Sendung der Redaktion Alltag und Geschichte
Radio: Radio Darmstadt
Redaktion und Moderation: Walter Kuhl
Ausstrahlung am:
Montag, 11. April 2011, 17.00 bis 18.00 Uhr
Wiederholt:
Dienstag, 12. April 2011, 00.00 bis 01.00 Uhr
Dienstag, 12. April 2011, 05.00 bis 06.00 Uhr
Dienstag, 12. April 2011, 11.00 bis 12.00 Uhr
Zusammenfassung:
Darmstadt hat einen neuen Oberbürgermeister gewählt. Fast zwei Dritteln der Wahlberechtigten war das schnurzpiepegal. Neville Alexander hielt einen Vortrag über die Sprache der Macht und die Macht der Sprache. Das fand ich interessanter als eine detaillierte Wahlanalyse und habe seinen Vortrag von Radio Helsinki in Graz übernommen.
Da bei der Zusammenstellung des Programmflyers für April 2011 geschlampt wurde, hat sich ein Vereinsmitglied gedacht, das gesendete Programm der leicht unsinnigen Vorgabe des Programmflyers anzupassen. Das war zwar nett den Hörerinnen und Hörern gegenüber, unterschlug jedoch in der Nachtwiederholung eine Stunde des Abendprogramms.
Zur Neoliberalisierung von Radio Darmstadt und seinem Trägerverein und zur Ausgrenzung mehrerer Mitglieder meiner Redaktion seit 2006 siehe meine ausführliche Dokumentation.
Jingle Alltag und Geschichte
Das Ergebnis war krachend, aber vorhersehbar. Darmstadts gerade noch regierender Oberbürgermeister Walter Hoffmann erhielt gerade einmal noch elf Prozent der Stimmen aller Wahlberechtigten, während sein Gegenkandidat Jochen Partsch sich immerhin der gekreuzelten Unterstützung von weniger als einem Viertel der Bevölkerung erfreuen darf. Fast zwei Drittel der Darmstädterinnen und Darmstädter war es hingegen herzlich egal, wer denn als Chef ins Rathaus einziehen darf. Auch ich habe es vorgezogen, nicht eine Politik zu legitimieren, die jenseits aller guten Absichten zwangsläufig neoliberal ausgerichtet sein wird, und bin folgerichtig zuhause geblieben, habe nicht einmal gezielt ungültig gewählt.
Bei Walter Hoffmann ist das offensichtlich. Als Gerhard Schröder vor fast zehn Jahren den massiven sozialen Kahlschlag einläutete, war Hoffmann, damals Bundestagsabgeordneter, eifrig dabei. Kein Wunder, daß die FDP vor dem zweiten Wahlgang aufrief, diesen Politiker zu wählen. Mag sein, daß diese Wahlempfehlung der FDP dem Sozialdemokraten die rund dreitausend Stimmen gekostet hat, die er aus dem ersten Wahlgang verloren hat. Insofern waren Hanno Benz und Michael Siebel wohl recht klarsichtig, als sie vor einem Jahr einen Putsch gegen den Amtsinhaber inszenierten, ohne einen Plan B – einen alternativen Kandidaten oder eine neue Frontfrau – in der Tasche zu haben. Daß es Walter Hoffmann in die zweite Runde geschafft hat, fand ich eher erstaunlich. Aber auch keine andere SPD-Politikerin hätte eine Chance gehabt. Die Darmstädter SPD hat sich – nicht zuletzt durch Dagmar Metzgers Coup gegen die Abwahl von Roland Koch – derart demontiert, daß selbst der jahrzehntelang angehäufte Filz das Gebälk nicht mehr zusammenhält.
Die Visionen von Jochen Partsch habe ich mir vor einem Monat auf einer Veranstaltung von ver.di anhören dürfen; überzeugt haben sie mich nicht. Insbesondere seine Ausführungen über das Produkt Stadtverwaltung haben mich schaudern lassen. Mag sein, daß im Kapitalismus auch die bürokratische Verwaltung der Stadt eine Ware ist, aber es ist eine andere Sache, dies auch noch affirmativ zu vertreten. Wir dürfen gespannt sein, wie das partizipatorische Moment seiner versprochenen Politik aussieht, und noch gespannter, wo die Partizipation, die hier Bürgerbeteiligung genannt wird, endet. Immerhin hat eine Mehrheit von fast zwei Drittel der wählen dürfenden Männer und Frauen beschlossen, daß sie sich weder von Walter Hoffmann noch von Jochen Partsch angesprochen fühlen.
Wer immer regiert, hat eine schweigende, vielleicht auch unzufriedene und mitunter aufgebehrende Mehrheit gegen sich. Einerseits verkörpert die Wahl von Jochen Partsch einen Aufbruch, fragt sich bloß, von wem und mit welcher Zielsetzung. Welche Pfründe gilt es, zugunsten der eigenen Wahlklientel umzuverteilen? Andererseits ist das Darmstädter Establishment gewiß bereit, mit Jochen Partsch zusammenzuarbeiten. Bei der Wahl des Koalitionspartners werden die Grünen deutlich machen, wie konservativ sie ihr Verständnis von Politik ausrichten werden. Meint Walter Kuhl aus der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt.
Da ich meine Sendungen aufgrund eines Hausverbots vorproduzieren und als Podcast auf einer CD einreichen muß, habe ich angesichts des schönen Wetters beschlossen, meine freie Zeit nicht der Idiotie eines Vereins zu opfern, der das grundgesetzlich geschützte Recht nach Artikel 5, also die rechtlich zulässige freie Meinungsäußerung, mit einem Hausverbot bestraft. Statt dessen werde ich in der kommenden Stunde einen Vortrag von Neville Alexander über die Sprache der Macht und die Macht der Sprache zu Gehör bringen, der von Radio Helsinki in Graz aufgezeichnet und freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde.
Neville Alexander, der in Kapstadt Germanistik und Geschichte studiert und sich in seiner Studentenzeit der Anti-Apartheidsbewegung angeschlossen hat, wurde 1964 zu zehn Jahren Knast auf der berüchtigten Gefängnisinsel Robben Island verurteilt. Sein nachfolgendes politisches Engagement war immer auch mit der sozialen Frage verknüpft, weshalb er nach Beendigung des Apartheid-Regimes auch die neuen Machthaber wegen ihres neoliberal ausgerichteten Kurses kritisierte. Seine kleine trotzkistische Arbeiterpartei fand jedoch kaum Gehör. Dabei sind viele soziale und wirtschaftliche Probleme im heutigen Südafrika geradezu eklatant. Während sich die Machthaber mit der Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft ein Denkmal setzten und hierbei anderweitig dringend benötigte wirtschaftliche Ressourcen vergeudeten, sinkt die Lebenserwartung der ärmeren Bevölkerung dramatisch und ist HIV ein brennendes Problem, für das die neuen Machthaber kein angemessenes Verständnis aufbringen. Der Vortrag von Neville Alexander, den ihr nun hören werdet, ist auf Englisch gehalten.
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