Keltenskulptur
Imaginierter keltischer Trauerzug bei Bulau (Rödermark / Hessen).

Kapital – Verbrechen

Vernutzte Erde

Sendemanuskript

Sendung der Redaktion Alltag und Geschichte

Radio: Radio Darmstadt

Redaktion und Moderation: Walter Kuhl

Ausstrahlung am:

Montag, 30. Juli 2012, 17.00 bis 18.00 Uhr

Wiederholt:

Montag/Dienstag, 30./31. Juli 2012, 23.10 bis 00.10 Uhr
Dienstag, 31. Juli 2012, 05.10 bis 06.10 Uhr
Dienstag, 31. Juli 2012, 11.10 bis 12.10 Uhr

Zusammenfassung:

Die Sparbrötchenallianz trifft sich im virtuellen Bürger­haushalt, beim Metzger an der Ladentheke oder beim Parlieren darüber, wie man (vielleicht auch frau) die Griechinnen und Spanier knapp halten kann. Rohstoffe sind die strategischen Waren des Kapitals, die nicht nur gnadenlos geraubt werden dürfen, sondern auch militärisch beschützt werden müssen. Diesen Umgang mit Mutter Erde kritisiert Claudia von Werlhof als patriarchale Anmaßung. Vielleicht endet die Alchemie männlicher Natur­beherrschung ja demnächst in einem Schwarzen Loch.

Besprochenes Buch und besprochene Zeitschrift:

Playlist:

Strom und Wasser featuring The Refugees, daraus die vier Stücke

Zur Neoliberalisierung von Radio Darmstadt und seinem Trägerverein und zur Ausgrenzung mehrerer Mitglieder meiner Redaktion seit 2006 siehe meine ausführliche Dokumentation.


Inhaltsverzeichnis


Der Sparbrötchenhaushalt 

Jingle Alltag und Geschichte

Die grünschwarze Darmstädter Koalition hat den Piraten-Zeitgeist aufgenommen und eine internet­gestützte Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung angestoßen. Mit der Fragestellung, wo denn im städtischen Haushalt gespart werden kann, ist die Hoffnung auf Anregungen verbunden, die anschließend, weil durch virtuelles Benchmarking geadelt und legitimiert, besser durchgesetzt werden können. Allein schon diese Fragestellung wirft ein merkwürdiges Licht auf die Verantwortlichen. Hier geht es nicht etwa darum, was Darmstadts Bürgerinnen und Bürger vermissen, hier geht es auch nicht darum herauszufinden, wie selbige ihre Stadt wohnlicher und lebenswerter erfahren möchten. Vielmehr geht es um ein Sparziel.

Hat Stadtkämmerer André Schellenberg etwa eine Stelle vergessen, die zusammen­gestrichen oder effektiviert werden kann? Oder wo drückt uns sonst der Schuh überzogener Ausgaben? Das gilt es herauszufinden, und die Expertinnen, aber meist sind es Experten, sitzen schon an ihren virtuellen Arbeitsgeräten, um den Lockruf des Zusammen­streichens zu folgen. Die Frage nach den Einspar­potentialen mobilisiert die regressive Energie der auf technokratische Lösungen gepolten Effizienz. Nicht mehr, sondern weniger ist gefragt. Nun gibt es allerlei Projekte, deren Sinn nicht nur bezweifelt werden kann, die überdimensioniert und vor allem teuer daherkommen. Diese Projekte besitzen ihren ganz eigen Sinn darin, daß sie eine bestimmte Klientel bevorzugen, etwa das Darmstadtium, die Darmbachrinne oder ein nicht wirklich notwendiger Radweg über die Rheinstraße.

Beim Darmstadtium waren noch Sozialdemokraten federführend, die selbiges Projekt angestoßen haben, ohne zugleich zu verraten, daß hiermit jährliche Folgekosten in Millionenhöhe anstehen. Nutznießerinnen und Nutznießer sind dann diejenigen, die sich teure Konzerte in der schiefen Schachtel leisten können, oder das Hotelgewerbe, aber auch die lokale und überregionale Wirtschaft, die eingeladen wird, zu einem nicht kostendeckenden Preis das verschachtelte Ambiente Darmstädter Groß­mannssucht zu genießen. Werfen wir einen Blick in den virtuellen Bürgerinnen- und Bürger­haushalt, dann ersehen wir, daß selbiges Darmstadtium nicht als Einsparziel auserkoren wurde.

Soll gespart werden, fallen den Sparbrötchen dieser Republik unmittelbar angeblich zu hohe Personal­ausgaben ein. Und in der Tat sind diese zu hoch. Wenn nämlich Deutschland Vorreiter für Niedriglöhne, Zeitarbeit und überhaupt Lohndumping aller Art ist, darf eine regressiv veranlagte Bürgerinnen- und Bürgerschaft doch von den städtischen Beschäftigten verlangen, daß sie sich entweder selbst abschaffen oder doch so billig arbeiten, daß sie auf ergänzende Hartz IV-Zuzahlungen angewiesen sind. Dann subventioniert der Bund eben auf ausgeklügelte Weise die städtische Kasse. Zudem muß das ehrenamtliche Engagement unbedingt gefördert werden.

Jeder gute Kapitalist weiß, daß Mehrwert und Profit ins unermeßliche gesteigert werden können, wenn die Beschäftigten einfach nichts dafür bekommen, wenn sie aus Liebe, aus Gutmütigkeit oder, weil sie sich dazu genötigt fühlen oder genötigt werden, malochen. Folgerichtig gibt es den Menüpunkt Ehrenamtliches Engagement, der mit geradezu kindlicher Begeisterung und kindischen Ideen gefüllt wird.

Die Stadtteilbibliotheken sollen beispielsweise von Ehrenamtlichen mitgetragen werden, aber auch soziale Berufe, denn Sozialausgaben sind in jeder kapitalistischen Gesellschaft tote Kosten, die dem Kapital nichts bringen. Daß schon jetzt die Beschäftigten in Krankenhäusern und Pflegeberufen in einer Weise ausgebeutet werden, die den Sparbrötchen immer noch nicht weit genug geht, paßt ins Bild. Viel Arbeit, wenig Geld, und den Profit kassieren dann Andere ab.

