Koreanische Schrifttafeln.
Reflexionen über die Änderung der Welt
Walter Kuhl
Koreanische Schrifttafeln.
Koreanische Schrifttafeln
aus Metall.
Mosaik an der Johanneskirche in Darmstadt.
Mosaik an der
Johanneskirche.
Berlin Reichstag.
Berlin Reichstag.
Fahnen im Wind.
Beflaggung auf dem
Luisenplatz.
Denkzeichen Güterbahnhof in Darmstadt.
Denkzeichen Güterbahnhof
Darmstadt.

Betrachtungen zu Ludwig Metzger

Wenn eine Auto­biografie Fragen aufwirft

Gedanken zur Verleihung des Ludwig-Metzger-Preises 2011

Betrachtet wird nach­folgend der Zeitab­schnitt zwischen 1933, dem Jahr seiner Ent­lassung aus dem Staats­dienst, und 1950, dem Ende seiner Tätig­keit als Oberbürger­meister von Darmstadt. Seine Tätig­keit für und in der Evangeli­schen Kirche sowie seine politische Karriere in Hessen, im Bundestag und im Europa­parlament bleiben ebenso unberück­sichtigt wie seine Funktionen innerhalb der SPD.

Als Grundlage des hier vorlie­genden Textes dienen seine 1980 erschienene Autobio­grafie „In guten und in schlechten Tagen“ und die Disser­tation von Susanne Király, die 2004 von der Hessischen Historischen Kommission Darmstadt als Buch heraus­gegeben wurde. Allenfalls beweih­räucherndes Lokal­kolorit liefern die Broschüre zur Verleihung der Ehrenbürger­schaft 1976 und die Reden auf Ludwig Metzger zu dessen 80. Geburtstag 1982.

Kritische Betrachtungen sind rar und finden sich nur verstreut. Fred Kautz hat 2008 den Umgang mit der Darm­städter NS-Geschichte im „Stadtlexikon Darmstadt“ beleuchtet. Heinz Schäfer hat in mehreren Aufsätzen Auswüchse des sozialdemo­kratischen Anti­kommunismus in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ausge­graben, die nicht zuletzt an ihm selbst voll­streckt wurden. Philipp Benz schrieb 1993 in der „Zeitung für Darmstadt“ über den Umgang mit alten Nazis beim Wieder­aufbau der kriegs­zerstörten Stadt.

Über Luxemburg unter der NS-Besatzung informieren verschiedene im Internet verstreute Texte, auf die hier zurück­gegriffen wurde. Den blumigen Betrach­tungen Ludwig Metzgers zu Straßburg im Zweiten Weltkrieg wurde ein Roman von Assia Djebar entgegen­gestellt.

Die Anregung zur näheren Beschäfti­gung mit der weit­gehend unwider­sprochen positiven Kultfigur Darm­stadts gab die Ver­leihung des nach ihm benannten Ludwig-Metzger-Preises, genauer: des mit 3.000 Euro dotierten „Anerkennunsg­preises“, also des 4.–18. Preises, der Sparkasse Darmstadt an das örtliche nicht­kommerzielle Lokalradio „Radio Darmstadt“ bzw. an dessen Träger­verein Radar e.V. [1]

»»  Die Verleihung dieses Preises inspirierte mich zudem zu einer Sendung auf den Frequenzen des gewürdigten Mediums. Am 28. März 2011 hieß es in meiner wöchent­lichen ein­stündigen Sendung: „Preiswürdig – Jedes Plagiat verdient seine Anerkennung“. Der Programmrat und manch Getroffene waren not amused. Zum Sendemansukript.

Die Darstellung ist weit­gehend chrono­logisch aufgebaut. Gesetzte Links auf Wikipedia-Artikel dienen der Einordnung von Personen, Institutionen und Zusammen­hängen und sind wie Einträge in jeder anderen Enzyklo­pädie als Hinweis, wo und wie man oder frau weiter­forschen könnte, zu verstehen. Fred Kautz lieferte wertvolle Hinweise auf weitere Literatur und war ein wertvoller Diskussions­partner zu einzelnen Details.

Inhalts­verzeichnis

Prolog – Die Entlassung aus dem Staats­dienst und die Zulassung als Rechts­anwalt

Obwohl sie bei der letzten noch halbwegs freien Reichtagswahl am 5. März 1933 nicht die absolute Mehrheit erringen konnten, gingen die National­sozialisten in den kommenden Tagen daran, ihre Gegner zu terrorisieren, einzusperren und umzubringen. Ludwig Metzger steigt in seiner Autobiografie mit dieser Umbruchszeit ein, die auch sein Leben als Stell­vertreter des Kreis­direktors in Heppenheim an der Bergstraße verändern sollte. Als Abgrenzung zu anderen damaligen Partei­genossen bemerkt er:

„Das waren die Tage und Wochen, in denen ich gelernt habe, daß starke und radikale Worte noch lange keine Gewähr für Standhalten in kritischen Tagen sind.

In Darmstadt hatte der Vorsitzende der SPD, Lautermann, der sich standhaft und radikal gebärdete, seinen Vorsitz, als es gefährlich wurde, niedergelegt und ihn einem jungen Parteimitglied überlassen; drei Tage nach dem Umsturz in Hessen lief er in SA-Uniform herum. Als die Nazis entmachtet waren, schämte er sich nicht, sich bei der SPD als Mitglied zu melden. Wir hatten keinen Platz für ihn.“ [2]

Zuvor schildert Ludwig Metzger, wie er einem SA-Mann in ruhigen Worten die Stirn geboten hatte. Smart sein war angesagt, nicht radikales Denken und Handeln. Während für den Wendehals nach 1945 kein Platz mehr gewesen sein soll, galt dies nicht für andere Nazi­schergen. Wir werden sehen, worin der Unterschied bestanden hat. Ludwig Metzger wurde im Mai 1933 als unsicherer Kantonist bzw. – im Jargon der Zeit – als „national unzuverlässig“ aus dem Staatsdienst entfernt. Kurz darauf wurde er zu seinem Nachfolger, einem gewissen Dr. Hildebrandt, in Heppenheim einbestellt. Fünf Stunden lang parlierten die beiden politisch doch recht weit voneinander stehenden Herren so gut und vertrauens­voll miteinander, daß der Nazi dem Staats­sekretär im hessischen Innen­ministerium namens Dr. Jung anschließend schrieb, es sei erwünscht, „daß solche Beamte dem Staat erhalten bleiben“ [3]. Haben sie nur nett miteinander geplaudert oder hat der Entlassene seinen Nachfolger in die Finessen büro­kratischen Handelns eingeweiht? Auch seine ihm wohl­wollende Biografin Susanne Király kann nur leicht verwundert festhalten, daß er mit Datum vom 1. August 1933

„ein Zeugnis mit einer überaus positiven Bewertung seiner bisherigen Arbeit [bekam]; ein wenig seltsam doch, da es ja klar war, daß er aufgrund seiner politischen Haltung nirgends in Deutschland mehr in den öffent­lichen Dienst eingestellt worden wäre.“ [4]

Dieses traute Einvernehmen ermöglichte es jedenfalls dem entlassenen Staatsdiener, sich gelegentlich als Rechts­anwalt in Darmstadt nieder­zulassen. Beargwöhnt von der Gestapo und der Anwalts­kammer konnte er in den folgenden Jahren ein vergleichs­weise ungefährdetes ziviles Leben führen. Doch bevor er als Rechts­anwalt in Darmstadt zugelassen werden sollte, unternahm er recht unbeschwert eine Wanderschaft nach der Schweiz und Italien. In Genf, so wurde ihm von einem Freund gesagt, könne er sich beim Völkerbund bewerben.

„Ich wurde freundlich empfangen. Man versicherte mir, daß man bereit sei, mich zu beschäftigen, wenn ich mich bewerbe. Die Last der Entscheidung, ob ich mein Vaterland für die Zeit der Herrschaft der Willkür und des Verbrechens verlassen werde, wurde nicht leichter. Fest stand allerdings für mich, daß ich meine Wanderfahrt nicht abbreche.“ [5]

Die nationale Verpflichtung saß wohl tief. Denn er kehrte von seiner ausgedehnten Reise aus Italien nicht über die Schweiz, sondern über Marseille und Paris zurück. Wenn wir bedenken, daß Ludwig Metzger zehn Jahre später um Beschäfti­gung in einer Gesellschaft nachsuchte, die sich an der Beraubung von den Nazis eroberter Länder beteiligte, dann müssen wir uns fragen, weshalb er nicht den eher ruhigen und auch moralisch akzeptablen Job beim Völkerbund angenommen hat. Wem gegenüber fühlte er sich verpflichtet, wenn er nach Deutsch­land zurückkehrte? – Nach einer seitenlang ausufernden und keinerlei Einzelheit auslassenden Schilderung seiner Reise­erlebnisse als Tramp kommt er zum entscheidenden Punkt.

„In meinen Gedanken, ob ich für die nächsten Jahre Deutschland verlassen und dort, wenn irgend möglich, ausharren werde, bin ich zu einem Schluß gekommen. Viele Menschen daheim werden der Stütze, des Trostes und des Zuspruchs bedürfen. Wenn es mir gelingt, als Rechtsanwalt zugelassen zu werden, ist mir die Möglichkeit gegeben, überlege ich, Gegnern des Gewaltsystems in Rechtsnot zu helfen. Das gab für mich den Ausschlag, in dem Land, das zum Land der Unterdrückung geworden ist, zu bleiben. Ich war erleichtert, daß die Entscheidung gefallen war. Mein Weg führte zurück nach Neapel. Aber die Zeit wollte ich mir nehmen, um Darmstadt auf dem Umweg über Frankreich zu erreichen.“ [6]

Diese Passage wirft die Frage auf, ob es sich hierbei tatsächlich um einen Gedanken­gang des umhervaga­bundierenden Ludwig Metzger im warmen Sommerlicht des Jahres 1933 gehandelt hat, oder ob hier eine nach­trägliche Rationali­sierung und Recht­fertigung eines Handelns vorliegt, das mit Beginn des Jahres 1943 auf Seiten der Täter vonstatten geht.

Eingedenk des Wohlwollens, das sein Nachfolger in Heppenheim ihm gegenüber gezeigt hatte und eines Versprechens des Dr. Jung, er könne nach einem Vierteljahr wegen einer Zulassung als Rechts­anwalt vorsprechen, erscheint Ludwig Metzger pünktlich zum festgesetzten Termin in dessen Darmstädter Diensträumen und erinnerte an das gegebene Versprechen. Dr. Jung, „er nennt sich inzwischen hessischer Innen­minister“ [7], befürwortete den Antrag. Jahre später, nach dem Zusammen­bruch der Naziherrschaft, benannte er Ludwig Metzger im Spruchkammer­verfahren als Zeugen für seine korrekte Amts­führung. Offenbar hatte er sich wie auch andere Nazis zu Beginn ihrer Herrschaft vorsorglich rück­versichert. Ob Ludwig Metzger hier als Leumunds­zeuge „hilfreich“ sein konnte, scheint nicht überliefert zu sein.

Ludwig Metzgers Biografin Susanne Király scheint entgangen zu sein, wer denn dieser hessische „Innenminister“ Dr. Jung tatsächlich gewesen ist. Bald nach der Gleich­schaltung der Länder wurde ein gewisser Philipp Wilhelm Jung, seit 1927 Mitglied der SA, am 20. September 1933 zum Minister­präsidenten mit eingeschränkten Befugnissen ernannt. Dieses Amt übte er bis 1935 aus, ehe er von Jakob Sprenger verdrängt wurde. In dieser Funktion war er zugleich Innenminister. Jungs Vorgänger als NS-Minister­präsident, Ferdinand Werner, ein bekannter und in Oberhessen besonders beliebter völkischer Antisemit, wurde in einer zweiten Spruchkammer­verhandlung in Frankfurt am 25. Januar 1950 als „nicht belastet“ eingestuft. Dabei – so schreibt Jörg-Peter Jatho – war Ferdinand Werner in seinem ideologischen Weltbild unbelehrbar, hatte aber als ehemaliger DNVP-Politiker das Pech, keine eigene Machtbasis in der hessischen NS-Partei­hierarchie zu besitzen.

„Werner kam in neuen Parteien und Verbänden öfter in Führungs­positionen, ohne politisch gezieltes Konzept dann ins Schlepptau ‚aktiverer“ Führer und wegen des folgenden Einfluß­verlusts oft in eine Protest­position, die emotional dem oberhessischen Protestpotential entsprach. Das vökische Credo erlaubte taktisch regionale und partei­politische Flexibilität; es enthielt lange vor dem Entstehen der NSDAP erstaunlich viele Elemente der NS-Ideologien und erklärt die spätere Gleichsetzung von Völkischen und National­sozialisten in den Augen der Betrachter. Er konnte aufgrund vieler Gleich­sinnigkeiten der völkischen Ideologie mit dem National­sozialismus leicht von der NSDAP in Dienst genommen und als populäre Galionsfigur für deren Agitation eingesetzt werden, bis er nach der Herstellung des Einparteien­staates überflüssig und von Gauleiter Sprenger als Hemmschuh und Gefahr empfunden und entmachtet wurde.“ [8]

Diese zum damaligen Zeitpunkt nicht unübliche Einstufung der Täter­generation finden wir – wie sich zeigen wird – in abgewandelter Form auch in den Formulierungen Ludwig Metzgers wieder. Die hierbei angedeutete mögliche Gegner­schaft zum National­sozialismus oder Teilen hiervon ist jedoch allenfalls eine ober­flächliche. Ferdinand Werner wäre ja gerne dabei gewesen, durfte nur nicht mehr. So etwas qualifizierte 1950 zur Einstufung als „nicht belastet“, nachdem schon das erste Spruchkammer­verfahren nur auf „Mitläufer“ herausgelaufen war.

