu Gräberfeldern aus der Hallstattzeit. Die nach dem österreichischen Hallstatt benannte Kultur gilt als Beginn der keltischen Geschichte und ist zwischen 800 und 450 vor unserer Zeitrechnung anzusetzen.
Zwischen Urberach und Offenthal am Bulauer Berg entdeckte man einen hallstattzeitlichen Grabhügel oder vielmehr das, was davon noch übrig geblieben war. Dieser wurde im Rahmen des Keltenjahres 2002 wieder aufgeschüttet und mit einer nachempfundenen Bestattungszeremonie dekoriert. Ob man und frau sich das wirklich so vorstellen muß, ist eine andere Frage, aber es soll zumindest eine Ahnung von keltischen Bestattungsritualen vermitteln.
Im 6. oder 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung errichteten Kelten auf dem Altkönig bei Oberursel einen sogenannten Fürstensitz. Wer diesen Berg besaß, beherrschte wahrscheinlich das Rhein-Main-Gebiet. Einige Jahrhunderte später wurde am Stadtrand von Oberursel ein etwa 130 Hektar großes oppidum errichtet. Diese keltische Stadtanlage ist mit der Frankfurter U-Bahnlinie 3 zu erreichen.
Natürlich darf der Glauberg in einer solchen Ausflugssammlung nicht fehlen. Die dort ausgegrabenen steinernen Plastiken sogenannter Keltenfürsten sind in der Tat eine archäologische Sensation ersten Ranges. Inzwischen wurde das Gelände als Archäologischer Park hergerichtet und eine Kopie des Keltenfürsten im Glauberger Heimatmuseum aufgestellt.
Etwas weiter nördlich sind bei Butzbach keltische Ringwälle zu erwandern oder im Biebertal am Dünsberg ein rund 90 Hektar großes oppidum. Tausende Häuser müssen hier im 2. und 1. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung eine stadtähnliche Siedlung gebildet haben. Die Zufahrt zu diesem oppidum ist als eine Rekonstruktion zu betrachten. Dortige Funde legen eine militärische Auseinandersetzung mit römischen Truppen nahe, über die wir mangels historischer Überlieferung jedoch nichts wissen. Fast spurlos ist der oberhessische Raum anschließend in römischen und germanischen Besitz, getrennt durch den Limes, aufgegangen.
Thomas F. Klein schlägt einen großen Bogen zu möglichen keltischen Ausflugszielen. Vom Rhein-Main-Gebiet zieht er nordostwärts gen Rhön und nach Thüringen, von dort südlich nach Franken und Bayern, anschließend gelangt er über Baden-Württemberg ins Elsaß, und von dort über Eifel und Hunsrück in den Moselraum. Eigene Kapitel über Ausflugsziele in Österreich, der Schweiz und Burgund runden den Band ab. Damit ist ein Großteil des keltischen Siedlungsgebietes abgedeckt.
Fast schon unvermeidlich ist hinsichtlich der Besuchsziele die Orientierung auf das eigene Auto. Nun sind in den seltensten Fällen keltische Fundstätten mit dem öffentlichen Nahverkehr zu erreichen, aber es gibt ihn natürlich auch außerhalb der Großstädte. Allerdings verändern Straßen und Parkplätze seltener ihren Standort, als Buslinien ihren Fahrplan und ihre Fahrroute.
Der Band „Wege zu den Kelten“ von Thomas F. Klein ist bei Theiss erschienen und kostet 24 Euro 90.
Jingle Alltag und Geschichte
heute mit einer österlich angehauchten Sendung über die himmlischen Mächte. Nach einem Kurzbeitrag von Radio Corax aus Halle zur Frage, was denn Ostern für verschiedene Menschen bedeutet, habe ich Überlegungen und Erkenntnisse zur religiösen Welt der Jungsteinzeit und innerhalb der keltischen Kultur vorgestellt. Nützlich fand ich hierbei die Bücher von Ina Mahlstedt über Die religiöse Welt der Jungsteinzeit und von Martin Kuckenburg über Die Kelten in Mitteleuropa. Thomas F. Klein schlägt in einem eigenen Band 100 Ausflüge in die Vergangenheit vor; sein Buch trägt daher den Titel Wege zu den Kelten.
Alle drei Bücher sind im Stuttgarter Theiss Verlag erschienen. Und wer Wirtschaftsförderung wie unser frisch gewählter Oberbürgermeister Walter Hoffmann betreiben will, sollte daran denken, daß der Theiss Verlag zur Wissenschaftlichen Buchgesellschaft gehört; und die residiert bekanntlich in der Riedeselstraße.
