Prozeß gegen Birgit Hogefeld

Gedächtnisprotokolle

 

Von November 1994 bis zum 5. November 1996 fand vor dem 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts der Prozeß gegen Birgit Hogefeld statt. Neben der hochoffiziellen juristischen Abhandlung und Entsorgung der Geschichte der RAF gab es auch außerhalb des Gerichtssaals Geschehnisse, die geeignet sind, ein bezeichnendes Licht auf das Verfahren als solches zu werfen. Auf dieser Seite habe ich deshalb einige Gedächtnisprotokolle zu polizeilichen Maßnahmen während dieses Staatsschutzprozesses zusammengefaßt. Nun kann man und frau sich nach über zehn Jahren zurecht fragen, welchen Erkenntniswert diese damaligen Protokolle noch besitzen. Die Antwort liegt vielleicht in der Dokumentierung eines Skandals, der ganz und gar rechtsstaatlich exekutiert wurde.

Ergänzend zu dieser Seite gibt es noch:

Meine eigenen damaligen Presseveröffentlichungen.

Meine Protokolle der insgesamt 99 Verhandlungstermine.

Ausgewählte Zeitungsartikel und Kommentare der lokalen und überregionalen Presse [Seite im Aufbau].

 

Allgemeine Personenkontrolle

Gedächtnisprotokoll vom 23. Februar 1995

Am Donnerstag, 23.2.1995 betrat ich um ca. 9.05 Uhr den Zuschauereingang zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld. Mir wurde mitgeteilt, daß der Prozeßbeginn auf 11 Uhr verschoben worden sei und so verließ ich das Gebäude wieder. Ich wartete noch etwa 20 Minuten auf eine weitere Person und ging dann fort.

Kurz nach halb 11 erschien ich wieder und stellte mich ans Ende der Warteschlange vor dem Zuschauereingang. Als ich dort gegen 11 Uhr nur noch mit etwa 6 Männern stand, trat ein uniformierter Polizist aus dem Gebäude und sprach mich direkt an. Zur Personenkontrolle wollte er einen Ausweis von mir sehen. Ich fragte nach einer Begründung, worauf er die "allgemeine Sicherheit und Ordnung" anführte. Ich äußerte, daß dies ja keine Begründung für sein Begehren sein könne, da er nur mich und keine/n andere/n der Prozeßbesucher/innen kontrollieren wolle. Er wies darauf hin, daß ich, sollte ich mich weigern, meinen Ausweis vorzuzeigen, nicht das Gebäude betreten könne. Ich insistierte auf einer angemessenen Begründung, worauf er sich umdrehte und das Gebäude wieder betrat (offensichtlich, um sich neue Instruktionen zu holen).

Nach etwa zwei Minuten öffnete sich die Tür erneut und diesmal erschienen zwei uniformierte Polizisten, wobei ich nicht mehr sagen kann, ob der zweite Beamte, der sich im Nachfolgenden im Hintergrund hielt, der Beamte gewesen ist, der mich zuvor angesprochen hatte. Der erste Beamte meinte wörtlich "Sie sind doch Herr Kuhl, oder?" und wiederholte das Begehren, meinen Ausweis sehen zu wollen. Auch hier fragte ich nach einer Begründung. Auch hier wurde die allgemeine Sicherheit und Ordnung für eine Personenkontrolle vorgebracht. Da nun völlig offensichtlich war, daß es nur um mich (und wie ich inzwischen weiß, um eine zweite Person) ging, wiederholte ich das Begehren zu erfahren, warum diese Maßnahmen nur gegen mich und nicht gegen andere Personen ergriffen seien. Der erste Beamte sagte stattdessen, sie hätten ein Schwarz–Weiß–Foto von mir und bat mich daraufhin, auf den Vorplatz mitzukommen. Ehe ich Anstalten machen konnte, diesem Begehren nachzukommen (oder auch nicht), drückte mich der zweite Beamte von hinten nach vorne. Am Ende des aufgestellten Geländers am Eingang zum Gerichtsgebäude kamen wir zum Stehen. Ich weigerte mich, weiter auf den Vorplatz hinauszugehen, weshalb mich der erste Beamte darauf hinwies, daß ja nicht alle Anwesenden mitbekommen müßten, worum es ginge. Ich erwiderte, mit deren Anwesenheit hätte ich keine Probleme, aber offensichtlich er. Ich erwartete natürlich weiterhin eine angemessene Begründung für diese Personenkontrolle, die mir aber nicht gegeben wurde. Vielmehr wurde mir ein Ordnungsgeld im Verweigerungsfall angedroht. Da keinerlei Begründung zu erhalten war und ich natürlich als Zuschauer den Prozeß auch aufsuchen wollte, sah ich mich genötigt, den Ausweis auszuhändigen. Der erste Beamte nahm ihn, schaute kurz darauf, wohl um sich zu vergewissern, daß seine Annahme, wer ich sei, auch stimmt, und gab mir den Ausweis zurück, insgesamt eine Sache von vielleicht 5–10 Sekunden.

Eine weitergehende Kontrolle meiner Person außerhalb des Gerichtsgebäudes erfolgte nicht. Die anschließende Durchsuchung im Gerichtsgebäude kann ich nur als "normal" bezeichnen.

In der Überraschung über diese merkwürdige Sonderkontrolle habe ich leider unterlassen, die beteiligten Beamten nach Namen und Dienstnummer zu fragen.

Eine Erklärung dafür, woher der Beamte meinen Namen kannte, habe ich nicht. Um was für ein Foto es sich handelt, habe ich auch nicht in Erfahrung bringen können. Der einzige Hinweis darauf, warum ich in Frankfurt "bekannt" genug bin, um persönlich angesprochen zu werden, könnte sich darauf gründen, daß ich Eva Haule in Preungesheim mehrmals besucht habe.

 

Überfall

Gedächtnisprotokoll vom März 1995

1. Vorgeschichte / Indizien einer Inszenierung

Am Donnerstag, den 9.3.1995 besuchte ich den Prozeß gegen Birgit Hogefeld. Um ca. 9 Uhr 20 erreichte ich das Prozeßgebäude, an dessen Eingang etwa 20 Personen auf ihren Einlaß warteten. Ich wurde darauf aufmerksam gemacht, daß die beiden hinter [Person 1] und [Person 2] in Schwarz gekleideten Personen Zivilbeamte seien (was sich im Nachhinein als richtig herausstellte, s.u.). Im Gegensatz zur sonst üblichen Prozedur durften die Einlaßwilligen nur nach besonderer Aufforderung den ca. 2 qm großen Eingangebereich zwischen Einlaßtür und –schranke betreten. Als ich an der Reihe und nachdem eine angemessene Zeit verstrichen war, öffnete ich die Tür und betrat mit zwei weiteren Personen diesen Bereich. Er war leer. Dennoch wurden wir sofort von einem Polizeibeamten angeraunzt, was uns einfallen würde, ohne Aufforderung das Prozeßgebäude zu betreten. (Nachträgliche Frage: Hatten sie etwas zu verbergen oder vorzubereiten?) Dieser und ein weiterer sich im Flur befindlicher Beamter gehörten nicht zu den dort üblicherweise anzutreffenden BeamtInnen, es waren keine Justiz-, sondern Polizeibeamte.

