Wer in den Darmstädter Blätterwald der tageszeitunglichen Monokultur hineinschaut, fragt sich hinterher, was denn hier wirklich geschehen ist. Dort, wo ernsthaft nachgefragt werden müßte, hört das „Echo“ in der Regel auf. Dabei gibt es so einiges zu entdecken und zu ergründen.
Im „Darmstädter Echo“ wird
Am 1. Februar 2013 stellte der ADFC seinen Fahrradklimatest 2012 vor. Südhessens eingebildetste Metropole feierte dies als einen großen Erfolg. Der ADFC entblödete sich nämlich nicht, dem Durchschnittsklima in Darmstadt einen dritten Preis in der Kategorie „Aufholer“ zu überreichen. Betrachten wir einfach die Zahlen. Vor allem aber: fahren wir doch einfach durch Darmstadt und entdecken die üblichen schikanösen Zustände.
Das Städteranking des ADFC basiert auf einer Umfrage unter 80.000 Radfahrerinnen und Radfahrern. Daß Frauen in der Pressemitteilung des ADFC nicht vorkommen, ist wenig erstaunlich, dort gibt es nur Radfahrer. Beim vorangegangenen Klimatest in puncto Radfahren im Jahre 2005 nahmen demnach 26.000 Radfahrer teil; die Zahl der Radfahrerinnen wurde nicht ermittelt. Der Test teilt die beurteilten Städte in drei Kategorien ein: größere mit über 200.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, kleinere mit weniger als 100.000 und die dazwischen liegenden. Das Ranking basiert auf 27 Fragen, deren Schulnoten nur grob in Clustern gewichtet als reiner Durchschnittswert die Gesamtnote ergeben. Darmstadt erreichte in der Kategorie der kleineren Großstädte die Schulnote 3,80, der Durchschnitt lag leicht darunter bei 3,96. Das reichte zu Platz 14 unter 42 Kommunen, ist also Mittelmaß. 2005 lag Darmstadt auf Platz 15 unter 21 Städten mit einer Durchschnittsbewertung von 3,73; damals lag die Durchschnittsnote bei 3,54. 2005 wurden fünf Fragen weniger gestellt; insofern ist der Vergleich methodisch problematisch. Da der ADFC aber beide Datenerhebungen umstandslos miteinander vergleicht, soll dieses Verfahren auch hier Eingang finden.
Nun ist ein Abrutschen von 3,73 auf 3,80 kein Beinbruch und vermutlich statistisch auch nicht signifikant. Darmstadts „Erfolg“ beim 2012er Städteranking und damit die Belobigung als Aufstiegsdritter liegt allein darin begründet, daß andere Städte noch mehr abrutschten. Der Durchschnittswert senkte sich, so daß Darmstadt bei in etwa gleich bleibendem Zuspruch „aufholen“ konnte. Dies jedoch als Erfolg zu feiern, ist unlauter. Politikerinnen und Wirtschaftsjournalisten mögen das zur datenresistenten Imagepflege so handhaben, aber dabei mache ich nicht mit.
