Schaufensterdekoration
Lilien-Rettungs­dekoration in nikotinigem Ambiente (2008)

Kapital – Verbrechen

Zwischen Polizeifunk und Lesekompetenz

Sendemanuskript

Sendung der Redaktion Alltag und Geschichte

Radio: Radio Darmstadt

Redaktion und Moderation: Walter Kuhl

Ausstrahlung am:

Montag, 26. März 2012, 17.00 bis 18.00 Uhr

Wiederholt:

Montag/Dienstag, 26./27. März 2012, 23.10 bis 00.10 Uhr
Dienstag, 27. März 2012, 05.10 bis 06.10 Uhr
Dienstag, 27. März 2012, 11.10 bis 12.10 Uhr

Zusammenfassung:

Vorratsdatenspeicherung als Zensurmaßnahme. Verbotene Brennesseln im Bürgerfunk. Polizeifunk im Offenen Kanal. Eine Leseübung bei Radio Darmstadt, die keinem ernstlichen Qualicheck unterliegt. Römer im Rhein-Main-Gebiet. Lilien auf dem Fußballplatz. Ein Demokratieüberschuß im europäischen Bürokratendschungel. Eine Demonstration gegen den Wahnsinn.

Besprochene Bücher:

Zur Neoliberalisierung von Radio Darmstadt und seinem Trägerverein und zur Ausgrenzung mehrerer Mitglieder meiner Redaktion seit 2006 siehe meine ausführliche Dokumentation.

Diese Sendung brachte mir zum zweiten Mal ein Sendeverbot bei Radio Darmstadt ein. Der Programmrat befand auf seiner Sitzung am 14. Mai 2012, ich habe gegen Punkt 1.14 der sogenannten Sendekriterien verstoßen. Doch es ging nicht um die Sendung als solche, sondern die hierin geäußerte Kritik an den Zuständen im Programmrat. Manche Majestäten mögen es nicht, wenn sie als Kaiser nackt herumlaufen. Es liegt nun am Vorstand des Trägervereins, dem Programmrat zu verdeutlichen, daß selbige Sendekriterien keine Handhabe zur Verteilung willkürlicher Sendeverbote sind.


Inhaltsverzeichnis


Einhegende Zensur 

Jingle Alltag und Geschichte

Nichtkommerzielle Medien haben es in einer Welt, die von Pressefreiheit redet, nicht leicht. Denn Pressefreiheit ist an Geldbesitz und Gewinnerwartung gebunden, weil nur so die Gewähr zu erhalten ist, daß selbige Medien das lustvolle Spiel mit der Macht der herrschenden Klasse beachten. Skandale aufzudecken ist in Grenzen erlaubt, alles jedoch, was sich nicht kontrollieren läßt, ist suspekt und bedarf der christ­demokratisch und sozial­demokratisch eingehegten Vorratsdaten­speicherung. Die Vorratsdaten­speicherung ist eine Zensurmaßnahme und nichts weiter. Alles Gerede darum, weshalb sie so wichtig wäre und was damit aufgedeckt werden kann, ist Lüge. Wobei – ich bin dafür, daß alle staatlichen Organe dieses Landes per Vorratsdaten­speicherung von den Bürgerinnen und Bürgern überwacht werden. Nur so läßt sich eine neue verfassungsschutz­geförderte Terrorzelle verhindern. Meint Walter Kuhl aus der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt.

 

Brennesseln und Polizeihofberichterstattung

Zensur geht jedoch auch anders, wie ein kleines, freies Radio in Nordrhein-Westfalen unlängst erfahren durfte. Radio Brennessel, eine Arbeitsgruppe des Dortmunder Sozialforums, sendet seit acht Jahren regelmäßig auf einem Sendeplatz des dortigen Bürgerfunks. Dieser Bürgerfunk ist ohnehin eine mehrfach zurechtgestutzte Witznummer des NRW-Medienrechts, aber der neueste Vorgang schränkt auch diesen Minimalstzugang zu medialer Aufmerksamkeit weiter ein. Das zugrunde liegende Konstrukt funktioniert so: kommerzielle Lokalradios müssen in Nordrhein-Westfalen ein Feigenblatt von zwei Stunden in den Zeiten, in denen sich keine Werbung verkaufen läßt, also am besten im Abendprogramm, dem sogenannten Bürgerfunk zur Verfügung stellen. Anders als in Hessen, wo nichtkommerzielle Lokalradios finanziell gefördert werden, dürfen die Bürger­funkerinnen sehen, wie sie ihr Equipment bezahlen. Und so entstehen eben Brennesseln.

Für den 1. März [2012] nun reichte Radio Brennessel beim zuständigen Kommerzfunker seine Sendung ein, die jedoch abgelehnt wurde. Angeblich dürfe eine Radioinitiative den hochtrabenden Namen Radio nicht benutzen, obwohl selbiger ebenso wenig geschützt ist wie die Berufs­bezeichnung Journalist. Dann habe sich Radio Brennessel erdreistet zu sagen, es sei der erste Donnerstag und es sei 21 Uhr 04, obwohl dies der reguläre Ausstrahltermin ist. Das Absurde wird jedoch verständlich, wenn wir den Inhalt der Sendung nehmen. Einem Beitrag über das Dortmunder Arbeitslosen­zentrum folgte die Aufzeichnung eines Vortrags über die verfassungs­geschützte Neonazi­mördertruppe. Derartigen Klartext mag kein Kommerzfunk. Das würde ja an die Grundlagen kapitalistischer Herrschaft gehen.

Aber vermutlich gibt es noch einen ganz banalen Grund für diesen Akt der Zensur. In der Sendung zuvor hatte Radio Brennessel einen Zeitungsartikel der Ruhr Nachrichten über das, was die dortige Journaille für Linksextremismus hält, ausgiebig kritisiert. Diese Ruhr Nachrichten gehören zum selben Medienkonzern wie Radio 91,2, das nun die Ausstrahlung einer weiteren Ausgabe von Radio Brennessel verweigert hat. Wenn wir über Zensur reden, dann sollten wir nicht unbedingt nur an Iran, Syrien, China, Saudi-Arabien oder Israel denken, Zensur findet auch hierzulande dort statt, wo unliebsame Meinungen nicht vorkommen sollen.

Andere Wege bestreitet der Offene Kanal in Lübeck.