Biografischer Rückblick und Gestapohaft

Die Autobiografie setzt mit der Machtüber­gabe an die Nazis 1933 ein, weshalb einige Lebensdaten nach­zutragen sind. Ludwig Metzger wurde am 18. März 1902 in Darmstadt geboren. Sein Vater, groß­herzoglich hessischer Hofbeamter, sorgte für eine Ausbildung als Verwaltungs­beamter. Nebenher machte Ludwig Metzger sein Abitur und studierte Jura in Gießen, München und Wien. 1929 schloß er sich dem Bund der religiösen Sozialisten Deutschlands an, drei Jahre später der SPD. [9]

Im Januar 1934 eröffnete er seine Rechtsanwalts­kanzlei in der Rhein­straße 22. Nach einigen Anlaufschwierig­keiten erschloß sich Ludwig Metzger einen Mandanten­kreis, den er wohl seiner vorherigen (und insgeheim teilweise weiteren) politischen Tätigkeit verdankte, nämlich Pfarrer und Sozialdemo­kraten. Sein Verdienst scheint im Laufe der Jahre nicht schlecht gewesen zu sein; und so konnte er sich und seine wachsende Familie trotz politischer Über­wachung recht ordentlich durchbringen. Seine Biografin Susanne Király unterstreicht einen gewissen Pragmatismus im Umgang mit den national­sozialistischen Machthabern, wenn sie anmerkt:

„In seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt war Metzger ab 1937/38 Mitglied des NS-Rechtswahrer­bundes und der National­sozialistischen Volks­wohlfahrt (NSV), was verdeutlicht, daß er sich den nötigen Schritten nicht verschloß, um seine Kanzlei und seine Arbeit nicht zu gefährden.“ [10]

Während erstere Mitglied­schaft seiner beruflichen Tätigkeit gewiß nicht geschadet haben sollte (aber war sie verpflichtend?), dürfte die zweite hiermit nicht zu erklären sein, denn die NS-Volks­wohlfahrt konzentrierte ihre Tätigkeit in den ersten Jahren der Nazi­herrschaft auf die Unter­stützung bedürftiger Familien und – so Susanne Király in der Anmerkung zum obigen Zitat – „trug wesentlich zur propagan­distischen Selbst­darstellung des National­sozialismus als eines ‚Sozialismus der Tat‘ bei“. Wenn wir davon ausgehen, daß Ludwig Metzger derartige Mitglied­schaften gewiß nicht benötigte, um seine Systemgegner­schaft zu verschleiern – denn diese war durchaus bekannt –, wozu diente dann der symbolische Kotau vor dem Regime? Ist es die Nach­wirkung einer bedrohlichen Situation, die ihn ins Gefängnis brachte und der er gerade noch entrinnen konnte?

Um Pfingsten 1936 kam er nämlich für einige Zeit in Gestapohaft, nachdem ein sozialdemo­kratischer Kurier mit seinem Motorrad verun­glückt war und bei ihm Agitations­material gefunden wurde. Die nachfolgende Verhaftungs­welle erreichte auch Ludwig Metzger. Durch geschicktes Verhalten bei Verhören und in der Haft gelang es ihm, so zumindest berichtet er in seiner Auto­biografie, unbehelligt aus der Geschichte herauszu­kommen. Das Verfahgren gegen ihn wurde im Juli 1936 aus Mangel an Beweisen fallen­gelassen. Anderen Partei­genossen erging es schlecher; sie wurden wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu mehrjährigen Gefängnis- und Zuchthaus­strafen verurteilt.

„Das war das Ende eines Versuchs, eine installierte Diktatur nicht wieder­spruchslos hinzunehmen. Es gab viele, die es für richtig hielten, uns ob unseres aussichtslosen Beginnens zu schelten.“ [11]

Quellenprobleme und Methodik

Der christliche Sozialist Ludwig Metzger wurde aufgrund seines Wirkens beim Darmstädter Wieder­aufbau nach dem Zweiten Weltkrieg allenthalben geschätzt., Sachlich fundierte Kritiken scheinen zu fehlen, vielleicht auch deswegen, um das glanzvolle Licht nicht zu trüben. Dabei gibt seine Biografie das eine oder andere Rätsel auf. In seiner 1980 erschienenen Auto­biografie „In guten und in schlechten Tagen“ finden sich einige Stellen, die geradezu der genaueren Lektüre, Analyse und Interpretation bedürfen. Nun liegt es im Wesen einer Autobiografie, daß der Autor, sofern er nicht einen Ghostwriter (oder eine Ghostwriterin) besaß, sich selbst im besten Licht darzustellen sucht. Eine halbwegs objektive Sicht auf das eigenen Handeln bedarf hierbei eines hohen Maßes an selbst­kritischer Reflexion, die wir jedoch auf den 177 Seiten vergebens suchen. Vielmehr können wir eine gewisse Selbstbeweih­räucherung herauslesen, zumal er sich gerne im Glanze anderer Persönlich­keiten sonnt.

Während für Ludwig Metzgers Wirken ab 1945 die Quellenlage als gut zu bezeichnen ist, sind wir für die Zeit zwischen 1933 und 1945 weitgehend auf seine eigenen Äußerungen angewiesen. Seine Biografin Susanne Király hatte Zugang zu persönlichen Dokumenten aus seinem Nachlaß, der sich im Zentral­archiv der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in Darmstadt befindet. Deshalb kommt sie zunächst zu folgender Bewertung der Quellenlage:

„Die genannten Quellen bilden in Ermangelung anderer Unterlagen eine wesentliche Grundlage der Informationen über Ludwig Metzgers Leben bis 1945 und teilweise auch darüber hinaus. Die Tatsache, daß Metzgers Lebens­erinnerungen eine der Haupt­quellen für seine Biographie sind, ist keineswegs unproblema­tisch. Bei nachträglich redigierten Erinnerungen besteht immer die Versuchung, durch Weg­lassungen und Hinzu­fügungen der Nachwelt sein Leben geschönt vor Augen zu führen. Zudem bergen Reflexionen und Erinnerungen eines Auto­biographen über die vergangene Zeit aus großem zeitlichen Abstand heraus immer die Gefahr, daß die Darlegung seiner früheren Ansichten und Meinungen, auch unwillentlich, durch die im späteren Leben gewonnenen Erfahrungen beeinflußt wird.“

Soweit stimme ich der hier benannten Problematik zu. Den im fort­laufenden Text gezogenen Schluß kann ich jedoch nicht nach­vollziehen.

„Was Metzgers Aufzeichnungen betrifft, können diese Vorbehalte jedoch im großen und ganzen relativiert werden. Wo immer es möglich war, seine Erinnerungen durch zeitgenössische Dokumente des Nachlasses oder anderes Quellen­material zu überprüfen, stellte es sich heraus, daß seinen Schilderungen Glauben geschenkt werden kann und keinerlei Tatsachen verfälscht wurden, so daß für eine Benutzung der autobio­graphischen Schriften keine Hindernisse gesehen wurden.“ [12]

Wir werden noch sehen, daß sich diese Aussage so nicht halten und eine selektive Wahr­nehmung durchaus zeigen läßt. Zudem ist grundsätz­lich anzumerken, daß selbst dann, wenn bei einzelnen Fällen die autobio­grafischen Angaben als zuverlässig angesehen werden können, daraus nicht notwendig ein Schluß auf das Ganze, also die nicht über­prüfbaren Angaben übertragen werden kann. Dies mag die subjektive Einschätzung der Biografin sein; quellen­kritisch ist dieses methodische Vorgehen jedoch fragwürdig. Gerade hinsichtlich seiner beruflichen Tätigkeit in der Deutschen Umsiedlungs-Treuhand-Gesellschaft (D.U.T.) in den Jahren 1943 bis 1945 ist diese Methode unstatthaft, zumal hier kaum eine Quelle zur Über­prüfung von Ludwig Metzgers spärlichen Angaben herangezogen werden kann. Die Lücken in der Darstellung werden nur dann deutlich, wenn wir den historischen Kontext angemessen berück­sichtigen und uns nicht – wie in Susanne Királys Dissertation – geradezu sklavisch an den von Ludwig Metzger vorgegebenen Gedanken­gang halten. In ihrem Vorwort legt sie kurz Zeugnis ihres eigenen biogra­fischen Zugangs zur Person Ludwig Metzger ab, das eine gewisse positive Befangen­heit dem Subjekt ihrer Arbeit erahnen läßt.

„Als Tochter eines Darmstädter Geschichts­lehrers begegnete mir Ludwig Metzger schon wesentlich früher in den Erzählungen meines Vaters, der die vierziger Jahre in Darmstadt ganz bewußt miterlebte und ab 1947 einige Zeit mit seiner Familie in Metzgers ehemaliger Wohnung in der Frankfurter Str. 62 wohnte. Er war es auch, der mich nach meinem Studium zu einer intensiveren Beschäfti­gung mit dem Leben und Wirken Metzgers anregte, wofür ich ihm an erster Stelle danken möchte.“ [13]

Die hier mitschwingende Befangen­heit wurde sicherlich nicht durch die institutionelle Unter­stützung abgemildert, mit der ihre Arbeit durch ein Projekt des Hessischen Landstags finanziell und durch die Hessische Historische Kommission Darmstadt publizistisch gefördert wurde. Es ist kaum anzunehmen, daß selbige Institutionen, die ein Interesse an der positiven Würdigung einer im Sinne der herrschenden Verhältnisse heraus­ragenden Persönlich­keit haben mußten, mit ebensolchem Elan eine kritische Bestandsauf­nahme unterstützt hätten. Insofern ist auch hier ein Zusammen­hang zwischen Darstellung und Förderung nahe­liegend. Inwieweit die Dissertation nicht zuletzt durch institutionelle Karriere­zwänge – beginnend im universitären Alltag sozial­wissenschaft­licher Ideen­produktion – affirmativ ausfallen mußte, muß hier dahin­gestellt bleiben [14]. Eine kritischere Würdigung wäre jedoch auch mit dem vorliegenden Quellen­material durchaus möglich gewesen und hätte meines Erachtens auch nahegelegen. Dies hätte im Einzelfall eine ausgiebigere Auseinander­setzung mit der national­sozialistischen Politik und Praxis bedurft, bei der die Stolpersteine der autobio­grafischen Argumentations­logik Ludwig Metzgers hervor­getreten wären.

Ludwig Metzger bei der D.U.T. in Luxemburg …

Auch in den Jahren nach seiner Gestapohaft blieb Ludwig Metzger unter Beobachtung. Seine anwaltliche Tätigkeit zwang ihm zum Spagat zwischen politischer Verteidigung und Akzeptieren der national­sozialistischen Spielregeln vor Gericht. Nicht immer glückte ihm der Spagat, so daß ihm mitten im Zweiten Weltkrieg eine erneute Verhaftung drohte. Durch Vermittlung seines Sozius Ludwig Engel gelang es ihm, eine Stelle im besetzten Luxemburg zu erhalten. Im Januar 1943 trat er dort seinen Dienst als Leiter der Rechts­abteilung der D.U.T. an. Susanne Király liefert uns eine wohl angemessene Beschreibung der auch in der Literatur weitgehend ignorierten Gesellschaft. Diese 1939 auf Anweisung Heinrich Himmlers gegründete Organisation unterstand dem Stabs­hauptamt des Reichs­kommissars für die Festigung des Deutschen Volkstums, also Heinrich Himmler. Der Chef dieses Amtes war SS-Obergruppen­führer Ulrich Greifelt. Die Aufgabe der D.U.T. bestand in der vermögensrecht­lichen und wirt­schaftlichen Abwicklung der Umsiedlung (sprich: Vertreibung und Einsperrung) der einheimischen Bevölkerung zugunsten neu anzusiedelnder Volks­deutscher. Unter anderem in Elsaß-Lothringen und Luxemburg verwaltete die D.U.T. das beschlag­nahmte Vermögen. [15]

Diese Gesellschaft gehörte demnach zur Plünder­abteilung des Nazi-Vernichtungs­feldzugs im Osten, aber auch in den besetzten West­gebieten; und so auch in Luxemburg und Elsaß-Lothringen. Unter Beteiligung der Deutschen Bank und der Dresdner Bank wurde das Vermögen von Jüdinnen und Juden, aber auch anderen zur Zwangsarbeit Gepreßten requiriert und sollte dort neu angesiedelten Volks­deutschen übereignet werden. Zu dieser „Arisierung“ in Luxemburg schrieb der Historiker Michael Hepp:

„Für Luxemburg wurde vom Reichsfinanz­ministerium der Wert des jüdischen Vermögens, der nach zahlreichen Transaktionen und umfangreichen Verwertungs­aktionen schließlich noch dem Reich zufloß, mit etwas über 20 Mio. RM angegeben. Den Beschwerden des Finanz­ministeriums nach muß die eigenmächtige Verwertung vor Ort erheblich gewesen sein, sodaß eine Gesamtsumme von vorsichtig geschätzt 60 Mio. RM angesetzt werden muß.“ [16]

Nun war für Arisierung und Finanztransfers nicht allein die D.U.T. verantwortlich. Während wir in den Memoiren Ludwig Metzgers wenig über die konkrete Tätigkeit der D.U.T. erfahren, legt er uns in epischer Breite dar, wie er das Vertrauen der einheimischen Bevölkerung als Nazigegner gewann, insbesondere bei einer Hoteliers­familie und der Tochter eines Großherzog­lichen Kammerherrn, der mit seiner Ehefrau ein Schloß besaß; das gemeine Volk geht hier etwas unter. Nun sei seine Unterstützung der Begüterten in Luxemburg nicht abgestritten, und doch habe ich mich während der Lektüre seiner Aus­führungen gefragt, weshalb er sich bis zum Frühjahr 1945 so hartnäckig in das Bestehen dieser Ausplünder-Treuhand verbissen hat. Vielleicht war Ludwig Metzger ja wirklich ein Gutmensch, und so müssen wir es ihm mangels alternativer Aufzeichnungen abnehmen, was er hierzu schreibt.

„In der D.U.T. hat mich die Arbeit nicht erdrückt. Die Gesellschaft hatte die Aufgabe, das Vermögen von ‚abgesiedelten‘ Luxemburgern zu inventarisieren und zu verwalten und Südtiroler in landwirtschaft­liche und gewerbliche Betriebe der Abgesiedelten einzuweisen. Viele junge Luxemburger versuchten sich der Einberufung in die deutsche Wehrmacht zu entziehen und flohen, wenn sie einen Stellungs­befehl bekamen. Die SS hat das in den meisten Fällen die Familien der Entflohenen entgelten lassen und sie in das ‚Reich“ ‚umgesiedelt‘, wo sie in Lagern untergebracht und mitunter auch zu einer freien Beschäftigung entlassen wurden.“

Wir werden noch sehen, daß diese Darstellung den Terror der Besatzungs­macht geradezu verniedlicht. Er fährt fort:

„Am Tage der Absiedlung haben Angestellte der D.U.T. ihre Hinterlassen­schaft aufgenommen. Die Rechts­abteilung hatte darüber zu wachen, daß das ordnungs­gemäß geschah und daß von den aufge­zeichneten Sachen nichts abhanden kam. In einem späteren Stadium sind die Südtiroler, die man aufgrund der Vereinbarung zwischen Hitler und Mussolini mehr oder weniger durch Zwang umgesiedelt hat, in die Häuser und Betriebe der Abgesiedelten eingewiesen worden. Die rechtlichen Voraus­setzungen hierzu, wie die Über­tragung des Grundbesitzes auf die Umsiedler, hatte die Rechts­abteilung zu schaffen.“

Ist die Naziherr­schaft auch noch so schlimm, so muß eben alles seine gründliche deutsche Ordnung haben. Der Teil der sogenannt „Abgesiedelten“, der nachfolgend ermordet wurde, hat von derart viel Güte nun leider nichts mehr gehabt. Und es ist Güte im Spiel, denn Ludwig Metzger schließt den Gedanken mit folgenden Worten ab:

„Damit die Abgesiedelten nach ihrer Rückkunft möglichst die Substanz ihrer Habe wieder­erlangten, habe ich es als eine wichtige Aufgabe der Rechts­abteilung angesehen, ihren Überwachungs­dienst ernst zu nehmen.“ [17]

Natürlich war dem späteren Oberbürger­meister der Charakter dieser Treuhand nicht unbekannt.