Bürgerschaftlich ehrenamtliches Engagement entfaltet seinen Reiz aber nicht nur dadurch, daß hier die Ausbeutung auf Maximum getrieben werden kann. Vielmehr ist es ja schon jetzt so, daß viele gesellschaftlich notwendige Arbeiten gar nicht erst ausgeführt werden, weil sie Geld kosten, aber keinen Profit erwirtschaften. Folgerichtig wird immer wieder das städtische Grün­flächenamt herbeigezogen, wenn es darum geht, unnützer Geldverschwendung den Wasserhahn abzudrehen, denn ob Blumen und Sträucher verdursten oder das Unkraut wuchert, juckt doch diejenigen nicht, die sich in ihren Villen billige Arbeitskräfte zum Unkrautjäten und zur Wasserberieselung ihrer kostbaren Schnickschnack­pflanzungen leisten können.

Da vieles jedoch liegen bleibt, wird an das Gewissen der Bürgerinnen und Bürger appelliert, sie könnten doch Aufgaben übernehmen, für die sich eines der reichsten Länder dieser Erde zu schade ist. So schreibt ein anonymer Engel in den virtuellen Aufgabenkatalog:

Für den Einsatz von Ehrenamtlichen sind viele Gebiete geeignet insbesondere zusätzliche Betreuung von Kranken, Alten und Kindern z. B. mit Computer­unterricht, Besorgungen usw. Die Pflege, bessere Sauberhaltung und Überwachung von Grünanlagen, Parks und Straßen mit Patenschaften durch Ehrenamtliche sind eine wesentliche Unterstützung der zuständigen Ämter.

Gleichzeitig sind mehrere Millionen Menschen erwerbslos, ein Großteil davon ist der seit Jahrzehnten manipulierten Statistik zum Opfer gefallen. Keine Frage; sie sind die geeigneten Opfer derartigen Sparbäckereien. Doch eine Frage sei erlaubt: weshalb sollen sich Menschen für eine Gemeinschaft interessieren und Aufgaben übernehmen, die als gesellschaftliche Aufgaben auch staatlich zu finanzieren sind, wenn dieselbe Wolfsgesellschaft Armut fördert und den Reichen gibt, was den Reichen auch zusteht? Nämlich die Millionen und Abermillionen, die bei Einsparungen an Löhnen und Gehältern so anfallen.

Ich bleibe dabei. Diese virtuelle Spielkiste der grünschwarzen Koalition namens Internet-Bürger­haushalt ist eine Fundgrube regressiver Einstellungen und Ideen. Wenn wir schon sparen wollen, dann doch am besten da, wo es mal so richtig weh tut: bei Subventionen an gut verdienende Konzerne, bei Rüstung und Militär, und bei Bankenrettungen allemal. Nur mal so als Beispiel für gelungenes bürgerinnen- und bürger­schaftliches Engagement. Und wenn wir dann noch diejenigen zur Kasse bitten, die mit Steuergeschenken überhäuft werden, tja, dann wäre auf einmal derart viel Geld vorhanden, daß die ganzen dämlichen Sparbrötchen arbeitslos würden. Aber soweit werden es neoliberale Politikexperten, Überwachungs­fetischisten, Neonazis mit ihrem Verfassungs­schutzanhang und im Notfall auch die Bundeswehr als schnelle Eingreiftruppe nicht kommen lassen. Meint Walter Kuhl aus der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt.

 

Die Sparbrötchenmetzger

Die Sparbrötchen haben auch an anderer Stelle ganz gezielt zugeschlagen. Weil es den kleinen und großen Kapitalisten nicht zuzumuten ist, daß sie beim Schummeln erwischt werden, sind Aufsichtsbehörden ein beliebter Ort deregulierter Sparwut. Sprich: je weniger Kontrolleure es gibt, desto weniger Betrügerinnen und Betrüger können auch dingfest gemacht werden. Beim Finanzamt funktioniert das ja ähnlich: dort, wo viel zu holen ist, also bei denen, die viel verdienen oder als Vermögen horten, wird weniger und oberflächlicher kontrolliert, als bei denjenigen, die öfter einmal einen Euro mehrmals umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben. Die Methode, die dahinter steckt, ist leicht einzusehen: der bürgerliche Staat ist der Staat der Kapitalisten, die sich eine Regierungsmaschine mitsamt Verwaltungs­apparat halten, damit sie aus denen, die ohnehin nach Meinung der FDP und Konsorten immer zu viel verdienen, noch mehr herauspressen, als es den Kapitalisten in ihren Betrieben selbst schon gelungen ist.

Vor anderthalb Wochen machte die Meldung die Runde, daß es in Südhessen ein ganz besonders verlogenes Nest der Sparbrötchen-Fraktion geben muß. Zwar geht es hierbei nicht um Bäckereien und ihr Handelsgut, sondern um Metzgereien, aber gespart wird schon. Zumindest am Volumen der ausgegebenen Ware an Kundinnen und Kunden. Während andernorts bei Kontrollen nur 40 Prozent der Metzgereien auffällig waren, daß sie den Kundinnen und Kunden auch das Verpackungspapier als Wurst oder Grillfleisch berechnet haben, sahnten gerade die kleineren südhessischen Metzgereien ganz besonders ab. Zwei Drittel von ihnen nahmen es mit dem Wiegen nicht so genau, so daß wir im Grunde genommen von organisierter Kriminalität reden müssen.

Selbstverständlich haben sich die Scharfmacher aus den Kreisen der CDU noch nicht zu Wort gemeldet, die doch ansonsten jeden Kriminalitätstango mittanzen. Wie viele dieser Metzger Mitglied dieser rabenschwarzen Partei sind, wäre durchaus eine eigene Untersuchung wert. Nur die Vegetarier und Veganerinnen werden sich ins Fäustchen gelacht und gedacht haben, das ihnen derlei nie passieren könnte. Keine Sorge. Ihr werdet auf andere Art und Weise abgezockt.

Jedenfalls – man und frau stelle sich vor, die Gewerbe­aufsichtsämter und Eichbehörden besäßen ausreichend Personal: nicht auszudenken. Das Lustige daran ist ja, daß die Kontrollen auch noch vorab angekündigt worden waren. Wir ersehen daraus, daß sich organisierte Verbrechen in diesem Land derart sicher ist, daß ihm nicht viel passiert, daß es den kleinen Gewerbe­treibenden, normalerweise die Klientel der FDP, ziemlich schnuppe ist, wenn sie mal auffliegen. Die Strafen für derart offensichtlichen Betrug sind ja auch happig: das Bußgeld beträgt maximal 200 Euro. Zum Vergleich: geht mal in einen noch nicht vollelektronischen Supermarkt, wenn es das noch gibt, und labelt eine Flasche Wein um. Das wird dann richtig teuer! Womit wir noch einen kleinen Schwenk zur Klassenjustiz unternommen haben.