Am 31. März [2012] ist für die Hansestadt an der Ostsee ein Naziaufmarsch geplant. Dagegen richten sich vielfältige geplante Proteste. Eine lokale Freie Radioinitiative hatte hierzu bei der zuständigen Medienanstalt Schleswig-Holstein Sendezeit für den Offenen Kanal in Lübeck angemeldet. Erstaunt erfuhren sie, daß sie die Hälfte der Sendezeit an zwei Polizisten abzutreten hätten, die ihrerseits ganz privat über die Aktivitäten ihrer uniformierten Kolleginnen und Kollegen berichten wollten. Nun ist es in der Regel so, daß Naziaufmärsche von der Polizei geschützt und nicht behindert werden; und es ist gewiß so, daß die geplante Polizeibericht­erstattung dieses Konzept auch nicht in Frage stellen wird. Aber vollkommen neu in der bundesdeutschen Medien­landschaft ist es, daß die Polizei als staatliches Organ ihre eigene Berichterstattung in einem Offenen Kanal zum Besten geben darf. So etwas könnte ich mir in einem Polizeistaat vorstellen, aber nicht dort, wo der staatliche Einfluß auf die Medien gering gehalten werden soll.

Diese Posse hat eine interessante Vorgeschichte. Schon im Januar 2005 sollte ein Naziaufmarsch, diesmal in Kiel, stattfinden und auch damals war eine Livebericht­erstattung der Freien Radioinitiative geplant. Auch damals intervenierte die Polizei und sorgte dafür, daß die Landes­medienanstalt die Schlösser zu den Räumen des Offenen Kanals in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auswechseln ließ. Die Redaktion stand am nächsten Morgen vor verschlossenen Türen, die Berichterstattung konnte nicht stattfinden. Im März vergangenen Jahres, diesmal wieder in Lübeck, intervenierte die Polizei beim dortigen Offenen Kanal und forderte eine Änderung der laufenden Berichterstattung. Es sei eine falsche Zahl der im Einsatz befindlichen Wasserwerfer genannt worden. Eine Auskunft darüber, wie viele es denn tatsächlich seien, verweigerte der Polizeisprecher jedoch. Statt dessen wurde auf zwei Bericht­erstatterinnen der Freien Radioinitiative eine CS-Reizgasgranate abgeschossen.

Pressefreiheit in Deutschland, sozusagen ein vorfrühlingshaftes Wintermärchen.

 

Ein variatistischer Wokaborat

Am Freitag, den 16. März [2012], konnte ich auf den wunderlichen Wellen von „Radio Darmstadt“ einer Internetvorlesung lauschen. Aurel Jahn, der Vorleser, vertrat im Frühabend­programm seine Kollegin Petra Schlesinger im KultTourKalender. Je länger ich zuhörte, desto häufiger verdrehte ich die Augen, und so beschloß ich, diese ganz besondere Notsendung des Aurel Jahn hier an dieser Stelle noch einmal öffentlich vorzuführen, zumal mit dieser Sendung weder Persönlichkeits- noch Urheberrechte verbunden sind. Obwohl, so ganz stimmt das ja nicht. Das Urheberrecht setzt eine eigene schöpferische Leistung voraus. Egal, wie bescheuert ein Text auch sein mag, wenn er eine bestimmte schöpferische Höhe, die sogenannte Werkhöhe, erreicht hat, dann steht der Autorin und dem Autor nämlich tatsächlich ein gesetzlicher Leistungsschutz zu. Und bei der nun folgenden Performance komme ich nicht umhin, eine gewisse schöpferische Höhe anzuerkennen, wenn auch in einem Sinne, an die das Urheberrecht nie gedacht hat.

Um Aurel Jahns Wortwitz überhaupt verstehen zu können, ist es förderlich, den zugrunde liegenden Text vor der Nase zu haben. Nur so erschließt sich die skurrile Dissonanz zwischen dem, was uns der Text sagen wollte, und dem, was Aurel Jahn sich dort zusammen­gestümpert hat. Doch ich nehme das Ergebnis schon vorweg. Hören wir doch einfach in den Beginn seiner Notsendung hinein. Nach dem Eröffnungs­jingle sagt uns Aurel nämlich:

Heute ömmm ja will ich mal mich ein bißchen über die Zeit retten.

Allein dieser Satz könnte zu einem ausgiebigen und podcast­füllenden Gedankenflug einladen, denn er sagt im Grunde genommen schon alles über die Motivation des Künstlers. Er ist nicht vorbereitet. Er fährt Notprogramm. Er weiß nichts zu sagen. Er mogelt sich durch. Und er sagt seinen Hörerinnen und Hörern, obwohl: Hörerinnen kommen bei ihm ja nicht vor, also, er sagt seinen Hörern, daß sie ihm grad am Arsch vorbeigehen. Warum spielt er dann nicht einfach Musik? Das macht man und frau doch auch sonst bei „Radio Darmstadt“, wenn die Redakteure und Moderatorinnen zwar ihre Sendung füllen müssen, aber nichts außer strubbelig-launischen Worthülsen zu sagen haben.

Alsdann eiert er ein wenig herum, ob er nun „einen sehr gut gestalteten Veranstaltungs­hinweis“ vorführen soll, der sich als banales und von seiner Seite aus auch schlecht recherchiertes Telefoninterview mit einer Krimiautorin entpuppt. Das erspare ich euch, weil die Highlights ohnehin erst später kommen. Anzumerken ist hier, daß er nicht nur keine Ahnung von der Krimiautorin und ihrem Lebenswerk hat, sondern diese Ahnungslosigkeit auch noch vor sich herträgt [1]. An dieser Stelle habe ich mich gefragt, ob Ahnungslosigkeit eigentlich den programmlichen Charme eines nichtkommerziellen Lokalradios ausmacht. Jedenfalls: der „sehr gut gestaltete Veranstaltungs­hinweis“ war von biederer Qualität; das kann selbst Aurel besser. Wenn dies die Meßlatte für „gute Beiträge“ ist, dann möchte ich die schlechten lieber nicht hören.

Mit diesem vorproduzierten Telefonat und der nachfolgenden Musik hat er sich schon einmal über ein Drittel seines Notprogramms gerettet. Es folgen nun zwei Veranstaltungs­hinweise zum Schloßkeller im Format Eins Dreißig, weshalb ich diese Sequenz, weil sie geradezu programmatisch-paradigmatisch ist, vollständig wiedergebe.