„Beim Studium der Satzung der Gesellschaft stellte ich fest, daß die SS finanziell mitbeteiligt war. Es wurde mir aber versichert, daß sie keinen Einfluß ausübe und die leitenden Personen, die alle Zivilisten seien und nicht der SS angehörten, ihre Entscheidungen selbständig treffen könnten.“ [18]

Wilhelm Leuschner, mit dem er seine Gewissens­bisse beim gelegent­lichen Besuch in Berlin besprach, riet ihm – seiner Darstellung zufolge – zu. Wenn schon ein Mitver­schwörer des 20. Juli sein Plazet gibt, dann kann das alles nicht so schlimm gewesen sein. Überprüfen können wir das nicht, denn Wilhelm Leuschner wurde von den Nazis ermordet. Allein – diese Geschichte erschien selbst der wohl­wollenden Biografin Susanne Király als zu naiv.

„Auch wenn Ludwig Metzger in seinen Erinnerungen und in den Erklärungen nach dem Krieg versicherte, daß die Verant­wortlichen der D.U.T., zu denen er Kontakt hatte, auf ihn nicht den Eindruck von begeisterten National­sozialisten machten, und er auch nicht gezwungen wurde, in die NSDAP oder die SS einzutreten, so ist doch fraglich, ob dieser Ort der richtige war, um sich vor etwaigen Übergriffen der Gestapo zu schützen. Die SS übte sehr wohl Einfluß auf die D.U.T. aus, und das Zivilistentum der Angestellten mußte nicht einer Mitglied­schaft in der SS widersprechen. Dienst­stellen der SS waren in direktem Umfang direkt weisungs­befugt, auch wenn die D.U.T.-Außen- und Nebenstellen sich des öfteren über SS-Weisungen beklagten oder erst bei der D.U.T.-Zentrale nachfragten, ob sie Folge leisten sollten.“ [19]

Der hier auftretende Widerspruch zu ihrer Behauptung, „daß seinen Schilderungen Glauben geschenkt werden kann“, eben weil Autobiografie und Dokumente zusammen­treffen, scheint der Biografin nicht aufgefallen zu sein. – Jedenfalls ist dies so ziemlich alles, was dem Autor Jahrzehnte später zu seiner Mitwirkung am Plünder­feldzug deutscher Nazis einfällt. Nein, nicht ganz. In den Wirren angesichts des alliierten Vormarsches in Frankreich übernahm er zusätzlich die Rechts­abteilung der Treuhand­stelle in Straßburg. Darauf soll gleich noch näher eingegangen werden. Doch zunächst gibt mir Ludwig Metzger mit seiner Bemerkung, die Substanz einer Habe sichern zu wollen, Veranlassung, auf sein Verständnis einer Kollaboration mit dem Naziregime näher einzugehen.

Einfach nur daneben benommen

Nach dem Einmarsch der US-Army in Darmstadt im März 1945 guckten sich die Besatzer Ludwig Metzger als neues Stadtober­haupt aus, der das zivile Leben und den Wieder­aufbau der Stadt leiten sollte. Irgendwann kamen sie dahinter, daß im Verwaltungs­apparat der Stadt dieselben Nazi­schergen beschäftigt waren, die in den braunen Jahren zuvor nicht untätig geblieben waren. Sie verlangten deren Entlassung; doch dies empörte Ludwig Metzger.

„Daß das Gestaltwerden einer neuen Stadt nach einem verlorenen Krieg nicht ohne Schwierig­keiten geschehen kann, habe ich natürlich auch persönlich erlebt. Die amerikanische Militär­regierung hatte mir eine Liste von etwa 150 Beamten vorgelegt, die ich entlassen sollte, weil sie National­sozialisten gewesen seien. Ich kannte meine Darmstädter besser als die Amerikaner. In der Liste waren 20 bis 30 Beamte, von denen man sagen konnte, daß sie wirklich National­sozialisten waren, die sich in verbohrter Ideologie schlecht benommen hatten oder korrupt waren. Sie hatte ich bereits von mir aus entlassen. Für die große Mehrzahl aber galt, daß sie formell – vielleicht aus Schwach­heit – der NSDAP angehört hatten, daß sie aber nie aus eigener Initiative oder Gesinnung im Sinne des National­sozialismus handelten. Ich weigerte mich, sie zu entlassen. Mit Engelszungen versuchte ich den Amerikanern klarzumachen, daß man nicht jeden, der einmal mit dem National­sozialismus organisatorisch in Berührung gekommen war, als Nazi behandeln und aus seinem Beruf werfen dürfe. Sie erwiderten, zunächst müsse alles raus und dann werde geprüft, wer wieder hereinge­nommen werden könne. Ich blieb dabei, das sei grundfalsch, denn wenn man alle in den Nazi-Pott werfe, infiziere man nach­träglich die, die in der ganzen Nazizeit innerlich Gegner geblieben seien. Es komme darauf an, daß man die Großen und wirklich Verant­wortlichen ausschalte; wenn man aber auf breiter Basis – wie die Amerikaner es wollten – anfange, habe man zum Schluß nicht mehr die Kraft, das Übel an der Wurzel zu packen und die wirklich Verant­wortlichen unschädlich zu machen. Aber das half alles nichts, der zuständige Offizier blieb auf seinem Standpunkt, und ich weigerte mich, die Entlassungen vorzunehmen. Kurze Zeit darauf wurde ich selbst als Oberbürger­meister entlassen.“ [20]

Das war Anfang Oktober 1945. In seinen Memoiren deutet Ludwig Metzger an, das Opfer von Intrigen innerhalb des US-amerikanischen Militär­apparates geworden zu sein. Susanne Király findet in den Unterlagen hierzu keinen Hinweis, nennt jedoch einen weitern Grund.

„Aus den Berichten der amerikanischen Militär­regierung sind genaue Einzelheiten zu Metzgers Entlassung nicht zu entnehmen. Hier hieß es lediglich, daß Metzger in Über­einstimmung mit den Entnazifizierungs­bestimmungen wegen seiner Arbeit bei der D.U.T. entlassen worden sei. Seine Entlassung habe bei den deutschen Verwaltungs­stellen Beunruhigung hervorgerufen, und es sei bereits Widerspruch gegen diese Maßnahme erfolgt, sowohl von Regierungs­stellen als auch von seiten der evangelischen und katholischen Kirche Darmstadts.“ [21]

Hier zahlt es sich aus, unter dem Naziregime vor Gericht kirchliche Interessen vertreten zu und seit Jahren als religiöser Sozialist ein eigenes Netzwerk zur Verfügung zu haben. Ludwig Metzger tut den Vorwurf „als eine von interessierter Seite lancierte Behauptung ab“, er habe sich „in Luxemburg nazistisch betätigt“ [22]. Hier wird offen­sichtlich, daß er aus ureigenstem Interesse diejenigen verteidigt, die in seiner Nomenklatur „einmal mit dem National­sozialismus organisatorisch in Berührung gekommen“ waren, so wie er selbst auch.

General Clay, bei dem dieser Fall schließlich landete, hatte ein Einsehen. Auch ihm war bewußt, daß eine Bürokratie, welche aus Trümmern ein Wirtschafts­wunder herzaubern sollte, nicht ohne altgediente Nazis auskommen würde. Wenn man und frau die Litanei des Ludwig Metzger aufmerksam liest, wird deutlich, mit wie viel heißer Luft argumentiert wird. Auf einmal wollten alle (Nazi-) Partei­genossen in der inneren Emigration gewesen sein. Diese faule Ausrede findet sich in der einschlägigen Literatur der Nach­kriegszeit recht häufig. Dabei schreibt derselbe Ludwig Metzger in den rund einhundert Seiten zuvor, wie vorsichtig er bei unzähligen Gelegen­heiten sein mußte, um bei derartigen Bürokraten nicht als Staatsfeind aufzufallen.

Hier verweist Fred Kautz in seiner Kritik am Darmstädter Stadtlexikon mit dem Titel „Weh der Lüge! Sie befreiet nicht …“ zurecht darauf, daß ausgerechnet in der inneren Emigration der hessischen Beamten­stadt Darmstadt bei den letzten halbwegs freien Reichstags­wahlen am 5. März 1933 genau die Hälfte der Darmstädterinnen und Darmstädter ganz freiwillig die Nazipartei gewählt hatten und damit in voraus­eilendem Gehorsam sogar mit einigen Prozentpunkten über dem Reichsdurch­schnitt lagen.

Ich frage mich ohnehin, wie es bei so viel innerer Emigration möglich gewesen ist, daß am hellichten Tag Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma durch Darmstadts Straßen gejagt wurden, um sie zunächst in der Justus-Liebig-Schule einzupferchen und dann am Güter­bahnhof in die Todes­transporte nach Auschwitz zu stecken [23]. Wie viel innere Emigration begleitete das Pogrom bei der Brand­schatzung der jüdischen Einrichtungen und Synagogen am 9. November 1938? Den hiermit verbundenen deutschen Opferdiskurs (als Opfer alliierter Bombardements) kommentiert Fred Kautz mit einem gewissen Sarkasmus:

„Ja, eigentlich sind außer Werner Best, Karl Koch und Karl Wolff alle gegen die totalitären Nazis gewesen. Wie der erste Darmstädter Nachkriegs-OB, Ludwig Metzger, mit der Autorität des Zeitzeugen verbürgt, hat mancher von ihnen ‚formell – vielleicht aus Schwachheit – der NSDAP angehört‘, sich aber in seiner bzw. ihrer ‚inneren Emigration‘ mit dem Widerstand identifiziert.“ [24]

Und weil sie alle keine Nazis waren und insgeheim Mitglieder des Widerstandes, hat es Karl Plagge nach dem Zusammen­bruch dieser inneren Emigrations­herrschaft vorgezogen, sich im Darmstadt der 1950er Jahre nicht als einer der wenigen zu outen, die Jüdinnen und Juden vor so viel innerer Emigration gerettet hatten. Überhaupt sollte man und frau sich den Duktus, mit dem Ludwig Metzger über diese schwachen Geister schreibt, etwas genauer anschauen. Seine Formulierung über die angeblich wirklichen Täter lautete ja, es handele sich um Nazis, „die sich in verbohrter Ideologie schlecht benommen hatten oder korrupt waren“. Ich bezweifle doch sehr, daß ein Judenpogrom ein schlechtes Benehmen darstellt und das Ausplündern jüdischer Geschäfte ein Anzeichen von Korruption ist. Selbst 35 Jahre nach dem US-amerikanischen Einmarsch in Darmstadt fehlt es seinem ehemaligen Oberbürger­meister an fundamentalen Erkenntnissen über das Wüten derer, die er zum Stadtaufbau brauchte und die er nun wieder in die demokratische Welt zu integrieren suchte.

Die> von ihm verwendete Stilfigur, diese Nazis, die keine Nazis waren, hätten „aber nie aus eigener Initiative oder Gesinnung im Sinne des National­sozialismus“ gehandelt, erinnert doch sehr an die Lebenslüge der deutschen Nachkriegs­eliten, man habe nur auf Befehl (und das selbstredend widerwillig) gehandelt. Schon Hannah Arendt führte in „Eichmann in Jerusalem“ aus, mit welch wahrer Begeisterung die Bürokratie den National­sozialisten zu Diensten war [25]. Aber sie kannte Ludwig Metzgers Darmstädter nicht …

Vielleicht ist es auch nur so, daß Ludwig Metzger zu diesem Zeitpunkt etwas klarsichtiger war als die US-Besatzungs­macht, was den wahren Feind anging. In voraus­schauendem Anti­kommunismus riet er nämlich, wie er stolz verkündet, dem US-amerikanischen General George S. Patton, unverzüglich gen Osten zu marschieren, um den Russen zuvorzu­kommen, kostbare deutsche Erde zu besetzen [26]. Patton war bekannt für seine Ansicht, es sei besser mit den Deutschen gegen die Rote Armee zu kämpfen als gegen die Nazis, deren SS-Verbände er bewunderte. Folglich bedurfte es nur etwas Zeit und den US-General Lucius D. Clay, um für den Kalten Krieg mit Hilfe ehemals schwacher Menschen gerüstet zu sein.

Und hier erhält die Bemerkung Ludwig Metzgers, er habe den Überwachungs­dienst bei der D.U.T. ernst genommen, einen tieferen Sinn. So wie er den US-Besatzern entgegnete, er kenne seine Darmstädter, so kannte er natürlich auch seine Pappenheimer in Luxemburg. Die ihm anvertraute Aufgabe war schon deshalb wichtig, vielleicht gar kriegswichtig, weil ansonsten nicht nur die korrupten, sondern auch die schwachen Nazis nicht einmal mehr die „Substanz der Habe“ übrig gelassen hätten.

Am 20. Februar 1946 wurde Ludwig Metzger auch aufgrund von Leumunds­zeugnissen aus Luxemburg (siehe weiter unten) wieder in sein Ant eingesetzt. [27]

Besatzungsterror in Luxemburg

Die Frage, wessen „Substanz der Habe“ er vor korrupten Nazis und schwachen Geistern habe schützen müssen, damit die SS als Chefin der Gesellschaft darauf zugreifen konnte, wird nur durch einen historischen Rückblick auf die Jahre vor der Einstellung Ludwig Metzgers bei der D.U.T. in der Place de Metz Nummer 4 in Luxemburg zu beantworten sein.

Am 10. Mai 1940 besetzten deutsche Truppen das neutrale Luxemburg. Neben Belgien galt das kleine Land als Aufmarsch­gebiet gegen Frankreich. In den ersten Monaten wurde Luxemburg unter Militärver­waltung gestellt, mit der Maßgabe, möglichst wenig restriktiv in die interne Verwaltung einzugreifen. Dies änderte sich im Juli/August 1940 mit der Einsetzung des Gauleiters Gustav Simon als Zivil­verwalter. Mit ihm begann die Nazi­fizierung und Germanisierung Luxemburgs, das Teil des Gaus Moselland wurde. Am 5. September 1940 wurden die Nürnberger Gesetze in Luxemburg eingeführt, in der Folge die jüdische Bevölke­rung nach Theresien­stadt und Auschwitz verschleppt. Diese Maßnahmen trafen zunächst auf stillen, aber durchaus sichtbaren Widerstand. Mitte 1941 wollte der Gauleiter mittels einer Volks­zählung – mit obligato­rischer Angabe der Staatsange­hörigkeit „deutsch“ – das Deutschtum fest­schreiben lassen. Er scheiterte. Stichproben ergaben eine derart über­wältigende Ablehnung des deutschen Ansinnens, daß das Ausfüllen der Zählkarten unterblieb. Hier zeigte sich erstmals eine geschlossene Ablehnung der luxem­burgischen Bevölkerung gegenüber den Aggressoren, die ihre Politik mit Sonder­gerichten und Terror­urteilen durchzusetzen versuchten.

