Radiowecker Logo
Radiowecker Logo (ab 2002)

Radiowecker

Redaktionelle Beiträge Mai 1999

Sendemanuskripte

Mit Beginn des Dauersendebetriebs am 1. Februar 1997 nahm auch der morgendliche Radiowecker seine redaktionelle Arbeit auf. Mit wechselnden Teams wurde in der Regel täglich von 6.00 bis 8.00 Uhr und an Wochenden und Feiertagen von 7.00 bis 9.00 Uhr Darmstadt und die nähere Umgebung geweckt. Ursprünglich war der Radiowecker in der Unterhaltungsredaktion angesiedelt. Im Herbst 2001 lösten sich die meisten Teams aus dieser Redaktion, weil sie ihre Belange dort nicht vertreten sahen, und gründeten eine eigene Redaktion. Von Ende 2001 bis Sommer 2006 gab es daher das Kuriosum, daß (zuletzt) an sechs Tagen die Redaktion Radiowecker das Programm gestaltete, nur am Donnerstag ein einsamer Kämpfer für die Unterhaltungsredaktion zu hören war. Im Herbst 2006 wurde die Redaktion Radiowecker aufgrund vereinspolitisch motivierter Anfeindungen zerschlagen und aufgelöst. Bis in den Sommer 2007 torkelte eine Art Not-Radiowecker durch den Äther, bevor nach und nach weitere feste Sendeplätze gefüllt werden konnten. Im ersten Halbjahr 2008 war der Radiowecker montags, dienstags, manchmal mittwochs, donnerstags, freitags und samstags on air. Das zweite Halbjahr zeigte zunächst eine nachlassende Sendefrequenz. [1]

Diese Seite enthält die Sendemanuskripte meiner Beiträge für den Radiowecker im Mai 1999.


Freitag, 7. Mai 1999

     Kapitalistischer Verschiebebahnhof

Freitag, 21. Mai 1999

     Holzschutz

 


 

Kapitalistischer Verschiebebahnhof

Freitag, 7. Mai 1999
 

Immer häufiger erhalten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die über längere Zeit wegen einer Krankheit oder aufgrund eines Unfalls arbeitsunfähig sind, unangenehme Post von den Krankenkassen. Darin wird ihnen beispielsweise mitgeteilt, daß man bei ihnen ein Restleistungs­vermögen entdeckt habe. Deshalb beendet sie die Arbeitsunfähigkeit der oder des Betroffenen – und damit das Recht auf Krankengeld. Zwar könne nicht in dem alten Job gearbeitet werden, aber andere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien durchaus zumutbar. Aus Arbeitsunfähigen werden so über Nacht Teilarbeits­fähige, die an das Arbeitsamt abgeschoben werden sollen.

Diese Praxis, arbeitslose Männer und Frauen an andere Kostenträger abzuschieben, ist mehr und mehr eine verbreitete Methode, eigene Kosten auf andere abzuwälzen. Arbeitsämter entdecken immer neue bewußt durch den Gesetzgeber geschaffene Möglichkeiten der Sozialgesetz­gebung, um Sperrzeiten aussprechen zu können. Einspringen müssen dann die Sozialämter. Sozialämter hingegen erfinden neue Möglichkeiten, Sozialhilfe­empfängerinnen und -empfänger für ein Jahr zu beschäftigen, um sie alsdann an das Arbeitsamt übergeben zu können, denn es wurde ja ein neuer Anspruch auf Arbeitslosen­geld erworben. Und der Offenbacher Oberbürger­meister Grandke macht seine Angestellten zu Beamten, weil die Stadt Offenbach so Leistungen dem Land Hessen aufbürden kann.

Wenn Kapitalismus Schwachsinn ist, so hat er doch Methode.

Aber um auf die von den Krankenkassen auf das Arbeitsamt geschickten arbeitsun­fähigen Frauen und Männer zurückzu­kommen: Die Zeitschrift Arbeitsrecht im Betrieb aus der gewerkschafts­eigenen Bund-Verlag-Gruppe weist darauf hin, daß die Betroffenen sich das nicht gefallen lassen müssen. Denn eine Rechtsgrundlage für die Aktion der Krankenkassen gibt es nicht.

(Was sie jedoch nicht daran hindert. Wir leben schließlich im Kapitalismus. Versuchen kann man's ja mal.)

