Sendung der Redaktion Alltag und Geschichte
Radio: Radio Darmstadt
Redaktion und Moderation: Walter Kuhl
Ausstrahlung am:
Montag, 24. Oktober 2011, 17.00 bis 18.00 Uhr
Wiederholt:
Montag/Dienstag, 24./25. Oktober 2011, 23.10 bis 00.10 Uhr
Dienstag, 25. Oktober 2011, 05.10 bis 06.10 Uhr
Dienstag, 25. Oktober 2011, 11.10 bis 12.10 Uhr
Zusammenfassung:
Die Wahrheit dringt ans Licht: die heimliche Bundesregierung besteht aus Sicherheitsbeamten. Die Deutsche Bahn und ihr doppelbödiger Umgang mit der Erinnerung. Im Denkzeichen am Güterbahnhof sammelt sich Wasser; es muß erneuert werden. Erinnert wird an Alexander Haas.
Zur Neoliberalisierung von Radio Darmstadt und seinem Trägerverein und zur Ausgrenzung mehrerer Mitglieder meiner Redaktion seit 2006 siehe meine ausführliche Dokumentation.
Jingle Alltag und Geschichte
Bis vor wenigen Tagen bin ich davon ausgegangen, daß dieses Land von einer aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenen Regierung mit einer Kanzlerin an der Spitze regiert wird. Selbstverständlich ist mir klar, daß dies nur die halbe Wahrheit ist. Natürlich sind die eigentlichen Herrscher, also der Souverän, nicht die Millionen wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger, sondern eine Melange aus verschiedenen Kapitalfraktionen, die sich einen ideellen Gesamtkapitalisten, also den Staat, halten, um ihre profitablen Geschäfte bestmöglich zu befördern. Wie gesagt, bis vor wenigen Tagen habe ich das so gesehen.
Bis der Chaos Computer Club die neueste Erfindung der Sicherheitsindustrie, den bayerischen Ableger des Staatstrojaners, entschlüsselte und eine Debatte über die Frage entfachte, wer so alles im Geheimen in unseren heimischen Computern herumspioniert. Klar, hätte die Stasi gewußt, wie das geht, hätte sie schon damals alle Bürgerinnen und Bürger der DDR mit Computern aus dem Hause Robotron ausgestattet und mitgelauscht. Nun leben wir in einem Rechtsstaat, in dem alles nach Gesetz und Ordnung abläuft und in dem das Bundesverfassungsgericht den Statsbehörden die eine oder andere unerfüllbare Auflage macht.
Im Deutschen Bundestag wurde hierzu am vergangenen Mittwoch eine Aktuelle Stunde abgehalten. Wie nicht anders zu erwarten, verteidigten insbesondere die Rednerinnen und Redner aus dem Regierungslager den Einsatz eines Trojaners, der so gar nicht mit den Auflagen des Bundesverfassungsgerichts kompatibel ist. Und dann redete sich der Münchener Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl in Rage und plauderte ganz nebenher das Geschäftsgeheimnis der deutschen Bourgeosie aus, wer denn nun tatsächlich dieses Land regiert. Hören wir doch einfach in den Mitschnitt dieser Tirade hinein.
Das Land wird von Sicherheitsbehörden geleitet, die sehr behutsam mit dem sensiblen Instrument der Quellen-TKÜ umgeht, und so soll es auch sein. Es wäre schlimm, wenn unser Land am Schluss regiert werden würde von Piraten und Chaoten aus dem Computerclub. Es wird regiert von Sicherheitsbeamten, die dem Recht und dem Gesetz verpflichtet sind.
Dieses Land wird also von den Sicherheitsbehörden regiert. Hört! Hört! Nun plaudert hier kein bajuwarischer Hinterbänkler irgendwelchen Nonsense, sondern jemand, der es wissen muß. Selbiger Hans-Peter Uhl ist nämlich Mitglied des Innenausschusses, des Rechtsausschusses und – nicht zu vergessen! – Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums, also des geheimen Gremiums, welches die diversen Geheimdienste überwachen soll. Da erfährt er logischerweise Dinge, die einem einfachen Staatsbürger wie mir verschlossen bleiben. Und das soll auch so sein.
Und da er die Wahrheit über diesen Staat und seine geheime Regierung blöderweise ausgeplaudert hat, wurde im Anschluß daran das stenografische Protokoll der entsprechenden Sitzung nachgebessert. Dort heißt es dann nicht mehr, daß dieses Land von den Sicherheitsbehörden regiert wird, sondern bewußt verharmlosend: „Wir haben Sicherheitsbeamte, die Recht und Gesetz verpflichtet sind.“ [1] Was ja nun etwas ganz anderes ist. Die Wahrheit darf demnach nicht gedruckt und für die Nachwelt erhalten werden.