Im Frühjahr 1941 wurde der obligatorische Reichsarbeits­dienst eingeführt, der in Arbeits­lagern im Osten Deutsch­lands abzuleisten war. Die Abfahrt bei dieser Verschickung führte häufig zu patriotischen Kund­gebungen. Im August 1942 wurde die allgemeine Wehrpflicht für die luxem­burgische Bevölkerung verkündet. Eine Streik­bewegung gegen diese Maßnahme wurde blutig, zum Teil stand­rechtlich, unterdrückt. Viele Jugendliche desertierten. Nach Maßgabe der Sippenhaft wurden Tausende „gesinnungs­mäßig nicht restlos zuverlässige“ Personen – vermögens­rechtlich erfaßt und enteignet durch die D.U.T. – in den Osten Deutsch­lands oder in andere besetzte Gebiete deportiert und/oder dort in Konzentrations­lagern oder Gefängnissen eingesperrt. Beamte, Lehrer, Ärzte, Rechts­anwälte und Eisenbahner wurden zur Zwangsarbeit für das Naziregime verschleppt. Deserteure wurden in Konzentrations­lager eingeliefert, in Straf­kompanien gesteckt oder erschossen. Einige der Deportierten wurden als Geiseln betrachtet, die nach Widerstands­aktionen in Luxemburg ermordet wurden. Tausende überlebten diese Maßnahmen nicht. [28]

Als Ludwig Metzger im Januar 1943 in Luxemburg eintraf, verfügte er über kein Internet, um sich dies­bezüglich sachkundig zu machen. Doch schon bald knüpfte er vertrauens­volle Kontakte zur luxem­burgischen Bevölkerung und dürfte recht klar im Bild darüber gewesen sein, was die deutsche Besatzung für die luxem­burgische Bevölkerung bedeutete. Seine dies­bezügliche Darstellung in seiner Autobio­grafie ist insofern recht knapp und moderat gehalten. Die deutsche Herrschaft kommt bei ihm als Terrorregime nicht vor. Ob es daran liegt, daß sich beim ihm die „korrupten“ Nazis nur „schlecht benommen“ haben? Wenn wir hingegen im historischen Kontext das Wirken der D.U.T. als begleitende Maßnahme zur Bekämpfung des Widerstandes gegen das Naziregime betrachten, dann müssen wir uns fragen, ob Ludwig Metzger einfach nur büro­kratischer Leiter einer Rechtsstelle gewesen ist, der sich nach bestem Wissen und Gewissen bemüht hat, die „Substanz der Habe“ zu retten. Vielmehr stellt sich die moralische Frage der Kollaboration mit einem terroristischen Besatzungs­regime, in dem die D.U.T. als Teil einer Strafmaß­nahme agiert hat. Inwieweit Ludwig Metzger sich dieser Frage und der damit verbundenen Verant­wortung gestellt hat, werden wir nie erfahren; in seiner Autobio­grafie findet sich jedenfalls keine selbst­kritische Betrachtung seiner Tätigkeit.

Nun ist es gewiß nicht so gewesen, daß eine ausführ­lichere Darstellung seines Handelns in Luxemburg den Rahmen seines Buches gesprengt und der Verlag deshalb um eine Kürzung des Textumfangs gebeten hätte. Ludwig Metzger findet auch in seinem Kapitel zu Luxemburg seitenweise Gelegenheit, sich über die Schönheit der Landschaft und seine politi­sierenden Gespräche mit den gehobeneren Geistern der Luxemburger Gesellschaft auszulassen. Insofern müssen wir, um sein Wirken in vollem Umfang betrachten und bewerten zu können, von einer bewußten Auslassung sprechen, als etwas, was nach Auskunft seiner Biografin in seinen Schriften nicht vorgekommen sei. Um es noch einmal zu verdeutlichen; er schreibt:

„Wie fast alle Luxemburger – von wenigen Ausnahmen abgesehen – haßten meine Quartiergeber den National­sozialismus. Es lag auf der Hand, daß viele die National­sozialisten und die Deutschen gleichsetzten. Ich hielt es deshalb geradezu für eine nationale Pflicht, zu beweisen, daß längst nicht alle Deutschen National­sozialisten waren und deren Tun guthießen oder gar unterstützten.“ [29]

Gleichzeitig arbeitet er für eine Gesellschaft, die genau das tat: den National­sozialismus gutheißen und ihn unterstützen. Mehr noch, laut einem Organisations­plan vom April 1943 oblagen ihm „die Aufgaben­bereiche Rechts- und Organisations­fragen, Wertpapierver­waltung, die Führung der Stammakten, sowie Akten­kontrolle und Aufsicht über die allgemeine Registratur“. Darüber hinaus besaß er Handlungs­vollmacht. [30]

Aus seiner Darstellung wird nicht deutlich, worin der Haß der Luxem­burgerinnen und Luxemburger begründet liegen könnte. Zwar ließ die SS die Familien von desertierten Jugendlichen etwas „entgelten“ und in Lager einsperren, aber das scheint ja nicht so schlimm gewesen zu sein, denn sie wurden mitunter ja auch zu einer „freien Beschäftigung entlassen“. Das Vermeiden klarer Worte über den Terror seiner Auftrag- und Arbeitgeber verblüfft. Hat sich die Verblüffung gelegt, folgt unweigerlich die Frage, weshalb diese klaren Worte fehlen.

Nachzutragen ist, daß Ludwig Metzger, als er selbst unter Verdacht stand und seine Tätigkeit bei der D.U.T. den Argwohn der mehr oder weniger entnazifi­zierenden Ermittler erregte, auf seine guten Kontakte nach Luxemburg zurück­greifen konnte. Die ihm dort ausgestellten „Persilscheine“ waren gewiß ehrlich gemeint. Über sein tatsächliches Handeln für die D.U.T. liegen, so seine Biografin, – außer seinen eigenen Bekundungen – so gut wie keine näheren Angaben oder Dokumente vor.

Nach Kriegsende erhielt die D.U.T. nicht nur von ihren ehemaligen Beschäftigten gute Haltungs­noten. Susanne Király gelingt das Kunststück, die Funktion der D.U.T. als Teil des Nazi-Plünder­feldzugs zwar zu erfassen, sie aber gleichzeitig auf eine reine Rechen­abteilung zu reduzieren. Dr. Kulemann, einer der drei Geschäfts­führer der D.U.T., wurde in seinem Spruchkammer­verfahren in Darmstadt von Ludwig Metzgers Sozius Ludwig Engel verteidigt.

„Einer der Punkte, die Engel zur Entlastung anführte, war die rein wirt­schaftliche Funktion der D.U.T., die nur an den Vermögens­ausgleichen, nicht aber an der Umsiedlung selbst beteiligt gewesen sei. Als einer der Zeugen hierfür wurde Ober­bürger­meister Ludwig Metzger benannt, aber auch von anderer Seite wurde die Dienststelle in Luxemburg durchaus positiv beurteilt. So erklärte ein luxem­burgischer Major bei seiner Zeugenver­nehmung in Nürnberg am 23. Juli 1947, daß die D.U.T. in Luxemburg im Interesse der Vermögens­werte der zwangsweise Abgesiedelten ihr Möglichstes getan und unter schwierigsten Umständen die Vermögens­werte dieser Menschen gegen rechtswidrige Zugriffe habgieriger Parteistellen geschützt habe. Diese Aussage von luxem­burgischer Seite bringt entlastende Momente für die Beurteilung der D.U.T.-Stelle Luxemburg.“ [31]

Und darauf kommt es ihr an. Mithilfe selektiver Wahr­nehmung und Betrachtung der Umstände erhalten wir ein Ergebnis, das zwangs­läufig zur Entlastung Ludwig Metzgers beitragen soll. Folgen wir seinen Angaben in seiner Autobio­grafie oder in seinen nicht näher überprüfbaren und überprüften Aussagen und Erklärungen in diversen Entnazifizierungs­verfahren, dann muß es sich bei der D.U.T. um eine Gesellschaft gehandelt haben, die zwar formal der SS und Heinrich Himmler unterstand, real jedoch aus lauter Nazigegnern bestand. Diesen Eindruck muß die Leserin und der Leser aus den Schilderungen Ludwig Metzgers gewinnen.

„Dr. Kulemann, so hieß er, habe von Anfang an aus seiner Verachtung für Hitler kein Hehl gemacht und sich im Laufe des Abends, als der Alkohol immer mehr die Zunge löste, als ein erbitterter Gegner des National­sozialismus entpuppt.“ [32] – „Auch auf der Stelle in Straßburg war alles andere als Nazi­begeisterung.“ [33] – „In Posen war Aufbruchs­stimmung. Die Russen rückten rasch vor und waren nicht mehr weit. Der Leiter der D.U.T. in Posen sah die Lage völlig klar und wußte, daß der Krieg verloren war, aber nicht erst seit heute, sondern von Anfang an. Er war ein überzeugter Gegner des National­sozialismus.“ [34]

Was für eine wunderliche Gesellschaft! Daß diese Interpretation keinen Sinn ergibt, ist offenkundig. Wir schreiben Ende 1942, Mitte 1944, Anfang 1945. Der Krieg ist verloren, der Feind rückt näher, so daß derlei Aussagen wohl in Erwartung des Unver­meidlichen vorgekommen sein mögen. Aber wie war das bei denselben Personen 1933, 1939, 1941? Hat Ludwig Metzger das überprüft? Wohl kaum; es handelt sich bestenfalls um Berichte vom Hörensagen, ansonsten sind derlei Aussagen den veränderten Umständen geschuldet.

Deshalb muß trickreich an diesem Image gearbeitet werden. Zunächst einmal wird rein technisch die Umsiedlung von der damit verbundenen Vermögens­abwicklung (sprich: Enteignung) getrennt, als wenn das eine mit dem anderen nichts zu tun habe. Man oder frau stelle sich vor, ein Dieb verhökere seine Ware an einen mit der Diebesbande organisa­torisch verbandelten Hehler, der daraufhin erklärt, er habe mit dem Diebstahl nichts zu tun. Sowohl die Recht­sprechung als auch der gesunde Menschen­verstand würden derlei Ausflüchte als abwegig betrachten. Hier jedoch wird eine solche Ausflucht nicht nur affirmativ wiederge­geben, sondern geradezu zum Entlastungs­moment hochstilisiert.

Weiterhin handelt es sich nicht einfach um eine Gesellschaft zum Vermögens­ausgleich, sondern um eine Institution, die unter dem Vorwand des Vermögens­ausgleichs Finanzmittel für die beauftragende Stelle, also Heinrich Himmlers SS, erwirt­schaften soll. Eine kapitalistische Gesellschaft, selbst wenn sie keinen Plünder­feldzug begleiten mag, ist grund­sätzlich darauf ausgerichtet, dem Kapitaleigner einen Gewinn zu verschaffen. Daß es ausgerechnet in diesem Fall nicht um Gewinn und Gewinn­transfers gegangen sein soll, wäre deshalb zu begründen. „Vermögensaus­gleich“ wäre hierbei keine derartige Begründung, denn dieser Ausgleich ist ja der Hebel des eigentlichen Geschäftszwecks.

Verräterisch ist hier die Wortwahl „Substanz der Habe“. Was wir uns unter dieser „Substanz“ vorstellen sollen, wird nicht näher ausgeführt. Daß zwischen der Habe und ihrer „Substanz“ nicht nur ein philosophischer, sondern ein ganz praktischer Unterschied bestehen kann und wohl auch bestanden hat, wird nicht zu bestreiten sein. Der Witz dieser als neutral hingestellten Gesellschaft bestand darin, Vermögen einzu­kassieren, abzurechnen und den dabei ermittelten Wert (der mit einem realen Wert in Friedens­zeiten nicht das geringste zu tun haben muß) möglichst nur teilweise auszuzahlen. Die Habgier „rechtswidriger Zugriffe“ wird dann darin bestanden haben, das exklusive Plünder­monopol des offiziellen Dienstweges unterlaufen zu haben, um sich eigenmächtig ein Stück vom Kuchen zu sichern. Peter Klein hat in seinem Werk über „Die »Gettover­waltung Litz­mannstadt« 1940–1944“ sehr eindringlich dieses Zusammen­spiel offizieller Kanäle und inoffizieller Bereicherung beim Ausrauben jüdischen Vermögens beschrieben. [35]

Nun mag es sein, daß die Luxemburger D.U.T. „ihr Möglichstes“ „unter schwierigsten Umständen“ getan hat. Doch was bedeutet dies unter den Bedingungen eines Terrorregimes schon? Es sind allgemeine Floskeln, die den spezifischen Tatbestand verschleiern. Fest­zuhalten ist, daß schon nach den damals geltenden Regeln des Völker­rechts die D.U.T. eine intentional rechtswidrige und rechtswidrig handelnde Organisation gewesen ist [36]. Dies dürfte dem juristisch versierten Rechts­anwalt Ludwig Metzger nicht entgangen sein.

Wenn wir das sich unterstützende Kartell der D.U.T.-Beschäftigten außer Betracht lassen, bleibt die Zeugnisse des luxem­burgischen Majors, der Schloßbesitzers­tochter und der Hotelier­familie. Gab es sonst keine Entlastungs­zeugen? Was ist mit den Tausenden von „Abgesiedelten“, die am Ende des Krieges froh sein mußten, wenigstens die „Substanz ihrer Habe“ vorzufinden? Ob diese auch so nett und freundlich über die dem Reichs­führer-SS unterstellte Gesellschaft gedacht haben mögen? Wurden sie gefragt? Und weshalb stellt Susanne Király derartige Fragen nicht, sondern sieht im Tunnelblick dessen, was nicht sein darf, „entlastende Momente“? [37]

Vielleicht ist es an dieser Stelle angebracht festzuhalten, daß es hier nicht darum geht, dem späteren Darmstädter Ober­bürger­meister Ludwig Metzger nachträglich eine Nazi-Vergangen­heit anzudichten. Nehmen wir ihm seine innere Abscheu gegen das Naziregime und den Versuch ab, sich so moralisch wie möglich in unmoralischen Zeiten zu verhalten. Allein, die Penetranz, mit der notwendigen Fragen jahrzehnte­lang aus dem Weg gegangen wurde, läßt es geboten erscheinen, diese Fragen zu sammeln und zu präsentieren. Antworten lassen sich naturgemäß nach weit mehr als einem halben Jahr­hundert kaum noch finden. Es sei denn, die Archive bringen etwas Licht ins Dunkel.

Aus der Verbrecherkartei

Im Gegensatz zum verklärten und verklärenden Blick Ludwig Metzgers auf seinen früheren Arbeitgeber, dessen Chef kein Nazi war, bei dem die SS ohne Einfluß blieb, und bei dem nur Gutmenschen am Werk waren, fand die US-Administration in Deutschland klare Worte für die D.U.T. und listete sie in ihrer Analyse verbrecherischer Nazi-Organisationen auf. Im Abschnitt „Hauptamt Volks­deutsche Mittelstelle“ (VOMI) und nach­folgend des „Stabs­hauptamt[es] des Reichs­kommissars für die Festigung Deutschen Volkstums“ (RKFDV) erscheint die D.U.T. ganz ohne den ideologischen Kleister eines einstmals dort in leitender Position Beschäftigten [38]. Vermutlich wird die US-Administration ihre Pappenheimer einfach nicht so gut gekannt und erkannt haben, wie dies dem Ludwig Metzger ausweislich seiner unbestrittenen Fähigkeiten, Nazis von Nichtnazis zu sondern, gelungen zu sein scheint.