Schrill und laut und Pussy Jungle

Dieser Veranstaltungshinweis kann mit nebenstehendem Player angehört werden. Es empfiehlt sich, das Original [Schrill + laut] [Pussy Jungle] zum Mitlesen in einem eigenen Fenster zu öffnen, solange es auf der Webseite des Schloßkellers noch vorrätig ist.

Das ist nicht nur „sozusagen“ im Schloßkeller, sondern tatsächlich dort. Mit Ausnahme dieser halbgaren Schlußbemerkung wurde der gerade gehörte Text schlicht und einfach eins-zu-eins aus einer Internetvorlage abgelesen, Zeile für Zeile, beziehungsweise das, was Aurel daraus macht. Dabei lernt es jede Anfängerin, sollte es zumindest, daß sich das Radio dadurch auszeichnet, daß fremde Texte, die für das Lesen geschrieben wurden, zum Vorlesen nicht geeignet sind. Sie sind nicht funkisch. Das Zauberwort lautet: „Schreiben fürs Hören“. Sollte Aurel Jahn in seinen mehr als 15 Jahren radebrechenden Radarismus auch schon einmal von gehört haben.

Erst recht sinnlos ist es, jede Zwischen­überschrift mit vorzulesen, weil hierdurch ein unzusammen­hängender Wortwust entsteht, der nur durch das Mitlesen zu entknäueln ist; und das geht am Radiogerät nun einmal schlecht. Wenn von „guter Musik“ die Rede ist, dann behauptet das die Promoabteilung des Schloßkellers; weshalb Aurel Jahn diese Wertung – genauer: diese Werbung – ungeprüft übernimmt, weiß nur er allein. Der „Phönix aus der Asche“ mit seinem fulminanten und nicht fundamentalen Neustart ist laut vorliegendem Text übrigens jeden Monat zu hören und nicht – wie beim Vorlesekalauer – einmal im Jahr. Aurels Versuche, die Namen auftretender Künstlerinnen und Künstler wiederzugeben, sind eine Farce, und der letzte Satz ist derart sinnlos, daß ich ihn noch einmal wiederhole.

… bereits auf Spuren wie Lebs and Basswerk ist.

Habt ihr das verstanden? Ich auch nicht. Im Originaltext steht: „Kein Wunder also, dass er damit bereits Spuren auf Labels wie Basswerk, Pathfinder oder Square One hinterlassen hat.“ Das ergibt einen Sinn, auch wenn er nicht wirklich wichtig ist. Doch es zeigt uns, daß Aurel a) nicht vorlesen kann, b) sich irgendwelchen Quatsch ausdenkt, wenn er nicht weiter weiß, und c) besser nie wieder vorlesen sollte.

Die Frage bleibt: weshalb liest er uns etwas vor, das wir selbst – sogar mit viel besserem Verständnis des Inhalts – im Internet ablesen könnten? Die Antwort ist leicht. Er hat uns nichts zu sagen, nichts Eigenes jedenfalls. Er muß die Zeit totschlagen, sich über die Zeit retten. Beliebige Worte brechen deshalb als Füllsel aus ihm heraus, nur um das Grauen der Stille im Äther nicht ertragen zu müssen. Einen tieferen Grund, weshalb „Radio Darmstadt“ das Internet abliest, kann ich nicht erkennen. Der Sender degeneriert zum bloßen Verlautbarungs­organ semikommerzieller kultureller Veranstalter. Würden wir diesen Quark nicht hören, würde uns nichts fehlen. Und für solch einen Blödsinn schmeißt die hessische Landesmedienanstalt jährlich mehr als 70.000 Euro an Fördermitteln zum Fenster heraus!

Damit wir uns recht verstehen: mit Ausnahme des „sehr gut gestalteten Veranstaltungs­hinweises“ werden wir mit langweiliger, wenn auch erheiternder Buchstaben­salatsuppe abgespeist. Der ganze Witz dieses Pseudo-KultTourKalenders liegt im sklavischen Nachbeten fremder Texte. Nächstes Beispiel. Nach dem Schloßkeller gibt es Arthur Schnitzler, gefolgt von Zucker im Martinsviertel.

Stummer Schwimmer im Zuckersaft

Auch dieser Veranstaltungs­hinweis kann mit nebenstehendem Player angehört werden. Es empfiehlt sich, das Original zum Mitlesen in einem eigenen Fenster zu öffnen, solange es auf der Webseite des Veranstalters noch vorrätig ist.

Danke, das genügt erstmal. Natürlich züngelt Guy Dale nicht laut mit seiner Zunge, sondern er ist einfach nur ungezügelt laut. Viel bemerkenswerter finde ich jedoch, daß das Zucker sich auf einen „P“-Text [dort auf Seite 7] stützt und Aurel Jahn diese Beweih­räucherung in dritter Instanz nachplappert. Ist es von Belang, ob die Veranstaltung im „P“ zu den „Ausgehfavoriten“ gehört? Wäre es nicht vielmehr von Belang, weshalb der Sprachkomiker Aurel Jahn uns gerade diese und keine andere Veranstaltung empfiehlt? Nööö, wozu? Aber wozu benötigen wir dann noch „Radio Darmstadt“, wenn uns das „P“ alle notwendigen Informationen bereitstellt? Auch hier gilt: das können wir mit mehr Verständnis im Original lesen. Die nachfolgende Verhunzung weiterer Eigennamen erspare ich uns.

Weiter geht's! Diesmal in den Mollerkoller. Und da kriegt man oder frau wirklich den Koller. Und obacht! Wir lernen neue Wörter der deutschen Sprache kennen, denn Aurel Jahn ist ein variatistischer Wokaborat. Auflösung folgt.

Unkonventionell und einfallsreich

Auch dieser Veranstaltungs­hinweis kann mit nebenstehendem Player angehört werden. Es empfiehlt sich, das Original zum Mitlesen in einem eigenen Fenster zu öffnen, solange es auf der Webseite des Veranstalters noch vorrätig ist.

Wir man das Schlichte zu etwas Besonderem macht, das hören wir gerade. Und auch hier wird wieder ein anderes Medium referiert, weil unser Sprecher keine eigene Meinung hat. Dabei dachte ich, wir hören Darmstadts Vereinsfunk genau deswegen, weil er vielleicht eine eigene, vielleicht sogar unkonventionelle Meinung hat. Nööö, nix da, auch hier wird das „Darmstädter Echo“ einfach neu aufgebrüht. Und ich dachte, das macht eher die „Frankfurter Rundschau“. Der nachfolgende fatalende Philosoph ist übrigens ein faltender, denn sonst wäre das mit dem Origami etwas schwierig.