Einer der beiden Durchsuchungsbeamten (für die Männer) rief mich aber sofort herein und begann mit der Untersuchung. Im Laufe der Zeit habe ich die Art der Durchsuchung von beiden Beamten kennengelernt und weiß daher, was als "normal" einzuschätzen ist und was nicht. (Es mag "normal" sein, sich die merkwürdigsten Dinge gefallen lassen zu müssen, etwa Entkleidung oder das Schnüffeln in persönlichen Gegenständen, aber es charakterisiert deutlich das Ambiente dieses Prozesses.) Die Durchsuchung lief formal so ab wie üblich und war trotzdem in Nuancen anders. Dieser Beamte bevorzugt es, mich nur mit der Sonde zu untersuchen. Insbesondere im Genitalbereich schien diese Untersuchung gründlicher als sonst zu sein. Außerdem mußte ich bei ihm erstmalig beide Füße (in Schuhen) hochheben, so daß er sie rundum mit der Sonde abpiepsen konnte. Auch mein Portemonnaie mitsamt der darin befindlichen Papiere und Karten interessierte ihn mehr als normal. Das läßt sich schwer beschreiben, ich habe die Durchsuchung einfach als "anders" wahrgenommen. Diese Wahrnehmung ist durch das folgende nicht getrübt, weil mir dieser Sachverhalt sofort bewußt war. Nachdem diese Durchsuchung nun beendet war, betrat ich den Flur vor dem Prozeßsaal.

Als ich den Prozeßsaal zusammen mit [Person 1], [Person 3] und [Person 2] betrat, bemerkte ich die besondere Aufmerksamkeit der Richterin und des neben ihr befindlichen Beisitzers hinsichtlich uns vieren. Ich interpretierte diese in dem Moment so, als würden sie sich sagen, "jetzt kommen die auch schon wieder". Nachträglich scheint es mir eher so zu sein, als würden sie mit Befriedigung festgestellt haben, daß wir "da" sind und die von ihnen geplanten Maßnahmen ergriffen werden könnten. – Während verschiedener Prozeßpausen am Vormittag bemerkte ich, daß der Beamte, der uns beim Betreten des Prozeßgebäudes angeraunzt hatte, mehrfach an der Plexiglastür neben dem (Ausgangs–) Drehkreuz stand und die sich dort befindlichen Personen musterte. Im Nachhinein denke ich, wird er ein besonderes Auge auf uns vier geworfen haben.

Weil es wahrscheinlich von Bedeutung ist, muß noch erwähnt werden, daß im Verlauf des Vormittags im Aushang (Schaukasten) am Prozeßsaaleingang anstelle des sonst üblichen Terminplans eine Karikatur des hessischen Löwen und ein Zettel hing, der die Einstellung des Verfahrens und die Freilassung von politischen Gefangenen forderte. Eine ähnliche Karikatur hing dort auch schon einmal am Prozeßdonnerstag zuvor.

Festnahme

Während einer Prozeßpause um ca. 12 Uhr 15 standen mit mir zusammen einige Personen im Flur vor dem Prozeßsaal, nämlich [Person 1], [Person 3], [Person 2] und eine weitere Frau. Es öffnete sich zum wiederholten Mal an diesem Vormittag die Plexiglastür neben dem Drehkreuz und eine der Durchsuchungsbeamtinnen ging auf die Toilette, diesmal um sich Kaffeewasser zu holen. Sie warf dabei einen genauen Blick auf uns. Ob sie auch wieder zurückging, kann ich nicht mehr sagen. Plötzlich bemerkte ich, wie die Plexiglastür erneut aufging und zunächst zwei schwarz bekleidete Beamte den Flur betraten und zielstrebig Richtung Prozeßsaal gingen, vor dem ich in diesem Moment stand. Wenn mich mein Personengedächtnis nicht täuscht, waren dies die beiden Beamten, die direkt hinter [Person 1] und [Person 2] standen, als ich morgens am Gerichtsgebäude ankam. Hinter ihnen her kam ein Schwarm Uniformierter. Einer der beiden Zivilbeamten (offensichtlich der Einsatzleiter) kam auf uns zu, zückte seinen Dienstausweis und sagte: "Sie, Sie, Sie und Sie, Sie sind verhaftet wegen des Verdachts der Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole." Er zeigte dabei auf [Person 1], [Person 3], [Person 2] und mich. Er wußte genau, wen er haben wollte.

Es entwickelte sich schnell eine Debatte darüber, ob und wie wir unsere Kleidungsstücke (Mäntel/Jacken), die sich noch im Prozeßsaal befanden, bekommen könnten, worauf der Einsatzleiter nach etwa 30 Sekunden befand, daß wir ohne diese Kleidungsstücke mitzunehmen seien. Da wir uns nicht umstandslos in vorauseilendem Gehorsam in Bewegung setzten, erging der Befehl, uns auf dem Rücken zu fesseln. Die Beamten stürzten sich auf uns und verdrehten mir (die anderen konnte ich dabei nicht beobachten) die Arme so, daß sie mir problemlos Metallfesseln anlegen konnten. Wir wurden nach außen geführt.

[Person 1] wurde von uns anderen getrennt nach links Richtung Konstablerwache geführt, während die Beamten uns nach rechts in die Seilerstraße führten. Hier wurde [Person 2] weiter nach vorne zu einem Zivilfahrzeug gebracht. Auch [Person 3] und ich wurden voneinander getrennt an die Mauer des Prozeßgebäudes gestellt, um uns nach eventuellen Waffen zu durchsuchen. Wir wurden dann in zwei bereitstehende Kleintransporter (wahrscheinlich VW–Bus) geführt, wo wir uns, weiterhin gefesselt, auf die Sitzbank entgegen der Fahrtrichtung hinsetzen mußten, die bzw. der begleitende Beamti/en saß dabei auf der Bank gegenüber. (Ich konnte dies bei [Person 3] deswegen beobachten, weil das Fahrzeug, in das sie verfrachtet wurde, hinter dem stand, worin ich mich setzen mußte.) Die Transporter fuhren, soweit es der Verkehr und die Fähigkeit der Fahrer zuließ, hintereinander zum Polizeipräsidium. Offensichtlich war der Fahrer des Transporters, in dem ich mich befand und der vorausfuhr, überfordert, jedenfalls verfranste er sich mehrmals und mußte den Weg zum Präsidium erklärt bekommen.