„Die Mitteldeutsche Volksstelle entstand fast gleichzeitig mit der sog. Machtübernahme des Nazi-Regimes als selbständige Dienststelle. Sie hatte die Aufgabe, die Erfassung von Volks­deutschen im Ausland, ihre Evakuierung und Überführung in das Reichsgebiet unter gleichzeitiger Umsiedlung zu organisieren.

Bereits vor dem Kriege entfalteten Agenten im Ausland eine lebhafte Tätigkeit; diese Agenten gaben sich als ‚Führer‘ deutscher Volksgruppen aus und hatten die Aufgabe, die Nazi-Ideologie zu verbreiten, Unruhen hervorzurufen und dann den ‚Wunsch nach Schutz durch das Reich‘ im Namen dieser Volksgruppen bei Nazi-Dienststellen im Reich vorzubringen. In den Anfängen dieser Organisation war SS-Ogruf. Joachim von Ribbentrop ‚Beauftragter für auswärtige Angelegen­heiten der NSDAP beim Stab des Stell­vertreters des Führers‘.

SS-Obergruppen­führer Werner Lorenz, der am 1. Januar 1937 Leiter der VOMI wurde, war damals Ribbentrops Stellvertreter in der VOMI. Lorenz war außerdem Leiter des VDA, des Bundes Deutscher Osten und des Deutschen Auslands­werks.

Mit Hitlererlaß vom 7. Oktober 1939 wurde Himmler ‚Reichs­kommissar für die Festigung Deutschen Volkstums‘ (RKFDV). Dement­sprechend schuf Himmler das ‚Amt des Reichs­kommissars für die Festigung Deutschen Volkstums‘, später ‚Stabs­hauptamt RKFDV‘ genannt (S. 63) und ernannte SS-Ogruf. Ulrich Greifelt zum Haupt­amtschef. Nach seinen eigenen Angaben wurde Lorenz von Himmler beauftragt, die Umsiedlung der Volks­deutschen von ihren früheren Wohnstätten durchzuführen und sie zum Zwecke der ‚Germanisierung‘ in Sammellager zu verbringen. Mitte 1941 wurde die VOMI mit diesen Aufgabengebieten zum Hauptamt Volks­deutsche Mittelstelle der Reichs­führung SS.

Bei den Umsiedlungs-Aktionen des RKFDV arbeitete das Stabs­hauptamt in engstem Einvernehmen mit dem RSHA.

Die Volksdeutschen wurden in die VOMI-Lager verbracht und dort zwecks Schulung einige Zeit behalten. Sodann wurden sie durch die Einwanderungs­zentralen (EWZ) ‚durch­geschleust‘. Die EWZ und ihre Stäbe bestanden aus Vertretern des RuSHA. Es wurde entschieden, welche Volks­deutschen zur Umsiedlung bestimmt oder nach Deutsch­land zur Zwangsarbeit gebracht werden sollten. Viele von diesen Volks­deutschen wurden bald danach zum Wehrdienst gezogen. Die zur Umsiedlung bestimmten Personen wurden in Ortschaften der besetzten Ostgebiete angesiedelt, sobald die polnische und jüdische Bevölkerung vertrieben oder beseitigt worden war. Die Umsiedlungs-Kommissionen und Arbeitsstäbe (RKFDV) legten genaue Listen über die Bauten, Unternehmungen usw., die für die Umsiedlung der Volks­deutschen nötig erschienen, an. Diese Listen wurden den Umwanderungs-Zentralen (UWZ) Posen, Danzig, Kattowitz, Lodz usw. übersandt. Die UWZ unterstanden dem RSHA; jede UWZ wurde vom Chef Sipo und SD des betreffenden Gebietes geleitet.

Angehörige der VOMI und des Stabs­hauptamtes waren maßgeblich an den Zwangs­einziehungen von Ausländern zur Deutschen Wehrmacht, Waffen-SS und Polizei, an der Durch­führung des Sklavenarbeiter­programms und an der gewaltsamen Wegnahme von Kindern ausländischer Eltern beteiligt. Sie beschlagbahmten große Mengen Güter aller Art aus Museen und anderen staatlichen Sammelstellen. Aus Kirchen wurden Kultgegen­stände geraubt. Persönliche Gegenstände und andere Güter von KL-Insassen, Juden und Polen wurden übernommen. Bei Durch­führung dieser Aufgaben wurden RKFDV und VOMI unterstützt von der Deutschen Ansiedlungs-Gesellschaft (DAG) und von der Deutschen Umsiedlungs-Treuhand-Gesellschaft (DUT), welche Eigentum von Polen und Juden den Volks­deutschen als Entschädigung für Vermögens­verluste zuwies. Die Haupttreu­handstelle Ost (HTO), die unmittelbar dem Beauftragten für den Vierjahresplan (Göring) unterstellt war, beschlag­nahmte gemeinsam mit der Ostindustrie G.m.b.H. (Osti) polnisches und jüdisches Vermögen im Osten und überwies die geraubten Güter dem WVHA bzw. RKFDV (S. 67). Die berüchtigte ‚Aktion Reinhardt‘, die auf Befehl des WVHA durch­geführt wurde, erfaßte persönliches Gut ermordeter KL-Häftlinge, das teilweise über das WVHA und die Osti dem Reich, teilweise über die VOMI den Umsiedlern zugeleitet wurde. Greifelt, der Chef des Stabs­hauptamtes, schätzte den Gesamtbetrag des Wertes allein den Polen und Juden in Polen gestohlenen Güter auf 700 bis 800 Millionen Reichsmark.

Für Rußland gab Himmler dem SS-Ogruf. Lorenz den Befehl, die Maßnahmen hinsichtlich Zwangs­evakuierung und Umsiedlung in engster Zusammen­arbeit und im Einvernehmen mit den Einsatz­kommandos der Sipo und des SD durchzuführen.

Bezeichnend ist ein Telegramm des Amtschefs VI der VOMI, des SS-Ostubaf. Brückner, vom 3. März 1943 an die Einsatzgruppe B, das lautet: ‚Die Grundlage für die Umsiedlung ist nicht freiwilliger Antrag, sondern ein Befehl des Reichsführers SS. Ausweis­papiere von Volks­deutschen, die nicht umgesiedelt werden wollen, sind daher wegzunehmen.‘

Eine weitere Maßnahme im Rahmen der ‚Festigung Deutschen Volkstums‘ war die Schwächung feindlicher Nationen. Zur Erreichung dieses Endzieles wurden sowohl vom RuSHA als auch von VOMI und Stabs­hauptamt kein Mittel außer acht gelassen. Die Fortpflanzung fremder Staats­angehöriger wurde planmäßig erschwert, z. B. durch Herauf­setzung des Heiratsalters bei den Polen, Verbot der Eheschließung zwischen bestimmten Gruppen, Bestrafung des Geschlechts­verkehrs zwischen Ausländern und Deutschen durch ‚Sonder­behandlung‘ (Hängen oder Verschickung in KL), künstliche Herbeiführung von Fehlgeburten, Wegnahme von Säuglingen von Ostar­beiterinnen, usw. Bei Schwangerschafts­unterbrechungen hatten die SS-Führer im Rasse- und Siedlungswesen zu entscheiden, ob eine solche nach den Grundsätzen ‚rassischer und politischer Auslese“ angezeigt war oder ob das zu erwartende Kind geboren und ‚zwangs­germanisiert“ werden sollte.

Ferner waren die jeweils zuständigen Höheren SS- und Polizei-Führer bei der Entscheidung der Frage, ob es sich um einen ‚erwünschten‘ Bevölkerungs­zuwachs (eindeutschungs­fähige Personen) handelte, maßgeblich beteiligt (vgl. Erläuterungen auf S. 69 und ‚der Volkstumsbeauftragte‘ beim HSSPF auf S. 68).

Hinsichtlich des Stabs­hauptamtes sei besonders erwähnt, daß dieses bei der Endlösung der Judenfrage führend beteiligt war.“

Die D.U.T. war also in ein Geflecht von Massenmord, Ausplünderung und – wie wir heute sagen würden – ethnischer Säuberung eingebunden, in dem es keinen Spielraum für selbst­bestimmtes, gar die Politik des National­sozialismus behinderndes Handeln gab. Es kann davon ausgegangen werden, daß den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieser als GmbH ausgelagerten Dienststelle zumindest andeutungs­weise ihre Einbindung in ein verbrecherisches Handeln bewußt war. Dies wird im Einzelfall genauer zu betrachten sein, doch gerade hier sind die wenigen Einlassungen des späteren Darmstädter Ober­bürger­meisters eher vage.

… und in Straßburg?

Im April 1944 wurde ihm die Leitung der Rechtsab­teilung in Straßburg angeboten, zusätzlich zu seinem Job in Luxemburg. Er sagte nicht Nein, zumal es ihm die Freiheit bot, das Büro zu verlassen, zwischen den beiden Städten zu pendeln und somit wenig greifbar zu sein. Auch die Stelle in Straßburg erlaubte viele Mußestunden.

„Ich nutzte die Zeit, um Straßburg gut kennenzulernen, freute mich, daß ich das Münster zu jeder Zeit des Tages aus der Nähe oder von der Ferne her bewundern konnte und wanderte viel in den Vogesen und seinen vorgelagerten, in Weinberge eingebetteten, wundersamen Orten. Hoffentlich richtet der Krieg, der auch hierher kommen wird, in dieser paradiesischen Landschaft und ihren Städten keine Vernichtungen an, war mein Gedanke.“ [39]

Ja, so stellt man und frau sich die Idylle des Widerstandes gegen die Naziherr­schaft vor. Kontemplativ sinnieren über einen Krieg – der Straßburg und die Region schon vier Jahre zuvor erreicht hatte und nicht erst „hierher kommen wird“.

Gerade diese kontemplative Betrachtung blühender Landschaften macht stutzig. Zwar ist es einem innerlichen Nazigegner wie Ludwig Metzger nachzusehen, wenn er die Schizophrenie seiner Situation inmitten der Bestie dadurch verarbeitet, daß er, wo immer es geht, ruhige Orte zur mentalen Stabili­sierung aufsucht. Aber so weltfremd sollte er weder beim Wandern 1944 noch beim Abfassen seiner Memoiren 35 Jahre später gewesen sein, um zu übersehen, daß der Krieg Strasbourg schon Jahre zuvor erreicht hatte. Er kannte natürlich den Prolog in Assia Djebars Roman „Nächte in Straßburg“ nicht, der erst 1997 in Frankreich herausge­bracht werden sollte. In diesem Prolog beschreibt die Autorin sehr feinfühlig, was der Krieg, der nach Ludwig Metzger ja erst kommen sollte, für die Bewohnerinnen und Bewohner von Strasbourg schon im September 1939 bedeutet hatte. Gewiß, die Wehrmacht übernahm erst im Jahr darauf kampflos eine längst geräumte Stadt, und mit dem alliierten Vormarsch im Herbst 1944 sollte die zerstörerische Macht militärischer Elemente ins Elsaß erst noch gelangen. Aber der Krieg war auch ohne Kugelhagel und Kanonen­donner, ohne Stuka­sturzflüge und Kampfpanzer längst da; nur stellte sich für einen Deutschen im Elsaß die Situation womöglich ganz anders dar. Betrachtete Ludwig Metzger 1944 das Elsaß aus „nationaler Pflicht“ gar als ein deutsches Gebiet, welches man dummerweise im Frieden von Versailles 1919 wieder verloren hatte?

Allein, nach der Landung in der Normandie kamen im Herbst 1944 die US-amerikanischen Truppen langsam näher. Für die D.U.T.-Plünder­abteilung der SS in Straßburg wurde eine Ausweich­stelle im thüringischen Mühlhausen in Aussicht genommen. Ludwig Metzger pendelte nun nicht nur mehr zwischen Luxemburg und Straßburg, sondern zudem noch nach Mühlhausen, um die gut organisierte und rechtlich abgesicherte Verwaltung des Raubgutes zu bewahren; und er vergaß hierbei einen Besuch im heimischen Darmstadt nicht. In Mühlhausen hörte er dann vom Bomben­angriff auf Darmstadt an jenem 11. September 1944, der in der Darmstädter Erinnerungs­kultur einen besonderen Ehrenplatz der Larmoyanz erhalten sollte. Zu seinem Glück wurde kein Familien­angehöriger Opfer der sogenannten „Brandnacht“ [40]. Und so tingelte er auch weiterhin unermüdlich, diesmal durch den Odenwald, um für seine D.U.T. Räumlich­keiten aufzutreiben, die dort angesichts zunehmender Flüchtlings­ströme natürlich nicht vorhanden waren. Nach der alliierten Besetzung Straßburgs konnten alle Angestellten der D.U.T. die Stadt rechtzeitig verlassen, wie er erleichtert feststellt. Wäre es nicht besser gewesen, man wäre ihrer dort habhaft geworden und hätte sie vor ein Kriegsgericht gestellt?

Geradezu unverständ­lich erscheint es, wenn Ludwig Metzger in diesen Wirren freiwillig nach Poznań und Łódź, damals: Posen und Litzmann­stadt, reisen will, um dort nach dem Rechten zu sehen. Mit dieser „Geschäfts­reise“ versuchte er, einer Einberufung zum Volkssturm zu entgehen, um nicht noch in den letzten Kriegswochen regelrecht an den sich einengenden Fronten verheizt zu werden. Dann besuchte er lieber die Raubritter im Osten. Wie anders kaum zu erwarten, finden wir auch hier innerlich emigrierte Nazis vor:

„In Posen war Aufbruchs­stimmung. Die Russen rückten rasch vor und waren nicht mehr weit. Der Leiter der D.U.T. in Posen sah die Lage völlig klar und wußte, daß der Krieg verloren war, aber nicht erst seit heute, sondern von Anfang an. Er war ein überzeugter Gegner des National­sozialismus.“ [41]

Wie solch ein Mensch in eine solch kriegswichtige Position gelangen konnte, fragt man und frau sich dann schon. Ob hier auch nur „Schwachheit“ vorlag? Wie viel Schwäche gehört denn nach dieser Logik dazu, Millionen von Menschen zu enteignen, zu vertreiben und ihren Mördern zuzuführen? Obwohl – als örtlicher Leiter der D.U.T. war man daran nicht beteiligt, sondern „regulierte“ im Nachgang den Vorfall. Hannah Arendt, die über die Banalität der Eichmänner schrieb und hierbei für die „innere Emigration“ nur Hohn und Spott übrig hatte, brachte den Sachverhalt in einem Gespräch mit Joachim Fest 1964 auf den Punkt:

„Ja, also dieses ist die sogenannte innere Emigration unter den Mördern, wobei ja der ganze Begriff der inneren Emigration oder des inneren Widerstandes ausgelöscht ist. Ich meine, das gibt es eben nicht. Es gibt nur äußeren Widerstand, inner[en] gibt es höchstens [als] eine Reservatio mentalis, nicht? Das sind ja alles Lebenslügen, die verständlich sind und ziemlich ekelhaft.“ [42]

Insofern liegt die Frage nahe, welche Intention dem permanenten Entschulden der kleinen Geister und Lichter, ja selbst der Dienststellen­leiter zugrunde liegen mag. Ist es übertrieben zu vermuten, daß er sich damit womöglich selbst entschulden will, einer Organisation angehört zu haben, die zwar keiner und niemandem ein Leid zugefügt haben soll, aber dennoch unbarmherzig in den Vernichtungs­krieg der ganz und gar deutschen Naziherr­schaft integriert war? Handelt es sich um unterdrückte Schuldgefühle?