Fatales Origami im Mollerkoller

Auch die Fortsetzung dieses Veranstaltungs­hinweises kann mit nebenstehendem Player angehört werden. Es empfiehlt sich, das Original zum Mitlesen in einem eigenen Fenster zu öffnen, solange es auf der Webseite des Veranstalters noch vorrätig ist.

Wie ich schon sagte, Aurel Jahn ist ein variatistischer Wokaborat, auch wenn in der Textvorlage der Wortakrobat variantenreich ist. Nach so viel Stuß hörten wir vor anderthalb Wochen erst einmal wieder etwas Plätschermusik, bevor er sich an Artur Rümmler machte. Das lasse ich aus und komme zur Schlußperformance mit Jamie Lawson. Wir haben es nun ja auch fast geschafft, Aurel Jahn dabei zuzuhören, wie er sich über die Zeit rettet.

Kleine Kalenderrefom

Bevor es zum eigentlichen Veranstaltungs­hinweis geht, kann mit nebenstehendem Player der vorsommerzeitliche Datumswechsel angehört werden.

Der 18. März ist nicht der „morgen“ des 16. März.

Jamie Lawson wird bezeichnet

Auch dieser Veranstaltungs­hinweis kann mit nebenstehendem Player angehört werden. Es empfiehlt sich, das Original zum Mitlesen in einem eigenen Fenster zu öffnen, solange es auf der Webseite des Partyamts noch vorrätig ist.

Oha! Die Presse. Und schon wird der Schmu einfach abgeschmust.

Klick, klick, klick

Auch die Fortsetzung dieses Veranstaltungs­hinweises kann mit nebenstehendem Player angehört werden. Es empfiehlt sich weiterhin, das Original zum Mitlesen in einem eigenen Fenster zu öffnen, solange es auf der Webseite des Partyamts noch vorrätig ist.

Also, wo der Text doch hier im Internet steht, ist es sehr einfach nachzulesen, daß es nicht 42.000, sondern 420.000 Klicks sind. Das ist zwar vollkommen irrelevant, aber ich hätte da mal eine Frage an den Ingenieur Aurel Jahn. Hat man dir in deinem Studium nicht vermittelt, daß es ganz nützlich sein kann, die richtige Zehnerpotenz zur Hand zu haben, wenn es darum geht, die Wunderwelt des Kapitals zu berechnen? Oder sind nicht nur die Buchstaben Schall und Rauch, sondern auch die Zahlen reinste Willkür? Wozu sie dann nachbeten?

Wenn Künstler zu Kindern werden

Auch die Fortsetzung dieses Veranstaltungs­hinweises kann mit nebenstehendem Player angehört werden. Es empfiehlt sich weiterhin, das Original zum Mitlesen in einem eigenen Fenster zu öffnen, solange es auf der Webseite des Partyamts noch vorrätig ist.

Jaja, die Unterstützung für das Kind Katie Melua oder das andere große Kind Van Morrison. Mann, Mann, Mann! Künstler, Aurel, nicht Kinder. Und damit gebe ich zurück ins Flunkerhaus.

Wird derlei Bullshit bei „Radio Darmstadt“ eigentlich intern thematisiert? Wird Aurel Jahn gar einmal zu einer Nachschulung für angehende Moderatoren geschickt? Denn diese unterirdische Performance des Vorstands­mitglieds Aurel Jahn war und ist beileibe kein Einzelfall. Vielmehr ist das Herum­gestolpere durch fremde Satzkonstrukte seit Jahren ein Markenzeichen seines Sendungs­konzeptes. Und das ist schon verwunderlich, gibt es doch seit rund anderthalb Jahren ein zartes Pfänzlein im Sendehaus, das zumindest vorgibt, einen Beitrag zur Entwicklung von mehr Qualität in Darmstadts Lokalradio zu leisten.

 

Die Qualitäten einer echten Persönlichkeits­entwicklung

Ende 2010 traf sich ein kleines verschworenes Häuflein, der sogenannte Programmrat, in den Katakomben des neuen Hinterhofstudios von „Radio Darmstadt“, um dort Fragen zur Verbesserung der Programmqualität zu erörtern. Das Ergebnis war eine unstrukturierte Powerpoint-Präsentation, der außer einer Ansammlung von vielerlei Wunschdenken kein konkreter Handlungsfaden zu entnehmen war. Seither jedenfalls gibt es mehr oder weniger regelmäßig einen Tagesordnungs­punkt auf den monatlichen Programmrats­sitzungen, auf dem erzählt wird, welche Redaktion gerade die Sendung einer anderen angehört hat oder – meistens – dann eben doch nicht. So warte ich bis heute auf den im Programmrats­protokoll vom vergangenen Oktober versprochenen sogenannten „Qualicheck“ meines Podcasts, also den Podcast, den ihr gerade hört, um mir ein ganz eigenes Bild von der Qualität der Qualichecks machen zu können.

Aufgrund des gegen mich ausgesprochenen Hausverbots werde ich als gewählter Sprecher meiner Redaktion Alltag und Geschichte lizenzwidrig daran gehindert, an den Sitzungen des verschworenen Häufleins teilzunehmen. Deshalb muß ich auf die Protokolle dieser Sitzungen zurückgreifen, um mir eine Ahnung davon zu verschaffen, was die erlauchten Damen und Herren denn wohl unter Programm- und Sendequalität verstehen mögen.

Das Programmratsprotokoll vom Februar 2011 verrät uns das Ergebnis der ersten Anhörproben. In jeweils drei Minuten sollten die angehörten Sendungen vorgestellt und bewertet werden. Daß in drei Minuten kaum eine differenzierte Darstellung möglich ist, versteht sich von selbst, entsprechend oberflächlich lesen sich dann auch die Aussagen wie: Gelungen und kurzweilig, Super-Technik oder auch technische Mängel, der Funke sprang nicht über, informativ, bildend, hochaktuell. Ein lustiger Kritikpunkt ist dann, wenn die Senderkennung nicht genügend verbreitet wird, wo uns doch das Mantra der 103 Komma 4 allenthalben durch die Ohren gepustet wird. Im Monat darauf geben alle Anwesenden brav ihre Statements ab, auf die Protokollierung hingegen wird verzichtet. Da frage ich mich, wie irgendeine Person aus den nicht protokollierten und damit auch nicht weitergegebenen Erkenntnissen etwas lernen soll, um die Qualität des Programms zu verbessern. Oder wurden nur Worthülsen ausgetauscht?

