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Frauen in Naturwissenschaft und Technik

Frauen im Netz

Rezension

Sendemanuskript

 

Buchbesprechung in der Sendung RadaR Medialine, einer Sendung der Redaktion Alltag und Geschichte.

Radio: Radio Darmstadt

Redaktion und Moderation: Walter Kuhl

Ausstrahlung am:

Sonntag, 3. Januar 1999, 19.00 bis 21.00 Uhr

Wiederholt:

Montag, 4. Januar 1999, 10.00 bis 12.00 Uhr

Zusammenfassung:

Ist der Aufbau von Frauennetzwerken eine realistische Alternative zu Männerbünden? Welche Möglichkeiten haben Frauen in der Informationsgesellschaft?

Besprochenes Buch:

 


 

Besprechung

Besprechung von : Corinna Bath / Barbara Kleinen (Hg.) – Frauen in der Informationsgesellschaft. Fliegen oder Spinnen im Netz?, Talheimer Verlag 1997, 120 Seiten, DM 28,00 [1998] bzw. € 16,00 [2008]

Es gibt viele spannende Stichwörter, die unser Leben so treffend beschreiben. Oder vielmehr das Leben, das wir nach Ansicht derer, die mit diesen Stichwörtern um sich werfen, führen sollen. Globalisierung ist das eine, der Standort Deutschland, für den wir uns aufopferungsvoll einsetzen sollen, ein anderes. Ein weiterer Begriff für die an uns gestellten Anforderungen der kapitalistischen Leistungsgesellschaft heißt Informationsgesellschaft.

Nun erzählen uns Parteien und Wirtschaftsverbände tagaus tagein, daß die rasante Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien einen tiefgreifenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel vorantreiben werden. Uns werden neue Arbeitsplätze und ein mehr an Lebensqualität durch neue Dienstleistungen und Unterhaltungsangebote versprochen. Hier hakt Gabriele Winker mit der Frage ein, ob die flexible Arbeit in der Informationsgesellschaft neue Chancen für weibliche Lebensentwürfe mit sich bringen kann. Sie sagt:

Mit dem Bild der Informationsgesellschaft eng verbunden sind Versprechungen eines besseren Lebens in beiden Lebensbereichen, dem öffentlichen Bereich der Erwerbsarbeit und dem privaten Bereich zu Hause. Von einer Aufhebung der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung wird in diesem Zusammenhang [ausdrücklich] jedoch nicht gesprochen. Die vorausgesagten und angestrebten zahlreichen Veränderungen in den Arbeits- und Lebensbedingungen scheinen sich nicht auf die Art der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens zwischen den Geschlechtern zu beziehen. Damit wird [unhinterfragt] weiterhin Frauen die Zuständigkeit für die Familien, die Kindererziehung und Reproduktionsaufgaben zugeordnet und jeder einzelnen die Vereinbarkeit von Frauen- und Berufsarbeit als zu lösende Aufgabe überlassen.

Und auch die Kritiker der Wachstumseuphorie, wie sie in Teilen der SPD, der GRÜNEN, der Gewerkschaften und auch in der Wissenschaft zu finden sind, ignorieren in ihrem Diskurs um die Informationsgesellschaft die Geschlechterfrage. Sie gehen davon aus, daß eine Reihe gesellschaftspolitischer Regelungen getroffen werden müssen, um die Informationsgesellschaft sozialverträglich zu gestalten. So fordern sie die Vermeidung von Ungleichheit in vielen Bereichen u. a. durch die Realisierung einer informationellen Grundversorgung, durch effektiven Daten-, Verbraucher- und Jugendschutz sowie durch effiziente Konzentrationskontrolle.

Doch auch diese Gestalter einer humaneren zukünftigen Gesellschaft sprechen allgemein von besserer Vereinbarkeit von Arbeits- und Lebenswelt in der Informationsgesellschaft, ohne zu sagen, wie das für die verschiedenartigen weiblichen wie männlichen Lebensstile gehen soll. Weder wird die patriarchale Diskriminierung von Frauen erwähnt noch die Überwindung der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung als Gestaltungsziel einbezogen. So ist die Diskussion um die Informationsgesellschaft geschlechtsblind. [Seite 89–90]

Gabriele Winker sieht, das mit der fortschreitenden computergesteuerten Vernetzung der Gesellschaft normale Arbeitsverhältnisse immer mehr zurückgedrängt werden. Das Kapital kann die Arbeit noch einmal völlig neu und völlig anders zergliedern, als es beim Taylorismus und der Fließbandarbeit der Fall war.