Wer in Darmstadt mit dem Fahrrad unterwegs ist, kennt viele Facetten von Ignoranz und Abstrafung. Fahrradwege beginnen irgendwo und enden urplötzlich im Nichts. Auf ihnen parken regelmäßig Autos, ohne daß Ordnungsdezernent Rafael Reißer seine Ordnungspolizei vorbeischicken würde. Die jagt nämlich lieber eine Frau, die Tauben füttert, und buchtet sie ein. Selbst Ampelschaltungen diskriminieren regelmäßig den Radverkehr, wie etwa auf dem Tacke-Knoten oder der Einmündung der Poststraße in die Goebelstraße. Dort liegt der Fall dermaßen krass, daß am Verstand der städtischen Ampelschalter wohlbegründet gezweifelt werden darf. Die Logik ist zunächst bestechend: Straßenbahnen und Busse holen sich ihr „Grün“ per Funk vorab, um bei der Ampelschaltung bevorzugt Richtung Hauptbahnhof fahren zu können. Autos fließen in dieser grünen Welle mit. Wer aber mit dem Rad kommt, muß warten, denn die Radfahrspur kreuzt dann die Trasse des ÖPNV. Und das kann mehrfach hintereinander passieren, was heißt kann?, es tut es! Mit etwas Pech sind fünf Minuten Wartezeit durchaus möglich. So etwas würde keine Straßenbauverwaltung einem miefigen Autobesitzer antun; aber bei Radfahrerinnen scheint das vollkommen in Ordnung zu sein. Nicht einmal eine klitzekleine grüne Ausgleichsampelphase von einigen Sekunden, was bei vorhandenem Willen technisch machbar wäre, ist vorgesehen. Das nenne ich intendierte Mißachtung und keinesfalls lobenswert.
Daß Radfahrerinnen von Autofahrern ignoriert und abgedrängt werden, liegt nicht an fehlender nächtlicher Beleuchtung, weil es auch am hellsten Sommertag geschieht. Dies ist kein reines Darmstädter Phänomen, ließe sich aber durch wohlkonstruierte Radwegführungen abmildern. Gegen die Borniertheit des miefigen Individualverkehrs reichen Placebos wie markierte Spuren oder Radfahrstreifen ohnehin nicht aus.
Halten wir einfach fest: Darmstadts Durchschnittsnote beträgt 3,80; das ist knapp am „ausreichend“ vorbeigerauscht. Gut ist etwas ganz anderes. In der mit Eigenlob geträufelten Präsentation der Stadt Darmstadt liest sich das so: „In der Gesamtbewertung auf Landesebene belegt Darmstadt in der Stadtgrößengruppe 100.000 bis 200.000 Einwohner aktuell Platz 1, auf Bundesebene immerhin Platz 14 von 42.“ Die hier herangezogenen hessischen Städte sind Kassel (3,86) und Offenbach (3,92); da ließe sich sogar ein dritter Platz als Erfolg verkaufen – selbst als Schlußlicht. Es kommt eben nur darauf an, die passenden statistischen Bezugsgrößen herauszufiltern, und schon stimmt auch das schlechteste Ergebnis positiv.
„Der aktuelle Fahrradklimatest ist für uns unmittelbare Bestätigung der Darmstädterinnen und Darmstädter für unsere Arbeit in den letzten Monaten und Ansporn, in Zukunft ein noch besseres Fahrradklima zu schaffen. Darmstadt wird eine überdurchschnittliche Entwicklung seit dem letzten Fahrradklima-Test bescheinigt. Dies zeigt, dass wir mit der Radfahrförderung in Darmstadt auf einem guten Weg sind. Besonders gute Benotungen erhielt Darmstadt in den Kategorien Erreichbarkeit des Stadtzentrums mit dem Rad, der Fahrradmitnahme im Öffentlichen Personennahverkehr, der Zügigkeit des Radfahrens und der Infrastruktur des Radverkehrsnetzes.“
Die Arbeit der letzten Monate würde ich ja nur zu gerne einmal näher betrachten. Bislang hat die grün-schwarze Koalition allenfalls die Luftblase dreier Fahrradstraßen in die Welt gesetzt, die aus gutem Grund kontrovers diskutiert wird und deren Umsetzung vorsichtshalber auf viele Jahre gestreckt wird.