 

Die Profitcenter der Sparbrötchenallianz

Besprechung von : Lunapark21, Heft 18, Sommer 2012, 76 Seiten, € 5,90

Um Geld geht es auch in der Sommerausgabe der ökonomie­kritischen Zeitschrift Lunapark21. Selbstredend werden hier nicht weitere Sparvorschläge aufgetischt, sondern analysiert und klargemacht, wem diese ganze Sparerei nützt. Betrachten wir die Auseinander­setzung darum, wer Griechenland den habgierigen Geiern vor allem aus der Bundesrepublik Deutschland ausliefern darf, dann erfahren wir wenig darüber, wer hierzulande von Armut und Elend in Griechenland profitiert.

Cover Lunapark21Dabei wäre es ganz nützlich herauszuarbeiten, welche deutsche Bank und welcher deutsche Konzern sozusagen persönlich dafür haftbar gemacht werden muß, wenn in Athen die medizinische Versorgung zusammenbricht oder in Saloniki Menschen ihre Organe verkaufen, um überleben zu können. Doch auch ein anderer Aspekt ist wichtig. Was für eine Demokratie steht den Griechinnen und Griechen bevor?

Gewiß, der partielle Wahlerfolg des Linksbündnisses Syriza hat den gezielt herbeigeführten Ausverkauf griechischen Tafelsilbers nicht verhindern können. Die alten und gut geschmierten Seilschaften der konservativen Neuen Demokratie und selbst­verständlich auch der Sozialdemokratie (PASOK) dürfen weiter dafür sorgen, daß zum einen die griechische Kompradorenbourgeoisie nicht darben muß, zum anderen aber auch der Kapitalabfluß nach Deutschland fortgesetzt werden kann. Die Proteste dagegen gehen in Athen und andernorts weiter, so daß sich die Politik etwas einfallen lassen muß, um den Unmut gegen ein Sparprogramm zu deckeln, das einen offenen Angriff gegen die Unterschichten darstellt. Der Sozial­wissenschaftler Gregor Kritidis fragt daher recht naheliegend, ob Griechenland zukünftig autoritär, und das heißt mit nackter staatlicher Gewalt, regiert werden wird.

Die nächsten Kandidaten, die der finanziellen Metzgerei zugeführt werden und bei denen es dann auch nicht mehr darauf ankommt, ob das Verpackungspapier mitgewogen wird, sind Spanien und Italien. Es handelt sich hierbei um Volkswirtschaften von einem ganz anderen Kaliber als die griechische, und hier geht es dann richtig ums Eingemachte. Allenthalben war Spanien dazu gedrängt worden, sich dem europäischen Rettungsschirm zu unterwerfen, weil die immense öffentliche Verschuldung, eine aus dem Ruder gelaufene Immobilienblase und eine damit zusammen­hängende Bankenkrise eine Staatspleite befürchten ließen. Tatsächlich handelt es sich hierbei nur um die halbe Wahrheit.

Denn es war der von der Europäischen Union geforderte Sparkurs, der die spanische Wirtschaft erst recht zu erdrosseln drohte. Die Brandstifter treten nun als Feuerlöscher auf, aber nicht um Spanien vor sich selbst zu retten, sondern um es auszunehmen wie eine schlachtreife Gans. Winfried Wolf stellt deshalb im aktuellen Sommerheft von Lunapark21 heraus, worin das besondere Interesse besteht, Spanien unter den Rettungsschirm zu stoßen.

Im übrigen verdienen deutsche Banken im besonderen Maß am Immobilienboom in Spanien […], was im übrigen das besondere Engagement der Berliner Bundesregierung erklären könnte: Es gilt, mit den spanischen Banken die Engagements deutscher Banken zu retten bzw. den in Spanien engagierten deutschen Banken, wie zuvor in Hellas, den Rückzug durch die Hintertür zu finanzieren. [1]

Stellen wir uns einfach einmal vor, daß all die Banken, die sich bis zur Finanzkrise 2007 und 2008 verzockt haben, im Regen stehen gelassen worden wären. Kein Euro für all diese Bankrotteure! Zwar wäre das Bankensystem dann vollkommen zusammen­gebrochen und gewiß hätten deutsche Kapitalisten dann jämmerlich geweint, aber das wäre zu verschmerzen gewesen. Statt dessen jagt eine Maßnahme die andere, um den Bankrotteuren nicht nur neues Spielgeld zukommen zu lassen, sondern zudem werden Wege beschritten, damit diejenigen, die von dem ganzen Kuchen gar nichts abbekommen haben, dafür gerade stehen müssen, also du und ich. Neoliberale Politik bedeutet hier: die privaten Schulden der Banken werden umgeschichtet und auf die Staatshaushalte verschoben, für deren Defizit dann die ganze Nation mit Ausnahme der Kapitalistenklasse aufzukommen hat.

Ob wir es in einigen Jahren deshalb mit einer handfesten Inflation zu tun bekommen werden, bleibt abzuwarten. Immerhin ist die deutsche Wirtschaft und inzwischen auch die deutsche Politik mächtig genug, Andere dafür bluten zu lassen. Das Problem ist jedoch ein ganz anderes, zumindest für das weltweite Kapital. Wir kann es möglich sein, die weltweite Krise so zu lösen, daß gleichermaßen Finanzmärkte wie Industriebetriebe davon profitieren?

Der Ökonom Thomas Kuczynski sieht die 2007 bzw. 2008 ausgebrochene Krise als Fortsetzung der Mitte der 1970er Jahre offenkundig gewordenen Weltwirtschafts­krise. Zwar hat das Kapital seither Fortschritte darin gemacht, mit neuen Technologien und verbilligter Arbeitskraft mehr Mehrwert und mehr Profit zu erwirtschaften. Aber ein Grundproblem kapitalistischer Akkumulation bleibt bestehen: es gibt einfach nicht genügend Anlage­möglichkeiten in der realen Sphäre der Produktion, um das gesamte weltweit vagabundierende Geldkapital zu binden. Zumal der schnelle Profit nicht in langfristigen Investitionen, sondern auf den Finanzmärkten lockt.

