Sendung der Redaktion Alltag und Geschichte
Radio: Radio Darmstadt
Redaktion und Moderation: Walter Kuhl
Ausstrahlung in zwei Teilen am:
Montag, 22./29. September 2008, 17.00 bis 18.00 Uhr
Wiederholt:
Montag/Dienstag, 22./23. bzw. 29./30. September 2008, 23.10 bis 00.10 Uhr
Dienstag, 23./30. September 2008, 08.00 bis 09.00 Uhr
Dienstag, 23./30. September 2008, 14.00 bis 15.00 Uhr
Zusammenfassung:
Zweiteiliger Vortrag von Robert Kurz, übernommen von Radio F.R.E.I. in Erfurt. Im Anschluß an den zweiten Teil Kurzbesprechung des dritten Hefts der ökonomiekritischen Zeitschrift Lunapark21.
Der Vortrag von Robert Kurz über Fetischvernunft oder kategoriale Kritik? ist auf dem Audioportal des Bundesverbandes Freier Radios als Audiodatei anzuhören bzw. herunterzuladen.
Besprochene Zeitschrift:
Lunapark21, Heft 3/2008
Jingle Alltag und Geschichte
Die Turbulenzen der internationalen Finanzmärkte bringen nicht nur ihre eigenen Fetische hervor. Was eigentlich offensichtlich ist, nämlich daß aus Geld nicht einfach mehr Geld werden kann, es sei denn über die Vermittlung von Ausbeutung und Lohnarbeit, erreicht nun die Gravitationszentren der globalisierten Finanzmärkte. Wir werden seit einigen Wochen, ja Monaten, immer wieder aufs Neue mit den Beschwichtigungs- und Beschwörungsformeln der kapitalistischen Bourgeoisie und ihrer Gesundbeter in der Politik und den vom Kapitalzufluß abhängigen Medien überschwemmt.
Auf der anderen Seite fürchten nicht wenige private Anleger um ihre Ersparnisse, sofern diese nicht auf Schweizer Nummernkonten oder in Liechtensteins Briefkastenbanken gehortet sind. Nicht zuletzt pumpen Regierungen hunderte von Milliarden Dollar bzw. Euro auf den Markt, um die Rendite einiger Bankrotteure zu sichern und den totalen Kollaps des ganz ordinären kapitalistischen Marktes zu verhindern. Nachher wird uns dann natürlich gesagt, so bescheidene Bedürfnisse wie das Baden in Bessungen seien unbezahlbar. Ist ja auch logisch, wenn andernorts das Geld zum Fenster in die gierigen Rachen der Bourgeoisie geworfen wird. Nein, wir wollen nicht klagen. Vielmehr sollten wir nachhaken und uns fragen, wer warum in wessen Interesse handelt, und weshalb es zur staatsbürgerlichen Pflicht gehört, alle paar Jahre diesen Vorgang formaldemokratisch zu legitimieren.
Wie jetzt in Bayern. Die CSU wird abgestraft, das Personal wird ausgewechselt und die Geschäfte gehen weiter.
Die vor kurzem mit ihrer dritten Ausgabe erschienene ökonomiekritische Zeitschrift Lunapark21 geht der ganzen Geschichte mit dem großen Geld auf den Grund, nämlich da, wo sich Welt & Wirtschaft unterm Hammer befinden. Nun, ehrlich gesagt, all das, was wir dort lesen können, ist so neu nicht. Es ist der ganz normale kapitalistische Wahnsinn. Und doch können wir dort das nachschlagen, was die bürgerliche Journaille so gerne an Einsicht verweigert. Das Monster ist kein anonymer Markt, sondern eine Ansammlung wirtschaftlicher Gestzmäßigkeiten, die durch ganz normale Menschen exekutiert werden. Die Charaktermasken eben. Jegliche Politik ist alles andere als wert- und interessenfrei. Fragt sich, welche Interessen.
Lunapark21 gibt Antworten. Zum Teil unbequeme Antworten. Weil sie dazu geeignet sind, unsere selbstzufriedenen Vorstellungen einer immer noch verhältnismäßig gut funktionierenden Sozialstaatsmaschinerie ins Wanken zu bringen. Einigen von uns mag es ja noch gut gehen. Im Vergleich zum Hungerlohnstandard in der Dritten Welt allemal. Aber wir begreifen dies nicht als Vorteil, um gegen derart unhaltbare Zustände aufzubegehren, sondern um uns darin einzurichten. Aber geht das noch?