Drei der vorgeschlagenen Fahrradstraßen für die erste Planungsphase besitzen gravierende Mängel. Die eine (Heinrich-Fuhr-Straße) führt durch Gegenden, wo ohnehin mehr Radfahrerinnen als Autofahrer unterwegs sind und wo es offenkundig keine Probleme gibt, die durch einen Fahrradvorrang zu beheben wären. Die zweite (Wilhelminenstraße) beginnt in Bessungen zwischen zwei Straßenbahnschienen und endet an einem Buckel, an dem bergab radelnde Männer und Frauen genötigt werden abzusteigen, weil der Verkehrsplanung keine brauchbare Idee eingefallen ist, um die problematische Kreuzung mit der Elisabethenstraße zu entschärfen. Also eine Straße von A nach B, bei der sowohl hinter A wie hinter B nur Probleme bestehen, die nicht gelöst werden. Das übliche Flickwerk eben, das wir auch sonst beim Radwegnetz beobachten dürfen. Aktivismus vortäuschende Konzeptionslosigkeit statt durchdachtes Konzept. Und die dritte (Im Erlich) ist nur deswegen notwendig geworden, weil im Zuge der „Neuen Wege nach Arheilgen“ [1] Radfahrerinnen auf der Frankfurter Landstraße als Verkehrsteilnehmer dritter Klasse abgehandelt worden sind, die an jeder Straßenbahnhaltestelle gucken können, wo für sie noch Platz zum entspannten Radfahren bleibt. Das war und ist politisch so gewollt!
Während für den Autoverkehr breite Schneisen an der Innenstadt vorbei oder unter sie hindurch gebaut wurden, die Straßenbahnen (und leider auch die dieseligen Busse) Vorrang genießen, Fußgängerinnen und Fußgänger herumschlendern dürfen, müssen sich Radfahrerinnen und Radfahrer hier erst einen Weg durchs Gewühl bahnen. Nun kann man und frau mit Fug und Recht sagen, daß hier kein Platz für Fahrradextraspuren mehr vorhanden ist. Dies zeigt allenfalls die Fantasielosigkeit einer Planungsabteilung, die bestmöglich versucht, Autos und Einkaufen miteinander zu verbinden. In anderen Städten soll es möglich sein, durch die Innenstadt zu kommen, ohne absteigen oder drängeln zu müssen; in Darmstadt werden wir wohl auch bis zum übernächsten Klimatest vergeblich darauf warten müssen. Mehr noch – eindeutigen Vorrang besitzt weiterhin das Automobil; jedesmal festzustellen während der Automobilausstellung in der Wilhelminenstraße im Mai eines Jahres oder bei anderen Festen, die von diversen Autohäusern gesponsert werden. Da ist dann für das Fahrrad gar kein Platz mehr vorgesehen. Soviel zum Thema Radfahrförderung in den letzten Monaten. Oder meint ihr damit die genauso verlogene Imagekampagne Stadtradeln?
Vergleichen wir die Antworten auf die Fragebögen von 2012 und 2005, stellen wir einige bemerkbare Differenzen fest. So wird 2012 die Frage, ob das Radfahren in Darmstadt Spaß oder Streß bereite, mit 3,33 bewertet, 2005 lag die Benotung noch bei 3,09. Ob man und frau auf dem Fahrrad als Verkehrsteilnehmerin akzeptiert werde, wird in beiden Untersuchungen mit 3,65 bewertet; da hat sich im Gegensatz zur Verlautbarung der Stadt rein gar nichts getan. Das Sicherheitsgefühl hat sich von 4,32 auf 4,05 gehoben; was nichts weiter eine Verbesserung im untersten Bereich bedeutet. Meine Erfahrung sagt mir: sicherer ist hier gar nichts. Aber darauf zielt die Frage auch nicht ab, sondern nur darauf, ob irgendwelche Placebos uns etwas vorgaukeln, mit dem wir uns sicherer fühlen sollen.