Die Hypothekenkrise, die Bankenkrise, die Krise der Staatsfinanzen, sie alle waren und sind nur Ausdruck dessen, dass die angeblich alleinseligmachenden Finanzmärkte selbst in die offen sichtbare Krise gerieten und die Zeit des Wegretuschierens vorbei ist. [2]

Es sieht so aus, als versuche das globale Kapital mitsamt seiner Regierungen die Flucht nach vorne. Daß sich die Bourgeoisien der wichtigsten Staaten wie die USA, Deutschland, vielleicht Japan und China, nicht einig sind, liegt auf der Hand. Denn der Kuchen, der zu verteilen ist, ist zu klein für den Heißhunger Aller. Dasselbe Problem, nur anders gestrickt, hatten wir schon vor einhundert Jahren, dem klassischen Zeitalter des Imperialismus. Ist demnach Krieg eine Lösung für das Dilemma der herrschenden Klasse? Nun – sie führt Krieg, wenn auch nur sehr versteckt gegeneinander, etwa im Irak, in Afghanistan, in Libyen oder Syrien. Die tödlichen Folgen tragen diejenigen, die mit den Ursachen der Krise rein gar nichts zu tun haben. Outsourcing nennt das der neoliberale Volksmund.

Doch laßt mich noch einmal auf unsere Sparbrötchen zurückkommen. Der neue Berliner Großflughafen ist nicht nur ein Musterbeispiel für Schlamperei und Inkompetenz, eine Inkompetenz, die notwendigerweise aus dem Sparbrötchen­diktat von Ausschreibungen und Kostendeckelung folgt, sondern auch eine Megamaschine der Lohndrückerei. Es handelt sich schlichtweg um einen Billigflughafen, bei dem die flächendeckend in langen Arbeitstagen bei Billigstlöhnen verheizten Beschäftigten genau den Goldstaub erzeugen, den sich Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck, selbstredend ein Sozialdemokrat, davon erhofft hat.

Systematisch wurde beim Bau des Flughafens gegen geltenden Arbeits- und Gesundheits­schutz verstoßen, und das ist erst der Anfang. Es werden Billigairlines folgen, die von Billigflug­personal abgefertigt werden. Abgerundet wird das Geschäft durch einen Niedriglohnsektor im Hotel- und Gaststättengewerbe, sowie bei Reinigungskräften. Das ist natürlich auch so gedacht. Stellenangebote sind folgerichtig entweder sklavische Leiharbeit oder Minijobs. Zum Leben reicht das nicht, soll es auch nicht. Nur wer nicht genug zum Leben hat, läßt sich auch alles gefallen.

 

Kleine Brötchen, Handys und eine gigantische Umweltsauerei

Und damit nicht genug. Die Reichen dieser Republik lassen über ihre medialen Lakaien in großen Zeitungen und öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern gerne verbreiten, daß sie doch diejenigen sind, die mit ihrer überzogenen Einkommensteuer die arme Mehrheit sozusagen kofinanziert. Der Gewerkschafter Patrick Schreiner ist diesem Geschrei auf den Grund gegangen und stellt vollkommen zurecht fest, daß es gerade die immer ungleicher werdende Einkommensverteilung selbst ist, die dafür sorgt, daß ärmere Schichten der Bevölkerung immer weniger Einkommensteuer zahlen.

Diese Propaganda unterschlägt jedoch, daß das Steueraufkommen nur zu etwa einem Drittel aus der Einkommensteuer besteht. Indirekte Steuern machen etwa die Hälfte des Aufkommens aus und treffen alle gleichermaßen, nein, sie treffen diejenigen, die in Billigjobs arbeiten oder von Hartz IV leben müssen, umso mehr. Während die Reichenklasse ungeniert aus dem Füllhorn von Steuerbefreiungen, Befreiungen von Sozialabgaben und einer Reihe absetzbarer Beträge schöpfen kann. – Sparbrötchen ganz anderer Art erzeugt das Mikrofinanz­unwesen in der Dritten Welt. Hierzu hat Gerhard Klas ein Buch geschrieben, das im vergangenen Jahr im Verlag Assoziation A erschienen ist. In der Besprechung durch Phil Mader im Heft heißt es hierzu:

Klas berichtet nicht nur von den realen Schuldenfallen, in die arme Menschen gelangen, sondern auch über die scheinheilige Öffentlichkeitsarbeit der (oft deutschen) Akteure, die das rasante Wachstum der Kleinkredit-Industrie möglich macht. [3]

Bei weltweit durchschnittlichen Zinssätzen von 38 Prozent ist es dann auch kein Wunder, wenn Mikrokredite ein rasant wachsendes Geschäft sind; der derzeitige Umfang wird auf 60 Milliarden Dollar geschätzt. Der Druck auf die Armen, die dringend auf derartige Kredite angewiesen sind, ist immens, die Todesrate derer, die es nicht schaffen, erheblich. Während sich Kundinnen und Kunden eines indischen Mikro­finanzinstituts selbst töten, um der Schuldenfalle zu entfliehen, konnte der Bankengründer sein Institut per Börsengang mit 60 Millionen Dollar kapitalisieren. Gerhard Klas weist in einem Interview zu seinem Buch auf einen weiteren wichtigen Aspekt hin:

Es ist verkehrt, zu glauben, man könne mit Mitteln der Marktwirtschaft die Armut weltweit in die Schranken weisen. Das große Problem der Mikrokredite ist, dass sie andere sinnvolle Ansätze verdrängen. Sie sorgen dafür, dass Staaten nichts mehr umsonst rausgehen, denn alles kann ja mit Mikrokrediten bezahlt werden. Ein öffentlicher Sektor mit Gesundheitswesen und Bildungswesen ist aber wichtig, damit die Leute ihrer Armut entfliehen können. Stattdessen beteuert der Begründer des Mikrofinanzgedankens, der Nobelpreisträger Mohammad Yunus aus Bangladesch, dass es keine wohlfahrtsstaatlichen Leistungen mehr brauche, wenn das System der Mikrokredite funktioniere.

Da wäre die FDP aber richtig glücklich. Keine Sozialabgaben mehr, kein Wohlfahrtsstaat, jede und jeder ist des eigenen Glückes Schmied. Wer sich lebenswichtige soziale Leistungen nicht kaufen kann, hat dann eben Pech gehabt. Bestimmt ein Modell, für das deutsche Gesundheits­wesen, an dem ja noch eine ganze Versicherungs­branche verdienen will.

Schwerpunkt des Sommerheftes von Lunapark21 ist die Jagd nach alten und neuen Rohstoffen, verbunden mit in der Regel zerstörerischen Folgen. Und weil es das Kapital nichts angeht, was es da so zerstört, wird der Mineralreichtum der Erde auch mit besonderer Brutalität und Perfidie zu Tage gefördert. Neben den Klassikern Kohle, Eisenerz, Gold und Silber, die weiterhin in den kapitalistischen Metropolen wie den nachholenden Schwellenländern massiv benötigt werden, kommen andere Klassiker wie Öl und Gas. Die Europäische Kommission definiert vierzehn knappe Metalle und Mineralien, die – davon dürfen wir ausgehen – zukünftig auch von der Bundeswehr zu sichern sind. Der einstmalige, selbstredend sozialdemokratische, deutsche Kriegsminister Peter Struck hatte einstens in den Verteidigungs­politischen Richtlinien die Sicherung von Rohstoffen als Aufgabe der Kampftruppe hineinschreiben lassen.