Während der Fahrt kam per Funk die Mitteilung, daß die Mittagspause für den Prozeß bis 13 Uhr 15 dauern solle. Wie ich später im PP mitbekam, wurde die Uhrzeit der Verhaftung auf 12 Uhr 21 (eventuell korrigiert auf die "runde" Zeit 12 Uhr 20) festgelegt. Um 12 Uhr 46 betrat ich, immer noch gefesselt, das Präsidium (ich schaute auf eine Uhr innerhalb des Gebäudes).

Die erste Stunde im Polizeipräsidium

Ich wurde, an den Handfesseln geführt, in den 2. Stock in ein bereitgestelltes Zimmer gebracht, das erste von vieren oder fünf, die ganz offensichtlich (wie ich aus den Gesprächen der Beamten entnehmen konnte) für wegen uns vieren leer standen. Dort mußte ich mich auf einen Holzstuhl setzen (immer noch gefesselt). Nach und nach sah ich durch die offene Tür auch die anderen drei vorbeigehen. Die Beamten unterhielten sich darüber, ob sie eine Schreibkraft benötigen würden (sie beschlossen, ohne auszukommen) und in welchem Zimmer die Protokolle aufgenommen werden sollten (das Zimmer, in dem ich mich befand). Der Einsatzleiter wurde "Norbert" genannt. Nach einiger Zeit fragte "Norbert" mich, ob die Fesseln gelockert werden sollten – wie fürsorglich, denn es gab nun wirklich keinen Grund, daß ich sie noch trug, was auch daraus ersichtlich wurde, daß sie einige Zeit später auch kommentarlos abgenommen wurden. Ich gab zu verstehen, daß ich auf eine Lockerung verzichte – von Entführern erbitte ich keinen Gefallen. So gefesselt konnte ich sehen, wie die drei Frauen in zeitlichen Abständen daran vorbeigeführt wurden. [Person 1] gelang es dabei, trotz Rückenfesselung, mehrere Plakate "gesuchter Terroristen", die im Zimmer direkt neben der Tür hingen, herunterzureißen. Künstlerin! Als mir die Fesseln dann etwa 10 Minuten später abgenommen wurden, spürte ich an meiner rechten Hand zunächst nicht, daß die Fessel schon abgenommen war (der Beamte mußte mich darauf aufmerksam machen), so sehr war sie angezogen gewesen und hatte meinen Tastsinn beeinträchtigt.

Ich sollte dann meine Taschen leeren. Ich befand, wer mich zwangsweise verschleppt, muß sich schon selbst die Mühe machen, so daß ein Beamter meine Hosentaschen leerte und mich nochmals durch Abtasten durchsuchte. Diese Durchsuchung blieb oberflächlich, ich mußte weder ein Kleidungsstück noch die Schuhe ausziehen. Aus dem dabei gefundenen Portemonnaie wurden alle darin befindlichen Papiere und Karten herausgenommen, die Daten aus dem Personalausweis per Computer in ein Formular eingesetzt. Neben der Frage, wie ich denn nach Frankfurt gekommen sei (die unbeantwortet blieb), bestand die einzige Frage zu meinen Personalien darin, ob ich arbeiten würde, worauf ich ebenfalls nicht antwortete, da dies aus einer bei den Papieren sich befindenden Besucherkarte des Arbeitsamtes hervorging. Aber der kriminalistische Sachverstand scheint im K 41 nicht weit verbreitet zu sein, jedenfalls gelang ihnen dieser einfache Schluß nicht. So saß ich da und bekam mit, daß sie ein Asservat suchten (wenn ich das richtig gesehen habe, einen dieser Löwen und das Blatt aus dem Schaukasten vor dem Prozeßsaal) und nach etwa 10 Minuten auch in einem Stoß Papier fanden. Der Beamte, der im Zimmer saß und versuchte, ein Formular am Computer auszufüllen, während er mich beaufsichtigte, schaute dann auch mindestens eine Minute lang intensiv auf den verfremdeten Löwen. Er fragte dann "Norbert", in welche Zeile des Formulars er "§sect;90a" einzusetzen habe.

Eine Belehrung über meine Rechte fand nicht statt. Im Gegenteil, "Norbert" ging davon aus, daß wir keine Aussage machen würden, denn er sagte zu dem Beamten am Computer, daß, wenn wir keine Aussagen machen würden, wir nach der ED sofort rausgelassen werden sollen. Außerdem legte er zu diesem Zeitpunkt die Reihenfolge fest: erst ich, dann [Person 2], [Person 3] und zuletzt [Person 1]. Sie mußten einige Minuten bekakeln, daß sie die ED erst anmelden müßten und dann wo und bei bzw. mit wem. Eine Rechtsmittelbelehrung wäre aber angesagt gewesen, denn er fragte mich ausdrücklich, ob ich etwas aussagen wolle.

Ich bekam bis auf den Personalausweis meine Sachen wieder und erfuhr (durch Zuhören), daß sowohl Bekleidungsstücke wie abgegebene Dinge noch aus dem Prozeßgebäude abgeholt werden sollten. Die Beamten unterhielten sich weiterhin darüber, ob wir vier nach Durchsuchung und Protokollaufnahme in den einzelnen Zimmern verbleiben oder in einem Raum zusammengeführt bewacht werden sollten. Letzteres wurde von "Norbert" angeordnet und nach einiger Zeit wurde ich zu den anderen dreien geführt, die in einem offenen Flur schon zusammensaßen. Ein fehlender vierter Stuhl wurde zu diesem Zweck auf den Flur gestellt. Es wurde uns eröffnet, daß jetzt die erkennungsdienstliche Behandlung mit Fingerabdrücken und Fotos bevorstehen würde. Um etwa 13 Uhr 45 wurde ich dann aufgefordert, zu selbiger mitzukommen.

Erste Einschätzung

Offensichtlich war die Festnahme vorher geplant gewesen. Es waren zu diesem Zweck die Zimmer schon geräumt worden. Bei meiner Ankunft lief ein Beamter mit schon vorbereiteten Papieren für die Protokollaufnahme herum und unsere Ankunft schien auch keine Überraschung für die Anwesenden zu sein. Die Tatsache, daß uns zwar im Gerichtsgebäude der Grund für die Festnahme genannt wurde, aber im Polizeipräsidium weder eine Rechtsbelehrung stattfand, noch versucht wurde, uns zu irgendwelchen Aussagen zu bewegen, sondern im Gegenteil schon vorausgesetzt wurde, wir würden nicht aussagen, legt nahe, daß es primär überhaupt nicht um den uns vorgeworfenen Straftatbestand ging, sondern darum, uns als aktive ProzeßbesucherInnen mit dem Gewaltmonopol des Staates zu konfrontieren. Dies umso mehr, da wir offensichtlich die erste "Warnung", die darin bestand, daß bei [Person 1] und mir bei voller und auch offen ausgesprochener Kenntnis unserer Personen am 23.2.1995 eine Personenkontrolle vor dem bzw. im Eingangsbereich des Gerichtsgebäudes stattgefunden hatte, nicht "verstanden" hatten. Außerdem darf es wohl als ungewöhnlich gelten, uns im Polizeipräsidium zusammenzuführen, wenn wir doch einer gemeinschaftlich begangenen Straftat verdächtig sind.

