Sendung der Redaktion Alltag und Geschichte im Alltag und Geschichte Magazin.
Radio: Radio Darmstadt
Redaktion und Moderation: Walter Kuhl
Ausstrahlung am:
Mittwoch, 15. Oktober 2008, 20.00 bis 21.00 Uhr
Wiederholt:
Donnerstag, 16. Oktober 2008, 02.10 bis 03.10 Uhr
Donnerstag, 16. Oktober 2008, 11.00 bis 12.00 Uhr
Zusammenfassung:
Anmerkungen zum geschichtsverfälschenden Tenor des Films Der Baader Meinhof Komplex von Uli Edel, Bernd Eichinger und Stefan Aust. Anschließend Ausschnitte aus einer Podiumsdiskussion zum Film bei der Erstaufführung in Münster. Auch bei dieser Ausstrahlung hat der Sender Radio Darmstadt gepatzt. [mehr]
Jingle Alltag und Geschichte
Seit dem 25. September ist er in den Kinos – der Film Der Baader Meinhof Komplex. Rasant in der Schnittechnik werden dort elf Jahre deutscher Geschichte in etwas mehr als zwei Stunden durchgehechelt. Die Frage ist: kann ein solcher Film historische Authentizität beanspruchen? Betrachten wir die literarische Vorlage, nämlich das gleichnamige Buch von Stefan Aust, dann sind Vorbehalte angesagt. Schon das Buch bedient sich obskurer Quellen, die nicht nachprüfbar Behauptungen in die Welt setzen, die zumindest zweifelhaft sind. Wer den Film sieht, wird mit einer seltsam unpolitischen Sichtweise konfrontiert.
Die einen ballern einfach nur drauflos, während die anderen mit polizeilichen Mitteln versuchen, die Stadtguerilla einzufangen. Unterschlagen wird, wie viele Mitglieder der RAF sich widerstandslos haben festnehmen lassen, unterschlagen wird, wie viele Mitglieder aus den verschiedenen Stadtguerilla-Gruppen erschossen wurden, ohne die Waffe zu ziehen, unterschlagen wird, wie viele Unbeteiligte beim munteren Rasterfahnden getötet, verfolgt oder belästigt wurden.
Es wäre vieles über den unhistorischen Umgang mit der Geschichte der Roten Armee Fraktion zu sagen. Schon der Begriff Baader Meinhof Komplex bezieht sich auf den antiterroristischen Kampfbegriff der Baader Meinhof Bande. Der Begriff Bande sollte den politischen Gehalt der Auseinandersetzung unterdrücken. Ähnlich psychologisierend ist das Buch von Stefan Aust und der hiernach gedrehte Film von Bernd Eichinger und Uli Edel. Andreas Baader, der Dandy, der schnelle Autos liebt und den Macker heraushängt. Auch in der Baader-Biografie von Klaus Stern und Jörg Herrmann finden wir diese Darstellung. Doch schon in dieser Biografie wird deutlich, wie einseitig der Charakter Baader skizziert wird. Eine genaue Lektüre und eine noch genauere Quellenkritik würde ein anderes, nicht erwünschtes Bild hervorbringen. [1]
Ähnliches könnte über die Darstellung von Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin oder Brigitte Mohnhaupt gesagt werden. Das meiste ist Fiktion, auch wenn sie Wahrheitsgehalt beansprucht. Deshalb kann eine adäquate Besprechung dieses Films auch nur von denen geleistet werden, die sich mit der RAF und der Geschichte des Deutschen Herbstes auseinandergesetzt haben und die die Lücken im gezeigten Film kennen. Gerade die gezielt ausgeblendeten Lücken sind es, die ein ganz anders Bild der 70er Jahre zeichnen könnten. So bleibt eigentlich nur eine filmisch mehr oder weniger geglückte deutsche Fassung einer Bruckheimer-Seifenoper übrig.
Eine andere Art der Herangehensweise hätte im Bürgerfunk-Fenster des kommerziellen Lokalradios in Münster/Westfalen gesendet werden sollen. Der kommerzielle Betreiber des Senders lehnte die Ausstrahlung jedoch ab. Es handelt sich hierbei um die Aufzeichung einer Podiumsdiskussion aus Anlaß der Filmpremiere in Münster. Ich halte diese Sendung für geeignet, die Schwachstellen des Films Der Baader Meinhof Komplex zu benennen, und habe mich deshalb entschlossen, diese in Münster zensierte Sendung heute abend zur Ausstrahlung zu bringen. Am Mikrofon für die Redaktion Alltag und Geschichte ist Walter Kuhl von der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt.
Es folgte die für die Oktober-Ausgabe des News Magazins geplante Sendung mit Ausschnitten aus der Podiumsdiskussion, moderiert von Klaus Blödow.
Dort ist sowohl die An- und Abmoderation von Klaus Blödow nachzulesen wie auch der vorgetragene Text von Inge Viett.
Jingle Alltag und Geschichte
In der vergangenen Stunde hörtet ihr Ausschnitte einer Podiumsdiskussion zum Film Der Baader-Meinhof-Komplex, produziert vom Medienforum Münster. Zensur ist eine feine Sache, wenn damit die Verbreitung unliebsamer Wahrheiten verhindert werden kann. Die Sendung, die ihr gerade gehört habt, wurde vom kommerziellen Lokalsender in Münster zur Ausstrahlung im Bürgerfunk-Fenster abgelehnt [2]. Vielleicht liegt es daran, daß Inge Viett – wenn auch im Duktus der 60er und 70er Jahre – den bürgerlichen Medien in diesem Land die gezielte Verdummung und Entpolitisierung vorwirft. Da ist es schon bemerkenswert, wenn Marcel Reich-Ranicki aus einer anderen Ecke, nämlich der konservativ-bürgerlichen Kulturkritik, dem Fernsehen eine ähnliche Verblödungsmentalität zuschreibt [3]. Am Mikrofon für die Redaktion Alltag und Geschichte war Walter Kuhl von der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt.
»» [1] Siehe hierzu auch meine Besprechung des Buchs.
»» [2] Siehe die Begründung der Ablehnung auf dem Audioportal des Bundesverbandes Freier Radios.
»» [3] Siehe auch Elke Heidenreich : Reich-Ranickis gerechter Zorn, in: FAZ Online am 12. Oktober 2008.
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