Seltene Erden sind, wie der Name sagt, nicht nur selten, sondern aus der derzeitigen technologischen Welt nicht mehr wegzudenken. Ohne diese seltene Erden, es handelt sich um Metalle, gäbe es wohl keine Festplatten­laufwerke, keine Kernspin­tomografen, keine Abgasfilter, keine Flachbildschirme, auch beim iPod und iPad, keine wieder­aufladbaren Batterien, keine Katalysatoren, keine dieser als Sondermüll zu deklarierenden Energiesparlampen und keine Glasfaserkabel für besonder schnelle Computernetze. Neben ökologischem Schnickschnack ist also auch der Wohlstandsmüll des 21. Jahrhunderts beteiligt. Manche dieser Seltenen Erden sind zudem so selten, daß sie bald versiegen, doch es gibt immer wieder findige Konzerne, die neue Quellen auftun.

Die unökologischen Begleit­erscheinungen reichen von Mondlandschaften über radioaktive Strahlenparks hin zu Giftmüllhalden, die vorzugsweise bei befreundeten Regierungen in der Dritten Welt angelegt werden. Kinderarbeit, tödliche Arbeitsunfälle, massive Gesundheits­schäden und Trinkwasser­verseuchung sind hierbei ebenso Standard wie Steuerbefreiung und massiver Profit. Was auch sonst? Ach ja, Menschenrechte gibt es natürlich auch keine. Dafür sorgen im Zweifelsfall Warlords, betriebseigene Schlägertrupps oder der Repressionsapparat der schon genannten befreundeten Regierungen. Derart befreundete Regierungen sind nicht nur die allseits bekannten und von unserer Bundesregierung verhätschelten Verdächtigen, sondern können durchaus auch einmal linksgerichtet sein wie in Bolivien oder Ecuador.

Der Klimawandel legt die Arktis frei und weckt Begehrlichkeiten nicht nur bei den Anrainerstaaten. Ja, sogar das Erbe der Deutschen Demokratischen Republik wird angetreten, denn selbige mußte einstens aufgrund von Devisenmangel eine eigene Rohstoffautarkie aufbauen, weshalb sie systematisch das gesamte Land mit Probebohrungen durchlöcherte. Von den Ergebnissen profitieren heutige Konzerne, denn die Ergebnisse lagerten zunächst in Archiven und stellen heute eine Wissensbank dar, die aussagt, wo es sich mit geringem Aufwand und finanziellem Risiko lohnt nachzuschürfen.

Dies alles und noch einiges mehr ist genauer nachzulesen im Sommerheft Nummer 18 von Lunapark21, der Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie. Das Einzelheft kostet 5 Euro 90 und kann in Darmstadt beispielsweise im Georg-Büchner-Buchladen erworben werden. Ein Abonnement ist natürlich auch erwünscht; die Webseite zum Projekt lautet www.lunapark21.de.

 

Destruktion per Patriarchat

Besprechung von : Claudia von Werlhof – Die Verkehrung, Promedia Verlag, Wien 2011, 239 Seiten, € 17,90

Daß und wie der Kapitalismus als weltweites Ausbeutungs­verhältnis existiert, ist seit den einschlägigen Schriften von Karl Marx kein Geheimnis mehr. Daß Karl Marx und daran anknüpfend die wohl brillianteste Marxistin vor dem Ersten Weltkrieg, Rosa Luxemburg, das eine oder andere übersehen haben könnten, hatte die Ökonomin Christel Neusüß 1985 in ihrem Buch über „Die Kopfgeburten der Arbeiterbewegung“ herausgearbeitet. Der blinde Fleck der Marxschen und daran anknüpfend auch der marxistischen Theorie in all ihren Schattierungen besteht darin, den zweiten zentralen Widerspruch neben dem Kapitalverhältnis geflissentlich übersehen zu haben. Gemeint ist das Patriarchat. Mehr noch, so meinte nicht nur Christel Neusüß, sei es notwendig herauszuarbeiten, wie sich Kapitalismus und Patriarchat gegenseitig bedingen, gegenseitig benutzen und dazu beitragen, daß insbesondere Frauen als eine wohlfeile Ressource benutzt werden, die keinen Wert besitzt.

Zwei Jahre vor den „Kopfgeburten“ erschien im Rowohlt-Verlag ein Sammelband mit dem Titel „Frauen – Die letzte Kolonie“. Die drei Autorinnen, Claudia von Werlhof, Maria Mies und Veronika Bennholdt-Thomsen, entwarfen hierin eine neue Interpretation über die Inkorporierung von Frauen und Frauenarbeit in die kapitalistische Ökonomie. Frauen wurden als Beigabe zu den Arbeitermännern zu Hausfrauen gemacht. Hausfrauen sind nämlich keine historische Konstante, sondern ein relativ neuzeitliches Konstrukt. Ausgehend von der bürgerlichen Familie des 18. Jahrhunderts wurde das hierin entwickelte Modell der Kleinfamilie auf Arbeiterinnen- und Arbeiterhaushalte übergestülpt. Vor allem die Arbeiter waren das Ziel dieser Maßnahme. Arbeiter, die in speziell eingerichteten Wohnungen mit Ehegattin und Kindern lebten, waren leichter zu domestizieren und weniger anfällig für die damalige sozial­demokratische Agitation, so jedenfalls dachten sich die Industrielle und kapitalfreudige Intellektuelle.

Bei Marx finden wir theoretisch entwickelt und begründet, daß sich der Wert der Ware Arbeitskraft nicht nur daraus speist, daß selbiger Arbeiter am nächsten Arbeitstag frisch ausgeruht, ausreichend ernährt und gekleidet wieder auf der Matte steht, sondern es gibt hierbei einen weiteren Aspekt, der generationen­übergreifend ist. Selbst­verständlich geht in den Wert der Ware Arbeitskraft auch ein, daß eine neue Generation von Arbeitermännern geboren, aufgezogen, ausgebildet und sozialisiert werden muß, um die alten, verschlissenen Exemplare zu ersetzen. Was dieser unzweifelhaft stimmigen Theorie jedoch fehlt, ist der Blick darauf, wer denn dafür sorgt, daß diese Arbeitermänner Tag für Tag wie gewünscht funktionieren, und wer dafür sorgt, daß der Ersatz großgezogen wird. In der Marxschen Werttheorie kommen Hausfrauen als Subjekte nicht vor. Sie werden als gegeben hingenommen und bedürfen folglich keiner weiteren theoretischen Näherung.

