Tauben auf dem Luisenplatz
Gurr! Gurr!

Darmstadt 2013

Wer Tauben füttert, wird eingebuchtet

Wer in den Darmstädter Blätterwald der tageszeitung­lichen Monokultur hineinschaut, fragt sich hinterher, was denn hier wirklich geschehen ist. Dort, wo ernsthaft nachgefragt werden müßte, hört das „Echo“ in der Regel auf. Dabei gibt es so einiges zu entdecken und zu ergründen.

Das Darmstädter Echo berichtete im Winter 2012/13 mehrfach über die Taubenfütterei:

Wenn ich auf die einschlägigen Artikel des „Darmstädter Echo“ verlinke, dann stellt sich als nächstes Ärgernis die dort installierte Paywall ein. Die läßt sich umgehen. Einfach nur die richtigen Cookies löschen. Das nervt mehr als die Taubenfrau, ist aber ganz legal (die Paywall, aber auch das Cookie-Löschen) und keine Ordnungswidrigkeit.


In der Onlineausgabe des „Darmstädter Echo“ war am 11. Januar 2013 zu lesen: Polizei nimmt Taubenfreundin vorübergehend in Gewahrsam. Der Artikel beginnt so: „Während die Stadt Strategien überlegt, um der Taubenplage in der Innenstadt Herr zu werden, füttert eine Frau seit Jahren täglich die Vögel.“ Die Frau ist unbelehrbar. Sie stört sich nicht an Bußgeld­bescheiden, mit denen sie überzogen wird, weil sie davon überzeugt ist, etwas Sinnvolles zu tun. Es gibt schlimmere Überzeugungen. Was hier vorliegt, ist eine simple Ordnungs­widrigkeit, kein Vergehen, schon gar kein Verbrechen. Es ist auf der rechtlichen Ebene so harmlos wie falsches Parken. Und wer kommt schon wegen Falschparkens in den Knast, erst recht in Darmstadt? Mir ist kein Fall bekannt. Falschparken gehört zur Darmstädter Einkaufskultur, Taubenfüttern hingegen scheint ein Kapitalverbrechen zu sein.

Paragraph 1 der am 24. Februar 2006 in Kraft getretenen Darmstädter Taubenfütterungs­verbotsordnung lautet:

„Es ist verboten, im Stadtgebiet der Wissenschaftsstadt Darmstadt verwilderte Haustauben und Wildtauben zu füttern. Dieses Verbot erfasst auch das Auslegen von Futter und Lebensmitteln, die erfahrungsgemäß von Tauben aufgenommen werden. Ausgenommen hiervon sind Anfütterungs­maßnahmen und ähnliche Maßnahmen, die von der Wissenschaftsstadt Darmstadt veranlasst oder genehmigt wurden.“

Weshalb nun wird eine Frau eingesperrt, die hiergegen verstößt? Ganz einfach, man (und das ist hier das Darmstädter Ordnungsamt) kommt ihr nicht bei. Denn, wie schon erwähnt, sie ist unbelehrbar. Die Frage ist allerdings, worüber sie zu belehren wäre. Abgesehen davon nämlich, daß die in der Innenstadt herumfliegenden und auf städtischen Balkonen mit ihrem Gurren nervenden Tauben einfach nur stören – wo ist das Problem?

Auf der Taubenfütterungsverbotswebseite der Freien und Hansestadt Hamburg ist hierzu Folgendes zu lesen:

„Eine Taube produziert 10-12 kg Kot im Jahr. Die darin enthaltene Harnsäure zerfrisst Steine und korrodiert Metalle. Balkone und Fassaden werden verdreckt. Geruchs­belästigung tritt auf. Auch durch getrockneten Kot können (z. B. bei Marktständen und Straßencafés) Erreger der Pageienkrankheit [sic!], der Salmonellose, Kryptokokkose sowie Campylobacter auf den Menschen übertragen werden. Gefährdet sind vor allem Allergiker, ältere und immungeschwächte Menschen sowie Kinder.“

Falschparker.
Bild 1: Tägliches Ärgernis auf Darmstadts Straßen: Falschparker. Hier auf Fahrradstreifen an einer Bushaltestelle. Folge: kein Knast.

Wahrlich ein Grund, sich diese Plage vom Leibe zu halten. Genau dies geschieht jedoch nicht. Die Darmstädter Taubenschwärme werden nicht dezimiert. Man und frau unternimmt nichts. Der Grund ist einfach: eine Taube gehört eben zum Stadtleben dazu wie andere Gefahren, die auch nicht bekämpft werden, sogar dann nicht, wenn sie erfahrungsgemäß wesentlich gefährlicher, krank machender oder gar tödlicher sind als die nervenden Tauben – Autos im Straßenverkehr zum Beispiel.