ED

Als erster von uns vieren wurde ich also in den 3. Stock zur ED gebracht. Drei Beamte incl. desjenigen, der mich hochgebracht hatte, waren dort damit beschäftigt, mir Fingerabdrücke abzunehmen und Fotos zu machen. Die Reihenfolge war: Feststellen der Körpergröße, Gesichtsfotos, Fingerabdrücke, Ganzkörperfotos, besondere Merkmale. Daß sie mit meiner Kooperation nicht rechnen konnten, durfte ihnen wohl klar gewesen sein; es hat sie auf jeden Fall ziemlich genervt. So haben sie mehrere Minuten gebraucht, bis sie in der Lage waren, meine Augenfarbe festzustellen, was weniger an meinem Widerstand und mehr an ihrer Unfähigkeit gelegen hat. Ich habe einfach meinen Kopf weggedreht, ihnen nicht in die Augen geschaut oder bin im Zimmer herumgegangen.

Die Beamten, die die ED durchführten, wußten, mit wem sie es zu tun hatten und daß ein politischer Hintergrund für Verhaftung und ED vorlagen. Ob auf dem Protokollbogen der behauptete Straftatbestand vermerkt war, kann ich nicht sagen, denn ich habe diesen Bogen nicht zu Gesicht bekommen. Aber einer der an der ED beteiligten Beamten fragte denjenigen, der uns hochgebracht hatte, nach dem Ort unserer Festnahme, worauf dieser antwortete, wir seien aus dem Prozeß heraus verhaftet worden. "Welcher Prozeß?" – "Der gegen Hogefeld."

Nach Feststellung dessen, was sie für meine Größe hielten, mußte ich mich auf einen Sessel in einem abgeteilten Raum innerhalb des hohen und großen ED–Raums setzen, um aus drei Positionen fotografiert zu werden. Natürlich war ich nicht kooperativ, so daß mein Kopf in die richtige Richtung gezerrt wurde, indem der Beamte der drei, der relativ korpulent und blondhaarig war und sich zu dem Zeitpunkt noch nicht an seiner Zigarre festhalten mußte, mich an den Haaren zog. Schon zu diesem Zeitpunkt drohte er mir für den Fall, daß ich weiterhin nicht kooperativ sei. Es nutzte ihm nicht viel.

Danach war beabsichtigt, meine Fingerabdrücke zu nehmen. Als ich nicht freiwillig den ersten Finger in die Druckerschwärze legte, drohte er nochmals, packte den Finger, so daß mir keine Wahl blieb. Ihm war anzusehen, daß er bereit war, mir notfalls die Finger zu brechen (jedenfalls war das mein Eindruck in dieser Situation). Da er während der gesamten Prozedur meine Hände bzw. Finger fest umklammert hatte, blieben mir nicht viele Möglichkeiten. Dennoch riefen sie am Ende der ED–Behandlung (wahrscheinlich "Norbert") an und fragten an, ob auch leicht verwaschene Abdrücke ausreichen würden. Nach einigem Hin und Her einigten sie sich darauf. – Nachdem sie mir die Fingerabdrücke genommen hatten, mußten sie mir beweisen, wie sehr sie die Situation unter Kontrolle hatten: ich wusch mir von meinen Händen die Druckerschwärze ab und sie empfahlen mir, die in einem kleinen Topf befindliche Seife zu benutzen. Hatte ich halt schon …

Zwischenzeitlich wurde noch ein Ganzkörperfoto gemacht (wohl auch nicht so gelungen) und meine Augenfarbe festgestellt (s.o.). Nachdem ich eine Frage nach Narben unbeantwortet gelassen hatte, wurden mir an beiden Armen das Sweatshirt hochgerissen.

Eine Anmerkung noch zur Prozedur zur Feststellung meiner Augenfarbe: Da ich mich mehrfach weg– und umgedreht hatte, drohte mir der spätere Zigarrenträger an, mir die Brille abzunehmen und den Kopf festzuhalten. Daraufhin meinte der Beamte, der das Protokoll führte, das sei nicht nötig, sie könnten ja "die Frau [Person 3]" ([Person 3]) nach meiner Augenfarbe fragen, bei ihr stünde im Formular dieselbe Adresse wie bei mir. Zu diesem Zeitpunkt waren weder unsere Kleidungs– noch die Gepäckstücke aus dem Gerichtsgebäude eingetroffen (und [Person 3]s Personalausweis lag in ihrem Rucksack), so daß es schon erstaunlich ist, daß ihre Personalien bekannt waren.

Die beiden letzten Stunden

Ich wurde auf anderem Weg wieder in den 2. Stock heruntergebracht und in einen Raum geführt, wo sich die drei Frauen zusammen mit einem Beamten und einer Beamten aufhielten. Die Beamtin ging dann mit [Person 2] zusammen hinaus. Es muß so ca. 14 Uhr 15 gewesen sein. Während [Person 2] bei der ED war, wurde [Person 1] nach ihrem Fahrzeug gefragt. Ihr wurde angedroht, daß sie solange festgehalten werden würde, bis ihr Fahrzeug gefunden worden sei, es sei denn, sie würde den Aufenthaltsort benennen. [Person 1] sah sich daraufhin genötigt, auf dem im Raum befindlichen Stadtplan den Parkplatz ihres Fahrzeuges zu zeigen.

Um 14 Uhr 50 kam [Person 2] zurück und entgegen der ursprünglichen Planung wurde [Person 1] zur ED gebracht, von der sie um 15 Uhr 31 zurückkam. Ein Beamter ("Klaus") der sich darüber ausließ, daß er lieber mit irgendwelchen Registraturarbeiten beschäftigt wäre, als uns zu bewachen, und dem anzusehen war, daß er (wie die anderen auch) um 4 Uhr nach Hause gehen wollte, bewachte uns bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir das Zimmer verlassen durften. In diesem kleinen Büroraum wurde die Luft natürlich schnell stickig, weshalb der mosernde Beamte das Fenster weit aufriß und zudem die Tür zum Flur öffnete, um uns mit Dieselgestank und Durchzug zu beglücken. Nachdem wir mehrfach darauf bestanden hatten, nicht von diesem Gestank belästigt werden zu wollen, es reiche ja die offene Tür, schloß er das Fenster wieder. Aus Trotz dann auch die Tür.