Genauso wie Christel Neusüß sahen dies auch Maria Mies, Claudia von Werlhof und Veronika Bennholdt-Thomsen nicht ein. Sie gingen der Frage nach, welchen Anteil selbige Hausfrauen, ja Frauen überhaupt mit ihrer unsichtbar gemachten Subsistenzarbeit an der Wertschöpfung des Kapitals besitzen. Das daraus resultierende Buch „Frauen – die letzte Kolonie“ sollte sich zu einem der wichtigsten sozial­wissenschaftlichen Werke der 80er Jahre entwickeln. Nicht nur die Frauenbewegung nahm dieses Buch zum Anlaß weiterzuforschen, auch in linken, vor allem autonomen und anti­imperialistischen Zusammenhängen, wurde mit diesem Buch das Patriarchat als wesentlicher Grundpfeiler kapitalistischer Herrschaft und staatlicher Organisierung betrachtet. Da die drei Autorinnen zu diesem Zeitpunkt an der Universität Bielefeld beschäftigt waren [4], wurde der hieraus resultierende theoretische Ansatz einfach nur als „die Bielefelderinnen“ bezeichnet.

Claudia von Werlhof wurde 1988 auf den Frauenforschungs­lehrstuhl der Universität Innsbruck berufen. Im Gegensatz zum frauen­wissenschaftlichen Mainstream weigerte sie sich, der Matriarchats­forschung zu entsagen und statt dessen dem das Herrschafts­verhältnis Patriarchat verwischenden Begriff „Gender“ zu frönen. 2010 gründete sie den Verein Planetare Bewegung für Mutter Erde. Im selben Jahr, am 12. Januar 2010, ereignete sich ein schweres Erdbeben auf Haiti, das zwischen 200.000 und einer halben Millionen Menschen das Leben kostete. Einen Monat später bemerkte Claudia von Werlhof in einem Interview mit der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“, das Erdbeben in Haiti könne möglicher­weise künstlich hervorgerufen worden sein. Sie bezog sich hierbei auf die Arbeiten der Umweltaktivistin Rosalie Bertell, die davon ausgeht, daß eine neue Waffengeneration die Erde elektro­magnetisch bearbeitet, das Wetter manipuliert und mit tödlichen Substanzen besprüht.

Buchcover Die VerkehrungAll dies war an mir vorbeigegangen, weil ich für derartige Verschwörungs­theorien nichts übrig habe. Interessanter fand ich hingegen den Hinweis des Promedia-Verlags in Wien, Claudia von Werlhof werde dort ein Buch über das rund 12.000 Jahre alte patriarchale Projekt herausbringen. Da mich derlei sowohl historisch wie soziologisch interessiert und ich zudem von „den Bielefelderinnen“, als sie noch in Bielefeld gelehrt und geschrieben haben, so einiges gelernt habe, bat ich den Verleger Hannes Hofbauer, mir das Buch zuzusenden. Und in der Tat entwickelt das Buch einen ganz eigenen Diskurs, wobei sich die Autorin wenig um einschlägige wissenschaftliche Formalitäten schert. Es ist ein Buch, dessen Thesen ich zum Teil spannend, zum Teil – gelinde gesagt – merkwürdig finde und dessen esoterischer Beigeschmack nicht zu überlesen ist.

Nichtsdestotrotz ermöglicht das Buch einen Zugang zu dem, was 12.000 Jahre Patriarchat angerichtet haben und was aufhören muß. Nur – wer wird schon auf eine Matriarchats- und Patriarchats­forscherin hören, wenn die Erde doch so prima profitabel vernutzt und zerstört werden kann? Insofern findet sich hier auch ein Ansatzpunkt an meine Ausführungen zum Schwerpunkt des aktuellen Hefts von Lunapark21 über die alte und neue Jagd nach Rohstoffen.

Nun bildet die stoffliche Vernutzung der Erde und die damit verbundene gigantische Zerstörung der Lebens­grundlagen eines ganzen Planeten auch einen Teil der Ausführungen Claudia von Werlhofs. Mindestens genauso interessant ist es, ihr dabei zuzuschauen, wie sie einen bestimmten patriarchalen Stil von Wissen­schaftlichkeit auf seine alchemistischen Grundlagen zurückführt. Der männliche Drang, alles zu sezieren und in immer wieder neuen Variationen zusammen­zubasteln – zuletzt bei der Suche nach dem Higgs-Boson im Schweizer Kernforschungs­zentrum CERN, bei der ohne weitere Umschweife auch schwarze Löcher mit eingeplant werden –, erinnert in der Tat sehr stark an alchemistische Praktiken des Mittelalters und der frühen Neuzeit.

Doch, und hier geht die Autorin noch einen Schritt weiter, es geht bei dieser alchemistischen Natur­beherrschung letzten Endes auch darum, daß das Patriarchat sich selbst zum Geburtshelfer einer neuen Gesellschaft­lichkeit erhebt, bei dem es ohne die Gebärtätigkeit von Frauen auskommt. Gentechnik, Bio- und Reproduktions­technologien sind hier das Mittel der Wahl.

Das Patriarchat ist keine historische Konstante, schon gar keine anthropologische. Das Patriarchat als Gesellschafts­form ist innerhalb der menschlichen Evolution eine vergleichsweise neue Entwicklung. Während der mindestens eine Million Jahre zuvor gab es etwas, was Claudia von Werlhof als Matriarchat bezeichnen würde. Während sie den Zeitrahmen dieses Patriarchats auf etwa 5-7.000 Jahre ansetzt, also mit den Beginn der sogenannten Frühen Hochkulturen in Mesopotamien und Ägypten, gehe ich noch einige Jahrtausende weiter zurück. Meinem Verständnis nach wäre der Beginn des Patriarchats mit der sogenannten Neolithischen Revolution anzusetzen, also dem Beginn von Ackerbau und Viehzucht und dem damit verbundenen Einzug von Eigentum und sozialer Schichtung in menschlichen Gemeinschaften. Doch was versteht die Autorin dann unter „Matriarchat“?

