Keynesianischer Crash?

Eine Replik

 

Entschuldigung, macht ihr Witze? Oder, etwas weniger polemisch, der »Beitrag wider den politischen Defätismus der Linken« von Michael Stanger (Sozialismus 4/88) hat mich in dem meinen bestärkt: »Seit wann aber gehört es zu den Aufgaben der Marxisten, die theoretische Möglichkeit eines störungsfreien Verlaufs der kapitalistischen Wirtschaft nachzuweisen?« hat einmal Roman Rosdolsky [1] in einem anderen Zusammenhang geschrieben. Seit wann überlegen wir uns, wie Ausbeutung und Lohnsklaverei sinnvoll fortzusetzen sind, anstatt uns Gedanken über die Abschaffung eines derart perversen Systems zu machen?

Altvater und Hübner haben in dem von Stanger kritisierten Artikel sicher ein wenig hilflos argumentiert. Die gegenwärtige Entwicklung der Weltwirtschaft laufe kurz oder lang auf einen »crash« hinaus. Eine Alternative sei nicht in Sicht. Interessant ist, daß weder Altvater / Hübner noch Michael Stanger in seiner Kritik den Gedanken verfolgen, wie die Ausgebeuteten selbst dazu kommen könnten, die Alternative zu formulieren. Beide Seiten appellieren deshalb konsequenterweise an die Vernunft des Systems. Altvater redet dem Dialog mit Weltbank / IWF das Wort [2]; Stanger holt den Keynesianismus aus der Mottenkiste – beide bedürfen dazu natürlich gewisser Akteure. Ob nun aber Weltbank oder »aufgeklärtes« Kapital: es sind andere, die den Lauf der Dinge bestimmen, einmal ganz abgesehen von der »invisible hand«. Anstatt sich die Frage zu stellen, inwieweit die maßgeblichen Kapitalfraktionen in USA/EG/Japan und ihre staatlichen Agenten überhaupt in der Lage sind, ökonomische Prozesse wie gewünscht zu steuern, ist dies die unhinterfragte Conditio sine qua non. Man macht sich Gedanken über Lösungen, die im Rahmen der Weltwirtschaft »eigentlich« wünschenswert wären, weil – wie schon erwähnt – die betroffenen Subjekte erst gar nicht gefragt werden. Denn abgesehen von den wenigen, »die entweder aus unverbesserlichem Dogmatismus oder aus Naivität noch immer an den Zusammenhang von Verelendung und Revolution glauben, […] wird kaum jemand ernsthaft die These vertreten können, daß im Gefolge einer derartigen Eskalation der Krise eine breite Mehrheit für eine sozialistische Systemalternative entstehen könnte.« [3] Das ist, wenn auch ohne die unnötige negative Konnotation unverbesserlichen Revolutionären gegenüber, richtig!

Aber muß dann gleich daraus folgen, daß die eigenen frommen Wünsche als Eigeninteresse des weltweit vagabundierenden Kapitals angepriesen werden? Im allgemeinen jedenfalls bedürfen die Kapitalisten und ihre Handlanger der klugen Ratschläge einer »aufgeklärten« Linken nicht. Erst recht dann nicht, wenn diese Linken – für die hier stellvertretend Michael Stanger fungiert – das Wertgesetz als vernachlässigbare Größe abtun. Aber genau das ist ja die Stärke des Ansatzes von Altvater und Hübner! Sie prognostizieren den »crash« – vielleicht um ein Jahr zu früh auf 1988 – als notwendige Entladung des Widerspruchs von realer und monetärer Akkumulation. Und dieser Widerspruch ist bekanntlich tiefer begründet, als daß strukturpolitische Maßnahmen dem abhelfen könnten. Eine strukturelle Akkumulationskrise läßt sich nicht durch das freundliche Zureden auf lahme Kapitalgäule lösen. Denn: »Der Verlust ist unvermeidlich für die Klasse (der Kapitalisten, WK). Wieviel aber jeder einzelne davon zu tragen, inwieweit er überhaupt daran teilzunehmen hat, wird dann Frage der Macht und der List, und die Konkurrenz verwandelt sich dann in einen Kampf der feindlichen Brüder.« [4]

Da es aber keine längerfristig einvernehmliche Lösung der Krise seitens des Kapitals geben kann, ist die trilaterale Lösung, die bei Stanger durchscheint, Schnee von gestern. Zwar brauchen die beteiligten Kapitale den Weltmarkt noch, wie er ist. Dies erklärt das gemeinsame Interesse. Perspektivisch aber erzwingt die Krise die Durchsetzung egoistischer Interessen, auch wenn damit im Einzelfall Verluste verbunden sind. Und diese Lösung kann nur Blockbildung, Protektionismus, Nationalismus heißen. Das heißt nicht »de–linking« vom Weltmarkt. Der wird auch weiterhin gebraucht. Die Differenz zur jetzigen Situation liegt in der relativen Abschottung des eigenen nationalen bzw. regionalen Marktes und darin, daß die Verwertungsbedingungen des eigenen nationalen Kapitals verbessert werden. Unter anderem auch auf der Lohnkostenseite. Dazu steht die Erhöhung der Massenkaufkraft, wie im keynesianischen Konzept vorgeschlagen, diametral im Widerspruch. Das Kapital fragt nämlich die Arbeitskraft nicht primär als Konsumente/in nach, sondern als Produzente/in.

Damit soll hier nicht einem perspektivischen Defätismus das Wort geredet werden. Aber Michael Stangers Ausführungen sind in der Tat perspektivlos, weil ihnen der Bezug zur Wirklichkeit fehlt. Die Kräfte, die seinen »strukturpolitischen Keynesianismus« durchsetzen könnten, sind nicht da. Weder SPD, noch Gewerkschaften, noch Grüne sind dazu in der Lage, und von den genannten unabhängige, handelnde Subjekte sind nur höchst marginal in Sicht. Der Staatsapparat selbst hat besseres zu tun, als ein derartiges Programm umzusetzen. Um es zynisch zu formulieren: Das strukturpolitische Chaos der Konservativen wird mehr Erfolg haben als die Gedankenspielerei Stangers. Die Weichen für die Zukunft sind längst gestellt. Die Gesetze des Marktes setzen sich anarchisch durch; mit allen dazugehörigen sozialen, ökologischen etc. »Kosten«. Sie sind – und dies ein letzter Einwand – nicht planbar. Von »politischer Programmierung und Steuerung des ökonomischen Reproduktionsprozesses« schreibt Stanger – im Kapitalismus?

Der Kapitalismus gehört abgeschafft. Da bleibe ich »unverbesserlich« dogmatisch.

 

Anmerkungen

[1]   Roman Rosdolsky : Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen >Kapital<, Frankfurt 1968, Seite 483

[2]   taz, 12.3.1988, Seite 10

[3]   Stanger, in: Sozialismus 4/88, Seite 37

[4]   MEW 25, Seite 263

 

 

Originalveröffentlichung in: Sozialismus 5–88, Seite  41. Die Widergabe des Textes erfolgt anhand des in der Zeitschrift Sozialismus abgedruckten Textes. Für die im Text inzwischen offensichtlichen Fehleinschätzungen trägt natürlich allein der Autor die Verantwortung.

 

 

Diese Seite wurde zuletzt am 18. Mai 2006 aktualisiert. Links auf andere Websites bedeuten keine Zustimmung zu den jeweiligen Inhalten, sondern sind rein informativer Natur.©  Walter Kuhl 1988, 2006. Die Wiedergabe, auch auszugsweise, ist nur mit dem Einverständnis des Verfassers gestattet.

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