„Am 19. Januar, dem Tag, an dem ich Polen in Richtung Berlin verließ, ist Lodz gefallen. Ich wäre also in die Hände der Russen geraten, wenn ich versucht hätte, an meinem ursprünglichen Reiseziel festzuhalten.“ [43]

Es ist anzunehmen, daß die Rote Armee kein Verständnis für einen juristischen Fachmann in der Rechen­abteilung der D.U.T. aufgebracht hätte. Seiner späteren Karriere wäre ein solches Fiasko nicht gut bekommen. Bemerkens­wert ist, daß wir durch Ludwig Metzger gar nicht erst erfahren, welche Aufgabe genau er in Posen wahrgenommen hat oder wahrnehmen wollte. Da er seine Besichtigungs­tour nach Łódź nicht mehr vollenden konnte, beeilte er sich, zurück nach Darmstadt zu gelangen, wo er als wohl­beleumdeter Verteidiger von Sozialdemo­kraten und Pfarrern von den Kommandeuren der siegreichen US-Truppen zum Chef des Darm­städter Wieder­aufbaus ernannt wurde.

In Susanne Királys Dissertation wird die Dienstreise nach Posen und Łódź erstaunlicher­weise mit keinem Wort gewürdigt, obwohl sie eine weitere Begründung für diese nicht ganz ungefähr­liche Aktion liefert. Diese Auslassung erstaunt. – Der Geschäfts­führer Dr. Kulemann hatte nämlich im März 1945 die ohnehin nur noch auf dem Papier bestehenden Dienststellen in Luxemburg und Straßburg aufgelöst, Metzger war demnach nicht mehr „unabkömmlich“, um dem Kriegs­einsatz zu entgehen. Doch sein oberster Chef plante für die Zukunft.

„Es ist offensichtlich, daß mit Ludwig Metzger von Seiten der D.U.T.-Stellen sehr pfleglich umgegangen wurde. Als sich die NS-Herrschaft offensicht­lich dem Ende zuneigte, glaubten einige der Verant­wortlichen wohl, daß sie Metzger eventuell später einmal für positive Beurteilungen brauchen würden. Dies bestätigte sich, als sich nach dem Zusammen­bruch der nationalsozia­listischen Herrschaft viele und vor allem die führenden Mitarbeiter der D.U.T. in Spruchkammer­verfahren für ihr Tun verantworten mußten. Für diejenigen, die Metzger näher gekannt hatten, war er als Ober­bürger­meister von Darmstadt der richtige Mann für ein entlastendes Zeugnis.“ [44]

Wie das? Hatten wir nicht aus dem berufenen Munde Ludwig Metzgers erfahren, daß es sich bei der D.U.T. um eine harmlose Organisation gehandelt hat, in denen sich „innere Emigranten“ und Nazigegner der ersten Stunde gesammelt hatten? Stimmt etwa etwas an dieser Legende nicht? Frau Király scheint dieser Widerspruch nicht aufgefallen zu sein, aber vielleicht ist es ja auch nur so, daß Ludwig Metzger nicht nur seine Darmstädter, sondern auch seine Kollegen in der ideologisch unverdächtigen Verrechnungs­stelle erbeuteten Eigentums viel, viel besser gekannt hat als die Richter in den Spruch­kammern, die von der ganzen harmlosen Angelegen­heit selbstredend keine Ahnung haben konnten.

Betrachte ich dies zu sarkastisch?

Nun, obwohl Susanne Király der D.U.T.-Stelle in Luxemburg ausdrück­lich entlastende Momente zubilligen will, kommt sie nicht darum herum, die Rolle dieser Gesellschaft als Nazi­organisation zu charakterisieren.

„Bei der Beurteilung Metzgers bei der D.U.T. ist festzustellen, daß er seine Arbeitskraft einer Organisation zur Verfügung stellte, die massiv von der SS als dem rücksichts­losesten Instrument der menschenver­achtenden Umsiedlungs­politik initiiert und getragen wurde. Der Charakter der D.U.T. war ihren Leitern und wohl auch den Mitarbeitern bewußt.“

Das wird wohl so gewesen sein.

„Wie sie sich im einzelnen verhielten, ist im Nachhinein nicht zu konstatieren; hier wird es von Nieder­lassung zu Nieder­lassung Unterschiede gegeben haben, die von den jeweils Verant­wortlichen bestimmt waren. Es sind keine Hinweise gefunden worden, die Metzgers persönliche Integrität bezweifeln lassen.“ [45]

Derlei Allgemeinplätze sind wenig sachdienlich. Gewiß wird es von Niederlassung zu Niederlassung Unterschiede gegeben haben, etwa in der Art und Weise, wie viel „Substanz der Habe“ den Enteigneten und Deportierten zugestanden wurde. Allein – auch ohne einen Hinweis auf konkret ver­brecherisches Handeln läßt sich mit derlei Allgemein­plätzen nicht der ver­brecherische Charakter der Organisation als solcher wegdis­putieren. Überhaupt ist es bemerkenswert, daß es auch 65 Jahre nach der bedingungs­losen Niederlage des NS-Regimes keine eigenständige Monografie zur Aufgabe, zum Wirken und Handeln der D.U.T. zu geben scheint. Dies als Ausdruck einer Harmlosig­keit und Unwichtig­keit zu betrachten, wäre ein Fehlschluß. Hier liegt ein Forschungs­vorhaben geradezu auf der Hand, das dazu führen könnte, die Tätigkeit Ludwig Metzgers angemessen (und nicht spekulativ) zu bewerten.

Der damalige Stadtverordneten­vorsteher Günter Ziegler hielt 1976 eine Laudatio auf den just ernannten Ehrenbürger Ludwig Metzger. Die Episode Luxemburg war in den Jahren nach 1945 durchaus Stadt­gespräch in Darmstadt. Geradezu typisch für den Umgang mit den zwölf Jahren deutscher Geschichte, in denen das Unnennbare möglichst unbenannt bleibt, führte er aus:

„Ludwig Metzger ließ sich hierdurch nicht einschüchtern mit der Folge, daß 1942 gegen ihn ein Verfahren auf Ausschluß aus der Rechtsanwalt­schaft eingeleitet wurde. Durch die Übernahme einer Aufgabe in Luxemburg kam er dieser Maßnahme zuvor.“ [46]

Worin die Aufgabe bestand, wird wohlweislich unterschlagen, denn dann wäre womöglich die Ehrenbürger­schaft in Gefahr. Man und frau vergewissert sich untereinander durch das richtige Vokabular des Beschweigens und adelt das beschwiegene Verhalten durch eine gegen Metzger angestrengte Disziplinar­maßnahme. Wie erfolgreich dieses inoffizielle Schweige­gelübde wirkt, zeigt Ludwig Metzgers Biogramm im „Stadtlexikon Darmstadt“. Ganze zwei Sätze (oder vier von 54 Zeilen) werden für zwölf Jahre Naziregime durch die Autorin Susanne Király spendiert.

„Die NS-Zeit verbrachte der aus dem Staatsdienst entlassene M. als Rechts­anwalt in DA. Er war in der Bekennenden Kirche aktiv und setzte sich für Verfolgte des NS-Regimes ein.“ [47]

Praktischerweise wird als Literatur­angabe auf die eigene Dissertation verwiesen, in der immerhin etwas anderes zu lesen steht, nämlich daß der Rechts­anwalt Ludwig Metzger eben nicht die ganze NS-Zeit in Darmstadt verbracht hat. Aber da müßten die Leserinnen und Leser des Biogramms aus eigenem Antrieb mehr wissen wollen, und das ist reichlich unwahr­scheinlich. Insofern kann mit einer solchen Angabe nicht viel schief gehen. [48]

Die heroische Tat – Der Wieder­aufbau Darmstadts

Ludwig Metzger gilt als tatkräftiger Organisator des Wieder­aufbaus einer kriegszerstörten Stadt. Ein britischer Bombenangriff hatte am 11. September 1944 eine Schneise der Verwüstung durch die Innenstadt gezogen. Etwa 10.000 Menschen fanden in dieser Nacht den Tod. So ist das eben, wenn man und frau einen totalen Krieg führt. Ein halbes Jahr später standen US-amerikanische Truppen vor den Toren der Stadt; die verbliebenen Naziführer konnten daran gehindert werden, auch Darmstadt bis zum Endsieg zu verteidigen. Der März 1945 markiert einen Wendepunkt. Es galt nun, die Trümmer beiseite­zuräumen, Häuser und Wohnungen instand­zusetzen, alte Nazis herauszu­destillieren und kaltzustellen, sowie die Versorgung mit Lebensmitteln und Heizmaterial zu sichern.

Offenkundig war Ludwig Metzger eine Persönlich­keit, die das Notwendige zu organisieren verstand. Hierbei bediente er sich einer Stadtver­waltung, die von Nazichargen durchsetzt war. Einige dieser Nazis, nämlich die korrupten, entließ er, und sei es, weil er ihr schlechtes Benehmen nicht ertrug. Die anderen ließ er weitermachen. Dieser Pragmatismus wirkte auf zwei Ebenen. Zum einen waren es diese Verwaltungs­beamten gewohnt, stur einen vorge­gebenen Kurs durch­zusetzen. Hätte er neue, unerfahrene Beamte einsetzen müssen, hätte dies gewiß zur Demo­kratisierung und Legitimation des neuen Regimes beigetragen, vermutlich aber auf der anderen Seite Ineffizienz und Reibungsver­luste begünstigt. Zum anderen konnte sich der neue Ober­bürger­meister auf die Nazi-gestählte Beamten­schaft schon deshalb verlassen, weil sie ihren Job behalten durften und ihm daher zu Dank verpflichtet waren.

Diese Gemengelage erregte den Argwohn der US-amerikanischen Besatzer, die sich zunächst die Entnazi­fizierung etwas anders vorgestellt hatten. Einem internen Bericht der US-Militär­verwaltung vom 19. August 1945 zufolge habe Darmstadts eingesetzter Ober­bürger­meister „Probleme“ bei der Besetzung von Verwaltungs­posten. Die anfangs rigorosen alliierten Vorgaben, wer aufgrund seiner Nazi-Vergangen­heit zu entlassen sei und wer aufgrund minderer oder keiner Belastung eingestellt werden konnte, führten im Oktober 1945 zum „Stillstand jeglicher Verwaltungs­tätigkeit“, zumal kurz zuvor Ludwig Metzger, der sich vehement für seine „schwachen“ Nazis eingesetzt hatte, selbst entlassen worden war. Aufgrund der Vorgaben der US-Verwaltung durften ehemalige Nazis zudem nur noch „gewöhnliche Arbeiten“ ausführen. Deutsche Verwaltungs­posten wurden daher bevorzugt mit unbelasteten Deutschen besetzt. Da aber auch die US-Administration auf deutsche Arbeits­kräfte angewiesen war, erhielten ehemalige Nazis eine zweite Chance. Diese Jobs waren aufgrund der Nähe zu den Besatzern nicht nur angesehen, sondern auch einträglich.

„Für die Nazis war das Anlaß zum Spott: Die Amerikaner privilegierten, trotz der Entnazi­fizierungs­bemühungen die Nazis. Andererseits ging es den Deutschen, die sich jahrelang einem NSDAP-Beitritt verweigert hatten, auch nach dem Zusammen­bruch des Faschismus wieder schlechter als den Nazis.“ [49]

Insofern sollte auch die Wieder­einsetzung von Ludwig Metzger als Darmstadts Oberbürger­meister im Februar 1946 unter einem weiteren Gesichts­punkt betrachtet werden. Wenn seine Entfernung zu einem „Stillstand“ in der Verwaltung beitrug und zunächst das Problem zu lösen war, ob alte Nazis vielleicht doch ganz brauchbare Verwaltungs­angestellte abgaben, ein Problem, dessen Lösung der Besatzungs­macht erst noch schmackhaft gemacht werden mußte, dann besiegelt seine Wiederein­setzung vier Monate später den Deal. Der Wieder­aufbau unter „demo­kratischen“ Vorzeichen geht voran und funktioniert, dafür schlucken die US-Behörden die Nazikröte. Mit zunehmendem Anti­kommunismus erledigte sich diese Problemlage ohnehin von selbst.

Wohin ein solcher Pragmatismus führen kann, zeigte sich am Beispiel der Trümmer­beseitigung. Ludwig Metzger beschreibt, wie er mit einigen weiteren Funktions­trägern als gutes Beispiel voranging und die Schaufel in die Hand nahm. Die US-Amerikaner hatten zuvor die Nazi-Parteige­nossen zur Aufräum­arbeit verpflichten lassen. Dabei kam nicht viel heraus.

„Das Arbeitsamt zog auf Weisung der Amerikaner PGs zur Aufräumung der Straßen heran. Selbst­verständ­lich war der Effekt minimal. Es war aber auch unmöglich, den Anfang des Wieder­aufbaus einer Stadt (und die Räumung war der Anfang) mit Strafarbeiten zu beginnen. Das war eine Sache der ganzen Bürger­schaft, sie mußte ihr Ehrensache sein.“ [50]

Betrachten wir die Angelegen­heit realistisch. Nur zwölf Jahre zuvor hatte die Hälfte der Bürger­schaft freiwillig die NSDAP gewählt. Jetzt konnte Ludwig Metzger nicht hingehen und diese gehälftete Bürger­schaft zur Beseitigung der Trümmern verdonnern, die diese zu verantworten hatte. Psycho­logisch subtil verpflichtete er sich dieselbe gehälftete Bürger­schaft mit einem Trick. Er appellierte an ihre Ehre und gewann sie für sich, anstatt sie – mit Strafarbeiten – gegen sich aufzubringen. Natürlich diente das Unterfangen gleichzeitig auch dem Vergessen und Beschweigen der damit verbundenen Verantwortung.

„Etwa jeden Monat sollte jeder Bürger einen Tag lang seine Ehrenpflicht erfüllen. Aber ganz ohne Nachdruck ging es leider nicht. Manche glaubten, sie seien zu gut, um sich im Dienst ihrer Stadt die Finger schmutzig zu machen. Wieder mußte ich zu einer unpopulären Maßnahme greifen. Ich ordnete an, daß nur die Lebenmittel­karten bekämen, die auch ihre Räumungs­pflicht erfüllten.“ [51]

Wenn man und frau die genaueren Umstände nicht kennt, klingt dieser Gedanken­gang plausibel. Jedoch gab es bei Abfassung seiner Autobio­grafie noch den einen oder anderen Zeitzeugen, der die Geschehnisse etwas anders wahr­genommen hat, etwa Philipp Benz. 1993 beschrieb er in der „Zeitung für Darmstadt“ diese Phase der jüngeren Stadt­geschichte.