Im April vergangenen Jahres hörte die Unterhaltungs­redaktion das Radio Theater des ebenfalls von einem Hausverbot betroffenen Norbert Büchner ab. Hier zeigt sich das Unverständnis einer Redaktion, deren Lebenselixier das unreflektierte Tralala ist, recht deutlich. So heißt es dort, daß die Musik des „Radio Theaters“ für das Radio nicht so geeignet sei, weil sie stellenweise sehr leise sei und dann wieder laut und übersteuert. Überhaupt wurde eine mangelhafte Pegeldisziplin moniert. Nun ist Norbert Büchner nicht irgendein Spielkind, dem die funkischen Grundlagen des Radiomachens vollkommen fremd sind.

Norbert Büchner ist einer der Gründer dieses Radios und er ist derjenige, der wohl mit dem meisten Sachverstand die internen Ausbildungs­standards gesetzt hat, Standards, die dieses Radio seit seinem Herauswurf vor über fünf Jahren vermissen läßt. Da kommt dann so ein Unterhaltungs­redakteur an und pißt ein bißchen herum. Wenn man natürlich eine Redaktion vertritt, in der lautes Humpta Humpta Humpta Humpta Humpta Humpta [2] die Gedankenwelt beherrscht, dann sind leise, ausdifferenzierte, um nicht zu sagen: dynamische Passagen etwas vollkommen Weltfremdes. Die angesprochene Übersteuerung hingegen ist der Sendetechnik anzulasten, die auf Humpta Humpta eingestellt ist und nicht auf differenzierten Klang.

Wir können hier schon erahnen, daß ein gewisses Maß an Ahnung über die funkischen Grundlagen des Radiomachens, also das, was man und frau auch die Radiotheorie nennen könnte, dem kleinen verschworenen Haufen doch recht fremd vorkommen müssen. Wer mit Kommerzfunk groß geworden ist und öffentlich-rechtliches Programm nur als Anbiederung an die Formatstandards der Privatsender kennt, kann schlechterdings kein eigenes Verständnis eines Radioprogramms entwickeln, welches die Standards etablierter Dummbeutelei sprengt. Deshalb klingt „Radio Darmstadt“ auch zuweilen wie der billige Klon von, sucht es euch aus, FFH, BOB, HR3 oder Schlimmerem. Vieles ist einfach nur geklaut, bis hin zur manirierten Moderation mit Näselformant und neckischem „ja?“.

Wundert es uns dann, wenn [im Mai 2011] ausgerechnet eine Sendung wie Hallo Darmstadt, die so nichtssagend wie heruntergebetete Charts daherkommt, gelobt wird, weil ihr Moderator durch seine ölglatte Stimme zur „Radio­persönlichkeit“ stilisiert wird? Als ich das gelesen habe, habe ich mich weggeworfen vor Lachen. Offenkundig weiß Persönlichkeits­expertin Hacer Yontar nicht, was eine Persönlichkeit ausmacht. Schminke und kopierte Stimm­artikulationen gehören jedenfalls nicht dazu, es sei denn, wir nehmen die entfremdete Kunstwelt kapitalistischer Waren und Images als die Wahrheit.

Im Juni 2011 darf eine Musikredakteurin eine Sendung meiner Redaktionskollegin Katharina Mann, auch Haus- und auch mal Sendeverbot, zerfleddern, belegt hierbei jedoch allenfalls ihre eigene Inkompetenz. So behauptet sie, der gute Beitrag habe eine kleine Technikschwäche, die auf Schnitt­schwierigkeiten schließen lässt, besessen. Die Technikschwäche lag jedoch weder bei Katharina Mann noch in der als Podcast abgelieferten Produktion, sondern in der Sendetechnik, konkret an den CD-Spielern von „Radio Darmstadt“, die jahrelang willkürlich die von Katharina oder mir eingereichten Podcasts zerstückelten. Aber solch ein Blödsinn wird dann im Programmrat kolportiert, weil Recherche nicht zu den Stärken dieses verschworenen Häufleins gehört.

Ich könnte jetzt ewig mit dieser Witznummer fortfahren. Tatsächlich scheint der Qualitätselan etwas eingeschlafen zu sein. So heißt es beispielsweise im Dezember 2011, allein die Redaktion Mohnrot habe ihr Hausaufgaben erledigt. Im Monat darauf wird die Hilflosigkeit offenkundig, wenn als ernsthafte Idee eingebracht wird, daß jede Redaktion, die eine Sendung einer anderen Redaktion anhört, einen Gummipunkt erhält: „Wer am Ende des Jahres die meisten Punkte hat, gewinnt etwas.“ Vermutlich eine Tüte Gummibärchen, die sich gewiß bei irgendeiner Promo-Veranstaltung abgreifen läßt, damit sie die klamme Kasse des Trägervereins von „Radio Darmstadt“ nicht über Gebühr belastet. Diese Methoden aus der Kindergarten­pädagogik der 80er Jahre sind allen Ernstes Grundlage des Qualitäts­programms eines Senders, der sich offensichtlich nicht darüber Rechenschaft abzulegen in der Lage ist, weshalb er eigentlich on air geht.

Nun habe ich ja leicht reden und kann meinen Sarkasmus bei derart viel Dumpfbackerei auch trefflich ausleben. Ich weiß schon, weshalb ich von „Spielkindern“ rede, die dieses Lokalradio in der Hand haben. Aber habe ich auch eigene Vorstellungen, was ein besseres, tatsächlich anderes Programm als den Mainstream, den „Radio Darmstadt“ verkörpert, ausmacht? In der Tat. Schon vor sechs Jahren habe ich meine diesbezüglichen Gedanken auf meiner Webseite zusammengefaßt und lege sie an dieser Stelle noch einmal auszugsweise vor. Wir können uns dann anschließend gemeinsam überlegen, weshalb „Radio Darmstadt“ weder willens noch in der Lage ist, diesen Katalog umzusetzen. Meine Herangehensweise orientiert sich nicht an der Wiedergabe der richtigen Sendefrequenzen oder der Auslobung von Gummibärchen, sondern an der Sinnfrage. Was tue ich hier, für wen? Was habe ich zu sagen? Habe ich überhaupt etwas zu sagen oder will ich nur Musik abdudeln und betrachte das Wort an sich schon als störend?