Zunächst einmal handelt es sich um Lebenszusammen­hänge, von Gesellschaft zu sprechen, dürfte wohl angesichts kleinerer Verbände umherstreifender Menschen arg übertrieben sein, also um Lebens­zusammenhänge, die als nicht-patriarchale Naturauffassung Natur und Frau miteinander verbinden. Diese Verbundenheit kommt ihrer Auffassung nach im weiblichen Schöpfungsakt zum Ausdruck. Daher hätten Männer einen Gebärneid, bis heute, weshalb sie ja auch versuchen, auf nicht natürliche Weise mit ihrer eigenen Geburtsmaschine, den schon benannten Bio- und Reproduktions­technologien, Leben zu erzeugen. Nebenbei bemerkt, erlaube ich mir die Feststellung, daß der in Psychoanalyse auf den Punkt gebrachte Penisneid nichts anderes als eine Projektion darstellt, der einen männlichen Neid kaschieren soll.

Das Patriarchat kann sich jedenfalls nur aus der Zerstörung und als vollständiger Gegenentwurf zur ursprünglicheren matriarchalen Gesellschaft entwickeln. „Soweit wir heute wissen, begann das Patriarchat überall mit Krieg.“ [5] Wobei die Frage, weshalb Männer Krieg führen mußten, unbeantwortet bleibt, aber belegen würde, daß schon vor der Kriegshandlung die Grundlage patriarchalen Denkens und Handelns existiert haben muß. Somit geht es beim Patriarchat auch nicht um reine Väter-Herrschaft, wie der Name besagt, sondern um ein Konzept. Krieg ist demnach die typische Ordnung des Patriarchats, und dieser Krieg wird gegen andere Menschen, insbesondere Frauen, und gegen die Natur, bzw. in Claudia von Werlhofs Worten, „Mutter Erde“, geführt.

Das Matriarchat als Vorläuferin und Gegenentwurf ist demnach nicht eine Herrschaft der Mütter, sondern keine Herrschaft, in der Frauen eine ganz andere, ja überhaupt eine Wertigkeit besitzen und in der nicht männliche Utopien von der Beherrschbarkeit und Verbesserung des Universums ausgelebt werden müssen. Ich finde ihre Beschreibung dessen, was unter dem etwas irreführenden Begriff des Matriarchats zu verstehen ist, als Gedankenmodell recht nützlich:

Unter matriarchalen Verhältnissen verstehe ich zunächst einmal jene, dem natur- und seinsverbundenen Leben menschlicher Gruppen und Gemeinschaften und dessen Erhaltung am jeweiligen Ort am meisten angemessen sind und die sich ihrerseits in einem langen Prozess historischer Entwicklung in verschiedenen Formen auf der ganzen Welt herausgebildet haben. Das Gemeinsame innerhalb der möglichen Vielfalt matriarchaler Kulturen ist – nimmt man Kultur wörtlich – die „Pflege“ des Lebens, insbesondere auch die Reflexion über die Möglichkeiten, dabei Gewalt zu vermeiden. [6]

Das Patriarchat ist hierzu der Gegenentwurf. Diesen Gedanken, mitsamt der daran geknüpften ideologischen Verrenkungen patriarchaler Theorien und wissenschaftlicher Normen, spinnt die Autorin auf über 200 Seiten fort, um anschließend die Frage zu stellen, wir die Menschheit aus diesem alchemistischen Teufelskreis hinauskommen kann. Daß die Antwort esoterische Züge trägt, darf nicht verwundern, landet die Autorin doch bei einer überaus phantasievollen, um nicht zu sagen absurden Vorstellung über die von wilden Frauen mitbestimmten Lebenswelt der Kelten. Das ist insofern Unsinn, als keltische Gesellschaften Kriegergesellschaften und damit patriarchale Gesellschaften waren.

 

Gegenderte Hausfrauen

Nun führt Claudia von Werlhof einen weiteren Gedankenstrang ein, der durchaus einiges für sich hat. Die alte matriarchale Welt ist nicht vollständig verschwunden, sondern lebt als „zweite Kultur“ innerhalb des Patriarchats in widerständigen Formen weiter. Deshalb sah sich das Programm der „Aufklärung“ des frühneu­zeitlichen Europa verpflichtet, vor allem gegen Ketzer, Hexen und Heiden vorzugehen. Die daraus hervorgetretene moderne Ratio

setzt die Unterwerfung der Frauen als Gattung voraus und attestiert ihnen mit der „Natur der Frau“ einen neuen „Naturcharakter“, nämlich den der „Hausfrau“, die erst ein Ergebnis der Hexenverfolgung ist. [7]

Fassen wir zusammen: das Projekt des Patriarchats beruht auf Krieg und Zerstörung, seine Logik ist die, eine Utopie nachzujagen, die ohne Natur und Frauen auskommt, und seine Wissenschaft ist streng rational nach dem Baukasten­prinzip der Alchemie konstruiert. Andere Formen der Wissenschaft, Hexenwissen oder Subsistenz­wirtschaft, wurden systematisch eliminiert. Die postmodernen Zeiten haben zur Einbindung, ja Mitwirkung von Frauen an diesem Projekt die Gender Studies hinzugefügt, deren Ursprünge aus der Frauenforschung der 70er und 80er Jahre nur noch zu erahnen sind. Und dies ist ein weiterer Gedanke, der das Buch „Die Verkehrung“ durchzieht. Sie schreibt dazu:

Mein Thema ist also nach wie vor die Frage der Schaffung und Existenz von Frauen als Hausfrauen, und zwar auch jenseits des Kapitalismus. Es geht also um Ziel und Methode des Patriarchats – nicht allein des Kapitalismus – selbst. Denn die Hausfrauen-Frage geht in einer bestimmten Weise über den Kapitalismus hinaus.

Meine These ist, dass wir im Patriarchat aus dem Problem des hausfraulich-definiert-Seins nicht hinausgelangen. Innerhalb des patriarchalen Systems gibt es keine Perspektive, die Definition als Hausfrau hinter sich zu lassen – es sei denn, mit den Hausfrauen werden auch die Frauen selbst abgeschafft. Aber das kann sich eigentlich niemand von uns wünschen!

Bisher haben wir analysiert: Hausfrauen werden gemacht, sie sind weltweit arm, und sie haben keine Macht. Das lässt sich nicht dadurch ändern, dass wir versuchen, „Frauenpower“ zu bekommen, indem wir vermehrt zur Lohnarbeit greifen, indem wir Frauenpolitik machen oder indem wir so tun, als wenn wir gar keine Frauen wären. Das ist ja der neue Ansatz aus den Gender Studies, der „Gender-Forschung“. Dieser Ansatz abstrahiert von der Tatsache, dass Frauen in unserer Gesellschaft als Hausfrauen definiert sind, und zwar auch dann, wenn sie Lohn­arbeiterinnen sind („hausfrauisierte Lohnarbeit“). [8]

Kurz gesagt: die Genderstudien sollen Frauen dazu anleiten und befähigen, sich als Ressource geschlechts­neutral einzubringen, um an der eigenen Selbst­verwertung zugunsten des Kapitals und des Patriarchats teilzunehmen, ganz im Sinne des homo oeconomicus. Sie sind eine Falle, weil sich Frauen hiermit zu Mittäterinnen am globalen System der Ausbeutung und Zerstörung hergeben.