Während [Person 3] erkennungsdienstlich mißhandelt wurde, konnten nacheinander [Person 2], [Person 1] und ich den Raum verlassen, und es wurden uns unsere Sachen zurückgegeben und Protokolle angefertigt. Ich habe keines unterschrieben. Im Flur warteten wir auf die Rückkehr von [Person 3], ehe wir das Gebäude in Begleitung des weißgekleideten Schreibtischtäters verlassen durften (derjenige, der mich auch zur ED gebracht hatte). [Person 3] kam um 16 Uhr 07 (als einzige von uns auf den Rücken gefesselt) zurück und als sie direkt bei uns war, rief sie uns zu, daß der "Bulle mit der Zigarre" sie zweimal ins Gesicht geschlagen habe. Sie wurde schnell in eines der Zimmer gebracht und vor uns bauten sich zwei Beamte auf, um uns den Weg zu versperren. Nach etwa 5 Minuten kam [Person 3] mit ihren Sachen aus dem Zimmer zu uns und wir wurden aus dem Gebäude geleitet. Es war ca. 16 Uhr 15.

Zweite Einschätzung

Wir vier waren vier Stunden in der Gewalt der Polizei. Während dieser vier Stunden fand im Gerichtsgebäude eine Gegenüberstellung eines Zeugen mit Birgit Hogefeld statt, die mit Gewalt erzwungen wurde. Es ist davon auszugehen, daß das Gericht es vorzog, diese Gegenüberstellung in unserer Abwesenheit durchzuführen. Dafür spricht, daß einer der beiden in schwarz gekleideten Zivilbeamten (möglicherweise "Norbert") kurz vor der Festnahme noch mit dem vorsitzenden Richter gesprochen hatte (was nicht ich, aber eine andere Person beobachten konnte). Dafür spricht auch, daß wir von dem "raunzenden" Beamten während der Prozeßpausen mehrfach beobachtet worden waren. Dafür spricht des weiteren, daß die gesamte Aktion von vornherein geplant war, was durch die Anwesenheit des Einsatzleiters ("Norbert"/K 41) von Prozeßbeginn an nahe liegt, und kurz vor der Mittagspause stattfand.

Daß das Gericht es vorgezogen hat, auf unsere Anwesenheit zu verzichten, wird wohl nur dadurch zu verstehen sein, daß einige von uns diesem Gericht "unangenehm" aufgefallen sind. So dadurch, daß wir zu fünft in der ersten Reihe mit den Buchstaben "F", "A", "R", "C" und "E" saßen. So dadurch, daß wir die Inszenierung der Zeugenaussage des Bonzen Tietmeyer (1988 Finanzstaatssekretär, der das Treffen von IWF und Weltbank in Berlin vorbereitet hat, heute Präsident der Deutschen Bundesbank) vor versammelter Presse durch ein Transparent und die Parole "IWF Mördertreff" gestört und das Gericht blamiert haben, obwohl die gesamte Aktion allenfalls ein paar Sekunden gedauert hat.

Es ist erstaunlich, mit welch einfachen Mitteln die Contenance dieses Gerichts in sich zusammenfällt. Daß der Vorsitzende Richter auf Nachfragen der Verteidigung vorgibt, von unserer Verhaftung nichts zu wissen (während wir auf dem PP festgehalten wurden), obwohl das Gegenteil offenkundig ist, entspricht dem Charakter und dem Verlauf dieses Prozesses.

Nachtrag

Das Ermittlungsverfahren nach §90a wurde ergebnislos eingestellt. Der einzig gefundene Fingerabdruck auf den verunstalteten Hessenlöwen gehörte einem der polizeilichen Staatsbediensteten. [Person 3] erhielt eine Aufforderung, 200 DM an eine gemeinnützige Einrichtung zu zahlen, dann werde das Ermittlungsverfahren gegen sie (Widerstand gegen die Staatsgewalt) eingestellt werden. Ihr Anwalt ließ sich die Akten kommen und fiel vor Lachen fast vom Stuhl: einer der an der ED beteiligten Beamten hatte ausgesagt, daß [Person 3] zuerst vom sie erkennungsdienstlich mißhandelnden Beamten geschlagen worden sei. Offensichtlich verspürte die Staatsanwaltschaft anschließend keine Lust mehr, sich noch mehr lächerlich zu machen, und stellte auch dieses Verfahren ein.

 

Ein störendes T–Shirt

Gedächtnisprotokoll vom 13. Juni 1995

Am Dienstag, den 13.6.1995 betrat ich kurz vor halb 10 das Gerichtsgebäude, in dem der Prozeß gegen Birgit Hogefeld stattfindet. Die Durchsuchung nahm ihren üblichen Verlauf, bis der Beamte mich dazu aufforderte, mein Sweatshirt hochzuziehen. Dies tat ich und er entdeckte ein T-Shirt mit der Aufschrift "Freiheit für alle politischen Gefangenen". Er forderte mich auf, dieses auszuziehen, worauf ich eine Begründung verlangte. Er erwiderte "Auf Anordnung des Richters", worauf ich ihn fragte, welcher Richter dies denn angeordnet habe. Er schaute mich leicht irritiert an, weil für ihn wohl klar war, welcher Richter gemeint sein müßte, und er meinte so etwas wie "die vom Prozeß" (den Wortlaut weiß ich nicht mehr, nur noch den Sinn). Daraufhin gab ich zu bedenken, daß es schon öfter vorgekommen sei, daß Beamte sich auf die Anordnung des Richters berufen, aber diese danach von nichts gewußt hätten. Jedenfalls erwartete ich eine Begründung für diese Maßnahme.