Seltsam, daß es keinen Aufschrei in diesem Land gegeben hat, daß wir von berufsmäßigen Schnüfflern regiert werden. Dabei versucht der Geheimdienstapparat doch von Zeit zu Zeit auch ganz legal, an der Regierung beteiligt zu werden. Zu diesem Zweck hält sich der Verfassungsschutz eine kleine Neonazipartei, die NPD, wohl in der Erwartung, selbige werde irgendwann einmal Volkes Stimme erobern. [2]
Die Auflösung ist jedoch ganz einfach. Die Bourgeoisie hält sich einen Staat, und wenn der angebliche Souverän nicht richtig mitspielt, dann bedarf es halt eines Sicherheitsapparates. In seinem allmächtigen Wahn schwadroniert dieser Apparat auch mal, daß er es ist, der hier regiert. Da frage ich mich: warum sollen wir dann eigentlich noch wählen gehen, wenn die Regierenden in Banken, Konzernen, Geheimdiensten und parlamentarischen Kontrollgremien das unter sich ausmachen?
Und damit komme ich zu etwas ganz anderem. Am Mikrofon ist Walter Kuhl aus der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt.
Noch bis zum 3. November [2011] ist im Justus-Liebig-Haus die Ausstellung Sonderzüge in den Tod zu sehen. Sie behandelt die Deportation der Todgeweihten mit der Deutschen Reichsbahn. Selbige hat dabei nicht nur Züge, Güterwaggons und Personal gestellt, sondern bei den Deportierten noch kräftig abkassiert. Die Organisation „Zug der Erinnerung“ fordert von der Rechtsnachfolgerin selbiger Reichsbahn eine direkte Entschädigung der überlebenden Opfer, was die Bahn AG verweigert. Ohnehin kam die Ausstellung nur aufgrund besonderen Drucks auf die Bahn AG zustande, denn angeblich habe man, so die Chefetage rund um Hartmut Mehdorn, „kein Geld“ für so etwas [3].
So verwundert es nicht, daß die dieser Etage abgerungene Ausstellung nicht dort steht, wo sie hingehört, nämlich im dichten Trubel der Bahnhofshallen, denn das wäre geschäftsschädigend. Sie wird ausgelagert in Nebenräume, Güterhallen oder in die verschämte Ecke einer Darmstädter Stadtbücherei.
Immerhin findet sich dort tatsächlich Publikum ein. Diese Ausstellung ist hingegen nicht zu verwechseln mit der Initiative „Zug der Erinnerung“, die versucht, an den zentralen Orten der Deportation das Gedenken und die Erinnerung wachzuhalten. Die Deutsche Bahn AG wäre nicht die auf Börsenkurs getrimmte Bahn, würde sie von der Initiative nicht ein weiteres Mal abkassieren, diesmal für Trassen- und Standgebühren. Der Tagesaufenthalt des Ausstellungszuges wird pro Tag mit rund 500 Euro berechnet. Wir ersehen daraus, daß sich selbst aus dem Gedenken an die Verbrechen der Reichsbahn noch Geld machen läßt. Hiergegen wendet sich die Initiative mit einer Petition an den Deutschen Bundestag. Weitere Informationen hierzu finden sich auf der Webseite zug-der-erinnerung.eu.
In den folgenden 50 Minuten hört ihr die Aufzeichnung eines anderen Gedenkens. Am 25. September [2011] versammelten sich etwa fünfzig Menschen vor dem Glaskubus am Güterbahnhof, um der aus Darmstadt deportierten Sinti und Roma, Jüdinnen und Juden zu gedenken.
Der Mitschnitt der Gedenkveranstaltung kann über nebenstehenden Player angehört werden. Alternativ dazu kann dieser Mitschnitt auch über das Audioportal des Bundesverbandes Freier Radios angehört und/oder heruntergeladen werden, und zwar hier.
»» [1] Die Semantik dieser Aussage läßt übrigens den Schluß zu, daß es daneben auch Sicherheitsbeamte gibt, die sich nicht an Recht und Gesetz halten. Das glaube ich sofort. Vgl. das Protokoll der Bundestagssitzung. Ein Dank geht übrigens an Fefes Blog, das hat mir die Fundstellensuche erleichtert.
»» [2] Vgl. hierzu meinen Text Verfassungsrechtliche Probleme zur Bundestagswahl 2002.
»» [3] Katharina Schuler: Sonderzüge in den Tod, in: Die Zeit (online), 24. Januar 2008.
Diese Seite wurde zuletzt am 3. November 2011 aktualisiert. Links auf andere Webseiten bedeuten keine Zustimmung zu den jeweiligen Inhalten, sondern sind rein informativer Natur. © Walter Kuhl 2001, 2011. Die Wiedergabe, auch auszugsweise, ist nur mit dem Einverständnis des Verfassers gestattet.
Die Wiedergabe der Audiodateien wurde mit dem Easy Musicplayer for Flash realisiert.
URL dieser Seite : https://www.waltpolitik.de/kv/kv_d2011.htm
Zur vorangegangenen Sendung
Zur nachfolgenden Sendung