Buchcover Bath/Kleinen "Frauen in der Informationsgesellschaft"Viele Arbeiten können ausgegliedert und weltweit vergeben werden. Hierzulande besonders propagiert werden sogenannte Telearbeitsplätze zu Hause. Für viele Frauen mag das praktisch sein, wenn sie neben der unbezahlten Hausarbeit die Erwerbsarbeit sozusagen nebenher erledigen können. Allerdings fehlt ihnen dabei die Souveränität sowohl über Arbeitszeit wie Arbeitsgestaltung. Telearbeitsplätze dürften meist Teilzeitarbeitsplätze sein, und dabei auch noch solche, die auftragsabhängig sind. So dürfte also die extreme Teilzeitorientierung von Frauen auch mit den neuen Informationstechnologien festgeschrieben werden. Insofern ist das mehr an Lebensqualität wohl auch an ein bestimmtes Geschlecht gebunden.

Da die Vertreter der Verheißungen der Informationsgesellschaft diesen Sachverhalt tunlichst ausblenden, weil er ihnen nützlich ist, bleibt eigentlich nur ein radikaler gesellschaftlicher Gegenentwurf, um die Rollenfestschreibung von Normal- und Teilzeitarbeit aufzuknacken. Ein Ansatzpunkt ist eine generelle drastische Arbeitszeitverkürzung, die es auch Frauen ermöglicht, gleichberechtigt ein eigenständiges finanziell abgesichertes Leben zu führen. Ob so etwas im Kapitalismus möglich ist, wage ich allerdings zu bezweifeln.

Bringen die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien daher für Frauen nur Nachteile? Sind es Männermedien? Sind es Medien, die Frauen weder etwas bringen noch sinnvoll für weibliche Lebensentwürfe einzusetzen sind?

Corinna Bath und Barbara Kleinen haben einen Sammelband herausgegeben, in dem sich mehrere Autorinnen, u. a. die vorhin erwähnte Gabriele Winker, mit dieser Fragestellung auseinandersetzen. Sie plädieren eher dafür, die neuen Medien, und hier insbesondere das Internet, gezielt, und zwar gezielt als Frauen für Frauen, zu nutzen. Die Autorinnen stellen neben dem Internet auch andere Netzwerke vor, erklären die technischen Zusammenhänge, verweisen aber auch auf die sozialen Probleme der Informations- und Kommunikationstechnologien. Nora Bugdoll bemerkt in ihrem Aufsatz über Mailboxnetze dazu:

Maiboxnetze können nur die Gesellschaft und ihre Verhältnisse widerspiegeln – trotz der Visionen und Hoffnungen, mit denen sie gegründet wurden. Es sind und waren die Männer dort vorherrschend. Zwar sind beim /CL-Netz seit der Gründungszeit Frauen aktiv, aber trotz der fünf Frauenbereiche ist dort eine konstruktive Diskussion kaum möglich. In diesen Männern zugänglichen Diskussionsbereich kommt frau nur selten zu einem sinnvollen Gedankenaustausch, da die Diskussion immer auf dem Niveau des "Warum dürfen die Männer nicht in Frauenbuchläden?"-Standes bleibt. Die Frauen sind so einem ewig wiederkehrenden Rechtfertigungsdruck ausgesetzt und können dadurch die neue Technologie nicht umfangreich und angemessen nutzen.

Aus diesem Grund entstanden die Frauennetze FemNet und WOMAN, die Diskussionsbereiche ausschließlich für Frauen anbieten. Ziel ist es, Frauenorganisationen die neue Technologie näher zu bringen und einen Raum zu schaffen, in dem diese bestmöglich genutzt werden kann. Als Kontaktraum zu anderen Projekten, Diskussionsraum für Inhalte, Theorien und Technikprobleme, und zur Öffentlichkeitsarbeit. […] Es entsteht schnell eine angenehme, private Atmosphäre, in der auch persönliche Dinge zur Sprache kommen und Freundschaften geknüpft werden. [Seite 37–38]

Leider, so finde ich, wird in allen Aufsätzen dieses Sammelbandes ein Problem kaum beleuchtet. Das Eintauchen in eine virtuelle Wirklichkeit ersetzt nicht den sinnlich faßbaren Austausch von Menschen. So wie Briefe schreiben nicht dasselbe ist wie miteinander zu reden, so wenig sind es Emails. Datennetze sind anonym, weil noch weniger als im direkten Umgang miteinander erfahrbar ist, wer dein oder deine Gegenüber wirklich ist.