Er ließ mich stehen und ging vor den Eingangsbereich zum Prozeßgebäude, um sich einen der dort postierten Beamten (er trug eine MP) als Verstärkung zu holen. Dieser forderte mich kraft seine bewaffneten Autorität (ohne sie direkt zu zeigen) auf, entweder das T–Shirt auszuziehen oder, falls ich mich weigern würde, das Gebäude zu verlassen. Ich sagte ihm, ich würde mich ja nicht weigern, sondern erwartete für diese Maßnahme nur eine Begründung. Da auch dieser Beamte hierzu nicht in der Lage war, holten beide einen Zivilbeamten, der möglicherweise zu diesem Zeitpunkt bei der Einlaßkontrolle und den sonstigen Sicherungsmaßnahmen das Sagen hatte. Der Durchsuchungsbeamte forderte mich erneut auf, mein Sweatshirt hochzuziehen, um dem Zivilen das gefährliche Kleidungsstück zu zeigen. Natürlich forderte auch er mich mich auf, dieses abzulegen. Auf der Suche nach der von mir eingeforderten Begründung und der "Anordnung des Richters" fiel ihm die sitzungspolizeiliche Verfügung ein. Er wies darauf hin. Daraufhin schauten wir uns beide diese Verfügung an. Er wies auf die Passage hin, wonach beanstandete Gegenstände nicht mit in den Prozeßsaal mitgenommen werden dürfen. Nun fragte ich also nach dem Grund der Beanstandung. Daraufhin meinte der Durchsuchungsbeamte, es würde stören, da seien Buchstaben darauf. Nun wies ich darauf hin, daß es ja wohl um bestimmte Buchstaben ginge, was er bejahte, wobei er auf einzelne große Buchstaben hinwies. Außerdem merkte ich an, daß dieses T–Shirt wohl kaum stören könnte, denn soweit ich mich erinnerte, wären am Verhandlungstag zuvor mehrere Personen (es waren drei) mit eben diesen T–Shirts im Prozeßsaal während der Verhandlung anwesend gewesen, und dies hätte ja ganz offensichtlich nicht gestört.

Sie waren etwas ratlos und holten sich denjenigen Beamten zur Hilfe, der im Gerichtssaal im allgemeinen das Walkie–Talkie herumträgt. Bis dieser erschien, vollendete der Durchsuchungsbeamte die Durchsuchung, so daß allein das strittige T–Shirt übrig blieb. Der herbeigeholte Justizbeamte teilte den anderen mit, daß tatsächlich am Verhandlungstag zuvor Personen mit diesem T–Shirt im Prozeßsaal gesichtet worden waren. Ich konnte ansonsten nur ansatzweise mithören, wie sie sich berieten, allerdings bemerkte eine der Durchsuchungsbeamtinnen: "Ihr könnt uns doch nicht in den Rücken fallen." Ich wartete, während der Beamte mit der MP auf mich aufpaßte. Nach etwa fünf Minuten Beratung kam mein Durchsuchungsbeamter zu mir zurück und beendete seine Arbeit, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Ich konnte mitsamt T-Shirt die Durchsuchungskabine verlassen.

 

Noch eine allgemeine Personenkontrolle

Gedächtnisprotokoll vom 6. Juli 1995

Am heutigen Donnerstag, dem 6.7.1995 begab ich mich um 9 Uhr von der Konstablerwache über die Porzellanhofstraße zum Gerichtskomplex. Als ich in Höhe der Parkuhren neben dem Gerichtsgebäude C war, sah ich an der Einfahrt zur Tiefgarage einen uniformierten Polizeibeamten stehen, der, als er mich sah, verstohlen seine Kollegin herbeiwinkte. Beide zusammen kamen auf mich zu und gaben an, eine allgemeine Personenkontrolle machen zu wollen. Dies war ganz offensichtlich so nicht der Fall, denn außer mir wurde keine weitere Person kontrolliert. Ich verlangte eine Begründung für diese willkürliche und gesetzwidrige Handlung, die aber nur auf der Ebene der "allgemeinen Personenkontrolle" blieb. Ich merkte an, daß diese allgemeine Personenkontrolle wohl nur bestimmten Personen gelten würde, was der Beamte auch zugab. Da es einfach zu offen war, daß es hier nur um eine Schikane gegen bestimmte Personen ging, weigerte ich mich zunächst, mich auszuweisen. Der Beamte und die herbeigerufene Beamtin gaben an mich nicht zu kennen, weswegen sie ja diese Kontrolle angaben durchführen zu müssen, worauf ich erwiderte, daß dies kaum der Fall sein könnte, da sie ja alle instruiert worden seien. Mir wurde gesagt, daß ich in die Richtung, in die ich unterwegs war (Kantine / Cafeteria), nur dann weitergehen könne, wenn ich meinen Personalausweis vorzeigen würde, und so wandte ich mich nach links durch einen Durchgang zur Konrad–Adenauer–Straße. Das schien die beiden zu verblüffen, jedenfalls folgten sie mir nicht.

Nun wollte ich jedoch immer noch in die Cafeteria, um zu frühstücken. Als ich von der Seilerstraße her in den Hof zur Cafeteria ging, bemerkten mich die beiden und kamen auf mich zu, um ihre Maßnahme zu wiederholen. Ich erwartete immer noch eine Begründung für eine Maßnahme, die so offensichtlich nur mir galt. [Eine Prozeßbesucherin], die in der Cafeteria saß, bekam dies mit, kam in den Hof und ging dann zum BesucherInnen–Eingang des Prozeßgebäudes, um mit weiteren BesucherInnen zurückzukehren. Mir wurde angedroht, mich auf ein Revier mitzunehmen, falls ich dieser Kontrolle nicht nachkommen würde; ich hingegen bestand daruf, daß es sich hierbei um eine rein willkürliche und gesetzwidrige Maßnahme handeln würde. Daraufhin erklärte der Beamte: "Was gesetzwidrig ist, bestimme ich." Während dieses Wortwechsels blieb ich nicht einfach stehen, sondern schlenderte in kleinem Radius herum, ohne irgendwelche Anstalten zu machen, mich der Maßnahme entziehen zu wollen. Die beiden riefen dann noch einen dritten Beamten herbei. Im weiteren Wortwechsel entfuhr es dem ersten Beamten, mich mit den Worten "Sie sind doch Herr Manfred Kuhl, oder?" anzusprechen, was angesichts der Tatsache, daß alle drei vorgaben, mich nicht zu kennen, schon verblüffen mußte. Der dritte Beamte jedenfalls packte mich von hinten und schob mich an einen VW–Transporter, der in der Seilerstraße stand. Danach ging er zu einem anderen Fahrzeug, um über Funk Vorbereitungen für meinen Abtransport zu treffen. Es kamen zu diesem Zeitpunkt noch andere ProzeßbesucherInnen hinzu. Angesichts dessen, daß offensichtlich war, daß die Beamt(inn)en ihre Maßnahme durchziehen würde, und ich dann doch vorzog, den von mir vorgesehenen Prozeßbesuch durchzuführen, holte ich meinen Personalausweis hervor. Die Beamt(inn)en brauchten fast eine Minute, um zu kapieren, was ich da in der Hand hielt, warfen dann einen kurzen Blick darauf und ließen mich gehen.

Nachträglich habe ich erfahren, daß keinE weitereR ProzeßbesucherIn an diesem Vormittag kontrolliert wurde, was die obige Aussage bestätigt, daß diese "allgemeine" Personenkontrolle nur mir galt.

Nach der Mittagspause betrat ich um 14 Uhr den Eingang zum Gerichtsgebäude. An der Absperrung vor der Eingangstür standen links von mir die Beamtin und rechts der Beamte, die mich am Morgen angehalten hatten. Ich fragte sie: "Wissen Sie jetzt, wer ich bin?", worauf der Beamte entgegnete: "Halt die Fresse!"