Mit genau derselben, wenn auch angepaßten, Argumentation aus dem Hamburger Internetauftritt müßten die miefigen Benzinschleudern als gemeingefährlich aus dem Stadtbild verschwinden. Sie produzieren nicht Kot, sondern Abgase und Feinstaub. Ihre Ausdünstungen zerfressen Steine und korrodieren Metalle. Balkone und Fassaden werden auch verdreckt, von der Geruchsbelästigung, insbesondere an den einschlägigen Kreuzungspunkten dieser Volksdroge, ganz zu schweigen. Gefährdet sind auch hier Allergiker und vor allem Kinder. Apropos Kinder: eine derart kinderfeindliche Gesellschaft wie diese sollte sich schämen, Kinder als Begründung für Handlungen oder Unterlassungen anzuführen.

Selbstverständlich werden Menschen, die ihre Autos im Stadtgebiet füttern, nicht verfolgt, denn am Auto hängen ganze Industrien, Ölkonzerne und ihre Derivate, Geschäftsideen und Profite. Dann doch lieber die Tauben jagen und all diejenigen, die derlei gemein­gefährliches Getier auch noch fördern.

Am 10. Januar 2013 konstatierte Darmstadts Tageszeitung in ihrer Onlineausgabe Kampf gegen die Tauben-Plage kommt nicht so recht voran. Schon im Mai 2008 hatte der Magistrat beschlossen, der Taubenplage mit dem Augsburger Modell beizukommen. Dies sieht städtische Taubenschläge vor, in denen die Tauben nicht nur Futter vorfinden, sondern in denen ihnen anstelle ihrer eigenen ein paar Gipseier untergejubelt werden. Angeblich soll sich mit dieser Methode die Taubenpopulation am Frankfurter Westbahnhof innerhalb von fünf Jahren um 85 Prozent verringert haben.

Taubenschlag.
Bild 2: Taubenschlag an der alten Hammelstrift.

Auf einem kleinen Wiesengrundstück, an der Verbindungsbahn von Mainz nach Aschaffenburg, standen einstmals ein Bahnwärter­haus und das Stellwerk Hammelstrift. Irgendwann scheint das Gelände in das Eigentum der Firma Merck gelangt zu sein. Diese ließ die über einhundert Jahre alten und ziemlich angeschimmelten Backstein­gebäude im Dezember 2010 abreißen. Statt dessen finden wir nun an dieser Stelle einen vom Darmstädter Schädlings­bekämpfer Björn Kleinlogel betreuten Taubenschlag vor. In einem Hinweistext zu dieser Anlage lesen wir, daß mit diesem Taubenschlag andere Tauben angelockt werden sollen. Diese anderen Tauben können dann entnommen und in andere Städte umgesiedelt werden. Na, da werden die Ordnungsbehörden und braven Bürgerinnen selbiger Städte aber ihre Freude haben! Allen Ernstes fährt der Text fort: „Die Tauben sollen nicht wie bei herkömmlicher Taubenabwehr einfach auf andere Objekte vertrieben werden.“ Nein, die Vertreibung findet ganz human statt und nennt sich nun „Umsiedlung“. Allerdings frage ich mich, wie viele Tauben so blöd sein werden, sich fernab von den Futterplätzen in der Innenstadt an einem zugigen Ort einzufinden, der nur so nach Falle riecht.

Damit das mit den Taubenschlägen auch in Darmstadt funktioniert, und zwar flächendeckend, braucht es erst einmal eine Arbeitsgruppe. Diese zieht nun nicht etwa mit Stangen und Netzen auf den Luisenplatz, legt ein paar Maisköder aus und überrascht dann gleich 200 Tauben auf einen Schlag mit einem herabfallenden Netz. Das wäre ja nun auch wirklich viel zu einfach. Nein, da muß erst einmal fünf Jahre lang beraten und auf die einschlägigen Lobbygruppen Rücksicht genommen werden. Im November 2011 wurde ein städtischer General­stabsplan umgesetzt, der so aussah, erst einmal all die lieben Tierchen einzeln abzuzählen. Das bindet natürlich Energien und füttert allenfalls den Datenbestand städtischer Großrechner. Und damit diese Sinn- und Tatenlosigkeit nicht Volkes Zorn erfüllt, sucht sich die städtische Politik einen Sündenbock. Die Taubenfrau gibt hier ein geeignetes Opfer ab.