Ich habe die Kriterien, die ich für relevant halte, ganz einfach die Goldenen Regeln für nichtkommerzielles Lokalradio genannt.

 

Eine andere, nonkonformistische Klangfarbe

Teil 1

Teil 2

Würde sich der Programmrat mit diesem Anforderungs­katalog auseinandersetzen, müßte er wohl sich selbst in Frage stellen. Das tut er dann lieber doch nicht. Folgerichtig klingt „Radio Darmstadt“ wie es klingt, selten gut, meist durchschnittlich, häufig zum Abschalten. Aurel Jahns wortakrobatische Performance ist gewiß kein notwendiges Kennzeichen nichtkommerzieller Unprofessio­nalität, vielmehr ist sie Ausdruck einer Geisteshaltung, bei der Hörerinnen und Hörer dem Starmoderator letztlich egal sind. So ist das bei anderen Radioprogrammen auch, nur zählt hier eines: die größt­mögliche Einschaltquote, nämlich dann, wenn die Werbung plärrt.

Insofern lassen sich die Goldenen Regeln durchaus auch auf das durchkapitalisierte Formatradio übertragen. Dort angewendet, würde der absurde Charakter der dort abgespulten Dumpf­backigkeiten noch deutlicher hervortreten.

Und damit komme ich zu etwas vollkommen Anderem.

 

Römer auf Schatzsuche

Besprechung von : Frank Ausbüttel, Ulrich Krebs und Gregor Maier (Hg.) – Die Römer im Rhein-Main-Gebiet, Konrad Theiss Verlag 2011, 224 Seiten, € 24,95

Daß die Römer sich einige Zeitlang auch im Gebiet zwischen Nahe und Nidda, Odenwald und Lahn herumgetrieben haben, findet immer wieder dann den Weg ins Bewußtsein der hektischen Betriebsamkeit, wenn beim Bau einer Ferntrasse ein Gutshof oder beim Ausschachten eines Parkhauses Scherben oder gar eine Statue gefunden werden. Doch abseits einzelner Findlinge fehlt es an einer systematischen und vor allem auf den Stand der Forschung aktualisierten Darstellung römischer Okkupation und römischen Lebens in der heutigen Metropolregion.

Diese Lücke haben eine Reihe von Autorinnen und Autoren mit dem im Theiss Verlag herausgebrachten Aufsatzband „Die Römer im Rhein-Main-Gebiet“ geschlossen. Es handelt sich hierbei weniger um eine Auflistung aller Fundorte, auch wenn dies teilweise vorzufinden ist. Der Schwerpunkt liegt in der Aufarbeitung des Fundmaterials aus der differenzierten Sichtweise mehrerer Fachdisziplinen, woraus sich ein durchaus schlüssiges, wenn auch nicht einheitliches Bild herausschält.

Buchcover Die Römer im Rhein-Main-GebietEs ist ja nicht so, daß die Römer uns mit schriftlichen Nachrichten über die Organisierung ihrer Herrschaft östlich des Rheins überschüttet hätten. Hier sind weiterhin große Lücken anzutreffen, und sei es die Antwort auf die Frage nach dem Namen des Hauptortes der Civitas Auderiensium, dem heutigen Dieburg. Nichtsdestotrotz lassen sich einige Aussagen treffen, die so vor vielleicht zwei, drei Jahrzehnten eher undenkbar schienen. So bemühten sich die Römer schon zu Augustus' Zeiten um die planmäßige Erschließung des Mainufers und der Wetterau und sie gründeten hierzu eine Stadt bei Waldgirmes, wobei der Begriff „Stadt“ vielleicht ein wenig hochtrabend erscheint.

Ging man oder frau bislang davon aus, daß sich die Römer nach der Niederlage des Varus erst einmal vollständig zurückzogen, so sieht es nun eher so aus, als wäre Waldgirmes erst in den ersten Jahren der Herrschaft des Tiberius aufgegeben worden. Die Niederlage in der Varusschlacht war demnach nicht das erschütternde epochale Ereignis, zu dem es hochstilisiert wurde.

Zwischen Rhein und Odenwald existierte ein weiteres Flußsystem, nämlich die Neckarschlingen des Altneckar, die sich ursprünglich erst kurz vor Mainz in den Rhein ergossen. Diese Neckarschlingen lassen sich gut auf Karten und Luftbildern nachvollziehen und waren schon im römischer Zeit äußerst fruchtbar. Dementsprechend war hier eine Siedlungshäufung anzutreffen, während die eher sandige Ebene zwischen Rhein und Altneckar fast unbewohnt scheint. Den Römern mit ihren flachen Treidelbooten kam dieser zusätzliche ehemalige Flußlauf gut zupaß und sie nutzten ihn womöglich auch für den Transport der im Odenwald abgebrochenen Steine für ihre Bauten in städtischen Zentren wie Mainz oder Trier. Vermutlich war auch das Legionslager in Groß-Gerau per Schiff erreichbar, denn einer der heutigen Abflüsse in den Rhein dürfte auf einen römischen Kanal zurückzuführen sein.

Doch wer lebte hier? Römer, Keltinnen, Germanen? Das kommt darauf an, wobei es ohnehin schwierig sein dürfte, ethnische Cluster zu finden. Die wenigen archäologischen Spuren, die sich beispielsweise im Kastellvicus bei Groß-Gerau haben finden lassen, lassen auf eine Mischbevölkerung schließen, die aus dem gallischen, dem germanischen und auch dem römischen Raum stammen. Hier ist weniger die exakte Identifikation von Interesse, vielmehr die differenzierte Herleitung von Vermutungen und Begründungen.

Die Stärke dieses Bandes, der aus einer Tagung im April vergangenen Jahres hervorgegangen ist, liegt ohnehin im Zusammenfügen von Facetten, von Teilergebnissen, die mosaikartig zusammengesetzt jedoch ein in sich schlüssiges Bild vermitteln. Selbst­verständlich sind sich die Autorinnen und Autoren im Detail nicht immer einig, aber dies ist keine Schwäche, sondern eine Stärke, denn es verweist darauf, daß vieles in der Forschung gerade im Fluß ist und man und frau bereit ist, sich neuen Fragestellungen mit unerwarteten Ergebnissen zu öffnen. Ungeschickter finde ich es da schon, wenn die im Original farbigen Karten schwarz-weiß wiedergegeben werden, was dazu führt, daß im Wust von Grautönen die mit der Karte verfolgte Aussage versackt, etwa auf Seite 195.