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollten unbedingt dagegen vor Gericht klagen. Immerhin liegt das Krankengeld eines Arbeitnehmers mit Steuerklasse IV bei einem Bruttogehalt von 4200 Mark bei knapp 63 Mark täglich, das Arbeitslosengeld dagegen nur bei ca. 48 Mark. Im Sozialgesetz­buch V, das die gesetzliche Krankenver­sicherung regelt, ist eindeutig festgelegt, daß das Krankengeld nach dem „Alles oder nichts“-Prinzip gezahlt werden muß. Und dies bis zu 78 Wochen. Eine Teilarbeits­unfähigkeit gibt es nicht. [2]

 


 

Holzschutz

Freitag, 21. Mai 1999
 

Auf der Agarmesse AgroExpo im kolumbianischen Bogotá präsentierten die deutschen Unternehmen Bayer und Desowag das Holzschutzmittel Xyladecor. Bunte Prospekte zeigen prachtvolle Holzhäuser und tropische Blumen­rabatten, und sie versprechen eine einfache und sichere Handhabung. Der gesamte latein­amerikanische Markt soll von Kolumbien aus beliefert werden.

In Deutschland hat Xyladecor eine lange Geschichte: Seit Anfang der 70er Jahre wurde das Mittel millionen­fach eingesetzt, insbesondere im Heimwerker­bereich. Gemeinsame Hersteller waren die Firmen Bayer und Desowag. Die im Holzschutz­mittel enthaltenen Wirkstoffe PCP und Lindan sowie Verun­reinigungen mit Dioxinen ließen bis zu 200.000 Menschen erkranken. Häuser mußten abgerissen werden, zahlreiche Betroffene nahmen sich das Leben. Als der Skandal für Schlagzeilen sorgte und eine Klage der Geschädigten ins Haus stand, trennte sich Bayer von seiner Beteiligung an der Desowag. Der dann folgende Prozeß wurde gegen die Geschäfts­führer der Desowag geführt. Bayer war aus der Schußlinie.

Inhaltsstoff des jetzt in Lateinamerika vertriebenen Xyladecor ist der umstrittene Stoff Cyfluthrin. Cyfluthrin wird von der US-amerikanischen Umweltbehörde als „eindeutig giftig“ bezeichnet und daher in der Liste der 50 gefährlichsten Pestizide geführt. Bereits die winzige Konzentration von 150 Teilchen auf 1 Milliarde Teilen Luft kann Störungen des Nervensystems, Hautaus­schläge und Nierenschäden auslösen.

Xyladecor wird bis heute auch in Deutschland vertrieben, allerdings allein vom Hersteller Desowag, also ohne offizielle Bayer-Beteiligung. Das risikoreiche Cyfluthrin, das in Lateinamerika verwendet wird, wird im gleichen Produkt für den europäischen Markt nicht eingesetzt. Dies ist ein durchaus typischer Fall für doppelte Sicherheits­standards. Besonders problematisch ist die in Kolumbien betriebene Werbung für den Einsatz im Hausbau, also genau der Bereich, bei dem es in Deutschland die hohe Zahl von Erkrankungen gab. Erkundigt man sich bei der Desowag nach den Inhaltsstoffen des in Deutschland vertriebenen Produkts, so werden die Sicherheitsdaten­blätter der Firma Bayer zugesandt. Deutlich wird so, daß die Trennung der beiden Firmen nur vorder­gründig stattfand, damit der Weltkonzern aus Leverkusen nicht mit den berüchtigten Holzgiften in Verbindung gebracht werden kann. Auf technischer Ebene läuft die Zusammen­arbeit jedoch weiter, wie die Übersendung von Bayer-Materialien beweist.

Die Coordination gegen Bayer-Gefahren befürchtet, daß den Verbraucherinnen und Verbrauchern in Lateinamerika dieselben Probleme blühen wie den Betroffenen in Deutschland vor 20 Jahren. Der Verein fordert daher das Unternehmen auf, weltweit dieselben, und das heißt natürlich die sichersten, Standards anzulegen. Nähere Informationen sind beim Verein erhältlich. [3]

»»  Siehe auch den Artikel Der Staatsanwalt des Holzgifte-Prozesses zieht Bilanz vom Januar 1999.

 

ANMERKUNGEN

 

Mittels eines Klicks auf die Nummer der jeweiligen Anmerkung geht es zur Textpassage zurück, von der aus zu den Anmerkungen verlinkt wurde.

 

»» [1]   Siehe hierzu auch die Dokumentation des Radioweckers im Jahr 2007.

»» [2]   Auf der Grundlage einer Pressemitteilung der Bund-Verlags-Gruppe.

»» [3]   Auf der Grundlage einer Pressemitteilung der Coordination gegen Bayer-Gefahren vom 18. Mai 1999.


Diese Seite wurde zuletzt am 18. September 2010 aktualisiert. Links auf andere Websites bedeuten keine Zustimmung zu den jeweiligen Inhalten, sondern sind rein informativer Natur. ©  Walter Kuhl 1999, 2001, 2010. Die Wiedergabe, auch auszugsweise, ist nur mit dem Einverständnis des Verfassers gestattet.

URL dieser Seite : https://www.waltpolitik.de/rawe/rw_mai99.htm

 
 
 
Valid HTML 4.01 Transitional  Valid CSS!