Schon anderthalb Monate zuvor, am 22. November 2012 hieß es im „Darmstädter Echo“ Taubenfüttern trotz Verbot. Offenkundig wurde hier die heiße Phase des Taubenfütter­verbotsaktionsplans eingeläutet, denn die Taubenfrau wurde in aller Öffentlichkeit als psychisch krank denunziert. Werner Appel, Leiter des Darmstädter Ordnungsamtes, wird unwidersprochen dahingehend wiedergegeben:

„Mit der Frau scheine psychisch etwas nicht zu stimmen, auch werde sie zunehmend aggressiv.“

Nun, wenn ich wegen einer Lappalie drangsaliert und mit Bußgeldbescheiden überzogen werde, reagiere ich auch nicht gerade freundlich. Aber offensichtlich ist es so, daß eine Frau, die Tauben füttert, reif für die Klapse ist. Das ist derart bizarr, daß ich mich frage, in was für einer bekloppten Stadt ich eigentlich lebe. Ohnehin ist es so, daß Menschen, häufig Frauen, für psychisch krank gehalten werden, die sich nicht dem Mainstream unterordnen, die eine eigene, gar unbequeme Meinung vertreten, und für diese Meinung auch noch eintreten, ohne der Mehrheits­bevölkerung wirklich zu schaden. Derlei barbarisches Gedankengut scheint hierzulande en vogue zu sein, ohne dabei zu bedenken, daß in der Sowjetunion beispielsweise die Feinde der herrschenden Mainstreams auch in Psychiatrien weggesperrt wurden.

Tauben an der Kirschenallee.
Bild 3: Taubenvollversammlung an der Kirschenallee.

Hey, die Frau füttert nur Tauben. Das ist zwar nicht schön, und ich mag Tauben auch nicht, aber es ist auch nicht wirklich schlimm. Habt ihr eigentlich sonst keine Probleme?

Im Fabrikviertel, dort, wohin sich die Tauben ruhig verziehen können, weil sie dort das verhübschte Stadtbild rund um das luisencentrige Einkaufsvergnügen nicht stören, kann ich tagtäglich Hunderte dieser Viecher bewundern. Ganz in der Nähe befindet sich ein für die Tauben öffentlich zugänglicher Taubenschlag, in dem sie in aller Ruhe nisten und sich vermehren können. Kein Sondereinsatz­kommando der Darmstädter Polizei bricht hier Türen auf und legt den herumflatternden Pageienkrankheits­trägern Flügelschellen an. Das wäre ja auch zu einfach. Zweihundert Festnahmen an einem Ort gibt es ja auch nur auf Demonstrationen, vorwiegend systemkritischen, weil selbige eine viel gefährliche Gefahr für den Rechtsstaat bieten. Hier sind es eben nur Tauben.

Und in ihrer generalstabsmäßig mit einer funkuhr­gesteuerten Erhebung der Taubenpopulation vollkommen gescheiterten Hilflosigkeit fällt den Hütern von Sicherheit und Ordnung nur noch eines ein: ein Platzverweis für den Luisenplatz. Wegen einer Ordnungswidrigkeit. Im Laufe der Jahre haben wir uns wohl daran gewöhnt, daß Drogendealer, Demonstrantinnen und Fußballfans mit Platzverweisen pauschal überzogen werden, als sei die Einschränkung des Grundrechts auf Freizügigkeit etwas ganz Selbstverständliches, das keiner Begründung mehr bedarf. Dieses Grundrecht darf zwar eingeschränkt werden, etwa zur Vorbeugung strafbarer Handlungen. Ob eine Ordnungs­widrigkeit hier ausreicht, darf jedoch bezweifelt werden. Denn wenn dem so wäre, müßten ebenso die in Darmstadt einschlägig bekannten notorischen Rotsünder, Falschparkerinnen und Raser ebenso mit einem Platzverweis belegt werden; und derlei findet nun einmal nicht statt. Ich empfehle dem Rechtsanwalt der Taubenfrau den Gang durch die Instanzen bis hin zum Bundesverfassungs­gericht. Dann werden wir ja sehen, ob eine Ordnungs­widrigkeit ein Grundrecht aushebeln darf. Ich bezweifle es, denn die Maßnahme ist alles andere als verhältnismäßig.

Die Taubenfrau sah das wohl ähnlich und ignorierte einen gegen sie ausgesprochenen Platzverweis. Daraufhin wurde sie von einer Polizeistreife festgenommen und einige Stunden in eine Zelle gesperrt. Allen Ernstes diskutiert man und frau im städtischen Ordnungsamt nun schärfere Sanktionen, etwa die Beschlagnahme des Autos. Dann wird sich die gute Frau halt ein RMV-Ticket ziehen. Wiill die Stadt dann den Eisenbahn­verkehr lahmlegen, um ihr die Einreise zu verwehren?

Mit derart populistischen Maßnahmen zeigt die Stadt zwar Engagement, doch der Taubenplage wird sie damit nicht Herr. Wenn wir dann noch bedenken, daß der Ordnungsdezernent von der CDU gestellt wird und Rafael Reißer heißt, dann wissen wir, daß sich hier Populismus und Strafphantasien die Klinke geben.


Diese Seite wurde zuletzt am 5. März 2013 aktualisiert. Links auf andere Webseiten bedeuten keine Zustimmung zu den jeweiligen Inhalten, sondern sind rein informativer Natur. ©  Walter Kuhl 2001, 2013. Die Wiedergabe, auch auszugsweise, ist nur mit dem Einverständnis des Verfassers gestattet.

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