„Die spätere Weigerung von Verpflichteten zur Beteiligung an der Trümmer­räumung hatte gewichtige Gründe, die auch Ober­bürger­meister Ludwig Metzger mitzuverant­worten hatte. Der Protest erhob sich nicht wegen ‚schmutziger Finger‘ oder ungewohnter körperlicher Arbeit, sondern weil sich Leute, die sich während der Naziherr­schaft die Finger schmutzig gemacht hatten, durch faden­scheinige Freistellungs­bescheide den Arbeits­einsätzen entzogen. Beziehungen und behördliche Duldung ermöglichten diese Drücke­bergerei.“

Ob das an der „Schwachheit“ der von Ludwig Metzger nicht rausgeworfenen Beamten lag? – Nicht nur Philipp Benz, sondern auch Peter Heinrich Benz, der Vater des späteren Ober­bürger­meisters Peter Benz, beide nur in historisch längeren Zeiträumen verwandt und/oder verschwägert, fiel auf, daß nicht wenige ehemals prominente Nazis nicht gesichtet wurden, als die „Ehrenpflicht“ rief. Ein späterer Blick in die Einsatzlisten bestätigte den Verdacht. Vorsprachen beim Tiefbauamt versandeten, also wurde ein Streik angedroht. Dies hatte Konsequenzen.

„Bei der nächsten Ausgabe von Lebensmittel­karten wurden wir und alle, die sich unserer Aktion angeschlossen hatten, gesperrt. Die Verant­wortlichen, einschließlich des Oberbürger­meisters Ludwig Metzger, dachten nicht daran, unseren Vorwürfen nachzugehen oder gar für Abhilfe zu sorgen.“ [52]

Diese Posse hatte für die Betroffenen nicht nur schwer­wiegende Folgen für ihre Ernährung, sondern enthielt im Kern einen Widerspruch, der sich im beginnenden anti­kommunistischen Klima der Nachkriegs­jahre entzünden sollte. Philipp Benz und seine Mitstreiter gehörten der KPD an. Obwohl Kommunisten und Sozialdemo­kratinnen in den ersten Nachkriegs­jahren punktuell ganz gut miteinander zusammen­arbeiten konnten, schon allein aufgrund gemeinsam ertragener Repressalien unter den Nazis, wirkten die erbitterten und feindseligen Auseinander­setzungen zwischen beiden Parteien aus der Weimarer Republik nach. Die nach Kriegsende ausgegebene Stalinsche Parteilinie machte für die Kommunisten die Sache nicht einfacher; Heinz Schäfer nennt den damals gefahrenen Kurs „links­sektiererisch“ [53]. Ludwig Metzger, der in den Kommunisten einen Gegner sah, nahm die Gelegen­heit wahr, sie seine Macht spüren zu lassen. Susanne Király erwähnt diese Episode immerhin am Rande.

Des Oberbürger­meisters Disziplinarmaß­nahme hatte Folgen, sorgte für öffentlichen Aufruhr. Das hessische Innen­ministerium in Wiesbaden schaltete sich ein. Ludwig Metzger wurde von seinem Parteifreund Heinrich Zinnkann angewiesen, die Lebensmittel­karten rauszurücken. Während­dessen warteten ehemalige Spitzen­beamte mit Nazi­vergangen­heit däumchen­drehend im städtischen Holzhof an der Kasinostraße auf ihre Rehabili­tierung. Ein Blick in die deutsche Nachkriegs­geschichte sagt uns, daß aus diesen ehemaligen Nazis wunderlicher­weise aufrechte Demokraten wurden, die von nichts wußten, die nichts getan hatten, und vor allem: die immer schon gegen die Nazis gewesen waren. Im Grunde ist es wenig erstaunlich, wenn Ludwig Metzger auch drei Jahrzehnte nach diesen Vorfällen in seiner Autobio­grafie immer noch einen Groll hegt. Dieser Groll richtet sich nicht gegen die Nazis mit ihren vortrefflichen Beziehungen, sondern gegen diejenigen, die auf den Mißstand hingewiesen und die lautstark und punktuell auch erfolgreich hiergegen protestiert haben. Diesen Groll hat bald darauf der schon erwähnte Heinz Schäfer zu spüren bekommen.

Olaf Schröder gibt uns auf der Grundlage interner Berichte der US-amerikanischen Besatzungs­macht eine Vorstellung von den Konflikt­linien um den Ehrendienst. Demnach kritisierte die KPD nicht nur, daß sich hochrangige Nazis dieser „Ehrenpflicht“ entziehen konnten, sondern auch die Abwesen­heit der Direktoren von Industrieunter­nehmen und der Parteispitzen von LDP und CDP. Hier deutet sich ein handfester Klassen­konflikt an, denn in der LPD (Liberale Demokratische Partei, später FDP) und der CDP (Christliche Demokratische Partei, später CDU) organisierte sich das mehr oder weniger wohl­habende Bürgertum. Es war die LDP, welche die Kopplung der Vergabe der Lebensmittel­karten an die Ehrenpflicht als will­kürlich kritisierte; nur 11.000 von 25.000 hierfür vorgesehenen Männern beteiligten sich hieran. Wer sich, in den Worten Ludwig Metzgers, „zu gut“ für diese Arbeit war, dem boten sich alternative Ressourcen. Bürgertum und alte Nazis lebten von ihrem (wie auch immer in den vergangenen tausend Jahren erworbenen) Vermögen. [54].

Kleiner Exkurs in die Klicks des Völkerrechts

Ludwig Metzger schildert in seinen Memoiren eine Begebenheit, die sich kurz nach seiner Einsetzung als Ober­bürger­meister durch die US-amerikanischen Besatzer zugetragen haben muß. Demnach begehrten sie „die Ablieferung sämtlicher Photo­apparate. Dies ginge gegen die Haager Konvention, wandte ich ein, dem könne ich nicht folgen. Die Offiziere ließen ihre Forderung fallen.“ [55]

So verständlich es seitens der Besatzungs­truppen gewesen sein mag, daß ihre Truppen­bewegungen, Standorte und Handlungen nicht im Bild fest­gehalten und womöglich für Widerstands­handlungen durch­geknallter deutscher Vaterlands­verteidiger genutzt werden, hier ist dem Autor Recht zu geben. Es wäre ein Verstoß gegen das Völker­recht gewesen. Seltsam nur, daß ihm dieser Gedanke nicht gekommen zu sein scheint, als er zweiein­viertel Jahre zuvor seinen Dienst in Luxemburg angetreten hat. Über das Abliefern klickender Apparate ereifert er sich, aber über das Abliefern von mehr als der „Substanz der Habe“ dann doch lieber nicht?

Der Sündenfall des Hauses Metzger

Eine nicht uninteressante und für den Macht­menschen Ludwig Metzger bezeichnende Geschichte enthält uns der Autor in seiner Autobio­grafie vor. Drei Jahrzehnte später war eine Erinnerung an den Sündenfall eines Sozialdemo­kraten sicherlich kein Thema, das mit dem ruhmvollen Heroismus der Wiederaufbau­leistung in Verbindung gebracht werden sollte.

Erinnern wir uns: Am 27. Januar 2008 wurde ein neuer hessischer Landtag gewählt. Rein rechnerisch war eine Koalition aus SPD, Grünen und der Partei „Die Linke“ möglich. Sie hätte den unbedingten Willen von mehr als der Hälfte der Wählerinnen und Wähler wider­gespiegelt, Roland Koch als Minister­präsidenten abzusetzen. Diese Stimmung war eindeutig. In dieser Situation entdeckte Dagmar Metzger ihr Gewissen; sie fühle sich an das vor der Wahl abgegebene Versprechen gebunden, nicht mit der „Linken“ zu koalieren. Das andere Versprechen, Roland Koch in die Wüste zu schicken, vergaß sie diskret. Weiterhin gab sie an, sie habe die Folgen von Mauerbau und Stasi in ihrer eigenen Familie erlebt. Somit ertrug sie lieber den brutalst­möglichen Politiker Hessens, anstatt ihrer eigenen Partei die Chance zu geben, die Verhältnisse zum Positiven zu verändern.

Derartige Gewissensbisse hatte Ludwig Metzger, der Großvater ihrers Ehemanns, nun gar nicht. Wenn pragmatische Lösungen zum eigenen Machterhalt gefragt waren, dann koalierte er auch mit dem Teufel. Interessant daran ist, daß er in seiner Autobio­grafie diese Geschichte nicht erzählt, in einer Autobio­grafie, in der es laut seiner Biografin Susanne Király keine wesentlichen Aus­lassungen gibt. Immerhin finden sich die notwendigen Angaben in ihrer Dissertation, die offenkundig keine und niemand gelesen hatte, als Dagmar Metzger ihr Gewissen befragte. Die Geschichte ist nämlich diese.

Kurz nach dem Ende der Naziherr­schaft gab es auch in den Westzonen Über­legungen, eine Einheitspartei aus SPD und KPD zu bilden. Ideologische Gründe, aber auch macht­politische Ambitionen führten in der hessischen Sozialdemo­kratie zur Ablehnung dieses Vorhabens. Vertreter des einheits­willigen Parteiflügels wurden ausgeschlossen. Rechte Sozialdemo­kraten, die stolz auf ihre anti­kommunistische Gesinnung waren, übernahmen im Einklang mit Kurt Schumacher die Partei und biederten sich bei der entstehenden CDU an. Immerhin erklärte in der US-Zone ein Drittel der Wählerinnen und Wähler der SPD im März 1946, daß sie im Falle einer Vereinigung beider Parteien zur SED auch diese gewählt hätten. Wenn es der Durch­setzung der eigenen Ziele dienlich war, war eine punktuelle Kooperation mit der KPD dennoch möglich. Walter Mühlhausen legt dar, daß die SPD in Nordhessen dort weitermachte, wo sie 1933 aufeghört hatte, und fährt fort:

„Eine ebensolche Ausstrahlung für den südhessischen Raum hatte die SPD in Darmstadt, an deren Spitze mit dem Ober­bürger­meister Ludwig Metzger und Heinrich Zinnkann zwei kommunisten­feindliche Alt­funktionäre standen, denen an einer Annäherung an die CDU gelegen war. Ausgangs­punkt für diese Beziehungen zwischen SPD und CDU waren die überaus engen Bindungen von Metzger und dem Christ­demokraten Heinrich von Brentano aus der Nazizeit, die auch nach dem Zusammen­bruch zu äußerst intensiven Kontakten führten.“ [56]

Am 26. Mai 1946 wählten die Darmstädterinnen und Darmstädter ihr kommunales Parlament. Die SPD kam auf 51,7% der Stimmen, die CDU erhielt 30,1%, die KPD 12,4% und die LDP, die neben liberalen Intellektuellen auch alten Nazis als Sammelbecken diente, erhielt 4,4%. Aufgrund einer 15%-Klausel konnten SPD und CDU die Mandate untereinander aufteilen; die SPD besaß faktisch die absolute politische Macht vor Ort und kungelte mit der CDU die Art und Weise des Wieder­aufbaus Darmstadts aus.

Am 25. April 1948 wurde erneut gewählt. SPD und CDU verloren Stimmen, während die LDP diesmal 26,1% der Stimmen erhielt. Die Kommunisten hielten in etwa ihr Ergebnis bei 11,6% der Stimmen. Die bewußt undemo­kratische 15%-Regelung war abgeschafft worden, so daß alle vier Parteien im Kommunal­parlament vertreten waren. Im Vorfeld der Wahl hatten sich SPD und KPD heftigst beharkt; die KPD hatte der regierenden Partei vorgeworfen, das Ergebnis des Wieder­aufbaus falsch dargestellt und zudem in die eigene Tasche gewirt­schaftet zu haben. Nach der Wahl mußte auch der Ober­bürger­meister neu gewählt werden. Da Ludwig Metzger die Macht nicht mit CDU und LDP teilen wollte, blieb ihm nur übrig, sich mit den Stimmen der KPD wiederwählen zu lassen. Und so geschah es auch im Juni 1948. 25 Stimmen aus den Reihen der beiden Arbeiter­parteien standen gegen 23 Stimmen der beiden anderen Oppositions­kräfte; diese Mehrheit verhalf auch dem bisherigen Stell­vertreter Julius Reiber zur Wiederwahl [57].

„LDP und CDU protestierten erwartungs­gemäß gegen diese Wahl. Daß beide SPD-Kandidaten von der KPD unterstützt worden seien, beweise, daß in Darmstadt ein ‚SED-Kurs‘ eingeschlagen werde; die Vertreter von CDU und LDP verließen den Sitzungssaal.“ [58]

Dieser theatralische Abgang mit Türenknallen war genauso ein Manöver wie die Unterstützung, welche die KPD der SPD zuteil werden ließ. Während erstere erzürnt waren, nicht an der lokalen Macht beteiligt zu werden und mit dem offenkundig absurden SED-Vorwurf nur Stimmung machen wollten, glaubten letztere, einen Keil zwischen die SPD und die bürgerlichen Parteien legen zu können. Wie naiv! Die Rechnung wurde Ludwig Metzger schon bald präsentiert. Seine Beweggründe, sich auf die rechnerische Mehrheit mit den Kommunisten zu stützen, benennt Susanne Király in ihrer Biografie.

„In dieser Haltung und auch in dem Bestreben, die bisherigen Kollegen unverändert an seiner Seite zu haben, zeigt sich positiv ausgedrückt die Verschworen­heit, negativ ausgedrückt die Unbeweglich­keit der nunmehrigen Magistrats­mitglieder, von denen keiner seine bisherige Macht und Kompetenzen aufgeben wollte.“ [59]

Die am 20. Juni 1948 in Kraft getretene einseitige Währungs­reform wurde von der KPD abgelehnt, ebenso alle darauf aufbauenden Gesetze. Am 14. Oktober 1948 lehnten alle drei Oppositions­parteien, wenn auch aus unterschied­lichen Motiven, den Nachtrags­haushalt für 1948 ab. Ludwig Metzger war zum Rücktritt gezwungen. Auf der nächsten Sitzung der Stadt­verordneten­versammlung am 18. November 1948 stellte er sich erneut zur Wahl und wurde am 2. Dezember 1948 dann auch gewählt. Diesmal gab es ein Allparteien­bündnis gegen die marginale Fraktion der Kommunisten. Die Macht wurde zwischen SPD, CDU und LDP aufgeteilt. Ernst Schröder, der in seinem Spruchkammer­verfahren als Mitläufer eingestuft worden war, wurde anstelle von Julius Reiber zum Bürger­meister gewählt. Der kommunistische Stadt­verordnete Friedrich Avemarie kritisierte diese Kehrtwende und Hinwendung zu einem belasteten Nazi mit Bezug auf Ludwig Metzgers Tätigkeit in Luxemburg.