 

Knallfrösche

Gedächtnisprotokoll vom 13. Juli 1995

Am heutigen Donnerstag traf ich gegen 9 Uhr 40 vor dem Eingangsbereich zum Gerichtsgebäude, in dem der Prozeß gegen Birgit Hogefeld stattfindet, ein. Die Absperrgitter, die normalerweise einen Schlauch zur Eingangstür hin bilden, waren diesmal gänzlich anders (serpentinenartig) angeordnet. Mitten in diesem angeordneten Gang standen mehrere uniformierte Polizisten (und eine Polizistin), die begehrten, das Innere meiner Umhängetasche durchsuchen zu wollen. Ich reichte sie ihnen und einer der Beamten öffnete so ziemlich alles, wessen er in der Umhängetasche habhaft werden konnte. Nach getaner Arbeit verstaute er die ausgepackten Sachen mehr oder weniger schlecht und ich konnte mitsamt Tasche eintreten. Dem gewohnten Gang der Dinge entsprechend wurde die Tasche auch während der Durchsuchung durch einen der beiden dazu normalerweise abgestellten Justizbeamten geöffnet und eingesehen.

Während einer Verhandlungspause um ca. 10 Uhr 30 verließ ich das Gebäude für etwa 10 Minuten mitsamt dieser Umhängetasche. Kurz vor meiner Rückkehr begegnete mir ein Schwarm Uniformierter, der wahrscheinlich zum Frühstücken unterwegs war. Nicht nur, daß am Gitter keine BeamtInnen auf mich warteten, auch die "normale" Untersuchung verlief so, daß der mich untersuchende Beamte sich erinnerte, die Tasche schon eingesehen zu haben. Sie blieb verschlossen und wurde uneingesehen weggeschlossen. Diese Schilderung bekommt ihre Bedeutung durch das nun folgende.

Gegen Ende der Mittagspause um ca. 13 Uhr 45 ergab sich dieselbe Situation wie am Morgen. Im Gegensatz dazu fragte ich, wer diese Zusatzdurchsuchung angeordnet habe. Einer der Beamten sagte dazu: "Ich habe sie angeordnet." Auf Nachfrage erklärt er, keine Weisung erhalten zu haben. Nun verlangte ich nach einer Begründung für die Durchsuchung. Mein Begehren führte dazu, daß die in diesem Bereich anwesenden BeamtInnen auf mich zukamen, als hätte ich ein schweres Sakrileg begangen. Ich wurde angefaucht, mit mir gäbe es nichts zu diskutieren und ich solle meine Tasche hergeben. Ich erwiderte, wenn ich eine Begründung bekommen hätte, würde ich meine Tasche zur Untersuchung übergeben. Neben Allgemeinplätzen wie "Sicherheitsbestimmungen" wurde mir angedroht, im Weigerungsfall einen Platzverweis ausgesprochen zu bekommen bzw. man würde mich gleich mitnehmen. Ich wies auf die Willkürlichkeit dieser Handlung hin und darauf, daß hiermit versucht werde, die Gewährung der Prozeßöffentlichkeit zu unterlaufen, so daß sich einer der Beamten veranlaßt sah, kurz hineinzugehen und mit den Worten "nach §176 GVG" wieder hinauszukommen. Obwohl ich natürlich kein Jurist bin und diese Bestimmungen nicht auswendig gelernt habe, gab ich mich damit zufrieden (was blieb mir auch anderes übrig?) und hielt die Tasche in der leicht ausgestreckten rechten Hand. Anstatt dies zu bemerken, wurde ich weiter damit bedroht, der Verhandlung nicht beiwohnen zu dürfen. Meine Äußerungen hinsichtlich des Ausschlusses der Prozeßöffentlichkeit wurden von einem der Beamten damit kommentiert, ich solle vorsichtig sein, was ich sage, hier würden mehrere Beamte anwesend sein. Der Tonfall der gesamten anwesenden Beamten war äußerst aggressiv und drohend. Nebenbei: eine weitere Prozeßbesucherin konnte zu genau demselben Zeitpunkt mit ihrer Handtasche ungehindert das Gebäude betreten. Nach einem vergeblichen Anlauf konnte ich die Beamten davon überzeugen, daß meine Tasche ihnen ausgestreckt in meiner Hand entgegenhing. Sie wurde durchsucht und ich konnte mitsamt der Tasche eintreten. Mir wurde zudem entgegengehalten, daß dies nur meiner Sicherheit dienen würde, da mir ja irgendjemand etwas hineingesteckt haben könnte, etwa einen Frosch. (Gemeint war ein Knallfrosch.) Da mich anschließend der andere der beiden Durchsuchungsbeamten untersuchte, wurde die Tasche nochmals inspiziert.

 

Sitzungspolizei

Schreiben an den 5. Strafsenat des OLG Frankfurt/M. vom 2. November 1995

Betr.: Prozeß gegen Birgit Hogefeld, hier: Einlaßkontrollen

Mehrere Vorfälle während der Einlaßkontrollen zum o. g. Prozeß veranlassen mich, den Inhaber der Sitzungspolizei zu fragen, was er im Hinblick auf die im weiteren geschilderten Vorfälle zu unternehmen gedenkt, damit selbige sich nicht wiederholen.

1) Am Donnerstag, den 28.9.1995, wurde ich kurz vor halb 10 in das Gebäude eingelassen und wartete im "Windfang" auf die Durchsuchung. Während ich mich mit einem anderen Prozeßbesucher unterhielt, bemerkte ich, daß mir gegenüber ein Polizeibeamter mit Maschinenpistole stand, der seine Waffe gezielt auf mich gerichtet hielt. Einen Anlaß hierzu war nicht zu erkennen. (Was für ein Anlaß sollte dies auch sein, oder werden vielleicht bestimmte ProzeßbesucherInnen präventiv als StaatsfeindInnen behandelt? Dies würde allerdings einiges erklären.) Ich bat ihn, diese Waffe nicht auf mich oder einen anderen Menschen zu richten. Er weigerte sich, dieser Bitte nachzukommen, statt dessen wurde ich des Gebäudes verwiesen (und erst einige Minuten später wieder eingelassen).

2) Am Dienstag, den 26.9.1995, wollte ich das Gebäude etwa gegen 9 Uhr 45 betreten. Von der Eingangstür ging rechtwinklig ein schmaler mit Sperrgittern abgetrennter Bereich ab, durch den ich gehen mußte, um die Eingangstür erreichen zu können. Der Eingang dieses Sperrbereichs wurde mir von einer bewaffneten Polizeibeamtin und einem weiteren Polizeibeamten verstellt. Ich wurde danach befragt, was ich in diesem Gebäude wolle, und erklärte, daß ich den Prozeß gegen Birgit Hogefeld besuchen wolle. Anstatt mich nun durchzulassen, wurde mir eröffnet, daß der Eingang hierfür auf der anderen (der Kantinenseite des Gebäudes) sei.