Nehmen wir uns dann nicht Imagefragen vor wie die, ob Werbung für das Radfahren gemacht wird, sondern Fragen alltäglicher Relevanz, dann wird die Traurigkeit des Radfahrimages von Darmstadt offensichtlich. Konflikte mit Fußgängerinnen und Fußgängern haben ebenso zugenommen (von 3,26 auf 3,58) wie Konflikte mit dem wesentlich stärkeren Kraftfahrzeugverkehr (von 4,19 auf 4,20). Hindernisse auf Radwegen sind statistisch unerhebnlich weniger geworden (von 4,17 auf 4,15), und ohnehin gibt es davon viel zu viele. Fahrraddiebstahl wird als ein zunehmendes Problem wahrgenommen (3,87 auf 4,06); ob hierfür allerdings die Stadt verantwortlich zu machen ist, bezweifle ich. Hier schlagen die Atomisierungs-, Verwahrlosungs- und Elendspotentiale des Neoliberalismus voll durch.
Im Eigenlob der Stadt wird die gute Benotung der Mitnahme von Fahrrädern im öffentlichen Nahverkehr betont. Und in der Tat sticht hier Darmstadt im vergleichbaren Städtesegment positiv hervor. Der Durchschnittswert der 42 kleineren Großstädte liegt bei 4,19 (2005: 3,87), während er in Darmstadt von 2005 bis 2012 von 2,60 auf 2,57 verbessert werden konnte. Daß die einzige andere Stadt mit einer 2 vor dem Komma (Kassel) ebenfalls über ein gut ausgebautes Straßenbahnnetz verfügt, sollte Verkehrsplanerinnen bundesweit zu denken geben. Und doch häufen sich inzwischen die Konfliktfälle auch in Straßenbahnen und Bussen, weil Menschen mit Rollatoren und Kinderwagen denselben Platz beanspruchen.
Ampelschaltungen für Radfahrerinnen und Radfahrer hatte ich schon erwähnt. Hier ist noch eine Menge Arbeit für das Verkehrsplanungsamt vorhanden. 2005 wurden die Ampeln mit peinlichen 4,59 bewertet und sieben Jahre später verbessert sich dieser Wert (zumindest nach Maßgabe der Lobhudelei der Stadt) auf 4,66. Wobei hier anzumerken ist, daß Ampelschaltungen für den Fahrradverkehr offenbar in fast allen Städten eine Katastrophe sind. Der Durchschnitt aller 42 Kommunen liegt bei 4,65, demnach befindet sich Darmstadt selbst bei diesem erschreckend niedrigen Niveau noch unterhalb der Durchschnittsmarke. Ohnehin erreichen hier nur vier Städte gerade einmal einen unteren 3er-Wert. Nur das im Ranking unter allen Großstädten mit Abstand vorne stehende, wenn auch gebeutelte Münster wird gelobt: eine Note von 2,78 zeigt, daß es viel, viel besser geht als in Darmstadt. Aber hier wird allenfalls die grüne Welle für die Dauerraser herbeigejammert. Rotlichtverstöße sind in Darmstadt inzwischen derart einschlägig belegt, daß nur noch von krimineller Energie gesprochen werden kann.
Der Jammerartikel im „Darmstädter Echo“ am 11. April 2012 handelt von einem autofahrenden Selbstversuch, von Eberstadt bis zur Südgrenze von Arheilgen zu gelangen: „15 von 30 Ampeln auf der Strecke waren rot.“ Und weiter als Fazit:
„25 Minuten hat die Fahrt von Eberstadt nach Arheilgen schließlich gedauert, neun Minuten mehr als laut Kartenprogramm. Das entspricht exakt der Fahrtzeit, die die Straßenbahnen der Linie sieben und acht laut Fahrplan auf der ähnlich langen Strecke von der Haltestelle Eberstadt ‚Wartehalle‘ bis Arheilgen ‚Im Fiedlersee‘ benötigen.“
Woraus vernünftigerweise folgt, hier aufs Auto zu verzichten. Ich mache ab und an mehr unfreiwillig denselben Test, wenn ich aus der Innenstadt nach Eberstadt und darüber hinaus gelangen will. Nur fahre ich dann nicht mit dem Auto, auch nicht mit der Tram, sondern benutze mein Fahrrad. Und wenn Hans Dieter Erlenbach und Tamara Krappmann darüber jammern, daß sie an jeder zweiten Ampel angehalten werden, so kann ich darüber nur sarkastisch lachen. Wenn ich nicht permanent spurtstark im höchsten Gang durch Darmstadt zu flitzen versuche, sondern ein angemessenes Tempo einhalte, dann darf ich an so gut wie jeder Ampel anhalten. An eine „grüne Welle“ für Radfahrerinnen und Radfahrer denkt die Verkehrsplanungsabteilung schon einmal gar nicht. Während die „Echo“-Testcrew über eine Verzögerung von 50% gegenüber den Vorgaben ihres Navi klagt, werde ich mal mindestens um den Faktor 2 verlangsamt. Soll heißen: bei freier Fahrt würde ich nur die halbe Zeit für eine Strecke benötigen, bei der ich alle paar hundert Meter ausgebremst werde. So sieht eben die Fahrradförderung der Stadt Darmstadt in der Praxis aus.
