Verfassungsschutz
Verfassungsschutz­gebäude in Berlin mit Observations­einheit.

Ein Schriftwechsel

Verfassungsrechtliche Probleme zur Bundestagswahl 2002

Der Bundeswahlleiter, der Verfassungsschutz und die NPD

Am 14. August 2002 fragte ich den Bundesahlleiter:

„Sehr geehrter Herr Hahlen,

angesichts dessen, daß die NPD eine zur Bundestagswahl 2002 zugelassene Partei ist, hätte ich gerne auf eine verfassungs­rechtliche Frage Ihrerseits eine Antwort. In den letzten Monaten ist bekannt und durch staatliche Stellen bestätigt worden, daß verschiedene Ämter für Verfassungs­schutz in nicht unerheblicher Zahl V-Leute in die Führungs­gremien der NPD auf Bundes- und Länderebene eingeschleust haben. Daraus ergibt sich möglicher­weise das Problem, daß staatliche Behörden mit einer eigenen Liste zur Bundestags­wahl kandidieren. Daher meine Frage:

Ist es verfassungsrechtlich in Ordnung, wenn eine in erheblichem Maß durch Bundes- oder Landesbehörden zusammen­gestellte Wahlliste an der Wahl zum Deutschen Bundestag teilnimmt?

Auf Ihre Antwort bin ich sehr gespannt.

Mit freundlichen Grüßen
Walter Kuhl“


Antwort

Auf dieses Schreiben antwortete mit Datum vom 20. August 2002 Tim C. Werner mit dem Geschäftszeichen W29/09.

„Sehr geehrter Herr Kuhl,

erlauben Sie mir, auf Ihre Anfrage wie folgt Stellung zu nehmen:

Der Gesetzgeber hat – wie sich aus § 17 des Parteiengesetzes (PartG) in Verbindung mit den §§ 21 Abs. 5 und 27 Abs. 5 des Bundeswahl­gesetzes (BWG) ergibt – die Regelung der Einzelheiten des Verfahrens der Aufstellung der Wahlkreis­bewerber und der Listenbewerber der Parteien bei Bundestags­wahlen dem autonomen Parteisatzungs­recht überlassen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich die innerparteiliche Kandidaten­aufstellung in einem rechtsfreien Raum vollziehen darf. Vielmehr ergibt sich aus Art. 21 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 38 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG), dass die Parteien bei der Regelung der Wahlbewerber­aufstellung in ihren Satzungen elementare demokratische Grundsätze beachten müssen.

Die zuständigen Wahlorgane auf Wahlkreis- und Landesebene konnten keinerlei Anhaltspunkte für eine Missachtung dieser Grundsätze und Vorgaben im Vorfeld der Bundestagswahl 2002 durch die National­demokratische Partei Deutschlands (NPD) gewinnen.

Zusätzlich möchte ich darauf hinweisen, dass sich alle Parteien, die von den Kreis- bzw. Landeswahl­ausschüssen für die Bundestagswahl 2002 zugelassen worden sind, zur Wahl stellen dürfen; dazu gehört auch die NPD.

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass sich auch Parteien mit verfassungs­feindlicher Zielsetzung zur Wahl stellen können, so lange sie nicht für verfassungs­widrig erklärt worden sind. Das so genannte Parteienprivileg des Art. 21 GG bestimmt, dass eine politische Partei so lange als verfassungs­konform zu gelten hat, bis sie vom Bundesverfassungs­gericht in Karlsruhe für verfassungswidrig erklärt wurde, was im Falle der NPD noch nicht geschehen ist. Den Wahlorganen steht es nicht zu, eine Partei für verfassungswidrig zu erklären.

Die Partei NPD hat – soweit für die zuständigen Wahlorgane ersichtlich – ihre Wahlkreis- und Landeslisten­kandidaten unter Beachtung aller gesetzlichen Vorgaben ermittelt. Was die 16 Landeslisten angeht, so handelt es sich selbst­verständlich nicht um Listen, die durch Bundes- oder Länder­behörden zusammen­gestellt wurden. Vielmehr sind alle Kandidaten der Partei unter Beachtung der Vorgaben des Bundeswahl­gesetzes (§§ 21 für die Wahlkreis­bewerber, § 27 Abs. 5 in Verbindung mit § 21 für die Landeslisten­bewerber) in geheimer Abstimmung bei Mitglieder- bzw. Vertreter­versammlungen gewählt worden.

Aus den genannten Gründen bestehen deshalb keine verfassungs­rechtliche Bedenken in Bezug auf die Teilahme der National­demokratischen Partei Deutschlands (NPD) an der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag am 22. September 2002.

Mit freundlichen Grüßen
Tim C. Werner“

Kommentar

Knapp vorbei ist auch daneben. Selbstver­ständlich hat Herr Werner Recht, wenn er formal­demokratisch das Wahlverfahren nicht beanstandens­wert findet. Die spannende Frage ist jedoch, wie derartige Listen zusammen­gestellt werden. Und das geschieht garantiert nicht ur- oder basis­demokratisch durch Zuruf und anschließende Beliebtheits­wahl – und ganz sicher nicht in einer kadermäßig organisierten Partei wie der NPD. Wahllisten werden in der Regel von Parteigremien zusammen­gestellt und zur Diskussion gestellt (und das ist in so ziemlich allen Parteien der Fall). In den Parteigremien der NPD sitzen die V-Leute der Verfassungsschutz­behörden. Daher haben diese auf jeden Fall maßgeblichen Einfluß auf die Zusammen­stellung der Wahllisten gehabt. Darauf zielte meine Frage.


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