„Wir regen uns deshalb darüber auf, weil wir es einfach nicht glauben können, daß man in einer Stadt, wo man eine linke Mehrheit besitzt, seine Stimme dafür hergibt, daß man einen stell­vertretenden Ober­bürger­meister wählt, der ein belasteter Pg ist, und zwar ein ganz aktiver gewesen sein muß aufgrund seiner Stellungen, die er bekleidet hat. Die Triebfeder ist nicht die sozialdemo­kratische Fraktion, die Triebfeder ist Herr Ober­bürger­meister Metzger, der aufgrund seiner politischen Vergangen­heit in Luxemburg der richtige Mann ist, der Arm in Arm mit seinem Stellvertreter hier in Darmstadt regieren kann.“ [60]

Drei Jahre nach der Niederlage des national­sozialistischen Deutschland war es keineswegs ausgemacht, welche alten Nazis sich im neuen, sich erst noch demo­kratisierenden Gemeinwesen wieder tummeln durften. Aus heutiger Sicht mag die Gefahr einer national­sozialistischen Wiederkehr als eher absurd erscheinen, für politisch wache Menschen war der Kampf keinesfalls entschieden. Insofern kann diese ziemlich an den Haaren herbei­gezogene Aussage nur aus dem damaligen Kontext verstanden werden. Aber immerhin – schon damals konnte Ludwig Metzger sein Luxemburger Engagement nicht zufrieden­stellend erklären.

Im Nachgang ereiferte sich die KPD und warf – auch aufgrund ihrer im anti­kommunistischen Klima der damaligen Zeit politisch inszenierten Maginali­sierung – Ludwig Metzger vor, mit einem „Gesinnungs­genossen“ gemeinsame Sache zu machen, und bezichtigte die Stadt­verordneten­versammlung zudem „faschistischer Methoden“. Anstatt ganz nüchtern der Angelegen­heit nach­zugehen und die Frage aufzuwerfen, welche Aufgabe dieser D.U.T. oblegen hatte, katapultierte sie sich mit ihrer Verbalrhetorik ins politische Abseits. Dies ermöglichte es Ludwig Metzger, einen weiteren Schritt zur Maginali­sierung und Kriminalisierung einer zum (politischen) Abschuß freige­gebenen Partei zu ergreifen.

Eine Friedenskund­gebung wird verboten und führt zu Entlassungen

Heinz Schäfer kam 1944 als 17-jähriger in der „Goldenen Krone“ in Darmstadt in Kontakt mit dem kommunis­tischen Widerstand und begann noch vor Gründung der Bundes­republik Deutsch­land eine Ausbildung in der Darm­städter Verwaltung. Kurz vor seiner Abschluß­prüfung wurde er im Oktober 1950 durch Ludwig Metzger aus seinem Anwärter­verhältnis entlassen. Die Begründung war vielschichtig und eindeutig politisch [61]. Der um sich greifende hysterische Anti­kommunismus forderte seinen Tribut. Es war die Zeit, in der alte Nazis, soweit sie nicht abgeurteilt oder untergetaucht waren, wieder gerne gesehen und in das öffentliche Leben integriert wurden; nicht nur diejenigen, die aus „Schwachheit“ kollaboriert haben. Ganze Berufszweige wie Juristen und Mediziner konnten in ungebrochener Kontinuität vom Dritten Reich in die Adenauer-Restauration überwechseln. Die Feinde dieser jungen Demokratie standen in dieser politischen Logik folglich links und wurden nicht erst, aber vor allem durch das KPD-Verbot von 1956 aus dem politischen Leben entfernt.

Ludwig Metzger berief sich zur Begründung der Entlassung auf einen Beschluß der Bundes­regierung vom 19. September 1950, nach der die Unter­stützung von gegen die freiheitlich-demokratische Grund­ordnung gerichteten Organisationen und Bestrebungen als unvereinbar mit den Dienst­pflichten eines Beamten betrachtet wurden. Hierzu gehörte die KPD, der Heinz Schäfer selbst­verständ­lich beigetreten war. Zudem lägen polizeiliche Erkenntnisse vor, nach denen eine Entfernung aus dem öffentlichen Dienst geboten sei. Um dem Ganzen die politische Spitze zu nehmen und den Rausschmiß juristisch unanfechtbar zu gestalten, behauptete Ludwig Metzger zudem, Heinz Schäfer habe sich sowohl mündlich wie auch schriftlich in einer Weise gegenüber Vorgesetzten verhalten, die zeige, daß ihm die Eignung zum Beamten fehle. Als Heinz Schäfer Jahrzehnte später seine Akten bei Staats­anwalt­schaft und Arbeit­nehmerrat einsehen konnte, wurde gerade die letztere Behauptung des ungebührlichen Verhaltens gegenüber Vorgesetzten durch nichts begründet. Offenkundig handelte es sich um eine nicht nach­weisbare Behauptung, so daß schon damals der Arbeit­nehmerrat seine Zweifel anmeldete.

Doch was steckte hinter den polizeilichen Erkenntnissen? Inmitten der politischen Aufregung um den soeben begonnenen Krieg in Korea hatten die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und ein „Komitee der Kämpfer für den Frieden“ anläßlich des Jahrestages der Bombardierung Darmstadts für den 10. September 1950 zu einer Kundgebung sinnfälliger­weise auf dem Darm­städter Friedens­platz aufgerufen. Nun galten beide Organisationen als KPD-gesteuert, weshalb die geplante Friedens­kundgebung am Tag zuvor verboten wurde. Damals gab es noch kein Internet, so daß es dem damaligen Vorsitzenden der VVN, Hans Fillsack, unmöglich war, so kurzfristig die Kund­gebung abzusagen. Der Friedens­platz füllte sich, die Polizei schritt ein. Heinz Schäfer, der vom Verbot nicht informiert war, nahm also an einer illegalisierten Veran­staltung teil, was ihm nach­träglich zum Vorwurf gemacht wurde. Wie es sich für einen ordentlichen politisch motivierten Vorgang gehört, wurde der Delinquent nicht angehört, sondern ohne rechtliches Gehör abgeurteilt.

Ein weiterer Teilnehmer dieser Kundgebung war der Kommunist Konrad Weigel, der ebenso wie Hans Fillsack vom Volks­gerichts­hof zu einer hohen Zucht­hausstrafe verurteilt worden war. Gegen ihn verfügte Ludwig Metzger schon am Tag nach der Kundgebung die Entlassung aus dem Dienst. Wie absurd der Vorwurf der Teilnahme an einer verbotenen Kundgebung gewesen ist, zeigt sich daran, daß das Verfahren gegen Heinz Schäfer Jahre später, nachdem der Zweck der Maßnahme – seine Entlassung – schon lange zurücklag, eingestellt wurde; Konrad Weigel wurde zu einer Geldstrafe von gerade einmal 30 DM verurteilt. Wir finden hierin den Beleg für die damals herrschende Intoleranz nicht nur der Adenauer-Regierung, sondern auch der anti­kommunistisch eingestellten Sozialdemo­kratie vor Ort.

In der Darmstädter Stadt­verordneten­versammlung hatte das Verbot dieser Kundgebung ein Nachspiel. Ludwig Metzger berief sich hier nicht auf den vorliegenden Erlaß des hessischen Innen­ministers vom 24. August 1950, derartige kommunis­tische Umtriebe zu verbieten, er verschanzte sich also nicht hinter einem bürokratischen Akt, sondern gab ganz offen zu, daß es ihm eine Herzensange­legenheit war. Die kommunis­tischen Stadt­verordneten protestierten lautstark, einer (vermutlich Ludwig Keil) wurde von der herbeige­rufenen Polizei aus dem Saal geführt; ihm und einem Kollegen wurde die Teilnahme an fünf folgenden Sitzungen verwehrt. Wir werden im Nachhinein wohl nicht klären können, was genau geschah und inwieweit sich ein aufge­putschtes Klima in der Sitzung selbst entlud.

„Hessen folgte dem Bundes­beispiel. Neben Entlassungen von KPD-Mitgliedern gab es immer häufiger Versammlungs­verbote. Metzger hatte hiergegen keine Bedenken und schloß sich der harten Linie gegenüber den Kommunisten aus Überzeugung an. Im September 1950 untersagte er eine von der KPD geplante Einwohnerver­sammlung mit der Begründung, es handele sich um eine ‚Veranstaltung kommunis­tischer Tarn­organisationen‘.“ [62]

Heinz Schäfer ist gewiß zuzustimmen, wenn er die der KPD zugeschobene Instrumentali­sierung einer Kundgebung an ihren Urheber zurückführt.

„So wurde das Gedenken an die über 10 000 Menschen, die 1944 in Darmstadt umkamen, vom Ober­bürger­meister in einen Teil des Kampfes der DDR gegen die BRD umgedeutet. Metzger blieb auch danach ein energischer Verfechter von Verboten gegen Links. Mit rechten Auffassungen und Tätern ging er anders um.“ [63]

Hierbei handelt es sich nicht um einen Charakter­fehler des Ludwig Metzger, sondern um ein Kennzeichen bürgerlicher Herrschaft. Der Vorwurf von Heinz Schäfer, Darmstadts damaliger Ober­bürger­meister habe mit den Entlassungen und Verboten die hessische Verfassung verletzt [64], trifft die Sache nur bedingt. Formal gesehen, den Buchstaben nach, mag er Recht haben. Aber neben den Buchstaben gibt es das Wesen des bürgerlichen Rechtsstaats, nicht nur in der Bundes­republik Deutsch­land. Hierzulande gibt er sich mit der sogenannten „freiheitlich-demokratischen Grund­ordnung“ eine Allzweck­waffe zur Absicherung genau dieser erwünschten Verhältnisse. Ich will aber nicht zynisch sein. Heinz Schäfer wurde Unrecht getan, und zwar durch den Namensgeber des Preises der Sparkasse Darmstadt. Die Inter­pretation jedoch, was mit der hessischen Verfassung gemeint ist, obliegt der herrschenden Klasse und ihren aus­führenden Organen (Legislative, Exekutive, Judikative bis hin zu den Verfassungs­gerichten), und richtet sich leider nicht nach emanzipa­torischen Ziel­setzungen und Wünschen. Darin liegt das Wesen der bürgerlichen, weil kapitalis­tischen Demokratie begründet, einer Demokratie, die nicht zufällig fast bruchlos auf den National­sozialismus folgen konnte. [65]

Ob sich Ludwig Metzger jemals gefragt hat, weshalb ihm erlaubt ist zu tun, was er selbst unter anderen Umständen am eigenen Leibe hat erfahren dürfen? Jemend, der aus politischen Gründen entlassen wurde, benutzt andere, aber ebenso politische Gründe, um ihm unliebsame politische Gegner zu entlassen.

Heinz Schäfer hatte vor einigen Jahren anläßlich einer geschichts­klitternden Darstellung in einem städtischen Faltblatt zu „675 Jahren Darmstadt“ die Frage gestellt, ob Ludwig Metzger Ehrenbürger dieser Stadt und Namensgeber eines Sparkassen­preises sein solle [66]. Ich muß die Frage bejahen. Er hat – im Sinne der herrschenden Ordnung – vermutlich alles richtig gemacht.

Kein Fazit

Ludwig Metzgers Handeln umfaßt nicht nur die öffentlich gewürdigte Verteidigung von Partei­genossen und Pfarrern gegen die Willkürjustiz im National­sozialismus, das Wirken in kirchlichen Zusammen­hängen (was ideologie­kritisch durchaus einer eigenen Untersuchung wert wäre), die Organisation des Wieder­aufbaus von Darmstadt, seine Tätig­keit als Kultusminister und Parlamentarier. Von Interesse sind auch die Seiten, die in öffentlichen Ehrungen und Würdigungen gerne unter den Tisch fallen, allenfalls verklausuliert thematisiert werden, und zwar derart verklausuliert, daß Nichteinge­weihte im Unklaren bleiben und bleiben sollen.

Ludwig Metzger leitete gegen Ende des Zweiten Weltkriegs die Rechts­abteilung eines Unternehmens, das nicht nur der SS unterstand, sondern gezielt gegründet worden war, um das Vermögen deportierter, versklavter und umgebrachter Menschen zu aktivieren und der Kriegskasse zuzuführen. Leider fehlt es an einer historisch-kritischen Darstellung der D.U.T. bis heute, auch um zu begreifen, welchen Anteil Ludwig Metzger daran gehabt haben könnte, gehabt haben muß oder vielleicht auch tatsächlich gehabt hat. Vermutlich hat er diesen Job ähnlich pragmatisch gehandhabt, wie er beim Stadtaufbau auf (ehemalige) Nazis im Verwaltungs­apparat glaubte nicht verzichten zu können. Zu seinen Gunsten kann vorläufig angenommen werden, daß er vielleicht wirklich versucht hat, zumindest die „Substanz der Habe“ zu retten, wenn er schon dem Raubzug selbst nichts entgegen­setzen konnte. Inwieweit seine Entschuldung alter Kader, die allenfalls aus Schwachheit, nicht aber aus eigenem Antrieb unmoralisch gehandelt haben sollen, auch eine Entschuldung seiner selbst beinhalten soll, muß offen bleiben. Die Quellenlage ist für eine genaue Bewertung zu dürftig. Eine Haltung wie die seiner Biografin, es wird wohl nicht so schlimm gewesen sein, ist hingegen zumindest unkritisch und daher unangemessen.

Fragen bleiben.

In seiner Zeit als Oberbürger­meister hatte er gewiß mit immensen Schwierig­keiten und Widerständen zu kämpfen. Man und frau kann hier schwer erwarten, daß bei dieser Aufgabe alles mit rechten Dingen zugegangen ist, zumal das deutsche Kollektiv, das erst kurz zuvor tausend Jahre lang begeistert mitgemacht hat, erst die Grundzüge formalisierter Demokratie (wieder)er­lernen mußte. Die Macht, die seine Aufgabe mit sich brachte, wollte er nicht aufgeben oder teilen. Er ließ sich daher auch einmal von der Partei wählen, die er innerlich ablehnte. Anschließend zog er einen verdienten Nazi-Partei­genossen einem Bündnis mit Kommunisten vor und legte die Richtung mit fest, in die sich die junge Bundes­republik anti­kommunistisch gerieren sollte. Die Ausgrenzung der KPD war zwar auch von dieser mitver­schuldet, dies ist jedoch kein Grund, selbst aktiv daran mit polizeilichen und politischen Maßnahmen mitzuwirken. Die Kritik am Wieder­aufbau, die seitens der Darm­städter Kommunisten erhoben wurde, war legitim. Daß ein Machtmensch mit derart legitimer Kritik ein Problem hat und entsprechend aufgebracht und will­kürlich reagiert, ist nicht ungewöhn­lich. Ob und wie dies mit einer dezidiert religiösen Position und Lebensein­stellung zusammen­paßt und inwieweit eine derartige Moral mit Selbst­gerechtig­keit und Selbst­gefällig­keit korres­pondiert, mögen Andere bewerten. Seine Autobio­grafie gibt hierzu durchaus Aufschlüsse und Hinweise.

Diese Spuren im Leben des Ludwig Metzger gilt es aufzu­arbeiten und heraus­zustellen, um einer Ikonisierung seiner Person, wie sie in Darmstadt spätestens seit Verleihung der Ehren­bürger­würde 1976 anzutreffen ist, entgegenzuwirken.