Wie unter diesen Voraussetzungen die Imagepflegeabteilung der Stadt Darmstadt auf die wahnwitzige Idee kommt, den dritten Preis eines Aufholers öffentlichkeitswirksam zu zelebrieren, ist unbegreiflich. Aber heutzutage wird auch der letzte Schrott mit den schönsten Werbeworten angepriesen, so daß hier zudem der Verfall der guten Sitten in puncto Marketing festzustellen ist.
Und was sagt der örtliche ADFC dazu?
Ok, das ist auch eine Antwort.
Wie sich das Fahrradklima in Darmstadt tasächlich gestaltet, dazu genügt ein Blick in die Onlineausgabe von Darmstadts Tageszeitung. Das Bundesverkehrsministerium beabsichtigt, die Bußgelder für unkonventionelles Fahrradfahren zu erhöhen. Die Frage der Woche lautete daher am 3. Februar 2013, ob Volkes Stimme begeistert mitzieht.
Die Zornesröte muß all den Autofahrern und Fußgängerinnen im Gesicht gestanden haben, als sie begeistert für mehr Strafen für Radfahrerinnen und Radfahrer plädierten. Anders ist ein Ergebnis nicht zu interpretieren, bei dem 77% der Mausklicks ein härteres Durchgreifen gegen das allgegenwärtige Fahrradmobbing forderten. Keine Frage, diese dämlichen Radfahrer parken dauernd auf dem Radweg, wohin doch ein blitzblank geputztes ordentliches deutsches Auto gehört, und diese kampfradelnden Radfahrerinnen brettern dauernd mit 70 km/h über rote Ampeln, wie ihre Kollegen von der Autofront, die in Eberstadt massenhaft dabei erwischt wurden. Und wo Verkehrsrowdies massenhaft inflagranti erwischt wurden, ist es doch klar, daß dies nach Rache schreit. Und die Rache der deutschen Seele richtet sich nie nach oben, sondern immer gegen (vermeintlich) Schwächere.
Über 3.000 Klicks sind relativ viele in dieser wöchentlichen Umfrage. Wieviele hiervon doppelt, dreifach oder gar hundertfach zu Werke gegangen sind, ist schwer zu sagen. Ich weiß nicht, ob Darmstadts Onlineredaktion inzwischen einen Filter eingebaut hat, um derlei Manipulationen einzudämmen. Dennoch ist dieser Aufschrei einigermaßen deutlich und zeigt, daß in einer sich verrohenden deutschen Kleinbürgerwelt der Ruf nach mehr und härteren Strafen quer durch die Gesellschaft konsensfähig ist. Natürlich begegnen auch mir auf dem Luisenplatz die Musterexemplare, die wild durch die aufgescheuchten Tauben und Fußgängerinnen brettern, was allerdings auch damit zu tun hat, daß das Radfahren in Darmstadts Fußgängerzonen alternativlos zwischen gerade mal geduldet und streng verboten changiert. Dann gibt es die Lieferservices, die in der Innenstadt auf radelnde Botinnen und Boten setzen; und, weil Zeit Geld ist, haben diese auch keine Zeit, mal anzuhalten oder vorsichtig nach rechts und links zu schauen. Diese Services leben vom systematischen Verkehrsverstoß und verhalten sich insofern nicht anders als die Dienstleister auf vier Rädern. Rotlichtsünder dürfte es unter Radfahrerinnen ähnlich viele geben wie unter Fußgängern. Daß das Radfahren ohne Licht in der Dunkelheit mit möglichst perfekter Tarnkleidung noch dreimal so viel Spaß macht wie am Tage, dürfte sich längst herumgesprochen haben. Ob Bußgelder da wirken? Kaum zu glauben.