Das Buch „Die Römer im Rhein-Main-Gebiet“ richtet sich nicht unbedingt an ein Fachpublikum, denn die zwölf Fachaufsätze sind auch für allgemein an römischen Hinter­lassenschaften im Rhein-Main-Gebiet Interessierte gut lesbar. Das im Theiss Verlag herausgebrachte Buch umfaßt 224 Seiten und kostet 24 Euro 95.

 

Der Stolz der Blumenkinder

Besprechung von : Ralf Panzer – SV Darmstadt 98, Agon Sportverlag 2011, 340 Seiten, € 24,90

Auf den lustigen Vorlesewellen von „Radio Darmstadt“ wird auch gerne einmal der eine oder andere Hype gefeiert. Insbesondere die Mauerblümchen vom Böllenfalltor erfreuen sich eines gewissen Zuspruchs. Ich muß das nicht nachempfinden können. Für mich hat Fußball zum einen etwas mit handfester Treterei zu tun, zum anderen handelt es sich um ein Aufputsch- und Beruhigungsmittel für die frustrierten Massen, also die Spiele zum Brot. Während es durchaus reizvoll wäre, das Massen­phänomen Fußball als wesentlichen Bestandteil der kapitalistischen Konsumindustrie zu betrachten, insbesondere wenn wir versuchen herauszufinden, warum dieser Fußball zumindest in Deutschland nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg metaphorisch wie eine Bombe einschlug, ist es andererseits auch müßig. Das Phänomen ist da und lädt zum bierseligen Grölen auf den Rängen ein.

Dabei, und ich deutete es soeben an, ist dieses Phänomen Fußball ein relativ modernes. Etwa zeitgleich mit der Jugend­stilbewegung etablierte sich um die Jahrhundertwende ein bürgerliches Ballgeschiebe mit recht rudimentären Regeln. Die „Darmstädter Zeitung“ beispielsweise nahm von diesem Phänomen nur zögernd Kenntnis, galten doch Radrennen, Pferderennen, Kanuregatten, Tennisspiele, ja sogar erste Motorsport­veranstaltungen als angemessene Zeitvertreibe des Bürgertums.

Buchcover SV Darmstadt 98Zwar können wir in versteckten Zeilen von einem Darmstädter Fußball-Club lesen, der auf Gegner in Frankfurt, Mannheim, Bingen oder Karlsruhe traf, doch bezeichnete es das damalige Regierungsblatt als ein „wenig interessantes Spiel“. Dies sollte sich ändern, spätestens dann, als das Bürgertum begriffen hatte, wie Fußball die Massen emotional vereinnahmt und zähmt. Bis heute. Lieber auf der Fanmeile die eigene Verarschung bejubeln als gegen himmelschreiende Zustände hier und anderswo zu demonstrieren.

Etwa in dieser Zeit liegen die Wurzeln der Lilien. Statistisches aus dieser grauen Vergangenheit ist rar, weshalb sich der Statistiker der fußballerischen Vergangenheit in Diensten des SV 98, Ralf Panzer, auch auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg konzentriert. Mehr noch, er hat in allerlei Gesprächen mit ehemaligen Spielern, Trainern und anderen Verantwortlichen genügend Anekdoten gesammelt, um ein Buch über besagten „SV Darmstadt 98“ zu schreiben. Nun habe ich mir nie ein Spiel dieses Vereins angeschaut und werde es auch gewiß nie tun. Derlei Provinzialität ist meine Sache nicht. Dabei muß ich den Lilienfans eines lassen: sie hecheln nicht hinter irgendeinem Trend oder einer errungenen Meisterschaft her, sie verbrüdern sich mit Durchschnitts­ware und sie gehen durch alle Höhen und Tiefen seufzend und leidend mit, selbst dann, wenn der Verein vor der selbst­verschuldeten Pleite steht. Daß er es irgendwie in die dritte Liga geschafft hat, verwundert mich doch sehr. Da gehört er nicht hin.

Es handelt sich bei den 340 Seiten über Darmstadts Fußballstolz um ein durchaus flott zu lesendes, mitunter auch recht amüsantes Buch, auf jeden Fall eines, an dem Lilienfans ihre Freude haben dürften. Und wenn nicht ab und an ein satztechnischer Fehler auftauchen würde oder [auf Seite 47] ein Harakiri, der eigentlich ein Seppuku ist, dann könnte, nein, dann müßte ich dieses Lilienbuch als rundweg gelungen bezeichnen. Statistische Details, gar Tabellen finden wir hingegen nicht, und das ist durchaus gewollt und sinnvoll so. Denn die Reisen durch die Zeit versprechen Kurzweil genug, ohne daß der Blick für das große Ganze verloren geht. Und erzählen kann dieser Ralf Panzer ohnehin, keine Frage. Sein Buch über den SV Darmstadt 98 ist im Agon Sportverlag zum Preis von 24 Euro 90 erschienen.

 

Demokratieüberschuß im Bananenformat

In den zwei Wochen seit meinem letzten Podcast ist so einiges geschehen, was vielleicht doch der kurzen Bemerkung bedarf. Zwar ist der kapitalistische Wahnsinn ohnehin unerträglich, aber mitunter bietet sich doch die eine oder andere Meldung zum Nachdenken über die Zustände dieser Welt an.

So forderten vier Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft von ihrer Bundesregierung eine entschlossenere Reformpolitik und mehr Tempo bei der Energiewende. Schließlich wollen sie etwas verdienen daran. Der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, ein gewisser Hans-Peter Keitel, meinte dann auch unverblümt: „Wir Unternehmer haben uns mehr von dieser Regierung erwartet.“ Tja, blöd gelaufen.

Am 14. März bemerkte der Zukunftswissenschaftler Horst Opaschowski bei einer Mitgliederversammlung lokaler Unternehmerverbände, daß Leistung und Lebensgenuß keine Gegensätze mehr seien. Waren sie doch nie. Die einen leisten und malochen und die anderen genießen und spielen Kasino. Aber davon erzählt uns das Echo dann nichts. Aber Bauchpinseln mit dem Lebensgefühl erleichtert das Gewissen derer, die nicht leisten, sondern absahnen, ungemein. Mentales Wellness eben.