Allerdings stellt Barbara Kleinen die Möglichkeit von anonymen Datennetzen in den Raum, zumindest hier die Geschlechteridentitäten auflösen zu können. Im Netz nehmen Frauen Männernamen an und umgekehrt. Das, was sie dort tun, ist virtuell, spielerisch. Es eröffnet Möglichkeiten, die das echte Leben nicht bietet, aber auch diese Möglichkeiten bleiben eben im virtuellen Raum. Barbara Kleinen hat jedoch gerade bei in Datennetzen beliebten Rollenspielen feststellen müssen, daß hier Geschlechterrollen nicht wirklich aufgehoben werden, sondern eigentlich sogar verfestigt. Befremdlich fand ich folgenden Satz:

Mit seiner weitläufigen Natur, (teilweise magischen) Gegenständen, gefährlichen Burgen, unheimlichen Wäldern und tiefen Gewässern ist die Welt der [Rollenspiele] nicht nur real, sondern auf eine Art viel sinnlicher als unsere gewohnte Alltagswelt. [Seite 49]

Wenn das so ist, dann sagt dies doch mehr über unsere reale Welt aus, und diese müßte dann doch so verändert werden, daß die Flucht vor der Realität in Rollenspiele oder andere virtuelle Welten nicht mehr notwendig sein würde. Aber was ist überhaupt real, was ist wirklich? Barbara Kleinen stellt ja auch richtig fest:

So stellt sich durch die Erfahrung im [Rollenspiel] immer mehr die Frage, wie dinglich, begreifbar und sinnlich erfahrbar unsere reale Umgebung eigentlich ist – und, zusammen mit der Erkenntnis, wie stark etwas offensichtlich Erfundenes unser Realitätsgefühl beeinflussen kann, denke ich darüber nach, was wir als wahr anzunehmen bereit sind: Was wir in der Zeitung gelesen haben? Was wir im Fernsehen sehen? Was uns Freunde erzählt haben? Was wir selbst gelesen haben? Was in Büchern steht? [Seite 50]

Ein weiteres Problem ist der angeblich demokratische Zugang zu den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, insbesondere zum Internet. Zum einen ist es mit der Demokratie nicht so weit her, wenn Datennetze von Kapitalseite dazu genutzt werden, klar definierte Aufgaben möglichst profitorientiert zu realisieren. Tanja Paulitz benennt das Problem in Bezug auf das Internet so:

Der Zutritt zum Internet setzt immer das Vorhandensein von Geld und Wissen voraus. Beides ist jedoch nur einer Weltelite zugänglich. Diese frönt in der Illusion globalen Surfens ihren imperialistisch gefärbten Machtphantasien. Für Feministinnen bedeutet eine Beteiligung daran letztlich, herrschaftsstabilisierend zu handeln. Erreichbarkeit für alle ist nicht gewährleistet. [Seite 66]

Tanja Paulitz plädiert jedoch nicht für Verweigerung, sondern für den bewußten Umgang mit den vorhandenen Möglichkeiten. Sie schreibt, und das könnte auch das Motto des Buches sein:

Anstelle des korrekten Verzichts auf dieses Privileg sowie anstelle einer individualistisch-konsumgeleiteten Vernetzungseuphorie wäre ich dafür, daß Frauen ihre Möglichkeiten nutzen, um Akteurinnen im Netz zu werden. [Seite 73–74]

Oder, wie ich das sagen würde: Privilegien sind dafür da, abgeschafft zu werden; und das geht nur, indem – in diesem Fall – frau die Möglichkeiten gezielt dafür nutzt, diese Welt zu verändern.

Die von mir hier vorgestellten Gedanken und Positionen entstammen dem von Corinna Bath und Barbara Kleinen herausgegebenen Sammelband Frauen in der Informationsgesellschaft. Der doppeldeutige Untertitel lautet Fliegen oder Spinnen im Netz? Das Buch ist im Talheimer Verlag als vierter Band der Schriftenreihe der Frauen in Naturwissenschaft und Technik e.V. zum Preis von 28 Mark erschienen.

 


 

Diese Seite wurde zuletzt am 21. März 2008 aktualisiert. Links auf andere Websites bedeuten keine Zustimmung zu den jeweiligen Inhalten, sondern sind rein informativer Natur. ©  Walter Kuhl 1999, 2001, 2008. Die Wiedergabe, auch auszugsweise, ist nur mit dem Einverständnis des Verfassers gestattet.

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