Bevor ich in unser Sendestudio 1 zur Sendung Äktschn! der Kulturredaktion übergebe [9], habe ich noch einen Veranstaltungshinweis für den heutigen Montagabend. Wer diese Sendung in der Wiederholung um 23.00 Uhr oder am Dienstagmorgen nach dem Radiowecker nach 8.00 Uhr oder am Dienstagnachmittag ab 14.00 Uhr hört, sollte sich von diesem Veranstaltungshinweis nicht angesprochen fühlen.
Also – am heutigen Montagabend um 20 Uhr zeigt das Antifa-Cafe in der Oetinger Villa den Film „Keine Lager – nirgendwo!“ Dieser Film rückt den Widerstand gegen Flüchtlingslager und Abschiebegefängnisse in Europa in den Mittelpunkt. In der Beschreibung des Films heißt es hierzu:
Lager für Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten, diese Orte, die auf keiner Landkarte eingezeichnet sind, lassen sich mittlerweile überall in Europa finden. Lager zielen auf Ausgrenzung und Abschreckung, sie dienen der Zurichtung auf die Arbeitsmärkte. Sie produzieren eine Hierarchie von Rechten und sind damit zentraler Bestandteil eines globalen Apartheidsystems. Es ist an der Zeit, neue Karten zu zeichnen, Landkarten des Widerstandes. Es ist an der Zeit, die sichtbaren und unsichtbaren Zäune und Mauern laut herunter zu reißen oder leise zu unterhöhlen. Der Film dokumentiert unterschiedlichste Erfahrungen und Aktionen aus acht Ländern. Es ist eine Anklage der Betroffenen einerseits, aber vor allem ein Patchwork des Widerstandes, das Mut machen und anregen soll, die Kämpfe gegen das Lagerregime zu intensivieren und über alle Grenzen hinaus bekannt zu machen.
Der Film soll zudem dazu beitragen, die europäische Dimension der Lager als Teil eines globalen Migrationsregimes erkennbar zu machen. Auch hierzu gibt es übrigens ein nützliches Buch, welches die Hintergründe ausleuchtet und analysiert. Von Franck Düvell ist hierzu im Jahr 2002 im Verlag Assoziation A das Buch „Die Globalisierung des Migrationsregimes“ erschienen, das sich vor allem mit der neuen Einwanderungspolitik in Europa beschäftigt. Der Film, der am heutigen Montagabend um 20.00 Uhr im Antifa-Cafe in der Oetinger Villa gezeigt wird, heißt „Keine Lager – nirgendwo!“
Dies war eine Sendung der Redaktion Alltag und Geschichte auf Radio Darmstadt. Diese Woche gehen wir noch viermal auf Sendung:
Am Mikrofon war Walter Kuhl.
»» [1] entfällt
»» [2] Siehe hierzu auch meine Seite zur Darmstädter OberbürgermeisterIn-Wahl am 6. und 20. März 2005.
»» [3] Siehe hierzu auch die Wikipedia zum Stichwort Ostern.
»» [4] Ina Mahlstedt : Die religiöse Welt der Jungsteinzeit, Seite 10.
»» [5] Mahlstedt, Seite 38.
»» [6] Mahlstedt, Seite 41.
»» [7] Mahlstedt, Seite 86 und 89. Mir leuchtet es ohnehin nicht ein, was ein Bezug auf ein angebliches mythisches Matriarchat an der heutigen patriarchalen Welt ändern könnte. Der Bezug ist rückwärtsgewandt und verhindert, sich hier und heute aktiv einzumischen. Es scheint sich hierbei um so etwas wie um eine innere Emigration zu handeln: Die Vergangenheits-Mythen verdrängen die Gegenwartsprobleme.
»» [8] Martin Kuckenburg : Die Kelten in Mitteleuropa, Seite 131.
»» [9] Üblicherweise folgt auf meine Sendung am 4. Montag eines Monats die Sendung Äktschn! der Kulturredaktion. Vermutlich aufgrund österlicher Abwesenheit der Redakteurinnen der Sendung übernahmen zwei Redaktionskollegen den Sendeplatz und unterhielten sich über die lokale Kultur- und Kunstszene.
Diese Seite wurde zuletzt am 28. September 2009 aktualisiert. Links auf andere Webseiten bedeuten keine Zustimmung zu den jeweiligen Inhalten, sondern sind rein informativer Natur. © Walter Kuhl 2001, 2005, 2009. Die Wiedergabe, auch auszugsweise, ist nur mit dem Einverständnis des Verfassers gestattet.
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