Es gab absolut keinen Grund, mich hier nicht durchzulassen. Die Durchsuchungskabinen waren zu diesem Zeitpunkt nicht belegt, der für mich zuständige Durchsuchungsbeamte saß untätig herum, wie ich durch einen Blick durch die geöffnete Tür sehen konnte.

Ich mußte erst einen weiteren Beamten herbeirufen, der widerwillig den beiden, die mir den Weg versperrten, erklärte, daß ich das Recht habe, dort hindurch zu gehen und das Gebäude zu betreten.

Der mich durchsuchende Justizbeamte bestätigte mir, daß ich bei meiner Ankunft sofort hätte eingelassen werden müssen und können.

3) Am Donnerstag, den 6.7.1995 wurde ich auf dem Weg zum Gerichtsgebäude von einer uniformierten Polizeibeamtin und einem uniformierten Polizeibeamten zwecks "allgemeiner Personenkontrolle" angehalten. Die beiden BeamtInnen gaben an, mich bzw. meinen Namen nicht zu kennen (denn sonst würde eine Personenkontrolle ja wohl auch keinen Sinn ergeben, oder?). Im Verlauf dieser Personenkontrolle rutschte dem Beamten mein ihm angeblich nicht bekannter Name heraus, bevor er "offiziell" von meiner Identität wissen konnte (da ich zu diesem Zeitpunkt meinen Personalausweis noch nicht vorgezeigt hatte). Diese "allgemeine" Personenkontrolle war allein gegen mich gerichtet und es wurde deutlich sichtbar keine weitere Person im und um den gesamten Gerichtskomplex kontrolliert (was mir im übrigen von den beiden PolizeibeamtInnen nachträglich auch bestätigt wurde). Selbst wenn derartige Kontrollen unabhängig von sitzungspolizeilichen Verfügungen zu sehen sein sollten, so wirft eine derartige willkürliche Maßnahme ein (hoffentlich nicht bezeichnendes) Schlaglicht auf diesen Prozeß.

4) Es ist im Laufe dieses Jahres mehrfach vorgekommen, daß ein Diensthund sich freilaufend und unbeaufsichtigt im Einlaßbereich aufhält. Dieser mag zwar abgerichtet sein, das macht ihn – eben weil er unbeaufsichtigt ist – nicht weniger gefährlich.

5) PolizeibeamtInnen, die im Einlaßbereich kontrollieren, sowohl außerhalb wie innerhalb des Gebäudes, führen seit etwa Mitte März d. J. Fotokopien von Lichtbildern einiger ProzeßbesucherInnen mit sich herum. Diese Lichtbilder stammen von einer erkennungsdienstlichen Behandlung und wurden am 9.3.1995 vom K41 PP Ffm angefertigt.

Für die genannten Vorfälle gibt es jeweils ZeugInnen.

Ich gehe davon aus, daß zumindest die unter 1) 2) 4) und 5) genannten Vorfälle nicht mit einer sitzungspolizeilichen Verfügung in Einklang zu bringen sind. Die Öffentlichkeit des Verfahrens ist sicher nicht gewährleistet, wenn sich BeamtInnen der Polizei Frankfurt/M. anmaßen zu befinden, welche ProzeßbesucherInnen sich welchen schikanösen Maßnahmen zu unterziehen haben. Es ist dabei unerheblich, ob einige ProzeßbesucherInnen aufgrund der bundesdeutschen Wirklichkeit mit derartigen Maßnahmen rechnen müssen. Entscheidend ist hier, ob und inwieweit der uneingeschränkte Zugang der Öffentlichkeit zu diesem Verfahren gewährleistet ist.

Polizeiliche Maßnahmen, die die Öffentlichkeit des Verfahrens beeinträchtigen, muß sich der Inhaber der Sitzungspolizei auch dann anrechnen lassen, wenn er sie nicht angeordnet hat. Sollten derartige Maßnahmen bzw. Vorfälle auch in den kommenden Wochen stattfinden, muß ich davon ausgehen, daß sie seitens des Inhabers der Sitzungspolizei zumindest geduldet werden.

Ich erwarte eine Mitteilung über die hinsichtlich dieser Vorfälle zur Abhilfe getroffenen Maßnahmen.

 

Pawlow'sche Glockensuche

Gedächtnisprotokoll vom 1. Oktober 1996

Am Hauptverhandlungstag Dienstag, 24.9.1996 (Prozeß gegen Birgit Hogefeld, 5. Strafsenat am OLG Frankfurt/M.) begab es sich, daß Richter Kern wieder einmal den Übergang von seiner Schlafhaltung zum Eindösen verpaßte. Nach den unendlich vielen Malen, die vor allem er sich wie auch sein Kollege Klein auf diese Weise uninteressiert zeigten, hielt ich deutlich sichtbar eine kleine Glocke in die Höhe. Soweit sichtbar, wurde dies vom Gericht nicht wahrgenommen, aber mindestens einer der Justizbeamten bemerkte dies.

Da die Durchsuchungsbeamten in Pawlowscher Manier beim nächsten Mal garantiert nach einer Glocke suchen würden, ließ ich sie am nächsten Hauptverhandlungstag Dienstag, 1.10.1996 außerhalb des Gerichtsgebäudes.

Um ca. 13.45 betrat ich selbiges und wurde zu einer der Durchsuchungskabinen geleitet. Der Beamte sprach mich an, ich könne doch meine Tasche gleich außerhalb der Kabine zum wegschließen lassen. Ich erwiderte, daß ich zum einen noch meinen Schlüssel hineintun würde, zum anderen Papier und Kugelschreiber daraus benötigte. Beim Aus- und Einpacken bemerkte der Beamte, ich solle auch die Glocke in die Tasche stecken. Ich erwiderte, ich hätte keine bei mir. Er sagte, ich hätte das letzte Mal eine mit mir geführt, worauf ich antwortete, das könne schon sein, aber heute hätte ich garantiert keine dabei. Er drohte mir dann an, wenn ich noch einmal eine Glocke hochhalten würde, werde er mich höchstpersönlich herausholen und dafür sorgen, daß ich nicht wieder in den Gerichtssaal eingelassen würde.

Die Durchsuchung ergab nichts und so verließ ich die Kabine.

Richter Kern war erstaunlich wach, die Glocke hatte also ihre Wirkung gezeigt.

 


 

Diese Seite wurde zuletzt am 20. September 2009 aktualisiert.

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©  Walter Kuhl 1995, 2001, 2009

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Artikel zum Prozeß gegen Birgit Hiogefeld

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