So begründet Winfried Wolf sehr klar, weshalb eine vom Keynesianismus inspirierte Politik, welche die Nachfrage beleben soll, nicht im Interesse der herrschenden Klasse sein kann. Weshalb demnach jeder Appell an bürgerliche Regierungen, mittels Binnennachfrage die Wirtschaft zu beleben, illusorisch ist. Es entspricht schon längst nicht mehr dem aufgeklärten Eigeninteresse der Bourgeoisie, sich mit einem Sozialstaat Ärger vom Hals zu schaffen. Sie wollen den Ärger, weil er für ihren Profit nützlich ist. Und wir machen mit, wenn wir den Groll nicht gegen die Bourgeoisie lenken, sondern gegeneinander. Mobbing als Gesellschaftsspiel, und das Kapital lacht sich in seinem glitter-glitzernden Lunapark eins ins Fäustchen.
Auch die Gewerkschaften müssen sich diesen neuen Verhältnissen anpassen, und zwar nicht sozialpartnerschaftlich, sondern gegen diese Politik mobilisierend. Es ist auch eine Frage der Berechtigung der eigenen Existenz. Eine Gewerkschaft, die nicht aktiv gegen Lohnraub, Arbeitshetze und Atomisierung vorgeht, braucht keine und niemand. Die moderne Sklavenarbeit trifft allerdings immer noch vorrangig Frauen. Sie stellen nicht nur zwei Drittel des Prekariats, sondern werden auch in Drittweltländern bevorzugt als beliebig ausbeutbare Ressource benutzt. Am Ende der Kette arbeiten Frauen in Bangladesh und anderswo 14 Stunden am Tag für 14 Euro Lohn – pro Monat! Sonst könnten KiK und Lidl ja auch nicht so billig sein.
Schauen wir noch kurz auf's Öl. Öl ist das Schmiermittel des Kapitalismus des 20. Jahrhunderts. Doch die Ressourcen sind endlich und es scheint, als würde inzwischen mehr Öl gefördert als neues Öl entdeckt wird. Die Auswirkungen auf die Preisgestaltung – nicht nur der Energie- und Benzinkosten – sind immens, vor allem dann, wenn Alternativen zur ölbasierten Ökonomie systematisch behindert oder zerschlagen werden. Der Börsengang der Bahn liegt nicht im Interesse einer nachhaltig umweltbewußten Mobilität, sondern im Interesse der Konkurrenz, der Automobil-, Energie- und Luftfahrtkonzerne. Zumal weitere Ölkriege drohen. Aber auch dort, wo das Öl noch sprudelt, ist nicht alles im Lot.
Venezuelas plötzlicher Ölreichtum hilft der Regierung Chávez zwar, das Land zu entwickeln und eine selbstbewußte Rolle auf dem amerikanischen Kontinent einzunehmen. Doch die Armut bleibt weiterhin verbreitet, ebenso wie die Korruption. Nur daß eben nicht mehr die alteingesessene Bourgeoisie vom Ölreichtum im Staatsbesitz profitiert. Dies ist vor allem der Grund ihrer Feindschaft gegen Hugo Chávez. Mexikos Ölindustrie soll hingegen privatisiert werden, damit die Reichen noch reicher werden können. Und die iranischen Mullahs können sich mit dem Ölreichtum Zufriedenheit und Gottesfurcht erkaufen.
Dies und noch einiges mehr wird ausgiebig, informativ und anregend im dritten Heft der Zeitschrift Lunapark21 beleuchtet. Das Heft hat 72 Seiten, kostet 5 Euro 50 und ist am besten über die Webseite des Projekts zu beziehen: www.lunapark21.net.