Meine Lieblingsmeldung ist schon etwas älter, aber sie benötigte einige Tage, um ans Licht der Öffentlichkeit zu gelangen. Die Europäische Union hat so eine Art Sauberkeitstruppe, das sogenannte Legal Affairs Committee. Dieses Komitee ist für die Integrität und das Vertrauen in die Gesetzlichkeit in Europa zuständig. Am 1. März stimmte es darüber ab, ob das Urheberrecht verschärft werden müsse. Laut Protokoll votierten 14 dafür, 12 dagegen. Und wo liegt das Problem? Das Komitee hat nur 24 Mitglieder und eins davon war abwesend. Da 14 plus 12 26 ergibt, haben wir einen Demokratieüberschuß von 113%. Solcherlei geschieht normalerweise in plump gefälschten Wahlen in obskuren Banenen­republiken, aber jetzt wissen wir ja, was die Europäische Union auszeichnet. Bananen.

Die DAK hatte kürzlich eine Studie herausgebracht, wonach das Rauchverbot in Gaststätten einen deutlichen Rückgang an Herzerkrankungen hervorgebracht habe. Alle plappern es nach, obwohl diese Studie methodisch fehlerhaft ist. Das können sogar diejenigen herausfinden, die keine Ahnung von statistischen Tricks haben. Denn solch ein Ergebnis läßt sich erst in einer Langzeitstudie herausfinden, weil das Nichtrauchen ja nicht plötzlich das Herz gesunden läßt. Die Altlasten bleiben jahrzehntelang wirksam.

Oh ja, der Messias ist gewählt worden. Hatte uns nicht Claudia Roth mit entzückter Stimme (war die auf Droge?) die Vorzüge dieses Pastors erklärt? Nun – in der Bundes­versammlung war man und frau da wohl anderer Meinung und verweigerte der Großen Koalition die Gefolgschaft. Immerhin mehr als einhundert Wahlfrauen und -männer hatten keinen Bock auf die Gauck-Scharade.

Der Bauverein errichtet 19 Sozialwohnungen, was vor laufenden Kameras gebührend gefeiert werden mußte. Wieviele ähnliche Wohnungen durch das Gentrifizierungs­projekt Oppenheimer Park zuvor zerstört werden mußten, verrät uns Darmstadts investigative Zeitung vorsichtshalber nicht.

Der Internationale Bund hat eine Marktlücke gefunden, mit der sich Geld verdienen läßt. Es gibt jetzt einen einheitlichen Qualifizierungspaß, in den Kinderhüten, schlecht bezahlter Minijob und Sprachkurse eingetragen werden. Und wozu das Ganze? Ein Blick auf das Stück Papier erhöhe das Selbstwertgefühl, wird uns gesagt. Wäre da nicht ein sozialversicherungs­pflichtiger Arbeitsplatz eine bessere Hilfe als diese Parkscheibe?

Und dann mal wieder der Schocker von der Drogenfront. Eine Neurobiologin aus Mannheim will herausgefunden haben, daß Cannabis der Einstieg in harte Drogen bedeute. Nun gibt es auch ein halbes Jahrhundert nach Einführung dieser Behauptung keine wissenschaftlich haltbare Studie, die das belegt, aber sie kann ja die Wahrheit auch nicht direkt aussprechen. Die ist so simpel, daß man und frau dafür keine Neurobiologin benötigt. Die Türöffner für harte Drogen lauten Sportverein, Jugendfreizeit und vor allem Heinerfest, Martinskerb, Bessunger Kerb, Eberstädter Kerb, Zwiebelmarkt und so weiter. Aber das zu behaupten, wäre ja auch geschäftsschädigend.

Ganz und gar nicht geschäftsschädigend ist, daß Frauen weiterhin weniger verdienen als Männer. Und das ist auch richtig so. Es zeigt die Wertschätzung all der Laien­schauspieler und -innen, die Frauen vorgaukeln, sie hätten die besondere Gabe, sich einzubringen zum Wohle der Gesellschaft. Will sagen: zum Wohle profitabler Ausbeutung. Wie bei den Schlecker-Frauen, die jetzt auf der Straße sitzen.

Wer animiert muslimische junge Männer dazu, aggressive Terroristen zu werden? Islamistische Haßprediger? Iwo! Es ist das FBI. Was dem Verfassungsschutz der NSU, ist dem FBI die kleine terroristische Selbstmordzelle.

 

Ein Aktionstag im März

Was bleibt noch zu sagen?

Am kommenden Samstag gibt es einen europaweiten Aktionstag gegen den Kapitalismus, unter anderem auch in Frankfurt. Die Demonstration beginnt dort am 31. März um 14 Uhr am Hauptbahnhof. Der zugehörige Demonstrations­aufruf formuliert als Ziel:

Wir wollen den Kapitalismus nicht retten, sondern überwinden. Wir widersetzen uns nationaler Interessenpolitik und nationalistischer Krisenideologie. Die Verteidigung bestehender sozialer Rechte ist wichtig, aber unsere Perspektive muss weiter sein. Wir müssen die fatalen Zwänge des Kapitalismus brechen. „Echte Demokratie“, wie sie in vielen Protesten gefordert wird, das geht nur ohne Kapitalismus, ohne Staat und ohne Nationalismus!

Und mit offenen Grenzen für alle, die am Reichtum Westeuropas teilhaben wollen, möchte ich hinzufügen. Ich vermisse in diesem Aufruf ein klares Bekenntnis gegen die patriarchale Zurichtung der konsumgeil, eventgeil und musikdumm gehaltenen Massen Westeuropas. Am Mikrofon war Walter Kuhl aus der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt.

 

ANMERKUNGEN
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»» [1]   Ich habe dieses Telefoninterview auch deshalb nicht eingespielt, weil es ermüdend lang geworden war, ganz abgesehen von Fragen des Urheberrechts, selbst wenn sie hier eher abstrus erscheinen mögen.

»» [2]   Besonders wirkungsvoll anzuhören mit vollaufgedröhnten Autoradio­lautsprechern, damit die Bässe auch so richtig wummern und die halbe Stadt dem Humpta Humpta Humpta nicht entfliehen kann.


Diese Seite wurde zuletzt am 25. Mai 2012 aktualisiert. Links auf andere Webseiten bedeuten keine Zustimmung zu den jeweiligen Inhalten, sondern sind rein informativer Natur. ©  Walter Kuhl 2001, 2012. Die Wiedergabe, auch auszugsweise, ist nur mit dem Einverständnis des Verfassers gestattet.

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