Aber so eine Bußgelderhöhung kommt immer dann gut an, wenn gestraft werden darf, ohne daß sich wirklich etwas ändert. Placebos fürs Volk, das sich aufregen darf, um die Akteure der wirklichen Schweinereien ungeschoren zu lassen.
Das prima Radfahrklima in Darmstadt wird immer wieder auf eine ernsthafte Probe gestellt. So plante und baute die Stadt jüngst Bushaltestellen am Haardtring, die so genial gestaltet sind, daß Unfälle zwischen ein- und aussteigenden Fahrgästinnen und Radfahrern zwingend vorgesehen sind. Auf engstem Raum wird der schmale Streifen Radweg in Ermangelung eines parallelen Fußweges zum Busstop umgewidmet. Nun wäre das vielleicht kein Problem, wenn Radfahrerinnen rechtzeitig erfahren, daß ein Bus seine Fahrgäste ablädt. Aber, wie es im nachfolgend genannten Presseartikel geschildert wird, so ist es nicht. Der Bus kommt von hinten, zieht kurz vor und hält, ehe ein Radfahrer überhaupt checken kann, daß sich hier ein Hindernis auftut.
Selbstverständlich ist der Zynismus der Stadt groß genug, derlei weiterhin als Radweg zu verkaufen. Die städtische Pressesprecherin Sigrid Dreiseitel bringt diesen Wahnwitz auf den Punkt: „Es ist verkehrsplanerisch intendiert, dass Fahrradfahrer hier erst absteigen, dann wieder aufsteigen.“ Was so bekloppt ist wie eine Anforderung an Autofahrer, an einer Bushaltestelle ihr Fahrzeug zu verlassen, um es langsam, aber sicher vorbeizuschieben. Was? Derlei wird von motorisierten Vierradantrieblern nicht erwartet? Da sieht man und frau mal wieder, wie fahrradfreundlich diese Stadt ist. Intendiert.
»» Siehe hierzu den Artikel von Paul-Hermann Gruner im „Darmstädter Echo“ am 4. Mai 2013: Gefährliche Begegnungen im Haardtring in Darmstadt.
»» [1] Anfang 2013 war die Informationsseite über das Verkehrsprojekt „Neue Wege für Arheilgen“ auf dem städtischen Server nicht mehr zu finden. Es handlt sich hierbei um die Verlängerung der Straßenbahn vom Arheilger Ortskern bis zur Nordgrenze des Stadtteils am Dreieichweg bei gleichzeitigem zweigleisigen Ausbau des Teilstücks zwischen Gleisschleife Merck und der bisherigen Endhaltestelle in Arheilgen. Hierbei wurde die Frankfurter Landstraße aufgehübscht und mit angedeuteten Radstreifen versehen, die immer dort endeten, wo die neuen Niederflur-Straßenbahnhaltestellen im Wege waren.
Diese Seite wurde zuletzt am 26. Februar 2014 erweitert und aktualisiert. Links auf andere Webseiten bedeuten keine Zustimmung zu den jeweiligen Inhalten, sondern sind rein informativer Natur. © Walter Kuhl 2001, 2013, 2014. Die Wiedergabe, auch auszugsweise, ist nur mit dem Einverständnis des Verfassers gestattet.
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