Zum Schluß noch ein Beitrag zur hessischen Landespolitik. Andrea Ypsilanti gibt ja nicht auf. Das wäre auch töricht. Denn bei einer Neuwahl würde die SPD wahrscheinlich so jämmerlich absaufen wie jetzt in Bayern. Andererseits haben weite Kreise der SPD nur das Wohl des Kapitals und weniger das der eigenen Partei im Auge. Georg Fülberth ist in einem Vortrag am vergangenen Dienstag kurz auf die strategische Rolle von Frau Ypsilanti im Umgang mit der sozialdemokratischen Konkurrenz von der Linkspartei eingegangen. Diesen Vortrag werde ich am morgigen Dienstag oder – falls ihr die Wiederholung dieser Sendung am Dienstag hört, dann natürlich – heute abend als Aufzeichung senden lassen.
Im Oktober 2007 beschloß der damalige Vorstand des Trägervereins von Radio Darmstadt, mir ein Hausverbot auszusprechen. Vorangegangen war ein neunmonatiges Sendeverbot, das auf Druck der hessischen Landesmedienanstalt zurückgenommen werden mußte. Als ich das erste Mal nach Ende des Sendeverbots im Sendestudio erschien, entstand eine hektische Betriebsamkeit unter einigen Vorstandsmitgliedern, aber auch unter einigen Nichtvorständen. Nach meiner Rückkehr nach Hause fand ich im Briefkasten die Mitteilung über das Hausverbot vor. Das Papier war während meiner Sendung schnell in den Computer gehackt und anschließend persönlich (vermutlich durch ein Vorstandsmitglied) eingeworfen worden. Offensichtlich fehlte die Courage, mir das Schreiben direkt face-to-face auszuhändigen.
Seither bin ich gezwungen, meine Sendungen vorzuproduzieren und auf eine CD zu brennen. Nicht nur, daß der Arbeitsaufwand zur Herstellung einer Sendung drastisch steigt, ich bin zudem abhängig von den Launen der Sendetechnik und der Sendenden bei Radio Darmstadt.
Am 29. September wurde eine meiner eingereichten Sendungen zum zehnten Mal in diesem Jahr „mißhandelt“. Diesmal wurde sie um 17.00 Uhr gestartet, aber schon zwei Minuten später wieder gestoppt. Nach einem knapp halbminütigen Sendeloch wurde die CD erneut gestartet, natürlich bei Anfang der Sendung. Folglich fehlten um 18.00 Uhr, dem regulären Start der nachfolgenden Sendung, zweieinhalb Minuten. Weil die nachfolgende Sendung, eine Konserve aus dem Archiv des Senders, wesentlich wichtiger war als eine „Live“sendung, wurde auf den vom Sender zu verantwortenden Patzer zu Beginn der Sendung keine Rücksicht genommen. Mitten im Wort erklang plötzlich knallende Mainstream-Musik, bevor die in bescheidener Mono-Qualität aufgezeichnete Kultursendung zur erneuten Ausstrahlung kam.
Einer der sieben Vorstandsmitglieder des Trägervereins von Radio Darmstadt ist SPD-Stadtverordneter in Weiterstadt. Verschwörungstheoretiker würden hier angesichts drohender kritischer Bemerkungen über seine Partei einen Zusammenhang sehen. Ich hingegen halte das Vorgehen in diesem Fall für bloße Ignoranz.
Der Politikwissenschaftler Georg Fülberth sprach am vergangenen Dienstag auf Einladung der DKP im Linkstreff Georg Fröba über die beiden sozialdemokratischen Parteien SPD und Linkspartei – und über das, was sie voneinander unterscheidet und miteinander verbindet. Mehr hierzu hört ihr am morgigen bzw. heutigen Dienstagabend um 18 Uhr bei Radio Darmstadt. Im Anschluß folgt eine Sendung der Kulturredaktion. Am Mikrofon für die Redaktion Alltag und Geschichte war Walter Kuhl von der Dissent – Medienwerkstatt Darmstadt.
Diese Seite wurde zuletzt am 2. Oktober 2008 aktualisiert. Links auf andere Websites bedeuten keine Zustimmung zu den jeweiligen Inhalten, sondern sind rein informativer Natur. © Walter Kuhl 2001, 2008. Die Wiedergabe, auch auszugsweise, ist nur mit dem Einverständnis des Verfassers gestattet.
URL dieser Seite : https://www.waltpolitik.de/kv/kv_fetis.htm
Zur vorangegangenen Sendung
Zur nachfolgenden Sendung