Ich finde dieses Buch recht schwierig zu lesen. Einerseits finden sich hierin eine Reihe von recht bedenkenswerten Gedankengängen, die auf die absurde und zerstörerische Logik kapitalistischer und patriarchaler Vergesellschaftung und deren Verschränkung hinweisen. Daß sie hierbei die Gender Studies aufs Korn nimmt, darf nicht verwundern, denn sie sind, genauso wie das Gender Mainstreaming tatsächlich ein Projekt der Befriedung und der Nutzbar­machung weiblicher Ressourcen. Kein Wunder, daß nicht Frauenforschung, sondern Gender Studies, nicht Quotierung, sondern ein Mainstreaming finanziell und immateriell gefördert wird. Denn sie sind nützlich. Weniger nützlich ist zumindest für einen Grünen Stadtpolitiker das Frauenbüro in Darmstadt, der er fordert als Sparmaßnahme im virtuellen Bürger­haushalt dessen Abschaffung.

Der Seitenhieb auf die patriarchale Logik von Wissenschaft zeigt uns, wie brüchig, wie einseitig und wie zerstörerisch das ist, was mit dieser Wissenschaft gemeint ist und was dabei herauskommt. Sie ist grundsätzlich nicht ergebnisoffen, sondern kanalisiert. Nur Idioten basteln mit schwarzen Löchern herum, vor allem, wenn diese Zauberlehrlinge nicht einmal wissen, was sie da wirklich tun. Und diese Idioten sind Männer, was sonst? Da werden Milliarden verpulvert, um ein hypothetisches Teilchen der männlichen Kosmologie zu finden, während jährlich Millionen Kinder krepieren, die mit einem Bruchteil dieses Geldes hätten am Leben erhalten werden können. So etwas ist nicht nur kriminell, es ist die jämmerliche Logik des Patriarchats (und des Kapitals, natürlich) selbst.

Andererseits finden wir in diesem Buch Annahmen vor, die weibliche Sehnsüchte mit einem krude zusammen­gestoppelten Weltbild vermischen. Das Beispiel der Kelten ließe sich ergänzen um den Nonsense, daß die Sphinx am Fuße der Pyramiden angeblich 14.000 Jahre alt sein und einer vollkommen unbekannten Hochkultur entstammen soll [9], nur weil ein recht phantasievoller Mann diesen Quark einmal in die Welt gesetzt hat. Den Keltenkram hat übrigens auch ein Mann beigesteuert. [10]

Und dann geht sie den Machbarkeits­phantasien der Männer auf den Leim. Nicht alles, was sich die männliche Wissenschaft ausdenken mag, ist auch machbar, zum Glück, und deshalb nicht Realität. Erzeugen künstlicher Erdbeben, Lenkung von Tornados, die Störung des Erdmagnetfeldes mittels künstlichen Geo-Engineerings ist der patriarchalen Logik zwar zuzutrauen, aber deshalb noch nicht vorhanden. Als Beweis für diese zerstörerischen Absichten reicht es auch nicht, darauf hinzuweisen, daß die UNO bereits 1977 in einer entsprechenden Konvention eingefordert hat, auf jede militärische Anwendung derartiger Technologien zu verzichten.

Bleibt als eine Art Schlußwort ein Gedanke mitten aus dem Buch:

Das ist auf jeden Fall eine andere als die übliche Art, die Neuzeit im Rahmen der Geschichte des Patriarchats und als dessen Gipfel, nämlich als kapitalistisches Patriarchat, konkretisiert in einem "Alchemistischen Kriegs-System" zu definieren und zu periodisieren, und sie macht Sinn, indem sie uns neue Perspektiven und Interpretationsmöglichkeiten der Realität, ihrer ständigen, immer schnelleren und immer zerstörerischen Transformation und unser Hineingezogensein in diese Vorgänge eröffnet. [11]

Warum derlei dann immer in esoterische Spintisierereien abdriften muß, werde ich hingegen wohl nie begreifen. Das Buch „Die Verkehrung. Das Projekt des Patriarchats und das Gender-Dilemma“ von Claudia von Werlhof ist im Wiener Promedia Verlag erschienen und kostet 17 Euro 90.

 

Schluß

Das soeben Gehörte werde ich in den nächsten Tagen auf meiner Webseite als geschriebenen Text zur Verfügung stellen unter www.waltpolitik.de. Die in meiner heutigen Sendung eingespielte Musik stammt von der CD Strom und Wasser featuring The Refugees. Wiederholt wird diese Sendung voraussichtlich auch, und zwar in der Nacht zum Dienstag gegen 23.10 Uhr, und dann am frühen Morgen um 5.10 und am späten Dienstag­vormittag gegen 11.10 Uhr. Am Mikrofon war Walter Kuhl aus der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt.

 

ANMERKUNGEN
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»» [1]   quartalslüge, in: Lunpark21, Heft 18, Sommer 2012, Seite 4–5.

»» [2]   Thomas Kuczynski : Vierzig Jahre Diagnose, in: Lunapark21, Heft 18, Seite 69.

»» [3]   Phil Mader : Selbstmorde und das Geschäft mit der Armut, in: Lunapark 21, Heft 18, Seite 33. Auch bei Radio Darmstadt gibt es derlei Gutmenschen, die das Mikrofinanz­unwesen und dessen Guru Mohammad Yunus abfeiern.

»» [4]   Claudia von Werlhof wies mich darauf hin, daß Maria Mies nie in Bielefeld gelehrt hat.

»» [5]   Claudia von Werlhof : Die Verkehrung, Seite 46.

»» [6]   von Werlhof Seite 44.

»» [7]   von Werlhof Seite 81.

»» [8]   von Werlhof Seite 113–114.

»» [9]   von Werlhof Seite 43.

»» [10]   von Werlhof Seite 197ff.

»» [11]   von Werlhof Seite 96.


Diese Seite wurde zuletzt am 12. August 2012 aktualisiert. Links auf andere Webseiten bedeuten keine Zustimmung zu den jeweiligen Inhalten, sondern sind rein informativer Natur. ©  Walter Kuhl 2001, 2012. Die Wiedergabe, auch auszugsweise, ist nur mit dem Einverständnis des Verfassers gestattet.

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